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Full text of "Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde"

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5.  Jahrgang.  1903 


Zeitschrift 

für 

Fädaaoatscbe  P$y(l)olodie, 

PatMogie  und  Hygiene. 

Herausgegeben 

von 

Ferdinand  Kemsies  und  Leo  Hirschlaff. 
-       Inhalt  von  Heft  1/2.     - - 

Ori^nai-Artlkei. 

A.  Döring,  Über  sittliche  Erziehung  und  Moral  Unterricht. 
Georg  Flatau,  Die  Psychologie  der  Zwangsvorstellungen. 
A.  Gusinde,  Neue  Versuche  und  Hilfsmittel  im  Oesangunterricht. 
Karl  Lösch  hörn,  Zur  Behandlung  und  Bewertung  der  griechischen  Dichter- 
lektüre auf  Gymnasien. 
L  Maurer,  Beobachtungen  über  das  Anschauungsvermögen  der  Kinder.  I. 

Sitzungsberichte. 

Psychologische  Gesellschaft  zu  Berlin.  -  Verein  für  Kinderpsychologie  zu  Berlin. 

Berichte  und  Besprechungen. 

M.  C.  Schuyten.  -    Hermann  Walsemann.    -    Bcrthold  Otto.   -    J.  Trüper.   - 
Wilhelm  Münch.  -  K.  Marbe. 

Mitteilungen. 

Kinderforschung  an  der  Clark-University.  -   Preisausschreiben.  -  Ober  schul- 
hygienischen  Unterricht  an  höheren  Lehranstalten.     -    Entwickhing  der  Hilfs- 
schul Pädagogik  in  Berlin.    -   Aufruf. 

Blbllotheca  pädo-psychologica. 

BERLIN  S.W. 

Hermann  Walther,  Verlagsbuchhandlung 

G.  m.  b.  H. 

JIhrllch  erscheinen  6  tiefte  k  5—6  Bösen. 

Preis:  I.  u.  H.  Jahrgang  ä  Mk.  8.-.    III.  Jahrgang  u.  ff.  k  Mk.  10.-. 


Hygiama 


nährt,  krlftfgt,  ist  wohlschmeckend,  leicht  verdaulich  und  billig,  erfüllt 
hierdurch  nicht  allein  die  Aufgabe,  Schwächeziistände  zu  heben,  sondern  hat 
sich  seit  einer  Reihe  von  Jahren  als  überaus  brauchbar  bewährt,  die  Leistungs- 
fähigkeit des  gesunden  Organismus  zu  erhalten  und  zu  erhöhen. 

Hygiama  eignet  sich  ganz  besonders  zum  Frlihstficksgctrlnk  für  die  heran- 
wachsende Jugend  und  namentlich  für  Schulkinder  wegen  seines  hohen 
Gehaltes  an  allen  denjenigen  Nährstoffen,  die  für  die  Entwicklung  eines 
kräftigen  Körpers  notwendig  sind. 

Hygiama  enthält  die  blutbildenden  Bestandteile,  deren  zarte,  rasch  gewachsene 
Junge  Mädchen,  Bleichsflchtige  und  Blutarme  bedürfen. 

Studierende  und  geistig  angestrengt  Arbeltende  finden  in  „Hygiama" 

ein  leicht  verdauliches  Nährmittel,  vorzuglich  geeignet,  die  verbrauchien 
Kräfte  schnell  zu  ersetzen  und  neue  rasch  zu  schaffen. 

Preis  der  Vi  Büchse  :  500  Or.  Inh.  Mk.  2.50,  der  Vi  Büchse  Mk.  1.60. 

Vorrätig  in  den  meisten  Apotheken  und  Drogerien,  sonst  direkt  durch 

Dr.  Theinhardfs  Nährmittel -Gesellschaft 

Cannstatt  a«  Neckar. 


Neben  allen  natürlichen  Kur-  u.  Erfrischungs- 
wässern empffhkn: 

Kreuznaeher  Produkte»  alle  Sool  bade  «atze,  sltntllche  Bädcr^ 
zus&txe,  Moor,  Malz  etc. 

Mack's  Reichenhaller  Latschenkiefer -Produkte 

(BAdeeKtrakt,  Gel,  Edel  tan  neniliiftO 

Fromm's  Beer-Rotweln  -^^^^«»■'''«'■«»''^■^•■•-'■^" 

St.  Raphael-Wetn  N,S,r"  '""""""■  '—'"'"='■" 

Bertin  W.  8.  J.  F.  H  E  YL  &  C°-  Berlin  W.  8. 
Dr.  Laboschin's 

Cascora « Tamarinden 

Hervorragendes,  erfrischend  und  angenehm 
wirkendes  Abführmittel,  sovc'ohl  für  Kinder 
<r    <t    <r    <T  wie  für  Erwachsene  <r   <r    <r    it 

Dr.  Laboschin,  Victoria-Apotheke,  Berlin  SW. 

Friedrich -Strasse  19. 


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Zeitschrift 

für 

Pädagogische  Psycboloate« 

PatMofile  und  ^%kM 

Herausgegeben 

von 

Ferdinand  Kemsies  und  Leo  Hirschlaff. 


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—  V.  Jahrgang 


Berlin  SW. 

Hermann  Walther,  Verlagsbuchhandlung,  O.  m.  b.  H. 

1903. 


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Inhalt  des  fünften  Jahrganges. 

1903. 

Sdte 

A.  Abhandlungen. 

A.    Döring,    Über  sittliche   Erziehung   und    Moralunterricht    .     .  1 — 20 

Georg  Flatau,   Die  Psychologie  der  Zwangsvorstellungen.  .    .     .  21 — 35 

A.  Gusinde,  Neue  Versuche  und  Hilfsmittel  im  Gesangunterricht  36—49 
Karl  Löschhom,  Zur  Behandlung  und  Bewertung  der  griechischen 

Dichterlektüre  auf  Gymnasien 50 — 61 

L.   Maurer,   Beobachtungen  über  das  Anschauungsvermögen  der 

Kinder.      1 62—85 

Hermann  Gutzmann,  Zur  vergleichenden  Psychologie  der  Sprach- 
störungen      161—178 

Arno  Fuchs,  Beobachtungen  an  schwachsinnigen  Kindern    .     .     .  179 — 192 

F.  Kemsies  und  A.  Grünspan,    Über  Rechenkünstler 193 — 207 

Heinrich   Idelberger,    Hauptprobleme   der  kindlichen   Sprachent- 
wickelung.   1 241—237 

Leo  Hirschlaff,   Zur  Gesundheitspflege  des  Nervensystems     .     .     .  298 — 322 

Marx  Lobsien.  Kinderideale  L 323—344 

Dewey-Gurlitt,    Die  Schule  und  das  öffentliche  Leben     I.     .    .     .  345—364 
Heinrich  Idelberger,    Hauptprobleme  der  kindlichen    Sprachent- 
wicklung   n 426 — 466 

Marx  Lobsien,  Kinderideale  II 457 — 494 

B.  Sitzungsberichte. 

Verein  fflr  Kinderpsychologie  zu  Berlin« 

Döring,  Über  sittliche  Erziehung  und  Moralunterricht    ....  91 — 93 

Gusinde,    Neue  Versuche  imd  Hilfsmittel  im  Gesangsunterricht  94 — 96 

Diskussion 95—100 

Kemsies.    Die  Schwachbefähigten  auf  höheren  Lehranstalten    .     .  218 — 221 

Fuchs,  Beobachtungen  an  schwachsinnigen  Kindern 221 — 228 


Psychologische  Gesellschaft  zu  Berlin. 

Eitz,    Die  Tonwortmethode    in  psychologischer    und    musikpada- 

^ogischer  Hinsicht 86 — ^90 

Simmel,    Über  ästhetische  Quantitäten 208—214 

Liebmann,   Die  Sprache   der  Geisteskranken 215—218 

Treitel,     Über    die    neueren    Theorien    der    Schallleitimg    und 

-empfindung 367—867 

Gramzow,  Über  Gustav  Ratzenhofer  und  seine  positivistische  Welt- 
ansicht        368—870 

Hellpach,    Über  die  Aufgaben  der  Sozialpsychologie 371—372 


..  Seite 
Dessoir,    Über  eigene  Beobachtungen  an  dem  Medium  „Eusapia 

Palladino" 372—374 

Moll,  Spiritistische  Wahngebilde 374—379 

Gusinde,     Beiträge   zur   Methodik   des   Schulgesangunterrichts   in 

ästhetischer  und  psychologischer  Hinsicht 879 — 885 

Arbeitsplan  für  das  Winterhalbjahr  1903/4 405 

Schmidt,  Psychologie  und  Philosophie 496—498 

Oppenheimer,  Das  Gesetz  der  Strömung  in  der  Nationalökonomie  498 — 503 

Pappenheim,  Sehen  und  Darstellen 508 — 506 


Brzlehungs-  und  Farsorce-Vereln  fflr  seistic  zurflckgebllebene  Kinder 

zu  Berlin. 

Sammelbericht 223—224 


Psychologische  Gesellschaft  zu  Breslau* 

Jahresbericht  1902/1903 390—391 

Stern,  Die  Kinderpsychologie  als   theoretische  Wissenschaft    .     .  391 — 394 

Stern,  Die  Kinderpsychologie  als   angewandte  Wissenschaft    .     .  394 — 394 

Thiemich,  Körperliche  und  Milieueinflüsse  auf  die  Kindespsyche  395 
Ostermann,    Das  Interesse:  ein  Kapitel  aus  der  Psychologie    des 

Unterrichts 395— 39G 

Kramer,    Die  Schulermüdung  und  ihre  Messung 396 — 398 

Goerke,   Probleme  der  Kindersprache 398 — 399 

Lipmann,     Praktische    Ergebnisse    der    experimentellen     Unter- 
suchungen des  Gedächtnisses 399 


Verein  für  Klnderforschung. 

V.  Versammlung  des  Vereins  xu  Halle 400 — 405 

C.   Berichte  und  Besprechungen. 

Paedologisch  Jaarbook,  3de  en  4de  jaargang  1902—1903  Stad  Ant- 

werpen 100 — 101 

Hermann  Walsemann,  J.  H.  Pestalozzis  Rechenmethode    ....  101 — 107 

Berthold  Otto,  Tirocinium  Caesarianum 107—108 

J.  Trüper«    Die  Anfänge  der  abnormen  Erscheinungen  im  kind- 
lichen Seelenleben 108—109 

Münch,  Wilhelm,  Geist  des  Lehramts.    Eine  Hodegeük  für  Lehrer 

höherer  Schulen 110 

Marbe,  K.  Experimentell-psychologische  Untersuchungen  über  das 

Urteil.    Eme  Einleitung  in  die  Logik 111—112 

Hugo  Magnus,  Tafel  zur  Erziehung  des  Farbensinnes 224 — ^225 

E.    Stiehl,    Eine   Mutterpflicht 226 

Heinrich  Keiter,    Die  Kunst,  Bücher  zu  lesen 226 — 227 

Übungsaufgaben  zu  Prof.  Dr.  Wilmanns*  Deutscher  Schulgram- 
matik.   Bearbeitet  von  Dr.  K.  Bandow '227 

Kanon   deutscher   Dichtungen.     Zusanunengestellt    durch    Fach- 
konferenzen des  Königl.  Theresien-Gymnasiums  in  München  .  227 — 228 
Dr.  Arthur  Wohlthat,    Die  klassischen  Schuldramen  nach  Inhalt 

und   Aufbau 228—229 

Adolf  Heinzes  Praktische  Anleitimg  ziun  Disponieren  deutscher 

Aufsätze.     Gänzlich  umgearbeitet  von  Dr.  H.  Heinze    .    .    .  229—230 
Robert  Seidel,   Die  Handarbeit,  der  Grund-  imd  Eckstein  der  har- 
monischen Bildung  und  Erziehung 280 — 281 


V 

Seite 
B.  Otto,     Lehrgang    der    Zukunftsschule    nach    psychologischen 

Experimenten  für  Eltern,  Erzieher  und  Lehrer 405-— 408 

B.    Otto,      Der    Hauslehrer 405—408 

Eingesandt  und  Erwiderung 409 

W.  A.  Lay,  Experimentelle  Didaktik.    I.  Teil 506—606 

Versuche  und  Ergebnisse  der  Lehrervereinigimg  in  Hamburg  .    .  506 — 610 

Gesunde  Jugend 510—518 


D«   Mitteilungen. 

Kinderforschung  in  der  Clark  University 114 — 122 

Preisausschreiben 123 

Über  schulhygienischen  Unterricht  an  höheren  Lehranstalten    .     .  123 — 127 

Entwicklung  der  Hilfsschulpädagogik  in   Berlin 127—132 

Aufruf 132—133 

Zur  Entstehung  der  Sprache  imd  Begriffs  bildun^  des  Kindes     .     .  231 — 233 

Die  gemeinschaftliche  Erziehimg  beider  Geschlechter  in  Amerika    .  410 — 412 

Hilfsschulen  für  schwachbefähigte  Kinder 412—413 

Preisausschreiben 619 

Einladung  zu   dem   Kongress   für   experimentelle  Psychologie   in 

Giessen 619—623 


E.  Bibliotheca  pädo-psychologica. 

I/II 134—160 

HI 234—240 

IV/V 414-424 

VI .  524-^680 


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Zeitschrift 


für 


Pldaaoaiscbe  Psycboloalc, 

PatMoaic  und  llygiene. 

Herausgegeben 
Ferdiöand  Kemsies  und  Leo  Hirschlaft 


Jahrg^ang  V. 


Berlin,  April  1903. 


Heft  1/2, 


Über  sittliche  Erziehung  und  Maralunterricht. 

Vortrag,  gehalten  am  16,  Januar  1903  Im  Verein  für 
Kinderpaycholögie  am  BerÜn 

A.  Döring, 

Hochgeehrte  Versammlung!  Es  handelt  sich  um  ein  sehr 
weitläufiges  und  umfassendes  Thema,  das  im  Rahmen  eines 
Vortrages  nur  in  lapidarer  Kürze  behandelt  werden  kann.  Ich 
glaube  der  mir  gewordenen  ehrenvollen  Aufforderung  am  besten  zu 
entsprechen,  wenn  ich  in  erster  Linie  das  Bild  eines  rein  welt- 
lich-naturlichen  Moralunterrichts,  der  in  der  staatlichen  Ele* 
mentarschule  an  Stelle  des  Religionsunterrichts  zu  treten  hätte^ 
wie  es  mir  vorschwebt  und  wie  es  in  meinem  j^H  and  buch  der 
menschlich-natürlichen  Sittenlehre  für  Eltern  und  Er- 
zieher" Stuttgart  1899  ausführlich  entwickelt  ist,  den  Grundzügen 
nach  der  Betrachtimg  unterwerfe.  Die  sonstigen  Funktionen  der 
sittlichen  Erziehung  lassen  sich  dann  leicht  daran  anschliessen. 

Als  Folie  für  dieses  Büd  möchte  ich  zunächst  einige 
Züge  aus  dem  grossen  Experiment  der  französischen 
Republik  mit  der  Volksschule  mitteilen.  Dieses  Experi- 
ment verdient  noch  mehr  Beachtung,  als  ihm  anscheinend  bei 
ans  bisher  gezollt  worden  ist  und  wäre  es  auch  nur,  weil  sich 
teilweise  daraus  lernen  lässt,  wie  es  nicht  gemacht  werden  darf. 

Die  Neugestaltung  der  Volksschule  in  Frankreich  besteht 
jetzt  schon    ungefähr  20  Jahre.    Schon    im  Jahre  1882   wurde 

ZeilKhritt  fttr  pldigiDgifdie  Psychologie^  PAtholoeie  und  Hyfi«°«*  1 


2  A.  Döring 

durch  eine  Ministerial Verfügung  der  Unterrichtsplan  festgesetzt; 
ein  zusammenfassendes  Schulgesetz  wurde  1886  angenommen. 
Das  in  diesen  20  Jahren  dort  Geleistete  verdiente  wohl  heute 
eine  zusammenfassende  Monographie,  Kleinere  Beiträge  habe 
ich  bereits  1894  in  den  „Preussischen  Jahrbüchern"  (Band  78) 
und  1896  in  der  Sonntagsbeilage  der  Voss.  Zeitung,  an  letzterer 
Stelle  speziell  den  Moralunterricht  betreffend,  gegeben. 

In  dieser  Organisation  wurde  nun  zunächst  das  Prinzip 
der  allgemeinen  Schulpflicht  mit  den  in  strenger  Folgerichtig- 
keit daraus  abgeleiteten  Konsequenzen  der  Unentgeltlichkeit 
und  der  „laicit6"  aufgestellt  Dies  Prinzip  aber  wurde  dann 
von  vornherein  dadurch  wieder  durchbrochen  und  lahmgelegt^ 
dass  ihm  nicht  die  Alleinverbindlichkeit  der  Staatsschule  oder 
doch  der  in  dieser  massgebenden  Unterrichtsgestalttmg  hinzu- 
gefügt, dass  vielmehr  neben  der  Staatsschule  die  sogenannten 
„freien  Schulen"  zugelassen  wurden.  Dies  war  der  erste  grosse 
Fehler,  der  dieser  Schöpfung  anhaftet 

Schon  1890  besuchte  ein  Fünftel  der  schulpfUchtigen 
Kinder  die  freien  Schulen  imd  unter  dem  mächtigen  Einflüsse 
der  Geistlichkeit,  die  von  vornherein  der  Staatsschule  aufs 
heftigste  widerstrebte,  ist  diese  Bevorzugung  der  freien  Schulen 
anscheinend  in  beständigem  Wachsen  begriffen  und  droht  die 
Staatsschule  zu  erdrosseln.  Im  Falle  einer  in  Frankreich 
jederzeit  möglichen  monarchischen  Staatsveränderung  besteht 
die  Gefahr,  dass  diese  weltliche  Schule  vollständig  wieder  von 
der  Bildfläche  verschwinden  wird. 

Diese  weltliche  Schule  schUesst  also  allen  dogmatischen 
Religionsunterricht  im  Sinne  der  Religionsgemeinschaften  aus 
und  hat  dafür  als  neue  Unterrichtsgegenstände  den  höchst  be- 
deutsamen „Bürger Unterricht*^,  sowie  in  nachdrücklichster 
Form  auf  allen  Altersstufen  einen  in  4—5  wöchentlichen 
Stunden  zu  erteilenden  Moralunterricht  eingeführt 

Bei  diesen  beiden  Unterrichtsfächern  nun  tritt,  beiden  ge- 
meinsam, ein  zweiter  schwerer  Fehler  auf.  Das  ist  der  in  den 
betreffenden  Lehrbüchern  in  unglaublich  abstossender,  wahr- 
haft erschreckender  Weise,  in  wahrhaft  verrohender  Form  zu 
Tage  tretende  Chauvinismus. 

Dem  so  wichtigen  Moralunterricht  insbesondere  endlich 
haften  zwei  weitere  grosse  Mängel  an. 


Üh<r  siitiiche  Erstehung   und  Mi>r^lunierrickL 


Einesteils  der  Mangel  einer  methodischen  Durch- 
bildung  sowohl  bei  den  Lehrern,  als  in  den  Lehrgängen  und 
Lehrbüchern,  trotzdem  der  letzteren  rasch  eine  ungeheure  Zahl 
auf  dtm  Plane  erschien.  Der  Jesuit  Grub  er,  der  1889  eine 
bitterböse  Scltrift  gegen  diesen  weltlichen  Moralunterricht 
richtete,  beziffert  darin  schon  damals  die  Zahl  der  erschienenen 
Lehrbücher  auf  119,  wobei  freilich  die  dem  „Bürgerunterricht** 
gewidmeten  teilweise  mitgezählt  zu  sein  scheinen.  Ein  der 
Neuerung  sympathisch  gegenüberstehender  Bericht  über  diesen 
Moralunterricht,  den  im  Rahmen  der  grossen  sechsbändigen 
Darstellung  des  französischen  Schulwesens  für  die  Weltaus- 
stellung von  1889  das  freisinnige  Mitghed  der  protestantisch- 
theologischen Fakultät  zu  Paris,  Professor  Lichtenberger* 
zugleich  Mitglied  der  höchsten  Unterrichtskommission,  zu- 
sammenstellte  (L^^ducation  morale  dans  les  ecoles  primaires);, 
verschweigt  diesen  Mangel  nicht.  Von  den  558  amtlichen  Be- 
richten, die  ihm  als  Material  zur  Verfügung  standen,  be- 
zeichnet er  die  Mehrzahl  als  banal,  nur  eine  Minderzahl  als 
gewissenhaft  und  detailliert.  Er  hebt  die  Tatsache  hervor, 
dass  manche  Lehrer  —  die  Lehrer  standen  ja  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  nach  dem  neuen  Unterrichtsgegenstande 
ohne  jede  Vorbildung  gegenüber,  —  den  Moralunterricht  eigen- 
mächtig unterdrückt  haben.  Er  teilt  die  Anekdote  mit,  dass 
ein  Lehrer  auf  die  Frage  des  Inspektors»  welche  Moralthemata 
er  im  letzten  Monate  behandelt  habe,  antwortete:  „Herr 
Inspektor,  wir  haben  von  den  Ministerten  gehandelt*^  Die 
Sympathie  unseres  Berichterstatters  betätigt  sich  daher  über- 
wiegend als  Hoffnung  auf  eine  bessere  Zukunft 

Der  zweite  Fehler  ist  eine  befremdliche  Halbheit  in 
Bezug  auf  Heranziehung  der  religiösen  Begründung. 
Die  vorerwähnte  Ministerialverfügung  von  1882  enthält  beim 
Moralnnterricht  folgenden  Passus:  „Der  Gottheit  gebührt 
Respekt  und  Verehrung.  Die  höchste  ihr  geschuldete  Huldi- 
gung ist  der  Gehorsam  gegen  das  Sittengesetz,  wie  es  sich  in 
Gewissen  und  Vernunft  offenbart**'  Wir  erkennen  hier  den 
auch  tatsachÜch  bei  dieser  Organisation  mächtig  wirksamen 
Einfluss  der  Consinschen  Schule,  Selbstverständlich  war 
derartiges  der  radikalen  Richtung  anstössig,  wahrend  es  der 
kirchHchpositiven  auch  nicht  entfernt  genügte.     Das  Verfahren 

r 


4  A.  Döring 

stosst  nach  beiden  Seiten  an  und  verletzt  die  Forderung  einer 
unter  allen  Umständen  im  späteren  Leben  stichhaltigen  Moral- 
begründung. 

Wie  es  heute  mit  dem  Moralunterricht  der  französischen 
Volksschule,  seiner  methodischen  Entwicklung  und  seinen  im 
Volksleben  bemerkbaren  Wirkungen  steht,  das  verdiente  wohl 
erforscht  zu  werden.  Jedenfalls  ist  daraus  zu  lernen,  indem 
man  die  in  ihr  begangenen  Fehler  vermeidet 

An  erster  Stelle  müsste  für  die  mir  vorschwebende  welt- 
liche Staatsschule  an  der  Allgemeinverbindlichkeit,  sei 
es  dieser  Schule  selbst,  sei  es  wenigstens  der  in  ihr  har- 
schenden Unterrichtsweise,  festgehalten  werden. 

Zweitens  müsste  das  Prinzip  rein  durchgeführt  werden, 
dass  die  religiöse  Erziehung  ausschliesslich  Sache  der  Familie 
und  der  Religionsgemeinschaften  wäre,  ohne  jeden  staatlichen 
Zwang,  andemteils  aber  auch  ohne  jede  Hemmung  und  Be- 
einträchtigung seitens  des  Staates.  Es  müsste  im  öffentlichen 
Unterricht  alles  nach  dieser  Seite  hin  Anstossende  strengstens 
vermieden,  aber  auch  alle  religiösen  Elemente  femgehalten 
werden,  einschliesslich  der  Andachtsübungen  und  der  positiven 
religiösen  Färbung  auch  anderer  Unterrichtsgegenstände.  Im 
Interesse  des  Verständnisses  der  religiösen  Faktoren  innerhalb 
der  Gesellschaft,  in  deren  Mitte  das  Kind  als  Erwachsener  zu 
leben  hat,  bedürfte  es  nur  einer  streng  objektiv  gehaltenen 
Orientierung  über  Geschichte  und  Lehre  der  vorhandenen 
Religionsgemeinschaften,  die  etwa  im  geschichtlichen  Unter- 
richt oder  auch  in  dem  auch  sonst  unserer  Schule  hochnötigen 
Bürgerunterricht  gegeben  werden  könnte. 

Endlich    wäre     erforderUch    ein    sehr     nachdrücklicher 

> 

methodisch  umsichtiger,  wirksamer  Moralunterricht,  aber 
ohne  Zuhilfenahme  irgend  welcher  religiöser  oder  meta- 
physischer Prinzipien. 

Damit  sind  wir  dann  wieder  bei  unserem  nächsten  Thema, 
dem  Moralunterricht,  angekommen. 

Dieser  wird  sich  in  zwei  Stufen  zu  gestalten  haben, 
als  propädeutischer  moralischer  Anschauungsunterricht, 
etwa  dem  11.  und  12.  Lebensjahre  angehörig,  und  als  end-> 
gültiger  systematisch  gehaltener  Moralunterricht,  den 
beiden  letzten  Schuljahren,   also  dem  13.  und  14.  Lebensjahre, 


Ü6»er  niiiich£ 


Maruiunterrtcki^ 


m, 


rt 


B 


zuzuweisen.  Beide  Kurse  müssten  als  ihren  eigentlichem  Stoff 
das  Leben  der  Erwachsenen  betrachten,  doch  so,  dass  auch 
die  besonderen  sittlichen  Anforderungen  an  das  jugendliche 
Alter  geeigneten  Ortes  mit  berücksichtigt  würden. 

Es  ist  im  Interesse  der  Deutlichkeit  ratsam,  mit  der 
systematisch  durchgebildeten  Endstufe  den  Anfang  zu 
machen. 

Hier  ergeben  sich  zwei  Hauptteile,  die  geradezu  als 
zwei  Jahreskurse  gedacht  werden  können.  L  Der  Inbegriff 
der  sittlichen  Forderung  als  Ganzes  und  in  allen  seinen 
Verzweigungen,  eine  systematische  Darstellung  des  normalen 
sittlichen  Verhaltens  in  populärer  Fassung,  Z  Die  Sanktion, 
Warum  müssen  wir  diese  Vorschriften  für  uns  als  bindend 
erachten? 

Ich  versuche,  vom  Lehrgange  in  beiden  Teilen  eine  flüchtige 
ikizze  zu  entwerfen^  indem  ich  für  die  genauere  Ausführung 
auf  mein  ,^Handbuch**  verweise,  in  dem  gerade  diese  Partie  in 
besonders  detaiUierter  Durchführung  zur  Darstellung  gebracht 
worden  ist 

Den  ersten  Hauptteil  anlangend,  erscheint  es  mir  als 
notwendig,  von  vornherein  zu  betonen,  dass  der  ethische  Ideal- 
mensch nicht  als  ein  zwiespältiges  Wesen  vorgestellt  werden 
darf,  das  zwar  einesteils  diese  oder  jene  sittliche  Eigenschaft 
besitzt  und  betätigt,  das  aber  im  übrigen  von  selbstischen 
Interessen  im  niederen  Sinne,  wie  wirtschaftliches  Fortkommen, 
Erlangung  von  allerlei  Vorteilen  und  Annehmlichkeiten,  Er- 
klimmung einer  möglichst  hohen  Staffel  im  Geseltschaftsleben 
und  dergL  geleitet  wird.  Es  muss  eine  Pfiichtenlehre  gefordert 
werden,  nach  der  das  gesamte  Wollen  einheitlich  und  vollständig 
urch  das  Prinzip  des  Sittlichen  bestimmt  erscheint 

In  der  Tat  ist  dies  Prinzip  fruchtbar  und  inhaltreich  genug 
Um  die  Gesamtheit  des  Wollens  und  Strebens  ihm  unterordueu 
zu  können.  Bestimmen  wir  es  zunächst  mit  Schopenhauer 
dahin:  „Verletze  Niemand:  Hilf  allen,  soviel  du  kannst  1^^  Hia^ 
ist  ein  negativer  Satz,  ein  Verbot  und  ein  positiver,  ein  Gebot 
Beiden  gemeinsam  ist  als  das  sie  zur  Einheit  Verbindende 
ie  Rücksichtnahme  auf  das  fremde  Wohl. 

Der  negative  Satc  spricht  das  Prinzip  der  Gerechtigkeit 
aus.  Der  Gerechte  respektiert  die  Lebensgüter  des  Anderem:  dessen 


A.  Döring 


Leben  und  körperliches  Wohlsein,  seine  Freiheit,  die  Richtig^keit 
seiner  Vorstellungen  von  dem  für  seine  Lebenslage  Bedeutsamen 
(Wahrhaftigkeit),   die    Ungetrübtheit   seines  Gefühllebens,  sein 
Eigentum,  seine  Ehre,  seinen  Frieden  mit  seinen  Umgebungen, 
seine  Sittlichkeit    Alles   dies    im    weitesten    Umfange   in    Be- 
xiehung   auf    alles,    was  Menschenauüitz  tragt,  speriell  in  den 
engeren    und   engsten  Lebensbeziehungen,   in  Vertragsverhält- 
nissen, in  Handel  und  Wandel,   in   Freundschaft  und  Gemein- 
schaft, im  Familienkreise.    Ein  solches  engeres  Verhältnis  wir 
auch  durch  empfangene  Guttat  begründet:  der  Gerechte 
dankbar,  dagegen    reizt  ihn  erlittene  Unbill  nicht  zur  Vc 
geltung.     Er  hält  es  nicht  für  sein  Recht,  durch  Rache  da 
Leid  und  Weh  der  Menschheit  an  seinem  Teile  noch  zu  ver- 
mehren.    Unter  Umstanden  jedoch  ist  das  Streben  nach  Resti- 
tution   des   Geraubten    (Eigentum,    Ehre)    oder    Ersatz    [z.  B, 
körperliche  Schädigimg),  der  Kampf    ums  Recht,   nicht   nur 
sein  Recht,   sondern   seine    Pflicht     JedenfaUs  ist  da,    wo    die 
sein  Leben,  seine  Wohlfahrt,  die  Bedingungen  seines  sittlichen     j 
Wirkens  gefährdende  Übeltat  noch  abgewendet  werden  kann, 
Abwehr,  Notwehr,  nicht  nur  Recht,  sondern  f^Qicht  Der  fanatisch^j 
Tolstoiismus    mit   dem    Grundsätze,    dem    Bösen    nicht    Jd^H 
widerstreben,  schlägt,  konsequent  durchgeführt,   nicht  nur  die^^ 
Fortdauer  der  Möglichkeit  eigenen  sittlichen  Wirkens,  sondena,      j 
soviel   an   ihm  ist^   den  Bestand  einer  sittlichen  Gesellschafts* 
Ordnung  in  die  Schanze. 

Dass  es  eine  Gerechtigkeit  in  diesem  Sinne  auch  gegei 
das  Tier    gibt»  darauf   sei    an    dieser  Stelle    nur   mit  eiuem_ 
Worte  hingedeutet 

Als  positive  Ergänzung  dieser  negativen  Seite  des" 
Sittlichen  tritt  das  „Hilf  allen!"  auf.  Hier  erscheint  zunächst 
die  tätige  Güte,  die  Caritas,  Es  ist  die  Willensrichtung  auf 
ein  möghchst  weitgehendes  Mass  des  dem  Andern  zu  erweisen- 
den positiven  Guten,  Die  Güte  hat  in  der  Schraukenlosig- 
keit  ihres  Horizontes  etwas  Berückendes,  als  sittliche  Forderung 
ist  sie  uferlos.  Mit  Recht  wird  sie  als  unbestimmte  Pflicht 
bezeichnet 

Neben  der  tätigen  steht  die  duldende  Güte,  die  unter 
Umstanden  die  erlittene  Unbill,  auf  die  Forderung  des  Wieder- 
gutmachens  vernchtend,  willig  auf  sich  nimmt 


M 
» 


Üi^  siiüiehe  Brwkhung'  imä  Momlunterrkht, 


Auf  das  wirksamste  wird  die  Willensrichtung  auf  das 
positiv  Gute  in  deutliche  Greuzeo  eiogeschlosseti  durch  den 
Begriff  des  Berufes  im  Idealen  Sinue.  Beruf  im  idealen 
Sinne  bedeutet  nicht  eine  Beschäftigung  zum  Erwerbe  des 
Lebensunterhalts,  sondern  eine  Form  gemeinnütziger  Be- 
tätigung der  besonderen,  von  Mensch  zu  Mensch,  von 
Individuum  zw  Individuum  verschiedenen  Gaben,  An- 
lagen und  Fähigkeiten  2um  Wohle  der  anderen  und 
der  Gesamtheit  Es  gibt  diesen  idealen  Beruf  in  mannig- 
fachem Sinne,  Da  ist  zunächst  die  unendliche  Vielfältigkeit 
der  bürgerlichen  Berufe  als  eine  ebenso  grosse  Vielfältigkeit 
der  Dienste  au  der  Gemeinschaft  Es  gibt  keinen  echten 
Beruf,  der  nicht  in  diesem  idealen  Lichte  eines  Dienstes  für 
das  Ganze,  einer  Organfunktion  am  grossen  Gesamtorganismus 
der  Gesellschaft  betrachtet  werden  konnte.  Es  giebt  fem  er 
die  Berufe  in  der  Familie,  von  denen  das  Wort  Luthers  gilt: 
Ein  jeder  lern'  sein  Lektion, 
So  wird  es  wohl  im  Hause  stöhn. 

Hier  ein  Beispiel,  wie  auch  das  jugendliche  Leben  in 
diesem  Unterricht  seine  Berücksichtigung  finden  kann.  Auch  das 
Kind  hat  zunächst  seineu  Familienberut  Ausserdem  aber  bietet 
sich  hier  Anlass  zur  Hindeutung  auf  seinen  Beruf,  sich  für  das 
erwachsene  Leben  erziehen  2U  lassen  und  selbst  heranzubilden. 

Es  giebt  femer  den  staatsbürgerlichen  Beruf  und  endUch 
für  schöpferische  Naturen  in  grössserem  Massstabe  den  raensch- 
heitlichen  Berut 

So  erhalten  wir  als  dritte  Haupttugend  neben  der  Ge- 
rechtigkeit und  Güte  die  Berufs  treue. 

Ist  nun  mit  diesen  drei  Willensrichtungen  das  Gesamt- 
gebiet des  Sittlichen  erschöpft?  Darnach  würden  alle  die  Formen 
der  Fürsorge  für  das  eigene  Wohl  in  körperlicher,  seehscher 
und  wirtschaftlicher  Beziehung,  in  bezug  auf  Fortkommen,  Ehre 
und  dgL,  die  doch  mit  unumgänglicher  Notwendigkeit  einen 
sehr  erheblichen  Bruchteil  unserer  Handlungen  und  Bemühungen 
in  Ansprtich  nehmen,  nicht  unter  den  sittlichen  Gesichtspunkt 
fallen.  Es  scheint,  als  ob  da  die  Zwiespältigkeit  in  der 
Lebensführung,  die  wir  von  unserem  Idealbilde  fern  halten 
wollten^  doch  wieder  zugestanden  werden  müsste  und  dass  die 
Forderung,    die   wir   aufstellten,    dass    das    gesamte    Handeln 


8 


A^  Bärmg 


vom  Prinzip  des  Sittiichen  TiiDfasst  werden  soll,  doch  wieder 
liiafälUg  wird* 

Dies  ist  jedoch  keineswegs  der  FaE  Es  steht  auch  für 
diese  Richtungen  des  Tuns  ein  Kategorie  in  Bereitschaft^  durch 
die  sie  in  vollkommener  Weise  in  den  Bereich  des  Sittlichen 
einbezogen  werden.  Das  ist  die  Kategorie  der  indirekten 
Tugenden  oder  der  Tugenden  der  Leistungsfähigkeit, 
Körperliche  Leistungsfähigkeit  durch  Pflege  und  Wahrung 
der  Gesundheit,  Rüstigkeit  und  Frische,  seelische  Leistungs^ 
fähigkeit  durch  Normalität  des  Gefühlslebens,  durch  Willeus- 
tüchtigkeit  und  Entwicklung  der  intellektuellen  Vermögen^ 
gesellschaftliche  Leistungsfähigkeit  durch  Normalitat  der 
wirtschaftlichen  Lage  und  Wahrung  der  Ehre,  auf  der  unsere 
gesellschaftliche  Vertrauensstellungberuht:  das  alles  sind  wichtige, 
hochbedeutsame,  sittliche  Obliegenheiten. 

Und  endlich  niuss  diese  ganze  Mannigfaltigkeit  der  An- 
forderungen unter  Beachtung  ihrer  jeweiligen  Dringlichkeit 
vor  unharmonischem  Sichgeltendmachen  bewahrt  und  zu  einem 
wohlgegliedcrten  Ganzen  sittlicher  Lebensführung  gestaltet 
werden.  Dazu  bedarf  es  einer  besonderen  Tugend,  die  den 
Blick  auf  das  Ganze  gerichtet  hält  und  wie  von  einer  hohen 
Warte  herab  mit  Feldhermblick  das  Ganze  überschaut  und 
regelt  Das  ist  die  Weisheit  Sie  hat  im  weitesten  Umfange 
die  Aufgabe,  die  Konflikte  der  Pflichten  lu  lösen,  (Beispiele: 
der  heilige  Crispinus,  der  Leder  stiehlt,  um  den  Armen  Schuhe 
zu  machen*  Verletzung  der  Gerechtigkeit  im  Interesse  der 
Güte-  Buchstäbliche  Befolgung  der  Vorschrift:  *  Verkaufe 
alles,  was  du  hast  und  gib  es  den  Armen«!  Verstoss  gegen 
die  Pflicht  der  Gerechtigkeit,  da  die  Armen  durch  eine  solche 
Art  der  Wohltätigkeit  degradiert  werden,  sowie  gegen  die 
der  eigenen  Leistungsfähigkeit,  beides  ebenfalls  im  Interesse 
der  Güte.) 

Selbstverständlich  muss  der  Moralunterricht  diese  Pflichten» 
lehre  nicht  in  dürrer  Skizxenhaftigkeit  vortragen^  sondern 
gerade  möglichst  ins  Einzelne,  in  die  konkreten  Fälle  und 
Einzelentscheidungen  eintreten,  in  denen  die  sittliche  Forderung 
im  wirkücheu  Leben  an  uns  herantritt  Es  ist  die  erste  und 
nächste  Angelegenheit  dieses  Unterrichts,  das  Kind  über  den 
ganzen  Umfang  und  Inhalt  des  Sittlichen  nicht  im  Un- 


über  siiÜiche  Ersiehung  und  Mortüunt^rrkkL 


9 


gewissen  zu  lassen.  Was  ich  nicht  weiss,  macht  mich  nicht 
heiss.  Vage  Unklarheit  über  das  Wesen  der  sittlichen  Forderung 
in  allen  ihren  Verzweigungen  stumpft  auch  den  etwa  vorhandenen 
Willen  zmn  Guten  ab;  das  nur  in  verschwommenen  Umrissen 
vorhandene  Bild  einer  sittlichen  Lebensführung  lässt  ihn  in 
der  Ausführung  völlig  erlahmen. 

Gegen  diesen  ersten  Hanptteil  insbesondere  richtet  sich  nun 
das  häufig  gehörte  Bedenken,  dass  ein  solcher  Unterricht 
dem  Kinde  langweilig  sei  und  die  Wirkung  haben  müsse, 
ihm  die  ganze  Sache  in  Grund  und  Boden  dauernd  zu  verleiden. 

Gegenüber  diesem  Einwände  mochte  ich  auf  einige  Aus- 
führungen Kants  verweisen*  Er  sagt  (Kr.  der  prakt.  Vem. 
Methodenl.):  *Ich  weiss  nicht,  warum  die  Erzieher  der  Jugend 
von  diesem  Hange  der  Vernunft,  in  aufgeworfenen 
praktischen  (d  h.  sittlichen)  Fragen  selbst  die  subtilste 
Prüfung  mit  Vergnügen  einzuschagen,  nicht  schon  längst 
Gebrauch  gemacht  haben«.  Er  glaubt,  dass  sie  dabei  ^selbst 
die  früheste  Jugend,  die  zw  aller  Spekulation  sonst 
noch  unreif  ist,  bald  sehr  scharfsichtig  und,  weil  sie 
dabei  den  Fortschritt  ihrer  Urteilskraft  fühlt,  nicht  wenig 
interessiert  finden  werden. <  Ja,  Kant  verspricht  sich  von 
dieser  blossen  Erörterung  der  sittHchen  Vorschrift  sogar  schon 
eine  direkt  versittlich  ende  Wirkung.  Er  meint^  dass  *  diese 
öftere  Übung  im  Wahrnehmen  des  sittlich  Richtigen  und 
Verkehrten  einen  dauerhaften  Eindruck  der  Hochschätzung 
auf  der  dnen,  und  des  Abscheues  auf  der  anderen  Seite  zurück- 
lassen werde,  der  zur  Rechtschaffenheit  im  künftigen  Lebens- 
wandel eine  gute  Grundlage  ausmachen  *^^  würde. 

Ein  ähnliches  Zeugnis  in  be^ug  auf  das  Interesse  der 
Jugend  an  einer  ausgeführten  Pflichtenlehre,  und  zwar  in  diesem 
Falle  aus  langjähriger  Praxis,  besitzen  wir  von  Felix  Adler, 
dem  verdienten  Begründer  des  Moralunterrichts  in  Amerika 
(Der  Moralunterricht  der  Kinder^  deutsch  von  G,  v.  Gizyckij 
Berlin  1894).  So  dürfte  es  also  nur  auf  die  richtige  Behandlung 
ankommen,  um  gerade  für  diesen  ersten  Hauptteil  des  ethischen 
Unterrichts  ein  lebhaftes  Interesse  erwarten  zu  können. 

Den  zweiten  Haupt  teil  bildet  die  Sanktion.  Warum  ist 
diese  Vorschrift  verbindlich? 


10  ^-  I>Srmg 

Diese  Verbindlichkeit  muss,  da  es  sich  um  einen  Unter- 
richt handelt,  intellektuell  begründet  werden.  Ein  blosses 
Predigen  und  Ermahnen  kann  eine  klar  und  scharf  begründete 
und  zu  lebenswieriger  Dauer  festgelegte  Überzeugung  nicht 
ersetzen.  Es  muss  darauf  ausgegangen  werden,  durch  Vemunft- 
gründe  den  das  Ganze  umfassenden  Entschluss  zur  sittlichen 
Lebensführung  herbeizuführen,  das  zu  bewirken,  was  der 
Schillersche  Vers  »Nimm  die  Gottheit  auf  in  deinen  Willen« 
ausdrückt,  in  dem  »die  Gottheit«  dem  Zusammenhange  nach 
das  strenge  Pflichtgebot  bezeichnet  Wir  stehen  hier  vor  dem 
eigenthchen  Problem  der  in  der  antiken  Philosophie  so  viel- 
fach erörterten  Lehrbarkeit  der  Tugend.  Die  völlige  Weg- 
lassung dieses  Hauptteils  aus  dem  Moralunterricht,  wie  sie  z.  B. 
von  Felix  Adler  befürwortet  wird,  kann  nicht  gut  geheissen  werden. 

Hier  stossen  wir  denn  nun  auf  die  beliebte  Auskunft  durch 
das  Gewissen,  das  in  diesem  Zusammenhang  unfehlbar  als 
deus  ex  machina  aus  der  Versenkung  auftaucht.  Das  Gewissen 
ist  angeblich  ein  strenger  Gesetzgeber  und  Richter  und  der 
Friede  mit  ihm  eine  höchst  wichtige,  für  unser  ganzes  Wohkein 
entscheidende  Angelegenheit. 

Wir  stehen  hier  vor  einer  bedeutsamen  psychologischen 
Frage. 

Zunächst:  Lehrt  die  Erfahrung  die  Existenz  einer  so 
charakterisierten  Potenz  im  Inneren?  Diese  Frage  kann  nur 
sehr  bedingt  bejaht  werden.  Die  Gesetzgebung  macht  sich 
nur  in  sehr  schwachen  und  verschwommenen  Ansätzen  geltend, 
und  wo  kein  Gesetzgeber  ist,  da  ist  auch  kein  Richter. 

Vornehmlich  aber:  Kann  ein  derartiges  seelisches  Organ, 
eine  Art  Apparat  im  Innern,  psychologisch  verständlich  ge- 
macht werden? 

Wir  kommen  hier  zu  dem  Resultate,  dass  das  Gewissen, 
soweit  überhaupt  von  ihm  die  Rede  sein  kann,  ein  aus  sehr 
verschiedenen  Ingredienzien  Zusammengesetztes,  d.  h.  lediglich 
eine  zusammenfassende  Bezeichnung  für  eine  ganze  Reihe  sehr 
verschiedenartiger  Erscheinungen  ist  Es  besteht  aus  Elementen 
der  Naturveranlagung  und  Elementen  der  Gewöhnung,  des 
Anerzogenen. 

In  ersterer  Beziehung  begegnen  wir  bei  Rousseau  und 
Herbert  Spencer  exzessiven  Vorstellungen. 


IHffr  sinikke  Ersükung-  und  M&mlunUrwii^ 


Rousseau  glaubt  au  deo  Normalmenscheu  im  Natur- 
zustände aucli  in  ethischer  Beziehung,  Seine  oberste  Er- 
ziehungsregel im  *  Emilen  lautet  daher,  man  müsse  verhüten> 
dass  etwas  geschehe.  Er  sieht  sich  dann  hreüich  im  weiteren 
Verlaufe  dieser  Schrift,  im  Bekenntnisse  des  savoyischen  Vikars, 
doch  genötigt,  für  die  Sanktion  des  Ethischen  religiös-meta- 
physische Prinzipien  zu  Hilfe  zu  nehmen. 

Herbert  Spencer  glaubt»  umgekehrt  den  vollkommen 
sittlichen  Antrieb  im  Inneren  als  Resultat  des  Kultnrprozesses 
ans  Ende  desselben  verlegen  zu  müssen.  Durch  Anpassung  an 
die  vorhandenen  Existenzbedingungen,  durch  Überleben  der 
am  besten  Angepassten  und  Vererbung  der  erworbenen  Eigen- 
schaften wird  nach  ihm  schliesslich  im  blossen  Trtebleben  ein 
so  kolossales  Kapital  sittlicher  Impulse  angehäuft,  dass  alle 
entgegenstehenden  Autriebe  lahmgelegt  sind  und  geradezu  ein 
peinlicher  Wettstreit  um  die  Gelegenheiten  zum  gemeinnützigen 
Handeln  entsteht. 

Spencer  hat  nicht  naher  dargelegt j  wie  er  sich  diesen 
versittlich ten  Naturzustand  psychologisch  vorstellt.  Praktisch 
ist  seine  Theorie  jedenfalls  ohne  Bedeutung,  weil  wir  mit  dem 
gegenwärtigen  Zustande  der  Menschheit  zu  rechnen  haben. 
Doch  liegt  seiner  Theorie  eher  als  der  Ronsseauschen  etwas 
auch  schon  für  den  gegenwärtigen  Zustand  bedeutsames  Richtiges 
m  gründe.  Der  Knltiurmeusch  bietet  unzweifelhaft  schon  in 
seiner  Naturbeschaffenheit  für  die  Entstehung  des  Sitt- 
lichen bessere  Vorbedingungen,  als  der  Wilde.  Unbeschadet 
eintretender  Rückschläge^  Rückbildungen,  BÜdungshemmungen^ 
auch  auf  dem  Gebiete  der  Veranlagung  zum  Sittlichen,  bietet 
das  Triebleben  der  Kulturmenschheit  dem  allgemeinen  Durch- 
schnitte nach  bessere  Handhaben  für  die  sittliche  Erziehung, 
als  das  des  Wilden. 

Die  genauere  Feststellung  dieser  Handhaben  führt  auf  die 
Frage  nach  den  Naturelementen  des  Gewissens  zurück* 
Als  solche  lassen  sich  vielleicht  folgende  anführen* 

1.  Eine  stärkere  Entwickelung  des  Mitgefühls  im  Ver- 
gleich mit  den  wilden  selbstischen  Trieben  der  animalischen 
Natur.  Das  Mitgefühl  beruht  auf  der  Fähigkeit  zur  phau- 
tasiemässigen  Versetzung  in  die  Zustände  des  anderen. 


12  ^-  Döring 

2.  Die  Fähigkeit  wenigstens  zu  dunklem  gefühlsmässigen 
Ahnen  der  aus  der  Zusammenleben  entspringenden  Not- 
wendigkeit, die  Rechte  der  anderen  zu  respektieren  (Solidarität)» 

^sowie  überhaupt  der  mit  dem  sittlichen  Verhalten  verknüpften 
eigenen  Vorteile  (Lebensklugheit). 

3.  Bin  ebenfalls  in  dunkler  gefühlsmässiger  Weise  sich 
geltend  machendes  Bedürfnis  nach  Eigenwert  durch  die 
heilsame  Bedeutung  unseres  Seins  und  Tuns  für  andere.  Dies 
Bedürfnis  entspringt  als  Frage  nach  einem  Berechtigungsgrunde 
der  eigenen  Existenz  aus  der  Vernunftnatur  des  Menschen 
und  findet  sich  in  der  Wahrnehmung,  ein  Nichtswürdiger  zu 
sein,  in  peinlicher  Weise  unbefriedigt. 

Jedenfalls  ist  aber  das  Mass,  in  dem  diese  Naturelemente 
des  Gewissens  entwickelt  sind,  ein  sehr  schwankendes»  von 
Individuum  zu  Individuum  verschieden  und  bis  zum  Nullpunkte 
sinkend. 

Vollends  sind  die  anerzogenen  Elemente  des  Gewissens 
völlig  dem  Zufall  unterworfen  und  können  sich  unter  Um- 
ständen in  einer  dem  Sittlichen  direkt  entgegengesetzten  Richtung 
geltend  machen  (Indianer,  Menschenfresser.) 

So  dürfte  der  Rekurs  auf  das  Gewissen  schwerlich  die 
gewtmschte  Anknüpfung  für  den  lehrhaften  Nachweis  der  sitt- 
lichen Verpflichtung  bilden  können. 

Kann  man  überhaupt  dem  Menschen  ein  al- 
truistisches Verhalten  andemonstrieren? 

Sokrates  formuliert  den  menschlichen  Grundwillen  in  fol- 
gender Weise:  „Alle  Menschen  bevorzugen  unter  den 
ihnen  möglichen  Handlungsweisen  diejenige,  die  sie 
für  die  ihnen  selbst  zuträglichste  halten".  (Mem.  III.  9,  4.) 
Diese  Ansicht  hat  stets  zahlreiche  Vertreter  gehabt  Unzwdfd- 
haft  beruht  die  Annahme  selbstlosen  Handelns  in  unzähligen 
Fällen  nur  auf  Verkennung  der  tatsächlich  wirkenden  selbstischen 
Motive.  Ein  völliges  Ableugnen  des  Vorkommens  altruistischer 
Zustände  scheint  nicht  berechtigt,  es  sind  dies  aber  wohl  immer 
nur  Ausnahmezustände,  die  auf  einem  Aussersichgeraten  be- 
ruhen. Unter  den  Neueren  hat,  um  nur  ein  Beispiel  zu 
nennen,  Friedrich  der  Grosse  in  seiner  Abhandlung:  L'amour 
propre  envisagä  comme  principe  de  morale  imd  seinem  Dialoguc 
de  morale  ä  Tusage  de  la  jeune  Noblesse  (1770  u.  71)  die  aus* 


Ühtr  titUkhe  Er^ekung  und  MoralunierHchi 


13 


schliessliche  Leitung  des  Handelns  durch  selbstische  Motive 
nachdrücklich  betont  und  auf  diese  Ausschliesslichkeit  der 
selbstischen  Motive  die  gesamte  sittliche  Erziehung  zu  basieren 
versucht  Nach  ihm  ist  die  Selbstliebe  das  verborgene  Prinzip 
aller  unserer  Handlung-en:  durch  ein  geheimes  und  fast  un- 
merkliches Gefühl  beziehen  wir  alles  auf  uns  selbst.  Man  inuss 
daher  dem  Menschen  das  Sittliche  als  seinen  wahren  Vorteil 
xeigeOf  ihm  zeigen,  dass  die  richtig  verstandene  Selbstliebe 
steh  für  das  Gute  entscheiden  mnss. 

In  der  Tat  scheint  die  Sanktion  ausschliesslich  mit  selbstischen 
Motiven  rechnen  zu  dürfen. 

Eine  gewisse  Wirkung  ist  hier  schon  durch  Anknupfimg 
aus  Mitgefühl  zw  erzielen.  Versündigung  gegen  dasselbe  ist 
Versündigung  gegen  eine  der  edelsten  Anlagen  unserer  Natnn 

Ferner  die  Tatsache  der  Solidarität  und  die  Lebens- 
tlngheit 

Wir  sind  in  den  Bedingungen  unseres  Daseins  und  Wohlseins 
von  der  Gesellschaft  abhängig,  in  die  wir  hineingeboren  sind 
und  ohne  die  imser  Dasein  kaum  zu  denken  ist  Wir  sind 
daher  verpflichtet,  die  Ordnungen,  auf  denen  der  Bestand  dieser 
Gesellschaft  beruht,  zu  respektieren,  zu  fördern.  Rückschläge 
g-egen  die  Verletzung  dieser  Ordnungen  erfolgen  in  gröberen 
Fällen  in  der  Form  der  gesetzlichen  Strafe;  darüber  hinaus  in 
wirksamer  Weise  durch  Verlust  der  Sympathie  und  des  Ver- 
tranens  unserer  Mitmenschen.  Durch  dies  Prinzip  der  Solidarität 
werden  direkt  nur  die  direkten  Pflichten  (Gerechtigkeit^  Güte, 
Berufstreue)  geschützt.  Umfassender  ist  das  Prinzip  der  Lebens- 
klugheit^  das  auch  die  indirekten  Pflichten  der  Leistungsfähigkeit 
mit  rechtfertigt.  Verstösse  gegen  die  Forderungen  der  Leistungs- 
fähigkeit haben  die  schwerwiegendsten  Folgen  für  unser  Wohl- 
sein* Selbstverständlich  darf  diese  Verwendung  des  Prinzips 
4er  Lebensklugheit  nicht  ^ur  Verherrlichung  der  platten  Uti- 
lität  herabsinken.  Sie  muss  immer  der  Sphäre  der  Bedeutung 
des  indirekt  Guten  für  die  Ermöglich ung  des  direkt  Guten 
nahe  bleiben, 

Als  den  eigentlich  ausschlaggebenden  Beweggrund,  der 
allein  die  Totalität  des  Sittlichen  direkt  und  unmittelbar  trifft, 
betrachte  ich  das  tief  in  der  Vernunftnatnr  des  Menschen  he- 
^gründete  Selbstschätzungsbedürfnis.     Dies  findet  in  wahrer 


14 


A,  Ddrmg 


und  stichhaltiger  Weise  nur  dann  seine  Befriedigung,  wenn 
unser  Tun  am  Wohle  der  anderen  seinen  Einheits-  und  Schwer- 
punkt findet.  Das  schwerste  Missgeschick,  das  über  uns  herein* 
brechen  kann,  trifft  uns^  wenn  wur  in  geheimer  Selbstanklage  über 
uns  das  Urteil  fallen  müssen;  Du  bist  ein  Nichtswürdiger!  (d,  k 
entweder  im  buchstäblichen  Wortsinne  ein  Wertloser,  ein  U 
krant,  des  Besserem  den  Platz  raubt,  oder  gar  im  Sinne  d^ 
Sprachgebrauchs  ein  positiv  Schädlicher,  ein  bösartiges  Raub- 
tier oder  Giftreptil), 

Dies  Motiv  wird  sich  allerdings  nur  da  geltend  machen 
können,  wo  der  Mensch  der  änssersten  Not  des  Lebens,  dem 
Kampfe  um  die  nackte  Existenz,  der  täglichen  Infragestellung 
der  einfachsten  Snbstistenzmittel  enthoben  ist  ■ 

Dieser  systematische  Unterricht  müsste  an  der  Hand  eines 
kurzen^  den  Kindern  in  die  Hand  zu  gebenden  Leitfadens  erteilt 
werden. 

Auch  der  propädeutische  Kursus,  der  ethische  An» 
schauungsunterricht,  würde  m*  E.  schulmässig,  in  ge- 
sonderten Lektionen  und  in  derselben  systematischen  Anordnung» 
wie  der  endgültige  Moralunterricht  zu  erteilen  sein,  doch  so, 
dass  hier  das  Systematische  noch  nicht  gründlich  betont  und  nicht 
zum  Bewusstsein  der  Kinder  erhoben  zu  werden  brauchte. 

Auch    hier  würden  also  in  einem  ersten  Hanptteile  die 
Arten    des    sittlichen  Verhaltens    vorzuführen    sein,    und    zwar 
entsprechend  dem  Charakter  als  Anschauungsunterricht  in  der 
Form  von  Beispielen  und  moralischen  Erzählungen ,  angeordnet 
nach   dem    System    der   Pflichten    im    endgültigen  Unterrich^^^ 
Diese  Zusammenstellung  dürfte  aber  nicht  den  Kinder  in  dJ^H 
Hand    gegeben   werden,    weil  sie  sonst,   nach  einer  treffende^^ 
Bemerkung    Salzmanns,    „den    Zucker    ablecken",    d.  h.    in 
flüchtiger  Lektüre  die  geringfügige  bloss  unterhaltende  Wirkung 
dieser  moralischen  Erzählungen  sich  zuführen  würden. 

Das  Märchen  ist  von  diesem  direkt  ethisch-propadeu tischen 
Gebrauche  schon  dadurch  ausgeschlossen,  dass  es  aus  der 
Sphäre  des  wirkUchen  Lebens  herausführt  und  in  eine  Welt 
abnormer  Ursächlichkeiten  des  Menschenschicksals  versetzt. 
Natürlich  soll  damit  nicht  eine  Verurteilung  unseres  köstlichen 
Marchenschatzes  als  Geistesnahning  des  Kindes  ausgesprochen 
sein.     Das  Märchen  ist  für  das  Kind  das,  was  die  dramatische 


Ü$fr  siUiicke  Ermekumg  un4  ÄUföiitnferrkhi 


1& 


1  epische  Literatur  für  den  Erwachsenen  ist,  ein  Mittel 
ästhetischen  Genusses,  dem  beim  Kinde  wie  beim  Er- 
wachsenen ja  auch  immer,  schon  in  der  Stärkung  des  Mit* 
gefühls,  indirekt  eine  ethische  Frucht  entspriesst  Aber  an  ihm 
zu  moralisieren»  dazu  ist  es  einesteils  zu  schade,  andernteils 
aber  auch  volUg  ungeeignet.  Auch  die  Fabel  ist,  trotzdem 
ihr  eine  |,Moral"  anhängt,  mit  wenigen  Ausnahmen  für  die 
Zwecke  des  ethischen  Anschauungsunterrichts  unbrauchbar^ 
und  zwar  deshalb,  weil  die  in  ihr  veranschaulichten  Leluen 
nicht  eigentlich  sittliche,  sondern  fast  ausschliesslich  solche 
einer  mehr  oder  minder  platten  Nützlichkeit  sind. 

Hinsichtlich  des  zweiten,  die  Sanktion,  die  verpflichtende 
Natur  des  Sittlichen  betreffenden  Hauptteils  würde  hier 
vornehmlich  in  anschaulichen  Zügen  die  unlöshche  Abhängig- 
keit des  einzelnen  von  der  Lebensgemeinschaft  der  Menschheit  zu 
zeigen  sein,  wie  sie  sich  in  tausend  Zügen  täglich  kundgiebt- 
Doch  auch  die  übrigen  beim  systematischen  Unterricht  be- 
zeichneten Beweggründe  sind  hier  ebenfalls  schon  in  anschau- 
licher Form  vorzuführen. 

Ein  so  erteilter  propädeutischer  Unterricht  würde  nicht 
nur  an  sich  selbst  sittlich  bildend  wirken,  sondern  vornehm- 
lich auch  als  Grundlage  für  den  eigentlichen  ethischen  Unter- 
richt vom  höchsten  Werte  sein.  Eine  ausgeführte  Darstellung 
des  Verfahrens  auch  auf  dieser  Stufe,  zugleich  als  Material  für 
den  Lehrer  gedacht,  —  ebenso  wie  eine  Reihe  von  Anhalts- 
punkten  für  die  noch  zu  besprechenden  sonstigen  Funktionen 
der  ethischen  Erziehung  —  habe  ich  ebenfalls  in  meinem 
nHandbuche**  gegeben*  Speziell  für  den  zweiten  Hauptteil  der 
prof^eu  tischen  Stufe  hat  aus  eigener  Praxis  Dn  Fr.  W.  Forst  er 
in  Zürich  in  der  Zeitschrift  „Ethische  Kultur"  eine  Anzahl  vor* 
trefflicher  Lehrproben  veröffentlicht 

Das  wäre  also  die  Ausstattung,  mit  der  die  rein  weltliche 
Staatsschnle  ihren  Zöghng  ins  Leben  entlassen  würde.  Diese 
Ausstattung  würde  aber  nur  von  sehr  zweifelhafter  Wirksam- 
keit sein,  wenn  ihr  nicht  durch  andere  vorgängige  und 
hcgleitende  Aktionen  der  sittlichen  Erziehung  der 
Boden  bereitet  wäre.  Sie  wäre  der  Same,  der  auf  den  Weg^ 
auf  das  Steinige  oder  unter  die  Domen  fiele 

Diese    vorgängigen  und  begleitenden  Aktionen  lassen  sich 


16  ^-  Oörmg 

im  Begriffe  der  sittlichen  Gewöhnung  zusammenfassen. 
Die  Gewohnung  im  Dienste  des  Sittlichen  ist  aber  wieder  von 
doppelter  Art,  einesteils  als  Gewohnung  direkt  zum  sitt- 
lichen Verhalten  selbst,  andemteils  als  Erhaltung  und 
Stärkung  der  Anhaltspunkte  in  der  Natur,  an  die  sitt- 
liche Entwicklung  anknüpfen  muss. 

Vornehmlich  nun  mit  der  Funktion  der  Gewohnung  tut 
sich  ein  doppelter  Schauplatz  der  sittlichen  Erziehung 
auf.     Neben  die  Schule  tritt  das  Haus. 

Damit  aber  erhebt  sich  eine  besondere  Schwierigkeit 
Das  Problem  der  sittlichen  Erriehung  zeigt  sich  hier  von  der 
schwierigsten  und  bedenklichsten  Seite. 

Schon  ganz  im  allgemeinen  betrachtet  liegt  eine  solche 
Schwierigkeit  in  der  Duplizität  der  voneinander  unabhängigen, 
möglicherweise  einander  widerstreitenden  imd  paralysierenden 
Einwirkungen. 

Insbesondere  ist  die  sittliche  Erziehung  im  Hause  auch 
im  besten  Falle,  beim  besten  Willen  mehr  als  die  in  der  Schule 
durch  einen  naturalisierenden  Dilettantismus  charakterisiert 
Die  Eltern  sind  nur  zu  oft  unberufene  Erzieher  im  buchstäb- 
lichen Sinne,  d.  h.  ohne  Beruf  zur  Erziehung.  In  vielen 
Fällen  herrscht  bei  ihnen  Indifferentismus,  oder  ihre  Einwir- 
kung ist  eine  geradezu  antiethisehe.  Sollte  die  für  die 
schlimmsten  Fälle  dieser  Art  gesetzlich  vorgesehene  Fürsorge- 
erziehung überall  da  angewandt  werden,  wo  entschiedene 
Unzulänglichkeit  vorhanden  ist,  so  müsste  ihr  eine  sehr  weite 
Ausdehnung  gegeben  werden. 

Ich  bin  in  meinem  „System  der  Erziehung  im  Umriss" 
(Berlin  1894)  vom  Prinzip  des  Erzieherberufs  aus,  der,  wie 
jeder  andere  Beruf,  eine  Vereinigung  von  Naturveranlagung 
und  fachmässiger  Ausbildung  verlangt,  folgerichtig  zu  der  For- 
derung einer  ganz  durch  Erzieher  von  Fach  geleiteten  Er- 
ziehung gelangt  Natürlich  setzt  dies  den  idealen  Zustand 
eines  allgemein  gebilligten  Erziehungssystems  voraus. 

Die  Gewohnung  nun  im  zweiten  Sinne,  als  Stärkung 
der  Anhaltspunkte  des  Sittlichen  in  der  Natur,  hat  das  Mit- 
gefühl auszubilden,  die  Fähigkeit  zu  verschiedener  und 
folgerichtiger  Verfolgung  des  als  heilsam  Erkannten 
zu    entwickeln    und    vornehmlich     durch    Respektierung    des 


ÜÖ€r  Mtiiliche  Ermehi^ng  und  MaratuntcrHcht 


17 


Kindes  und  durch  Befriedigung  seines  Bedürfnisses  nach  An- 
erkennung die  zarte  Pflanze  des  Bedürfnisses  nach  wirk- 
lich era  Eigenwert  zum  Wachstum  zu  bringen.  Mit  allem 
diesem  arbeitet  sie  vomehmlich  der  Sittlichkeit  des  erwach- 
senen Lebens  vor. 

Die  Gewöhnung  im  ersteren  Sinne^  zum  sittlichen 
Verhalten  selbst,  bezieht  sich  der  Natur  der  Sache  nach  un- 
mittelbar nicht  auf  die  künftige  Lebensführung  des  Erwach- 
senen^  sondern  auf  das  gegenwärtige  Verhalten  des  Kindes. 
Hier  hegt  schon  eine  ganz  äusserliche  Nötigung  zum  Ein- 
greifen vor.  Will  man  sich  nicht  selbst  an  den  ungeregelten 
Affekten  und  Begehmngen  des  Kindes  die  ärgste  Zuchtalte 
btndeUj  will  man  den  Frieden  und  die  Ordnung  des  Hauses 
und  der  Schule  retten,  so  muss  eine  Disziplin ierung  ein- 
treten. Aber  diese  Diszipliniertmg  im  Interesse  des  Verkehrs 
mit  dem  Kinde  trägt  doch  zugleich  den  Zug  der  Begründung 
«ines  sittlichen  Charakters  fürs  Leben  an  sich.  Sie  darf  nicht 
als  blosser  Notbehelf  eintreten,  um  den  augeubUcklichen  Zu- 
stand erträglich  zu  machen;  sie  muss  als  integrierender  Be* 
standteil  der  sittlichen  Erziehung  überhaupt  gehandhabt 
werden,  Ist  ja  doch  das  Kind  der  werdende  Erwachsene^  und 
bleiben  ja  doch  die  ihm  eingeprägten  Elemente  des  Sittlichen 
ein  dauernder  Bestandteil  seiner  werdenden  Persönlichkeit. 

Voraussetzung  der  Gewöhnung  in  diesem  Sinne  ist  die 
Gewohnungsfähigkeitj  eine  gewisse  Biegsamkeit  und  Ge- 
staltungsfähigkeit der  Natur  durch  nachhaltige,  autoritativ  auf- 
tretende Einwirkungen,  die  vornehmlich  dem  noch  bildsamen 
Jugendalter  eigen  ist  und  auch  in  sittlicher  Beziehung  in 
l^ewissem  Masse  eine  Umformung  des  Trieblebens  ermöglicht 
Oewohnheit  ist  eine  zweite  Natur.  Steter  Tropfen  höhlt  den  Stein. 

Diese  autoritative  Beeinflussung  nun  vollzieht  sich  eines- 
teils durch  Vorbild^  andemteils  durch  Lenkung  des  Wil- 
lens* Zum  Vorbilde  muss  auch  die  nachdrückliche  Kund- 
gebung der  den  Erzieher  selbst  beseelenden  sittlichen  Über- 
zeugung gerechnet  werden.  Die  Lenkung  des  Willens  schliesst 
sich^  fast  mit  dem  ersten  Lebensmomente  beginnend,  in  stetiger 
Attpas^img  an  die  fortschreitenden  Phasen  der  kindlichen  Ent* 
Wickelung  an  und  gestaltet  sich  demgemäss  zunächst  als  di- 
xektes  Handeln  auf  das  Kind,   dann    als  Gebot  und  Ver- 

Z«it»flrrTrt  far  pidigogiicbe  Psychologie.  PiLholofie  und  Hfgien&  2 


18 


JL  Bi^rmg 


bot  mit  den  entsprechenden  Mitteln  zur  Erzielung  des  Gehör 
sams  in  stetiger  VeraJlgemeinerung  und  Erweiterung  der  ein- 
geschärften Vorschriften.  Sie  ist  Entwöhnung  und  positive 
Ge  Wohnung.  Entsprechend  den  ungeheuren  individuellen  Ver- 
schiedenheiten der  Kinder  muss  sie  im  weitgehendsten  Masse 
individualisieren»  Sie  bedarf  daher  als  Vorbedingung  einer 
ständigen,  tief  dringenden  Beobachtung  dieser  individuellen 
Eigenart,  die  sich  im  Falle  des  Vorhandenseins  krankhafter 
Veranlagung^  perverser  Neigimgen»  erblicher  Belastung  zu 
streng  objektiver  Diagnose  des  krankhaften  Zustandes  stei- 
gern muss.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  können  auch  im 
Falle  solcher  Abnormitäten  der  ethischen  Naturausstattung^ 
wenn  das  Übel  rechtzeitig  erkannt  wird,  nach  der  Regel  Prin- 
cipiis  obsta  weitgehende  Abschwächungen  des  Übels  bewirkt 
werden. 

Unter  den  Mitteln  der  gewohnenden  Einscharfung  scheineti 
mir  Belohnungen  im  allgemeinen  keinen  Platz  zu  verdienen. 
Unter  den  Gründen  der  Verwerfung  erscheint  mir  ab  der 
durchschlagendste,  dass  die  Belohnung  eine  Art  von  Überver- 
dienstlichkeit  zur  Voraussetzung  hat.  Besonders  gilt  dies,  wenn 
der  Belohnung  jeder  organische  Zusammenhang  mit  der  Lei- 
stung fehltj  oder  gar  durch  sie,  wie  bei  den  in  Zucker  ge- 
backeneu Buchstaben  des  Basedowschen  Philanthropins,  die 
Leckerhaftigkeit  gefördert  wird. 

Noch  verwerflicher  erscheint  mir  die  Verwendung  des 
Ehrgeizes,  die  auch  heute  noch  unser  gesamtes  Schulwesen 
durchdringt,  und  zwar  hauptsächlich  deshalb,  weil  in  ihm  der 
Antrieb  zu  einem  brutal  egoistischen  Hinwegschreiten  über 
andere  liegt.  Etwas  ganz  anderes,  als  die  Weckung  des  Ehr-  ^| 
geizes,  ist  die  Benutzung  der  Empfänglichkeit  des  Kindes  für  ^( 
Anerkennung  und  MissbiUigung,  Diese  Empfänghchkeit  ist 
die  dem  Kinde  gemässe  Form  des  WertbedürfnisseSj  die  autori- 
tative Vorstufe  des  Selbstschätzungsbedurfnisses,  das  als  die 
entscheidende  Triebfeder  des  Sittlichen  der  sorgfältigsten  Pflege 
bedarf.  Nur  darf  das  Lob  nicht  so  reichlich,  so  volltönend^ 
so  emphatisch  und  enthusiastisch  gespendet  werden»  als  sei 
etwas  ganz  Ausserordentliches  geleistet  worden.  Gegenüber 
dieser  Übertreibung  gilt  neben  anderen  Gründen  dasselbe  Be- 
denken, das  den  Belohnungen  gegenüber  geltend  gemacht  wurde. 


Ühew  sitiUche  Er^mknng  und  MoroIunierHchi 


19 


Eine  wirksame  Unterstützung  kann  die  Gewöhnung  durch 
eine  Art  des  ethischen  Anschauungsunterrichts  finden, 
die  als  gelegentliche  und  auf  die  gegenwärtige  Lebens- 
führung des  Kindes  bezügliche  bezeichnet  werden  kann* 
Wie  die  Gewöhnung  selbst  hat  sie  ihre  Stelle  nicht  nur  in  der 
Schule,  sondern  auch  im  Hause  und  kann  von  dem  Momente 
an  eintreten^  wo  sich  im  Kinde  schon  ein  gewisses  Verständnis 
der  es  umgebenden  Lebensverhältnisse  hervortut,  also  vom 
3.  oder  4,  Lebensjahre  an.  Eine  bestimmte  Situation^  ein  Vor- 
fall im  Leben  des  Kindes,  ein  Zug  in  seinem  Verhalten  bietet 
AnlasSf  entweder  auf  die  Solidarität  des  einzehien  mit  dem 
Gesamtleben  ein  erleuchtendes  Streiflicht  fallen  zu  lassen  oder 
zu  einer  Erzählung,  einem  Verse  oder  Spruche  aus  dem  kind- 
lidien  Erfahrungskreise,  geeignet,  die  gerade  vorliegende  Situa- 
tion ethisch  zu  kennzeichnen.  Beispiel:  ein  Kind  ist  zänkisch. 
Spruch:  Im  Brei  ein  einzig  faules  Ei  —  Macht,  dass  man  ihn 
nicht  essen  kann.  —  Beim  Spiel  ein  einzig  zänkisch  Kind  — 
Verdirbt  die  ganze  Lust  daran. 

Hiermit  sind  wenigstens  die  wesentlichsten  Punkte  meines 
Themas  berührt,  soweit  dies  im  Rahmen  eines  Vortrags  möglich 
war.  Ich  muss  befürchten,  dass  das  Ganze  sich  als  eine  etwas 
duire  Skizze  präsentiert  Gleichwohl  wurde  ich  meinen  Zweck 
als  erreicht  ansehen,  wenn  ich  wenigstens  den  allgemeinen  Ein- 
druck erzielt  hatte,  dass  hier  eine  Reihe  von  Hilfsmitteln  in 
Bereitschaft  steht,  deren  vereinigter,  gleichsam  konzentrischer^ 
Gebrauch  bei  einer  nicht  unter  dem  Ehirchschnitt  stehenden 
ethischen  Naturbeschaffenheit  eine  nicht  zu  unterschätzende 
Wirkung  sittlicher  Charakterbildung  erhoffen  Hesse.  Exakte 
Resultate  sind  hier  der  Natur  der  Sache  nach  vor  der  Hand 
nicht  zu  verzeichnen.  Auf  Argumentationen  habe  ich  mich 
nicht  eingelassen,  um  zunächst  die  Sache  selbst  zur  Anschauung 
20  bringen  und  für  sich  selbst  reden  eu  lassen. 

Die  Deutsche  Gesellschaft  für  ethische  Kultur  vertritt 
die  Überzeugung  dass  die  mit  Besonnenheit  und  Vorsicht  einge^ 
führte  rein  weltliche  Schule  mit  Moralunterricht  in  dem  Sinne,  in 
dem  ich  ihnzu  skizzieren  versucht  habe,  eine  in  vielfacher  Beziehung 
überaus  heilsame  Neuenmg  darstellen  würde,  Sie  hat  neuerdings 
dieser  Überzeugung  in  einem  Flugblatt  Ausdruck  gegeben, 
dessen  weiteste  Verbreitung  sie  erstrebt  und  von  dem  Exemplare 

2* 


20  ^'  Döring 

in  beliebiger  Zahl  durch  das  Bureau  der  Gesellschaft  (Unter 
den  Linden  16)  unentgeltlich  bezogen  werden  können.  Viel- 
leicht liegt  das  Neue  und  Fremdartige,  das  anscheinend  Chimä- 
rische und  Utopische  des  Gedankens  der  Verwirklichung  näher, 
als  wir  zu  glauben  geneigt  sind.  Die  Entwickelung  der  Kultur 
steht  nicht  stille,  sondern  bereitet  uns  von  Tage  zu  Tage  neue 
Überraschungen.  Das  Gewohnte  und  Herkömmliche  wird  als 
das  nicht  Letzte  und  Beste  erkannt,  und  das  Utopische  von 
gestern  wird  das  Selbstverständliche  von  übermorgen. 


Die  Psycholagie  der  Zwangsvorstellungen» 

Von 

Georg  Flatau. 

Wir  haben  verschiedene  Wege  rur  Verfügung,  um  einer 
Erkenntnis  psychischer  Vorgänge  näher  zu  kommen;  die  psy- 
chologische Forschung  bedient  sich  außer  andern  mit  großem 
Vorteil  der  Betrachtung  psychopathologischer  Momente.  Diese 
können  einem  von  der  Natur  angestellten  Experimente  gleich- 
gestellt werden,  es  sind  Veränderungen  psychischer  Elemente, 
Ausfalls*  und  Reizerscheinungen,  deren  Analyse  in  mancher 
Beziehung  unsere  Forschungen  ergänzen  kann*  Diese  Erwä- 
gung rechtfertigt  die  Wahl  meines  Themas  „zur  Psychologie  der 
Zwangsvorstellungen"  in  diesem  Kreise.  Aus  diesem  Gesichts- 
punkte konnte  es  mir  erlaubt  sein,  Erörterungen  über  krank- 
hafte Veränderungen  des  psychischen  Lebens  in  diesem  Kreise 
vorzubringen,  in  welchem  für  gewöhtilich  die  Betrachtung 
normal-psychologischer  Dinge  mr  Diskussion  steht.  Auch  aus 
einem  andern  Grunde  scheint  mir  das  vorliegende  Thema  von 
nicht  geringem  Interesse;  finden  sich  doch  gerade  auf  dem 
Gebiete  der  Zwangsvorstellungen  alle  Grade  und  Schattierun- 
gen  vertreten,  sind  doch  gerade  hier  alle  Übergänge  vorhanden 
von  Formen,  die  sich  vom  Bereiche  des  normalen  psychischen 
Lebens  kaum  entfernen,  bis  zu  jenen  schweren  Erscheinungen, 
die  der  geistigen  Erkrankung  zugerechnet  werden  können. 
Damit  ist  schon  eine  Schwierigkeit  angedeutet,  nämlich,  wo  die 
Cpenie  zu  ziehen  sei,  zwischen  den  Zwangsvorstellungen,  die 
noch  dem  Gebiete  der  funktionellen  Nervenleiden,  den  Neu- 
rosen zuzurechnen  sind,  und  denjenigen,  welche  bereits  als 
Psychose  —  Zwangsirresein  aufgefaßt  werden  mußten. 

Ich  sehe  dabei  von  jenen  Formen  der  Psychose  ab,  bei 
denen  die  Zwangsideen  nur  als  Beiwerk  auftreten;  gelegent- 
lich treten  sie  Ja  im  Verlaufe  zirkularer  Psychosen  und  De- 
pressionS'Zustände  auf. 


22  Georg  Flaiau 

Ein  andermal  bilden  sie  die  Vorläufer  von  WafinvorsteU 
lungen,  von,  dem  Gebiete  der  paranoischen  Erkrankungen  zu- 
gehörigen^ Psychosen.  Hier  gibt  häufig  erst  der  weitere  Ver- 
lauf die  Sicherheit  in  der  Beurteilimg  (Kräpelin)  ^).  Einige 
Forscher  sind  der  Ansicht,  daß  alle  Kranken  mit  Zwangsvor- 
stellungen als  Geisteskranke  animsehen  sind,  das  Auftreten 
soldher  Ideen  stellt  den  Beginn  einer  Psychose  dar  (Legrand  du 
Saulle)^)  fand  in  fast  allen  Fällen  einen  progressiven  Verlauf 
bis  zur  Ausbildung  von  Wahnideen. 

Es  muß  aber  festgehalten  werden,  daß  eine  ganz  außer- 
ordentlich große  Zahl  von  Fällen  vorhanden  ist,  bei  denen  die 
Progression  bis  zur  Wahnidee  nicht  gefunden  wird,  bei  denen  die 
Zwangsideen  auftreten  ulnd  verschwinden,  oder  das  geistige 
Leben  nicht  m  dem  Maße  beherrschen,  daß  man  von  einer 
Geisteskrankheit,  von  einem  Irresein,  zu  sprechen  berechtigt 
wäre;  weiterhin  kennt  man  auch  viele  Fälle,  in  denen  zwar  die 
Zwangsvorstellungen  einen  sehr  erheblichen  Platz  einnehmen, 
und  in  gewisser  Weise  auch  einen  bestimmenden!  Faktor  im 
Leben  des  Kranken  darstellen,  indessen  geht  meist  aus  der  Art, 
in  welcher  d«-  Kranke  seinem  Leiden  gegenübersteht,  wie  er 
selbst  es  beurteilt,  genügend  hervor,  ob  es  sieh  um  Psychose 
handelt,  oder  ob  man  noch  von  einer  Neurose  sprechen  darf. 

Neurasthenische  und  hypochondrisch  Neurasthenische  häu- 
fig solche  mit  körperlichen  Stigmata  der  Entartung,  stellen 
hauptsädhlich  das  Kontingent  der  mit  Zwangsvorstellungen  be- 
hafteten. Sie  sind  fast  stets  erblich  belastet,  nicht  so  selten  ist 
die  Verbindung  mit  ticartigen  Erkrankungen  derart,  daß  ent- 
weder Kranke  mit  maladie  de  tic  in  der  Ascendenz  Zwangs- 
vorstellungen nachweisen  lassen  oder,  daß  bei  einem  und  dem- 
selben Kranken  beide  Erkrankungen  zugleich  gefunden  wer- 
den.») 

Wir  werden  also  feststellen:  Es  gibt  geistig  gesunde 
Personen  —  meist  an  Neurosen  z.  B.  Neurasthenie  leidende 
—  bei  denen  Zwangsvorstellungen    auftreten,    diese    können 


^)  Kräpelin.    Lehrbuch  der  Psychiatrie  p.  140. 

')  Legrand  du  SauUe.  La  folie  du  doute,  avec  delire  du  touchen 
Paris  1875. 

')  G.  Flatau.  Über  die  Beziehungen  zwischen  maladie  de  tic  und 
Zwangsvorstellungen.    Centralblatt  für  Nervenkrankheiten.    1897. 


iHn  /\veA&hgiii  der  Zmm^svarsUUung^ 


23 


in  mehr  oder  weniger  erheblicher  Weise  das  Krankheitsbild 
beherrschen. 

WestphaH)  definiert  die  Zwangsvorstellungen  als  solche, 
welche  bei  übrigens  intakter  Intelligenz  und  ohne  durch  ein 
GefüHl  oder  durch  einen  affectartigen  Zustand  bedingt  zu  sein 
gegen  oder  wider  den  Willen  des  betreffenden  Menschen  in  den 
Vordergrund  des  Bewußtseins  treten,  sich  nicht  verscheuchen 
lassen,  den  normalen  Ablauf  der  Vorstellungen  hindern  und 
durchkreuzen,  welche  der  Befallene  stets  als  abnorm,  ihm  fremd 
erkennt  rnid  denen  er  mit  seinem  gesunden  Bewußtsein  gegen- 
übersteht. 

Eine  kurze  Darstellung  des  Inhaltes  der  Zwangsvorstel- 
lungen wird  zeigen  —  was  auch  alle  Autoren  betonen  — ,  daß 
dieser  äußerst  verschiedenartig  sein  kann,  daß  indessen  be- 
stimmte Vorstellungsreihen  ziemlich  typisch  wiederkehren  imd 
sehr  häufig  gefunden  werden.  In  gleicher  Weise,  wie  es  bei  den 
Wahnvorstellungen  sich  nachweisen  läßt,  daß  sie  in  gewisser 
Weise  vom  Milieu  und  von  das  öffentliche  Leben  beherrschen* 
den  AnscTiauungen  beeinflußt  werden,  läßt  sich  auch  von  den 
Zwangsvorstellungen  sagen,  daß  ihr  Inhalt  sich  in  dieser  Art 
un  Laufe  der  Jahre  umformt.  Im  Zeitalter  der  Elektrizität,  des 
Telephons  sind  Wahnideen  nicht  so  selten,  die  sich  auf  Be* 
einflnssung  auf  elektrischem  Wege,  Einschaltimg  in  ein  Tele- 
phon, in  andere  elektrische  Femwirkungsapparate  beziehen* 
So  erklärt  sich  die  Häufigkeit  der  Zwangs  Vorstellungen^  daß 
jemand  sich  bei  jeder  Gelegenheit  zu  infizieren,  mit  bazillen* 
haltigem  Material  zu  beschmutzen  fürchtet.  Gelegentlich  und 
angedeutet  treten  Zwangs\'orstellungen  auch  bei  normalen  und 
nervf'engesunden  Personen  auf;  sei  es^  daß  ein  Wort^  eine  Mer 
lodie  wider  den  Willen  der  Person  im  Vorstellungskreise  sich 
erhält ;  namentlich  von  den  letzteren,  von  den  Melodien^  gilt  das, 
daß  sie  sich  in  den  Gedankenablaiif  hineindrängen  und  sich  nicht 
ohne  weiteres  wieder  verscheuchen  lassen ;  ein  andermal  kleiden 
sie  sich  in  Form  einer  Ungewißheit,  eines  Zweifels,  ob  diese  oder 
jene  Verrichtung  in  richtiger  Weise  ausgeführt  sei :  etwa  ob  man 
beim  Fortgehen  die  Tür  verschlossen,  ob  man  ein  herunterge- 
fallenes  Streichholz  ausgelöscht   habe.    In  vielen    Fällen,   bei 


*)  Westphal   Archiv  für  Psychiatrie  und  NervenkrankheiteD*  1878.  Vllt 


24  Georg  FUUau 

welchen  diese  Zweifel  auftreten;  smd  es  Beschäftigungen,  die  reiö 
mechanisch-gewohnheitsmäßig  ausgeübt  werden,  bei  denen  die 
Bewußtseinstätigkeit  keine  besondere  Rolle  spielt.  Meist  ist  es 
dann  so,  daß  sich  der  Betreffende,  den  diese  Zweifel  quälen,  zu 
besinnen  sucht,  ob  er  die  Tätigkeit  in  der  Tat  ausgeführt  habe 
oder  nicht,  er  sucht  den  Hergang  zu  reproduzieren ;  gelingt  ihm 
das  nicht,  so  überzeugt  er  sich  durch  Inspektion  etc.  und  damit 
ist  diese  Art  von  Zwangsvorstellung  gewöhnlich  beseitigt.  In 
schwereren  Fällen  genügt  es  nicht,  wenn  sich  der  Betroffene  von 
dem  Geschehnisse,  das  ihm  zweifelhaft  geworden  ist,  überzeugt 
hat;  kaum  hat  er  der  verschlossenen  Tür  etwa  den  Rücken  ge- 
wandt oder  den  nochmals  durchgelesenen  Brief  wieder  im  Kuvert 
verschlossen,  so  befallen  ihn  diese  Zweifel  aufs  neue,  und  häu- 
fig bedarf  es  großer  Mühe,  diese  Vorstellungen  aus  dem  Be- 
wußtsein zu  verscheuchen. 

Hier  handelt  es  sich,  wie  Sie  sehen,  imi  einfache,  wenig; 
komplizierte  Vorstellimgen,  die  einer  energischen  Anstrengung 
des  Individuums  gewöhnlich  weichen.  Ich  füge  hier  schon 
hinzu,  daß  sich  an  die  einfachen  Zweifelsvorstellungen  andere 
anschließen  können,  z.  B.  an  die  Idee,  ein  Streichholz  fort- 
geworfen zu  haben,  kann  sich  weiter  die  Vorstellimg  einer 
Feuersbrunst  anschließen,  die  hier  und  da  in  plastischer  Deut- 
lichkeit empfunden  wird.  Aber  selbst  diese  ganz  einfachen: 
Vorstellimgen  köntien  schon  solche  Grade  annehmen,  daß  sie 
sehr  quälend  werden.  Ein  besonders  bekanntes  Beispiel  ist 
das,  daß  Ärzte,  wenn  sie  stark  wirkende  Stoffe,  etwa  Morphiimi, 
Arsen  oder  dergleichen  verschrieben  haben,  immer  wieder  von 
Zweifeln  befallen  werden,  ob  sie  keine  zu  starke  Dosis  ver- 
schrieben haben;  in  sehr  ausgesprochenen  Fällen  geben  dann 
diese  das  Rezept  nur  zögernd  aus  der  Hand,  nehmen  allerlei 
Vorwände,  um  es  noch  einmal  anzusehen;  haben  sie  etwa  die 
Wohmmg  des  Kranken  schon  verlassen,  so  kehren  sie  noch 
einmal  zurück,  angeblich,  um  das  Datum  zu  verbessern  oder 
um  zu  sehen,  ob  die  Unterschrift  richtig  sei,  in  Wahrheit  aber, 
um  sich  von  dem  Inhalte  des  Rezeptes  zu  überzeugen.  In  sehr 
ausgesprochenen  Fällen  kann  es  dazu  führen,  daß  solche  Ärzte 
stark  wirkende  Stoffe  überhaupt  nicht  mehr  verschreiben  oder 
der  Rezeptierkunst  ganz  entsagen,  wenn  sie  nicht  gar,  falls 
sich  diese  Vorstellungen  auch  in  andere,  als  die  verschreibende 


Ok  Psyeh^hgie  der  ZwnmgrmrsttUungtm 


25 


Tätigkeit  eindrängen,  ganz  zur  Aufgabe  des  Berufes  gezwun- 
gen sind.  Eine  außerordentlich  gute  Darstellung  dieser  Ge- 
schehnisse habe  ich  in  einem  neueren  Romane,  betitelt  ,,Die 
Ante'*  von  Schullem  gelesen. 

Von  diesen  im  ganzen  noch  weniger  komplizierten  Vor* 
stellimgen  ergibt  sich  dann  der  Übergang  zu  denen^ 
die  gan^  verwickelter  Art  sind,  bei  denen  ganie  Kom* 
plexe  von  Wahrnehmungen  und  Vorstellungen  sich  zu 
eiaem  Ganzen  vereinigen,  das  sich  zwangsmäßig  dem  Bewußtsein 
eindrängt  und  die  normale  Denktätigkeit,  den  Ablauf  der  Asso- 
ciationen außerordentlich  stört.  Solche  Vorstellungen  finden 
sich  sehr  ausgesprochen  in  den  drei  Krankengeschichten,  die  ich 
Ihnen  nachstehend  auszugsweise  mitteile-  Ich  habe  sie  so  ge- 
ordnet, daß  sie  gewissermaßen  der  Schwere  der  Erkrankungen 
öacbgereihi  sind. 

Der  erste  Fall  betraf  einen  Handwerker  mit  recht  guter 
Intelligenz^  der  lange  Zeit  hindurch  nur  allgemein  nervöse 
Symptome  dargeboten  hatte;  er  hatte  in  seinem  Beruf  mit 
scharfen  Messern  zu  hantieren  und  ganz  plötzlich  stellte  sich 
bei  ihm  die  Vorstellung  ein,  er  müsse  mit  diesen  scharfen  Mes- 
sern seine  Angehörigen,  namentlich  seine  kleine  Tochter  ver- 
letzen. Diese  Vorstellung,  die  er  durchaus  nicht  los  werden 
koimte,  wurde  nach  und  nach  so  stark,  daß  er  fürchtete,  ihr 
nkht  mehr  widerstehen  zu  können;  er  sah  sich  deshalb  ge- 
nötigt, sowie  bei  ihm  diese  Ideen  auftraten  und  seine  Ange* 
hörigen  sich  in  demselben  Zimmer  befanden,  namentlich,  da 
er  nicht  wollte?  daß  seine  Umgebung  diesen  Zustand  bemerkte^ 
einfach  das  Zimmer  im  verlassen.  Andere  Vorstellungen  haben 
sich  in  diesem  Falle  niemals  gezeigt,  wenigstens  nur  andeutungs- 
weise und  keine  in  derselben  Stärke,  wie  die^  mit  dem  Messer 
^*erletzen  zu  müssen. 

Sehr  ausgesprochen  sind  diese  Zwangsgedanken  des  Ver- 
letzenmüssens  in  der  folgenden  Krankengeschichte: 

Die  Pat.  schreibt: 

Vor  ungefähr  acht  Jahren  hatte  ich  mit  vielen  Sorgen  zu 
kämpfen,  auch  von  seelischen  Aufregungen  blieb  ich  nicht 
verschont.  Dadurch  wurde  ich  hochgradig  nervös.  Zeitweise 
bekam  ich  große  Angst*  Seil  einem  Jahre  habe  ich  jedoch 
hauptsächlich  mit  diesen  schrecklichen  Zwangsgedanken  ru 


26  Georg  Flatau 

kämpfen.  Früher  hatte  ich  Furcht,  selbst  verunglücken  zu 
können,  jetzt  aber  verfolgt  mich  ständig  eine  innere  Stinune 
und  Lust,  einmal  eigenhändig  ein  Unheil  anzurichten.  Ich 
habe  nicht  mehr  die  Gewalt  über  mich,  mir  klar  zu  machen, 
was  daraus  wohl  entstehen  kötiinte,  wenn  ich  der  inneren 
Stinune  Folge  leisten  würde.  Es  ist  in  meinem  Körper  etwas, 
das  mich  direkt  hinstößt,  zu  tun,  was  mir  meine  Gedanken 
einflößen.  Hauptsälchlich  meinem  kleinen  Jungen  gegenüber, 
den  ich  über  alles  lieb  habe,  den  ich  auf  Schritt  und  Tritt 
bewachen  möchte,  sei  es  mit  einem  Messer  oder  Stock,  mit 
einem  Hanmier  oder  Topf,  sogar  wenn  er  in  seinem  Bettoheni 
liegt,  möchte  ich  auf  ihn  draufschlagen.  Gehe  ich  über  eine 
Brücke,  so  höre  ich  ganz  deutlich  neben  nur  eine  Stinune, 
die  mir  zuruft  hinunter  zu  springen.  Wodurch  nur  irgend 
ein  Unheil  angerichtet  werden  könnte,  möchte  ich  tun,  es 
steigt  dann  eine  förmliche  Nichtswürdigkeit  in  mir  auf.  Dann, 
wird  mir  Angst  und  es  treten  Lähmimgen  auf.  Ich  merke 
ganz  deutlich,  wie  mir  die  Angst  aus  dem  Magen  und  der 
Schwindel  aus  dem  Hinterkopf  kommt,  und  es  wird  mir 
dann  übel.  Die  große  Angst  und  schlechte  Gedanken 
treten  dann  jedesmal  viel  heftiger  auf,  wenn  ich  die  furcht- 
baren, krampfartigen  Schmerzen  in  meinem  Körper  habe. 
Der  Krampf  zieht  mir  oft  die  Ohrtrommel,  sowie  Gehirn  imd 
Brust  zusammen.  Es  ist  mir  dann  tüöhts  klar  im  Kopf,  gerade 
als  wäre  alles  weit  von  mir  entfernt,  und  ich  habe  keine  Lust 
zu  leben  und  zu  arbeiten.  Es  ist  ein  zu  schreckliches  imd 
bitteres  Leben  fortwährend  mit  solche  ruchtswürdigen  Ge- 
danken kämpfen  zu  müssen,  wodurch  ich  immer  schwächer 
werde." 

In  der  Krankengeschichte  Nr.  3  befinden  sich  einige  Be- 
sonderheiten, die  wir  nachher  noch  besprechen  wollen.  Sie 
lautet  folgendermaßen: 

„Seit  März  dieses  Jahres  befinde  ich  mich  in  diesem  un- 
glücklichen Zustande.  Es  war  eines  Sonntags  in  der  Kirche, 
ich  hörte  mit  Andacht  die  Predigt,  da  zum  Schluß  schoß 
mir  dieser  schreckliche  Gedanke  wie  ein  Blitz  durch  den  Kopf, 
[nämlich  es  drängten  sich  der  Kranken  Fluchworte  auf,  so 
böser  Natiu-,  daß  sie  sich  nicht  bewegen  ließ,  sie  bei  der 
Exploration  auszusprechen.]  Diesen  Gedanken  kann  ich  nicht 


Du  F^chitiogie  der  Zwtm^JtfiyrsieUungem 


27 


aufschreiben,  auch  nicht  aussprechen.  Wie  vernichtet  ver- 
heß  ich  die  Kirche,  ich  habe  das  Gefühl,  als  sei  ich  die  größte 
Sünderin.  Diese  unglücklichen  Gedanken  wiederholten  sich 
insmer;  ich  kämpfte  dagegen,  ich  betete,  ich  flehte  zu  Gott 
um  Erbarmen,  aus  diesem  Elend  mir  doch  Kraft  zu  verleihen, 
diesen  schrecklichen  Gedanken  zu  verbannen,  und  mich  doch 
nicht  zu  Grunde  gehen  zu  lassen.  Aber  leider,  es  wurde  nicht 
besser.  Ich  befand  mich  öfter  in  Veoweiflung.  Nun  muß 
ich  immer,  auch  bei  jeder  Arbeit  so  in  Gedanken  Verse 
hinsprechen,  meistenteils  religiöser  Art.  Das  strengt  meinen 
Kopf  recht  an,  aber  ich  kann  nicht  anders.  Zeitweise  ist  es 
auch  besser,  ich  befinde  mich  in  bester  Stimmung,  dann 
hoffe  ich,  daß  es  bald  gut  wird,  aber  es  dauert  nicht  lange» 
dann  ist  es  wieder  beim  alten.  Ich  frage  mich  oft,  wie  ist  es 
möglich,  ich  habe  doch  noch  meinen  Verstand, 
w-eiß,  was  ich  denke,  was  ich  tue  und  kann  mich  i^on  diesem 
imglücklichen  Gedanken  nicht  losreißen. 

Was  soll  das  Werden,  wenn  ich  dieses  Unglück  nicht  wieder 
loswerde,  ich  bin  doch  zu  unglücklich- 

Ich  war  vor  diesem  so  zufrieden,  meine  Verhältnisse  sind 
nicht  derart,  daß  ich  drückende  Sorgen  hätte,  ich  bin  bei 
steinen  Kindern,  einem  Sohne  und  zwei  Töchtern^  ich  besorge 
die  Wirtschaft,  wir  haben  unser  bescheidenes  Auskommen, 
meme  Kinder  sind  sehr  gut  gegen  mich;  da  hätte  ich  Grund 
glücklich  zu  sein,  wie  ist  es  nun  wohl  möglich,  daß  ich  trotz 
alledem  zn  diesem  Unglück  gekommen  bin. 

Auch  kein  körperliches  Leiden  köniue  Veranlassung  hierzu 
sein,  denn  körperlich  fühle  ich  mich  leidlich  wohl,  nur  daß 
mir  der  Kopf  so  schwer  ist,  das  kommt  durch  das  viele 
Denken/* 

Schließlich  verfüge  ich  noch  über  einen  vierten  Fall: 

„Ein  intelligenter  Kaufmann  von  38  Jahren  bemerkte  schon 
ftiih  eine  eigentümliche  Scheu  bei  sich,  andern,  fremden 
Menschen  die  Hand  zu  reichen,  Türklinken  anzufassen;  er 
hatte  den  Trieb,  sich  häufig  zu  waschen,  ganz  besonders,  wenn 
er  eines  der  oben  genannten  Dinge  ausgeführt  hatte.  Pat. 
stammte  von  nervöser  Mutter,  Vater  war  an  Paralyse  gestor- 
ben* In  leichtem  Grade  fand  sich  bei  dem  Kranken  der  Drang 
über  Dinge  nachzugrübeln,  über  deren  Ursprung,  Zweck  usw. 


28 


Ge^rg  Fialati 


Nachdem  Patient  in  den  letzten  Jahren  schwere  Operationen 
mit  12  maliger  Narkose  hatte  durchmachen  müssen,  stellte 
sich  bei  ihm  stets  plötzlich  die  Befürchtung  ein,  er  kömie 
sich  an  Gegenständen  seiner  engeren  und  weiteren  Umgebung 
infizieren;  überall  vermutete  er  Schmutz,  Austeckutigsstoffe; 
Briefe,  Zeitungen,  die  auf  den  Fußboden  seines  Zimmet^ 
gefallen  sind,  vermag  er  nur  mit  Ekel  und  größter  Über- 
windung in  die  Hand  zu  nehmen,  Türklinken  öffnet  er  nicht 
mit  der  Hand»  sondern  mit  dem  Ellbogen.  Bei  jedem  Gegen- 
stand hat  er  das  größte  Mißtrauen  bezüglich  der  Reinlichkeit, 
der  Infektiosität.  Stets  stellt  sich  beim  Anblick  eines  snlchen 
Gegenstandes  eine  ganze  Gedankenreihe  von  Möglichkeiten 
ein,  wie  an  diese  Gegenstände  wohl  Schmutz  und  InfektijnS' 
keime  gekommen  sein  könnten/* 

Es  schildert  selbst  folgendes  Beispiel: 

»jDie  Wäscherin  bringt  in  einem  ganz  sauberen  Korbe  die 
tatsächlich  reine  und  saubere  Wäsche,  Beim  Auspacken  der 
Wäsche  fällt  mir  plötzlich  ein,  daß  der  Korb  auf  dem  Fuß- 
boden gestanden  hat.  Sofort  bekomme  ich  das  Gefühl  des 
Mißtrauens  und  es  beginnt  das  Grübeln^  ob  nicht  etwa  durch 
das  Geflecht  des  Korbes  Schmutz  oder  Krankheitskeime  an 
die  Wäsche  gekommen  sein  könnten.  Die  ganze  Wäsche  ver* 
mag  ich  dann  nur  mit  Ekel  und  Furcht  vor  Ansteckung  in 
Gebrauch  tu  nehmen. 

Meine  Uhr  und  andere  Gegenstände,  welche  ich  im  Kran- 
kenhause im  Nachttischkasten  zu  hegen  hatte,  rühre  ich  nicht 
mehr  an,  weil  andere  Kranke  in  dem  betreffenden  Kasten  vor- 
her ihre  Sachen  hatten  und  ich  nun  nicht  weiß,  was  da  für 
Krankheitskeime  oder  Schmutz  in  dem  Kasten  gewesen  sind; 
ja,  ich  vermag  nicht  einmal  den  Tisch  in  meiner  Wohnung, 
auf  welchen  ich  die  genannten  Sachen  bei  meiner  Rückkehr 
aus  dem  Krankenhause  gelegt  hatte,  ohne  Unbehagen  und 
Ekel  zu  benutzen. 

Gegenstände j  welche  ein  anderer  angefaßt  hat,  nehme  ich 
immer  nur  mit  dem  Gefühl  des  Mißtrauens  (ob  der  Be- 
treffende nicht  unreine  Hände  gehabt  etc.)  in  die  Hand. 
Kommt  jemand  meinem  Bett  zu  nahe,  sofort  habe  ich  Angst, 
daß  dadurch  Krankheitskeime  oder  Schmutz,  welche  an  den 
Kleidern   des    Betreffenden  etwa   haften   konnten,    nun   auf 


Die  Psychßhgie  der  ZwttngTvoritellunj^gn 


29 


mein  Bett  übertragen  sind.  Wie  schon  gesagt^  es  gibt  in 
meiner  Wohnung  fast  keinen  Gegenstand,  bei  dem  ich  nicht 
Angst  vor  Ansteckung  oder  Ekel  empfinde  und  zu  grübeln 
habe,  was  wohl  alles  demselben  anhaften  könnte. 

Die  allergrößte  Angst  aber  habe  ich,  wenn  ich  mir  an  den 
Mnnd  oder  Gesicht  mit  der  Hand  gekommen  bin,  ohne  die 
Hände  vorher  gewaschen  zu  haben. 
Tag  und  Nacht  stehe  ich  am  Waschnapf« 
Diese  Krankengeschichten  sind  Typen,  aus  denen  die  ver- 
schiedenen Arten  des  Vorstellungsinhaltes  hervorgehen;  sie  er- 
schöpfen natürHch  im  Entferntesten  nicht  die  mannigfaltigen 
Möglichkeiten,  sie  bieten  aber  alles  dar,  was  zur  Erkenntnis 
der  psychischen  Genese  der  Zwangsvorstellungen  notig  ist.    Sie 
zeigen  auch  —  und  namentlich  findet  sich  das  in  der  letzten 
Krankengeschichte  angedeutet   —  daß  eine  Art  der  Zwangs- 
vorstellungen in  Fragefomi  mögHch  ist,  Griesinger^)  gehört 
zu  den  ersten,  die  diese  Art  der  Zwangsideen  genau  beschrieben 
mid  gewürdigt  hat»  seine  Fälle  sind  besonders  interessant, 

1)  Eine  Dame  klagte,  daß  sie  von  einem  unablässigen 
Fragedrang  gepeinigt  sei,  daß  an  jede  Vorstellung,  sich  sofort 
eine  Frage  nach  dem  wie  und  wo  knüpft  z.  B.:  Warum  sitze 
ich  hier?»  warum  gehen  die  Menschen  herum?  etc, 

2)  Ein  34  jähriger  Mann  von  nervöser  Mutter  stammend, 
(Epileptiker).  Wenn  er  mit  jemand  sprach,  drängte  sich  ihm 
die  Frage  auf :  Warum  ist  diese  Person  gerade  so  großj  warum 
nicht  kleiner?  warum  nicht  so  hoch  wie  das  Zimmer?  wie  ist 
die  Person  beschaffen? 

Ein  andermal  beschäftigt  ihn  die  Frage,  warum  gibt  es 
nicht  zwei  Sonnen? 

In  einem  dritten  Falle  bestand  anfangs  nur  eine  besondere 
Akkuratesse  und  Peinlichkeit;  Patient  kann  keinen  Brief  ab- 
senden, ohne  ihn  vielmals  durchzulesen,  etc.  erst  nach  und 
nach  entwickelte  sich  der  Drang  bei  allen  Dingen  nach  ihrem 
Wesen j  ihrer  Entstehung  zm  fragen.  Dieser  Kranke  hatte  voll- 
kommen Einsicht  darin,  daß  diese  Erscheinungen  krankhaft 
seien,  er  sah  das  unnormale  in  folgenden  Umständen : 


'^)  Gricsingcr    Archiv  für  Psychiatrie,    I.     S.  626. 


30  Ge^rg  Flaiau 

l)<lariny  daß  dieser  Grübelzwang  ihm  früher  fremd  war 

2)  in  dem  anhaltenden  und  unablässigen  des  Vorganges, 
jeden  Tag  wiederholt  sich  der  Vorgang  in  spontaner 
Weise 

3)  in  dem  UnbezwingUchen,  in  der  Unmöglichkeit,  sich 
von  den  Vorstellungen  zu  befreien,  wenn  er  sich  auch' 
größte  Mühe  gab 

4)  in  einer  enormen  Gefühlsbelästigung  durch  den  Vor- 
gang. 

Die  Fälle  Bergers^)  ^)  zeichnen  sich  dadurch  aus,  daß  die 
emotive  Entstehung  stark  betont  ist. 

Zweifellos  gehören  in  das  Gebiet  der  Zwangsideen  auch  die 
verschiedenen  Formen  von  Phobieen,  xmter  denen  ja  die  Agora- 
phobie  die  bekannteste  ist.  Westphlal^)  hat  ims  zuerst  mit 
ihnen  bekaimt  gemacht. 

Als  wichtiges  Ergebnis  der  Betrachtung  des  vorliegenden 
Materials  ergibt  sich,  daß  weitaus  die  große  Mehrzahl  der 
Zwangsvorstellungen  imangenehmen,  peinlichen,  kurz  —  un- 
lustbetonten Charakters  ist;  die  Krajxken  bemühen  sich,  die 
Zwangsvorstellungen,  die  sie  als  etwas  fremdes  erkennen,  aus 
ihrem  Vorstellungskreise  zu  verdrängen. 

Mit  großer  Deutlichkeit  zeigen  aber  die  Krankengeschich- 
ten, die  ich  als  Typen  angeführt  habe,  unjd  die  Berichte  aus  der 
Literatur,  daß  gemütliche  Erregrungen  eine  große  Rolle  spielen^ 
daß  sie  als  auslösendes  Moment  sowohl  für  plötzliche  Emt-« 
stehung  von  Zwangsvorsteljimgen  als  auch  als  vorbereitendes 
Element  von  Wichtigkeit  sind.  Zwar  kann  besonders  bei  kör- 
perlich erschöpften  Personen  die  Zwangsvorstellimg  so  plötz- 
lich auftreten,  daß  es  nicht  gelingt,  den  auslösenden  Vorgang 
durch  physische  Analyse  darzustellen  (Fall  1).  Die  Kranken 
geben  an,  daß  ohne  Vorboten  plötzlich  sich  die  Idee  zum 
ersten  Male  bei  ihnen  einstellte  imd  nicht  mehr  zu  verscheuchen 
war;  die  Unerläßlichkeit  affektiver  Einwirkung  als  Grundlage 
wird  aber  deutlich  dargetan  durch  den  Umstand,  daß  die  Affekte 
wiederbelebend  auf  das  Eintreten  von  Zwangsvorstellungen 
wirken  können. 


«)  0  Berger.    Archiv  für  Psychiatrie.    1878.    Vm. 

„        „  „  Bd.  VI.    S.217. 

«)  Westphal.    Archiv  für  Psychiatrie.    Bd.  III. 


Di£  Pty^i^g^c  ä0r  MmangsvarsUUungen 


31 


Ein  kurzer  Überblick  über  die  associative  Tätigkeit  ist  zum 
weiteren  Verständnis  unerläßlich:  Eine  Vorstellung  ruft  auf 
dem  Wege  der  assodativen  Verknüpfung  eine  andere  hervor. 
Die  associative  Verknüpfung  karm  gegeben  sein  durch  die 
Gesetze  der  Ähnlichkeit^  der  zeitlichen  Verbindung;  es  kann 
skh  um  erlernte  Reihen  von  Vorstellungen  handeln;  schließ-^ 
Jicb  —  ich  weiß  wohl,  daß  hiermit  nicht  alle  Möglichkeiten  er-i 
schöpft  sind  —  kann  der  Associationsverlauf  gegeben  sein; 
wenn  wir  eine  Rede  anhören,  ein  Buch  lesen.  Beim  Auftreten 
der  Zwangsideen  treten  Vorstellimgen  auf,  welche  den  oben 
angeführten  Arten  der  associativen  Verknüpfung  nicht  ent- 
sprechen: 2,  B,  bei  dem  an  Infektionsfurcht  erkrankten  Indi- 
viduimi  tritt  beim  Zeitunglesen^  etwa  im  Verfolg  einer  politi* 
sehen  Debatte^  eines  Feuilletons  über  Kunst  etc,  die  Vor- 
stellimgen sich  infiziert  zu  haben,  Schmutz  an  sich  zu  tragen 
in  den  ganz  heterogenen  VorsteUungsablauf  hinein^  unterbricht 
ihn  ganz  vnd  gar  und  erzwingt  die  Beschäftigung  mit  diesen 
neu  auftauchenden  Ideen. 

Ein  andermal  ist  es  ein  Wiort  des  Vortrages  der  Lektüre» 
die  den  Gedankenablauf  beeinflußt  zu  Gunsten  der  Zwangs- 
idee, bei  dem  Falle  3  sind  es  kontrastierende  Vorstellungen^ 
an  die  frommen  Worte  des  Gebetes  schließen  sich  die  unheiligen 
Fhichworte  tmd  sündhaften  Gedanken  an.  Was  verleiht  nun 
den  Zwangsideen  die  außerodent  liehe  Mächtigkeit  mit  welcher 
sie  die  Association  wieder  den  Willen  des  Individuums  er- 
zwingen. 

Ribot  ^)  scheint  anzunehmen,  daß  es  sich  um  eine  Schwäche 
der  Willenstärigkeit  handelt,  so  daß  es  nicht  gelingt,  unserm 
Vorstellungsablaufe  die  gewollte  Richtung  zu  geben,  ihn  in 
der  von  uns  beabsichtigten  Weise  zu  lenken. 

Oben  haben  wir  schon  die  Wichtigkeit  der  Affekte  betont 
und  sehr  anschaulich  geht  diese  aus  Friedmanns  *^)  Darlegung 
hervor.  Das  Gefühl  des  Zwanges  dessen  Vorhandensein  ja 
dem  Symptom  den  Namen  verleiht  entsteht  erst  sekundär,  es 
stellt  sich  erst  im  weiteren  Verlaufe  ein,  wenn  erkannt  wirdj 
liaß  die  Vorstellungen  stärker  sind  als  der  .Wille  des  Indivi- 


■)  Ribot    Maladie  de  la  Volonte. 
^  FrlfCtmaan.    Über  den  Watm. 


32 


Gitfrg^  Fkfion 


duums,  sie  zu  verscheuchen.  Das  Individuum  versucht  seinem 
Gedankengang  eine  bestimmte  Richtung  tn  geben,  sucht  aus 
der  Anzahl  der  möglichen  Associationen  eine  Wahl  zu  treffen, 
indessen  bleibt  diese  Absicht  unausführbar,  da  sich  die  Zwangs- 
Torstellung  in  die  Associationsreihe  hineindrängt,  sie  unter- 
bricht* Nicht  die  gesuchte  Vorstellung  wird  associiert,  sondern 
eine  fremde  erlangt  eine  so  große  Intensität,  daß  sie  die  an- 
dern verdrängt. 

Obzwar  wir  in  vielen  Fällen  nicht  mehr  feststellen  können ' 
warum  die  Zwangsvorstellung  so  stark  gefühlsbetont  gewarden 
istj  daß  ihre  Intensität  so  gewachsen  ist,  so  gibt  es  wiederum 
auch  Beispiele  genug,  die  uns  in  dieser  Hinsicht  belehren.  Zu 
einem  besseren  Verständnisse  kommen  wir,  wenn  wir  mnächst 
die  affektive  Grundlage  zu  verstehen  suchen,  wir  werden  dann 
am  besten  erkennen,  was  bei  Zwangsvorstellungen  das  wirk- 
lich Zwingende  ist  und  werden  ferner  erkennen,  warum  be- 
stimmte Vorstellungen  sich  immer  an  bestimmte  Bilder  an- 
schließen; wenn  von  der  affektiven  Seite  der  Zwangsvorstel- 
lungen  die  Rede  ist,  so  muß  man  festhalten,  daß  hier  ein  ge- 
wisser Unterschied  zu  machen  ist.  Hat  sich  z.  B.  bei  einem^^ 
Individuum  unter  starker  Erregung  einmal  an  ein  bestimmtes^H 
Geschehnis  eine  andere  Vorstellung  angeschlossen^  so  kann^^ 
bei  einem  zu  anderer  Zeit  Auftauchen  des  Schauplatzes,  an 
welchem  das  Geschehnis  vor  sich  ging,  auch  die  Vorstellung 
sich  wieder  mit  derselben  Stärke  einstellen,  die  seiner  Zeit  mit 
diesem  Bilde  associien  gewesen  ist,  etwa  ein  Individuum  wird 
beim  Überschreiten  einer  Straße  aus  irgend  welchem  Grunde 
van  Angst  und  Zweifelsgefühlen  befallen,  so  kann  sich  diese 
Verbindung  des  Überschreitens  der  Straße  mit  Schwindelgefühl 
so  lebhaft  einprägen,  daß  schon  bei  der  Vorstellung,  eine  Straße 
überschreiten  zu  müssen,  sich  die  Vorstellung  des  Schwindels 
einstellt,  sich  nicht  verscheuchen  läßt  und  so  heftig  einwirkt, 
daß  das  Überschreiten  der  Straße  aufgegeben  wird  oder  nur 
mit  Hilfe  von  Kunstgriffen  möglich  ist.  Der  Anblick,  daß 
jemand  von  einem  andern  mit  eüiem  Messer  verletzt  vrird,  kann 
diese  Verbindungen  mit  dem  schneidenden  Werkzeug  und  dem 
Verletzten  zu  einer  so  festen  gestalten,  daß  sich  die  V^orstel* 
lung,  verletzen  zu  müssen,  an  die  Vorstellung  des  Messers  mit 
außerordentlicher  Stärke  anschließt.   Damit  hätten  wir  die  pri- 


/JirV  Psyck<?io^9e  der  ^wismgsv&rsteüung^m 


33 


märe  Erregiing,  den  primären  Affektrustajid,  welchen  das 
erste  Mal  die  associative  Verknüpfung  ru  einer  so  festen  gestaltet 
hat.  Weiter  kommt  dazu  die  Erwartungsangstj  die  ein  solches 
Individuiim  jedesmal  beim  Anblick  des  Messers  befällt,  indem 
es  nun  auch  die  Vorstellung  des  Verletzens  erwartet.  Es  wird 
dann  von  den  primären  Affekten  diese  Angstvorstellung  als 
sekundär  auftretende  abzutrennen  sein  und  weiterhin  wird  sich 
eine  weitere  affektive  Grundlage  finden,  wemi  das  betreffende 
Individuum  erkennt,  daß  solche  Zwangsvorstellungen  bei  ihm 
mit  so  großer  Intensität  auftreten  können.  Wir  werden  also  als 
erste  Grundlage  kennen  lernen  eine  gewisse  Hemmung-  die  ein- 
tritt durch  den  primär  gegebenen  Affekt;  diese  Denkheramung 
bereitet  den  Boden  gunstig  vor  für  das  Auftreten  von  Vorstel- 
lungen^ die  ihrerseits  verstärkt  sind,  indem  sie  sich  unter  beson- 
ders  affektiver  Erregung  mit  einer  anderen  verbunden  haben. 
Somit  erklart  es  sich  uns  auch,  daß  Zwangsvorstellungen  gerade 
solche  Personen  befallen,  die  eine  besondere  Disposition  nach- 
weisen lassen.  Ich  sprach  vorher  schon  davon,  daß  auch  ein  Er- 
Wartungsaffekt  bei  diesen  Dingen  in  Betracht  kommt,  —  es  ist 
eine  häufig  gemachte  Erfahrung  —  daß  bestimmte  Anfälle, 
Krankheitszustände  um  so  regelmäßiger  auftreten,  wenn  sich 
gewissennaßen  ein  Mechanismus  für  sie  eingeschliffen  hat. 
Sind  z,  B<  bei  einem  Individuum  asthmatische  Anfälle  mehr* 
mals  hintereinander  zu  einer  bestimmten  Stunde  eingetreten, 
so  wirkt  die  Spanntmg,  die  erwartungsvolle  Angst  als  ein  aus- 
lösendes Moment  und  in  ähnlicher  Weise  werden  sich  auch, 
durcli  die  Spaimungsaffekte  veranlaßt,  die  Associationen, 
wenn  sie  sich  häufiger  an  eine  bestimmte  Vorstelltmg  zwangs- 
mäßig assocüert  haben,  immer  wieder  einstellen.  Die  Er- 
wartungsangst  wirkt  aber  auch  als  weiterhin  begünstigender  Mo- 
ment, indem  es  die  Energie  der  Denktätigkeit  vermindert  durch 
Erregung  eines  allgemein  hemmenden  Unlustgefühles.  Herab- 
gesetiEt  wird  auch  die  Fähigkeit  dem  Gedankengang  eine  ge- 
wollte Richtung  m  geben.  Wer  beim  Überschreiten  eines  freien 
Platzes  immer  wieder  Angstgefühl  und  Schwindel  und  die  Angst- 
vorstellungj  den  Platz  nicht  überschreiten  m  können,  empfun- 
den hat,  wird  auch  immer  wieder  bei  derselben  Gelegenheit  diese 
Erscheinungen  erwarten  und  gerade  diese  Erwartung  wird  das 
Eintreten  derselben  besdileimigen.    Nim  bleibt   uns   noch  zu 

Zdtsdirift  fQr  pädtgogiiche  Psychologie,  P«lhoto£l«^  und  Hygiene.  3 


34  Georg  Flaiau. 

betrachten  übrige  welche  besondere  Rolle  die  Intensität  bei  den 
Vorstellungen  spielt,  wie  ihre  besonders  große  Intensität  zu  er- 
klären ist.  Friedmann  ^o)  macht  dafür  die  besonders  associative 
Verwandtschaft  verantwortUch,  in  der  sie  sich  zu  der  Ursprungs- 
vorstellung befinden:  die  Verwandtschaft  mit  der  Ausgangs^ 
Vorstellung  braucht  natürlich  niemals  auch  logisch  zu  sein,  son- 
dern sie  kann  durch  ganz  andere  Dinge  bedingt  sein,  ganz  beson- 
ders durch  die  affektive  Verstärkimg.  Es  wird,  wenn  mehrere 
Vorstellimgen  einer  Ausgangsvorstellimg  verwandt  sind,  die- 
jenige, welche  die  größte  Intensität  besitzt,  zur  Association 
kommen  und  ihre  Intensität  wird  gesteigert,  vor  allen  Dingen 
durch  die  Affektbetonung.  Außer  der  Affektbetonimg  sagt  dann 
Friedmann,  konmit  auch  noch  die  Lenkung  der  Aufmericsam- 
keit  in  Betracht,  und  ich  füge  hinzu,  daß  die  Lenkung  der 
Aufmerksamkeit  durch  den  Spannungszustand,  durch  den  £r- 
wartimgszustand,  immer  mehr  noch  auf  die  Zwangsidee  ge- 
richtet wird.  Die  Unnützlichkeit  des  logischen  Deiücens  bei 
den  Zwangsvorstellimgen  springt  bei  der  Betrachtung  der  oben 
erwähnten  Fälle  ohne  weiteres  in  die  Augen.  Das  logische  Den- 
ken, Urteilen  und  Schlußbildimg  werden  ja  erst  im  späteren 
Leben  erworben,  während  das  rein  associative  Denken  schon 
vorher  vorhanden  ist.  So  bilden  die  Zwangsvorstellungen  ge- 
wissermaßen einen  Rückfall  in  die  Zeit  des  rein  associativen 
Denkens;  besonders  interessant  ist  in  dieser  Hinsicht  die  zidetzt 
genannte  Krankengeschichte,  bei  der  es  sich  im  wesentlichen 
um  Ansteckimgsfurcht  handelt.  Hier  sehen  Sie,  daß,  obgleich 
der  Kranke  sich  bemüht,  die  sich  ihm  aufdringende  Vorstellung 
durch  logisches  Denken,  durch  Zergliedenmg  aus  dem  Bewußt- 
sein herauszuschaffen,  ihm  das  doch  niemals  gelingt.  Wenn 
er  fürchtet,  durch  Berührung  irgend  eines  Gegenstandes  sich 
infiziert  zu  haben,  so  ist  er  wohl  im  stände,  logisch  in  folgender 
Weise  zu  urteilen:  Hier  ist  keine  sichtbare  Infektionsquelle 
vorhanden,  die  bloße  Berührung  kann  ja  auch  nicht  zu  einer 
Infektion  führ^i,  mithin  kann  ich  mich  hier  nicht  infiziert  haben. 
Sofort  aber  drängt  sich  wieder  die  Vorstellung  auf,  vielleicht 
besteht  dann  aber  eine  andere  Möglichkeit,  imd  so  drängt  sich 
wiederum  die  Zwangsidee,  sich  infiziert  zu  haben,  in  den  Vor- 
dergrund. 

So  erklärt  sich  auch,  daß  häufig  ganz  absurde  Ideen  zwangs- 


Die  Psychologie  der  Zwangsvarstellungen,  35 

mäßig  auftreten  können.  Einmal  war  es  ein  Fall,  derart :  eine 
Per9on  bratichte  nur  von  einem  Unglücksfall,  Todesfall  etc. 
zu  lesen,  sofort  drängte  sich  ihr  der  Gedanke  auf,  sie  selbst 
sei  Schuld  an  diesem  Ereignis.  Obgleich  sie  im  stände  war, 
sich  selbst  den  logischen  Nachweis  der  Un!möglichkeit  zu 
fähren,  traten  diese  Ideen  doch  immer  wieder  hervor. 


(t*^5l* 


Neue  Versuche  und  Hilfemittel  im 
Oesans^unterricht. 

V'oftr^  Sdalten  am  13.  Febmar  1903  im  Verein  für  Kinderpsychologie 

zn  Berlin. 

A.  Qnsinde. 

Hodiansehnliche  Versammlung!  Ich  habe  die  hohe  Ehre, 
vor  Ihnen  über  ein  neues  Hilfsmittel  für  den  Gesangunterrioht, 
sowie  über  meine  Versuche  bei  diesem  Unterridit,  xu  sfHredieiL 
Bevor  ich  xu  der  Sache  selbst  übergehe,  woDen  Sie  mir  gutigst 
einige  einleitende  Booerkungen  über  den  gegoiwartigen  Stand 
der  Methodik  des  Gesangunterricfats  gestatt^[L  Es  wird  damit 
ein  brauchbarer  Boden  für  unsere  Unterhaltung  gewonnen 
werdtti. 

Eine  eigentliche  Methodik  des  Gesangumerrichts  besteht 
eist  seit  d«  Tag«  Pestaloxxis.  Vorher  diente  dieser  Unter- 
richt lediglich  praktischen  Zwecken.  Man  übte  die  Lieder  ledig- 
lidi  durch  Vor^  und  Nachsing»!  ein«  also  in  einer  Form,  die 
nidit  geeignet  ist.  musikalisch  vielseitig  xu  büden.  So  geschah 
es  im  achtxehnten  Jahrhundert«  so  xu  den  Zeiten«  wo  dieKkister- 
und  Domschulen  in  Blüte  standen«  Ms  xu  doi  Zdten  der  allen 
Giiediefi..  die  bei  ihren  Nationalspielen«  insbesondere  den  ol3^m- 
pecheii«  xur  V^herrfidraog  dies«  Festspiele  Gesii^ge  Tortru- 
gea.  wie  xur  Zeit  der  Israeliten«  die  solche  für  den  JdiOTadienst 
im  Tempel  bnoidiien.  Mögen  sich  auch  diese  Gesäuge  iron- 
eiaander  unterscheiden,  die  Einübung  erfo^^  stets  auf  media- 
Msdwm  Wege  ledighch  durch  Vc^^  und  Nachsingen.  Seit 
BKtakmb  Institvft«  und  Pfnfw  eine  ^.Gesangdiildungdehre**aDns, 


A.  Gusmde 


37 


eine  auf  die  innere  Weseiüieit  des  Menschen  sich  beziehende 
Methcwie  der  vielseitigen  Geistesbildung  entgegenstellte,  beginnt 
auch  für  den  Gesangunterricht  eine  Anregung  zum  Besseren, 
Nach  seinen  Grundsätzen  arbeiteten  Nageli,  Gcsanglehrer  an 
Pestalozzis  Institut  und  Pfeifer  eine  „Gesangbildungslehre"  aus, 
die  außerordenthch  reichhaltig  an  melodischen,  rhythnüschen 
imd  dynamischen  Übungen  war,  die  jedoch  nacheinander  zur  Be- 
handlung gelangten,  so  daß  die  Kinder  zu  spät  oder  gar  nicht 
tmn  eigentlichen  Liedersingen  kamen,  was  um  so  erklärlicher 
erscheint,  als  das  Singen  lehrplanniaßig  erst  mit  dem  zchntea 
Lebensjahre  begann.  Diesem  Obelstande  suchte  Natorp  zu  be- 
gegnen. Auch  er  gibt  rhythmische,  melodische  und  dynamische 
Übungen,  verteilt  sie  aber  auf  mehrere  Unterrichtsstufen  und 
läßt  einen  Liederkursus  nebenherlaufen.  Statt  aber  diese  Lieder 
dem  deutschen  Volksliederschatze  zu  entnehmen,  komponiert  er 
selbst  solche^  die  lediglich  auf  die  technischen  Übungen  Rück- 
sicht nehmen.  Dazu  kommt,  daß  er  die  bereits  früher  durch 
Rousseau  erfundene  Ziffernmethode  zur  Geltung  brachte  imd 
damit  die  Voraussetzung  zu  einem  Streit  schuf,  der  später  zwi- 
schen den  Zifferisten  und  den  Anhängern  der  Noten  ausgefoch- 
len  wurde,  wodurch  jedoch  eine  gewisse  Hemmung  in  der  Ent* 
widcelxmg  einer  rationellen  Methodik  des  Gesangunterrichts 
eintrat.  Die  Unfruchtbarkeit  der  gemachten,  das  heißt  für  tech* 
iLi5<^€  Zwecke  komponierten  Lieder,  wurde  glücklicherweise 
Wßd  erkannt*  Hentschel  setzte  dem  technischen  Kursus 
€inen  Liederkursus  als  gleichberechtigt  zur  Seite,  so  daß 
von  nun  an  das  deutsche  Lied  zur  Geltung  kam. 
Leider  liefen  aber  beide  Kurse  ohne  innere  Bezie- 
hung, ohne  inneren  Zusammenhang  nebeneinander  her. 
Das  war  der  Grund,  weshalb  Pflüger  in  seiner  ,^n- 
leitung  für  den  Gesangunterricht"  den  technischen  Kursus  vom 
Liederkursus  abhangig  machte,  indem  er  zuerst  das  Lied  gab 
und  dann  in  analytisch  synthetischer  Form  an  dasselbe  heran- 
irat,  tun  das  für  die  technischen  Übungen  notwendige  Material 
zu  gewinnen  und  zu  verarbeiten.  Das  ist  das  Verfahren,  das 
für  den  ersten  Augenblick  etwas  Bestechendes  an  sich  hat,  vom 
ästhetischen  Standpunkte  aber  völlig  zu  verwerfen  ist,  da  es 
das  Lied  —  ein  MusikahschSchönes  —  zum  Gegenstande  von 
iersetzenden  Übungen  macht. 


38  ^^*^  Vertudu  und  BafimiUd.  im  GesamfrumterriekL 

Der  heutige  Stand  der  Methodik  des  Gesangunterricfats 
ist  im  allgemeinen  der^  daß  sich  das  gesamte  Unterrichtsmaterial 
in  zwei  stufenweise  geordnete  Kurse  —  den  technischen  imd 
den  Liederkursus  —  gliedert,  die  selbständig  nebeneinander 
hergehen.  Die  Zifferisten  sind  wenigstens  in  Deutschland  ziem- 
licfa  verdrängt.  An  Stelle  der  Ziifer,  die  Tonzeichen  und  zugleich 
VeranschauUchimgsmittel  für  Tonverhältnisse  sein  sollte,  ist  die 
Note  getreten.  So  steht  es,  hochgeehrte  Damen  und  Herren,  mit 
der  Methode  des  Gesangunterrichts,  soweit  sie  in  Schriften 
niedergelegt  ist.  Was  ist  nun  in  der  Praxis  geleistet  worden? 
Hat  die  Volksschule  bisher  ihre  Aufgabe  im  Gesangunterricht 
gelöst? 

Hören  wir  zunächst,  was  der  vom  englischen  Ministerium 
zum  Studium  des  Gesangunterrichts  nach  Deutschland,  Öster- 
reich, der  Schweiz,  Belgien  und  Holland  entsandte  Seminar- 
musiklehrer Hullah  in  seinem  Berichte  an  seine  Unterrichts- 
behörde für  ein  Urteil  über  den  in  den  Volksschulen  Deutsch- 
lands erteilten  Gesangunterricht  fällt.  Er  sagt  nämUch:  „In 
Deutschland  sind  die  Resultate  des  Gesangunterrichts  die  denk- 
bar ärmsten."  Das  ist  allerdings  eine  beschämende  Zensur  für 
uns,  imd  doch  ist  es  wahr,  daß  bei  uns  der  Gesangunterricfat 
in  seinem  vollen  Bildungswerte  nicht  immer  gehörig  gewürdigt 
wird.  Man  hat  sich  damit  begnügt,  eine  Anzahl  von  Texten 
in  Verbindung  mit  ihren  Melodien  tüchtig  einzuüben,  kitzelte 
hie  und  da  wohl  auch  den  Zuhörern  durch  den  Vortrag  von 
3-  und  4  stimmigen  Liedern  die  Ohren  und  glaubte  damit  Großes 
geleistet  zu  haben.  Das  bloße  Gehörsingen  —  das  Förster  ge- 
radezu „imvemünftig"  nennt;  „denn  es  stellt  vernünftig  den- 
kende Wesen  auf  gleiche  Stufe  mit  Staren,  Papageien,  Gimpeln 
und  anderen  vemunftlosen  Geschöpfen,  indem  es  sie  zwingt, 
vorgespielte  imd  vorgesungene  Melodien  gedankenlos  und  me- 
chanisch nachzusingen"  —  wird  zur  Zeit  leider  noch  in  den 
meisten  Volksschulen  ausschließlich  betrieben.  „Unser  Gesang- 
imterricht  krankt  wesentlich  an  zwei  Übeln:  1.  er  bringt  die 
Schüler  nicht  zum  selbständigen  Treffen  der  Noten  und  2.  wird 
er  nicht  im  Sinne  der  Kunsterziehimg  betrieben.  Förster  sagt 
mit  Recht :  „Das  Interesse,  das  eine  hübsche  Melodie  bei  jedem 
musikalisdi  beanlagten  Menschen  erweckt,  wird  gar  bald  wie- 
der durch  das  stxmdenlange  mechanische  Einpauken  erstickt.** 


A,  Gumnde* 


m 


Auf  das  widersinnige  Zerstückeln  der  Melodien,  das  beim 
gedachtnismäßigen,  mechanischen  Gehörsingen  in  Erscheinung 
tri«,  komme  ich  später  noch  aurück.  —  Wenn  auch  für  die  Auf* 
nähme  der  Treffübungen  in  den  Lehrplan  für  Volksschulen 
neuerdings  viel  gekämpft  worden  ist,  ein  wirklicher  Erfolg  ist 
erst  in  allerkürzester  Zeit  erreicht  werden.  Der  Lehrplan  für 
Berliner  Gemeindeschulen,  der  am  L  Oktober  1902  in  Kraft  ge- 
treten ist,  fordert  ausdrücklich  die  Vornahme  von  Treffübun- 
gen.  Wie  diese  im  einzelnen  zweckmäßig  vorzunehmen  sind, 
darüber  ist  jedoch  erwünschte  Klarheit  noch  nicht  erzielt  worden. 
Zunächst  handelt  es  sich  darum,  den  Grundsatz :  .yon  der  be- 
weglichen arur  feststehenden  Note**  zur  Geltung  zu  bringen  und 
damit  hängt  eine  zweite  Forderung  zusammen,  nach  der  an 
Stelle  des  mechanischen  Vorspielens  von  Tönen  und  Ton 
reihen  auf  der  Geige  oder  des  Vorsingens  seitens  des  Lehrers 
die  Beachtung  der  selbsteigenen  Entwickelung  des  Kindes  von 
innen  heraus  zu  treten  hat. 

Hat  die  Volksschule  die  Pflicht,  die  Schüler  zum  selbstän- 
digen Treffen  der  Noten  zu  bringen,  und  wie  ist  diese  Aufgabe 
zu  lösen? 

Der  Gesangunterricht  ist  berufen,  die  allgemeine  Menschen* 
bildung  zu  fördern  und  daneben  noch  eine  ureigne  Aufgabe  zu 
lösen.  Er  hat  den  Verstand,  das  Gedächtnis,  die  Phantasie,  das 
Gemüt  zu  bilden;  aber  das  tun  auch  die  anderen  Unterrichts- 
fächer; darin  besteht  nicht  seine  ureigene  Aufgabe,  Sein  be- 
sonderes Ziel  ist,  den  Schülern  eine  bestimmte  Summe  von  musi- 
kalischen Kenntnissen  und  Fertigkeiten  zu  vermitteln  und  damit 
die  ihnen  verliehene  Kraft,  musikalische  Gedanken  aufzufassen 
und  wiederzugeben,  sm  erstarken  und  das  Kind  zn  befähigen, 
tief  innerlich  das  Musikalisch-Schöne  rein  und  edel  zu  genießen. 
Jene  Fertigkeiten,  deren  Erwerb  eim  wesentlicher  Teil  der  Auf- 
gäbe  des  Gesangunterrichts  ist^  ergeben  sich  einerseits  aus  einer 
Schulung  der  Stimme,  anderseits  aus  der  Entwicklung  und 
Ausbildung  des  Gehörs.  Das  vorzüglichste  Mittel  zur  Entwick* 
luBg  des  musikalischen  Gehörs  aber  ist  in  den  Treffübungen  ge- 
geben, indem  sie  infolge  Veranschaulichung  der  einzelnen  Töne 
(/Noten  I),  Tonstufen  und  Taktverhältnisse  den  Schüler  zu  einer 
Klarheit  bringen,  die  das  Gehörsingen  niemals  erreichen  läßt. 
Das  Treffen  der  Noten  beziehungsweise  das  selbständige  Singen 


40  ^^*^  Vemuke  und  OUßmaitd  üh  Gesam^mUerrüki 

der   durch  Noten   gekennzeichneten  Töne   setzt   ein  scharfes 
Untersdieiden  der  einzefaien   Intervalle  voraus.    Dieses  kamt 
sich  entweder  direkt  —  vermittelst  Rückerinnerung  der  ein- 
zelnen Tonvorstellimgen  —  oder  imter  Anwendung  gewisser 
Hilfsmittel  in  einzelnen  Ton-  oder  in  Akkordfolgen  vollziehen^ 
W^ui  es  sich  imi  die  Einführung  in  eine  Tonleiter  handelt, 
wird  es  sich  heratisstellen,  daß  bereits  Kinder  der  Unterstufe 
in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  die  einzelnen  Töne  auch  außer- 
halb der  durch  die  Tonleiter  gegebenen  Reihenfolge  zu  reprodu* 
zieren  vennögen.    Das    hat  seinen  Erklärungsgrund  in  dem 
glucklichen  Tongedächtnis  der  Kleinen.    Die  Erfahrung  hat 
gelehrt,  daß  die  Volksschüler  bei  richtigem  Betrieb  des  Ge- 
sangunterrichts über  die  Stufe  der  bloßen  Reproduktion  hinaus- 
gehobai  und  zum  selbständigen  Treffen  resp.  Finden  von  leiter- 
eigenen und    leiterfremden   Tönen  gebracht  werden  können. 
Zweifelsohne  handelt  es  sich  beim  Treffen  der  Noten  um  eine 
eminent  wichtige  geistige  Tätigkeit,  deren  Beachtung  den  päda- 
gogischen Begriff  des  Gesangunterrichts  an  sich  insofern  er- 
weitert, ak  der  Geist  des  Kindes  durch  die  Elntwicklung  der 
Fähigkeit,  die  Entfemxmg  der  einen  Note  von  der  anderen 
resp.  die  relative  Hohe  oder  Tiefe  eines  selbständig  zu  sachoi- 
dcn  Tones  richtig  zu  ermitteln,  auf  eine  höhere  Stufe  der  Voll- 
kommenheit gehoben,  also  in  ganz  spezifischer  Form,  die  bei 
keinen  andern   Lehrgegenstande  wiederkehrt,  gebildet  wird. 
Dieser  Grund  allein  schon  spricht  für  die  Berechtigung  der 
Treffübungen  im  Gesangrmterrichte  der  Volksschule,  obwohl 
feststeht,  daß  ohne  den  Betrieb  dieser  Übungen  der  Gesang- 
unterricht  seine  volle  Aufgabe  im  Sinne  der  Kunsterziehung^ 
nicht  zu  lösai  vermag,  im  entgegengesetzten  Falle  aber  dem 
Unreinsingen«  dem  Hauptfeinde  eines  guten  Schulgesanges,  in 
wirksamer  Weise  vorgebeugt  und  mit  der  durch  die  Treffübun-^ 
gen  verbundenen  Schärfung  des  Gehörsinnes  auch  die  künst- 
lerische Bildung  des  Kindes  ^^esenthch  gefördert  wird;  denn 
je  besser  der  Schüler  zu  hörm  ^^ermag,  desto  leichter  und  rich- 
tiger faißt  er  ein  Gesangstüd:  auf.  desto  größer  ist  sein  Kunstge- 
nuß. Wer  die  Treff  Übungen  in  riditiger  Weise  \x>m]mmt,  wird 
deshalb  den  Kindein  während  der  Schulzeit  nicht  wenigu-,  son- 
dern mehr  Lieder  vermitteln  können.   Auch  wird  er  auf  den 
gemütvolle«  Vortrag  mehr  Gewicht  legai  können»  denn  so 


A.  Guänd* 


41 


gebildete  Kinder  erfassen  neue  Lieder  schneller  und  richtiger* 
Hierbei  berufe  ich  mich  auf  die  eigene  Erfahrung  und  auf  das 
Zeugnis  von  Mäninemj  die  in  dieser  Arbeit  stehen,  sowie  auf 
Gesangsmethodiker  von  Ruf  und  Verdienst.  Wenn  es  trotzdem 
noch  Scbtahnärmer  geben  sollte,  die  da  meinen,  daß  der  Schul- 
gesang, der  sich  mit  dem  Einpauken  und  Eindrillen  von  Liedern 
und  deren  tadelloser  Reproduzierung  begnügt,  die  Aufgabe 
des  Gesangunterrichtes  gelost  habe,  so  mögen  sie  bedenken, 
daß  diese  Art  Gesangunterricht,  soweit  er  in  der  Einübung  ein- 
stimmiger Lieder  (und  vielleicht  auch  zweistimmiger!}  t^steht» 
auch  von  einem  Nichtpädagogen  mit  normalem  Gehör  und  ohne 
jede  musikalische  Bildung  und  auf  der  Oberstufe,  wo  mehr- 
stimmige Lieder  zu  lernen  wären,  von  einem  bei  der  Musik* 
kapeile  ausgedienten  Soldaten  mit  Erfolg  erteilt  werden  könnte* 
Tatsächlich  verhall  sich  die  Sache  aber  anders  I  Wir  verlangen 
einen  methodisch  und  pädagogisch  geschulten  Lehrer,  der  sich 
stets  gegenwärtig  hält,  daß  der  Gesangunterricht  geistbildend 
wirken  müsse.  Ein  solcher  Lehrer  muß  aber  auch  wissen,  daß 
Treffübungen  beim  Singen  in  ganz  besonderer  Weise  geistbil- 
dend wirken  j  und  daß  er  ohne  diese  Übungen  keinen  vollgilt  igen 
Gesangunterricht  erteilen  kann.  Wer  das  nicht  weiß,  muß  abge- 
lehnt werden.  Er  ist  kein  Pädagoge,  selbst  wenn  er  auf  dem 
Schulsessel  säße.  Es  ist  leider  eine  traurige  Tatsache,  daß  die 
bereits  seit  Pestalozzi  in  der  Theorie  des  Gesangunterrichtes 
aufgestellten  Forderungen,  die  bei  jedem  Gesangmethodiker 
bis  2ur  Gegenwart  immer  wiederkehren,  nicht  überall  verwirk- 
licht worden  sind.  Bereits  Michael  Traugott  Pfeiffer  fordert 
in  seiner  »^Gesangbildungslehre  nach  Pestalozzischen  Grund- 
sätzen** u.  a,  die  Unterscheidung  von  hohen  und  tiefen  Tönen, 
die  Bildimg  auf*  und  absteigender  Tonreihen,  Übungen  im 
stitfoi-  und  sprungweisen  Tonfortschritt,  Erweiterung  desTon- 
bereichs^  V^ersetzung  der  Tetrachorde,  Vorführung  der  diato- 
m&ch*chromatischen  Tonreihe,  Übungen  in  chromatischen  und 
dissonierenden  Intervallen  usw.  Sind  seitdem  auch  die  An* 
sichten  über  das  ^,Wie*'  des  Unterrichts  andere  geworden,  das 
,,Was"  blieb  im  wesentlichen  in  der  Theorie  anerkannt.  Auch 
die  Praxis  ist  durch  diese  Forderungen  nicht  unberührt  geblie- 
ben. Es  gibt  Landstriche  in  Preußen,  wo  von  jeher  auf  eine 
gute  Vokalmusik  gehalten  wurde.    Ich  wüßte  recht  viele  Kan- 


42  Neue  Versuche  und  Häftmätel  im  GesangumterriekL 

toren  auf  Dörfern  zu  nennen,  die  trotz  der  beschränkten  Ver- 
hältnisse, unter  welchen  sie  arbeiten,  die  Kinder  gesanglich 
außerordentlich  weit  gefördert  haben,  so  daß  diesen  die  Noten 
durchaus  keine  toten  Zeichen  geblieben  sind.  Anderseits  sind  mir 
allerdings  auch  vielgliedrige  Schulen  in  großen  Städten  bekannt, 
wo  man  sich  mit  dem  bloßen  Einlernen  von  Liedern  und  einem 
angemessenen  Vortrag  derselben  noch  beute  begnügt  und  oben- 
drein doch  behauptet,  wer  weiß  wie  viel  für  die  Geistesbildung 
der  Kinder  damit  geleistet  zu  haben.  Ist  auch  im  allgemeimei^ 
bisher  das  nicht  verwirklicht  worden,  was  einzelne  Pädagogen 
erstrebten,  so  kann  doch  mit  Sicherheit  erwartet  werden,  daß 
in  der  Folgezeit  auf  dem  Gebiete  des  Gesangunterrichts  mehr 
als  bisher  geleistet  werden  wird.  Das  Ministerium  des  Unter- 
richts etc.  hat  sich  einer  Deputation  des  „Allgemeinen  deut- 
schen Musikvereins**  gegenüber  für  das  selbständige  Singen 
nach  Noten  (also  für  das  Treffen  derselben)  in  den  Schuld 
behufs  Erhaltung  und  Stärkung  der  musikalischen  Kraft  un- 
seres Volkes  ausgesprochen.  Auch  in  der  vom  Königl.  Pro- 
vinzial-Schulkollegium  im  Auftrage  des  Ministers  einberufenen 
Kommission  zur  Bearbeitung  des  Lehrplans  für  den  Gesang- 
unterricht der  Berliner  Gemeindeschulen  herrschte  volle  Ober- 
einstimmimg  darüber,  daß  das  Treffen  der  Noten  geübt  wer- 
den müsse  und  —  wie  ich  gleich  hinzufüge  —  nicht  erst  in 
den  oberen  Klassen  der  Volksschule,  sondern  bereits  in  den 
imteren,  nämlich  mit  dem  Beginn  des  zweiten  Schuljahrs.  Die 
Treffübxmgen  haben  allerdings  nach  bestinmiten  Grundsätzen 
zu  erfolgen.  Besonders  wichtig  erscheint  die  Forderung:  „Von 
der  beweglichen  zur  feststehenden  oder  von  der  Note  ohne 
Zeitwert  zu  der  mit  Zeitwert.**  Die  Bewegung  ist  der  Aus- 
druck des  Lebens,  Leben  erweckt  Leben.  Demnach  kommt 
der  Bewegfung  in  der  Psychologie  eine  hohe  Bedeutung  zu, 
und  es  ist  die  Aufgabe  der  Pädagogik,  die  sich  hieraus  er- 
gebenden Konsequenzen  zu  ziehen.  Wie  bedeutungsvoll  der 
Gebrauch  der  beweglichen  Note  für  den  Gesangunterricfat  ist, 
beweist  schon  die  Tatsache,  daß  die  Schüler  oft  gewisse  fest- 
stehende Noten  nicht  treffen,  während  sie  die  entsprechenden 
Intervalle  mit  Leichtigkeit  beim  Gebrauch  der  beweglichen 
Note  treffen.  Der  Gebrauch  der  beweglichen  Note  versetst 
eben  den  Geist    in  eine  höhere  Aktivität.     Daher  die.  über? 


A,  Guämd$, 


43 


raschende  Tatsache,  daß  bereits  Kinder  des  zweiten  Schul 
Jahres  leicht  und  bequem  soweit  gefördert  wurden,  daß  sie 
leichte  einstimmige  Lieder  ohne  weiteres  vom  Blatte  sangen. 
Oberflächlich  betrachtet,  hat  es  den  Anschein,  als  wäre  das 
Treffen  feststehender  Noten  zunächst  zu  betreiben,  weil  hier- 
bei Gelegenheit  gegeben  ist,  das  Intervallen  Verhältnis  zu  be- 
rechnen. Wurde  es  sich  um  die  Noten  f-a  handeln,  dann  müßte 
sich  das  Exempel  etwa  so  gestalten:  Gegeben  ist  die  Note 
f  tmd  a ;  wie  weit  ist  die  zweite  von  der  ersten  entfernt  ?  Nun 
ist  zu  rechnen^  daß  von  f*g  eine  ganze  Stufe,  von  g-a  wieder 
eine  ganze  Stufe  ist,  zusammen  also  2  ganze  Stufen  heraus 
kommen.  Bei  der  beweglichen  Note  tritt  der  Schüler  sofort 
ms  Abzählen  der  Stufen  —  der  elementarsten  Berechnungs- 
form  —  ein  und  vermittelt  to  die  Höhe  oder  Tiefe  eines  Tones 
unmittelbar  in  dem  Augenblicke,  wo  sie  einen  Raum  im  Noten- 
liniensystem  durchmißt.  Die  bewegliche  Note  ist  also  das  kon* 
krete  Maß,  das  ihm  bei  der  Ermittelung  der  Hohe  oder  Tiefe 
eines  Tones  zum  Werkzeug  wird,  während  er  bei  feststehenden 
Noten  eines  solchen  entbehrt.  Dazu  kommt  noch  der  hohe 
Wert,  daü  der  Schüler  \'on  Anfang  an  zur  ungeteilten  Auf- 
merksamkeit beim  Singen  insofern  erEogen  wird,  als  er  ge* 
z^'ungen  ist,  den  ersten  Ton  resp,  die  erste  Note  im  Gedächt- 
nis festzuhalten,  und  seine  Aufmerksamkeit  nur  auf  ein»sn  Punkt 
(die  bewegliche  Notel  zu  richten,  während  er  in  seiner  gei- 
stigen Betätigung  durch  eine  Vielheit  von  feststehenden  Noten 
abgelenkt  wird.  Hierin  scheint  vorzugsweise  der  Schlüssel  für 
die  überraschenden  Erfolge,  die  beim  Gebrauch  der  beweg- 
lichen Note  im  Gesangunterrichte  sich  einstellen,  zu  liegen. 
Nachdem  die  grundlegenden  Übungen  beendet  sind,  handelt 
es  sich  freilich  nur  noch  um  eine  reproduzierende,  nicht  aber  re- 
flektierende Tätigkeit  des  Geistes.  Zur  Vervollständigung  der  me- 
tbodischen  Maßnahmen,  zur  Erweiterung  und  Vertiefung  des 
Unterrichts  muß  man  allerdings  tiach  dem  Gebrauch  der  beweg* 
liehen  zu  dem  der  feststehenden  Note  übergehen.  Das  ist  schon 
deshalb  notwendige  weil  nur  durch  feststehende  Noten  die  No- 
tation des  ganzen  Gesangstückes  dauernd  vor  das  Auge  des 
Srfiülcrs  tmd  so  der  Bau  desselben  ausreichend  zu  seiner  Er- 
Icemitnis  gebracht  werden  kann.  —  Dem  Treffen  einzelner  Tone 
ist  das  Treffen  in  Akkorden  gegenüberzustellen.   Beim  Treffen 


m 


44  Neue  Versuche  und  Häfamiiel  im  GesanguiUerriM 

im  Unisonogesang  handelt  es  sich  hauptsächlich  um  die  richtige 
Erkenntnis  der  Intervalle^  wobei  dann  die  einzelnen  Töne  mit 
oder  ohne  Vermittelung  von  Hilfstönen  resp.  der  bloßen  Repro- 
duktion der  entsprechenden  Tonvorstellimgen  gesungen  werden. 
Beim  Singen  in  Akkorden  tritt  insofern  ein  ganz  neues  Moment 
hinzu^  als  die  eigentümliche  Klangwirkung  der  Akkorde  erfaßt 
und  richtig  zum  Ausdruck  gebracht  werden  muß.  Man  ver- 
gegenwärtige sich  z.  B.,  wie  die  Quinte,  die  Terz,  die  Septime, 
wie  leiterförmige  Töne  in  Akkorden  klingen  und  wie  sie  dement- 
sprechend gesanglich  zu  behandeln  sind.  Die  Töne  der  ein- 
zelnen Intervalle  erscheinen  hier  als  Teile  organisch  ge- 
gliederter Ganze,  der  Akkorde,  die  hinwiederum  die  Elemente 
der  Harmonik  darstellen.  Kann  die  Volksschule  ihre  Kinder 
zum  Treffen  in  Akkorden  bringen?  Wer  Gusindes  Singema- 
schine beim  Gesangunterricht  verwertet  hat,  wird  diese  Frage 
ohne  weiteres  mit  „ja**  beantworten.  Die  Singemaschine  ge- 
stattet die  Vornahme  von  leichten  und  schwierigen  Akkord- 
folgen. Die  in  dieser  Hinsicht  vorgeiK>mmenen  Versuche  des 
Unterzeichneten  haben  sich  sehr  fruchtbringend  gestaltet.  Wer 
mit  leichten  dreistimmigen  Akkorden  beginnt,  und  methodisch 
stufengemäß  fortschreitet,  wird  bald  den  Erfolg  seines  Unter- 
richts merken.  Die  Kinder  werden  wahrscheinUch  rascher  im 
Singen  najch  Akkorden  Sicherheit  bekunden,  als  man  erwartet 
hat,  und  die  leidigen  Klagen  über  das  Unreinsingen  bei  mehr- 
stimmigen Liedern  werden  verstummen.  Das  sind  Erfolge,  die 
die  Freude  am  mehrstimmigen  Gesänge  sowohl  beim  Lehrer 
wie  beim  Schüler  erhöhen  müssen.  Die  Akkordfolgen  selbst 
stellen  entweder  eigene  Gedanken  des  Lehrers  oder  Sätze  aus 
Liedern  resp.  ganze  Gesänge  dar.  Da  aber  mehrstimmige  Ge- 
sänge oft  auch  schwierige,  vielleicht  gänzUch  unbekannte 
Akkorde  enthalten,  ist  aus  methodischen  und  pädagogischen 
Gründen  zu  fordern,  daß  der  Lehrer  dieselben  vorher  schul- 
gemäß  behandle  resp.  an  der  Singemaschine  vorher  darstelle, 
zunächst  entsprechende  Hilfsakkorde  einschiebe  imd  allmählich 
das  Schwierige  im  Gesangstücke  herausarbeite  und  schließlich 
das  Ungewohnte  zum  Gewohnten  erhebe.  Sollte  z.  B.  ein  Septi- 
menakkord neu  auftreten,  so  gehe  man  von  einem  bekannten 
Akkorde  aus,  lasse  dann  den  Septimenakkord  in  der  entsprechen* 
den  Lage  singen,  löse  ihn  richtig  auf,  schiebe  weitere  Akkorde 


A,  Gitsinde 


45 


ein,  bringe  wieder  und  immer  wieder  den  Septimenakkorod  bald 
in  dieser,  bald  in  jener  Umkehrung  zur  Darstellung,  bis  sich  das 
Ohr  all  seine  Klangwirkung  gewöhnt  hat.  Der  geschickte  Lehrer 
wird  in  solchen  und  ähnlichen  Fällen  mehr  an  der  Singema- 
schine zu  machen  wissen,  als  ihm  hier  gesagt  werden  kann. 
Uniweifelhaft  wird  es  ihm  aber  an  der  mehrklassigen  Volks- 
schule gelingen,  die  Kinder  in  den  oberen  Klassen  zum  selb 
ständigen  Treffen  in  Akkorden  zu  befähigen.  Von  ganz  be* 
sonderer  Wichtigkeit  bei  der  Vornahme  von  Treffübungen  ist 
der  Umstand,  daß  der  Schüler  bei  seiner  eigenen  geistigen 
Arbeit  nicht  durch  Anwendung  unzweckmäßiger  Mittel  beein- 
trächtigt werde.  Hierher  gehören  insbesondere  das  Vorsingen 
oder  Vorspielen  von  Melodien  oder  Tonfolgen  auf  der  Geige, 
j^Was  der  Schüler  finden  kann,  soll  man  ihm  nicht  geben,*'  sagte 
der  alte  Dinter.  Auf  den  Gesangunterricht  angewandt,  lau 
tet  dieser  Satz:  ,,Da  die  Kinder  2rum  selbständigen  Treffen 
der  Töne  und  Tonfolgen  gebracht  werden  können,  soll 
man  diese  weder  vorgeigen^  noch  vorspielen.'*  Viel  wich- 
tiger ist,  die  Kinder  zur  höchsten  Aktivität  zu  erregen, 
alles  möglichst  aus  ihrem  Geiste  herauszuarbeiten  und 
^o  ihre  musikalischen  Kräfte  zu  beleben  und  ta  stärken. 
Jedes  verarbeitete  Gesangstück  weckt  und  stärkt  ihre  musi- 
kaiischen  Fähigkeiten  und  gibt  ihnen  Waffen  im  Arsenal  der 
Kraft.  Das  Vorsingen  könnte  im  Notfall  bei  der  Korrektur 
imd  Tonbildung  gestattet  sein,  sonst  ist  es  zu  vermeiden.  — 
Wie  bereits  angedeutet,  schließt  sich  an  den  Gebrauch  der 
beweglichen  der  der  feststehenden  Noten.  Dabei  ist  lu  be- 
achten, daß  sich  die  Notation  eines  Gesangstückes  vor  den 
Augen  der  Kinder  vollziehen  muß.  Das  Werdende  genießt  den 
Vorzug  vor  dem  Fertigen.  Das  Werdende  ist  ein  allmählich  Ent- 
stehendes  und  erregt  das  Interesse  der  Kinder  in  höchstem 
Grade,  indem  es  ihre  Mitarbeit,  die  ^Betätigung  des  eigenen  Ichs 
als  elementarster  Lebensäußening  gestattet.  Sodann  erleichtert 
es  die  Einsicht  in  den  Bau  des  Gesangstückes  insofern,  als  all 
mählich  vom  Teile  zum  Ganzen  fortgeschritten  wird.  Dabei 
erlangt  der  Schüler  nicht  nur  eine  tiefere  Einsicht  in  die  Noten 
folge,  sondern  auch  in  die  Gesetze  der  Harmonik  und  Formen 
lehre  der  Musik,  Er  wird  befähigt,  das  im  Gesänge  Erfaßte, 
4jas  Wahrgenommene  zum  bestimmten  Ausdruck  zu  bringen. 


46  ^^^  Versuche  und  HüfimiUel  im  GesamgunUrnAL 

Das  geistige  Leben  des  Schülers  erfährt  dabei  einen  wesent- 
lichen Zuwachs,  indem  der  Blick  für  das  Musikklisch-Schöne 
erweitert  wird;  denn  dieses  besteht  nicht  nur  in  den  Tonver- 
hältnissen  an  sich,  sondern  auch  im  Bau  des  Gesangstückes, 
sowie  in  der  Folge,  Anwendung,  Verbindung  und  Zahl  der  ein- 
zelnen Sätze.  Der  Unterricht  sucht  dabei  das  unwillkürUche 
Gefallen  zu  überwinden  und  den  Geist  des  Schülers  auf  die 
Stufe  des  ästhetischen  Gefallens  und  Denkens  zu  erheben.  Dazu 
kommt,  daß  bei  der  entwickelnden  Lehrform  die  Schüler  viel- 
seitiger angeregt  werden.  Bald  berechnen  sie,  wieviel  Taktteile 
zum  vollständigen  Takte  fehlen,  bald  welche  Noten  gebraucht 
werden  könnten  usw.  Die  Singemaschine  gestattet  endlich»  die 
eigene  Selbstbetätigung  der  Schüler  beim  Aufbau  der  Notation 
noch  insofern,  ab  die  Schüler  körperliche  Noten  leicht  und  be- 
quem an  derselben  anstecken  können,  was  sie  gewöhnlich  mit 
großer  Freude  vornehmen.  Die  Noten  selbst  haben  ein  ästheti- 
sches Aussehen,  so  daß  das  Kimst-Schöne  des  Liedes  durch 
Zeichen,  deren  Anblick  nicht  das  ästhetische  Gefühl  der  Schüler 
trübt,  dargestellt  werden  kann.  Doch  das  Kunst-Schöne  verlangt 
auch  seiner  Natur  und  Wesenheit  nach  eine  eigene  Behand- 
lung. In  einzelnen  Handbüchern  der  Methodik  wird  verlangt, 
daß  der  Lehrer  eine  Melodie  zuerst  vorspiele  oder  vorsinge, 
dann  in  ihre  Teile  zerlege  und  diese  den  Klindem  einpräge. 
Dabei  dachte  man  durch  vorangegangene  Teilung  resp.  Be* 
handlung  der  Teile  das  Ganze  zu  erreichen.  Bei  den  Unter- 
richtsfächern, deren  Ziel  außerhalb  der  Kunsterziehiuig  liegt, 
mag  das  ridhtig  sein,  beim  Gesangunterricht  ist  es  verwerf- 
lich. Wer  ein  Ästhetisch-Schönes  in  Teile  zerlegt,  nimmt  ihm 
seine  geheimnisvolle  Wirkung.  Wollte  man  z.  B.  Goethes  Denk- 
mal im  Berliner  Tiergarten  zerstückeln  oder  den  Christus  von 
Thorwaldsen  in  Teile  zerlegen,  so  wäre  augenbliddich  das  Ge- 
heimnis des  Schönen,  das  diese  Ktmstwerke  umgibt,  vernichtet. 
Nim  muß  ja  zugegeben  werden,  daß  bei  Schöpfungen  der  dar- 
stellenden Kunst,  das  Sinnwidrige  der  Zerstückelung  leichter 
einzusehen  ist,  als  bei  Werken  der  übrigen  Kunstzweige.  Den- 
noch bleibt  auch  hier  bestehen,  daß  ein  Kunstwerk  nur  als 
Ganzes  entsprechend  wirken  kann.  Wer  z.B.  den  ersten  Teil 
einer  Melodie  singt,  immer  wieder  nur  allein  singt,  beendet  ihn 
jedesmal  bewußt  oder  imbewußt  in  unbefriedigter  Weise.    Sein 


A,  Gushtde, 


47 


eigenes  musikalisches  Gefühl  drängt  ihn  nach  Fortsetzung  und 
Vervollständigung  des  musikalischen  Gedankens,  Indem  aber 
diesem  Gefühl  Zwang  angetan  wird,  wird  es  verletzt  resp.  ab- 
gestumpft. Es  bleibt  schließlich  ein  Reflex  zurück,  nämlich 
eine  Schwacliung  des  natürlichen  Drängens  nach  Vervollständi- 
gung von  musikalischen  Gedanken.  Damit  ist  der  Schulung 
des  Geistes  zur  Erfassung  musikalischer  Gedanken  geradezu 
zuwidergehandelt.  Zudem  handelt  es  sich  bei  der  Kunster- 
ziehimg um  die  Entwickelung  der  Fähigkeit,  sich  mit  dem 
Kün^er  (Komponisten)  im  Denken  und  Empfinden  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  zu  identifizieren  und  den  ins  Kunstwerk  hinein- 
gelegten geistigen  Gehalt  aufs  neue  in  der  eigenen  Seele  er- 
stehen zu  lassen,  sowie  um  die  Entwickelung  des  lebendigen  Ge- 
fühls der  Befriedigung  imd  Freude  über  das  Kunstwerk.  Auch 
die  Melodie  ist  ein  Kunstwerk.  Als  solches  stellt  sie  dar  eine  Ver< 
bindung  von  Geistigem  und  Formalem  zu  völliger  Einheit,  worin 
etwa^  Geheimnisvolles  liegt,  das  die  wunderbare  Macht  be- 
gründet, mit  der  uns  ihre  Schönheit  ergreift*  Diese  geheimnis- 
volle Wirkung  rufen  aber  nicht  die  Teile  der  Melodie,  sondern 
ganze  Melodien  hervor.  Nur  die  ganze  Melodie  erweckt  das 
Gefühl  der  Lust  und  Freude  am  Schönen,  während  beim  müh- 
seligen Memorieren  ihrer  Teile  Lust  und  Freude  beeinträchtigt 
werden.  Wer  eine  Melodie  zerstückelt  und  ihre  einzelnen  Teile 
mühsam  den  Kindern  übereignet,  handelt  den  Gesetzen  der 
Ästhetik  und  Kunsterziehung  zuwider.  Er  nimmt  ihr  den  poe* 
tischen  Hauch  und  beeinträchtigt  ihre  ästhetische  Wirkung  ganz 
wesentlich,  hebt  sie  teilweise  vielleicht  gar  auf;  er  verhindert 
mehr  oder  weniger  den  Kunstgenuß  und  lehrt  die  Kinder,  sidh 
dem  Kunstschönen  nicht  zu  ,  sondern  abzuwenden, ,  Das  Schöne 
wül  geschont  sein.  Die  Melodie  muß  als  Ganzes  aufgefaßt 
tmd  empfunden  werden.  Somit  hat  der  Gesangunterricht  die 
Pflicht,  diese  Tatsache  zu  beachten  resp.  die  Melodie  als  Ganzes 
dem  Schüler  zu  übermittehi,  was  jedoch  nicht  ausschließt,  daß 
etwaige  Schwierigkeiten  für  die  Auffassung  vorher  sinnig  hin- 
weggeräumt  werden  können.  Durch  entsprechende  Treff - 
Übungen  an  der  Singemaschine  erweckt  man  das  Gefühl  der 
Lust  und  Freude  am  Schönen,  wahrend  es  beim  mühseligen 
Einpauken  der  einzelnen  Teile  eines  Liedes  beeinträchtigt  wird. 
—  Da  eine  Melodie  als  Kunstschönes  nicht  zerstückelt  werden 


43  Neue  Versuche  und  HüfimUtei  im  Gesangunierrichi 

-darf^  muß  dafür  gesor^  werden,  daß  die  Kinder  zuvor  fähig 
gemacht  werden,  sie  als  Ganzes  zu  erfassen.  Das  geschieht 
durch  zweckmäßige  Vorübungen,  wobei  an  bereits^  bekiaimte, 
bis  zur  völligen  Treffsicherheit  geübte  Intervalle  und  Ton- 
fortschritte  angeknüpft  und  allmählich  so  weit  gegangen  wird, 
bis  die  Kinder  die  schweren  Intervalle  der  Mek>die  selbständig 
treffen.  Diese  Vorübungen  sind  so  tm  halten,  daß  sie  den  Cha- 
rakter von  technischen  Übungen  bewahren  imd  den  musildali- 
^hen  Gedanken,  der  in  der  Melodie  fliegt,  nicht  erldennen  lassen. 
Da  auch  die  Rhythmik  einer  Melodie  eifaßt  werden  muß,  em- 
pfiehlt es  sich,  auch  rhythmische  Vorübimgen  vonemiehmen. 
Wie  diesie  Übungen  im  ein^lnen  sich  gestalten  müssen,  hängt 
von  der  Konstruktion  der  einzelnen  Melodien  ab.  JedenfaUs 
müssen  sie  stets  so  gehalten  sein,  daß  der  Melodie  der  Reiz  der 
Neuheit  erhalten  bleibt.  Bei  der  Einübung  von  Liedern  resp. 
Melodien  slollte  man  nicht  allein  darauf  sehen,  daß  die  Tonfolge 
an  sich  gedächtnismäßig  erfaßt  wird,  sondern  daß  sie  die 
Schüler  auch  intervallmäßig  wiederzugeben  vermögen.  Es 
gibt  Sänger,  die  wohl  Intervalle  treffen,  nidht  aber  imstande 
sind,  die  in  Noten  ausgedrückten  Gedanken  zu  lesen  oder  eine 
mit  dem  OKr  aufgenommene  Tonfolge  in  Noten  richtig  darzu- 
stellen. Beim  Treffen  der  Noten  kommt  ein  physiologisches 
Moment  hinzu,  der  Muskelsinn,  der  sich  beim  Gebrauch  des 
Stimmorgans  geltend  macht.  Die  einzelnen  Tonfblgen  erfordern 
nämlich  beim  Singen  eine  größere  oder  geringere  Anstpannung 
der  betreffenden  Muskeln,  woraus  sich  ein  gewisses  Gefühl 
entwickelt,  das  sich  mit  geistigen  Regungen  associiert  und  dem 
Sänger  eine  gewisse  Fähigkeit  bei  Treffübungen  verleiht.  Dieses 
Gefühl  ist  für  Anfänger  im  Singen  nach  Noten  recht  erwünscht, 
denn  es  erleichtert  das  Treffen  derselben.  Es  kommt  aber  beim 
Gesangunterricht  im  Sinne  der  Kunsterziehung  darauf  an,  mu- 
sikalische Gedanken  aus  den  Noten  herauszulesen,  was  dann 
der  Fall  sein  wird,  wenn  die  &af t  der  Kinder,  Tonvorstellungen 
bequem  und  gewandt  zu  reproduzieren,  hinlänglich  geübt  ist. 
Diese  Übung  ist  bei  jedem  Gesangstück  vorzunehmen.  Was 
ist  wohl  natürlicher,  als  eine  Melodie,  die  bereits  von  den 
Kindern  erfaßt  ist,  wieder  in  Noten  darzustellen?  Auffassung 
und  Darstellung  einer  Melodie  gehören  notwendig  zur  Be- 
handlung eines  Liedes.     Dort  führt  der  Weg  von  der  Ver- 


A,  Gusinde.  49 

anscfaaulichung  zur  Vorstellung,  hier  findet  das  Umgekehrte 
statt.  Man  geht  von  der  Vorstellung  zur  Darstellung,  zum 
Körperlichen  über.  Auch  hier  wird  sich  die  Singemaschine  als 
willkonunenes  Hilfsmittel  erweisen,  denn  sie  gestattet  dem 
Lehrer  die  freie  Bewegimg  der  Note,  wobei  die  Schüler  zu 
kontrollieren  haben,  ob  er  bekannte  Melodien  und  Tonfolgen 
richtig  darstellt.  Sodann  können  auch  die  Kinder  in  der  freien 
Darstellimg  der  Melodien  geübt  werden,  imd  zwar  einerseits 
durch  sfelbständige  Hantierung  mit  einer  beweglichen  Note, 
anderseits  durch  Übungen  im  Anstecken  von  körperlichen  Noten 
zwecks  vollständiger  Notation  eines  Gesangsstücks. 


Zeitschrift  für  pädagogische  Psychologiei  Pathologie  und  Hygiene. 


Zur  Behandhing  und  Bewertung:  der  grieäliiscben 
Dtchterlektflre  auf  Oyitiinaälen. 

Karl  Löschhorh. 

Die  neuesten  preußischen  Lehrpläne  schreiben  hinsichtlich 
der  griechischen  Dichterlektüre  auf  Gymnasien  eine  Auswahl 
aus  Homers  Odyssee  und  Ilias,  femer  aus  Sophokles^  eintreten- 
den Falls  auch  aus  Euripides  und,  wenn  angebracht,  aus  der 
griechischen  Lyrik  vor.  Bezüglich  des  imterrichtlidhen  Ver- 
fahrens wird  die  Aufstellung  eines  Kanons  empfohlen,  welcher 
aus  den  beiden  homerischen  Gedichten,  bez.  den  zu  lesenden 
Sophokleischen  oder  Euripideischen  Stücken,  diejenigen  Ab- 
schnitte auswählt  und  bezeichnet,  die  regelmäßig  zu  behandeln, 
die  nicht  zu  lesen  und  die  der  beliebigen  Auswahl  des  betreffen- 
den Lehrers  zu  überlassen  sind.  Natürlich  wird  jeder  Lehro" 
hierbei  den  Schülern  zusammenhängende  Bilder  vorzuführen 
sich  bemühen,  also  bei  Homer  z.  B.  mit  Nitzsch  den  heim- 
kehrenden, heimgekehrten,  Rache  sinnenden,  Rache  übenden 
und  versöhnten  Odysseus,  mit  Kiehhe  und  Bäiunlein  den  über- 
mütigen, büssenden  und  versöhnlichen  Achilleus  u.  a.,  bei 
Sophokles  den  glücklichen,  unglücklichen  und  begnadigten 
ödipus,  die  allezeit  heldenmütige,  aber  doch  der  weiblichen 
Zartheit,  in  dem  Augenblick,  als  ihr,  der  jungen  Braut,  die 
Todes^hrecken  entgegenwinken,  keineswegs  entbehrende  An- 
tigone  u.  s.  w.  Recht  beifallswert  erscheint,  daß,  wie  auch 
A.  Biese,  Pädagogik  und  Poesie.  Vermischte  Aufsätze.  IV.: 
„Die  griechischen  Lyriker  in  den  oberen  Klassen"  mit  Recht 
wünscht,  einzelne  Proben  aus  der  griechischen  Lyrik,  also  nach 
der  StoUschen  oder  einer  neueren  Anthologie  etwa  aus!  Kallinos, 
Tyrtaeos,  Mimnermos,  Solon,  Theognis,  Archilochos,  Simonides, 
einiges  aus  Anacreon,  z.  B.  Ov  (loi  fiiXei  xä  rv/eoD,  ''Ag>$g 
fie,  Totg  d^eovg  ooi,  ^H  y?   (ilXaiva  nlvet  u.  a.,   Alkaios,    Sappho, 


Aari  Lä$£kh&rm 


51 


Alcman,  Stesichcn-os  und  Bacchylides  in  imseren  Gym- 
oasieti  zu  behandeln  nicht  unterlassen  werden  soll,  falls 
die  Zeit  dazu  ausreicht.  Es  ist  die  Aufnahme  einiger 
Partien  aus  der  griechischen  Lyrik  in  die  Lehraufgaben  um 
so  dankenswerter,  ab  dieses  so  schöne  und  lehrreiche,  zur 
schulmäßigen  Bildung  des  Geschmacks,  insbesondere  des 
Schönheitsbegriffs,  höchst  wichtige,  also  padagogisch-psydho* 
logisch  überaus  wirkimgsvoll  verwendbare  Gebiet  bisher  im 
Unterricht  fast  ganz  vernachlässigt  zu  werden  pflegte.  Dazu 
kommt,  daß  es,  indem  es  mm  Schönen  hinführt,  eine  treffliche 
Ergänzung  zur  Beschäftigung  mit  den  griechiskrhen  Tragikern, 
soweit  diese  auf  Schulen  überhaupt  gelesen  werden  können, 
bietet,  denn  letztere  ersieht  gum  Erhabenen. 

Alle  philosophischen,  namentlich  die  ethischen  Grund- 
begriffe sind,  in  ihren  ersten  Anfängen  wenigstens,  praktisch 
dem  Schüler  schon  im  Homer  vor  Augen  geführt.  Man  kann 
getrost  sagen,  daß  kein  Dichterwerk  in  der  alten  Welt,  aber 
auch  in  der  Neuzeit  denselben  unberechenbar  großen  Einfluß 
auf  das  ganze  Gebiet  der  bildenden  Kunst  und  Poesie,  ins- 
besondere auf  ihren  Inhah,  aber  auch  auf  die  frühzeitige  Er- 
delung  einer  richtigen  plastischen  Imagination  imd  die  Ge- 
winnung lebenswahrer  Anschauungen  bei  Schülern  sowohl  als 
bei  Erwachsenen  gehabt  hat.  Aber  noch  mehr.  Finden  sich 
nicht  schon  die  ersten  Grundlagen  christlicher  Theologie  bei 
Homer?  Nach  Od.  IV,  237,  379  besitzen  die  homerischen 
Götter  absolutes  Erkennen  und  Vermögen,  nach  Od.  XI V,  84, 85, 
sind  sie  unbedingt  sittlich  gut  und  herrschen  mit  der  größten 
Gerechtigkeit.  Auch  die  erste  Angabe  des  Beweises  für  das 
Dasein  Gottes  e  consensu  gentium  findet  sich  bei  Homer,  nämlich 
Od.  Ill,  48.  Ein  großer  Teil  psychologischer  Hauptlehren, 
namentlich  die  von  der  unvollkommenen  und  vollkommenen 
Wahrnehmung,  also  der  Perzeption  und  Apperzeption  oder  Auf- 
merksamkeit,  die  von  der  Phantasie  als  dem  inneren  Bildungs- 
vermögen der  Seele  und  die  von  der  Darstellung  der  von  dieser 
geschaffenen  schönen  Gebilde,  also  hauptsächlich  der  Dicht* 
kunst,  nicht  minder  jedoch  auch  die  Grundzüge  der  Gesetze 
von  den  sympathischen  und  antipathischen,  mithin  auch  den 
Wertgefühlen,  die  Lehren  von  den  Affekten,  der  sittlichen  Frei- 
heit u*  a.  lassen  sich  leicht  an  typischen,  dem  Homer  entlehnten 

4* 


52       Z^^  BehandL  u.  Bewertung  der  grieck.  Dichterieklüre  auf  GymnasieH, 

Beispielen  illustrieren^  wenn  man  nur  Ernst  damit  machen  will. 
Hat  nicht  femer  der  große  Lessing  unwiderleglich  nachge- 
wiesen, daß  schon  Homer,  indem  er  den  Schild  des  Achilles 
nicfht  als  einen  fertigen,  sondern  als  einen  vor  imseren  Augen 
entstehenden  beschreibt  und  Telemachos  oder  Agamenmon  sich 
selbst  jedes  Kleidungsstück  ebenfalls  vor  unseren  Augen  um- 
und  antim  läßt,  das  Gesetz  beobachtet  hat,  wonach  Körper 
mit  ihren  sichtbaren  Eigenschaften  Gegenstände  der  Malerei, 
Handlungen  die  der  Poesie  sind  und  daß  die  Malerei  zwar  auch 
Handlungen,  aber  nur  andeutungsweise  durch  Körper,  nach- 
ahmen kann,  wie  die  Poesie  andererseits  auch  Körper,  aber  nur 
andeutungsweise  durch  Handlungen,  zu  schildern  imstande  ist. 
Bekannt  ist,  daß  auch  Schiller  und  Goethe,  z.  B.  im  Spazier- 
gange, bez.  in  Hermann  und  Dorothea  sich  genau  nach  diesem 
schon  bei  Homer  niemals  verletzten  Gesetze  gerichtet  haben. 
Homer  ist  der  bedeutendste  naive  oder  Natiudichter,  der  je 
gelebt,  zumal  seine  Gedichte  das  ganze,  damals  bekannte  Reich 
der  Natur  behandeln  oder  wenigstens  berühren.  Er  bescbränkt 
sich  nicht,  wie  die  bildende  Kunst,  auf  die  Darstellomg  der 
Schönheit  und  des  Guten,  sondern  zieht  auch,  unbewußt  den 
Les^singschen  Regeln  entsprechend,  das  Häßliche  und  Schreck- 
liche in  seinen  Bereich,  wie  die  Beispiele  von  Thersites,  Iros, 
Polyphemos,  dem  das  Auge  ausgebrannt  wird  und  der  nun 
an  seiner  Höhle  und  den  sie  umgebenden  Felsen  herumtastet, 
dem  Freiermord,  der  mit  allen  seinen  blutigen  Einzelheiten  ab- 
gemalt wird,  u.  a.  aufs  deutlichste  zeigen.  Hochwichtigen  Ein- 
fluß übt  also  Homer  auch  auf  den  deutschen  Unterricht  aus, 
vorzugsweise  bei  der  Erklärung  des  Laokoon.  Sehr  treffend 
und  noch  heutzutage  überaus  bedeutsam  sind  entschieden  die 
von  Lessing  für  die  Dichtkunst  aufgestellten  Gesetze,  wenn 
auch  nicht  zu  leugnen  sein  dürfte,  daß  einige  seiner  Aus- 
führungen über  Malerei  in  seinem  Sinne  bei  den  wesentlicfa 
veränderten  Objekten  und  Zielen  der  gesamten  bildenden  Kunsit, 
hauptsächlich  aber  dem  außerordentlich  erweiterten  Umfange 
derselben  in  unseren  Tagen  überholt  sind.  Wem  fiele  endlich 
nicht  Hör.  ep.  I,  2,  3 — 4  ein,  wo  Homers  einfache  Philosophie 
den  Lehren  aller  späteren  Philosophenschulen  vorgewogen  ^i^id? 
Wem  nicht  die  weiteren  Ausführungen  des  Horazs  in  deneifaien 
Epistel  über  den  erziehUchen  Wert  der  Ilias  und  Odyssee,  na- 


Karl  Ut*£khom* 


53 


mentlich  auch  bezüglich  ihrer  charakteristischen  Unterscheid 
düng  der  Affekte  und  Tugenden,  die  in  jeder  einzehien  der 
beiden  unsterblichen  Epopöen  vorwiegend  zum  Ausdruck  ge- 
bracht werden  sollen  ?  Freut  sich  nicht  Schiller,  daß  auch  ihm, 
bei,  den  Deutschen  die  Sonne  Homers  glänze  ? 

Ja.  es  steht  fest,  nicht  bloß  Hellas  hat  der  Homer  erzogen, 
wenn  auch  zunächst  der  griechische  Knabe  an  ihm  das  Lesen 
übte  und  seine  lebensweisheitsvollen  Senten2en  auswendig 
lernte,  um  sie  das  ganze  Leben  hindurch  zu  behalten  und  2U 
bewahren,  und  der  grietrhisfche  Mann  seine  höchsten  Tugend- 
ideale in  den  homerischen  Helden  fand.  Die  ganze  Menschheit 
hat  der  Homer,  der  Dichter  des  vollendeten  ewigen  Werk% 
im  Laufe  der  Zeit  durchdrungen;  für  uns  Deutsche  ist  die 
Obersetirung  von  Voß  das  Meisterwerk  aller  Übersetzungen  ge- 
worden und  es  liegt  keine  Unterschätmng  deutscher  Literatur 
und  deutschen  Wesens  darin,  wenn  wir  zuversichtlich  behaupten, 
daß  auch  jetzt  noch,  trotzdem  schon  seit  1800  im  Unterricht 
der  preußischen  und  infolgedessen  auch  der  meisten  deutschen 
Schulen  überhaupt  auf  die  deutsche  Sagengeschichte  Verhältnis* 
mäßig  recht  viel  Wert  gelegt  wird,  uns  die  alten  homerischen 
Helden  immer  noch  vertrauter  und  lieber  sind  als  die  unserer 
eigenen  alten  Sage.  Bekannt  ist,  daß  die  Ilias  und  Odyssee  für 
die  ganze  weitere  griechische  Epik,  Lyrik  und  Dramatik  eine 
überaus  reiche  Fundgrube  boten  und  selbst  der  älteste  der  drei 
großen  Tragiker  Aschylos  seine  gesamte  Poesie  nur  als  Bro- 
samen vom  großen  Mahle  desi  Homer  zu  bezeichnen  pflegte. 
Aber  die  homerischen  Gedichte  entrollen  selbst  schon  dra- 
matisch überaus  interessante  und  spannende  Szenen,  wie  die 
Entwicklung  des  Streites  zwischen  Agamemnon  und;  Achilles»  die 
Wiedererkennung  des  Odysseus  von  Telcmach,  der  Pflegerin 
Eurykleia  und  zuletzt  der  Penelope,  Hektorsi  Abschied  von  An- 
dromache,  das  wachsende  Interesse  für  die  Erzählungen  des 
Odysseus  in  seinen  verschiedensten  Lebensverhältnissen  seitens 
aller  Zuhörer  u,  a,,  mit  einem  Worte :  Homers  Dichtimgen  ent- 
halten bereits  die  älteste  Einführung  in  die  Dramatik. 

Von  Sophokles  müssen  in  der  Gymnasialprima  mindestens 
zwei  Stücke  gelesen  werden;  es  wäre  ferner  wenigstens 
wijnschenswert  und  nicht  schwer  durchführbar,  daneben  noch 
den  Prometheus   des  Aschylos  und   die  Medea  des  Euripides 


54        ^'"'  Bthandi.   u.  Bew^iung  dir  griech. 


t«f  au/G^mnauen. 


ZU  behandeln.    Denn  ersterer  ist,  wie  Baumeister  in  den  j,Lehr- 
pmben   und    Lehrgängen^*   1902,  IL  Heft   LXXL,    S.  101    mi 
Recht   hervorhebt,   für   Primaner  auch  heutzutage  noch  nich^ 
zu  schwer,  bietet  übrigens,  was  für  den  christlichen  Religions 
Unterricht  durchaus  nicht  zu  unterschätzen  sein  dürfte,  wie  aller- 
dings schon  von  früher  her  nicht  unbekannt  ^ist  und  noch  neuerj 
dings  von  Schröder  in  seinem  gediegenen  Programm:    „Zt 
menhang  des  Religionsunterrichts  mit  dem  griechischen  xmi 
römischen   Altertum  und  dessen   Behandlung**.     KatheL   Pr 
gymnasium  zu  Frankenstein  in  Schlesien*    1902.    Nr.  203,  S.  1% 
gebührend  betont  wird,  das  Protevangelium  von  der  Verheißunj 
eines  Erlösers  in  fremdartiger  Vermischung*    Das  erste  Weil 
also  die  Stammmutter  des  Geschlechts,  Pandora,  bringt  durcf 
Öffnen  eines  Fasses  alles  Unglück  über  die  vorher  mühck 
und  unbedingt  glücklich  dahin  lebenden  Menschen  und  Pro 
metheus  wird  zu  ihrem  größten  Wohltäter,  weswegen  er  namen- 
lose Qualen  erleiden  muß,  die  er  indessen  im  Gefühl  seiner  Un- 
sterbHchkeit  und  in  tröstlicher  Zuversicht  auf  seinen  Befreier 
Herkules  geduldig  erträgt.    Auch  die  Theorie  der  Erbsünde 
findet  sich  schon  in  der  Prometheiissage,  was  um  so  wichtiger 
ist,  als  Luther  gerade  darauf  seine  gan^  Rechtfcrtigungs-  und_ 
Erlösungslehre  aufbaut,  denn  die  unglückseligen   Folgen  de^ 
ersten  Sünde  erstreckten  sich  auf  das  ganze  MenschengeschleiAl 
wie  später  bekanntlich  Ovid,  Metam.  VII,  IQ— 21   und  Amof 
3,4, 17  so  schön  ausgeführt  xmd  schon  Homer  Od.  111.  236—238. 
ähnlich  wie  Soph.  Oed,  Col.  1224—1227,  andeutet. 

Wom  Euripides  würde  Verf.  nur  die  Medea,  hauptsächlich 
ihres  berühmten  Monologs  wegen,  lesen  lassen»  nicht  aber,  wie 
Baumeister  a,  a,  O.  will,  daneben  noch  die  Bacthen,  die  wif 
ein  für  allemal  der  Universität  zugewiesen  sehen  mochten, 
wie  sie  denn  tatsächlich  von  jeher  sehr  häufig  erst  auf  der  Hoch- 
schule interpretiert  worden  sind  und  noch  werden.  Von  So- 
phokles ist,  wie  Baumeister  a.  a.  O.  zutreffend  urteilt,  jedes 
Stück  außer  den  Trachinierinnen  nach  Inhalt  und  Form  füi 
Schüler  gleich  gut.  Die  Programme  ergeben  jedoch,  daß  auf 
deutschen  Gymnasien  fast  nur  Antigone  und  König  Odipus, 
allenfalls  noch  Ajax  und  Electra,  aber  fast  gar  nicht  mehr 
Ödipus  Coloneus  und  Phik>ktet  gelesen  werden,  während  doch 
im  Ajax  die  beiden  großen  Monologe  des  Haupthelden,  nament- 


Karl  Ukchhom. 


55 


Uch  der  zweite,  also  die  überaus  wehmütige^  ja  herzzerreißende 
Abschiedsrede  nicht  minder  als  das  muntere  Tanzlied  zur  Freude 
über  die  vermeintliche  Sinnesanderimg  des  Ajax  entschieden, 
auch  ps>^<rhologjsch  betrachtet,  geradezu  Meisterwerke  des  Ge- 
fühlsausdrucks sind  und  Neoptolemos  im  Philoktet  sich  sehr 
wobl  mit  Goethes  Iphigenie  vergleichen  läßt.  Denn  beide  sollen 
eine  lediglich  durch  List  ausfuhrbare,  von  einem  klug  be- 
rechnenden Dritten  ihnen  als  einziges  Mittel  empfohlene  Hand- 
lung vollbringen,  greifen  dieselbe  auch  tatsächlich  an,  schrecken 
dann  aber  vor  dem  Mittel  zurück,  um  sich  schließlich  wieder 
io  ihrer  ursprünglichen  Aufrichtigkeit  und  Reinheit  zu  zeigen. 

Man  wird  es  nicht  mißbilligen,  vielmehr  nur  als  pädagogisch 
Ttchtig  bezeichnen,  daß  in  den  neuesten  preußischen  Lehrpläneiv 
zwecks  Gewinnung  typischer  Gestalten  und  Gesamtbilder  des 
Altenums  seitens  der  Schüler  dem  Lehrer  gute  Übersetzungen 
heranzuziehen  geraten  wird,  um  das  in  der  Ursprache  nicht 
vollständig  Gelesene  zu  ergänzen.  Gänzhch  ausgelassen  werden 
kann  übrigens  der  letzte  Teil  des  Ajax,  vielleicht  auch  aUe  oder 
doch  die  meisten  Chorüeder  aus  dem  König  Ödjpus,  da  in 
diesem  dramatischen  Meisterw^erk  hauptsächlich  die  Schilderung 
des  merkwürdigen  Sturzes  des  Haupthelden  aus  dem  höchsten 
Glück  ins  höchste  Unglück  sogar  bei  psychologisch  wenig  oder 
gar  nicht  geschulten  Lesern  das  Hauptinteresse  erregen  muß. 
AUerdings  werden  auch  das  erste  Chorlied  und  der  großartige 
Schluß  in  volltönenden,  dabei  aber  tieferasten  trochäisfchen  Ok- 
tonarien  ihren  gewaltigen  Eindruck  auf  fühlende  Herzen  und 
Sinne  nicht  verfehlen. 

Das  eigentUche,  an  pädagogisch-psychologisch  überaus  in- 
struktiven Situationen,  Seelenzustanden  und  Charakteren  reich- 
ste, formell  und  materiell  geeignetste  Schulstück  des  Sophokles 
ist  jedoch  und  wird  stets  bleiben  die  Antigone^  die  m^Hp  wie  es 
früher  nicht  allzu  selten  geschah,  am  liebsten  vollständig  aus- 
wendig lernen  imd  sein  ganzes  Leben  hindurch  als  teures  Erb- 
stück behalten  möchte.  Schüler  hat  in  seinem  noch  jetzt  wohl 
2U  beheraigenden  Aufsatz:  „Über  die  tragische  Kirnst"  die 
<ler  oragischen  Rühnmg  zu  Grunde  liegenden  Bedingungen  ge- 
na^  untersucht  und  festgestellt,  daß  die  tragische  Handlung, 
an  der  wir  als  Zuschauer  teilnehmen  sollen,  eine  moralische, 
d.  h.  aus  dem  Gebiet  der  Freiheit  entnommene  stein  muß.  D^nn 


5g        ^r  B^ktm^,  u.  Beaf£riung  d^r  grieck.  Dicht^rUkiüre  auf  Gy$nnAritn, 


muß,  wie  Schiller  a.  a.  O.  wörtlich  fortfährt,  das  Leiden,  seinel 
Quellen  und  seine  Grade  in  einer  Folge  verknüpfter  BegebenJ 
heiten   vollständig    mitgeteilt   und    drittens  sinnlich  vergegen-1 
wärtigt,  nicht  mittelbar  durch  Beschreibung,  sondern  unmittel- 
bar durch  Handlung  dargestellt  werden.    In  dem  nicht  minder 
trefflichen  Aufsatz:    »jÜber  den  Grund  desi  Vergnügens  an  tra- 
gischen Gegenständen**  hat  Schiller  bewiesen,  daß  uns  selbst 
die  durchgeführte  Konsequenz  böser  Handlungen,  wie  in  deut^ 
liebster  Weise  bei  Kreon,  obwohl  diese  an  und  für  sich  unseremi 
moralischen  Gefühle  durchaus  widerstreiten,  dennoch  ergotatJ 
also  Zweckmäßigkeit  uns  unter  allen   Umständen  Vergnügenl 
bereitet j  sowohl  wenn  sie  sich  gar  nicht  auf  das  Sittliche  t>eJ 
lieht  als  auch  wenn  sie  demselben  sogar  offenbar  widerstreitetJ 
Alle  diese  Forderungen  sind  bei  Sophokles  und  Euripides  voU* 
kommen  erfülh,  wenn  man  andererseits  natürlich  auch  nicht 
leugnen  kann,  wie  u.  a.  Baumeister,  a.  a,  Ü.  S,  100  urteilt,  daß 
die  Tragödien  dieser  beiden  griechischen  Dichterheroen  hin- 
sichtlich   der  Großartigkeit  des  Aufbaues^  der  Charakteristik 
und  selbst  zuweilen  der  Ausdrucksweise  von  Shakespeare  und 
Schiller  überholt  sind,  obwohl  ich.  offen  gestanden,  darin  nicht 
ganz  so  weit  gehe  als  der  genannte  berühmte  Schulmann,  denn 
ich  trage  durchaus  kern   Bedenken,  den  Euripides  bezüglicl 
seiner  Schilderungen  der  Leidenschaften  dem  ersten  Meiste^ 
dieser  Kunst,    Shakespeare,    völlig  gleichmsetzen  und  bei  Sc 
phokles  eine  musterhafte  Behandlung  dramatischer  Kunstgriffe 
wie  den  Übergang  vom  höchsten  Glück  ins  entsetzlichste  Ui 
glück,  die  schroffen  Gegensätze  der  Charaktere,  unvorbereitet^ 
und  daher  unerwartete  Erkennungsszenen  und  ähnlicheSt  an- 
zuerkennen.   So  urteilt  Baumeister  a-  a.  O.  ganz  richtig,  wem; 
er  die  auf  unseren  Gymnasien  zu  lesenden  Sophokles-  und  Eur^ 
pidesstücke,  von  welchen  letzteren  ich  aus  dem  oben  angeführte^ 
Grunde  allerdings  lediglich  die  Medea  in  Betracht  ziehe,  ge 
rade  wegen  ihrer  durch  die  ganzen  Verhältnisse  des  Altertur 
bedingten   Einfachheit   als   lehrreiche,   ich   möchte  sagen,   d\i 
besten,  weil  pädagogisch -psychologisch  am  meisten  geeigneten 
Muster  und   Vorstufen   für  jene  höheren   Leistungen   ansieht 
Dazu  kommt,  daß  sich  die  für  das  Verständnis  der  Schüler  viet 
fach  etwas  vagen  Begriffe  des  Idealismus  und  Realismus  am 
besFten  durch  eine  Gegenüberstellung  des  Sophokles  und  Euri 


Kari  lätehhQm. 


57 


pides,  welche^  weil  sie  fast  auf  der  Hand  liegt,  gar  nicht  einmal 
bis  in  alle  oder  auch  nur  einige  Einzelheiten  hinein  durchgeführt 
zu  werden  braucht,  im  Unterricht  erklären  lassen^  denn  So- 
phokles war  Idealist^  weil  er  die  Menschen  so  darstellte^  wie 
sie  sein  sollten,  Euripides  Realist,  weil  er  sie  zeichnete,  wie 
sie  w  irklich  waren.  Zu  beachten  ist  auch,  daß  die  Schicksals- 
idee bei  Sophokles  sehr  zurücktritt,  während  sie  bei  Äschylos 
eine  Hauptrolle  spielt,  denn  bei  ersterem  wird  der  unglückliche 
Mensch,  von  dessen  leidvollem  Schicksal  das  Stück  handelt,  von 
den  Göttern  meist  gnädig  aufgenommen  und  seine  Personen 
sind,  weil  sie  aus  eigenem  Antriebe  handeln,  sittliche  Charaktere, 
auch  entbehren,  was  bei  der  Lektüre  und  Erklärung  der  Harn- 
burgi sehen  Dramaturgie  entschieden  klargestellt  werden  muß, 
seine  Stücke  noch  einer  gelegentlichen  Darstellung  sittlicher  Kon- 
flikte und  daher  auch  einer  wirklich  dramatischen  Entwicklung, 
worin  gerade  die  Meisterschaft  des  Sophokles  besteht,  aber 
andererseits  die  schw^ächste  Seite  des  Euripides,  der  sich  zwecks 
Verdeckttng  dieses  Schadens  mit  dem  erzählenden  Prolog  im 
Anfang  und  dem  deus  ex  machina  am  Schluß  helfen  muß.  Euri- 
pides, von  einer  Welt  voll  Leidenschaften  und  Verderbnis  um- 
gebeüj  w^andelt  die  idealen  Charaktere  in  gewöhnliche  Personen 
um  und  behandelt  in  seinen  Tragödien  die  Probleme  der  Pöbel- 
berrschaft,  entwickelt  aber  auf  dieser  Gnmdlage  in  vortreff- 
licher Weise  die  Lehre  von  der  Gerechtigkeit  Gotteä  in  bezug 
auf  die  gesamten  menschlichen  Verhältnisse,  nachdem  er  die 
mythologischen  Götter  mit  ihren  unedlen  Trieben  und  Sinnen 
in  physikalische  Begriffe  aufgelöst  hat.  Welcher  Reichtum 
an  psychologischen,  für  die  Schule  vei*wendbaren  Gegenständen 
und  Fragen  1 

Wir  hatten  oben  behauptet,  daß  die  ^^tigone  das  Sopho- 
kleische  Schulstück  xar  igox*}»  sei.  Ist  es  nicht  eine  fets- 
stehende  Tatsache,  daß  viele  erwachsene  Leute,  die  nicht  einmal 
den  Xenophon  mehr  übersetzen  und  höchstens  notdürftig  grie- 
chisch deklinieren  und  konjugieren  können,  noch  im  Greisen- 
alter ganze  Chorlieder  aus  dieser  Tragödie,  namentlich  das 
zweite  und  vierte,  oder  die  Abschiedsstrophen  der  Antigene 
von  der  Welt  mit  erstaunlicher  Sicherheit  auswendig  wissen? 
Sollte  es  nur  die  Schönheit  der  metrischen  Form  sein,  die  einen 
solcbeii  Einfluß  auszuüben  vermag?    Ja  leicht  und  melodiös 


gg        Zur  BehandL  «.  ß^xttriung  der  j^ricch,  DkkUfUkiürt  au/Gj^mnamm. 


fließen  des  Sophokles  Trimeter  dahin,  großartig  schön  und 
ergreifend  klingen  seine  logaödischen,  choriambischen  und  zu- 
letzt die  dochmischen  Gesänge,    Mehr  aber  noch  sind  es  die 
erhabenen    Gedanken,    die   Teligionsphilosophischen,  Gnmdbe- 
griffe  und  die  psychologisch  überaus  feinen  Schildeningen  der 
wechselnden  Gefühle,  die  jeden  Hörer  und  Leser  mit  unwider- 
stehlicher  Gewalt   fortreißen.    Schwärmt  nicht  noch   jeder  in 
dankbarer    Erinnerung  an  seine  Jugendzeit  und    jugendlicher 
Begeisterung  von  der  im  zweiten  Chorlied  der  Antigone  {jtoZJbß^ 
ra    ö'fiva     novölv     dv^QiSjtov     (SitvoTaQar     TiiXet)     geschilderten 
gewaltigen  Kraft  des  Menschen,  die  sich  die  ganze  Natur  Unter- 
tan macht,  Sprachen  erlernt  und  erfindet,  Städte  und  Staaten 
gründet,  alle  weltlichen  Hindemisse  überwindet  und  nur  dem 
Tode  nicht  entfliehen  kann?    Freükh.  lehrt  der  Chor  weiter, 
darf  der  Mensch  seine  Fähigkeiten  niemals  überschätzen  und 
mißbrauchen,  indeni  er  dadurch  die  menschlichen  und  göttlichen 
Gesetze  zu  übertreten  beginnt.   Glänzend  und  in  hohem  Grade 
drastisch  ist  die  Beschreibung  der  aufgehenden  Soxme  im  ersten 
Chorhede,  zugleich  e'm  Muster  metaphorischer  Darstellung  im 
Sinne  von  A.  Biese;  wonnig  beleuchtet  sie  die  Stadt  Theben 
als  günstiges  Vorzeichen  für  den  bevorstehenden.  Frieden  und 
die  weitere  Ruhe  und  Sicherheit  in  ihren  Mauern;  kein  trüber 
Gedanke,  keine  unliebsame  Erinneruiig  an  frühere  Zeiten  soll 
mehr  auftauchen;  nur  des  von  den  Göttern  gewährten  Sieges 
und  der  ihnen  dafür  schuldigen  Huldigung  solle  man  gedenken. 
Das  dritte  Chorlied  der  Antigone  enthält  schon  denselben  Ge- 
danken wie  Schillers  berühmter  Ausspruch :  „Des  Lebens  unge*  ^j 
mischte  Freude  ward  keinem  SterbUchen  zu  teiL"  Prachtvotl^H 
ist  auch  das  vierte,  von  der  Allgewalt  der  Liebe  handelnde  Chor-~ 
lied.   Es  zeigtj  daß  sich  ihrer  Herrschaft  zwar  keiner  entliehen 
kann,  aber  ni^nand  ihr  unterliegen  darf,  wenn  ^e  auch  oft 
selbst  bei  der  Beurteilung  der  höchsten  menschüchen  Gesetze 
eine  entscheidende  Rolle  gespielt  hat,  —  wiederum  ein  wich- 
tiger  Beleg  für  ein  psychologisches  Haupt gesetz,  nämlich  die 
gegenseitige  Begrenzung  der  Affekte,    Herzzerreißend  und  zu- 
gleich metrisch  unvergleichlich  dargestellt  sind  die  Gewissens* 
bisse  des  Kreon,  der  im  Schlußkommos  zu  spät  erkennt,  daß 
er  alles  Unglück  seines  Hauses  allein  heraufbeschworen  hal; 
selbst  das  verdorbenste  Gewissen  muß  die  in  den  Schlußana- 


Kart  Läschhiirti. 


m 


pästen  des  Stückes  ausgesprochene  Lehre,  wonach  das  Wohl- 
ergehen der  Menschen  auf  Besonnenheit  beruhe,  aufrütteln 
und  es  noch  rechtzeitig,  ehe  es  zu  spat  ist.  auf  den  Weg  der 
Tugend  führen.  Fast  christUch  ist  hier  die  Macht  des  Ge- 
wissens geschildert. 

Ahnliche,  psychologisch  und  ethisch  mehr  oder  weniger  be- 
deutsame Gedanken  finden  sich  in  allen  Stücken  des  Sophokles, 
namentlich  den  auf  unseren  Gyranasien  gewöhnlich  gelesenen. 
Aber  auch  auf  die  Gewinnung  einer  richtigen  Denkfähigkeit 
im  ailgemeinen  kann  die  Sophokleslektüre  nur  günstig  ein- 
wirken, d.  h.  Klarheit  und  Deutlichkeit  des  Denkens,  al^  die 
imellektuellen  Gefühle  bei  den  Schülern  erwecken  und  fördern, 
da  der  logische  Zusammenhang  der  einzelnen  Stücke  völlig 
durchsichtig  und  viel  einfacher  ist  als  z.  B.  in  der  durch  Zu- 
sätze \md  Nachdichtungen  vielfach  zerrissenen  llias,  ja  selbst 
in  der  Odyssee,  in  der  man  langst  die  einzelnen  Bestandteile 
jüngerer  Bearbeitungen  und  die  Interpolationen  der  Pisistrati- 
denrezension  von  dem  alten  mcTQ^  klar  geschieden  hat  Da^u 
kommt,  daß  der  Schauplatz  der  Handlungen  in  den  sopho- 
kkischen  Stücken  sich  fortgesetzt  gewissermaßen  von  selbst 
vor  unseren  Augen  abspiegelt,  eine  Tatsache,  die  das  An- 
schauungsvermögen  der  Schüler  zu  erhöhen  imstande  ist,  wenn 
sie  vom  Lehrer  ununterbrochen  darauf  hingewiesen  werden. 
Überall  finden  wir  ferner  bei  Sophokles  bereits  die  Grundlagen 
der  christlichen  Ethik  und  zwar  in  einer  über  die  homerische 
Sittenlehre  hinausgehenden  Form  und  Ausprägung,  wenn  auch 
im  einzelnen  nicht  zu  leugnen  ist,  daß  die  Grundprinzipien  des 
höchsten  Gutes,  der  Tugend  imd  der  Pflicht,  wie  zuerst  Mar- 
tensen  erkannt,  weniger  für  die  christliche  Ethik  als  für  die 
antike  passen ^ 

Der  Begriff  des  Erhabenen»  auf  den  wir  schon  oben  hin- 
wiesen, wird  endhch  den  Schülern  an  d^i  sopbokleischen 
Tragödien  recht  leicht  klar  zu  machen  sein,  wie  die  des  Schönen 
an  d^i  auszuwählenden  lyrischen  Stücken,  beides  im  Schiller* 
sehen  Sinne*  Das  erstere  erklart  Schiller  in  seiner  Abband- 
hmg:  ,,Über  das  Erhabene"  ab  ein  aus  Lust  und  Unlusi  ge- 
mischtei^  und  dieser  berechtigten  Auffassung  entsprechend  kann 
man  auch  das  Tragische,  Komische  und  Roniantische  zu  den  ge- 
miftcitren  Gefühlen  rechnen  und  in  diesem  Sinne  erklären.  Schü 


(^       Zur  SekmäL  u.  Bewertung^  der  ^wuek,  DükierUktur^  tmf  üymmatim. 


kr  verstehen  diese  Erklärung  leicht.  Vom  Schönen  ist  bei 
Schiller  viel  idie  Rede,  besonders  in  den  Abhandlungen:  „Über 
die  ästhetische  Erziehung  des  Menschen"  und  „Über  die  not* 
wendigen  Grenzen  beim  Gebrauch  schöner  Formen***  Im  zehn- 
ten Briefe  über  die  ästhetische  Erziehung  behauptet  der  Ver- 
fasser mit  Recht,  daß  die  Schönheit  zwischen  Roheit  undi 
Erschlaffung  glücklich  hindurchleitct,  in  dem  zweiten  Aufsatzj 
daß  das  wahrhaft  Schöne  sich  auf  die  strengste  Bestimmtheii^| 
die  genaueste  Absonderung  und  die  höchste  innere  Notwendig-^ 
keit  gründe,  in  der  Voraussetzung,  daß  sich  diese  Bestimmtheit 
eher  finden  lassen  muß  als  sich  gewaltsam  hervordrängen  und 
die  höchste  Gesetzmäßigkeit  als  Natur  erscheint.  Ein  solches 
Produkt,  sagt  Schiller  weiter  wörtlich,  wird  dem  Verstand  voll-^ 
kommen  Genüge  tun,  sobald  es  studiert  wird,  aber  eben  weil  es 
wahrhaft  schön  ist,  so  dringt  es  seine  Gesetzmäßigkeit  nicht 
auf,  so  wendet  es  sich  nicht  an  den  Verstand  insbesondere,  son- 
dern spricht  als  reine  Einheit  zu  dem  harmonierenden  Ganzen 
des  Menschen,  als  Natur  zur  Natun  Diese  natürliche,  nocl 
nicht  zu  der  höheren  Instanz  des  Erhabenen  entwickelte  SchÖn-^ 
heit  kann  nun  der  Schüler  am  leichtesten  an  den  bedeutendsten! 
Proben  der  griechischen  Lyrik  kennen  lernen.  Denn  die  überall 
in  Griechenland  infolge  der  Wanderungen  ausgebrochenen  Gäh* 
rungen  und  Kämpfe  hatten  das  Volk  zur  bewußten  Empfindung 
seiner  Lage  gebracht  und  so  die  Lyrik  hervorgerufen,  in  wel- 
cher das  im  Epos  ganz  zurücktretende  Subjekt  seine  Gefühle 
ausspricht.  Hierbei  knüpften  die  Dichter  zxinachst,  wie  natür* 
lieh,  an  die  sie  umgebende  Gegenwart  an,  um  wirksam,  nament* 
lieh  ermutigend  und  anfeuernd^  in  dieselbe  einzugreifen,  und 
so  erstanden  die  in  ihrer  Art  imvergleichlichen  Elegiker  auf  der 
Gebiete  kriegerischer  und  politischer  Lieder,  wie  Tyrtaeos.  So- 
Ion  und  Theognis.  Erst  später  brachten  die  Lyriker  auch  di 
Empfindungen  des  eigenen  Herzens  zum  Ausdruck.  Bei  dieser 
Gelegenheil  wollen  wir  nicht  imerwähnt  lassen,  daß  auf  das^ 
leider  immer  noch  zu  wenig  beachtete  Erziehungsideal  im  ari-* 
stokratischen  Geiste  der  dorischen  Musterzeit,  wie  es  des  Theo- 
gtiis  fvvSficu  jtQog  KvQvoT  eüthalten,  beim  Unterrichte  in  den  grie- 
chischen Lyrikern  sehr  großes  Gewicht  gelegt  werden  muß^ 
zmnal  sie  bereits  ein  Vorbild  von  Xenophons  Cyropädie  bieten«! 
Auch  Solon  hat  als  gnomisch-elegischer  Dichter  insbesondere 


Kari  UschM&m. 


Öl 


auch  dadurch  große  Bedeutung,  daß  er  vermöge  seiner  durch- 
aus edlen  Gesinnung  seine  Aussprüche  vielfach  schon  auf  Gott- 
vertrauen  und  Gerechtigkeit  der  Wellordnung  aufbaut.  Mim- 
nermos,  der  liebliche  Sänger,  gilt  als  einer  der  bedeutendsten 
erotischen  Dichter  der  Griechen.  Archilochos,  erfindungsreich 
m  Metrik,  Musik  und  musikaUschem  Vortrag,  wurde  von  den 
Alten  nicht  mit  Unrecht  mit  Homer,  Pindar  und  Sophokles  ver- 
glichen: er  zeichnete  sich  entschieden  durch  künstlerische 
Genialität  und  Vollendung  der  Sprache  aus;  auch  weist  seine 
persönliche  Bitterkeit  stets  interessante  Seiten  auf  und  zeigt 
keine  Spur  von  gemeiner  Rachsucht,  ist  also  auch  in  psycho- 
logischer Hinsicht  beachtenswert,  d,  h,  namentlich  bei  der  schul 
mäßigen  Behandlung  der  Affekte  zu  verwerten.  Die  Oden 
des  AlkaioSj  die  uns  leider  nur  in  höchst  dürftigen  Fragmenten 
überliefert,  aber  aus  den  freien  Nachbildungen  des  Horaz  etwas 
genauer  bekannt  sind,  zeugen  von  glühender  Vaterlandsliebe,  wie 
die  derSappho  von  der  größten  Innigkeit  und  Anmut.  Anakreon, 
der  zuerst  die  zwanzigsaitige  Lyra  benutzte  und  sich  mit  ihrer 
Hilfe  zu  einer  großen  Mannigfahigkeit  der  Melodien  erhob, 
muß  als  der  vollendetste  ionische  Gesellschaitsdichter  bezeich- 
net  werden,  Stesichoros,  der  Chorauisteller,  ist  wichtig  gewor- 
den  hauptsächlich  durch  seine  künstlerische  Gestaltung  der 
Chorgesänge,  welche  die  ganze  Tragik  behi^rrschte,  und  Bacchy- 
lides  verfaßte  nur  Gedichte  von  formeller  Vollendung.  Alle 
genannten  Lyriker  sind  daher  treffliche  Vorbilder  und  Lehr- 
meister  der  Jugend  und  erziehen  sie  zum  Gefühl  der  Schönheit, 
2tinächst  zur  Fonnschönhcit,  wie  sie  sich  in  den  durchgängig 
von  ihnen  erfimdenen  prachtvollen  lyrischen  Versmaßen»  die 
von  den  großen  Dichtem  aller  Nationen  mit  mehr  oder  weni- 
ger günstigem  Erfolge  nachgeahmt  sind,  ausprägt,  dann  aber 
auch  zur  inhaltlichen  oder  materiellexi  Schönheit,  die  auf  dem 
bei  aller  seiner  Einfachheit  großartig  wirkungsvollem  Gefühls- 
ausdruck beruht. 


Beobachtiinsen  fiber  das  Anschairangsvennögen 

der  Kinder.  L 

Von 

L  Maurer. 

Schon  lange  ist  mein  Interesse  darauf  gerichtet,  zu  er- 
forschen, was  Kinder  in  Bildern  sehen,  wie  sie  das  Gesehene 
wiedergeben  und  wie  die  Resultate  dieser  Untersuchung  prak- 
tisch im  Unterrichte  zu  verwerten  sind.  Zu'diesem  Zwecke  ließ 
ich  von  einem  dreieinhalbjährigen  Kinde  Bilder  betrachten  und 
zwar  acht  an  der  Zahl,  der  Gartenlaube  entnommen.  Das  Kind 
mußte  die  Bilder  im  Juli,  Oktober  und  Dezember  ansehen.  Seine 
Außenmgen  schrieb  ich  sofort  nieder.  Die  günstigen  Resultate 
verlockten  mich  zu  neuen  Versuchen.  Dieselben  Bilder  mußten 
Kinder  im  Alter  von  4,  5—13  Jahren  anschauen.  Die  größeren 
Schüler  schrieben  als  Aufsatz  nieder,  was  sie  im  Bilde  ge- 
schaut. Dadurch  gewann  ich  eine  Vorstellung  von  dem  An- 
schauungsvermögen der  Kinder  in  feeiner  fortschreitenden 
Entwickfelung. 

Im  folgenden  schildere  ich  die  Ergebnisise  der  Beobachtung 
des  3jährigen  Kindes. 

Die  Tabelle  I  zeigt,  daß  das  Kind  im  Juli  32,  Oktober  58 
und  Dezember  75  Hauptwörter,  Dinge  oder  Personen  bezeichnet. 

Tabelle  L 

(Zahl  der  Hauptwörter.) 


Juli 


Oktober 


Dezember 


Karo,  Eätzla, 

Erau,  M&dla, 

Kinder,  Bube, 

Wolle,  Lichter, 

Wickelband,  Mann, 
Hut,  Mutter, 
Heßler,  Korb, 
Tafel,  Bauer, 

Schulstubl,  Hamper, 
Wägelein,  Eisenbahn, 


Karo,  Bube,  Mann,  Mutter, 
Frau,  Eätzla,  Paula,  Luila, 

Hut,  Lichter,  Stecken, 
Fäßla,  Mädla,  J?fote,  Fuß, 
BaUen,Scliwanz,Strümpfe, 

Schranze,  Earloffel, 
Fenster,  Thüre,  Ghokolade- 
tafel,  Bild,  Weihnachts- 
baum, Baroln,  Großmutter, 
Wagendeck,  Muhpetz, 


Luila,    Karo,  Ballen, 

Schnur,  Schranzen, 

Fensterla,  Chokoladetafel, 

Haus,  Eartoffd,  Bu, 

Zwirn,  Ball,  IVau, 

Bilderbuch,  Stiege,  Hanna, 

Gaul,  Weihnachtsbaum, 

Hamper,  Hund,  Stuhl, 

Lichter,  Ballon,  Mann, 

Wäsche,  Vorhang,  Lampe, 


^^^^^^^^^^^K                      ^^^^^V           ^^H 

Juli 

Oktober 

Bezember                       ^^^^| 

Bli&me,  Nacketfroscb, 

Wag«n,  Stuhl,  Vater, 

Qockelhahn.  Kinder.                ^^H 

Lenditer,  Luila, 

Bank,  Lampe,  Zünd- 
hdbcheni  Stube»  Zimmer, 

Faufierlens.  SchreJbtafel.             ^^^H 

Eetra,  HaTil>e, 

Bank.  Flasche.  Faß.                 ^^^H 

Stecken,  Köchin, 

Schürae,  tachreibtafel, 

KuoDfstiefel.  ZQnd-                ^^^H 

Bier,  Pfeife, 

Kopf,  Schlgtfeger,   Leine, 

hölzchen.  Mitte.  Heßler.             ^^H 

r&flk,  Mirmerla, 

Kat^akrakel,   Gras,  Birne, 

T.ampiJTiH/*hirnn     Riroi^K                     ^^^^H 

Blamenstrauß,  Wickfsl- 

Pfote.  Kut    llinnerlA.                 ^^^H 

kissen,  Arm,  Spiegel, 

Häfele,  Bein,  Zopf,  Puppe, 

Händchen,  Wecida, 

Mümi.  Kat^krakeL  KätzL            ^^^H 

Teppich«  Mucken«                   ^^^^| 

Nrtiiwiin^     Wftld      V«.t^r                     ^^^M 

Knopf söefel,  Hanna, 

Mutter.  Fauia«                      ^^H 

Flafeche. 

^hwegterJa,  Bluman,               ^^^^H 

Leudifcer,  Tinte,  Spiegel,            ^^^H 

Blumenstrauß,  8teckeu,              ^^^^| 

Puppe,  Hut,  Waiden,               ^^^H 

Kehrwiscb,  Kopfl,  Haube,           ^^^H 

PottkitteV  Hand,                   ^^^H 

Kaüeemahl,  Schöpft,                    ^^^H 
Maß,  Bier,  Hals.                    ^^M 

S.S,  =  31  ff«iiptwSrtcir, 

SM*  ^  58  HattptwÄrtor» 

75  HimptwCrt«r.                      ^^^| 

Um  diese  Hauptwörter  vergleichen  xu  können,  dem  System          ^^^| 

entsprechend,  nach  welchem  ich  die  größeren  Kinder  die  Bilder          ^^^| 

anschauen  ließ,  ordne  ich  sie  nach  demselben:  es  soll  daraus          ^^^H 

«rsehen  werden,   wie  sich  der  Bewußtseinsinhalt  der  Kinder          ^^^| 

oder  auch  schon  des  Kindes  allmählich  erweitert:                                ^^^H 

Tabelle                                                          ^^M 

(Hauptworter  nach  Gruppan  geordnet)                                     ^^^| 

A,  Pfrion^ii:    _                                                         ^^^H 

Juli 

Oktober 

Pofemb^r                     ^^^H 

Ft»u,  MSdla,  Kinder, 

Bnbe,  Mann,  Matter,  Fr  an, 

Lnüa,  Bn,  Frau.  Hanna.             ^^^^1 

Bebe,  Mann,  Mutter, 

Paula,  LuÜa,  Mädla, 

Mann,  ivinder,  HetSler,                  ^^H 

Heßler,  Baner,  LuÜa, 

Großmutter,  Vat^r, 

Vater.  Mutter.  Paula.                   ^^H 

Köchin, 

Schlotfeger,  Hanna. 

Schwegt^rla.                          ^^^| 

S.S.  s=  10  Pt*r5ontiii, 

SS.  *^  3i  Peraflnuii. 

^^^^1 

b)  Teil«  des  tuen  seh  lieben  K9rpers.                                        ^^^H 

FuB,  Kopf,  Arm,  Bein* 

Faß,  KopfU  Hand«                    .^^^1 

— 

Zopf,  Händcheu, 

Schöpfe!,  Hais.                     ^^^1 

S,  8.  :^  6  KörpoiteÜ«*. 

S.  S.  ^  &  KGrpctrtoiliP.                      ^^^| 

c)  KleldunesstaGlitt.                                                      ^^^M 

Wüekelbond,  Hut, 

Hut,  Strümpfe,  Sohürzt, 
KnopfsUefel, 

KnopfsMefel.  FotlMtteL              ^^H 

Haube. 

^^^1 

S.  S.  ^  3  KloMimfwtflGk^. 

fl 

64 


ßgobachhmgtn  über  das  Amehauungsvermdgen  der  Kinder.  L 


d)  Das  Qebittde  und  seine  Teile. 


Fenster,  Thüre,  Stabe, 
Zimzner. 

S.  S.  at  4  GeModetaae. 


Fensterla,  Hans,   Stiege. 


S.  S.  a  8  Gehindefetae. 


e)  Nabmngsiiiittel« 


Bier. 


S.  8.  ■•  1  NahnngimittAl. 


Kartoffel,  GhokoladetafeL 
Birne,  Weckla. 

S.  8.  a  4  NahmngsiiiitteL 


Ghokoladetafel,  Kartoffel, 
Bier. 

8.  8.  s  8  NahranganiittaL 


f)  Qerlte  «nd  Qebranclisartikel. 


lichter,  Korb,  Tafel, 
Sehnlstnhl,  WSgelein, 
Eisenbahn,  Lenohter, 
Betri,  Stecken,  Pfeife, 
E&ßla. 


8  8. 


llQ«c8t». 


lichter.  Stecken,  F&ßla, 

Ballen,  Sehrftnze,  Bild, 

Wftihnachtsbanm,  Baroln, 

Wagendeck,  Wagen, 

Stahl,  Bank,  Lampe, 

Zündhölschen, 

Schreibtafel,  Leine, 

WickeUdsseoL,  Spiegel, 

Hifele,  Pappe,  l^laMhe. 


8.8. 


tSl  OMtte. 


Ballen,  Schnnr,  Schranze, 

Zwirn,  Ball,  Bilderbach, 

Stahl,  Lichter,  Ballon, 

Wfisehe,  Vorhang.  Lampe, 

Schieibtafel,  Bsnk, 

Flasche,  Zündhölzchen, 

Lampenschirm,   Teopich, 

Leocnter,  Spiegel,  Pappe, 

Wagen,  Kehrwisch, 

Kaffemnahl,  Maß. 

a  8.  =  86  Oflrttte. 


g)  Tiere  nnd  deren  K8rpertefle. 


Karo, 


K&tsla. 
froscn. 


Nackefc- 


s.  s. 


!  3  Ti«r9  «te. 


Kaio,  Kitsla,  Pfote, 

Schwans,  MohpetK, 

Katsskrakä. 


S.  S.  SS  •  TSar»  etc. 


KacOyGookalhahn,  Hiraoh, 

Pfete,  Katakrakel,  KfttEi, 

Mucken,  Schwanz, 

Handda. 

S.  8.  8  9  TSai»  «te. 


h)  Dinge  in  der  Nntnr  (Feld  «nd  WnM). 

Blome. 

Gras,  Blomenstranß 

Wald,  Bhmien, 

0  Stoffe. 

Wolle. 

Sw  S.  a  1  Stoff. 

t                  Tinte. 

!               S.8.»18tefL 

k)  AtetrskU. 

Fangerlens,  lOtte. 


s.  s. »  s 


Diese  Hauptwörter  bilden  sozusagen  den  Gnindstodk  des 
Materials,  weldies  das  Kind  aus  den  Bildern  gewonnen  hat, 
welches  es  aus  der  Masse  des  Vorgefährten  erkannt  hat.    Was 


L.  Mmtftr. 


65 


ein  Kind  nicht  erkennt,  benennt  es  entweder  gamicht  oder  falsch. 
Von  diesen  Hauptwörtern  sagt  es  verschiedenes  aus :  wie  sie  sind, 
was  sie  sind,  was  sie  tun.  Es  deutet  iins  an,  wa3  es  über  die 
oder  jene  Handlungsweise  (iihlt,  es  vergleicht  das  Tun  und 
Treiben  der  im  Bilde  dargestellten  Scenen  mit  denen  seiner 
Umgebung,  es  knüpft  Bemerkungen  an  Personen  oder  Tiere, 
deren  dargestellter  Akt  mit  Vorkommnissen  aus  seinem  Leben 
oder  dem  seiner  Umgebung  Ähnlichkeiten  hat.  Es  vergleicht 
das  eben  betrachtete  Bild  mit  dem  vorhin  gesehenen,  es  gibt 
den  Personen  der  Bilder  Namen  aus  dem  Familien-  und  Be- 
kaimtenkreis*  Die  über  die  Hauptwörter  gemachten  Aus- 
sagen geben  uns  Aufschluß  hierüber.  Um  ein  klares  Bild 
zu  bekommen,  stelle  ich  zunächst  alle  über  die  Personen,  Tiere 
und  Dinge  gemachten  Aussagen  der  Reihe  nach  zusammen 
und  zwar  wieder  der  Zeitfolge  nach: 

Tabelle  IIL 

(Zahl  der  Aussagen.) 


Juli 


Oktober 


Des&ember 


Karo  neibetßen 

MädU  DekmeD. 

Der  Knabe  hat  solchg 

hftt  ^hue 
£&ro  Im  Mund  an" 

gapumt 
Korb  mtitergrlafieu 
Ofmd  ao  fam-en  als 

Wagen 
Kuv>  hlngfaJhi 
Fmu  am^2iogn 
K&ro  Blnt  raus 
setxt  Bauer  aof 
kragen  mit  den  Föfieo 
Katxe  MDleg^n 
Kätda  Boden  nanf 
Behwaj-3se  Katz 
Pfote  daher  legen 
Frau  Blumen  haben 
Naeketf rosch  hingfaün 
Frmn  macbts  so 
Frau  Haabe  auf 
Stecken  hauen 
Bier  da  drin 
Mann  hat  Pfeife 


Karo  wart  auf 

B«  barfnß 

Grad  so  wie  a  Karo 

nicht  Strumpf  anziehen 

l  Karo  nicht  aufwarten 

Karo  gibt  Pfote 

Ihr  Mutter  thut  Lulla  nefc 
nehmen 

kommen  Kartoffel  nei 

Bild  zerrissen 

Lichter  brennen 

Ist  eLngepackt 

Der  Bn  schiebt  a  Wagen- 
deck 

keine  Wage  anspannen 

Ihr  Vater  Lichter  nauf- 
stechen 

Bild  nicht  zerrissen 

uet  anzünden  t  ka  Zünd- 
hölzchen^ eins  kaufen 

Mag  ich  nicht  essen,  sind 
hart 

Eopf  hinlanga,  so  thut  er 

Sein  FuBS  dannnter 

Schlotfeger  hergsehreibt 

Is  net  zrissn 

Die  zwei  sind  zrlsan 

Pfote  her 

An  Schwanz  grad  so  wie 
a  Karo 


Wart  auf 

A  Bu  hat  Chokoladetafel 

Immer  noch  IdeM 
Ball  mit  Ballen 
Bu  hat  a  Bilderbuch 
Die  Frau  auf  der  Stiege, 
Luilanet  drauf,  Bu  drauf 
Weimer  Karo  hat  Bein 
Wo  iat  Hanna? 


Da  hinter  steckt  der  Mann 
Dös  ie  sei  Hans 
Mann  kann  nicht  vor 
Lampe  nicht  dahinter 
Kinder  thun  Fangerlens 
Hamper  sind  zerriBsen, 
sieht  mau  gar  nicht 

Bubn,  sitzen  In  der  Bank 
nichts  da  gschrieben 

Lampe  net  anzünden 

net  Zündhölzchen^  haben 
die  Buben 

In  der  Mitt  a  Bn 

Der  Heßler  hat  net  Knopf- 
stiefelf hah  ich  Knopf- 
stiefel 

hat  ka  Lampenscliinn 


Grad  so  wie  a  Kirsch 
Der  Karo  ihr  Pfote  hin 


Zfitichrift  iBr  pidiEOgiadi*  P*ydM>logie,  PiÜiol©gic  und  Hygiene, 


66 


Awi^BthiMMg'tM  ühcr  Smm  . 


Jnli 


Oktober 


D«sember 


H.  8.  «i  28  AiMUgen. 


Hirt;  kft] 
her.  naC  mMdmtmim 
Km  Mütter  dnn 
Hei  aafwwtBB 
Memi  eoa  kntnmm,  Hst 


drenf 
Zeder  1dm 
Mel  e  bOee  lOmii 


iKe  Lfline 


Die  UBnerie 
y^tialrleVl  de  dzeä  ilur 

Pfote 
y***^^  edient  tot 
Anf  der  Ket»  Bine 
Kätde  dnrdiKhfaqpft 
Kitzle  Bei  nnnter 
Kleine  Ketx  auch 


!  Andere  lÜBiii,  wie  mei 
i     Ketokield,  ibr  m^mi 

loctL  WeU  Beat.  Yetor 

mid  Matten 


Net 

Loileim  VirlrelMf 

Nedketfroechiietemiuhfm 

Wo  Penle? 


Bie 

ibr 

Ibie 
{ibr  Vi 
;  Bn  dnnf 


Pknle 
Scbweeterie 


A  Muat  B«in  so  tot 

Paolm  bat  Zopf 

Das  bin  icb,  nicbt  icb 

Die  Pappe 

Eraa  macbts  so 

a  so 

Ibr  Matter  soll  Pluila  a 

'Weckla  geben 
Bab  soll  ibran  Hat  aof- 


Grad  so  Knop£rtieiel  wie 

icb 
Madla  so  beten 
Fran  bat  kleinen  Stock 


Dort  ka  Karo 
Laila  ka  Hanna  ka  Panla 
Eraa  hiriHcbana 
ka  Wickelband  kaof  en 
Madla  bat  Flascbe 
bat  Bier 


S.  S.  =  64  AwsBMfsen. 


a  Ba  bat  a^  

b) docke  B^pp»  da 
Der  Be  da  oben  soll 

nmter 
Eren  bat  an  Kopfl  und 

a  Haabn  aof 
bat  Pottidttel  en  und 

a  Hand 


Hnndala  bat  Scbwans, 
da    bint   steckt  Loila^ 
tbat    man 
Laila  bat  an 


S.  S.  »66 


Diese  Aussagen^  welche  im  folgenden  gegliedert  werdea 
tollen  in  einfache  Aussagen,  Urteile  und  Schlüsse,  sind  zu  er- 
gänzen durch  die  mit  Eigenschaftswörtern  verbundenen 
Hauptwörter  imd  durch  diejenigen,  welche  als  Attribut  Zahl- 
begriffe haben: 


Z.  Maurer, 


67 


TabaUe  IV. 

(Erg&nzang  der  Aussagen.) 
a)  HanptwSrter  mit  BlgenschaftswBrtern. 


Jali 

Oktober 

Dezember 

schwarze  Katz 

kleiner  Bu 

große  F&sser 

kleia  Karo 

klein  Schwanz 

baeer  Bub 

Großer  Karo 
kleiner  Eaio 
kleine  Minni 

b)  HaaptwOrter  mit  ZahlwOrtern. 


Alle  5 

Drei  Wickelband 

Alle  Kinder 


5  Karo 

5—8—9  Bn  n. 
5  Frau 
5  E&fila 


1   T^a-nn 


Die  paarla  Pfote 
Viel  Tran 


Aus  dem  so  gewonnenen  Material  der  Aussagen  schäle 
ich  tzunächst  heraus: 

1.  UnvoUkonunene  Sätze. 

a)  Sätze,  welche  nur  reine  Aussagen  enthalten  und  zwar 
aa)  solche,  in  welchen  die  Aussage  ein  Hauptwort 


sie  ein  Eigenschaftswort 
„     „    Partizip 
„     „    Zeitwort 


bb)      „        „        „ 

^^)       »        ))        » 
dd)       „        „        „ 

b)  Sätze  mit  Objekten 

c)  Sätze  mit  Umständen: 

aa)  des  Ortes 
bb)  der  Zeit 
cc)  des  Grundes 

2.  Vollkommene  Sätze  (Einteilimg  derjenigen  der  im- 
vollkommenen  entsprechend,  vergl.  diese). 

3.  Zwei  oder  mehrere  Sätze,  welche  in  sich  zusammen- 
hängend einen  Schluß  bilden. 

4.  In  sich  zusammenhängende  Sätze,  welche  eine  Er- 
zählimg darstellen  sollen. 

N,ach  der  Beobachtungszeit  geordnet  ergeben  sich  daraus 
die  folgenden  Tabellen: 

5* 


68 


Beobackiunffem  über  das  Antdumungsvermögem.  der  Kimdar.  L 


TabeUe  V. 

(Aastagen  nach  Gruppen  geordnet.) 
I.  Unvollkoa»eiie  Sitxe. 
a)  Sitae,  welche  aar  reine  Ansaagen  entluüteBt 


xwar  aelche» 


In  denen: 
aa)  die  Anaaage  ein  Hauptwort. 


Jnli 

Oktober 

Desember 

achwane  Kala 
kleiner  Ba 
groflse  Etaer 

Grad  so  wie  a  Karo  (?) 
klein  Karo 
klein  Schwanz 
bOeer  Bab 

Grad  ao  wie  a  Hirsch  (?) 
Groaer  Karo 
kleiner  Karo 

bb)  Die  Annage  ein  Eigenechaftswcvl* 


Bn  baifnß 


oe)  Die  Anesage  ein  Pluüsip. 


Karo  hli^pfiJln 
Eran  anangn 
NMAetfroe£^ilng£inn 

BildnRlBMn 

Isteinpeckt 

Bad  nicht  aenteen 

Isnetsrinn 

Kitda  dmchflchhipft 

Lm^  net  anaonden 

dd)  die  Anaaage  ein  Zeitwart. 

Karo  neibetten 

Karo  wart  aol 

wart  aal 

Midla  nehmen 

Ein  Karo  nicht  aof  warten 

Katae  hinlegen 

Sohlotfeger  hergaehielbt 

Net  aufwarten 

Die  lOnnerla  hmkgen 

Kleine  Kata  andh  beringen 

¥id1a  80  beten 

Kaa  btnenbana 

^  Anmerkung.  Hier  maß  ich  ergSnaend  bemerken,  daß  ich  aoent 
die  S&tae,  in  welchen  die  Aussage  ein  Farüaip  ist»  mit  hier  anfmaihlen  im 
Sinne  hatte.  Doch  nach  reiflicher  Überlegimg,  nach  nochmaliger  Durch- 
sicht der  Aussageo,  bekam  ich  die  Überseugung,  daß  auch  schon  daa  kleine 
Kind  weiß,  daß  der  „Korb  heruntergerissen^^  worden  ist  und  auerst  an  einem 
anderen  Hatse  war,  daß  der  ,,Karo  hingefallen"  ist«  zuerst  aber  gestanden 
war.    Deshalb  scheide  ich  Eigenschaftswort  und  Partizip. 


Z,  Maurer. 


m 


b)  Sfttxa  mit  Objektoii.*} 


Jmli 

Oktober 

Dezember 

Mädlft  nelämen 

ai&ht  Strüiapfe  anziehen 

setzt  Batier  auf 

keine  W&g6  ftüspaiuieii 

Tt^u  Bltimea  babea 

Du-  Vater  Lichtet  nauf- 

PnQ  Hftube  auf 

Au  Sdiwanx  grad  eo  wie 

a  Karo 

Mag  Ich  nicht  easeUf  Bind 

hart**} 

e)  Sltse  mit  Uniftlndeii. 

aa)  des  Ortes: 


Jnll 


Oktober 


Dexemfaer 


Karo  im  Mnnd 

ui^^annt 
Karo  Bhit  raus'") 


Sein  Fuß  danunter 
Kateakrakl  aa  drauf  ihr 
Pfote. 


Wo  iat  flaima? 
Mann  kann  nicht  ^or 
Lampe  nicht  dahinter 


*}  Anmerkung.  Auf  den  eraten  Blick  erscheint  eSt  als  ob  manche 
dieser  unvollkommenen  Sätze  keine  Objekte  enthielten  —  und  docb  Ist  es 
so,  daB  Objekte  vorhanden  sind.  „Mädla  nehmen.^^  Das  Ejnd  denkt  sich; 
.,I)ie  Mutter  soll  das  Mädchen  nehmen.'*  Es  hat  den  Gedanken  im  Eopfi 
aber  es  kann  ihn  nicht  anssprechen.  Es  hat  die  S^sene  nach  seinem  Sinne 
anf gefaßt,  aber  es  kann  nufl  seine  Anffagsnng  nicht  spraclilich  korrekt 
wiedergeben.  Deshalb  sind  wir  gezwnngen^  den  Satz  in  des  Kindea  Sinne 
zn  ergäzt^sen.  „Setzt  Bauer  aal"  Es  deutet  mit  der  Hand  auf  den  Hut 
und  spricht:  „Setzt  Bauer  auf,"  »Der  Bauer  setzt  den  Hut  auf*  oder»  dem 
Gedanken  des  Kindes  folgend:  Den  Hut  da  »etzt  ein  Bauer  auf,  „Nicbt 
Strümpfe  anziehen".  Es  eieht  ein  Kind,  das  keine  Strümpfe  hat.  Nun 
aetzt  es  bei  ihm  alle  l'age  einen  Xampf  ab,  bis  die  Strümpfe  angezogen 
sind.  £s  vergleicht  diese  Kampfesscene  mit  dem  BarftiBele»  sein  Gedanke 
ist:  ,,Der  Bube  Ifiüt  sich  seine  Strümpfe  nicht  an^aehen.**  (Strömpte  ^ 
Objekt,  daa  Subjekt  mußte  ergänzt  werden)*  „Hat  ka  Lampenschirm".  Es 
betrachtet  eine  Lampe  ohne  Lampeuschirm.  Meine  Studierlampe  ist  mit 
einem  solchen  bedeckt.  Das  Kind  erkennt  den  Gegenstand  als  Lampe,  dal 
dieselbe  keinen  Schirm  hat|  fällt  ihm  auf.  Biese  Dlfl'erenz  tritt  in  den 
Yordergmnd  des  Bewußtseiua,  Es  sa^:  hat  keinen  Lampenschirm*  der 
Beobachter  hat  zu  ergänzen :  „Die  Lampe**,  Nun  erscheint  der  vollständige 
Gedanke  des  Kindes;  die  Lampe  hat  keinen  Lampenschirm.  Ich  komme 
auf  den  Mangel  im  Gebrauch  der  Sprache  noch  einmal  in  den  späteren 
AtufUhrmigen  zurück,  mußte  aber  einen  Teil  dieses  Abschnittes  jetst  schon 
bringen,  um  mich  darüber  zu  rechtfertigen,  warum  ich  diese  abgerissenen 
Oedanken  als  ,, Objekte"  bezeichnete. 

*•}  Anmerkung.  „Mag  ich  nicht  essen,  sind  hart".  Anf  dem  Bilde 
sah  das  Kind  eine  Schiefe rt^el  und  hielt  sie  für  eine  SchokolsdetafeU  Es 
schien  nau  doch  in  ihm  zu  dämmern,  daß  die  Buben  Schiefertafeln  haben 
und  nicht  Schokolade.     Deswegen  denkt  sich  das  Kind: 

Die  Schiefertafeln  sind  hart;  diese  mag  ich  nicht  essen.  Der  Beob- 
achter mußte  „diese *^  ergänzen ;  d.  k  das  Objekt  ist  durch  ihn  in  dem 
iprachlichen  Ausdruck  ergänzt  worden,  weil  er  der  ÜberzeugnaBg  wai,  daß 
<fer  Gedanke  dee  Kindes  richtig  gewesen  ist^  w.  o. 

•••)  Anmerkung.    „Kw>  Blut  raus"  bedarf  wohl  einer  Ergämsting. 


70 


Beobackhmgem  über  das  AnschauungsvermSgen  der  Kmder»  L 


Juli 

Oktober 

Dezember 

K&tzla  net  nnnter 

Bnbn  sitasen  in  der  Bank 

Pfote  daher  legen 

Lnila  im  Wickelkissen 

In  der  Mitt  a  Ba 

Bier  da  drin 

Wo  Paula? 

Der  Kaio  ihr  Pfote  hin 

Minneria  gnekt  rans 
E&tzla  die  paarU  Pfote 

drauf 
Zn  der  hin 
Wald  nans 
Bn  drauf 
Der  Bu  oben  soll 

runter 
Da  hint  steekt  Luila 

bb)  der  Zeit: 


Juli 


Oktober 


Desember 


Immer  noch  klein*) 


cc)  des  G^rundes^ 


Juli 

Oktober 

Dezember 

kratzen  mit  den  Füßen 

Ball  mit  BaUen 

a.  Vollkommene  Sitze» 

(Artikel  ausgeschlossen.) 
a)  Sitxet  welche  oar  Aussagen  enthalten,  and  swar  Ist 

aa)  die  Aussage  ein  Hauptwort 


Juli 

Oktober 

Dezember 

— 

Das  ist  sein  Haus 

bb)  Die  Aussage  ein  Eigenschaftswort 

— 

Die  zwei  sind  zerrissen 

Hamper  sind  zerrissen 

Der  Hund,  den  das  Kind  als  ,^Karo'^  bezeichnet,  ist  in  Wirklichkeit  ein 
Mops  mit  schwarzen  Flecken.  Diese  schwarzen  Flecken  hält  das  Kind  fttr 
Blut  Es  denkt  sich:  ,,Aus  dem  Karo  läuft  Blut  heraus".  Es  sagt:  ,,Karo 
Blut  raus«". 

^  Anmerkung.  „Immer  noch  klein«.  Es  fällt  dem  Kinde  auf,  daß 
der  Knabe  auf  dem  BÜde  immer  noch  klein  ist.  Es  erinnert  sich  des  erst- 
maligen Betrachtens  der  Bilder.  Das  Kind  selbst  fühlt,  daß  es  gewachsen  ist, 
man  hat  ihm  gesagt,  daß  es  groß  geworden  ist.  Daher  der  Aussprach: 
iJnmier  noch  kfoin**. 

*^  Anmerkung.  Hierzu  bemerke  ich,  daß  ich  gar  keinen  Gtrund 
etnaebe,  den  ümstan^  der  mit  dem  Verhältniswort  y^asMcf*  gebildet  ist,  als 
einen  umstand  des  Jt^rundes"  anzuerkennen.  Das  ist  doch  kein  yßxisu^^ 
wenn  ich  „mit  den  Füßen**  kratze!  Doch  ich  folgte  der  allgemein  tlblichfiii 
Sprachbeeeichnung  (z.  B.  Gärtner.) 


^^^^^^^^^HH                               ^^^^^B             ^^^H 

^^^K                              dd^j  dJo  Auflgage  ein  Zeitwort                                                   ^^^| 

Karo  wart  auf 

Hinnerla  guckt  raus                         ^^| 

^B 

Kätzia  gebaut  vor 
Frau  machte  so 

J 

\^                                      b)  Sitse  mit  Ob|«kteii.*«)                                                  ^^| 

Juli 

Oktober 

Dezember                      ^^^B 

Ber  Knabe  hat  sokhi 

Karo  gibt  Pfote 

A  Bu  hat  Chokoladetafel           ^^^| 

d& 

Ihr  Mutt-or  thut  Lnlla  net 

Bn  hat  a  BOderbuch                   ^^^B 

hat  ZÄKue 

nehmen 

Weyier  Karo  hat  Bein               ^^^B 

1     Jlann  Jiat  Pfeife 

Der  Bu  schiebt  a 

Der  Hebier  hat  net                     ^^^B 

^^K 

Wagendeck 

Knopfätiefel                                 ^^^^B 
bab  leb  Kuopf Stiefel                    ^^^B 

^ 

Patüa  hat  Zopf 

Ihr  Mutter  soll  Paula  a 

^^^^^^^^^ 

A  Bn  hat  an  Stecken                  ^^^B 

^^^^^^^B 

Weckla  geben 

Frau  hat  au  Kopfl  und  a           ^^^H 

^^^^^^^^H 

Btib  soll  ihren  Hut 

Haubn  auf                                 ^^^H 

^^^^^^^B 

aufsetzen 

A  hat  Pottkittel  an  und  a           ^^^B 

^^^^^^^^ 

Frau  hat  kleinen  Stock 

Hemd                                       ^^^^B 

^^^^H 

MMchen  bat  Flasche,  hat 

Luila  hat  an  Schopfl.***}           ^^^B 

^^^^ 

Bier 

^^^B 

P^*   Zw«!  oder  inefarer«  ^usaitimenliingefifle  Sitxe»   welche  zuaainineii          ^^^H 

[                                                     einen  Schtuss  btlden,                                                         ^^^| 

^B              Juli                                Oktober 

Dezember                       ^^^H 

^H                                          L  Nel  artzündetij  ka  Zünd- 

6.  Hamper  sind  zerrissen,           ^^^H 

^H                                             hölzchen  da,  eins  kaufen^ 

sieht  man  gar  nicht                 ^^^^B 

^^B                                         2.  Hag  ich  niclit  essen,  sind 

net  7Mii  dhüizcben ,  haben           ^^^H 

^^^H                                       hart 

^^^H         3.  An  großen  HTit,  Ka  Mann 

die  Buben                                   ^^^H 

^^^^^^^^                             her,  net  auf&etzeii 

8.  Kätzia,  die  paarla  Pfote           ^^H 

^^^^^H|                          4.  Mami  soll  kotmnen,  Hat 

drauf,  zu  derbin,  mal  &           ^^^H 

^^^^^^H                              aufsetzen 

böse  MinuL^**)                        ^^H 

■^P 

5.  ka  Wickelband   kaufen 

^H 

^^K             *)  Anmerkni 

i£«  ec)  r=  Aofisage  ein  Fartiidp  ^akat.                                          ^B 

^H           **)  Anmerkuiig.    0ruppe  c  (aa— ec)  irakat.                                                             ^H 
^^H         ***)  Anmerkung,     Ei  arübrigt  noch,    darauf  hinzuweisen,  daß    das             ^^^H 

^^Etnd  bereits  Gegenwart  nnd  Vergangenheit  nnterscheldet,  siohe:                     ^^^H 

^^F                                          Lichter  brennen                                                                          ^^^H 

^^B                                            SeMotfeger  hergeeh  reibt.                                                           ^^^H 

^^B         Es  wendet  Pronomina  an,  aber  noch  fakch,  siehe:                                            ^^^H 

^^1                                       Bub  soll  Ihr^n  Hut  aufsetzen.                                                        ^^^H 

^^B         ^^*)  Anmerkung.    Ich  versnche  den  Qedankeogang  des  Kindes  Ter*           ^^^H 
^^blgendp  die  Behlüsse  YoQstandig  aufzulösen:                                                                   ^^^H 

r            L  Die  Lampe  iBt  nicht  angezündet.    £a  sind  keine  Zündhölzchen  da.           ^^^| 

^H          Man  muß  welche  kaufen.                                                                                            ^^^H 

^H     2.  (Siehe  oben].    Die  Tafeln^  welche  die  Bnben  haben,  mag  ich  nicht           ^^^B 

^^B         eesen^  sie  sind  rair  zu  hart.                                                                                     ^^^H 

^H     3.  Hier   i^   ein    grosser  Hut.     Diesen  Hut  sollte  ein  Mann  aufsetzen,            ^^^B 
^^K         Es  ist  keiner  £l,     Abo  kann  er  ihn  oicbt  aufsetzet.                                          ^^^H 

^^^^^^^^■^■M 

72 


Beobachtungen  über  das  Atuchauungroermögen  der  Kinder.  L 


4»  In  sich  sasamineiihinsend«  S&tze,  welche  eine  Brxihlaaf 
darstellen  sollen: 


Juli 


Oktober 


Dezember 


Andere  Mümi,  wie  mein 
Katzkrakl,  ihr  ICinni 
fort,  Wald  nana,  Vater 
und  Matter  sndiena.*) 


Ich  ziehe  das  Resultat  aus  dem  gewonnenen  Material: 

Tabelle  VI. 

(Znsammenstellnng  der  Ergebnisse.) 

a)  HaoptwOrter« 


JnU 


Oktober 


Dezemb. 


Snmma 


1.  Personen 

2.  Körper,  seine  Teile     .    .    .    . 

3.  Eleidnngastücke 

4.  Das  Hans  und  seine  Teile 

5.  Nahnmgsmittel 

6.  G^er&te  nnd  Gtobranchsartikel 

7.  Tiere  nnd  deren  Körperteile 

8.  Dinge  in  der  Natur    .    .    . 

9.  Stoffe 

10.  AbBtrakta 


10 


1 

11 
3 

1 

1 


Neu 

5 
6 

4 
4 
4 
18 
4 
2 


Nen 

1 
2 

1 
2 

11 
6 
2 

1 
2 


16 
8 
8 
6 
5 
40 
13 
5 
2 
2 


Snmma 


30 


47 


28 


105 


4.  Der  Mann  soll  kommen  nnd  soll  ilm  an&etzen. 

5.  Der  Hnnd  hat  kein  Wickelband.    Man  muß  eins  kaufen. 

Bemerkung:  Der  Hund,  den  es  auf  einem  anderen  BÜd  gesehen  hatte, 
ein  Mops,  hat  ein  Oeschirr  über  Brust  und  Bücken.  Diesen  Gnrt 
h&lt  es  für  ein  Wickelband.  Der  Hund  auf  diesem  Bild  ist  nicht  ein- 
geschirrt   Das  sieht  es.    Deswegen  denkt  es  sich,  wie  dargestellt. 

6.  Die  Hamper  sind  zerrissen.    Man  sieht  sie  fga  nicht. 

Bemerkung :  Das  Papier  ist  zerrissen.  Dieser  ümstsnd  Tersnlaßt  das 
Kind  zu  dem  obigen  Schlüsse. 

7.  (Siehe  Schluß  1).    Die  Lampe  ist  nicht  angezündet     Es  sind  keine 
Zündhölzchen  da.    Diese  haben  die  Buben. 

8.  Das  Kätzchen  legt  seine  Pfote  auf  ein  anderes  'irn^<Tff^hf>p.     Es  wlU 
zu  ihm  hin.    Das  ist  einmal  eine  böse  MinnL    (Sittliches  Urteil). 

31  Anmerkung.  Wir  hatten  eine  Katze.  Während  der  Perien  lief 
en  nahen  Wald  und  wurde  dort  erschossen.  Das  Kind  Termißt  auf 
dem  Bilde  eine  Katze.  Eine  derselben  hat  Ähnlichkeit  mit  der  entlaofenen. 
(mei  Katzakrakl)  Das  ist  der  Assoziationspunkt,  der  hinüberieitet  cor 
eigenen  Katze.    jNfun  erzählt  es  deren  Leidensgeschichte. 

„Die  andere  Minni  sieht  aus  wie  die  meinige.  Ihr  Kamerad  ist  fort 
Er  ist  in  den  Wald  hinausgegangen.  Vater  und  Mutter  gehen  iKth  nach 
nnd  suchen  ihn.  — 


Z.  Maurer, 


73 


b)  UnvoUkomaMoe  Site*. 


Juli 

Oktober 

Dezemb. 

»)  Baine  8Um  anr  mit  Anaasge: 

dtoMlbeiat 

Mk)  Hauptwort 

U>)  SigMiMhaftnrort 

3 

4 

4 

11 

— 

1 

— . 

1 

ixA  Pltfti2ip 
dd)  Zeitwort 
b)  Objekt«. 

4 

5 

1 

10 

3 

9 

1 

13 

4 

5 

9 

c)  Umstinde 

M)Ort 

5 

6 

13 

24 

bb)Zelt 

— 

„^ 

1 

1 

CO)  Grund 

1 

— 

1 

2 

Summa 


c)  Vonkommene  Sitze. 


71 


a)  Aussage. 

aa)  JBaaptwort 

bb)  Eigenschaftswort 

dd)  Zeitwert 

b)  Objekte. 


1 
2 

4 
20 


Snnuna 


d)  Schlösse. 


27 


e)  Brzlhlangen. 


TabeUe  VIL 

(Gesamtübersicbt  der  vorstebenden  Tabelle.) 


Juli 


Oktober    Dezemb.    Snmma 


L  Hauptwörter 

n.  UnTollkommene  Sätse 
HL  YoükOTmiene  Sätase 
IV.  ScUllsse 

y .  SislUnng 


30 

20 

3 


47 

30 

12 

5 


28 

21 

12 

3 

1 


105 

71 

27 

8 

1 


Einige  Erläuterungen  mögen  die  gegebenen  Tabellen 
ergänzen. 

Zu  S.  68:  Unvollkommene  Sätze,  in  denen  die  Satzaussage 
ein  Hauptwort  ist,  bemerke  ich :  ,,sthwarze  Katze" :    Das  Kind 


74 


Beobachtungen  über  das  AnschauungroermSgen  der  Kinder  /. 


denkt  sich:  „D^s  ist  eine  schwarze  Katze".  Der  Beobachter 
hat  das  Subjekt  zu  ergänzen,  den  gesprochenen  unvollständigen 
S;at2!  des  Kindes  nach  dessen  Sinn  zu  vervollkonunnen.  Es  ist 
ein  Unterschied,  ob  das  Kind  sagt :  klein  Karo,  böser  Bub  oder 
„Bu  barfuß".  Im  ersteren  Falle  lautet  der  vollständige  Satz: 
„Das  ist  ein  böser  Bube."  Die  Antwort  des  Kindes  ist  eine 
Aussage,  zu  welcher  das  Subjekt  ergänzt  werden  muß.  Im 
zweiten  Falle  ist  Subjekt  und  Ausisage  schon  gegeben.  Die 
Ergänzung  erstreckt  sich  nur  auf  die  Form  des  Satzes,  nicht 
auf  den  Inhalt.  Es  braucht  nur  der  Artikel  und  die  Kopula 
ergänzt  zu  werden,  während  im  ersteren  Falle  ein  wichtiger, 
unentbehrlicher  Satzteil  fehlte. 

Zu  den  Sätzen  mit  „Umständen"  bemerke  ich'  folgendes!: 
Es  war  mir  nicht  möglich,  in  den  Rahmen  der  systema- 
tischen Zusammenstellung  die  Umstandsworter  selbst  einzu- 
kleiden. Da  dieselben  aber  so  zahlreich  auftreten  und  eine 
gewisse  Reichhaltigkeit  besitzen,  kann  ich  nicht  umhin,  dieselben 
aufzählend  hier  nachzuholen:  Das  Kind  gibt  sich  selbst  Ant- 
wort auf  die  Fragen: 

Wo  ?  (im,  da,  dahinten,  in  der  Mitte,  oben) 

Wohin  ?  (hinauf,  daher,  danunter,  dadrauf  nunter,  vor,  hin, 
hinaus  (heraus),  runter.)  — 

Bis  jetzt  hatte  ich  mein  Augenmerk  auf  die  Sprache  des 
Kindes  gerichtet,  seine  Ausdrucksweise,  seine  Sprachfertigkeit. 
Nun  will  ich  diese  Worte  de^  Kindes  ^eleben  mit  seinem  Geiste, 
mich  versenken  in  seine  Psyche  imd  darzustellen  versuchen, 
wie  die  Gedankenfolge  des  Kindesi  war,  etwaige  Lücken  er- 
gänzen imd  in  das  Gefühlsleben  des  kleinen  Beobachters  hin- 
einleuchten.   Die  Resultate  folgen  wiederum  in  Tabellen. 

Tabelle  VIII. 
1.  Negationefl. 


Jnli 


Oktober 


Dezember 


a)  1.  Kein  Wagen  an- 
spannen 

2.  Ka  Matter 

3.  ka  Karo  da 

4.  ka  Matter  dran 

5.  ka  Lampe 

6.  ka  Pappe 


a)  1.  ka  Chokoladetafel 

2.  ka  Ba  drauf 

3.  ka  Pappe 

4.  ka  Wickelbaad 


b)  1.  ka  Oockelhahn 
2.  Lampe  netanzandon 


L,  Mmikw^r^ 


75 


Juli 


Oktober 


Dezember 


k&  Karo 

ka  WickelbftDd 


nei  ZfindMIzcli/eti 

Heßler  hat  net 

KDopfsÜefel 

ka  Lampenschirm 

ka  Hat  da 

ka  Luila. 


b)  1.  ka  ZUndhöIzclien 

2.  ka  Zimmer 

3.  ka  Schuld 

4.  ka  Mann  har 

5.  ka  Lein© 

6.  ka  Kanna 

7.  ka  Pania 

8.  ka  Hulipetz 

Während  der  Durchsicht  der  Angaben  des  Kindes  fiel  mir 
auf,  daß  es  m  oft  sagte :  das  und  jenes  wäre  nicht  da.  Also  ver- 
mißte es  etwas  auf  dem  Bilde,  das  es  dort  vermutet  hatte.  Auf* 
fallend  ist,  daß  derartige  Negationen  während  der  erstmaligen 
Betrachtung  nicht  vorkommen.  Im  Oktober  finden  sich  deren 
16  (8+8),  im  Dezember  11  (4+7).  Ich  habe  diese  Negationen 
in  awei  Gruppen  gebracht.  Sieht  man  dieselben  nämlich  etwas 
nähen  schärfer  an,  so  bemerkt  man,  daß  sich  die  erste  Gruppe 
auf  Dinge  bezieht^  welche  es  deshalb  auf  seinem  Bilde  ver- 
mißtej  weil  etwas  ähnliches  auf  dem  vorausgegangenen  Bilde 
oder  einem  früher  vorgeführten  war.  Die  zweite  Gruppe  ent< 
hält  diejenigen  Negationen,  die  sich  auf  die  Umgebung  des 
Kindes:  Familie,  Haus,  Freunde  und  sein  eigenes  Ich  beziehen- 
Daß  das  Kind  im  Juli  derartige  Negationen  nicht  brinert,  erkläre 
ich  mir  aus  dem  Umstände^  daß  es  früher  noch  keine  Bilder  an- 
schauen durfte,  in  seinem  Gedächtnis,  in  seiner  Erinnerung  also 
noch  keine  Vorstellungen  derartiger  Wahrnehmungen  haften 
konnten  und  der  Reiz  der  Neuheit  den  Hintergrund  der  Um- 
gebung zurückdrängte»  Die  Erklärung  einiger  dieser  Nega- 
tionen wird  genügen,  um  den  Gedankengang  des  Kindes  fest- 
stellen £u  können. 

^,Ka  Karo  da/*  So  sagt  das  Kind  beim  Anschauen  des 
zuzeiten  Bildes.  Auf  dem  ersten  Bilde  war  der  Hund  {sein  eigener 
Hund  heißt  Karo)  der  Mittelpunkt  des  Redeflusses*  Nicht  we- 
niger als  5  Mal  nennt  es  während  der  erstmaligen  Betrachtung 
den  Hund.  Zu  tief  sitzt  der  Karo,  sein  eigener  Hund,  in  der 
Erinnerung,  als  daß  es  ihn  bei  Betrachtung  des  Bildes  2  nicht 
vermissen  sollte. 

,3£a  Wickelband''.    Der  Hund  eines  früheren  Bildes  war 


76 


Beobachtungen  über  das  Ansehauungsvermögen  der  Kinder,  L 


gegürtet^  der  Hund  auf  dem  später  vorgeführten  Bilde  hat 
keinen  Gurt,  das  fällt  dem  kleinen  Beobachter  auf;  deshalb 
sagte  er:  ka  Wickelband. 

,,ka  Hanna»  ka  Paula."  Seine  beiden  Schwestern  heißen 
Hanna  und  Paula.  Nun  sieht  esi  auf  dem  Bilde  ein  Mädchen, 
das  es  sich  in  seinem  Alter  seiend  vorstellt.  Deswegen  sagt 
es :  Dös  bin  ich.  Zu  ihm  gehören  aber,  für  das  Kind  als  etwas 
Selbstverständliches  geltend,  seine  beiden  Schwestern.  Diese 
vermißt  es.  Deshalb  sagt  es:  ka  Hanna,  ka  Paula.  Diese 
Art  der  Negation  kleidet  es  auch  oft  in  Fragen :  Wo  ist  Paula, 
wo  ist  Hanna? 

„Ka  Godcelhahn."  Das  Kind  hatte  zu  Weihnachten  einen 
Gockelhahn  erhalten.  Das  vorgezeigte  Bild  stellt  die  Weihnachts- 
bescherung dar.  Nach  seiner  Ansicht  gehört  dazu  auch  ein 
Gockelhahn.  Es  findet  unter  den  Gaben  kein  solches  Tier, 
deshalb  sagt  es:    Ka  Gockelhahn.  — 

Wir  sehen  aus  dieser  Betrachtung,  daß  das  Kind  seinen 
Bewußtseinsinhalt,  seinen  Vorstellungskreis  in  Beziehimg  bringt 
zu  den  von  ihm  angeschauten  Bildern.  Diese  Tatsadie  läßt 
den  Schluß  zu,  daß  das  Kind  das  auf  dem  Bilde  sucht,  was  es 
sich  zu  der  dargestellten  Scene  zugehörig  denkt,  daß  es  das 
nicht  sieht,  was  seinem  Vorstellungskreis  fremd  ist. 

Tabelle  IX. 
1.  Anshilffsmltt«!  als  Brsatxmittel  ffflr  4«b  Mang»!  aa  Sprech-  oder 

Spnichfertifirait: 


Juli 


Oktober 


Dezember 


machte  so 
Bubn  a  so  zsammn 
80  thut  er 
macbts  so 
das  Paula  a  so 


Arm  80  her 
Fuß  so  nunter 
Frau  machte  so 
Der  Knabe  hat  solchs  da 
Es    zeigt    die    schiefe 

Lage  des  Hutes  des 

Knaben 
Bier  da  drin 

Im  Juli  bediente  es  sieh  der  Geberdensprache  6mal,  im 
Oktober  5mal,  im  Dezember  gar  nicht  mehr.  Diese  Geberden- 
sprache ist  scharf  zu  imterscheiden  von  den  eigentlichen  Nach- 
ahmungen. Das  Wörtchen  ,,so"  deutet  \ms  an,  daß  das  Kind 
eigentlich  etwas  sagen  wollte,  daß  es  uns  beschreiben  wollte, 
wohin  die  Frau  den  Arm  tut,  wohin ^ie  Katze  den  Fuß  legen 


L^  Mmxfwr* 


77 


wQl.  Am  deutlichsten  kommt  das  zum  Ausdruck  in  der  An* 
gäbe :  Der  Knabe  hat  s  o  1  c  h  s  da.  Der  Knabe  hat  eine  Tafel 
in  der  Hand.  Die  Tafel  ist»  scheint  ,es,  etwas  undeutHch  ge* 
seicboet.  Es  kennt  die  Tafeln  im  Juli  schon.  Siehe  oben. 
Warum  sagt  es:  Der  Knabe  hat  solchs  da?  Es  erkennt  diesen 
Gegenstand  auf  diesem  Bild  nicht  als  Tafel,  es  sieht  nur  die 
Form*  Es  weiß  noch  nichts  von  einem  Rechteck.  Deswegen 
hilft  es  sich  mit  seinen  Händchen  und  macht  uns  ein  Recht- 
eck vor.  Unwillkürlich  denke  ich  hier  an  den  Witz,  den  man 
sich  oft  erlaubt.  Was  ist  eine  Ratsche?  Fast  die  meisten 
Menschen  geben  zur  Antwort :  Ein  Ding  mit  welchem  man  es 
,^so**  macht  (sie  ahmen  die  drehende  Bewegung  der  Ratsche 
nach.) 

Ein  Tirolerbube  hatte  einen  Hut  mit  einer  Spielhahn- 
fcder  schief  auf  den  Kopf  gedrückt.  Das  Kind  kann  sich 
nicht  ausdrücken.  Es  nimmt  seine  Händchen  tmd  zeigt  uns  die 
schiefe  Lage  des  Hutes,  In  einem  Maßkrug  ist  Bien  Den 
Sat2  kann  es  nicht  voitständig  sagen.  Es  kann  sich  nicht  richtig 
aasdrucken :  Es  deutet  auf  den  Krug  und  sagt :  Bier  da  drin 
u*s.w.  Die  Erklärung  der  Juli-Beispiele  mögen  genügen  da- 
för,  daß  die  Behauptung  richtig  ist:  Fehlt  dem  Kinde  das 
Won,  so  sucht  es  sich  durch  Geberden  zu  verständigen.  Anders 
ist  es  mit  den  eigentlichen 

3.  Nachafamungsn. 

Hier  ersetzt  nicht  die  Geberde  die  Sprache,  sondern  das 
Kind  ahmt  nach  aus  dem  natürlichen  Nachahmungstrieb.  Auf 
dem  einen  der  gezeigten  Bilder  ist  eih  lebenslustiges  Bauern- 
weib  abgebildet,  sie  lacht  herilich,  ihre  weißen  Zähne 
bliüEen.  Der  Künstler  hat  das  Porträt  herrlich  wieder- 
gegeben. Das  Leben  des  Bildes  erweckt  den  Nachahmungs- 
trieb des  Kindes.  Täuschend  gitot  es  die  Mienen  des 
Weibes  wieder,  so  daß  ich  wünschte,  ein  Photograph  wäre 
zugegen.    Er  hätte  mir  die  Züge  des  Kindes  festhalten  müssen. 

Auf  einem  anderen  Bilde  ist  eine  Katzenfamilie  abgebildet. 
Ein  kleines  Kätzchen  kratzt  mit  den  Füßen.  Das  Kind  sieht 
die  Bewegung  der  Kat^e  mit  seinem  geistigen  Auge.  Diese 
Wahrnehmung  resp,  Vorstellung  veranlaßt  es,  die  Katze  nach- 
xoamnen:  es  strampelt  mit  den  Beinen. 

Der  Knabe  auf  dem  ersten  Bilde  hat  weiße  Zähne,  wie 


78 


Beobachhingen  über  das  Anschauungsvermögen  der  Kinder.  /. 


Perlen.  Diese  fallen  dem  Kinde  auf.  Es  madit  seinen  Mund 
lauf  und  zeigt  ebenfalls  seine  Zähne. 

Alles  was  Leben  hat,  reizt  das  Kind^  weckt  den  Nach- 
ahmungstrieb, das  Kind  folgt  willenlos.  — 

Im  Anschluß  an  die  mangelnde  Sprechfertigkeit  und  die 
Defekte  im  Sprachgebrauch  möchte  ich  auf  eine  andere  Er- 
scheinung aufmerksam  machen:  auf  die  unrichtigen  Bezeich- 
nungen mancher  Gegenstände: 

Tabelle  X. 

(Falsche  Bezeichnungen.) 


Juli 

Oktober 

Dezember 

Die  Festung,  mit  der 

Die  Stiese  des  Hauses  ist 
eine  Chokoladetafel 

Stuhl  =»  Haspel 

die  Knaben  amWeih- 

Wandkarte  —  Ghokolade- 

nachten  spielen,   ist 

Die  Portiere  eine  Wagen- 

taM 

zuerst  eine  Eisen- 

deck 

Tisch  »  Chokoladetafel 

bahn,   dann  ein 

Der  Spiegel  eine  Choko- 

Gartenhaus 

ladetafel 

Per  Gurt  des  Hundes 

ebenso  die  Schreibtaf el 

ist  ein  „Wickel- 

Eine Puppe  identifiziert 

band" 

sie  mit  sich  selbst: 

DieFliege,  welche  auf 

dös  bin  ich,  nicht  ich  die 

der  Katze  l&uft,   ist 

Schlot^r  hergschreibt 

eine  Wunde,  ein 

„Wewe" 

Die  schwarzen  Flecke 

des  Mopses  ist 

„Blut" 

Zweifel:  Die  Puppe 

Korrektur:    Die  Portiere 

Wenn  ich  diese  „unrichtigen  Bezeichnungen"    betrachte» 
so  muß  ich  an  Goethes  Wort  denken : 

„Anschauen,  wenn  es  dir  gelingt. 

Daß  es  erst  ins  Innere  dringt. 

Dann  nach  außen  wiederkehrt : 

Bist  am  herrlichsten  belehrt/* 
Armes  Kindl  „Wenn  es  dir  gelingt!"  Ich  entsinne  mich 
noch  meiner  Kindheit.  Mein  Vater  nahm  mich  Sonntags  mit 
in  die  Kirche.  Wir  saßen  stets  auf  der  sogenannten  Empore. 
Von  da  aus  konnte  man  gut  den  Altar  sehen.  Vor*  dem  Ahar 
saßen  die  Lateinschüler.  Ich  freute  mich  von  einem  Sonntag 
auf  den  andern:  „die  Feuerwehrleute"  wiederzusehen.  Daä 
waren  für  mich  die  Lateinschüler.    Den  Zusammenhang  kaim 


Z.  Maurer, 


n 


ich  mir  momentan  nicht  erklären*  Beobachten  wir  Landleute, 
wenn  sie  in  die  Stadt  gehen.  Welche  ,,naiven  Ansichten**  — 
Anschauimgeo,  so  wie  sie  die  Personen,  die  Dinge,  die  Si* 
tuationen  ,janschauen**.  Doch  ich  schweife  ab*  Zurück  zum 
Thema*  Das  kleine  Mädchen  sieht  eine  Festung,  eine  solche, 
welche  der  Weihnachtsmann  bringt,  für  eine  Eisenbahn  an.  Die 
Eisenbahn  hat  in  dem  Schlot  der  Lokomotive  einen  erhöhten 
Punkt,  der  in  groben  Umrissen  dem  Turm  der  Festung  gleicht. 
Das  Gartenhaus,  für  welches  das  Kind  die  Festung  später  hält> 
hat  die  viereckige  Gestalt  derselben.  Das  Kind  sieht  „Formen**, 
„Form*'  und  weiß  nicht,  was  es  mit  ihr  anfangen  soll;  Ebenso 
geht  es  ihm  mit  verschiedenen  Gegenständen,  welche  in  der 
.»Form'*  einer  Chokoladentafel  gleichen.  Die  ,,recht eckige** 
Stiege,  der  ,,recht eckige'*  Spiegel,  die  „rechteckige**  Schreib-« 
tafel,  die  ,jrechteckige**  Wandkane  =  alle  diese  Gegenstände 
sind  Chokoladentafeln,  Am  meisten  Berechtigung  verdient  wohl 
der  Vergleich  mit  der  Schiefertafel,  weil  hier  das  Moment; 
,,dunkfe  Farbe**  hinzukommt*  Irgendwelchen  Berührungspunkt 
müssen  wohl  die  beiden  Gegenstände,  welche  das  Kind  in  ihren 
Bezeichnungen  verwechselt,  haben.  So  der  dunkle  Flecken  auf 
der  hellen  Haut  des  Mopses,  Es  sieht  fast  so  aus^  als  ob  der 
Mops  blutetCj  ebenso  die  Fliege  auf  der  Katze,  Ein  Flecken  auf 
dem  Fell  -  das  ist  für  das  Kind  Blut,  Wo  Blut  herausläuft, 
muß  eine  Wunde,  ein  „Wewe**  sein.  Aber  schon  erhebt  das 
Kind  Zweifel,  Es  sieht  eine  Puppe.  Es  denkt:  Diese  Person  (?) 
ist  so  groß  wie  ich.  Es  „schaut  die  Puppe**  als  so  groß  an,  wie 
sie  sich  selbst  dünkt.  Es  sagt:  „das  bin  ich."  Nun  hat  ihr, 
scheint  es,  an  der  Puppe  doch  etwas  nicht  gefallen,  was  zum 
Vergleich  mit  ihm  nicht  recht  stimmt.  Es  erheben  sich  in 
seiner  Psyche  Zweifel,  Es  sagt:  nicht  ich:  eine  Puppe*  Es 
korrigiert  sich  auch.  Im  Juli  hält  es  die  Portiere  für  eine  Wagen* 
decke.  Im  Oktober  sagt  es:  ein  Vorhang,  Diese  „un- 
richtigen Bezeichmmgen**  haben  mich  sehr  interessiert*  Sie 
sind  der  Angriff spunkt,  an  welchem  wir  den  Hebel  anzusetzen 
haben,  um  das  „Anschauen*'  iind  ,,Anschauungs vermögen*'  der 
Kinder  recht  studieren  zm  können.  Der  Anschauungsunterricht 
gravitien  nicht  auf  die  „Objekte**  hin,  sondern  muß  das  Subjekt 
„Kind**  im  Auge  behalten.  Ich  schließe  diesen  Abschnitt  mit 
den  Worten  KarlGerocks; 


80 


Beobachtungen  über  das  Anschauungsvermögen  der  Kinder.  I, 


„Singt  immer:  wie  singen  die  Alten 
Und  lesen  die  Schrift  mit  Verstand 
Und  doch  ach  I  wie  hundertmal  halten 
Das  Buch  wir  verkehrt  in  der  Hand." 

Sprach-  und  Sprechmängel. 
Unterwirft  man  die  Aussagen  des  Kindes  nur  einer 
flüchtigen  Durchsicht,  so  fallen  sofort  die  vielen  ,,a"  auf: 
Mädla;  dieses  ^^a"  findet  sich  am  häufigsten  an  Stelle  des  im- 
bestimmten Artikeln  Hier  kommt  der  Dialekt  der  leichten 
Ausisprache  des  ,,a"  entgegen:  statt  y.ein'*  erscheint  stets  ^.a". 
Selten  wendet  es  den  bestimmten  Artikel  an. 

Tabelle  XL 
(UnbMtimmtar  Artitel). 


Juli 

Oktober 

Dezember 

Summa 

2  X 

5  X 

13  X 

20  X 

Pronomina  wendet  es  häufig  an  \md  !zwar : 

Tabelle  XII. 
(PronomliuL) 

1.  Fendnliche 

2.  BeaitarAugeigende 

3.  Hinweiflenae 

4.  BüGkbezfigUcke 

5.  TJubeetimmte 

6.  Fragende 


JuU 


1  (solches) 


Oktober 


ich  5X  er  IX 
ihrVXSeinlX 
des  4X 


Was  IX 


Deoember 


ick  2X 
seinlXihröX 
das  4X 


3X 


Summa 


8 

15 

8 

1 

4 


36 


Wendet  es  diesielben   audi   richtig   an?     Folgende   Ta- 
belle XIII.  führt  die  falschen  Anwendungen  der  Pronomina  an: 

TabeUe  XIIL 

(Falsche  Anwendungen  der  Pronomina.) 


Juli 


Oktober 


Dezember 


ihr  Pfote  (Eatn) 

ihr  Großmutter  der  Bu 

g)ie  Großmutter  des 
üben) 
Ihr  Mutter  soll  Paula  a 
Weckla  geben 


Eatzakrakel  ilir  Minni 
Da  ihr  Schwans 
diegroßePaulaihr] 

Schwesterla;ihrelfotter: 

ihr  Vater. 


Z.  Maurer, 


81 


Juli 

Oktober 

Dezember 

Bab  soll  ihren  Hut  auf- 
setzen 

Eigentliche  Pronomina 

ihr  Pfote 
ihr  Mntter 

ihr  Schwanz 
ihre  Mntter 
ihr  Vater 

Wir  sehen  hier  die  mannigfaltige  Anwendung  des  Prono- 
mens ihr :  „ihr  Großmutter  der  Bu** :  die  Großmutter  des  Buben. 

„Die  große  Paula  ihr  kleines  Schwesterla**  =  das  kleine 
Schwesterchen  der  großen  Paula.  Das  besitzanzeigende  Pro- 
nomen ersetzt  den  Genetiv,  der  ja  auch  eigentlich  den  Besitz 
anzeigt. 

„Ihr  Mutter  soll  Paula  a  Weckla  geben**:  Das  ist  eine 
der  vielen  Umstellungen,  die  ich  schon  bei  anderer  Gelegen- 
heit schilderte  (AUg.  deutsche  Lehreraeitung  49:  der  Ge- 
dächtnisstoff).   Die  Mutter  soll  ihrer  Paula  a  Weckla  geben. 

„Bub  soll  ihren  Hut  aufsetzen**  =f  Verwechselung  mit 
„seinen". 

Das  Pronomen  „ihr**  wird  von  dem  Kinde  teils  richtig  an- 
gewendet, teils  falsch;  es  imterlaufen  ihm  Umstellungen;  es 
wendet  das  besitzanzeigende  Fürwort  an  Stelle  des  Genitivs  an. 


Tabelle  XIV. 

(Zahlwörter.)- 

Jnll 

Oktober 

Dezember 

Alk)  5 
Diei 

5  Karo 
5-8—9  Bu 
5  Frau 
SFäßla 

Die  paarla  Pfote 

Viel  Trau 

5 

Während  der  beiden  ersten  Betrachtungen  ist  eine 
größere  Anzahl  von  Gegenständen  immer  5;  das:  drei  =  Zufall. 

Interessant  ist  das  Zählen :  5—8—9  Bu.  Das  betreffende  Bild 
stellt  nämlich  eine  Schule  dar,  in  welcher  viele  Kinder  sitzen. 
Die  große  Anzahl  derselben  geht  wohl  über  den  Zählhorizont  des 
Kindes  hinüber.  Deswegen  nennt  es  5—8 — 9  sprungweise.  Im 
Dezember  drückt  es  sich  unbestimmt  aus.   Es  sagt :   Viel  Frau. 

Zeitschrift  fftr  pädagogische  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene.  5 


'.  L 


srrr.-  =  v^^niTi.     -ss  '^  ritf  at  TCOBC  5  ha&EC  ax.    Es  hat 

.ne  Z-jT-^rriiTLicfiksn:  n  räe^  Ana^raciiß.  Ar  Sprache  der 
r  iheriliüiiir  js"  ixe  .\zLi9^ndxai!g  <fi»  Ciiffiuir-  t-  Ich  unter- 


Iftn  zmi  vjc:  dese  J  :m  -s-aecr  vnL 


Mangel  tct- 


=  u 


&&> 


Im  Juli  wendet  das  Kind  den  Infinitiv  7mal,  im  Oktober 
Hrnal  und  im  Dezember  2mal  an,  (siehe  Tab.  XV).  Daß  es 
Uli  Juli  von  dieser  Form  seltener  Gebrauch  macht,  als  im 
OkuAn-r,  hat  seinen  Grund  darin,  daß  es  eben  im  Juli 
wiTiiK'^r  wr:iß.  Deshalb  steht  mir  auch  bei  der  JuH-Besprechung 
w#riiK^-r  Material  zur  Verfügung.  Die  Gegenprobe  wird  jetzt 
Anyru,  ith  korrekt  angewendete  Verba  im  Dezember  den  In- 
finitiv vordrängten. 

Tabelle  XVI. 

(Vnrdrlinfcutif;  dei  Infinitivs  durch  Verbformen.) 


Juli 

Müll II  Imi  nnlfiin 
Hill  KimtiMliiitiinldhHfU 

IlMli   /.Hllllfl 
Hill«)     lUlllM     Allf 


Oktober 


Karo  wMft  auf 
hat  Tafel 
Karo  ffibt  Pfote 
Int  ««tnpaokt 


DeEember 


Wart  auf 

Ba  hat  Ohokoladetaftl 
Bn  hat  Bildertrach 
Weifier  Karo  hat  Beine 


Z.  Maurer, 


83 


Juli 

Oktober 

Dezember 

Der  Ba  tchlAbt 

Dahinteoateckt  der  Mann 

Mag  ich  lücht 

Das  ist  sei  Hans 

Mann  soll  kommen 

Ptalakat  Zopf 

Kinder  thnn  Fangeilens 

Matter  soll  geben 
Bub  soll  amaetzen 

Hamper  sind  aerrissen 

sieht  man  gar  nicht 

Frau  h*t  Stock 

sitzen  in  der  Bank 

Das  bin  ich 

Große  Ghokoladetafeln 

MSdia  hat  Flaache 

sind  BÜder 
hat  Knopfstiefel 
Heßler  hatnet  Knopfstiefel 

hab    ich    Knopfstiefel 

gsehn. 

Minneria  guckt  r»us 
Vater  und  Muttor  suchens 

hat  Blumenstrauß 

A  Bu  hat  an  Stedcen 

Bu  da  oben  soll  runter 

Frau   hat  an  Kopfl  und 

a  Hanbn  auf 

Hundela  hat  Schwanz 

Da  hint  steckt  Tiulla 

Karo  tut  man  anspannen 

Luila  hat  an  Schopfl 

S.  S.  =  5 

S.  S.    ==  18 

S.  S.  =  26 

Bei  den  erstmaligen  Betrachtungen  überwiegen  die  In- 
finitive, im  Dezember  haben  die  korrekten  Sätze  einen  sehr  be- 
deutenden Vorsprung.  Während  eines!  halben  Jahres  hat  das 
Kind  „im  Sprechen"  sehr  viel  gelernt.  Die  beiden  Tabellen: 
XV  imd  XVI  beweisen  das. 


Tabelle  XVII. 

(Fehlerhaft  ausgesprochene  Worte.) 


Juli 

Oktober 

Dezember 

mehme 

Baroln 
hergschreibt 

Katzakrakel 
Pottkittel 

'R'ftffiiiAynit'hl 

Unter  der  großen  Anzahl  von  Wörtern  ist  eigentlich  die 
der  fehlerhaften  sehr  gering.  ^^Mehme**  imd  „Katzakrakel"  bilden 
eine  Gruppe.  Das  Kind  sagt:  mehme^  weil  das  zweite  „m" 
assoziativ   auf  den  ersten  Laut  wirkt:   ebenso:    Katzakrakel. 


34  Beobachtungen  über  das  AnschauungsvermSgen  der  Kinder,  L 

die  zwei  „K"  in  Katzenbrack  üben  ihre  nach-  und  rückwärts- 
wirkende assoziative  Kraft  aus.  Das  Kind  spricht  unter  diesem 
Drucke:  krakl  statt  brack  (siehe  obenerwähnten  Aufsatz  der 
Allg.  deutschen  Lehrerzeitung,  in  welchem  ich  diese  Kraft  des 
Näheren  erläutert  habe).  Pottkittel  (Bettkittel),  Baroln  (Ballon) 
imd  Kaffeemahl  (Kaffeemühle)  hat  sidh  das  Kind  selbst  ge- 
bildet, wie  vielfach  Kinder  ihre  Sprache  selbst  formen. 

Sittliche  Gefühle. 

Laien  behaupten  oft,  Kinder  mit  3 — 4  Jahren  verstünden 
noch  nicht  viel.  Auch  ich  wmrde  ausgelacht,  als!  ich  von  einem 
3^ jährigen  Kinde  Bilder  ansehen  ließ.  Wir  haben  gesehen, 
daß  ims  der  kleine  Mann  sio  viel^  Stoff  geliefert  hat,  daß  er 
kaum  7>x  bewältigen  ist.  Das  Kind  hat  nicht  nur  Geberden, 
Mienen  imd  Worte.  Es  hat  audi  schon  Gefühle  und  ist  in 
seinem  Innersten  empört,  wenn  es  sieht,  daß  einem  Wesen 
Unrecht  geschieht.  Seine  Psyche  ist  erregt  darüber,  daß  ein 
anderes  Geschöpf  leiden  soll.  Unzweideutig  gibt  uns  der  kleine 
Schüler  darüber  Antwort.  Im  Juli  merkt  man  davon  noch 
nichts.  Aber  schon  bei  der  zweitmaligen  Betrachtimg  gefällt 
es  ihm  dxurchaus  nicht,  daß  der  Nacketfrosch  „nicht  angezogen 
ist".  Es  nennt  den  Buben  „böse",  weil  er  einen  Stecken  hat. 
Es  vermutet,  daß  er  mit  demselben  zuschlagen  will.  Seine 
Haltimg  gefällt  ihm  nicht.  Im  Dezember  sieht  e^  wie  eine 
Katze  zu  der  andern  will.  Das  Kätzchen  legt  eine  Pfote  auf 
die  andere.  Das  Kind  meint,  es  will  dem  Kätzchen  etwas*  tun : 
es  *sagt :  mal  a  jböse  Minni. 

Es  hat  nicht  nur  sittliche  Gefühle,  sondern  das  Anschauen 
der  Bilder  ist  auch  mit  einem  gewi^en  Frohgefühl  verbünden; 
das  Isbgenannte  Heurekagefühl  kommt  oft  zirni  Durchbruch. 
Es  emj)findet  Freude  über  die  Freude,  die  aus  den  Augen  der 
im  Bilde  gezeichneten  Personen  blitzt,  es  empfindet  Freude, 
wenn  es  Gegenstände,  Tiere  und  Personen  aus  seiner  Umgebung 
in  den  Bildern  wiedererkennt.  „Es  strampelt  mit  den  Beinen" 
und  ahmt  die  Mutter  nach.  (Siehe  Nachahmung.)  Es  hat 
auch  religiöse  Gefühle.  Andächtig  legt  es!  die  Hände  zusammen, 
als  es  sieht,  daß  ein  Mädchen  betet.  Hätte  es  kein  religiöses 
Gefühl,  nimmermehr  würde  es  auf  die  betende  Haltung  des 


Z.  Maurer.  35 

Mädchens  reagieren.  Man  spreche  mir  hier  nicht  von  einer 
Nachahmung.  Ich  habe  mich  so  gründlich  von  dem  Vor- 
handensein der  religiösen  Gefühle  überzeugt,  daß  mir  niemand 
das  strittig  macht.  Eine  offene  Frage  ist  die,  ob  und  inwieweit 
die  Vererbung  mitspielt. 

Damit  wäre  ich  mit  meinen  Betrachtungen  zu  Ende.  Ein 
II.  Teil  behandelt  die  Ergebnisse  des  Anschauens  der  Bilder 
von  Seite  schulpflichtiger  Kinder. 


ifs^^^ 


Sitzungsberichte. 


Psychologische  Oesellschaft  zu  Beriin. 

Sitzung  vom  11.  Dezember  1902. 

Beginn:  7»  Uhr. 

Vorsitxender:  Herr  Th.  S.  Fla  tau. 

Schriftführer:  Herr  Pfungst 

Der  Vorsitzende  begrüßt  die  zahlreich  erschienenen  Gäste  und  madtt 
folgende  Mitteilungen: 

Die  Stadtbibliothek  zu  Göteborg  überreicht  im  Austausch  gegen 
ca.  18—14  Schriften  der  Gesellschaft  für  Psychologisdie  Forschung  Bd.  VII 
der  Göteborgs  Högkolas  Ärsskrift,  Göteborg  1901. 

Das  Institut  G^n^ral  Psychologique  zu  Paris  ist  bereit,  sein  zwei- 
monatlich erscheinendes  Bulletin  gegen  die  Schriften  der  Gesellschaft  auszu- 
tauschen. Die  Psychologische  Gesellschaft  ist  damit  einverstanden  und 
übersendet  Heft  12  und  13-14  ihrer  Schriften. 

Der  Vorsitzende  begrüßt  hierauf  den  Redner  des  Abends,  Herrn  C.  £  i  t  z , 
Gesanglehrer  in  Eisleben,  als  Gast  und  erteilt  ihm  das  Wort  zu  seinem  Vor- 
trage  über: 

Die    Ton  wor  tmet  hode    in    psychologischer    und 
musikpädagogischer  Hinsicht. 

Zu  einer  guten  Allgemeinbildung  gehört  auch  die  musikalische.  Darum 
müssen  auch  die,  die  kein  Instnunent  spielen,  sie  erwerben  können.  Bei 
richtigem  Betriebe  kann  das  auf  der  Grundlage  des  elementaren  Schul- 
gesangunterrichts  geschehen.  Dieser  Unterricht  ^'ermittelt  gegenwärtig  keine 
genügende  musikalische  Bildung.  Selbst  auf  höheren  Schulen  gelangt  man 
nicht  weiter  als  zu  einiger  Notenkenntnis,  im  übrigen  aber  nicht  zum  volkn 
Notenverständnis.  Dieser  Mißstand  ist  nicht  auf  die  mangdnde  BefiUiigaDg 
der  Schüler,  auch  nicht  auf  die  Schwerbegreiflichkeit  des  Mnwkalisdiia^ 
sondern  auf  die  Mängel  der  Unterrichtsmethode  und  ihrer  Mittel  snrück- 
zuführen.     Das  soll  hier  nachgewiesen  und  ein  neuer  Wag  gewägt  werden. 

Ein  Schüler,  der  nach  Noten  spielt,  hat  von  vornherein  nicht  nötig, 
sich  den  notierten  Ton  vorzustellen.  Er  hat  nur  für  jede  Note  die  ent- 
sprechende Griffstelle  am  Instrument  anzuspielen,  um  den  riclttjgeQ  Ton 
zu  treffen.  Der  Gesangschüler  dagegen  hat  nach  dem  NotenbiMe  seinen 
Stimmapparat  einzustellen.     Das  gelingt  ihm  aber  nur  dann,  wem  vorher 


Säzurifs^erüki^, 


87 


das  Notenbiid  die  entsprechende  Ton  Vorstellung  in  ihm  erweckt  hat.  Diese 
Wirkung  will  sirh  aber  meist  nicht  einstellen*  Wenn  es  dem  Spieler  mit  der 
Zeit  gelingt,  schon  beim  ersten  bb0en  Anblick  der  Noten  die  entsprechenden 
Tonvorstetlungen  zu  haben,  so  hat  er  eine  Entwicklung  hinter  sich,  in  der 
gewi^e  Zwischenvxjrstellungen,  etwa  das  chromatische  Schema  der  Klaviatur, 
besonders  aber  die  durch  das  Spiel  gewonnenen  Bewegungs Vorstellungen,  eine 
%'ertmttelnde  Rolle  zwischen  Noten-  und  TonvorstcUung  gespielt  haben.  Mehr 
oder  minder  bewußt  spielen  diese  Zwiscbenvorstellungen  auch  später  in  den 
Reproduktionsproieß  hinein»  wenn  er  mit  musikalischem  Verständnis  Noten 
liest*  Dem  des  Spiels  unkundigen  Sänger  fehlen  derartige  Zwischen  Vor- 
stellungen. Die  Vorstellungen  von  den  beim  Singen  gehabten  Empfindungen 
im  Slimmapparat  können  dahin  nicht  gerechnet  werden,  denn  sie  werden  erst 
mit  Hilfe  der  Tonvorstellung  und  nicht  umgekehrt  reproduiiert-  Man  kann  aber 
auf  dem  Wege  des  Solfeggierens  dem  Sänjger  brauchbare  Zwischenvorstel- 
lüiXgen  anerriehen.  Die  hierbei  nach  dem  Gesetze  der  Gleichzeitigkeit  dem 
Tonvorstellungskomplexe  assoziierte  Vorstellungskomponente  des  Tonnamens 
enthält  ein  durch  die  Sprechbewegungen  erzeugtes  senso motorisches  Vor- 
stcüungselemem.  Diese  Bewegung! Vorstellungen  haben  aber  so  wie  so  schon 
eine  enge  Beziehung  zu  unserem  logischen  Vermögen  und  werden  bei  dcf 
nahen  Verwandtschaft  zwischen  Denken  und  Sprechen  voraussichtlich  das 
mnsikalkche  Denken  viel  wirksamer  und  zuverlässiger  beeinflussen  als  die 
vom  Spiel  herrührenden  Bewegungs Vorstellungen. 

Der  Schulunterricht  hat  das  früher  geübte  Solfeggieren  aufgegeben,  weil 
die  arctinischen  Silben  für  das  chromaiische  Tonsystem  nicht  mehr  aus- 
reichten. Das  Abec edieren  auf  Tonbuchstaben  hat  sich  nicht  eingeführt,  da 
CS  den  Erfolg  der  Stimmenbildung  vereitelte,  denn  die  gebräuchlichen  Ton* 
namen  sind  nicht  sangbar.  Sie  bilden  auch  in  ihrer  Gesamtheil  ein  logisch 
wertloses  System,  wekhes  die  Betiebur^gen  der  Töne  untereinander  fast  gar 
nicht  zu  versinnbildlichen  vermag.  So  ist  es  gekommen,  daß  wir  einerseits 
zwar  Tonnamen  hatten,  sie  an^drerseits  aber  nicht  verwerteten^  um  sie  durch 
hinreichende  Übungen  ebenso  fest  mit  den  Tonvorstellungen  zu  assoziieren, 
wie  die  Worte  der  Sprache  mit  den  Vorstellungen  aus  andern  Sachgebieten 
assodiert  sind. 

Mein  Tonwortsystem  bietet  für  den  musikalisch  bildenden  Gesang- 
umerrichi  ein  neues  Sprachmittel  an,  welches  das  ganze  chromatische  Ton- 
System  und  die  musikalischen  Beziehungen  der  Töne  untereinander  lu  ver- 
sinisft^ildlichcn  vermag.  Die  Tonworte  sind  auch  sangbar,  wie  die  aretinischen 
Silben,  Sie  sind  wie  diese  zweilautig  und  jedes  besteht  aus  einem  Kon- 
sonanten im  Anlaut  und  einem  Vokal  im  Auslaut.  Die  Konsonanten  be- 
zeichnen die  chromatische  Stufe,  Deren  Skala  von  c  bis  h  ist  folgende: 
b  r  t  m  g  s  p  1  d  f  k  n. 

Die  Vokale  heieichnen  die  enharmonischen  Unterschiede  auf  den  chro- 
matischen Stufen,  as  heißt  z.  B.  da,  gis  dagegen  de.  Die  enharmonische 
Skala  beißt:  a  e  i  o  u.  Die  Tonwort  reihen  der  Dur-  und  Moll  ton  1  eitern 
lassen  die  diatonfischc  Gliederung  nach  Ganz^  und  Halbtonstufen  sowohl  an 
den   Konsonanten-   ais  auch  Vokalfolgen    erkenneti.     Die    IntervaUe   werden 


■^ 


88  SitsungsberühU. 

als  große,  kleine,  verminderte  und  übermäßige  zuverlässig  unterschieden. 
Trotzdem  will  das  neue  System  das  schwebende  Problem  der  natürlich 
reinen  Stimmung  nicht  lösen,  überhaupt  an  der  hergebrachten  Art  und  Weise, 
wie  die  Musiker  die  Stimmungsverhältnisse  denken,  nichts  ändern,  sondern 
als  Bildimgsmittel  eine  technisch  und  logisch  wertvolle  Ergänzung  zu  dem 
bewährten,  jetzt  gebräuchlichen  Notensystem  sein.  Die  Tonworte  sollen 
demnach  auch  als  neue  Notennamen  gelten.  Die  Namen  für  die  Be-, 
Grund-  und  Kreuznoten  sind  folgende: 

ces-dur :    ne  ri  mo  go  pu  da  ke  ne 

c-dur:   bi  to  gu  su  la  fe  ni  bi 
cis-dur:    ro  mu  sa  pa  de  ki  bo  ro. 

Betrachtet  man  die  Namen  von  c-dur  als  Gnmdnamen,  so  findet  man 
die  Namen  der  mit  einem  Kreuz  bezeichneten  Noten,  indem  man  von  den 
Lauten  des  entsprechenden  Grundnamens  sowohl  in  der  Konsonanten-  als 
in  der  Vokalskala  eine  Stufe  fortschreitet  und  die  gefundenen  Laute  zu 
einem  Tonwort  verbindet.  Bei  den  mit  b  vorgezeichneten  Noten  sdu'eitet 
man  in  den  Lautskalen  je  eine  Stufe  zurück.  (Ausführlicheres  findet  man 
in  meinem   „Tonwort",   No.    1). 

Die  natürlichste  Grundlage  der  Tonarten  sind  die  Hauptdreiklänge, 
Darum  beginnt  die  Tonwortmethode  mit  den  Sekimdenreihen  der  T<m- 
leitem,  sie  glaubt  dem  Anfänger  nicht  von  vornherein  das  Treffen  dis- 
sonanter Intervalle  zumuten  zu  dürfen.  Aus  dem  klangverwandtschaftlichen 
Zusanunenhang  der  Durdreiklänge  wird  der  Schüler  mit  allen  konsonanten 
Intervallen  bekannt.  Sodann  werden  in  der  Form  dreistimmiger  Kanons 
zwei  Dreiklänge,  z.  B.  c  e  g  und  c  f  a,  miteinander  verbunden  und  die 
Tetrachorde,  wie  e  f  g  a,  daraus  entwickelt,  deren  Töne  dann  in  auf-  und 
absteigender  Folge  zu  einem  mitklingenden,  ihnen  konsonanten  Vergleichs- 
tone, in  diesem  Falle  c,  intoniert  werden  müssen.  Auf  diesem  Wege 
werden  die  Schüler  auch  mit  den  dissonanten  Intervallen  vertraut  imd 
schließlich  zum  Singen  der  Tonleiter  befähigt.  Der  Zusammenhang  der 
klangverwandtschaftlich   verbundenen   Tetrachorde   in   c-dur   ist   folgender: 


Die  an  die  Klammem  gestellten  Töne  des  tonischen  Dreiklang^  sind 
die  den  Stufen  der  entsprechenden  Tetrachorde  konsonanten  Vergleichstöne. 
(Näheres   siehe  im   „Tonwort",    No.    3). 

Die  Tonwortmethode  erreicht  durch  den  Gebrauch  der  sangbaren  Ton- 
worte eine  gute  Stimmbildung  und  saubere  Artikulation,  durch  die  drei- 
stimmigen Tonalitätsübungen  eine  reine  Intonation.  Die  Asozziation  der 
Tonworte  mit  der  Tonvorstellung  schafft  dem  Schüler  in  dem  Tonwort- 
system eine  brauchbare  Handhabe  für  sein  musikalisches  Denken,  die  ihm 
das  Festhalten  xmyd  die  denkmäßige  Weiterverarbeitung  seiner  musikalischen 
Erfahrungen  gewährleistet.     Der  Unterricht  nach  der  Tonwortmethode  ist 


Stiaung^^enekie. 


89 


darum  auch  eine  gute  Verarbeininj^  für  das  Instrumentenspiel,  gewinnt 
dafür  aber  noch  einten  besonderen  Wert,  indem  die  Konsonanten  der  Ton- 
wotte    die    chromatische    Stufe    bezeichnen. 

Trotz  der  TonaHtätsübungen  bleiben  Choräle  und  mehrst  immige 
Volksmelodien  der  Hauptstofl.  Sie  werden  mit  Hilfe  des  Tonworts  ange- 
eignet* Dabei  gilt  die  Note  als  graphisches  Symbol  für  das  Tonwort.  Die 
gebrauch  Liehen  Notenpamen  bleiben  ganz  außer  Betracht.  Die  theoretische 
Belehrung  i^ird  auf  das  für  ein  sicheres  Können  tmerläß liebe  MaÖ  bc» 
scbränktj  den'n  das  Vom-Blatt-Singen  soll  bis  zum  unwillkürlichen  auto* 
inatischen  Akte  ausgebildet  werden.  Dieser  Prozeß  wird  durch  häufiges 
Daiwischentreien  bewußter  Überlegung  eher  gehindert  als  gefördert.  Die 
Tonwortniethode  zielt  somit  nicht  auf  ein  theoretisches  musikalisches  Wissen 
ab^  sondern  in  durchaus  elementarer  Weise  durch  Vermitiltmg  des  Ge- 
sangsunterrichts auf  ein  sicheres  Können  im  verständnissvollen  Musiklesen 
vom    Blatt, 

Diskussion: 
Herr  T  h  ,  S.  F  1  a  t  a  u  bemerkt*  die  Diskussion  eröffnend,  daß  er  es 
für  wichtig  gehalten  habe,  dem  Autor  einer  Methode  selbst  Gelegenheit  zu 
geben,  deren  Prinzipien  und  Absichten  vorzutragen.  Es  müssen  gerade  solche 
Bcftrebungeu,  die  den  Elementarschulen  und  damit  dem  Volksunter  richte 
sm  gute  k€nimen  sollen,  besonders  sorgfältig  gewürdigt  und  untersucht 
werden. 

Herr  Mam  Battke:  Die  Methode  des  Herrn  E  i  i  z  ersieht  den  Schüler 
systematisch  zum  Unreinsingen,  denn  sie  nimmt  auf  die  großen  und  kleinen 
Canitonsch ritte  keine  Rücksicht.  Wenn  sich  z,  B.  in  dem  Ohre  des  Schülers 
«lie  Entfernung  g— a  (von  E  i  t  z ;  la— fe  benannt)  für  c-dur,  also  als  kleiner 
Gamton  festgesetzt  hat,  so  kann  er  nachher  denselben  Schritt  la-fe  un< 
möglich  für  g-dur  brauchen,  da  von  der  ersten  zur  zweiten  Stufe  ein  großer 
Canfton  liegt.  Und  der  Unterschied  von  g  bis  a  in  der  eingestrichenen 
Oktave  betragt  zwischen  5  bis  6  Schwingungen,  also  etwas  mehr  aJs  der 
Unterschied  zwischen  unserem  Kammerton  und  der  Pariser  Stimmung,  ist 
also  selbst  für  weniger  geübte  Ohren  deutlich  vernehmbar.  Der  Sänger 
soll  aber  nicht  dem  am  wenigsten  musikalischen  Instrumente,  dem  tempe- 
rierten Klavier  nachsingen,  sondern  sich  eher  nach  der  Geige  richten.  Und 
jeder  gebildete  Geiger  wird,  selbst  wenn  er  im  Orchester  sitzt,  für  jeden 
Ton  drei  bis  vier  vcrschiedejie  Anschlagsstellen  haben,  entsprechend  der 
Stufe^  die  der  betreffende  Ton  in  der  jeweils  v-orliegendcn  Tonart  einnimmt. 

Herr  v-  H  o  r  n  b  o  s  t  e  l  erinnert  an,  die  Arbeit  von  M.  Planck  über 
die  rdne  Intonation  beim  Acapella-Gesang^  aus  der  hervorgeht^  daß  die 
beut  igen  Sänger  in  Üiren  Ton  Vorstellungen  von  der  temperierten  Kjavier- 
Stimmung  stark  beeinflußt  sind. 

Herr  Prof.  Dr,  Zelle  (a\  GJ :  Die  reinen  Tonverhältnisse  sind  dem 
menschlichen  musikalischen  Vermögen  so  angeboren,  daß  es  ganz  tiimiög- 
Ijch  ist,  die  einfachen  Verhältnisse  (8,  5,  4)  unrein,  d.  h,  temperiert,  tvi 
singen.  Es  kann  daher  eintreten^  daß  ein  rein  gesungenes  Stück  höher  oder 
tiefer  schließt,  als   es  begonnen   hat.     Aber  bei  mehrstimmigem  oder   bc- 


90  SüsungsberickU, 

gleiteten!  Gesang  müssen  wir  beständig  temperieren.  Dies  geschiefat  bei 
den  weniger  konsonierenden  Verhältnissen:  6,  3,  Ganzton,  Halbton.  Das- 
selbe  tut  jeder  Spieler  eines  Streichinstruments  im  Zusammenspiel  nut  anderen. 
Herr  Th.  S.  Flatau  wünscht,  sich  zu  der  Methode  noch  vom 
Standpunkte  der  Stimmhygiene  imd  der  Sprachästhetik  zu  äußern.  Wie  er 
Herrn  Eitz  schon  nach  dem  ersten  Eindrucke  der  Vorführungen  in  Eis- 
leben bemerkt  habe,  glaube  er,  daß  die  Methode  die  Keime  inf  sich,  trage, 
auch  nach  diesen  Richtungen  ausgenützt  zu  werden;  bisher  aber  sei  dlet 
noch  ein  unangebautes  Feld.  Jedenfalls  sei  es  richtig,  vor  einem  abschließenr 
den  Urteil  sich  selbst  gründlich  in  die  Idee  und  die  Praxis  der  Methode 
zu  vertiefen. 

Herr  Eitz  erwidert  in  seinem  Schlußworte:  Die  theoretische  Frage, 
welcher  Einfluß  auf  den  Musikbetrieb  der  sogenannten  „natürlich-reinen" 
Stimmung  beizumessen  ist,  gilt  heute  noch  als  ungelöstes  Problem.  Ich  be- 
dauere, daß  sie  in  die  Diskussion  hineingezogen  worden  ist.  'Wn  sind 
hier  gar  nicht  in  der  Lage,  sie  zu  löse«.  Wolken  wir  auf  die  Forderung 
eingehen,  daß  schon  durch  die  Tonnamen  große  imd  kleine  Ganztöne  imter- 
schieden  werden  müßten,  so  würden  wir  finden,  daß  dann  auch  eine  Ände- 
rung imseres  gebräuchlichen  Notensystems  imabweisbar  wäre.  Das  Noten- 
system unterscheidet  bis  jetzt  zwei,  um  ein  syntonisches  Komma  verschie- 
dene gleichnamige  Töne  ebenfalls  nicht.  Das  beeinträchtigt  aber  die  reine 
Intonation  in  keiner  Weise.  Die  Tonwortmethode  lehnt  sich  deshalb  eng 
an  das  gebräuchliche  und  bewährte  Notensystem  an  und  will  an  demselben 
nicht  mäkeln  und  modeln.  Sie  kann  sich  noch  viel  weniger  damit  be- 
freunden, das  Noten-  imd  Tonnamensystem  zugunsten  der  temperierten 
Stimmung  umzuändern. 

Für  mein  TeU  hätte  ich  gewünscht,  daß  sich  hier  in  dieser  Sitzung  die 
Besprechung  auf  die  psyclK^ogische  Frage  geleitet  hätte:  Kann  der  sen- 
somotorische  Teü  der  Tonwortvorstellung  erzieherisch  für  das  musikalische 
Vorstellen  der  in  der  Notenschrift  dargestellten  Musik  fruchtbar  g^nacht 
werden?  Ich  freue  mich  aber,  daß  mir  hier  zugesichert  worden  ist,  diese 
Frage  in  einer  späteren  Sitzung  der  Psychologischen  Gesellschaft  besprechen 
zu    wollen. 

Schluß  der  Siteung:  9**   Uhr. 


Verein  für  Kinderpsychologie  zu  Berlin. 

Sitzung  vom  16.  Januar  1903. 

Beginn   8*0    Uhr. 

Vorsitzender :  Herr  K  e  m  s  i  e  s. 

Schriftführer:   Herr  Hirschlaff. 

Der  Vorsitzende  eröffnet  die  erste  Sitzung  des  Jahres  mit  einige«! 
einleitenden  Worten  und  wendet  sich  darauf  an  den  bisherigen  Vorsitzenden 
Herrn  Geh.  Reg.-Rat  Stumpf,  um  ihm  für  die  dem  Verein  geleistet^ai 
Dienste  zu  danken.     Folgendes  war  der  Wortlaut  der  Ansprache: 


Siiwungshtriektd, 


91 


„Gcchrtü  Damen  und  Herren  t  Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicii^ 
Herrn  Geh.  Reg,*Rat  Stumpf,  der  durch  sein  heutiges  Erscheinen  sein 
weiteres  Interesse  an  unsero  Bestrebungen  bekundet,  sowie  Herrn  Geh. 
Re^.'Rat  H  e  u  b  n  e  r ,  der  leider  heute  verhindert  ist,  an  der  Sitxung  teil- 
zujichmen,  den  Dank  für  die  bisherige  hingehende  und  bedeutsame  Tätig- 
keit in  unserm  Kreise  auszusprechen.  Als  wir  vor  3^^  Jahren  an  die 
Gründung  des  Vereins  gingen,  waren  wir  dann  einig,  daß  er  nur  durch 
anerkannte  Autoritäten  auf  eine  streng  wissenschaftliche  Basis  gestellt  werden 
und   einen    angemessenen    Rahmen    erhalten    könne. 

Sie,  Herr  Geheimrat  Stumpf,  haben  damals  die  Statuten  entworfen 
und  die  reitraubenden  Vorarbeiten  bei  der  Gründung  auf  sich  genommen; 
Sie  haben  uns  darauf  mustergültige  Vorträge  gehalten  und  für  anderweitige 
wtssensdiaftHche  Beiträge  Soige  getragen,  Sie  haben  die  Diskiission^n, 
stets  in  streng  sachlicher  Weise  geJeitet  und  die  Veröffentlichungen  in 
Form  der  Sammelbände  und  Sitzungsberichte  ins  Werk  gesetzt,  so  daß 
wir  heute  auf  eine  ertragreiche  Arbeit  lurückblicken.  Ich  spreche  Ihnen 
im  Namen  der  Vereinsmitgliedcr  unsern  tiefgefüMtesten  Dank  dafür  aus, 
Urnen,  der  Sie  die  Idee,  die  uns  vorschwebte,  so  fruchtbringend  t\i  ver* 
wirklichen    verstanden, 

Herr  Gehe  im  rat  H  e  u  b  n  e  r  hat  als  Mediziner  den  Verein  nach  seiner 
Richtung  in  gleichem  Maße  gefördert,  er  hat  uns  einen  ausgezeichneten 
Vortrag  gehalten  und  manches  klärende  Wort  in  der  Diskussion  ge- 
sprochen. 

G.  D.  y.  HJ  Ich  fordere  Sie  auf,  sich  xtim  Ausdruck  Ihres  Dankee* 
von    den    Platzen   zu    erheben." 

Nachdem  dies  geschehen  war,  erwiderte  Hert  Stumpf:  er  danke  ver- 
bindlichst für  die  freundlichen  Worte  und  gebe  zu,  daß  der  Verein  ihm 
sehr  am  Herzen  gelegen  und  ihm  freilich  auch  manche  schwere  Stimde 
bereitet  habe.  Indessen  habe  er  sich  durch  die  rege  Teilnahme  der  Mit* 
gÜeder  an  den  Interessen  des  Vereins  stets  reichlich  belohnt  gefühlt.  Er 
wünsche  dem  Vereine  auch  in  Zukunft  weiteres  Blühen  und  Gedeihen, 
Es  folgten  einige  geschäftliche  Bemerkungen  des  Vorsitzenden.  Zu 
Kassenrevisoren  wurden  ernannt  die  Herren  P  f  u  n  g  s  t  und  G  i  e  r  i  n  g. 
,  la  den  Verein  aufgenommen  wurde  Herr  etud,  W  i  1 1  m  a  n  n  ,  Berlin, 
I  Oranicnburgerstr.  37.  Sodann  hielt  Herr  Döring  den  angekündigten  Vor* 
I  ^ag*  ,,Über  sittliche  Erziehung  und  M  oral  u  n  te  rri  c  ht/* 
I  Der   Vortrag  ist  unter  den   Original  beitragen  dieser  Zeitschrift  in   ex- 

I       Ktim  abgedruckt. 

fc  Dtskussio  n. 

^  Herr  K eins i es  hebt  für  die  Diskusston  einige  pädagogisch-psycho- 

logische Gesichtspunkte  hervor,   nämlich:   Für  welches   Lebensalter  soll  der 
Moralunterricht  bestimmt  werden?   Soll  die  Verbindlichkeit  der   Morallehre 
vor    <len    Schülern    diskutien    werden?    Sollen    Märchen    und    Fabeln   vom 
^*ua«hen  Anschauungsunterricht  ausgeschlossen  sein?  Welchen  Platz  nimmt 
«  Gewöhnung  innerhalb  der  sittlichen  Erziehung  ein?    Wie  hat  sich  der 
^f'öraiiiniej^^hi   bei   moral   insanity   zu   gestalte!? 


92  Sit9ungsberichte, 

Herr  Münch  dankt  dem  Redner  für  die  klare  Anseinanderlegong 
des  Stoffes  und  formuliert  die  seiner  Ansicht  nach  nur  Besprechung  sich 
vornehmlich  darbietenden  Fragen.  Um  Bedürfnis,  Wert  und  Einrichtung  eines 
xusammenhängenden  Moralunterrichts  würde  es  sich  handeln  und  um  das 
Verhältnis  desselben  zu  dem  bis  jetzt  zugleich  mit  der  ethischen  Be- 
lehrung betrauten  Religionsunterricht.  Daß  der  letztere  sich  dieser  Aufgabe 
vielfach  nicht  mit  der  Sorgfalt  und  Vollständigkeit  annehme,  wie  sie  mög- 
lich \md  wünschenswert  wäre,  gibt  er  zu.  Auch,  daß  ein  Interesse  an  der 
Erörterung  ethischer  Fragen  als  solcher  sich  bei  der  Jugend  unschwer 
wecken  lasse  oder  von  selbst  hervortrete,  namentlich  aber  bei  den  zum 
ersten  selbständigen  Denken  über  die  Fragen  des  Lebens  gelangten  Jüng- 
lingen der  Oberstufe  der  höheren  Lehranstalten.  So  hofft  Redner  auch, 
daß  die  „philosophische  Propädeutik**,  für  die  man  einen  emsdichem  Be- 
trieb innerhalb  unseres  höheren  Schulunterrichts  erwartet,  das  ethische  Ge- 
biet durchaus  nicht  meiden  werde.  Im  übrigen  ist  es  nach  seinen  Be- 
obachtungen und  Erfahrungen  zweifelhaft,  ob  gerade  ein  zusammenhängender 
Moralunterricht  so  viel  wertvolle  Wirkung  tun  werde,  als  man  davon  erwarte. 
Eigentlich  wirksam  erwiesen  sich  \'ielmehr  gelegentliche  ethische  Beleh- 
rungen, in  besonderen,  empfänglichen  Momenten  und  namentlich  im  An» 
Schluß  an  Erlebtes  angeknüpft.  Zu  allermeist  aber  wirke  die  Übertragung 
sittlicher  Gesinnung  von  Person  auf  Person,  gleichsam  durch  ein  nicht 
zu   analysierendes   seelisches   Fluidum. 

Herr  Rauh:  Der  Vorredner  hat  mit  Recht  bemerkt,  das  eigentlich 
Wirksame  an  solchem  Moralunterricht  sei  nicht  die  Belehrung,  scmdem 
das  innere  Feuer  des  Lehmrs,  das  bei  den  Kindern  zünde.  Fragen  wir 
nach  der  psychologischen  Ursache  dieser  Erscheinung,  so  stellt  sich  heraus, 
daß  der  Wille  durch  Belehrung,  durch  den  Intellekt  so  gut  wie  gar  nicht  beein- 
fhißt  wird.  Der  Grundsatz  des  Vortragenden,  daß  Tugend  lefarbar  sei, 
widerspricht  dem  psychologischen  Befunde.  Beeinflußt  wird  der  \raie  eines 
Menschen  im  obigen  Fall  nur  dadurch,  daß  die  WiDensregung  eines  anderen 
seinem  Willen  sich  mitteilt.  Der  Einfluß  geht  von  Trieb  za  Trieb,  von 
Instinkt  zu  Instinkt,  \tm  Wille  zu  Wille,  nicht  vom  IntdMt  zum  Willen. 

Die   zweite   Grund\x>raussetzung   des   Vortragenden,   daß  die   Sittfich- 
keit  einheitlich  sei  und  sein  müsse,  widerspricht  ebenfalls  den  psychologisch 
konstatierbaren  Tatsachen.  Das  Willensleben  des  Menschen  ist  keineswegs 
einheitlich,  der  Mensch  ist  in  seinem  NMUensleben  ein  durch  idmI  durch 
pluralistisches  Wesen.   Es  herrscht  in  seiner  Brust  ein  fortwährender  Kampf 
der  Instinkte,  und  wenn  äußeriich  in  der  Erscheinung  etwas  wie  eine  Ein- 
heit zutage  trin,  so  liegt  das  nur  daran,  daß  jeder  Kampf  schließlich  ta 
einem  Resultat  führt.    Die  Einheit  ist  also  nicht  innerlich  im  Wesen  des 
Willens  begründet,  sondern  ist  nur  das  äußerliche  Ergebnis  des  Kampfes 
der  vielen  sich  widerstreitenden  Kräfte,  die  in  ihrer  Gegensätzlichkeit  den 
Willen  bilden. 

Deshalb  ist  auch  drittens  der  Versuch  des  Vortragenden»  ein  System 
der  Sittlichkeit  aufzustellen,  als  \-erfehh  zu  betrachten.  Die  Instinkte  sind 
in   ihrer   Art    und    Stärke   bei   \^rschiedenen   Menschen  sehr  verschieden. 


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^^ȟ 

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Keiner  dieser  Instmkie  trägt  in  sich  ein  Merkmal^  daB  er  der  grundlegende 
oder  übergeordnete  sein  müsse.  Der  Systematiker  wird  sich  aiso,  wenn 
er  übexbaupt  nach  eigenem  Erleben  handelt,  dadurch  bestimmen  lassen, 
daÄ  bei  ihm  vielleicht  e  i  n  Trieb  durch  seine  Stärke  alle  andern,  überragt. 
Wie  soll  solch  System  aber  auf  All  gemeingültigkeit  Anspruch  machen,  wenn 
bei  jedem  das  Stärkeverhältnis  der  Triebe  ein  anderes  istj  abgesehen 
davon,  daß  der  Wille  jenes  Systematikers  schon  gar  nicht  an  das  System 
sich  kehrt,  weil  auch  bei  ihm  >e  nach  augenblicklichen  Stimmung^i 
und  Verhältnissen  das  Siärkcvcrhäitnis  der  Triebe  schwankt.  Der  Glaube 
an  eine  aJlgemeingüliige,  einheitliche  Sittlichkeit,  und  damit  an  die  Mög- 
lichkeit eines  Systems  derselben,  ist  eine  der  ungeprüften  Voraussetzungen, 
die  durch  die  Jahrtausende  sich  schleppen,  aber  vor  eingehender  Prüfung 
nicht   Stich   bähen. 

Herr   Döring:     Im    Anschluß    an   die   Worte   des    Herrn    Münch 
wolle  er  nur  bemerken,   daß  ihm   der  Gedanke  einer  alsbaldigen  Verwirk- 
Üchung    durchaus    fernliege.     Notwendig    aber    sei,    das     für    richtig     und 
önschcnswert   Erachtete   zunächst    in   konkreter   Gestaltung   glejchsam    im 
lüde  vonnf Uhren.    Nur  so  lasse  sich  ein  Urteil  über  die  Durchführbarkeit 
d    Brauchbarkeit   des    Vorgeschlagenen   gewinnen. 

Gegenüber  dem  ersten  Einwände  des  letzten  Vorredners  weise  er 
einesteils  darauf  hin,  daß  er  dem  Prinzip  der  personlichen  Einwirkung 
aych  seinerseits  in  den  Ausführungen  über  die  Gewöhnung  eine  bedeutsame 
SteJltmg  eingeräumt  habe,  andrerseits  aber  doch  in  der  nachdrücklichen  Be- 
tonung des  intellektuellen  Faktors  nach  wie  vor  die  eigentlich  ausschlag- 
gebende Sanktion  des  Sittlichen  erblicken  müsse.  Gegenüber  dem  zweiten 
Einwände  sei  zuzugeben,  daß  manche  Partien  der  sittlichen  Vorschrift 
einen  von  Individuum  lu  Individuum  wechselnden  Charakter  hätten.  Es 
sei  das  auch  in  dem  Vortrage  wenigstens  hinsichtlich  der  Berufsethik  schon 
angedeutet  worden.  Dagegen  könne  die  lähmende  Wirkung  verschwommener 
und  unklarer  Vorstellungen  über  das  Ganze  der  sittlichen  Forderung  nicht 
chdruckiicb  genug  betont  werden,  und  daß  in  sehr  weitgehendem  Maße 
le  bestimmte  Formulierung  des  sittlich  Richtigen  schon  im  Jugendunter^ 
ficht  möglich  sei,  habe  er  mehr  als  im  Rahmen  eine3  Vortrags  habe  ge- 
schehen können,  in  den  betreffenden  Partien  seines  Handbuchs  gezeigt, 
auf  das  er  daher  verweisen  müsse- 

Die    weitere    Diskussion    wird    vertagt. 

Schluß   der   Sitrung    10   Uhr, 


SiUung  vom  13.  Februar  1Q03. 

Beginn   8*»    Uhr. 

Vorsitzender :    Herr  K  e  m  s  i  e  s. 
Schriftführet :    Herr  H  i  r  s  c  h  1  a  f  f . 

Der  Vörsitiende  eröffnet  die  Sitzung  mit  einer  kurzen  geschäftlichen 
fi^rachc.  Aufgenommen  in  den  Verein  wurde  Herr  Dr,  med.  G  a  1 1  e  w  s  k  i , 


94  SÜMMMgikenckU. 

Berlin  C,  Sophienstr.  6.  Es  folgte  der  Vortrag  des  Herrn  Gusindo: 
,,Neue  Versuche  und  Hilfsmittel  im  Gesangunterricht" 
(Mit   Demonstration  der   Gusind eschen   Singeinaschine.) 

Der  Vortrag  ist  unter  den  OriginalbeitrageQ  dieser  Zeitschrift  abgedruckt. 

Diskussion: 
Herr  Körte  schildert  die  persönlichen  Eindrücke  eines  Besuchs  der 
Gesangsklassen  des  Herrn  Vortragenden  und  gibt  der  Überraschung  Aus- 
druck, die  die  Leistungen  einer  Klasse  von  11— 13jährigen  Knaben  und 
Mädchen  im  dreistimmigen  Gesang  hervorriefen.  Ein  von  ilun  auf  der  Stelle 
komponierter  kleiner  dreistimmiger  Satz  wurde  mit  Hilfe  der  Maschine  - 
der  Name  ist  in  Analogie  von  Lese-  und  Rechenmaschinen  gewählt  —.nach 
einigen  Wiederholungen  (da  einige  absichtlich  nicht  ganz  leichte  Stimm- 
Fortschritte  vorkamen)  von  den  Kindern  übermschend  schnell  aufgefaßt 
und  wiedergegeben.  Auch  die  Rhythmik  des  Tonsatses,  die  natürlich  nur 
einfach  sein  darf,  wird  beim  Singen  nach  der  Maschine  sozusagen  in  Um- 
rissen wiedergegeben,  muß  dann  aber,  wie  der  Vortragende  näher  ausgefäfait, 
im  wirklichen  Notenbilde  dargestellt  und  hiemach  «nggnd  aufgearbeitet 
werden.  Auch  hier,  wie  überhaupt  in  der  ganzen  Methode,  ist  leitendes 
Prinzip:  lebendige  Mitarbeit  der  Schüler.  Bezüglich  des  mehrstimmigen 
Singens  hat  die  Maschine  den  großen  Vorzug,  jede  Akkmrdbildimg  und  jeden 
Akkordwechsel,  ohne  daß  sie  aufgeschrieben  werden,  auf  einer  und  der- 
selben Stelle  fortwährend  neu  entstehen  zu  sehen,  so  daß  es  einei'  ganüten 
großen  Schülerklasse  ohne  weiteres  möglich  ist,  einen  Tonsatz  —  zunächst 
in  groben  Zügen  —  vohi  einer  einzigen  Stelle  der  Tafel  j^zuksen.  Freilich 
muß  der  Lehrer  mit  der  Harmonie,  i^enigstens  mit  ihren  Grundbegrifics« 
vertraut  sein,  ebenso  mit  Melodie-Führung.  Aber  das  ist  kein  Nachtdl,  son. 
dem  ein  .wesentlicher  Vorzug  der  Methode. 

Auf  die  allerdings  sehr  wichtige,  psychologisch  besonders  intercssame 
Frage,  inwieweit  das  Prinzip  der  Bewegung  das  in  der  Mutrhiiif  zum 
Ausdruck  kommt,  gegenüber  dem  Absingen  starrer,  feststehender  Noten- 
komplexe  pädagogisch  zu  bevorzugen  ist,.  —  was  der  Herr  Vortragende  betonte 
—  ging  Redner  absichtlich  nicht  ein,  hob  dagegen  hervor,  dal  das 
gebräuchliche  Noten-System,  dessen  Anwendung  auf  Schulen  für  Gciinp 
Übungen  von  der  Behörde  vorgeschrieben  sei,  in  der  Maschine  eine  sehr 
zweckmässige  Berücksichtigung  fände.  Sehr  wesentlich  erschien  ihm  anch 
in  der  Anordnung  des  Lehrgangs  die  streng  durchgeführte  Tendenz;  dem 
ästhetischen  Element  Rechnung  zu  tragen,  wie  er  überhaupt  zum  Schluß  anf 
die  vielen  feinen  Andeutungen  des  Herrn  Vortragenden  hinzuweisen  sich  er* 
laubte,  deren  Ausbau  für  den  Gesangsunterricht  auf  Schulen  sehr  förderlich 
erschiene. 

Herr  Fischer:  Die  Erfahrung,  daß  ein  Ausländer  die  Erfolge  iigeod 
eines  Unterrichtsfaches  bei  uns  ungenügend  findet,  von  der  der  Herr  Vor 
tragende  gesprochen,  scheint  uns  jetzt  häufiger  beschert  werden  zu  foDeB* 
Wenigstens  hat  erst  jüngst  ein  amerikanischer  Geograph,  der  den  deutschen 
Schulunterricht  in  Erdkunde  kennen  gelernt  hatte,  sogar  in  Sachsen,  «o  er 


S^9im^i^erickte. 


US 


ativ  mm  mebtefi  gepflegt  wird,  eine  überraschende  Unkenntnis  über  fremde 
iex  ab  Resultat  erklärt. 

Nach  einigen  Bemerkungen  des  Herrn  Vortragenden  wird  die  weitere 
ktissioti  vertagt,  nachdem  Herr  Cusinde  die  Anwesenden  aufgefordert 
atte^  sich  von  seiner  Methode  im  Gesangsunterrichte  durch  persönlichen  Be- 
sucli  seiaef  Schule  (Berlin  W.,  Mohrenstr.  41)  überzeugen  zu  woUen. 

Schluß   der  Sitzung   10   Uhr. 


Sitzung  vom  20.  März  1903. 

Beginn    8«*    Uhr. 

Vorsitzender :    Herr  K  e  m  s  i  e  s. 
Schriftführer :    Herr   H  i  r  s  c  h  1  a  f  f « 

Der  Vorsitiende  eröffnet  die  Sitzung,  indem  er  die  erschienenen  Gäste 

iritlkommen    heißt    und    von    der   erfolgten    Aufnahme   des    Herrn    Rektors 

OS  IQ  de«    Berlin^    Mohrenstr.    41,    in   den   Verein   MitteUung  macht.    £s 

folgt    die   FortAetxung   der  Diskussion    über  den  am   16.  I.  a-  c.   gehaitenen 

iVoFtrmg    des    Herrn    Döring:    ,,Üher   sittliche   Erziehung   und 

loralunter  riebt/' 

Diskussion: 
Her?  Dörimg  rekapituliert  zunächst  in  größter  Kürze  den  Ge- 
dankengang seines  Vortrags.  Um  die  Möglichkeit  eines  wirksamen  mensch- 
bch-natüilichen  Moral  Unterrichts  sowie  der  sittlichen  Erziehung  überhaupt 
ti,achziiweisen,  habe  er  zunächst  den  wesentlichen  Inhalt  der  sittlichen  For- 
lemng  systematisch  darstellen  müssen,  um  sodann  die  der  Erziehung  für 
Zweck  zur  Verfügung  stehenden  Hilfsmittel  aufzuweisen.  Dieselben 
unter  die  beiden  grossen  Gruppen  Gewöhnung  {Mog)  und  Unterricht 
•  (jU/vfX    Vorau&setEung  sei  eine  gewisse  Normalitat  der  fomg. 

Herr  K  e  m  s  i  e  s  rekapitulien  sodann  den   Verlauf  der  früheren   Dis- 
ilnssion^  Indem  er  den  Standpunkt  der  eimehien  Redner  in  kurzen  Worten 
r&miert. 

Herr  Hirscblaff;    Er  stehe  mit  dem  Vortragenden  prinzipiell  auf 

^dttn  Sokra tischen  Standpunkte,  wonach  die  Tugend  1  ehrbar  sei;  die 

'  vdxislamttsche   Auffassung   des    Herrn   Raub   mache   nach   seiner   Über- 

teugimg   |ede   Ethik   als  Wissenschaft   illusorisch.    Dennoch  habe   er  einige 

Bedenken  gegen  die  Einführung  des  vom  Vortragenden  skizzierten   Moral - 

oateiriehtes,    die    sich    in    der    Hauptsache    aus    zwei    Gesichtspunkten    her* 

kielifi.   Zunächst  scheine  es  ihm  aus  pädagogisch-psychologischen  Gründen 

VBKndgticb,     auf     dem    Wege    eines    Moralunterrichtes     bei     ll»14jährigeii 

lodern  die  wahre  sittiichc  Bitdung  zu  fördern.    Denn  zur  wahren  ethischen 

^^^ätt^g   gehöre    doch    wohl    nicht    die    Beherrschung    eines    theoretischen 

Mottl  KMcchismus,   sondern   vielmehr  die    siithcbe   Einsicht   in   die   Motive 

^nkl   Folgen    unseres    Handelns    und    vor    allem    der    sittliche    Wille,    der 

wBlt  mm  Guten,  wie  Kant  sagt^  der  uns  veranlaßt,  unter  allen  möglichen 


96  SiUungsberickte, 

I^Undlungsweisen  diejenige  zu  wählen,  die  dem  ethischen  Ideal  entspricht. 
£s  sei  zu  bezweifeln,  daß  diese  beiden  Eigenschaften  vor  dem  15.  Lebens- 
jahre entwickeh  werden  könnten,  zumal  sie  ja  auch  beim  Erwachsenen 
noch  nicht  allzu  häufig  in  die  Erscheinung  traten.  Und  ob  der  propädeutische 
ethische  Unterricht,  den  der  Herr  Vortragende  im  Sinne  hatte,  dazu  bei- 
tragen würde,  diese  notwendigsten  Requisiten  des  ethischen  Lebens  zu 
fördern,  sei  gewiß  auch  nicht  ohne  weiteres  anzunehmen,  da  erfahrungs- 
gemäß in  einem  überwiegenden  Prozentsatze  der  Fälle  das  Interesse  für 
die  in  der  Schule  gelehrten  Gegenstände  im  späteren  Leben  erkalte  und 
nicht  selten,  vielleicht  infolge  der  Art  der  Behandlung  dieser  Gegenstände 
in  der  Schule,  sich  sogar  in  eine  ausgesprochene  Abneigung  unkehre. 
Es  sei  daher  vielleicht  pädagogisch  richtiger,  den  Sinn  der  Kinder  für 
das  Ethische  mehr  durch  das  Vorbild  sich  entwickeln  zu  lassen,  das 
Lehrer  und  Eltern  unaufhörlich  und  bei  jeder  Gelegenheit  den  Kindern 
praktisch  vor  Augen  führen  könnten  und  sollten.  Wenn  erst  das  gesamte 
Leben  in  der  Familie  und  in  der  Sdhule  von  ethischem  Geiste  erfüUt 
und  durchdrungen  wäre,  dann  werden  die  Bedingungen  für  die  ethische 
Entwicklung  der  Kinder  weit  v-oUkommener  gegeben  sein,  ab  durch  einen 
besonderen  Moralunterricht.  Aber  noch  ein  zweiter  Gesichtspunkt  spräche 
gegen  die  Einführung  des  Do  ring  sehen  Morahmterrichtes :  das  sei  die 
theoretische  Schwierigkeit  der  wissenschaftlichen  Ethik,  sich  über  die  Sank- 
tion des  Sittlichen  zu  einigen.  Wenn  auch  Redner  selbst  durchaus  auf 
dem  cudimonistischen  Standpunkte  stehe,  den  Herr  Döring  in  seinem 
Handbuohe  der  menschlich-natüriichen  Sittenlehre  so  ubezzeugend  cnt. 
wiokeh  hat.  so  sehe  er  doch  keine  Möglichkeit,  zur  Zeit  eine  mlfgemeine 
Einigung  über  die  Grundlegung  der  Ethik  herbeiiufnhren.  Und  solange 
dse  hetexonome  Sanktion  des  Ethischen  der  autonomen  gleichberechtigt 
^^r^nuberstehe,  solange  die  Utilitaristen.  Evohitionisten.  Eudämonisten  n.  a. 
n^chr  ihrxr  eig^enc  AuftJissimg  für  die  allein  berechtigte  halten,  so  lange  sei  an 
die  Emfuhnii^  eines  fruchtbringenden  Morahmterrichtes  bei  Kindern  nicht 
lu  denken.  Eine  klajüische  Illustration  lu  der  Verwimmg,  die  nodi  heatigen- 
tA^  auf  dem  Gebiete  der  thecvretischen  Eduk  herrsche,  biete  die  Ge- 
schichte des  Begriffes  des  Egoismus.  Während  die  strei^ge  und  wissen- 
$oK4tthoh  ebenso  >ik:e  rrak:i$oh  allein  r^Iässige  Definition  des  ^[oismns 
rme  Handtun^weisie  charakterisiere,  die  einem  anderen  Schaden  bringt 
isSri  cm«  änderten  Nu;»n  vernachlässigt,  um  sich  seftst  VortetI  zu  vcr- 
ikcSattVn.  >«r7\ie  uv.  l  eben  w:e  m  der  Wr^sM^nschift  fälschlicherweise  fast  allge- 
w«'*.n  *^:c  HA!Hitv.:xj:  ai*  egv^i^^.soh  bezeichnet,  die  wir  mit  der  Absicht  aus- 
ttth?v:\.  wi\*  *r'N«  ju  nuirrn,  auch  >*^-jj  cas  Moraect  der  Schädigung  oder  der 
vri^ww«*'«  Kv\'.cixu\c  <'»«c*  anderra  KvKiele.  Das  führe  natürlicfa  an  den 
^!\<b«t^»  Mt^x-efsundnidtsM^n  und  :u  e:ner  IVkn^ditie^ong  mancher  echt 
ethwu^hett  Uavsi?tt:vj^fn»  x%w  deaen  :!^c>.  auch  der  Wvtragende  nicht  ganz 
ttv*  jtrNÄtt^^  hawe  Anjjrswhi*  Ä^cSer  Tatsachen,  dereii  Bciqriele  leicht 
(t'Nauix  ^^'A^<'n  k\^u)^ten.  >rt  e$  sksh  «vshl  kaum  deckhir.  über  die  Gnind> 
lo^uivi^  i-j»v<v*  rthwhe^i  Vwtrxv.chtx**  Nm  K:>ie^m  eiae  Einigung  an  er- 
»v*„MV  tV?  Txs^a.  N'^^t^c.  det  a  fx^tX-h  ^S^we-lNee  Sc^viexxgkeiicn  unter- 
^K^ii*'.  *(i"^i   »Hsi^M^^iw   :u  cn\ei    o\jir«v*,   ».^pcisc^ivj^  «iMser  Fragen  eher  bc- 


Sittungsi>€rkhk, 


97 


id  befähigt^  als  er  eine  eigene  Weltanschauung  besitie.   Aus  allen 

gründen  cTschicne  ihm  die  Einführung  eines  Moralunterrichtes  bei 

Kmdcm   vor  dem   15,  Lebensjahre   umwcckmäßig;  für  Erwachsene,  specicU 
^r  Lehrer   und  Eltcnip   würde  er   freilich    einem  Moral  unterrichte   dankbar 
ad  freudigst  lugmnmcn. 

Herr  Döring  wandte  sich  zunächst  gegen  die  Annahme^  daß  seine 
Theorie  au&scMicßHch  iatellektualisiisch  sei.  Er  faßte  sodann  seine  Er- 
widerung auf  eine  Reihe  außerdem  geltend  gewiachter  Bedenken  in  der 
Ausführung  zusammen,  daß  man  sich  hinsichüich  der  Einführung  des  Moral- 
cimerrichtK  in  einer  Zwangslage  befinde.  Es  sei  eine  Frage»  die  in  kürzester 
Frist  aktuell  und  brennend  werden  müsse  und  die  daher  schon  jetzt  eine 
K^jung  durch  gemeinsame  Arbeit  gebieterisch  fordere. 

Herr  Rauh:  Ich  bestreite  die  drei  Grundvoraussetzungen  des  Re- 
f^-enten  und  behaupte;  1)  di&  Tugend  ist  nicht  lehrbar,  2)  es  gibt  keine 
allgemein  anerkannte  Sittlichkeit,  3)  es  kann  kein  aUgemeingiikig  beweis- 
bares   System    der   Sittlichkeit    geben. 

Der  erste  Punkt  ist  bestritten,  aber  nicht  widerlegt  worden.  Ich 
füge  den  Bemerkungen  der  vorigen  Diskussion  eine  Frage  MnäU:  Wodurch 
werden  unsere  Taten  veranlaßt?  Durch  verständige  Überlegungen,  oder 
durch  unsere  Triebe,  Neigungen^  Instinkte?  Wer  sich  ehrlich  prüft,  wird 
TU  dem  Resultate  kommen:  Das  eigentttcbe  agens  sind  die  Instinkte^  der 
ICampf  dej  Motive  ist  nichts  als  ein  Verse  hie  ierungs  versuch  vor  uns  selbst, 
Nietzsche  nennt  diese  Motive  die  V^ordergründe  und  weist  uns  an, 
ach  den  Hintergründen  zu  suchen,  wenn  wir  eine  Tat  verstehen  wollen. 
>iese  Hintergründe  aber  sind  immer  utisere  Instinkte;  und  diese  sind  durch 
'Verstandeserwägungen  unbelehrbar,  sie  sind  vielmehr  nur  durch  andere 
Instinkte  Diederzuringen.  Daraus  ergibt  sich,  daß  Tugend  nicht  lehrbar 
ist  Bezeichnend  dafür  ist  auch  der  große  Mangel  an  Selbsterkenntnis 
slbst  bei  Leuten,  die  sich  viel  beobachten.  Man  beurteilt  sich  nämlich 
immer  nach  seinen  Motiven;  und  weil  diese  gar  nicht  das  Ent^ 
pchddende  sind,  beurteilt  man  sich  falsch. 

ad  2  und  3  verweise  icii  auf  die  Ausführungen  der  vorigen  Diskussion. 
P-Ich  füge  noch  einen  vierten  Pimkt  hin^u:  Ich  halte  den  vorgeschlagenen 
Moral  Unterricht  aus  pädagogischen  Gründen  für  unannehmbar.  Kinder  ver^ 
m<jgen  solchem  Unterricht  nicht  lu  folg^i^  weil  er  über  ihr  Auffassungs- 
irermögen  hinausgeht.  Ich  habe  das  in  einer  ersten  Klasse  einer  höheren 
Töchterschule  erprobt.  Es  ist  unendlich  schwer,  Begriffe  wie  „sittlhch", 
„Sittltchkeit",  „Sitte'*  einigermaßen  zum  Verständnis  zu  bringen,  Hai  solch 
Unterricht  einen  Erfolg,  so  beruht  dieser  sicher  nicht  auf  der  abstrakten 
Auseinandersetzung,  sondern  auf  dem  Einfluß  dw  Persönlichkeit  des  Lehrers. 
Der  Wille  des  Kindes  wird  wesentlich  beeinflußt  nur  durch  Persönlichkeiten. 
D^balb  ist  die  sittliche  Erziehung  vor  allem  Aufgabe  der  Eltern.  Die 
Schule  kann  sie  diesen  gar  nicht  abnehmen.  In  geringem  Grade  kann 
sie  helfend  eingreifen  durch  die  Persönlichkeit  der  Lehrer  und  durch  Per- 
sonljchkeiten,  die  der  Unterricht  vor  der  Phantasie  der  Kinder  so  er< 
stehen  läSt,  daß  sie  im  Innern  davon  ergriffen  werden.  Deshalb  ist  gerade 
ZdUdUin  fflr  pidtgogisch^  Psychologie,  P&thologi«  iind  Hygiene.  7 


98  Sittungjberickie. 

vor  abstraktem  Moralunterricht  lu  warnen,  und  statt  dessen  auf  den  deutschen 
Unterricht,  die  Geschichte  und,  wenn  er  dementsprechend  erteilt  wird, 
auch  auf  den  Religionsunterricht  zu  verweisen. 

Bildung  wird  nicht  durch  Addition  gewonnen«  Man  sollte  deshalb 
nicht  auf  neue  Fächer  sinnen,  in  der  Meinung,  dadurch  den  Bildungs- 
umfang  zu  erweitem.  Man  sollte  lieber  auf  Vereinfachung  des  Lehrplanes 
sinnen  und  darauf  achten,  daß  die  werdende  Persönlichkeit  des  Kindes 
diu'ch  imponierende   Persönlichkeiten  zur  Entfaltung  komme. 

Herr  Fischer  glaubt  als  Schulpraktiker  ebenfalls  den  Döring- 
schen  Moralunterricht  ablehnen  zu  müssen.  Wenn,  wie  wir  gehört  hätten 
(Rauh),  die  Schülerinnen  der  ersten  Klasse  einer  Mädchenschule  für  ihn 
noch  nicht  reif  seien,  so  gelte  das  auch  noch  von  Primanern,  wie  jeder 
Aufsatz  allgemein  moralischen  Inhalts  zeigte.  Der  Vortragende  habe  in 
der  Geringwertigkeit  des  Katechmnenunterrichts  der  Konfessionen  ein  Ar-* 
giunent  für  sich  gefunden,  es  sei  dies,  die  Geringwertigkeit  zugegd>eii» 
aber  gerade  eins  dagegen,  dann  wäre  ja  bewiesen,  daß  ein  Moralunterricht 
innerhalb  eines  Kreises,  der  eine  gemeinsame  Moral  anerkenne,  einer  Koi^ 
fession  oder  einer  Religion,  so  wertvoll  er  den  Anhängern  bei  seiner  Be- 
gründung erschienen  sei,  doch  ein  verfehltes  Mittel  sei  Ohne  die  Aosf&h» 
nmgen  der  anderen  Herren  wiederholen  zu  wollen,  die  er  im:  allgemeinen 
anerkennen  müsse,  wolle  er  nur  darauf  noch  hinweisen,  daß  auch  hier  wieder 
von  der  Schule  nidit  Erfüllbares  verlangt,  während  die  wahre  Jnstanz  für 
die  sittliche  Erziehung,  das  Elternhaus,  zurückgestellt  werde.  £s  sei  aber 
für  ihn,  um  ein  Wort  Paul  de  Lagarde»  zu  gebrauchen,  „die 
taktische  Einheit  im  Kampfe  gegen  die  Sünde  nidht  das  Individuum,  sondern 
die   Familie". 

In  seinem  Schlußwort  wies  der  Vortragende  zunächst  gegenüber  den 
Einwänden  des  Herrn  Rauh  nach,  daß  dieselben  sämtlich  Zeugnis  far 
die  Dringlichkeit  der  von  ihm  vertretenen  Sache  ablegten  und  in  diesem 
Sinne  von  ihm  nur  mit  Genugtuung  begrüßt  werden  könnten.  Gegenüber 
dem  Wunsche  des  Vorsitzenden,  die  Diskussion  besonders  auf  die  Frage 
der  Lehrbarkeit  der  Tugend  zu  richten,  wies  er  nach,  daß  diese  hinsichtlich 
einer  Darlegung  der  sittlichen  Forderung  in  systematischer  Anordnung  oh 
zweifelhaft  vorhanden  sei,  aber  auch  hinsichtlich  der  intellektualistiscbeB 
Beweggründe  z\mi  Sittlichen  nicht  wohl  bestritten  werden  könne.  Gegen- 
über der  Forderung,  daß  die  Vorstellung  der  sittlichen  Vorschrift,  uai 
wirksam  zu  sein,  von  einem  positiven  Gefühlston  begleitet  sein  müss^ 
wies  er  nach,  daß  diese  Forderung  durch  den  Nachweis  realisiert  werde, 
daß  das  Gute  das  dem  Handelnden  selbst  Heilsame  sei. 

Als  zweiter  Punkt  der  Tagesordnung  folgte  nunmehr  die  Fortsetmog 
der  Diskussion  über  den  am  18.  Februar  a.  c  gehaltenen  Vortrag  de» 
Herrn  Gusinde:  „Neue  Versuche  und  Hilfsmittel  im  Ge- 
sa n  g  s  u  n  t  e  r  r  i  c  h  t.'* 

Diskussion: 

Herr  Gusinde  stellte  folgende  Thesen  ziu:  Debatte,  die  im 
von  ihm  näher  begründet  und  erläuten  wurden: 


^tmmgibtridtU. 


9Q 


1*  Die  Volks-  und  höheren  Schulen  haben  die  Pflicht^  ihre  Schüler 
^tmi  selbsiändigcn  Treffen  der  Noien  in  bringen,  weil  damit  einerseits  die 
Fähigkeit,  Intervalle  scharf  abzumessen,  entwickelt  und  das  Gehör  in  spe- 
lifischer  Form  gebildet,  anderseits  aber  auch  die  gesamte  musikalische 
Bildutig  unserer  Jugend  wirksam  gefördert  wird. 

2.  Diese  Treffiibungen  haben  sich  anfänglich  lediglich  auf  die  Ge- 
winnung und  Reproduktion  von  TcmvorsteUungen  zu  beziehen;  später  ist  je- 
doch auch  zu  Regeln  über  das  Einschieben  von   Hilfstönen  fortzuschreiten. 

3.  Besonders  wichtig  sind  Treff  Übungen  in  Akkorden  als  den  Elementen 
der  Harmonie,  weil  im  Akkorde  die  einzelnen  Töne  teilweise  abweichende 
Qualitäten  hinsichtlich  ihrer  Klangwirkung  aufweisea  und  diese  Treffübungen 
die    Reinheit  des   Gesanges   wesentlich   fördern, 

4.  Die  Notation  eines  Gesangstückes  hat  möghchst  in  entwickelnder 
Webe  2u  erfolgen,  weil  das  Entstehende,  Werdende  die  Schüler  in  hohem 
Grade  interessiert^  zur  Betätigung  Anlaß  gibt  und  eine  tiefere  Einsiebt  in 
den  Bau  eines  Gesangstückes  und  in  die  Gesetze  der  Harmonik  und  Fonnen- 
lehre   gewährt. 

5.  Das  Zerstückeln  von  Melodien  ist  zu  verwerfen,  denn  es  behindert 
das  musikahscbe  Denken  imd  schwächt  die  ästhetische  Wirkung  der  Melo- 
die ab. 

6.  Die  Darstellimg  von  Intervallen  mittels  beweglicher  Noten  seitens  der 
Schüler  ist  erwünscht,  weil  dadurch  die  intcrvallmäßige  Unterscheidung 
von   Ton  Vorstellungen  außerordentlich  gefördert  wird. 

Herr  Fischer  glaubt  die  Zweckmäßigkeit  der  Treff  Übungen  am 
Anfang  des  Gesangsunterrichis  als  den  besten  hierüber  vorhandenen  Tradi- 
tionen entsprechend,  zugeben  zu  können.  Er  fragt  femer  an,  ob  er  recht  ver- 
standen habe,  wenn  an  dieser  Daistelluag  der  Intervalle,  Akkorde,  Tonarten 
I  etc.  hier  deren  Bezeichnung  nach  ihrem  Erklingen  gemeint  sei.  Wenn  das  der 
I  Fall  sei,  glaube  er,  das  könne  leicht  zu  weit  und  vom  eigentlichen  Gegen- 
I  stand  abführen.  Ihm  sei  das  gesungene  Intervall  das  Dargestellte.  Gegenüber 
^^^isr  Gesamtheit  der  Bestrebungen  des  Herrn  Vortragenden  möchte  er  zum 
^Htchlusse  noch  folgendes  bemerken; 

^^  Wir  haben  hier  das  Beispiel  einer  gdjxz  außerordentlichen  Förderung  der 
Kinder  auf  einem  Untern chtsgebiete  vor  uns,  verursacht  durch  die  Befähigung 
und  Hingabe  des  Vortragenden  an  seine  Sache.  Aber  es  dürfte  vielleicht 
nicht  richtig  sein  —  und  so  könnten  sich  beide  heutigen  Themata  lu  einem 
schließen  —  nun  auch  hier  wieder  die  Forderung  gerade  dieses  Lehrbetriebes 
für  Musik  zu  erheben.  Denn,  was  der  Leistungsfähigkeit  eines  einzelnen 
hervorragenden  Lehrers  möglich  sei,  das  sei  nicht  die  Norm  für  den,  Durch- 
sehniiT.  Daß  dies  verkannt  werde,  sei  einer  der  häufigsten  Fehler  unserer 
modernen  Pädagogik. 

Herr  Marbitz;  Herr  Gusinde  hat  die  Frage  aufgeworfen:  „Haben 
die  Volks-  und  höheren  Schulen  die  Pflicht,  die  Kinder  zum  selbständigen 
Treffen  nach  Noten  zu  führen?*'  Er  meinte,  diese  Frage  sei  lücht  ohne 
weiteres  zu  bejahen,  da  eine  ministerielle  Verfügung,  welche  das  Notensingen 
vorschreibt^  bis  jetzt  weder  für  die  Volks-  noch  für  die  Ihoheren  Schulen 
.«ßustiere.   Demgegenüber  möchte  ich  Herrn  Rektor  Gusinde  darauf  auf- 

7' 


100  Sämngsberichte. 

merksam  machen,  daß  eine  ministerielle  Verordnimg,  die  das  Notensingen 
fordert,  für  unsere  Mittelschulen  vorhanden  ist  tmd  zwar  in  den  Falkschen 
AUg.  Best,  vom  15.  Okt.  1872.  Der  Unterrichtsstoff  ist  genau  spenali- 
siert  und  auf  die  einzelnen  Klassen  verteilt.  Die  6.  und  .6.  Klasse  singen 
nach  Ziffemoten,  die  vier  obieren  Klassen  nach  der  eigentlichen  Note 
mit  der  C-dur-Tonart  beginnend  und  zu  G-,  F-,  D-,  A-,  B-«  £s-dur  und  den 
gebräuchlichsten   Molltonarten  weiter  fortschreitend. 

Außerdem  beteiligten  sich  an  der  Diskussion  die  Herren  Kemsies, 
Rauh,  Leuchter  in  wiederholten,  kQneren  Ausführungen. 

Herr  G  u  s  i  n  d  e  dankt  in  seinem  Schlußworte  der  Versammlung  für  die 
freundliche  Aufnahme  seiner  Bestrebungen  und  für  die  mannigfachen  An- 
regungen, die  er  aus  der  Diskussion  gewcrnnjen  habe.  Er  bemerkt  Herrn 
M  a  r  b  i  t  z  gegenüber,  dass  eine  für  alle  Schulen  verbindliche  ministerielle 
Vorschrift  zur  Zeit  jedenfalls  nicht  vorhanden  sei.  Er  machte  dabei  besonders 
aufmerksam  darauf,  daß  er  im  Gegensatze  zum  Gebrauche  der  Ziffer  bei 
der  Volks-  und  Mittelschule  bereits  vom  2.  Schuljahre  an  das  Singen  nach 
Noten  fordere. 

Schluß   der   Sitzung    lO^o   Uhr. 

Berichte  und  Besprechun^nu 

Paedologisch  Jaarboek.     Onder  redactie  van    Prof.    Dr. 

M.  C.Schuyten.  Sde  en  4de  jaargang.  1902  — 1908.   Stad 

Antwerpen. 
Das  Jahrbuch  ist,  abgesehen  von  den  zahlreichen  ausfOfailidien  Be- 
sprechungen, die  beinahe  die  Hälfte  des  Bandes  ausmachen,  h»t  ansKUiess* 
Hch  ein  Werk  des  Herausgebers.  Es  enthalt  folgende  Arbeiten  von  Dr. 
M.  C.  Schuyten:  1.  Sind  die  Schulkinder  der  gotgestellten  Antwecper 
Bürger  muskelkräftiger  als  die  der  minder  b^^erten  BevdQcenmg? 

Auf  Grund  zahlreicher  Versuche,  deren  Ergebnisse  in  87  Tabdlen 
zusammengestellt  sind,  kommt  der  Verfasser  zu  dem  Schlosse,  daß  im 
allgemeinen  die  wohlhabenden  Ehern  nicht  um  vieles  kräftigere  Kinder  haben 
als  die  ärmeren. 

2.  Muskelkraftveränderungen  und  VerstandesentwicUang  der  Schul- 
kinder. 

In  dieser  Arbeit  lässt  der  Verfasser  nicht  weniger  als  88  Zahlen- 
tafeln  für  sich  sprechen.  Das  Ergebnis:  Es  ist  kein  Zweifd  mSglidi: 
Die  geistig  bestbegabten  Kinder  haben  auch  die  gr&sste  Muskelkraft  nnd 
umgekehrt. 

3.  Klassenhöhe   und   Alter   der   Schuljugend. 

Aus  dieser  Untersuchung  scheint  zu  folgen,  dass  die  bcguierteren 
Knaben  in  grosserer  Zahl  in  der  ihrem  Alter  ents|H«diendea  Klaate  ver- 
bleiben als  die  ärmeren,  während  bei  den  Mädchen  das  mnfdediite  der  Fall  ist 


Bemhi€  und  Bupreckuftgm. 


101 


4.  Ein    Versuch    voD ständiger    Kinderanaly&e. 
Der   Plan  für  diese  Untersuchung  war  folgender  t    1.   Authroponictrie, 

11.  Psycho-Physiologie :  Muskelkraft,  Gleichgewicht  der  Bewegungen,  Gefühl, 
Gesiebt,  Gehör»  Geruch,  Geschmack,  Gedächtnis»  Gedächtnis-  uüd  Ein* 
bildungskrafc,  Sprachvennögen,  Reaktionszeit,  Ergographie.  IIL  Besonder- 
heiten und  Charakter,    IV.  Ali  gemeine  Folgerungen, 

5.  Über  Cedächtnisschwai>kungen  bei  Schulkindern,  ^Vorläufige  Mit- 
tediing,) 

Man  findet  in  den  Arbeiten  d^r  verschiedenen  Gelehrten  die  Angabe, 
dass  das  Gedächtnis  der  Schulkinder  mannigfachen  Schwankungen  unter* 
werfen  ist.  Gewöhnlich  hat  man  das  Studium  des  Gedächtnisses  nur  in 
rweiter  Linie  betrieben;  in  der  Absicht,  die  geistige  Ermüdung  zu  messen. 
Zwei  Fragen  wirft  der  Verfasser  auf:  1.  Besteht  die  Veränderlichkeit 
des  Gedächtnisses  wirklich?    2,  Welches  sind  ihre   Ursachen? 

Die  erste  Frage  bt  enischieden  zu  bejahen.  Als  Faktoren,  welche 
die  Gedachtnisschwankungen  hervorrufen,  werden  aufgeführt :  1.  Ermüdung 
infolge  geistiger  Arbeit,  2,  Übung»  3.  Rang  des  aufgenommenen  Begriffs, 
4.  geistiger  Entwicklungsgrad,  5.  Geschlecht,  6.  Jahresieit,  7.  wirtschaftliche 
Lage,  8.  KÖrperbeschaffenheit 

Ausserdem  finden  sich  in  dem  Jahrbuch  noch  folgende  Abhandlungen; 

Dr.  G,  J,  Schouter  Untersuchung  und  Schulheleuchtung,  und 
Dr.  J,  G  ü  n  I  b  u  r  g !    Über  d.  Zander  und  das  Messen  der  Skoliose* 

Der  Verfasser  fordert:  L  Es  kann  nicht  genug  Wert  auf  gute  Hahung 
der  Kinder  gelegt  werden,  um  so  mehr,  als  viele  Skoliosen  erblich  sind* 
S*  Mehr  als  noch  in  der  Schule  ^muss  zu  Hause  darauf  gesehen  werden, 
dass  die  Kmder  an  ihrer  Grösse  entsprechenden  Tischen  sitzen  können» 
und  dass  die  Beleuchtung  stets  eine  genügende  ist.  3.  Da  die  heute  noch 
allgemein  übliche  Schönschrift,  obwohl  sie  den  Vorzug  der  Schnelligkeit 
hat,  der  Gesundheit  des  Kindes  tahl reiche  Nachteile  bietet,  muß  sie, 
wenigstens  in  der  Entwicklungszeit,  durch  die  Steilschrift  ersetzt  werden. 
4.  Es  soll  ebenso  viel  mit  d^r  Linken  wie  mit  der  Rechten  Hand  geschrieben 
und  gearbeitet  werden,  5,  Endlich  soll  man  alle  Schulkinder  zum  mindesten 
dreiina]    im    Jahre   einer  genauen  ärztlichen    Untersuchung    untcrw^erfen. 


J«    H-   Pestalozzis    R  ec  h  en  m  et  hode.      Historisch   kritisch 
dargestellt    und    auf    Grund     experimenteller    Nach- 
prüfung für  die    Unterrichtspraxis  erneuert   von   Dr. 
Hermann    Walseroann.     Hamburg    190 L 
Von  allen»  die   Gelegenheit  hatten,  sich  aus   eigener  Anschauung  ein 
Uff  eil  über  Pestalozzis   Unterrichts  weise  zu  bilden,  auch  von  entschiedenen 
Gegnern,    wird    anerkannt,    dass    die    Leistungen   der    Schüler    im    Rechnen 
besonders  gute,  weit  über  das  sonst  in  jener  Zeit  eriielte  Mass  hervorragende 
gewesen  säid.    Die  Ursache  dieses  Erfolges  ist  offenbar  in  der  eigenarügen 
Methode  lu  suchen,  deren  sich  Pestalozzi  bediente.    Es  liegt  daher  der  Ge* 
danke  nahe,  dass  die  Vergessenheit,  in,  welche  diese   Methode  geraten  ist, 
tinverdiciu    isu     Das    historische    Inieresse  allein    wäre   genügender    Anlass 


102  Berichte  und  Beipreckungen, 

gewesen,  sie  wieder  ans  Licht  zu  ziehen;  der  Verfasser  hat  aber  auch  dai 
Verdienst,  in  Versuchen,  die  er  an  Schulkindern  machte,  die  Pestakmisdie 
Rechenmethode  praktisch  erprobt  imd  auf  ihren  psychologischen  Gebalt 
tmtersucht  zu  haben,  imd  es  ist  ihm  gelungen,  zu  zeigen,  dass  sie  in  der 
Tat  auch  heute  noch  in  ihrem  eigentlichen  Kerne,  wenn  auch  nicht  % 
ihrer  ganzen  Ausführung,  durchaus  lebensfähig  ist  und  geeignet,  nenet 
Leben  in  den  heutigen  Rechenunterricht  zu  bringen. 

Der  erste  Teil  der  vorliegenden  Abhandlung  gibt  eine  historische  Dar- 
stellung der  Pestalozzischen  Rechenmethode.  Er  zeigt,  wie  der  grosse  Pä- 
dagoge zunächst  seinen  eigenen  S^/^  jährigen  Knaben  in  der  hergebrachten 
Weise  unterrichtete,  indem  er  ihn  die  ersten  Zahlen  auswendig  lernen 
Hess,  wie  er  dabei  zu  dei*  Erkenntnis  kam,  „was  für  ein  Hindernis  zur  Kennt- 
nis  der  Wahrheit  das  Wisseb  von  Worten  ist,  mit  denen  man  nicht  die 
richtigen  Begriffe  von  Sachen  verknüpft,"  wiq  er  in  der  Armenanstalt  anf 
dem  Neuhof,  femer  in  Stanz  und  besonders  in  fiurgdorf  weitere  £^ 
fahrungen  sammelte,  bis  er  dann  nach  langem  Suchen  den  Weg  fand,  der 
ihm  zu  seinen  Erfolgen  verhalf. 

Pestak>zzi  ist  nur  vom  Standpunkte  des  philosophischen  IdealLnmss 
zu  verstehen.  Er  sieht  ein;  dass  die  Materie  des  Erkennens  kein  lobjekdr 
Gegebenes,  sondern  ein  vom  Subjekt  Erzeugtes  sei,  dass  daher  die  An- 
schauungwelt je  nach  dem  Grade  individueller  Kraftentwicklung  einen  ganz 
verschiedenen  Vollkommenheitsgrad  (Verwirrtheit,  Bestinuntheit,  Klarheit, 
Deutlichkeit)  aufweisen  müsse.  Es  wird  ihm  klar,  dass  auch  die  verwickeltste 
Axischauung  aus  einfachen  Grundteilen  bestehe;  wena  man  sich  über  diese 
klar  geworden  sei,  so  müsse  auch  das  Verwickeltste  einfach  werden.  Darum 
unternimmt  er  zum  ersten  Male  in;  der  Pädagogik  den  Versuch,  die  An- 
schauimgsinhalte  in  ihre  Elemente  zu  zerlegen.  Diese  bietet  er  dem  kind- 
lichen Geiste,  damit  er  sich  ihrer  durch  die  Anschauung  bemächtige,  sie 
zusammenlsetze  imd  sich  so  seine  Erkentniswelt  in  lückenlosem  Fortschritt 
selbst  aufbaue  im  Gegen:satz  zu  der  bisherigen  Unterrichtsweise»  nach 
der  ein  fertiges  Ganzes  in  die  Köpfe  der  Kinder  hineinzubringen  versucht 
wurde.  —  Und  Pestalozzi  entdeckt  danni  die  psychologische  Wahriicit,  dass 
es  „notwendig  in  den  Eindrücken,  die  dem  Kinde  durch  den  Unterridrt 
beigebracht  werden  müssen,  eine  Reihenfolge  gibt,  deren  Anfang  und 
Fortschritt  dem  Anfange  und  Fortschritte  der  zu  entwickelnden  Kräfte  des 
Kindes  genau  Schrin  halten  soll'*.  Die  Ausforschtlng  dieser  ReiheafolgB 
ist  „der  einfache  und  einzige  Weg,  jemals  zu  wahren,  unserer  Natur  und 
unseren  Bedürfnissen  entsprechenden  Schul-  und  UnterrichtsbÜchem  zu  ge- 
langen". Daher  die  konsequente  Durchführung  der  Übung»  reihen,  die 
einen  so  wesentlichen  Bestandteil  der  Pestalozzischen  Rechenmethode  aus- 
machen. 

Diese  beiden  Punkte,  das  Zurückgehen  auf  die  Anschauung  und  die 
Reihenbildung  sowie  der  lückenlose  Fortschritt  innerhalb  der  ReiBien  machen 
aber  noch  nicht  das  eigentliche  Ceheimnisr  der  Methode  aus;  dais  besteht 
vielmehr  in  den  Übungen  mit  d  en  Tabellen,  die  Pestaknzi  eulwüifea 
hat,   um  nicht  nur   eine  Veranschaulichung  der   Zahlinhalte,   srädera  vor 


j 


ßirukte  tmd  Btspr^ckungen, 


103 


allftö  Bingea  cmcn  sinnlichen  Hintergrund  für  die  Opfita- 
t  i  o  Re  n  mit  den  Zahlen  zu  schaffen.  Dass  er  sich  damit  auf  dem 
rechten  Wege  befand^  beweisen  seine  Erfolge,  und  beweisen  auch  die  Er- 
l^ebnisse  der  Versuche  des  Verfassers.  Wenn  im  Etiuelnen  gewiss  vieles 
an  der  Ausgestaltung  dieser  Tabellen  und  der  Anweisung,  die  Pestalozzi  zu 
ihrem  Gebrauche  gibt,  zu  bessern  ist,  der  Gedanke,  solche  Kunstmittel  im 

tEchenunt errichte  lu  verwenden,  bat  sich  durchaus  als  fruchtbar  erwiesen» 
Die  Ausfiihrin^en  über  diesen  Hauptpunkt  nehmen  daher  in  der  vor- 
genden  Abhandlung  den  breitesten  Raum  eia 

Dem  Gebrauche  der  Tabellen  muss  aber  eine  wichtige  Arbeit  voraus- 
gehen: Das  erste  2iel  des  Rechenumerrichtes  ist  die  Gewinnung  des 
Zahlbegriffes.  Bei  der  Analyse  der  Anschauungsinhalte  war  Pesta- 
lom  zu  seinen  bekannten  drei  Gnmdt eilen  gelangt :  Zahl,  Form  und  Sprache. 
Die  Zahl  haftet  also  jedem  Gegenstande,  der  Anschauung  als  wesentliches 
Moment  an.  Aus  der  Anschauung  muss  man  daher  die  ersten  Zahl- 
begriffe schöpfen*  Als  geeignetste  Grundlage  daru  empfiehlt  Pestalozzi  be* 
wegliche,  gleiche  und  verschiedenartige  Gegenstände,  wie  Erbsen,  Siein- 
chen,  Höiicben  u»  dgl. 

Hierzu  bemerkt  der  Verfasser:  ,,Für  die  Forderung  beweglicher  und 
gleicher  Gegenstände  wird  der  Grund  nicht  ausdrücklich  angegeben.  Man 
kann  ihn  indes  aus  dem  Gedankengange  Pestalozzis  mit  einiger  Sicherheit 
entnehmen.  Erstlich  tritt  das  Merkmal  def  Einheit  an  einer  Anschauung 
am  deutlichsten  hervor,  wenn  sich  die  Materie  derselben  als  von  allen 
^anderen  Anschauungsmaterie n  abgetrennt  darstellt,  und  dies  wiederum 
wird  durch  eine  räumliche  Verlegung  der  Anschauung  sinaÜcb  evident. 
Aus  Einheiten  setzt  sich  aber  jede  Mehrheit  zusammen.  Mitbin  ist  auch 
der  Grad  und  die  Leichtigkeit  der  Bewusstheit  einer  Mehrheit  von  der  Er* 
kenntnis  des  räumiichen  Für«sich.seins  der  Einheiten  abhängig.  Gibt  sich 
hingegen  die  Anschauung  als  Teil  einer  Anschauungsmaterie  zu  erkennen, 
so  ist  die  Einheit  derselben  als  sinnenfälliges  Faktum  noch  nicht  gegeben; 
vielmehr  muss  ihr  durch  eine  Funktion  der  Urteilskraft  ein  künstliches 
Für-sich-sein  erst  verschafft  werden.  Dasselbe  gilt  von  jeder  Mehrheit,  die 
mit  einem  Anschautmgsganzen  verbunden  erscheint.  Der'  Proiess  der  Zahl- 
Abstraktion  ist  namentlich  auch  in  solchen  Fällen  möglich;  nur  repräsen- 
tieren sie  weder  die  einfachste  noch  die  eindringlichste  Weise  sdnes  Ver- 
laufs. Man  begreift  hiernach,  weshalb  Pestalozzi  in  seiner  letzten  Aus* 
wähl  der  für  die  Zahlabstraktion  geeignetsten  Gegenstände  die  an  dem 
Papier    klebenden    Bilder    und    Figuren   unberücksichtigt    la^st. 

Zum  andern  erfordert  jede  Zusammenfassung  von  Einheiten  zu  einer 
Mefarhek  auch  eine  Zusammenfassung  der  mehrfach  gegebenen  Anschauungs 
materie.  Letztere  kann  aber  nur  dann  ohne  Rest  erfolgen,  wenn  die  An* 
Schauungseinheiten  sämtlich  nur  gleiche  Bestandteile  aufweisen.  Etwaige 
\ingleiche  Merkmale  müssten  wieder  durch  eine  Funktion  der  Uneilskraft 
erst  ausgeschieden  werden.  Der  Proie^  der  Zahlabstraktion  würde  da- 
durch  zwar  nicht  umnöglich  gemacht;  alteii^  er  würde  durch  dre  notwendige 
Em^chiebnng  einer    Urteilsfunktion   zweifellos   erschwert.    Hierin   Ji?p   der 


104  Berichte  und  Besprechungen, 

Grund,  weshalb  Körperteile  von  ungleicher  Gestalt  (Finger,  Zehen),  Blätter 
>-on  \uigleicher  Grösse,  Kugeln  von  ungleichei'  Farbe  und  dergleichen  eine 
geeignete  Grundlage  für  die  erste  Zahlabstraktionea  nicht  abgeben  kdnoea 
Im  besonderen  lernt  man  daraus  verstehen,  dass  Pestalozzi  aus  der  Grappe 
der  ausgewählten  Gegenstände  die  früher  benützten  Buchstabauäfdcbai 
ausscheidet;  die  Verschiedenheit  der  Schriftzüge  und  des  lautgehahes  lie» 
sie  für  die  Zusammenfassung  der  Anschauungseinheiten  in  hohem  MasK 
ungeeignet  erscheinen. 

Der  Prozess  der  Aussonderung  begrifflicher  Zahlinhalte  aus  den  As- 
schauungsmaterien  ist  kein  anderer  wie  der  jeder  andern  Begriffsbikiimi^ 
Alles,  was  nicht  den  Inhalt  des'  Begriffs  ausmacht,  muss  im  BewusstMin 
unterdrückt,  dieser  Inhalt  selbst  klar  hervorgehoben  und  isoliert  werden. 
Solches  ist  aber  nicht  durch  eine  Anschauungsmaterie  zu  bewerkstelligen; 
denn  in  dieser  behaupten  sich  alle  andern  Momente  mindestens  mit  der- 
selben Klarheit  wie  das  der  Zahl  Wird  hingegen  ein  bestinimter  7th1inhth 
an  einer  Vielheit  gänzlich  verschiedener  Anschauungsmaterien  bewusst,  lo 
hemmen  sich  die  gegensätzlichen  Momente  derselben  und  nur  das  gleicbe 
Moment  der  Zahl  wird  geklärt,  ausgeschieden  und  zur  Verknüpfung  mit 
einer  Sprachform  bereitgestellt**. 

Das  Zählen  als  Mittel  zur  Erlangung  neuer  Zahlenerkenntnisse  yer- 
wirft  Pestalozzi  durchaus:  er  fordert  vielmehr,  daß  dem  Kinde  die  Ein- 
heiten einer  Mehrheit  immer  gleichzeitig  vor  Augen  gestellt  werden,  damit 
es  diese  Mehrheit  recht  als  Einheit  aufzufassen  imstande  seL  Erst  nach- 
dem so  die  Begriffe  der  Eins,  der  Zwei,  der  Drei  mid  so  fort  bis  nr 
Zehn  gewonnen  sind,  darf  das  Zählen  hinzukommen,  um  diese  Erkenit- 
nisae  zu  einer  lückenlosen   Reihe  zu  ordnen. 

Hier  setzt  nun  der  Gebrauch  der  Aiwrhanungstabellen   ein. 

,.Von  der  Anschauung  zum  Begriff  und  zorfidc  nir  Anschauungr* 
Nachdem  aus  der  Naturanschauung  die  Begriffe  abgengen  sind,  nuas 
die  Arbeit  mit  den  Begriffen  beginnen.  Dafür  ist  wieder  ein  Afr 
Schauungshintergrund  nötig.  Dieser  muss  aber  roa  gam  anderer  Be- 
schaffenheit sein  als  die  .\nschauungsinaterie.  die  zur  Abttmhierang  der 
Zahlbegiiffe  dienen  soOte.  Was  don  den  zu  voDzidienden  Pmess  m 
wirksamsten  unterstützte,  grösste  Fülle  und  Manmiigfaltigkcit  der  Kfaterie, 
muss  hier  gerade  vt^mtieden  werden,  da  es  sich  daran  handdt,  die  paydi- 
scbe  Tätigkeit  auf  da»  Zahlmoment  zu  konzentrieren^  was  ani  besten  ifk- 
durch  geschieht,  dass  dieses  mög)ic4i8l  vielseitige  Verandenrngen  erfibtt^ 
während  alle  übrigen  Eigenheiten  sich  gleidi  bleiben.  Die  gröMte  Dfiif- 
tiglR^  und  FinfVrmigkeit  der  .-\nschamiagsniatcne  bedeutet  abo  für  dk 
/ahlanschauung  die  gröbste  Zweckmässigken.  und  diese  Bedingiigen  werden 
in  denkbar  voUbmunenster  Weise  von  den  PrstalmulsrJim  T^MDcn  erfaDt 


IVstaKo«  selbst  schreibt  darüber:  ..Die  KuntoniUel  bestriien  in  diti 
.\nscKauungstabeOen  der  ZAhlenv^rhähnisse.  Die  eiste  eodiilt  eiae  sehn- 
favhe  NebeiwiiunvWrttellun^  der  ^rhnf^chen  .\bmhncen  der  Zahl  Zdm 
tt  :^TKhen.  >^wi  denen  ie\ler  ab  eine  Einhett  aogeseben  oad  benutzt  wird. 


ßfHekii  und  Besprechungen* 


105 


Die  zweite  Anschauungstabclle  cnchält  in  gleicher  Ordnung  unter  und 
D^böldaaader  siehende  Quadrate,  dereo  Flächeninhalt  zehnfach  ungleich 
so  abfeteUt  ist,  dass  die  Brechung  der  Einheiten  in  allen  Abteilungen  der 
ZaU  Zehn  als  bestimmte  Flächenteile  des  Quadrats  als  Hälften,  Drittel, 
\^iend  u.   s.   w.    desselben   dem    Kinde   anschaulich   wird. 

In  der  dritten  Tabelle  wird  jede  von  den  zehnfachen  Abteilungen 
<te^  Quadrats  —  das  heisat  jedes  Halbcj  jedes  Drittel  ii.  s,  w,  wieder  zehn- 
f^oli  abgeteilt." 

Was   zunächst  die   Einheitstabelle  angeht,   so  ist  wahrscheinlich,  d^s 

P«"Stabiii   anfänglich   im   Sinne  gehabt  hatte,   sie   in   Punlcten   auszuführen, 

»*^>ci  wohi    erst   unter  fremdem   £influss   dazu   kam.    Striche   lu  verwenden, 

*-*ic  ursprüngliche    Gestalt    dürfte    indessen     wieder    hermstellen    sein,     da 

^t^jclie   wegen    ihrer    rechteckigen    Form   eine   ungleich    kompliziertere   An- 

*<^liauungsmaterie  sind  als  kreisförmige   „Punkte'*,   und  da  sie  sich  ausser- 

»«rn  rwedcmä^sig   nur   in   einer   Reihe   anordfien    lassen.     In   der   Tat   hat 

**ch  bei  den   Experimenten  des  Verfassers    herausgestellt,    dass   zweireihige 

'^Unktgruppcn    im    Vergleich    mit    den    einreihigen    Strichgruppen    die     bei 

^eitern  günstigere  Materie  für  die  Zahlanschauung  bilden.    Wenn  man  diese 

Verinderung    annimmt,     so    lassen    sich    folgende     wichtige     grundlegende 

«Merkenntnisse    aus    der    Tabelle,    wie    aus    einem    offenen    Buche,    leich»^ 

uad  Sicher   ablesen; 

Erstens :     Die    Zeriegung   der    Grundzahlen,   z.    B.    10  =  9  +  1,    8  +  2, 
7+3,  #  +  4,  5  +  5.    „Wie  ein   Blick  auf  die  Zebnergnippen  lehn*  ergibt 
jede  Verlegung  derselben  Teile,  die  als  solche  die  bekannten  Inhalte  der 
Tabelle  ausmachen.    Das   Nämliche   gilt   von   der   Zerlegung   jeder   andern 
Gnmdzaht   Die  Übung  bietet  folglich  dem  Anschauungs vermögen  die  denk- 
bar  geringste    Schwierigkeit^   und   wiederum   leuchtet   die    innere    Wahrheit 
der  bezugtichen    Erkenntnisse   so   klar   hervor   wie   nur   möglieh.     Es  steht 
tu   erwarten^    dass    die    Einbildungskraft    und    das    Gedächtnis    sich    schnell 
und  dauernd  der   Funktion  des  Zerlegens   bemächtigen   und  hei  allem  fol- 
genden Addieren  und  Subtrahieren  mit  Verwandlung  leicht  und  sicher  voll- 
ziehen   werden-*' 

Zweitens:  Die  Erweiterung  und  der  systematische  Aufbau  der  Zahlen > 
reihe.  j^Die  Tabelle  bietet  hierfür'  in  der  untersten  Reihe  die  Anschauungs- 
tnaterie  bb  100.  Die  erste  volle  Zehnerg^ruppe  kann  als  ..Zehner*',  jeder 
Teil  der  folgenden  Gruppe  als  „Einer**  aufgefasst,  daran  die  Belehrung 
ober  den  verschiedenen  Stellenwert  der  Ziffern  geschlossen  und  in  rw'eck- 
mäüngen  Abschnitten  bis  100  fortgefahren  werden/' 

Drittens;    Die  Ztisammenlegung  und  Trennung  der  Zehner  und  Einer, 
Viertens;    Die  Addition  und  Subtraktion  der  Grundcahlen, 
Fiänftens:     Die   Addirion    und    Subtraktion    rweistelliger    Zahlen. 
Secbstens'    Die   Bildung  der   Multiplikationsreihen. 
Siebentens:    Die  Bildung  der  Divisionsreihen. 
Acbtens:    Die   Multiplikation  mit    Ergäniyngen. 
Neuntens:    Die   Division   mit    Resten. 
ZiehDtens :    Zahlverhältntsse. 


105  .BerichU  und  Besprechungen, 

„Zusammenfassend  lässt  sich  folgendes  sa^^en:  Die  Zahlansduuung 
ist  zur  Gewiontmg  der  grundlegenden!  Zahlerkenntnisse  unentbehrlich.  Unter 
der  als  zutreffend  bewiesenen  Voraussetzung,  dass  sie  im  strengen  SinD^ 
noch  über  40  hinaus  möglich  ist  ■  und  der  wahrscheinlich  zutreffaiden  kßr 
nähme,  dass  sie  mit  Hilfe  der  Succession  und  des  Gedächtnisses  anf  die 
ganze  Zahlreihe  bis  100  ausgedehnt  werden  kann,  sind  an  einer  zweckmässig 
gestalteten  Anschauungsmaterie  sämtliche,  die  Zahlinhalte  bis  100  betreC' 
fenden  Gesetzmässigkeiten  sicher  zu  erkeimen-  und  diese  Erkenntnisse  duct^ 
umfassende   Übungen  zu  befestigen  und  geläufig  zu  machen.*' 

Die  Bruchtabellen  erschienen  dem  Verfasser  in  der  vorliegendesi. 
Form  verschiedener  Verbessenmgen  bedürftig,  insbesondere  waren  eine 
leichtere  und  sichere  Erkennbarkeit  auf  dem  Wege  des  simultanen  Am«- 
schauens,  eine  Beschränkung  auf  eine  möglichst  geringe,  dabei  hinreicheod 
mannigfaltige  Zahl  von  Inhalten,  eine  genügende  Grösse  des  Raumbildes  der 
einzelnen  Inhalte,  und  endlich  grössere  Übersichtlichkeit  des  Gesantfira— 
haltes  zu  erstreben.  Der  Verfasser  nahm  daher  mehrere  Änderungen  vnr, 
über  die  er  ausführlich  Rechenschaft  ablegt,  vor  allem  hob  er  die  Be- 
denken gegen  den  übergrossen  Umfang  der  Pestaloczischen  Übungen  durcb 
eine  Reduktion  der  200  Inhalte  auf  92. 

Die   Reihe  der   Übungen   mit   dieser   Tabelle   ist  folgende: 

Erste  übimg:    Die  Bestimmung    der  Teilung  der  Quadrate. 

Zweite   Übung :    Die  Bestimmung  der  Bruchteile '  im  allgemeinen. 

Dritte  Übung:    Die   Bestinunung  der  Bruchteile  eines  Ganzen. 

Vierte   Übung:    Die   Addition  und  Subtraktion  von   Bmchteüen  etxa- 
lacher  Teilunl^en. 

Fünfte  Übung:    Die  Multiplikation  und  Division  von  Bruchteilen  eiSB>' 
facher  Teilungen. 

Sechste    Übung:     Die    Bestimmung   der   Bruchteile   mehrfacher   Teit' 
ungen:  i.  B.:  1—|— 1  u.  s.  t     ^^y»  S^J»  u.  s.  t 

.,Für  diese  ÜbuRg>  deren  umfassende  Erledigung  dem  Verfasser  fü^ 
die  ganze  folgende  Bruchrechnung  von  besonderer  Wichtigkeit  enchie<^ 
erwies  sich  die  Gliederung  der  Teilungen  als  ein  höchst  förderliches  Momeca^ 
Die  Bestimmungen  verliefen  in  der  Tjtt  nicht  als  Arbeit  mit  Zähler  uza^ 
Nenner«  Kindern  als  Anschauungsübungen  im  streqgisten  Sinne  des  Worte* ■ 
Daraus  resuhiene  eine  Leichtigkeit  und  Sicherheit  der  lUi«ritnmwng*ptfi^<M^mg, 
welche  auf  alles  so^nannte  Gleichnamigmachen  so  wenig  ohne  Einfloß 
bleiben  konnte«  wie  auf  sämtliche  an  Brüchen  zu  voHzieiienden  Molti' 
plikatk>n$-  und   Di\  iskmsübxmgen.** 

Siebente    Übung:    Arithmetische    Bruchvergleichu]^. 

Diese  Übung  soU  letgexu  diss  die  Grosse  cums  Bradies  mft  der  An- 
«ahl  der  Bruchteile  «u%  mit  der  Te;Iung$iahl  des  Ganicn  aboinunt  und 
unxgekehTt. 

Achte  Übui^jr:   Die  Additioa  und  Subtrakcmi  v^isdaedener  TeOnngen- 

Neunte   Übung;    iK<ometri$che   Bruch\^efgi««chung. 

•Vhme  i'buns*'    r^ie  MuUipUkaüs^n  und  Divisico  der  Brachteile  xw«- 
und  n>ehitacber    Teitutvpm 


Sirii^kU  und  Bespf^ekungm^ 


Elfte  Übung:   Die  MulttpUkation  der  Ganzen  mit  ßrucliteileii  wid  die 
Division  der  Ganzen  durch  Bnichteile. 

Zi§x>ifte  Übung:   Di^  Multiplikation  der  Bnichceile  mit  Bruchteilen  und 
dio    Dt¥]sioQ  der  Bruchteile  durch   Bruchteile« 

Durch  einen  halbjährigen  Gebrauch  der  Pestalozzi  sehen  Bruchtabellen 
ist  der  \erfasser  hinsichtlich  der  Brauchbarkeit  derselben  2u  folgendem 
Urteü  gelangt:  ,,Der  wesentliche  Inhalt  der  Bruchtabelknp  nämlich  das 
yr^Tk  Pestalozzi  zur  einheitliclien  Bruchversinnlichung  vorgeschlagene  Qua^ 
«Iratf  ist  in  der  Tat  für  diesen  Zweck  eia  höchst  einfaches  imd  durchaus' 
brauchbares  HilfsmitteL  Wegen  der  in  ihm  ausschliesslich  enthaltenen 
Linien '  und  Flächenmaterie  verdient  es  vor  allen  körperlichen  Hilfsmitteln 
dieser  An  unbedingt  den  Vorzug.  Allerdings  muss  tier  Gewinnung  der 
Bruchzahi  erkennen  isse  an  der  Hand  der  quadratischen  Versinnlich^ 
un^en  die  Abstraktion  der  Bnichzahl  begriffe  vorausgehen;  jedoch  bieten 
Kuostmittel  ün  eigentiidien  Sinne  dafür  überhaupt  keine  geeignete  Gnmd- 
^^^]  %ielmehr  muss  das  Begreifen  hier^  wie  überall,  an  Materien  der 
Katuf^ischauung  vollzogen  werden/' 

Zum  Schlüsse  möge  noch  folgende  Ansiassung  des  Verfassers  über 
das  an  seinen  Schülern  beobachtete  Interesse  Platz  finden:  „Die  an  tmd 
für  sieb  völlig  reiilose  Materie  irgendwie  geteilter  Quadrate  wird  den 
SchüJem  m  hohem  Grade  interessant»  sobald  mit  der  Bestimmung  derselben 
*htrch  Bruchzahl  begriffe  hegonnca  wird,  und  das  Interesse  bleibt  gespannt, 
sö  liQge  Bruchzahlerkenntnisse  aus  ihr  geschöpft  und  die  angemessenen 
l'bmjgcii  verwandt  werden.  Die  klaro 'Einsicht  erweist  sich  hier,  wie  überall, 
*^s  die  beste  Nährmutter  des  Inteiiesses»  das  die  blosse  Arbeit  mit  Ziffern 
^Ä^'h  unverstandenen  Regeln  ertötet,  wie  jede  Unfähigkeit  gegenüber  jed* 
•^dem  Vorwurf  zur  Betätigung.  Indem  Pestalozib  elementare  Bmchzahl- 
^buiigca  Verstand,  Sinn  und  Urteil  fortgesetzt  in  Anspruch  nehmen  und 
"^i^ch  klare  Erkenntnis  zum  sichern  Können  führen,  finden  sie,  ohne  es 
^  suchen,  das  lebhafte,  nachhaltige,  im  Gefühl  gehobener  Kraft  gipfehide 
'^tifresae  der  lernenden  Jugend." 


''^^rtbold     Otto»     Tirocinium     Cacsarianum,       Leipzig, 
Scheffer,  1900;   0,90  M, 

Dai  Büchlein  wendet  ein  Verfahren,  das  Verfasser  für  die  Lektüre 
^^4s  ttiid  Horaz  recht  geschickt  gehandhabt  hat,  zum  ersten  Male  auf  ein 
Pt'Q^werk  an,  djas  erste  Buch  des  gallischen  Kriegs,  Das  Ziel  des  Vcr- 
**^«ers,  dass  dem  lateinlesenden  Schüler  der  Klassiker  dasselbe  iniellekiuelle 
"**<1  ästhetische  Vergnügen  bereite  wie  dem  Volksgenossen  des  Autors, 
'^^  gewiss  aufs  innigste  zu  wünschen  und  alle  Mittel  dazu  willkommeti. 
'^^d  »ö  leisten  die  Einftihrutiger^  zu  den  Dichtem  eben  das,  was  im  deur^ 
*^Hcii  Unterricht  die  erläuternde  Erzählung  leistet^  die  man  der  Lektüre 
^^^    Gedichte  vorausschickt.    Niemand  wird  behaupten,  dass   dadurch  der 

E  verkümmert    werde;    vielmehr    kommt   gerade    das    rein   ästhetische 
IC  so   schöner    zur   Geltung.     Ganz    anders    beun   ProsaschriftsteUcr, 


108  Berichte  und  Besprechungen. 

Wie  schwer  ist  es  doch  schon  im  deutschen  Unterrichte,  die  Sprache 
als  Kimstform  dem  Schüler  nur  in  etwas  zum  Verständnis  zu  bringen. 
Dass  man  dergleichen  aber  im  zweiten  Lateinjahre  für  einen  Stoff  wie 
Cäsars  Kriegsberichte  erreichen  könne,  scheint  mir  auch  mit  dem  vor- 
liegenden Hilfsmittel  ausgeschlossen.  Wohl  sind  mit  grossem  Geschick, 
manichmal  auf  Kosten  des  lateinischen  Ausdrucks,  sprachliche  und  sach- 
liche Schwierigkeiten  —  meist  auf  dem  Wege  der  Analyse  —  vorwegge- 
nommen; aber  einmal  bleiben  noch  genug  übrig;  zweitens  und  vor  allem  steDt 
sich  der  schwere  Nachteil  eiri,  dass  die  Einleitung  das  Hauptinteresse  auf 
dieser  Altersstufe,  das  rein  sachliche,  dem  Schriftsteller  selbst  vorweg  ent- 
zogen hat,  ohne  für  das  ästhetisch-formale  wesentliches  geleistet  zu  haben. 
£s  ist  somit  kein  hinreichende^  Ersatz  gewährt  für  den  grossen  Zeitverlust, 
den  die  Übersetzung,  Wiederholung  und  Nachübersetzung  jener  Vorlektfire 
verursacht,  zumal  auch  nach  des  Verfassers  Meinung  ein  gtiter  Kommentv 
durch  sie  nicht  überflüssig  wird.*  Man  kann  ein  Freund  des  „schmerzlosen** 
Unterrichts  sein,  muß  aber  doch  die  Euthanasie  des  langweiligen  auf  alle 
Fälle  abwehren;  es  ist  fraglich,  ob  ein  durchschnittlich  gebildeter  Rdmer 
noch  in  Cäsars  Bücher  gesehen  hätte,  wenn  er  vorher  so  eingehend  von 
deren  Inhalt  unterrichtet  war.  Insofern  aber  ist  vielleicht  der  Grundge- 
danke des  Verfassers  auch  für  die  Prosalektüre  fruchtbar  zu  machen,  dass 
man  den  Schüler  auf  der  unteren  und  mittleren  Stufe  nicht  in  einen  Schrift- 
steller mit  all  seinen  Schwierigkeiten  hineinfwirft,  sondern  unten  geschickter 
Benutzung  des  Textes  durch  erleichternde,  d.  h.  teils  kürzende,  teils  er- 
weiternde, paraphrasierende  Bearbeitungen  einführt.  Hierzu  kann  des  Ver- 
fassers Arbeit  in  dankenswerter  Weise  anleiten. 

V.   Low  ins  ky. 


J.  Trüper.  Die  Anfänge  der  abnormen  Erscheinungen 
im  kindlichen  Seelenleben.  Verlag  von  Oskar 
B6nde  in  Altenburg  1902.  (Vortrag,  gehalten  am 
19.  September  1901  in  Elberfeld  auf  der  9.  Kon- 
itreiit  der.  Anstalten  und  Schulen  für  Schwach- 
sinnige.) 

Der  Vortragende  wünschte  einen  größeren  Krefs  von  Pdnonen,  die  Ober 
die  Erziehung  der  Jugend  mitzubestimmen  haben,  zum  Studium  der  ab- 
normen Erscheinungen  der  Kindesseele  anzuregen.  Schwachsinn  ist  gkich- 
bedeutend  mit  Urteils-  und  Intelligenzschwäche.  Diese  kann  in  einem  Mangri 
an  Erziehung  oder  Unterricht  oder  auch  in  äußerer  sorialer  Not  begründet 
Hegen,  sie  ist  insofern  nicht  abnorm,  kann  jedoch  krankhaft  werden.  Aach 
unbegabte,  geistig  zurückgebliebene  Kinder  sind  noch  nicht  ohne  weiteres 
abnorme  Kinder.  Andrerseits  sind  sehr  oft  hochbegabte  und  frflhreife  Kinder 
als  psychopathisch  zu  bezeichnen.  Und  endlich  kann  bei  Kindern  wie  bei  Er- 
wachsenen neben  schweren  psychischen  Krankheitserscheimmgen  ein 
vortrefflicher  sittlicher  Charakter  bestehen.     Was  sind  demnach  Schwacli- 


Btrtchi^  utui  Be$pftckungm , 


109 


befalugte  mit  Ät^fallendeo  abnormen  Erscheinungen?  Darüber  läßt  sich 
der  Vonragende  kider  nicht  aus;  «r  meint,  die  aiif£aUenden  Scbwachsitmigefi 
«riccJini  jeder.  Und  doch  fuhrt  er  ein  Beispiel  an,  daß  ein  geiäteskra&ker 
KxLAbe  bis  rum  12.  Jahre  das  Gynrnasiunt  besuchte  und  kunc  Zeit  darauf  von 
ilim  der   Irrenanstalt    überwiesen    wurde. 

Bei  wemger  aufCallenden  Erscheinungen  tsi  der  bedeuten dsle  Psychiater 
nticlit  im  Stande,  Gesundheit  und  Krankheit  scharf  z\x  unterscheideo.  .,Wenii 
liei  emcm  Kinde  Erscheinungen  auftreten,  die  sonst  nicht  vorhanden  waren, 
wenii  CS  nicht  mehr  lernen  kann,  wahrend  es  sonst  gut  lernte  ^  wejm  das 
G^dichtllis  nachläßt,  die  Schrift  schlechter  und  unsicherer  wjrd,  wenn  es 
iK&scht|  wo  es  früher  nicht  naschte,  lügt,  wo  es  früher  die  Wahrheit  sagte, 
wenn  es  in  seinem  Gefühbleben  größere  Reizbarkeit  leigt,  und  wenn  dann 
t^MT  allen  Dingen  auch  noch  körperliche  BegleiterschelDimgen  auftreten 
oder  vorausgehen  —  Blutarmut,  Kopfweh^  Appetitlosigkeit,  unruhiger  Schlaf, 
Aufschreien  im  Schlaf,  träger  StuhJ,  choreatische  und  andere  inkoordinierte 
Bewegungen,  Masturbationen  u*  s,  w.  —  so  habeti  wir  es  auf  alle  Fälle 
mit   den  Anfängen   eines   krankhaften  Seeienzustandes  £U  tun/' 

Die  minden^erhgen  Eigenschaften  des  Seeletüebens  können  nun   ent^ 

wed.er   im    Laufe     des    Lebens    erworben    werden    oder    aber    sie    können 

a^oh  ererbt  sein,     tm  letzten  Falle  treten  sie  nicht  immer  als  direkte  Be- 

l^stMtig  oder  als  eine  totale  Herabmmderung  in   Form  einer  geistigen  und 

wt  auch  körpertichen  Verkruppelung,  also  als  degenerative  Minderwertigkeit, 

^   Entartung  auf,   sondern  sie  sind  oft  nur  als  bloße  Anlage  vorbandea^ 

die  erst  iut  Geltung  kotnmtj  wenn  tn  dem  Ererbten  noch  Erworbenes'  bin* 

'^'^tL     Erworben  wird  <iie  seelische  Minderwertigkeit   durch  Krankheiten 

derlei  Arty  durch  den  Genuß  von  Giften,   besonders  des  Alkohols,  durch 

•*>>sile  Ühelstände  und  vor  allen  Dingen  durch  Übcrforderutigcn,  der  Nerven- 

^^  Geisteskraft  in  den  öffentlichen  Schulen  und  in  den  FamiUen. 

Am  Scbiusse  seiner  Ausfuhrungen  fordert  der  Vortragende  auf,  seinen 

Uttsätzen  zuzustimmen»  die  etwa  folgendes  besten:    Es  gibt  abnorme  Er^ 

scheimmgen  und  Zustände  im  kindlichen  Seelenleben  pathologischer  Natur, 

die  in  der  Erziehung  einer  besondere]]  Beachtung  und  in  manchen  Fällen  auch 

aner  besonderen  Behandlung  unter  nervenarztUchem  Beirate  bedürfen.    Sie 

Icöoaien    auftreten    als    Schwächen    wie    als    Regelwidrigkeiten    der    Stmies- 

empfmdungen,  der  Denk  Vorgänge,  des  Gefühlslebens,  des  Wollens  und  des 

Handelns*     Ernste  Maß^aahmen  zur  Vermifnderung  der  ncrvenzerrütleaiien 

Ursachen  und  zur  Fürsorge  für  4i^  mit  psychopathischen  Miaderwertigkeitefi 

bebafteten    Kinder   und   Jugendlichen   sind    sowohl    ein    Gebot    christlicher 

Nilchstenhebe  als  ein  notwendiger  Akt  der  Selbsterhaltung  unseres  Volkes, 

Es  ist  darum  dringend  erwünscht,  daB  aUe,  die  über  das  Wohl,  und  Wehe 

di£r  späteren  Jugend  zu  bestimmen  haben,  sich  mehr  als  bisher  demi  Studium 

der  abnormen  Kindesseele  und  ihrer  vorbeugenden  Fürsorge  widmen. 

Grünspan. 


110  BerichU  und  Besprechtingeiu 

Münch,  Wilhelm,  Professor  der  Päldagogik  an  der  Uni- 
versität Berlin,  Geist  des  Lehramts.  Eine  Hode^ 
getik  für  Lehrer  höherer  Schulen.  Berlin,  1903.  Ver* 
la.g  Ton  Georg  Reimer.  9^,  550  S.  Preis  brosekiert 
M.  10.—,  gebunden  M.  11.— 

Das  aus  16  Abschnitten,  welche  alle  wichtigeren  Gegenstände  und 
Fragen  der  Erziehung  erörtern  imd  so  eine  treffliche  lusammenhängrnde 
Einführung  in  die  Aufgaben  des  höheren  Lehramts  geben,  bestehende  Werk 
wird  bestimmt  nicht  nur  allgemeinen  Beifall  im  gesamtoi  großen  Lehrer- 
publikum finden,  sondern  namentlich  auch  von  Schulamts-Kandidaten  vor 
und  während  ihrer  Vorbereitungszeit  sehr  fleißig  benutzt  werden,  ja  vielleicht 
alle  sonst  üblichen  Kompendien  mit  der  Zeit  verdrängen,  also  eine  ähnliche 
Stellung  einnehmen,  wie  z.  B.  der  sprichwörtlich  gewordene  Quaritsch  bei 
der  Vorbereitung  zum  Referendariatsexamen  oder  der  Schwochow  bei  der 
Rektorprüfung.  Während  nämlich  unsere  gangbaren  Hilfsbücher  über  die 
Pädagogik  an  höheren  Schulen  meist  nur  schultechnische  Fragen  zu  ihrem 
Gegenstande  haben,  betrachtet  Münch,  der  bereits  in  zahlreichen,  sehr  ge- 
diegenen einzelnen  Schriften  seine  in  hervorragender  praktischer  imd  wissen- 
schaftlicher Tätigkeit  gesammelten  Lehrerfahrungen  veröffentlicht  hat,  in 
dem  nunmehr  vorliegenden  Werk  die  gesamte  Pädagogik  von  weiteren 
psychologischen  und  höheren  ethischen  Gesichtspimkten  aus,  ohne  übrigens 
ein  in  sich  abgeschlossenes  pädagogisches  System  aufzustellen. 

Das  Buch  handelt  zunächst  vom  Charakter  des  Lehramts,  dann  weiter 
vom  Wesen,  Charakter,  Objekt,  den  Hauptwegen  und  Mitteln  der  Erziehung 
im  einzelnen,  sowie  ihrer  inneren  und  äußeren  Oxganisation,  auch  werden 
Wesen,  Einrichtung,  Methode,  Technik  und  Kunst  des  Unterrichts  nebst 
Hauptfragen  des  Fachunterrichts  mit  in  den  Bereich  der  Erörterungen 
gezogen,  sowie  endlich  erschöpfende  Mitteilungen  über  das  Verhältnis  zwischen 
Lehrern,  Schülern  und  Kollegen  un)tereinander,  auch  über  den  Verkehr 
mit  Ehern  imd  weiteren  Kreisen  gegeben. 

Ref.  wagt  als  Glanzpunkte  der  Arbeit  vor  allen  die  Abschnitte  IV  Vom 
Objekt  der  Erziehung,  S.  111— 154j(  VI  Die  Mittel  der  Erziehung  im  emzelneq 
und  ihre  Verteilung  unter  die  Begriffe:  Zucht,  Pflege  und  Lehre,,  S.  168—290, 
VII  Die  innere  Organisation  dei;  Erziehux\g,  S.  221—261,  und  hierin  die  Dar 
legungen  über  Büdung  des  Willens,  Gefühls  und  Intellekts  und  IX  Wesen  des 
Unterrichts,  S.  318—341  —  in  diesem  letzten  Kapitel  hauptsächlich  die  An- 
gaben über  die  psychologischen,  antropologischen  imd  kulturellen  Grund* 
lagen  des  Unterrichts  —  zu  bezeichnoi.  Sehr  beachteniswert  erscheinen  außer 
dem  noch  u.  ä.  Abschnitt  XI  Methode  des  Unterrichts,  S.  364 — 385  und  zwai 
besonders  die  Beschreibung  der  Methode  im  Unterschied  von  Technik  und 
Kunst  und  Abschnitt  XIII  Zur  Kunst  des  Unterrichts,  vorzugsweise  ink  Zu« 
Zusammenhang  mit  Technik  und  Methode. 

Wollstein;  Karl  Löschhom. 


B^rkhU  ^nd  Bespre^kungtn, 


ni 


rbe, 


K.: 


Experiment  ell-psychojogische        Unter. 


^uchiäDgen   über   das  Urtöit,    Eine   Elnleitniig  in   die 

1.0g ik.    Leipzig,  W.  Engel  mann.    1901.    103  S.    Mk.  2,50, 

hx  der   vorliegenden  Arbeit   versucht    M.,   den   im^emcin  schwierigen 

Fto%>l€m«ii   ^tr   Psychologie  des   Uneils   auf  experimentellem   Wege  naher 

IM    Icommen.    In  eineir  methodologischen  Einleitung  definien  er,  wie  üblich, 

die      Urteile    als    BewuEieinsvorgänge,    auf    welche    die    Prädikate    richtig 

od^ii'  falsch   eine  sinngemäße  AnweiKlung  finden,  und  leigt,  daß  alle  Be- 

^«iLl^tseinsvorgänge  ohne  Ausnahme  zu  Urteilen  werden  können.    Im  zweiten 

Kmpitel  wird  der  psychologische  Tatbestand  des  Urteils  experimentell  unter- 

üiol^t,  um  diejenigen  inneren  Erlebnisse  ausfindig  £U  machen^   die  £U  einem 

od^r  mehreren  Bewußtseins  Vorgängen  hmrukommcn  müssen,  wenn  dieselben 

dexi.    Urteilscharakter  aufweisen  sollen.     Die   Experimente  beistanden  m  der 

Avrfgabet  zwei    Gewichte   von  verschiedener  Schwieni   der   Reihe  nach   mit 

derselben    Hand    gleich   hoch   lu    heben    und  sodann   das   schwerere   umzu* 

keHxeq;  oder  einen   Stimmgabelton    nachzusingen  oder  -pfeifen;  oder  von 

drei  verschieden  hellen,  grauen  Papieren  das  hellste  einige  Sekunden  lang 

m     filieren    und    dergl.    mehr.    Die    Versuche   wurden   nach   verschiederw?n 

Richtungen   hin  variiert,  insofern  Urteils- Vorstellungen,  *Gebärden^  -Worte, 

■Satie  in   den    Bereich    der  Experimente   gezogen   werden.     Die  Aussagen 

der    Versuchspersonen    wurden   sorgfältig    protokolliert    und    ergaben,    daß 

^    keinerlei   psychologische   Bedingungen   des    Urteils    gibt.     Die   von   den 

cjniebiöi  Versuchspersonen   beobachteten   Begleiterscheinungen  der   Urteils- 

J^^'rgänge  bezogen  sich,  soweit  überhaupt  vorhanden,  auf  mehr  oder  weniger 

^'^levante   und   inkonstante   Erlebnisse   (Spannungscmpfindnngen,  Saehvor- 

^'cllungen,   Wort  Vorstellungen    und     Bewußtseinslagen  verschiedenster  Art), 

die  f^  den  Urteilscharakter  der  gepriiften  Bewußtseins  Vorgänge  nicht  maß- 

gebend  waren.     Im  dritten   Kapitel   wird   das   Wesen   des   Urteils,   da     die 

Psychologische    Untersuchung   ergebnislos    verlaufen,   logisch  analysiert    und 

'Olgeiiiies  Ergebnis  verkündet:    alle  Erlebnisse  können  zu  Urteilen  werden^ 

Wenn   sie  nach  Absicht  des  Erlebenden  entweder  direkt  oder  in  ihren   Bc- 

ocitungen  mit  anderen  Gegenständen  übereinstimmen  sollen.    Es  wird  dabei 

^^drücklich  hervorgehoben,    daß    diese    Erkenntnis    aus    einer    experimen- 

**lleti,  oder  auch   nur  aus  einer  psychologischen   Umersticbung  der  Urteile 

iberliAupt  niemals  abgeleitet  werden  kann.    Das  vierte  Kapitel  handelt  von 

aem   Verstehen  und  Beuneilen  der  Urteile,    Auch  hier  wird  der  Tatbestand 

°^^cbt  experimentell    aufgenommen    und   nach   den   gleichen   Richtungen 

^^^  die  Urteile  selbst  untersucht.   Das  Ergebnis  ist  wiederum  völlig  negativ : 

™    Verstehen   wahrgenommener   oder  gelesener   Urteile    beruht   nicht  auf 

P*ycl3ologi sehen  Tatsachen,   welche   mit   dem  Wahrnehmen  und   Lesen   der 

Urteile   verbunden    sind.      Ebensowenig    sind    die    wahrgenommenen    oder 

f^^^s^^    Urteile    mit    verschiedenen    Erlebnissen    verbunden,    je    nachdem 

*Jr    sie  lu    beurteilen  fähig   sind   oder  nicht,   noch   sind   sie   mit  verschie- 

"«^en  Bewußtseinsvorgängen  verknüpft,  )e  nachdem  wir  sie  gegebenenfalls 

^   richtig  oder  falsch  bezeichnen  würden.     Vielmehr  führt  auch  hier  erst 

öle    logische    Analyse    zum   Ziel :     Da3    Verstehen    der    Urteile   beruht    auf 

*"iein  Wissen,     Wir  verstehen  ein  Urteil,  wenn  wir  wissen,  mit   welchen 


112  BericMe  %md  Btspreckungen, 

Gegenständen  es  nach  der  Absicht  des  Erlebenlden  direkt  odi 
Bedeutung  übereinstimmt.  Ebenso  steht  es  mit  dem  Beurteilen 
Im  fünften,  Schluß^  Kapitel,  endlich  wird  auf  die  Bedeutung  der  \ 
Ergebnisse  hingewiesen  und  beiläufig  gezeigt,  daß  es  eben( 
psychologische  Kriterien  der  Urteile  solche  der  Begriffe  gib 
iangreiche  experimentelle  Untersuchung  hierüber  wird  in  Ausa 

Es  schdnt  dem  Referenten,  als  weqn  der  verdienstvol 
hier  eine  gewaltige  Arbeit  mit  allem  Rüstzeug  der  modernen 
l>ewaffnet  u,ntemommen  hätte,  deren  völlige  Ergebnislosigkeit 
zusehen  gewesen  wäre.  Schon  die  einfachste  Selbstbeobachtux^ 
Anstellung  von  Hunderten  von  Experimenten,  daß  psycho! 
j^leiterscheinungen  des  Urteils,  die  für  dieses  charakteristisch 
existieren.  Dem  Wesen  eines  Bewußtseinsvorganges  psychologi 
kommen,  als  es  durch  eigenes  Erleben,  durch  Umschreibung  mit  V 
Vergleich  mit  ähnlichen  Bewußtseinsvorgängen  und  durch  logischefi 
und  Definierung  geschehen  kann,  ist  eben  prinxipiell  unmöglich, 
die  Rotempfindimg  oder  den  Schmexzvorgang  in  seinem  eigentUd 
logischen  Wesen  anders  ergründen,  als  dturch  unmittelbares 
durch  die  angegebenen  indirekten  Hilfsmittel?  Es  kann  dah 
die  Aufgabe  der  Psychologie  sein,  das  Wesen  des  Urteils  exp 
ergründen.  Die  Psychologie  des  Urteils  hat  vielmehr  zu  unl 
welchem  Sinne  und  durch  welche  Faktoren  unsere  Urteile  qu 
«qualitativ  beeinflußt  werden,  worauf  die  Überzeugungskraft  imser 
ruht  und  wodurch  sie  beeinflußt  wird  u.  s.  L  Nach  die^ 
hin  ausgedehnt,  könnten  die  Untersuchimgen  des  Verfassers  s 
^ehr  Gewinn  rechnen,  als  es  bei  der  vorliegen4en  Arbeit  der  f 

Berlin.  L.   H 


Mitteilungen. 


Der  Präsident  der  Clark  University,  Herr  G.  Stanley  Hall,  hat  die  An- 
legung zu  einer  weiteren  Vertiefung  des  Kinderstudiums  gegeben,  indem 
er  an  die  bekannteren  Forscher  auf  diesem  Gebiete  nach  allen  Ländern  fol- 
Stades  Sendschreiben  gerichtet  hat: 

£s  ist  zehn  Jahre  her,  daß  das  Werk  der  Kinderforschung  in  der 
psych<^gischen  Abteilung  der  Clark  University  zuerst  in  Angriff  genommen 
^"^^irde,  worüber  ein  kurzer  Bericht  beigefügt  ist.  Der  Einfluß  dieser  Arbeit 
^  bisher  so  groß  imd  verspricht  künftig  sq  viel  mehr  für  Psychologie  und 
Pädagogik,  daß  wir  nun  Schritte  zu  unternehmen  wünschen,  um  die  auf 
diesem  Gebiete  Tätigen  zu  einer  gemeinsam  vdrkenden  Gesellschaft  zu- 
^*OMncnzuschlicßen,  um  neues  Material  zu  sammeln  und  die  Arbeit  auf 
*^cug  wissenschaftliche  Grundlage  zu  stellen.  .,.".. 

Wollen  Sie  Ihrerseits  sich  bereit  erklären,  von  den  Fragebogen,  die  wir 
Ihnen  während  der  zwölf  Monate  bis  Juni  1904  zusenden  werden,  vier  bis 
*echs  auszusuchen,  welche  Ihnen  am  wichtigsten  oder  interessanteste^  er- 
^^cinen,  imd  ims  von  so  viel  Schülern  odei/  andern  Personen  wie  möglich 
^Uiwandfrcie  Antworten  zu  besorgen? 

Wenn  ja,  so  sind  wir  unsererseits  bereit,  Sie  nach  unsem  Kräften  da- 
^*irch  zu  unterstützen,  daß  wir  Sie  mit  Abdrücken  aller  während  des  Jahres 
^^chienenen  Schriften  über  Kinderpsychologie  udd  auf  Wiinsch  mit  Literatur- 
*^gaben  über  besondere  Fragen  versehen. 

Zur  Erlangung  zuverlässiger  Ergebnisse  halten  wir  es  jetzt  für  not- 
^endig,  Schlüsse  über  viele  Gegenstände  auf  ein  vergleichendes»  Studium 
^^    Materials  aus  verschiedenen  Ländern  aufzubauen. 

Wir  glauben  auch,  daß,  wenn  ein  solcher  umfassender  imd  wi^en- 
^^liaftlicher  Zusagtmenschluß  zu  stände  kömmt,  er  dazu  beitragen  Wird, 
^^^ser  j^beit  um  ihrer  selbst  willen  vermehrtes  Ansehen,  imd  den  darauf 
^^^^mndeten  praktischen  pädagogischen  Maßnahmen  größere  Wirksamkeit 
*^  Verschaffen. 

Wenn  Sie  geneigt  sind,  sich  an  dem  Unternehmen  zu  beteilig^,  so 
^Uen  Sie  sich  gütigst  an  den  Unterzeichneten  mit  weiteren  Vorschlägen 
^^   gegenseitige  Fördenmg  wenden. 

G.    Stanley   Hall, 
Clark  University. 

Worcester,  Mass.,  April  1903. 

Der  beigefügte  Bericht  lautet: 

t  fir  pidigogitdie  Psychologie,  Ptthologie  nnd  Hygiene.  8 


114  Müuaungtn, 

Kinderforschung    in   der   Clark   University« 
Ein  bevorstehender  neuer  Schritt. 

Es  ist  nun  fast  neun  Jahre  her,  daß  der  erste  Fragebogen  über 
Kinderforschung  an  der  Clark  University  gedruckt  wurde.  Jetzt  sind 
über  hundert  erschienen  und  über  fünfzig  Bücher  und  Aufsätze,  ganz  oder 
teilweise,  auf  Beantwortungen  dieser  Fragebogen  gegründet,  sind  veröffent- 
licht worden.  Nur  sehr  wenige  Fragebogen  sind  gälnzlich  fruchtlos  ge- 
blieben. Viele  4er  besten  Schriften,  bedurften  einer  zweiten  Folge  von 
Fragen  und  Tatsachen,  eine  ganae  Anzahl  bereits  aufgeworfener  Fragen  sind 
noch  nicht  durchgearbeitet,  und  eine  Anzahl  befindet  sich  noch  in  verschie- 
denen Stadien  der  Vorbereitung.  In  Verbindung  mit  dem.  neuen  Heim  der 
psychologischen  Abteilung  sind  zwei  große  Säle  für  diese  Arbeit  bereitge- 
stellt worden.  In  dem  einen  werden  Berechnungen  gemacht,  Tat- 
sachen zusammengestellt  und  Literatur  gesammelt;  und  für  den  andern 
Saal  ist  eine  besondere  Bücherei  über  Kinderforschung,  die  folgei^en 
Fragebogen  imd  Aufsätze  als  erster  Anfang  einbegriffen,  und  Spezial- 
literatur  über  jede  wichtige  Frage  begonnen  worden. 

Ein  weiterer  neuer  Schritt  wird  im  kommenden  Sonmier  unternommen 
werden,  wie  in  der  folgenden  Anjkündig^ng  ausgeführt  ist.  „Dr.  Hall  wird  einen 
Kursus  täglicher  Konferenzen  über  Kinderforschung,  ihre  Methoden  und 
Ergebnisse  bieten.  Dies  wird  ein  gänzlich  n^euer  Kursus  über  wahrschein- 
lich etwa  zwölf  Fragen.  Jedes  Mitglied  wird  nüt  Syllabi  versehen  werden 
nnd  soll  eine  bestimmte  Arbeit  liefern  sowohl  über  bestehende  Fragen  als 
auch  über  andere,  jetzt  in  Untersuchung  befindliche,  un^  das  Vernunftgemäße 
dieser    Arbeit,    ihre    Irrtümer    und    Mängel    herauszubringen.*' 

Nächstes  Jahr  wird  in  dem  regelmäßigen  Kursus  diese  Arbeit  in 
einer  Reihe  wöchentlicher  Übungen  das  ganze  Jahr  hindurch  ausgedehnt 
werden.  Dies  wird  sich  auf  fast  vierzig  der  Hauptfragen  erstrecken,  und 
dabei  wird  bescmders  geachtet  werden  auf  die  Erörterung  der  Fehler- 
quellen, der  verschiedenen  'Methoden  und  ihrer  Bewertung,  tfnd  der  vielen 
neuen  in  der  Logik  aufgetauchten  Probleme. 

Sorgsamer  ausgearbeitete  Bibliographien  über  besondere  Fragen  können 
das  Jahr  über  von  Zeit  zu  Zeit  veröffentlicht  werden. 

Infolge  der  Spendung  von  1000  Dollar  durch  Herrn  Arthur.  S.  £stm- 
brook  aus  Boston  und  der  Bewilligung  von  2000  Dollar  für  diese  Arbeit 
von  dem  Cam^e-Institut  ist  es  möglich  geworden,  einen  zuverlässigen  und 
gut  eingearbeiteten  Assistenten  anzustellen,  dessen  ganze  Zeit  der  Auaar- 
beitimg  des  Materials  und  der  Unterstützung  von  Studenten  gewidmet  ist, 
deren  These  oder  sonstige  Arbeit  gerade  in  dieses  Gebiet  fällt. 

Schließlich  wird  eine  Methode  des  Zusanmienwirkens  vereinbart 
zwischen  dem  hiesigen  Arbeitszweige  an  der  Clark  University  und  einer 
AnzaM  auserlesener  Anstalten  anderswo,  deren  Professoren  und  andere 
Angehörige  bereits  großes  Interesse  oder  besondere  Fähigkeiten  für  diese 
Arbeit  gezeigt  haben.  Dies  wird  vermutlich  Material  der  verlangten  Art 
in  genügendem  Maße  liefern. 

Die  Kinderpsychologie  hatte  anfangs  eine  Zeit  der  Anzweiflung  durch- 


Miiifümngfn. 


115 


machen  mlisseD,  wie  sie  wenige  neue  wissdiscbaftliche  Bewegungen,  die 
Entwicklungslehre  ausgenommen,  in  neuerer  Zeit  aus^halten  hatten.  Zu- 
dem hatte  sie  ein  Heer  von  SchUchtenbummlem,  die  wenig  Verständnis 
foT  ihre  Bedeutung  und  keine  Ahnung  von  der  Strenge  ihrer  wissenschaftlichen 
Methoden  hatten*  und  welche  viele  Angriffspunkte  boten.  Als  vor 
etwa  vier  oder  fünf  Jahren  die  Kritiker  am  lautesten,  und  fehdelusiigsten 
waren,  hielten  viele  oberflächliche  Beobachter  die  Bewegung  für  tot.  Aber 
sie  hat  sich  «tetig  von  Bezirk  m  Bezirk  ausgebreitet.  In  der  Irrenkunde  hat 
sie  uns  die  neuen  Siudieti  über  dementia  praecox  gegeben,  sie  hat  das 
Gebiet  der  Kriminalität  des  Kindesalters  fast  neu  geschaffen;  eine  neue 
Methode,  die  wichtigsten  Fragen  der  Philologie  iu  lösen,  geiiefert;  hat 
cße  Schulhygiene  von  Grund  auf  umgestaltet  und  fast  neu  gegründet;  hat 
Jugend,  ein  mich  vor  zehn  Jahren  seltsames  Wort,  lU  einem  der  bedeut- 
samsten und  wichtigsten  für  Wissenschaft  und  Pädagogik  gemacht;  die 
Grundlage  einer  neuen  religiösen  Psycbol<^e  gegeben;  und  eine*  neuef  und 
ctmfasseiidere  Philosophie  und  Psychologie  der  Zukunft  angebahnt,  die 
sich  nicht  auf  dem  partiellen  Studium  einer  Unterabteilung  des  erwach- 
senen Geistes,  sondern  auf  breit er^  genetischer  Grundlage  aufbaut.  Die 
wenigen  tüchtigen  Professoren  der  Psychologie  und  Philosophie,  welche 
sich  immer  noch  weigern,  die  Kinderpsychologie  anzunehmen,  wie  Agassis 
die  Entwicklungslehre  verwarf,  werden  derselben  Art  der  Kritik,  die  diesen 
traf,   nicht  entgehen. 

Die  Wichtigkeit  der  neuen  Bewegung  ist  schwer  zu  überschätzen. 
Sic  hat  eine  neue,  große  Hoffnung  in  ein  Gebiei  gebracht,  das  zu  verfaÜ«a 
drohte  entweder  au  bloßer  Schönrednerei,  oder  zur  Unfruchtbarkeit  in 
Theorieii  über  letzte  Realität,  oder  in  der  Anhäuf uug  experimenteller  Tat- 
sachen über  Punkte,  die  nicht  inamer  mit  Weitherzigkeit,  Weisheit  und 
Scharfblick  ausgewahh  waren,  Sie  tut  ein  Werk  an  dem  Schulkinde, 
ahnüch  dem,  was  die  Reformation  für  das  religiöse  Leben  des  Erwach- 
seoen  war,  und  die  Uneile  über  viele  der  wichtigsten  Frageta  der  Methodik 
und  Materie  für  alle  Stufen  der  Erziehung  von  der  Geburt  bis  zur  Uni- 
versität werden  mehr  oder  weniger  endgültig  sein  und  der  Erziehung  geben, 
ihr  so  lange  gefehlt  hat ;  eine  wirklich  wissenschaftliche  Grundlage  und 
Hilfe,  den  Lehrern  eine  wahrhaft  berufsmäßige  Richtschnur  xu  bieten. 


A.  L  i  s  t  e    d  e  r     Fragebogen. 

1,  Anger,  G.  S.  Hall,  Oct.,  1894. 

2,  DoUs,  G.  S,  Hall,  Nov ,  1894. 

,,  (Supplementary    Qucsdonnaire.)    A.    C   Ellis,   June,   18&6. 

3,  Crylng  and  laiighing,  G.  S.  Hall,  Dec,  1894, 

4,  Toys  and  playthings,  G.  S.  Hall^  Dec,  1894. 

3.  Folk-lore  among  children,  G.  S.  Hai!,  Jan.,  1895. 

6,  Early  forms  of  vocal  expression,  G-  S,  Hallj,  Jan.,  1895* 

7,  The  early  sense  of  seif,  G.  S.  Hall,  Jan.,  1895. 

8,  Fears  in  childhood  and  youth,  G.  S.   Hall,  Feh.,  1895. 
9*  Some  connnon  traits  and  habits,  G,  S.   Hall,  Feb.  1895, 

10.  Some  cwmmon  auiomatisms,  nerve  slgns,  etc.,  G.  S;  Hall,  March,  1895. 


416  MitUnhmgen. 

11.  Feeling  for  objects  of  inanimate  nature,  G.  S.  Hall,  March,  1895. 
.\%  Feelings . for  objects  pf  anixnate  nature,  G.  S.  Hall,  April,  1895. 
.13.  Children's  appetitesi  and  foods,  G.  S«  Hall,  April,  1895. 

14.  Affectioa  and  its  opposite  states  in  children,  G.  S.  Hall,  April,  181 

15.  Moral  and  religiousrexperiences,  G.  S.  Hall,  May,  1895. 
,16.-Peculiar  and  exceptional  children,  G.  S.  Hall  and  £.  W.  -JBoliat] 

Odt.,  1896* 
17.  Moral  defects  and  peryerskms,  G.  S.  Hall  and  G.  £.  Dawson,  Oct., : 
:}&.  The  beg^innmgs  of  reading  and  writing,  G.  S,  Hall  and  H.  T.  Ln] 
Oct.,  1896. 

19.  Thoughts  and  feelings  about  old  age,  disease  and  death^  G.  S. 

and  C.  A.  Scott,  Nov.,  1895. 

20.  Moral  education,  G.  S,  Hall  and  N.  P.  Avery,  Nov.,  1895; 

21.  Studies  of  school  reading  matter,  G.  S.  Hall  and  J.  C.  Shaw;  Nov.,  \ 
22^  School  stiatistics,  G.  S.  Hall  and  X.  R.  CrOswell,  Nov.,  1895. 

2Si.  Early  musical  manifestations,  G.  S.  Hall  and  Florence  Marsh,  ] 
1896. 

24.  Fancy,  imagi^ation,  reverie,  G,  S.  JHall  atid  £.  H.  Linidley,  Dec, : 

25.  Tickling,   fun,  ^t,  Jiumor,   laughing,   G.   S.    Hall   and  Arthur  k 

Feb.,  1896. 

26.  Suggestion  and  Imitation,  G.  S.  Hall  and  M.  H.  Small,  Feb.,  181 

27.  Religious  experience,  G.  S.  Hall  and  E.  D.  Starbuck,  Feb.,  1Ö96; 

28.  A  study  of  the  character  of  religious  growth,  IL.  D,   Starbuck. 

29.  kirtdergärten,    G;    S,    Hall,    Anna    E.    Bryan    and    Lucy   Whecl 

March,  1896. 

30.  Habdts,.   instincts,   etc.,   in   animals,    G.   S.    Hall   and  R.    R.   Gu 

March,  1896. 

31.  Number  and  mathematics,  G.  S.  Hall  and  D.  E.  Phillips,  April,  1 

32.  The  only  child  in  a  family,  G.  S.  Hall  and  E.  W.  Bohannon;  Ms 

1896. 

33.  Degrees    of    certäinty    and    conviction   in   children, 'G.    S.    Hall 

M.  H.  Small,  Oct.,  1896. 

34.  Sabbath  and  wörship  in  general,  G.  S.  Hall  and  J.  P.  Hylan,"  < 

1896. 

35.  Questions  for  the  study  of  the  essential  features  of  public  wor 

J.  P.  Hylan. 

36.  Migrations,   tramps,   truancy,   running   away,   etc.,   vs.   love  of  b 

G.  S.  Hall  and  L.  W.  Kline,  Oct.,  1896. 
87.  lAdolesoence  and  its  phenomena  in  body  and  mind,  G,  S.  Hfall 
E.   G.  Lanraster,  Nov„  1896. 

38.  Examinations  and  recitations,  G.  ä.  Hall  and  J.  C.  Shaw,  >fov.,  1 

39.  Stillness,  solitude,  restlessness^  G,  S.  Hall  and  H.  S.  Curtis,  Nov.  1 

40.  The  psychology  of  health  and  disease,  G.  S,  Hall  and  H.  H.  Godc 

Dec,  1896. 

41.  Spontaneously  invented  ^ys  and  amusements,  G.  S.  Hall  and  T 

Crosw^l,  Dcc.^  1896. 


42,  Hymns  and  saöred  music,  G.S.  Hall  änd' T.  R.  Pecde,  Dcc]  1896. 
i3.  I*u2ilcs  and  thcir  psycbology,  G.  S.  Hall  and  Ei  H.  Lindley>  Dcc, 

18W. . 
44r"rhe  scriDon,  G.  S.  Hall  and  A.  R.  Scott/ Jan.,  1897. 
^'   Special   trahs  ad   i^dices  of   Charactep,   and  as  mediating  likes   and 

dislikea,  G.  S.  Hall  and  £.  W.  Bohannon,  Jan.,  1897. 

46.  Reveriö  and  allied  phenomena,  G.  S.  Hall  and  G.  E.  Partridge,  April, 

1897. 

47.  Xhc  psychology  of  bealth  and  diseasc,  G.  S.   Hall  and  H.  H.  Göd- 

dard;  May/ 1897.    • 

48.  Immortaiity,  G.  S.  Hall  and  J.  R.  Street,  Sept,,  1897. 

49.  I^sychology  of  ownership  vs.  loss,  G*  S.  Hall  and  L.  W.  Kline,  Oct., 

1897. 
».   Memory,  G.  S.  HaU  ^nd  F.  W.  Cokgrove,  Oct.,  1897.      •    - 

51.  To  mothers,  F.  W.  Cokgxove,  Dec,  1897.    • 

52.  Humorous  and  cranky  side  in  education,  G.  S.  Hall  and  L.  W.  Kline, 

Oct.,  1897. 
53*  The  psychblogy  of  slxxtliand  writing,'  G.  S.  Hall  and  J.  O.  Quantz, 

Nov..  1897. 
54.;  The  tcaching  instinct,  G.  S.  Hall  and  D.  E.  Phillips,  Nov.,  1897. 
5&-  Home  and  schciol  pimisfaments  and  pen)altie$,  G.  S.  Hall  and  C.  H. 

Sears,  Nov.,  1897. 
5^-  Straightness  and  uprightness  of  body,  G.  S.  Hall>  Dec,  1897. 
57.  Conventkmality,    G.   S.    Hall   and  A.   Schina,   Nov.,   1897. 
^-  Lodad  ^limtary  assodation  among  teachers,  G.  S.  Hall  and  H.  D. 

Sheldon,  DecL,  1897. 
59.  Motor  education,  G.  S.  Hall  and  E.  W.  Bohannon,  Dec,  1897. 
^-  Heat  and  Gold,  G.  S.  Hall,  Der,  1897. 

^1-  Training  of  Teachcrs,  G;  S.  Hall  and  W.  G. 'Chainbfers,  Dec,  1897. 
«8.  Edudüiona.1  Ideals,  G.  S.  HaU  and  L.  E.  York,  Dec,  1897. 
^-  AVater  psychoses,  G.  S.  Hall  and  F.  E.  Bolton,  Feb.,  1898. 
^-  The  ihstitutional  activitics  of  children,  G.  S.  HaU  und  H.  D.  Shel- 
don, Feb.,  1898. 
^-  Obedience  and  obatinacy,  G.  S.  Hall  and  Tilmon  Jenkins,  March,  1898. 
^-  tlie  sense  of  honor  amcmg  children,  G.  S.  Hall  and  Robert  Clark, 

March,  1898. 
^-  Caiildren's  collecticms,  Abby  €.  Haie,  Oct.,  189a 
^*  The  organizatimis  of  'American  Student  life,  G.  S.  Hall  and  H.  D.  Shel- 

don,  Nov.,  189a 
^  M«thcsaati(»  in  common  schools,  G.  S.  Hall  and  E.  B.  Bry^n,  Feb., 

1899. 
^-  Ma^Biatics  in  the  early  y^urs,  G.  S,  Hall  and  E.  B.  Byran,  Feb.^  1899. 
V^'  Unselfishness  in  children,  G.  S.  Hall  and  W>  S.  SmaU,  Feb.,  .1899. 
I?-  Mental  traits,  C.  W»  Hetherington,  April,  1899*  . 

^*  llie.fooling  Impulse  in  man  and  animals,  G.  S*  Hau  änd  Norman  Trip- 

lett;  March»  1899* 


\ 


U8  MittMlumgm. 

74.  Confessioiis,  G.  S,  Hall  aad  £.  W.  Runkle,  Marcb,  1809. 

75.  Pity,  G.  S,  Hall,  Marcb,  1899. . 

76.  Perception  of  rhythm  by  children,  G.  S.  HaU  and.C.  H.  Sears,  May»  1899. 

77.  The  monthly  period,  Anna  L.  Brown»  May,  1899,  .     . 
7a  Perception  of  lihythm,  C.  H.  Sears,  Dec,  1899. 

79.  Psychology  of  .uncertai;iity,  G.  S.  Hall  aüd  C.  J.  France,  Feb.,  190a 

80.  Straightness  and  uprightness  of  body,  G.  S.  Hall  and[  A.  W.  Trettien. 

Jan.,  1900. 

81.  Pedagogical  patbology,  G.  S.  Hall  and  Norman  TripletC,  Nov.,  1900. 

82.  Religious  development,  G.  S.  Hall  and  C.  H.  Wright,  J^n.,  1901. 

83.  Geograj^y,   G.  &   Hall  and  F.  H.   Saunders,  Feb.,  1901. 

84.  Fcelings  of  adolescence,  E.  J,  Swift,  Oct,  1901^ 
86.  Introspcction,  E.  J.  Swift,  Oct.,  1901. 

86.  Signs  of  nervousness,  E.  J,  Swift,  Oct,  1901. 

87.  Examinations,  W.  M.  PcUard,  Nov.,  1901. 

88.  Sub  normal  children  ^jtÄ  youth,  A.  R.  T.  Wylie,  Nov.,  1901. 

89.  Engüsh,  G.  S.  Halli  Dec,  1901. 

90.  Education  of  women,  G.  S.  Hall,  Dec,  1901. 
Öl.  Heredity,  C.  E.  Browne,  Dec,  1901;  (a)  Jan.,  1902. 

92.  The   conditions  of   primitive   peojües   and  the  metfaods  employed  to 

civilize  and  christianize  them,  J.  E.  W.  Wallin,  April,  1908. 

93.  Children*s  thoughts,  reactions  and  feelings  to  animals^  G«  S.  Hall  and 

W.  F.  Bücke,  Nov.,  1902. 

94.  Reactions  to  light  2md  darkness,  G.  S.   Hall,  Nov.,  1902. 
96.  Children*s  interest  in  flowers,  Alice  Thayer,  Nov.,  1902. 

96.  Reactions  to  light  and  darkness  (2),  G.  S.  Hall  and  Tbeodate  L.  SmitK.    -^^^ 

Dec,  1902. 

97.  Superstition  among  children,  S.  W.  Stockard,  Dec,  1902. 

98.  Questionnaire  on  the  soul,  L.  D.  Amett,  Jan.,  1903. 

99.  Questionnaire   on   children*s   prayers,   S.   F.   Hayes,  Jan.,.  190S. 

100.  Questions   about    food    and   appetite,   Sanford    Bell,   Jan.,    1903.         

101.  Questionnaire  on  relif^us  experiences  subsequent  to  converskm«  £«     -^t-*- 

St.  John,  Jan.,  1903. 

102.  Development  of  the  sentiment  of  affection.  Theodate  L.  Smith,  Mar^^*^ 

1903.  . 

B.  BQcher  und  Artikel,  die  ganz  oder  teilweiaa  aia.  ^ 
Grundlage  der  vorhergehenden  Fragebogen  ▼erdffes''  ^* 
licht  wurden  (die  Zahlen  entsprechen  denjenigen  &  ^^ 
vorangehenden  Liste). 

1.  G.  S.  Hall.    A  study  of  anger.   .\m.  Jour.  of  Psy..  July,  1899,  Vd.   ♦-^^ 

pp.  516—591. 
2.  G.  S.  Hall    and  A.  C.  Ellis.    A  study  of  doUs.     Ped. 

196,  Vol.  4,  pp.  129175.  

3.  G.   Sv    Hall   and  Arthur  Allin.     The    psychology    of   tickli^^'^' 

laughing,  and  the  comic.  Aul  Jour.  of  Psy.,  Oct.,  1897,  VoL  9»  pp- 1" 

See  SuUy:  Essay  on  laughter.  N.  Y.,  1902;  Psfdiölogy  of 


MiHsilmrtgf^ , 


119 


C.  R.  iVe  Cong,  Im,  de  Psy.,  Pätu,  1901;  Laiighter  of  savagigs, 
im*  Mo.,  Sept-  1901.  Also  H,  M.  Stanley ;,  RemarkÄ  on  licklbg  and 
Uughing,  Am,  Jour.  of  Psy.^  VoL  9,  p^  235;,  and  G.  V.  N.  Dearboro ; 
The  nature  of  the  stnile  and  laugh,  Science^  juae  1,  1900« 

4.     See  Eucke. 

S-     J    W.  S  l  a  u  g  h  t  e  r.     The  moon  in  childhood  and!  folklore.   Arn.  Jour. 

of  Psy.,  Aprilt  l902p  Voh  13,  pp.  394—418,    See  sapplemenlary  notc 

by  Q.  S.   HaiL    Also   Miriam  V.   Levy:    Hoiw  ibe  man  got  in  tbe 

moon.    Ped.  Sem.,  Vol,  3,  p.  317, 

<^.  S.  Hall  and  J,  E.  W.  W  a  1  M  n,    How\  chjldren  and  yofuth  tWnlt 

Eänd  fecl  about  clquds.  Pcd,  Schl,  Dec  p  1900,  vol  9,  pp.  460  506. 
H.  X  L  u  k  e  n  s.  Preliminary  report  oti  tbe  tearningj  €f  language.  Pcd. 
Sem*,  June,  1890,  Vol  3,  pp,  4^4-400.  See  Frederick  Tracy:  Lan- 
guage  of  Childhood,  Am,  Jour.  of  Psy.^  Vol,  6,  p.  107;  and  Psycho- 
Im^e^t  in  words.  Ped.  Sem,,  Sept,,  1902;  J,  R.,  Street;  A  siudy  in 
lögy  oi  ChildJiood,  Boston,  1893.  Also  Lillie  A,  Williams:  Children's 
language  teaching,  Ped.  Sem.,  Vol  4.  Refer  t<i  3j 
C  S.  Hall,  Some  aspects  of  the  early  sense  of  seif.  Am.  Jour, 
of  Psy„  April,  1808,  Vol.  9,  pp.  351-39&,  See  Amett's  History  of 
concepts  of  the  soul.  Also  H,  M.  Stanley :  On  the  early  sense  of  seif. 
Sdencc,  1898,  VoL  8,  p.  22. 

C  S.  Hall,  A  sthidy  of  fcars.  Am,  Jour,  of  Psy„  Jan.,  1897.  V^,  8, 
pp,  147-249,  See  M,  H,  Stanley:  Rational  fear  of  l  hon  der  and 
tightning,  Am,  Jour.  of  Fsy,,  Vol.  9,  p:  418*  Anna  B.  Stvitex:  Feara 
of  childhood  disoövered  by  a  mother,  Kgn.  Mag.,  VoL  12,  p,  82, 
S*  H,  Rowe:  Fear  in  the  discipline  of  tbe  child,  Outlook^  Sept.  t» 
1898,  VoL  60,  p.  232.  Colin  A.  Scott:  Children's  fears  as  material  for 
cxpression,  ^ic.^  Trans,  OL  Soc,  for  Child  Study,  VoL  p,  12^  T,  S, 
Clouston:  Developmental  insanities  and  psychoses,  Tuke's  Dict,  of 
P4y*,  Medicine,  Vol.  l,  p.  357*  A*  Einet;  La  peur  cbei  les  enfants, 
Lannde  Psycho!.,  Vol.  2,  p.  223. 
See    Lindley    and    Paniidge   on   Atitomatisms, 

£,  H.  L  i  n  d  I  e  y  and  G.  E,  P  a  r  t  r  i  d  g  e.  Some  mental  aucomatisms. 
Pcd.  Sem.,  July,  1897,  VoL  5,  pp.  41  SO,  See  G.  E.  Partridge:  Reverie, 
Pfd.  Sem.,  VoL  6,  p,  44ß. 

-^l'  C  H.  EUis,  Feticbism  in  cbildren.  Pcd,  Sem,,  Vol,  9,  p,  ^Ü&. 
AJio  G.  5*  Hall:  The  love  and  ^tudy  of  nattire,  Agriculture  of 
Mass.,    1898,   p.    134     See   work   on   Moon^   Clouds,   Watcr,    Hcat, 

Light  ^id  Barkness,  ctc* 

^^-  See  BcU, 

^^  ^anford  Bell,  A  preliminary  study  of  the  emotion  of  love  between 
tbe   scxes.    Am   Jour.   of   Psy,,   Vol,    13,   p,  3Ä6,     See   Frank   Drew, 
Ped,  Sem.,    VoL  2,  p.  504    Also  Miss.  SmJth*s  present  work, 
*  Sf^  Leuba  and  Starbuck. 


120  MUteüumgtm 

%■ 

16.  £.  W;  Bohannon.    Peculiar  and  exceptional  children.    Ped.  Sem., 

Oct.,  1896,  Vgl  4,  pp.  3-60.  See  his<  Only  chil4  in  a  family.  Ped. 
Sem.,  Vol.  6,  p.  476. 

17.  G.  £.  Dawison.    A  study  in  youthful  degeneracy.    Ped.  Sem.,  Dec, 

1896,  Vol.  4,  pp.  221-258.  See  Frederic  Burk:  Teasing  and  bullying. 
Ped.  Sem.,  VoL  4,  p.  336.  A.  R.  T.  Wylie:  On  the  psychology  and 
pedagogy  of  the  blind.  Ped.  Sem.,  Vol.  9^  p.  127.  G.  E.  Dawaon: 
Psychic  rudiments  and  morality.  Am.  Jour.  of  Psy.,  Jan.,  1900,  Vol.  11, 
pp.   181-224.     See  Kuhlmann. 

18.  See  Lukens:     6. 

19.  C.  A.  Scott.    Old  age  and  death.    Am.  Jour.  of  Psy.,  June,  1896,^ 

Vol.  8,  pp.  67-102. 
21.  J.  C.  Shaw.   A  test  of  memory  in'  school  children.    Ped.  S^m.,  VoL 
4,  p.  61. 

23.  Frederic   Burk:     The  evolution  of  music   and  the   pedagogicai 

application.  Proc.  California  Teachers*  Ass'n,  1898;  and  Study  of 
Idndergarten  prdblems.  San  Francisco,  1899,  p.  23.  M.  Meyer: 
How  a  Tnusical  education  shoidd  be  acquired  in  the  public  schooL  Ped. 
Sem.,  Vol.  7,  p.  124;  and  Contributionis  to  a  psychologicäl  theoiy 
of  music.  Univ.  of  Missouri  Studies,  Vol.  1^  Nd.  1.  J.  A.  Gilbert: 
Experiments  on  the  musical  sensitiveness  of  school  children.  Studies 
from  Yale  Psy,  Lab.,  VoL  1,  pp.  80—87.  Fahny  B.  Gates:  Musical 
.  interests  of  children.  Jour.  of  Ped,  Vol.  11,  p.  266.  See  also  Norton 
and  papers  on  rhythm. 

24.  See;Partridge:   Rcvcrie. 
26.  See  3.     .         . 

26.  M.  H.  S  m  a  1 1.   The  suggestibility  of  children.   Ped.  Sem.,  Dec,  1896, 

Vol.  4,  pp.  176-220.    See  Imitation. 
27  änd  28.  E.  D.  Starbuck.  A  study  of  conversion.'  Am.  Jour.  of  Psy., 

Jan.,  1898,  Vol.  8,  pp.  268—308;  Some  aspects  of  religious  growth,  Am. 

Joür.  of  Psy.,  Oct.,  1897,  VoL  9,  pp.  70— 124;  Thee  psychology  of 

religion,   Charles   Scribner*s  Sons,  N*.  Y.,   1899,  pp.   423. 

29.  Frederick  Eby.    The   reconstruction  of  the  kmdergarten.     Ped. 

Sem.,  July,  1900,  VoL  7,  pp.  229—286.  See  G.  S.  Hall:  Some  defects 
of  the  Idndergarten  ui  America.    Forum,  Jan.,  1900,  Vol.  28,  p.  679. 

30.  R.  R.  G  u  r  1  e  y.  Thcf  habits  of  fishes.  *  Am.  J<hu:.*  öf  Ps^.,  July,  1902, 
.  Vol.  <  18,  pp.  408--426.    See  studies  on  white  rats,  dogs,  mcnikeys,  etc. 

31.  D;  E.  Phillips.   Genesis  tili  number  forms.  Am.  Jour.  of  Pis'y.,  July, 

1897,  Vol.  8,  pp.  606-627;  Number  and  its  application  psychok>gically 
considered,  Ped.  Sem.,  Oct.„  1897,  VoL  6,  pp.  221-282;  Some  remark» 
on  number  and  its  application,  Ped.  Sem.,  April,  1898, -VoL  6,  pp. 
690-699.  See  John  Dewey:  Some  remarks  üpon  the  psychdogy  df 
number.    Ped.  Sem.,  VoL  6,  p.  426.. 

32.  E.  W.  Bohannon.    Thef  only  child  in  a  fiamily.    Ped.  SeoL,  April» 

1898,  Vol.  6,  pp.  476-496. 


\ 


Mmeäungen.  121 

33.    Kf.  H.  Small.   Methods  of  manifesting  the  instinct  for  certainty.   Ped. 

Sem.,  Jan.,  1898,  Vol.  ö,  pp.  313-380. 
34  and  86.  J.  P.  Hylän :    Publio  worship.    Open  court  Pub.  Co., .  Chicago, 

1901.  pp.  94 

36.  L.  W.  Kl  ine.    The  mig^atoxy  impulse  vs.  love  o£  home.    Am.  Jour. 

of  Psy.,  Oct.,  1898,  Vol.  10,  pp.  266-279.;  Tniancy,as  related  to  the 
xxligrating  instinct,  Ped.  Sem.|  VoL  5,  p.  381. 

37.  £.    G.   Lancaster.     The  psycholog^  and  pedagogy  of  adolescence. 

Ped.  Sem.,  July,  1897,  Vol.  6,  pp.  61128.  See  G.  S.  HaU:  Moral 
and  religious  trainxng  of  children,  Princeton  Rev.,  Vol.  10,  p.  26  and 
The  moral  and  religious  training  of  children  and  ad<^escents,  Ped. 
Sem.,  Vol.  1,  p»  196.  W.  H.  Bumham*:  The*  study  of  adolescence, 
■  Ped.  Sem.,  Vol.  1,  p.  174.  A.  H.  Daniels:  The  new  life.  Am.  Jour. 
of  Psy.,  Vol.  6,  p.  61. 

38.  SeePoUard. 

9d-  M.  H.  Small.    On  some  psychical  relations  of  society  and  solitude. 

Ped.  Sem.,  April,  1900,  VoL  7,  pp.  13-99.    H.  S.  Curtis:  Inhibition. 

Ped.  Sem.,  Oct.,  1898,  VoL  6,  pp.'  65-113.    See  literature  on  crowds. 
40.  H.  H.  Goddard.     The  evidence  of  mind  on  body  as  evidenced  by 

faith  eures.   Am.  Joür.  of  Psy.,  April,  1899,  V61.  10,  pp.  431-502.    See 

47  and  73.         ' 
^^*  T.  R.  CroswelL    Amüsements  of  Worcester  schoöl  children.     Ped. 

Sem.,   Sept.,   1899,  VoL  6,  pp.  314-371.    See  G.  E.  Johnson:    Edu- 

cätion    by  plays  and  games.   Ped.  Sem.«  Vol.  3.  p.  97. 
^  See  music  and  rhythm. 
^- H.   H.   Lindley.    A  study  of  puzzles  with  special  reference  to  the 

psychology  of  mental  adaptatSon.  Am  Jour*  of  Psy.,  July,  1897,  Vol.  8, 

pp.  431-493. 
^-  G.  E.  P  a  r  t  r  i  d  g  e,  Reverie.  Ped.  Sem.,  April,*  1898,  Vol.;  5,  pp.  445-474. 

See  Antomatisms. 
*7-  See  40. 
^J.R.  Street     AI  genetic  Study  of  immortality.     Ped.  Sem.,  Sept.» 

1899,  VoL  6,  pp.  267-313.    See  Scott:  Old  Age  and  Death,  19. 
^-  L,  W.  K 1  i  n  e  and  C.  J.  France.  The  psychology  of  öwnership.  Ped. 

Sem.,  Dec,  1899,  Vol^  6,  pp.  421-470. 
^  ^*  W.  Colgr.ove.    Individual  memories.     Am.  Jour.  of  Psy.,    Jan.^ 

1899.  VoL  10,  pp.  228-255;  and  Memory,  Henry  Holt  and  Co.,  N.  Y., 

1900,  pp.  369.  See  Uhl:  Memory.  G.  S.  Hall:  Boy  life  in  a 
Massadrasetts  country  town.  Proc.  Am.  Antiq.  Soc.,  Worcester,  Massig 
Oct..  21,  1890,  VoL  7,  p.  107. 

®-  J.  0.  Qnantz.    Tho  physiology  of  shörthand.     Phonographic  World, 

Hardi,  1898,  Vol.  18,  j^.  292-29a 
^  D.  E.  Phillips.  The  teaching  instinct.  Ped.  Sem.,  Maxch,  1899,  Vol. 

6,  pp.  186-246. 
^*  C.  H.  Sears.   Home  and  school  punishments.  Ped.  Sem.,  March,  1899, 

VoL  6,  pp.  169-187. 


122  MiUtätmgm. 

d6.  A.  W»  Trettien.     Creeping  anud  walkmg.    Am.  Jour.  of  Psy.,    Oct., 

1900,  Vol.  12,  pp.  1-67.  See  80. 
160.  G.  S.  Hall  and  C.  £«  Browne.   Chüdren's  i4eas  of  fire,  beat,   £z-ost 

and  cold.    Ped.   Sem.,  VoL  10. 

62.  G.   S.   HalL     The  ideal  school  as  based  on  child  study.    Pioc      N. 

E.  A.,  X901,  p.  476;  Forum,  VoL  38,  p.  24;  Paidotogist,  VoL  S,  P 
161.  See  P.  W.  Seajrch:  An  ideal. schooL  P.  AppUlon  apd  Co.,  ^' 
Y.,  1901. 

63.  F.  E.  P  o  1 1  o  n.  Hydio-psychoses.   Am.  Jour.  of  Psy.,  Jan.,  1899,  VoL    ^^' 

pp.  110-227.  ; 

64.  H.  D.   Sheldon.    The  institutional  activitses  of  American  childr^^*^ 

Am.  Jour.  of  Psy.,  July,  1898,  VoL  9,  pp.  425-448. 

67.  See  Caroline   F.   Burk:   The  coUecting  instinct    Ped.   Sem.,  VoL  ^ 

p.  179. 

68.  H.  D.  Sheldon.    The   history   and  pedßgogy  of  American 

societies.    D.  Appleton  and  Co,,  N.  Y.,  1901,  pp.  366. 
73.  Norman  Triplett.    The  psychology  of  oonjuring  deceptioos, 

Jour.  of  Psy.,  July,  1900,  VoL  11,  k>.  439^10,   See  40  and  47. 
75.  G.  S.  Hall  and  Fj  H.  Saunders.     Pity.  Ami  Jour.  of  Psy.,  Jt 

1900,  VoL  11,  pp.  534-591.    See  Sutherhmd:    The  origin  and  groii 

of  the  moral  instinct.    2  vols.    Loogmans^  Green  and  Co.,  LoiuUc^»^ 

1893.    H.  M.  Stanley:,  The  psychology  of  pity.   Science,  1900,  Vd,     'M^  * 

p.  487. 
76  and  78.    C.  H.  Sears.    Studies  in  rhythih.    Ped.  Sein.,  March,,  IW^X 

Vol.  8,  pp.  3-44;  A  contribution  to  the  psychology  of  rhythm.    Axx^- 

Jour.  of  Psy.,   Jan.,   1902,  VoL   13,  pp.  28-61.     See  T.  L.   Boltoi:^  •' 

Rhythm.    Am  Jour.  of  Psy.,  VoL  6,  p.  145. 
79.  J.  C.  Franc  e.    The  gambling  Impulse.   Am  Jour.  of  Psy.,  July,  1903^^ 

Vol.  13,  pp.  364-407. 
8a  See  56. 

83.  Margaret  K.   Smith.     Report  on  geography.    Ped.  Sem.  VoL  ^^ 

p.  385.  •      ^ 

84.  Standards  of  efficiency  in  school  and  in  Ufe.    Ped.  SeuL,  Yol;  lOl- 

87.  See  Pollard. 

88.  A.   R.  T.  Wylie.     On  the  psychology  and  pedagogy  of  the  blinde 

Ped.  Sem.,  June,  190%  Vol.  9,  pp.  127-160.   See  E.  C:  Sandfofd:  Th<^ 
writings  of  Laura  Bridgman.     Overland,    Mo.,    1886-7.     G.S.  Hall: 
Laura  Bridgman^    Mind,'  Vol.(  4,  p.  149. 

89.  L  i  1 1  i  e  A.  W  i  1 1  i  a  m  s.  Children*s  interest  in  words.  Ped.  Sem.»  Sept^ 
"       1902. 

90.  Katherine  E.  Dolbear.    A  few  suggestions  för  the  educatioQ  o0^ 

women.     Ped.  Sem.,  VoL  8,  p.  648. 
94  and  96.  G.  S.  Hall  ^d  Theodate  L:  Smith:    Reactkms  to  lighc:^ 
and  darkness.     Am.  Jour.  of  Psy.,  VoL  14. 


M^ttgii^mgim* 


123 


^«isauischreiDeit. 

Die  „D  i  c  s  i «  r  w  e  g  -  S  1 1  i  t  y  n  g"  lu  Berlin  tkat  beschlossen,  fol- 
gende Freis^ufgabe  lu  steliea:  ,,Kritiiclie  Besprechung  des 
Gru  ndlehrplansder  Berliner  Gern  ei  ndcschulevomjahre 
19U  2/*  Der  1.  Preis  beträgt  600,  der  zweite  300  M.  Die  Arbeiten  sind 
bii  mm  ersten  Januar  1904  an  den  ScJiriftfuhrer  der  Stiftung;  Rektor 
S^Kgtinann,  Berlin  N.»  Pflugstr.  12,  einzusenden,  dürfen  10  Druckbogen 
rächt  überschreiten  und  auch  nicht  den  Namen  des  Verfassers  tragen; 
[cttterer  ist  in  einem  verschlossenen  Briefumschläge,  der  mit  demselben 
Swttsprüche  versehen  ist  wie  die  Arbeit,  beizufügen.  Die  gekrönten  Preis- 
«iiriften  bleiben  Eigentum  der  Verfasser;  jedoch  wird  der  luerkannte 
Preis  erst  nach  der  Veröffentlichung  der  Arbeit  geKahlt,  auch  behalt  sich 
^  Kufmtorium  das  Recht  vor,  eine  von  ihm  zu  bestimmende  Anzahl  von 
^emplaren  zti  einem  Drittel  des  Ladenpreises  ru  erwerben.  Im  Interesse 
<^  Prciartchter  wird  deutliche  Schrift  auf  einseitig  beschriebenem  Papier 
l«ford€n.  Der  Lehrplan  ist  im  Buchhandel  erschienen  und  u,  a:  durch 
«ien  \'erlag  von   F,   Hirt  für  0^40  M.  2U  beliehen. 


Glier  ftclittlNycEenlscfa^fi  UnUrrlctii  a»  1iQlitr«ii  Leiiniiiilaltiit* 

Schon  in  den  Lehrplänen  von  188i  wird  die  Kenntnis  vom  Bau 
^  menschlichen  Körpers  für  alle  höheren  Schulen  gefordert*  £s 
wißt  m  den  „Allgemeinen  Bestimmungen,  betreffend  Änderungen  in  der 
Abgrcmung  der  Lehrpensa  infolge  der  LehrpJäne  vom  3L  März  1882*\  IIL 
^Aturwissfcnschafihcher  Unterricht,  Bemerkungen  zu  1  und  3,  Nr.  4,  S.  7: 
p'^be^so  gehört  die  Lehre  vom  Bau  des  menschlichen  Körpers  der  obetsicn 
^uft  des  Unterrichtes  an.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  bei  der  Auswahl 
^  für  das  jugen4liche  Alter  Geeigneten  mit  der  größten  Vorsicht  tu  ver- 
lihren  ist.  Dabei  wird  sich  passende  Gelegenheit  bieten,  die  Schüler  auf 
"^■J^itige  Punkte  der  Gesundheitspflege  aufmerksam  lu  machen/*  Die  Lehr 
PEbc  von  1801  schreiben  Kennntnis  des  Baues  des  menschlichen  Körpers  und 
•-'wtcr Weisungen  über  die  Gesundheitspflege  für  die  Ober-Tertia  der  Gym- 
**i«n  und  die  Unter-Sekunda  der  neunklassigen  Realamtalten  vor,  was 
'^  ersterem  Falle  so  ausgedrückt  ist:  ,,Der  Mensch  und  dessen  Organe 
ßcbit  Unterweisungen  über  die  Gesundheitspflege'*,  im  anderen:  ,,Ana- 
totnic  und  Physiologie  des  Menschen  nebst  Unterweisungen  über  die  Ge- 
tOQdheitspflege*'.  Schon  atis  dem  Wortlaut  dieser  Bestimmung,  die  genau 
***«i&0  m  die  neuesten  Lehrpläne  vom  Jahre  1901  übergegangen  ist,  ergibt 
>tcli^  daß  bei  den  Realanstaken  an  eine  genauere  Durchnahme  der  ana^ 
"*oi»cbeo  und  ph)'&iologischcn  Grundlagen  der  Anthropologie  gedacht  ist 
*[•  beim  Cymipsium,  weil  sonst  nicht  recht  deutlich  wird*  warum  man 
^^(  hn  ajlen  Arten  neunklassiger  Ansialten  oder  wenigstens  beim  Gyiti' 
naiium  und  Realgymnasium  die  Lehre  vom  Bau  und  Organismus  des 
^*^öi*<:hlichen  Körpers  derselben  Uoterrichfsstufe  zugewiesen  hat,  zumal  kein 
Uhrgeg erstand  bei  jedem  Schüler  gleichmässigercs  Interesse  wegen  seiner 
^^i^s^imea  Bedeutung  finden  wird  und  kann  als  gerade  dieser.    Dabei  ist 


I^ 


Mitieäung^. 


i^ch  besonders  zu  beachten,  dass  in  den  .^Meihodiscben  Bemerkungen  f3r 
die  Naturwisseniächaften"  der  jetzt  gütigen  Vorschiiftei^,  S.  66  und  67 
folgendes  wörtlich  steht  r  ,,4^  Der  Unterricht  in  der  Anthropologie  am 
Gymnasium  wind  im  Verlaufe  eines  Vierteljahres  erledigt  werden  können, 
wenn  er  sich  wesentlich  auf  die  anatomische  Seite  beschränkt,  das  Physiolo- 
gische aber  dem  physikaJisch-chemiscben  Unterrichte  überläßt.  Zu  dies 
Behufe  ist  es  crfordeTlich,  in  einer  der  Oberklassen  (am  xweckmäüigsti 
in  I)  einen  TcU  der  dem  Physikunterricht  zugewiesenen  Stunden  für  ei: 
physiologischen  Kursus  zu  verwenden'*  und  5  c),  S.  67:  »^Ferner  empfiei 
es  sich,  sowohl  wichtige  hygienische  Gesichtspunkte,  i.  B.  bei  der  Be- 
sprechung von  Wasser,  Luft*  Nahrungsmitteln,  als  auch  die  Beziehungen 
zur  Biologie  in  Betracht  zu  nehmen*'.  Die  erstgenannte  Bestimmung  be- 
zieht sich  nur  auf  Gyranasieiij  die  zweite  ist  allgemeiner  Natur,  Jedenfalls 
erhellt  schon  hieraus,  daß  der  an  Gymnasien  in  Ober-Tenia  zu  erteilende 
Unienicht  in  der  Anthropologie  ledtgtich  propädeutischer  Art  sein  und 
den  Menschen  im  Hinblick  auf  die  in  der  vorhergehenden  Klasse 
gegebene  Übersicht  über  das  gesamte  Tierreich  hauptsächlich  als  voll- 
endetstes Wesen  der  Schöpfung  darstellen  soll  Es  dürfte  sich  jedoch  viel- 
leicht wohl  empfehlen,  in  den  Ober-Tertien  aller  neun-  und  den  zweiten  Klassen 
aller  sechfistufigen  Anstalten  einen  vorbereitenden  hygienischen  Kiirsus  ab^ 
zuhalten  und  in  den  Ob  er- Primen,  bezw.  natürlich  in  weniger  genauer  Dar- 
bietung auch  in  den  ersten  Klassen  der  Schüler  mit  sechsjähriger  Unter* 
richtsdauer  in  einem  phystologischen  Kursus  die  Gesundheitslehre  noch 
einmal  vertiefend  zu  behandeln. 


Erwägt  man  nun,  daß  schon  das  preußische  Ministerial^Heslmpt  vi 
7,  Jamiar  1856  eine,  wenn  auch  nur  auf  das  allernotwendigste  beschrinkie, 
Beschreibung  des  menschlichen  Leibes  im  naturwissenschaftlichen  Unter- 
richte verlangte  und  die  angezogenen  Bestimmungen  der  preußischen  Lehr- 
pläne von  1882*  1891  und  1901  die  Gesundheitslehre  fortgesetzt  stärker 
betonen,  so  steht  fest,  daß  in  der  Wertschätzung  der  Hygiene  entschieden 
ein  bedeutender  Fortschritt  im  Laufe  der  Zeit  bemerkbar  ist.  Dazu  kommt  die 
erfreuliche  Tatsache«  daß  dieselben  Anschauungen  nicht  nur  in  allen  anderen 
dcnt»chen  Bundesstaaten,  selbst  in  den  uns  jnbezug  auf  das  Unterrichts- 
wes€fn  früher  liemlich  fem  stehenden  Königreichen  Bayern  und  Württem- 
berg, sondern  auch  in  allen  Kulrurstaaten  der  ganzen  Welt  Platz  ge> 
griffen  haben,  ja  von  jeher  nicht  selten  noch  starker  betont  sind  als 
bei  uns  in  Preußen.  Man  kann  sogar  kühn  behaupten,  daß  die  G 
lehren  der  Schulhygiene  schon  gegen  twci  Jahrtausende  alt  sind.  Wd* 
Eingeweihte  wüßte  nichts  daß  schon  lar  Ztit  des  Nero  der  griechisc! 
Ant  Athenaeus  aus  Attalia  in  Cilicien,  der  Stifter  der  Schule  der  so; 
nannten  Pneumatiker,  deren  Anhänger  die  stoischen  Begriff sh est immung 
und  Lehf«D  anwandten,  insbesondere  auch  von  dem  Gnmdsatf  ausginget 
daß  Gesundheit  und  Krajikheii  von  etwas  geistig  Tätigem  im  Menschen 
dem  wv^üß^  abhängig  seien,  Vermeidung  geistiger  Überanstrengung, 
Sorge  für  gute  Luft,  Reiiüichkeit,  ßeleuchtut^  und  hinreichenden  Schlaf 
gefordert   hat  und  weiter  unter  Berücksichtigung  üwi  vertndenen  Zeitver* 


M 


Miditilungm. 


125 


Utnisse    Liitberj    Camera rlu$,    RadchtuSt    Comenius,    Bacon,    Locke,    Mon- 
gnr,  Rousseau,   Basedow,   Festatozti,   v.   Rochow,   A.    H,   Franckcj    Guts- 
Ulis  u,  a>   dringend   dasselbe   verlangteD,   ja  die*  vier   letztgenannten   ihre 
rsbctüglichen   Gedatikcn   auch   mit   Erfolg    in   Taten   umsetzten,   während 
Zeit  der    Eruiedrigung    Preußens    und    Deutschlands,    sowie   die    ersten 
tan/ig   jähre    nach    den    Befreiungskriegen     für    eine    praktische    Ausge- 
iltuDg  scbulhygientscher  Maßnahmen  natürlich  nicht  günstig  wirken  konnten. 
iti  sich    für    Athenaeus    besonders    interes&ien,    sei    darauf    hingewiesen, 
sich   bedeutsame   Bruchstücke    von    ihm    In    den    Taxpixtü  tnivapafai 
Onbasios  finden ^  einer  medizinischen  Encyklopädie  und  trefflichen  Re- 
atis  den  Schriften   der  gelehrten  Ante  in   TO  Büchern   nach   Pliot. 
217,  in  72  nach     Suidas.    Auch  verdient  C.  G,  Kühn,  Off,  med»  graec. 
f^r  XLVIII  hierüber  nachgelesen  zu  werden.     Lorinsers  1835  erschienene 
nie  Schrift   ,j2uiti  Schutze  der  Gesundheit  in  den  Schulen",  die  zwar 
9le!lenweise    stark    übertreibt    und    phant^tischer    Utopien    keineswegs   ent- 
behrt, gab    den    Schul  aufs  ichtsbehörden    wenigstens    die    Anregung    zu    ein- 
Äsenden  Erhebungen   und   veranlaßte   zahlreiche,    sehr   wichtige   und  noch 
ttt  durchaus  beachtenswerte  Verfügungen,  unter  denen  wohl  die  Kabinetts- 
vom   6,    Juni    1842  als   die   hervorragendste   aniusehen  sein   dürfte, 
ihr  wurde  die  Pflege  der  Leibesübungen  als  ein  notwendiger  Bestandteil 
mäimlichen  Errieiiung  bezeichnet.   Später  wurden  wissenscliaftliche  Unter- 
iChviTigen  übe?  die  Verhütung  ansteckender  Krankheiten  unter  den  Schul- 
auchem,   die   zweckmä6igste   Art   der   Lüftung,    Reinigung   und    Heizung, 
sogenannten   Schulkrankhetten,    wie    kunsichtigkeit,    Rückgratv^erkrüm- 
J^gj  Ner\-osität,  Kopfweh,  Ermüdung  infolge  Überanstrengung  und  andere 
^it  in    Zusammenhang   stehende    Fragen    angestellt.     Es   sei   an    dieser 
Itne  nur    hingewiesen    auf    die    erfolgreichen    Bemühungen    von    Pappen- 
fcini  und  Falk,  die  zuerst  praktische  schulhygienische  Anregungen  in  mo- 
et  Art    gaben«   vom    berühmten   Breslau^r   Augenarzt    Cohn,   der    3^867 
A^mgen  von  10  060  dortigen  Schulkindern  und  vielen  Studenten  unter- 
^h^^  dann  in  neuester  Zeit  von  Baginsky,  Wassetfuhr,  Eulenburg.  Kraepe- 
^  Grießbach  u.  a.    Auch  sei   hervorgehoben,  daß  in  unseren  Tag^  vieJ- 
liie  Zähne  der  Schuler  und  Soldaten«  sowie  von   den   Kreisärzten  die 
^ude    und    Umgebungen    selbst    der    unbedeutendsten    Landschulen     in 
itäispoli  Zeil  icher    Beziehimg    untersucht    zi3    werden    pflegen.     Allgemein 
m  sujd  fem  er  die   1888  gegründete  Zeitschrift   für  Sehniges  undheits* 
P*^  it>n  Kotelmann  und  Erismann,  sowie  die   1901  ins  Leben  gepjifene,. 
Gneübach  redigierte  Vereinsschrift  des  Allgemeinen  deutschen  Vereins 
Schulgesundheitspflege    „Gesunde    Jugend/'     Sehr    wichtig    sind    auch 
Wilhelms    IL    Rede   bei   der   Eröffnung   der   Schulkonferenz   am   4. 
er  1S90  i^nd  sein  Erlaß  vom  26.  November  1900;  in  ersterer  wurde 
tJnterweistxng  der  Lehrer  in  der   Hygiene   und  die  Einriebt img  vxm 
ffittlischen  Kursen  geforderti  in  Ictnerem  auf  die  Forderungen  der  Hygiene 
Aufstellung  der  Unierrichtiordnung   Beiug  genommen. 

Keimer  der  einschlägigen  Verhaltnisse  wissen  ferner,  ciaß  schon  <  um 
Wjtic  des   fünfzehnten  Jahrhunderts   die   Italiener   Filelfo  und   Vegtus 


126  MiMkmgen, 

den  Nachmittagsunterricht  bekämpft  haben,  eine  Maßregel,  die  in  Preuße 
erst  Ende  der  sechziger  Jahre  des  vergangenen  Jahrhunderts  auf  Vem 
lassung  des  Provinzial-Schulrats  Dr.  Klix  zunächst  am  Kgl.  Wilhelms^Gyn 
nasium  in  Berlin  versucht  und  dann  allmählich  auf  alle  höheren  Schok 
Berlins  und  anderer  großer  Städte  übertragen  wurde. 

£s  fragt  sich  mm  heutzutage  hauptsächlich,  ob  der  schulhygienisd 
Unterricht  der  höheren  Lehrer,  wie  ilm  der  Kaiser  und  die  Unterrichl 
behörden  mit  Recht  fordern,  imstande  sein  wird,  die  Tätigkeit  des  Schi 
arztes  zu  ersetzen.  Wir  glauben  dies  unbedingt  bejahen  zu  können  ui 
sind  der  Ansicht,  daß  die  Anstellung  von  Schulänten  nur  für  mittle 
utid  besonders  Volksschulen,  namentlich  in  größeren  Städten,  unbedin 
erforderlich  sein  dürfte.  Denn  das  Schülermaterial  der  höheren  Lehra 
aUstalten  entstammt  fast  ausschließlich  solchen  Familien,  die  die  phy 
sehen  und  psychischen  Mängel  ihrer  Kinder  meist  allein  oder  wenigste 
mit  Hilfe  der  Lehrer  erkennen,  imd  letztere  sind  die  geeignetsten  Leut 
durch  allerhand  ihnen  zu  Gebote  stehende  prophylaktische  Mittel  Seht 
krankheiten  zu  verhüten.  Der  Lehrer,  insbesondere  der  hygienisch  g 
schulte,  wird  selbst  im  allgemeinsten  Interesse  stets  für  frische  Li^ 
den  Schulzimmem  sorgen,  immer  Schulbänke  mit  angemessener  Entfemui 
für  das  Auge  alAchaffen  lassen  imd  auf  gerade  Körperhalttmg  der  Schul 
während  des  Lesens  und  Schrdbens  achten,  um  zunächst  Kurzsichti 
keit  und  Rückgratverkrümmungen,  den  gewöhnlichsten  Krankheitsersdu 
njongen,  möglichst  früh  vorzubeugen;  auch  wird  er  beständig  seine  \ 
soxkiere  Aufmerksamkeit  einer  zu  erzielenden  guten  Beleuchtung  der  Bänl 
und  Schulzimmer  zuwenden,  schlecht  oder  zu  klein  gedruckte  Bücher  v< 
der  Benutzung  im  Unterricht  fernhalten,  die  Schüler  nicht  unmäßig  lan; 
still  sitzen  lassen,  um  ihre  Muskeltätigkeit  nicht  allzu  sehr  einzuschränk« 
die  Zeitdauer  der  häuslichen  tmd  selbst  der  geistigen  Auffassungsarb« 
in  der  Schule,  sowie  die  der  so  angreifenden,  wenn  allzu  ausgedehnte 
Kräfteanspannimg  beim  Lesen  imd  Schreiben  mit  Weisheit  bestinunen  ui 
stets  das  alte:  Curandum  est,  ut  sit  mens  sana  in  corpore  sano  beherzig« 
So  sollten  denn  auch  die  Leiter  und  Lehrer  aller  höheren  Unterrichts! 
stalten  regelmäßig  an  schulhygienischen  Vorlesungen  und  Übungen  an  d 
Un&versitäten,  sowie  gesundheitlichen  Unterweisungen  in  den  pädagogisch 
Seminiaren  teiMehmen,  und  es  ist  mit  großer  Freude  zu  begrüßen,  d 
auf  Veranlassung  des  preußischen  Kultusministeriun^  im  laufenden  Winti 
halbjahre  1902/3  zum  ersten  Male  Vorträge  über  die  wichtigsten  Kapi 
der  Gesundheitslehre  für  die  höheren  Schulen  Berlins  von  den  herv< 
ragendsten  medizinischen   Fachmännern  gehalten  werden. 

Unbedingt  muß  man  auch  Grießbach  beistimmen,  der  „Gesun 
Tugend^',  I  S.  9  eine  Reihe  krankhafter  Zustände,  wie  Blutumlauis-  und  ] 
nährungsstörungen,  allgemeine  Ermüdung  des  Nervensystems  u.  ä.,  i 
ein  ungeeignetes  Unterrichtsverfahren  zurückführt.  Die  einzelnen  Lehr 
kollegien  müssen  sich  über  die  Pensenverteilung  derart  einigen,  daß  ! 
mit  der  Leistm^sfähigkeit  der  Schüler  vollkominen  in  Einklang  steht  u 
vor   allen   Dingen   das   Gedächtnis   nicht  übermäßig  bdastet   wird.    Da 


JIßUtäumgim. 


127 


imBf  w&mui  schon  oft  und  auch  in   unserer  Zeitschrift  wiederhoU   hmge- 
vitscQ  iitf  der  Stundenplan  eine  reiche  Ab  Wechsel  ting  aufweisen,  so  daß  die 
imiofelldsten    UnterrichtsstUDden   in    die    Zeit    von   7—9,    beiw.    im    Winter 
»^  i^lO  fallen   und,    wo    möglich,    in    die    späteren    eine    Turnstunde   mit 
Bevegunfsspielen  eingeschoben  wird,  auch  auf  keinen  Fall  gelitten  w*erden, 
M  ^e  Pausen  selbst  hei  schJechtem  Wetter  nicht  auf  Vorbereitungen  für 
die  liächste  Stunde  verwendet  werden  oder  der  Turnunterricht  auf  staubigen 
SdndkdfeQ    s^ttfindet.     Daß    die    Schulkrankheiten    weniger  auf    dem    Ein- 
fluß von   schlechter    Luft^    schlechter    Beleuchtung    und    Reinigung^    sowie 
ouogdhafter   Bewegung,   sondern   mehr   auf  falscher   Methodik   der   Unter- 
I  nchtenden  beruhen}   haben  auch  die  s.   Z.  sehr  eingehend  geführten  schul- 
^ygiecischen    Untersuchungen    von    Ajtel    Hertel    in    Dänemark    und    A^cel 
|Key  m  Schweden  gezeigt,   da  sie  ergeben   haben,    daß   gerade   m  diesen 
psÜDiietten    Gegenden    Hunopas     die    Zahl     der    kranken    Schüler    außer- 
ofdenilich   groß    war.    So   hat    denn   auch    H.    Schiller   recht,    wenn   er   in 
sehr  beachtenswerten   Buche   über  die   Schularztfrage  die   treffliche 
pygienische    Fürsorge   der  Jesuiten  besonders  betont    und    hervorhebt^   daß 
^tde  sie  ihre  schulgesundheitlichen   Maßregeln  mit  größter  Folgerichtig* 
durchgeführt   haben,  indem  sie  die  tägliche  Stundenzahl  und  die  An- 
rrgcn    an    die    Arbeitskraft    der    Schüler    durch    verstandig    ausgear* 
**^iliCe  Schulordnungen  festsetzen,  ihre  Schulgebäude  und  Internate  hygie^ 
^^^  vortrefflich    ausstatteten    und    durch    gute    Verpflegung,    regelmäßige 
%«öcrgioge   und   lange   Ferien  für   eine  ordentliche   körperliche   Emwick- 
'tiijg  sorgten. 

Vorziehende  Bemerkungen  machen  durchaus  nicht  den  Anspruch,  eine 
^-öiqag  der  Schujar^tfrage,  die,  nachdem  sie  auf  der  Naturforscherver- 
^^mmliing  lu  Innsbruck  im  Jahre  1869  zum  ersten  Male  gestreift  war,  auf 
^cn  ähnlichen  Versammlungen  tmd  hygienischen  Kongressen  leider  durcb- 
^u«  xn  (Jen  Vordergrund  der  Beratungen  gerückt  ist,  endgültig  gefunden 
^  haben.  Das  eine  aber  dürfte  aus  obigen  Erörterungen  wohl  hervorgehen, 
*^  der  Schularzt  in  der  Volks-  und  mittleren  Schule,  soweit  sie  nur 
^  eine  höhere  Volksschule,  wie  sie  sich  zahlreich  im  Königreich  Sachsen 
^i^dtt,  betrachtet  werden  kann,  unbedingt  notwendig,  in  der  höheren  Schule 
^Ecgen  mehr  oder  weniger  überflüssig  ist,  denn  hier  ist  und  soll  nach 
■^clitiger  Auffassung  der  obersten  preußischen  Schulbebörde  der  hygienisch 
S^bildete  höhere  Lehrer  der  nächste  und  beste  Schularzt  sein,  zumal  er 
'^Siich  und  stündlich  auf  die  seiner  Obhut  anvertrauten  Schüler  einwirken, 
**>ni  und  muß. 


WqII  st  ein, 


LÖschhorn, 


eatwlcktttuf  der  HUfsachutpail^goflk  in  Berlin. 

In  diesem  Winter   hielt    Herr   Stadt-   und    Kreisscbulinspektor    D  r^    v. 

^ '  »  y  c  k  i  drei  Vorträge  über  die   Entwicklung  der  Hilfsschul- 

l^^dagogik  in  Berlin.   Seine  Einiehhemen  behandelten  das  Kinder*- 

^^tflriil«  das  den  NebenklasseD  zugewiesen  wird»  die  Uitttrriclits« 


128  Müteäungm. 

uad  Erziehungsmethode  bei  schwachsinnigen  Kindern  und.  di 
Organisation  der  geeignetstem  Hilf sschttleinrichtttH) 
Da  durch  diese  Vorträge  nicht  nur  der  Entwicklungsgang  der  Hittssdiii 
angelegenheit  in  Berlin,  sondern  auch  manche  neuere  Bestrebung  auf  de 
Gebiet  der  Schwachsinnigen-Erziehung  gekennzeiclmet  wurde,  f(^ge  eii 
Zusammenstellung  des  gebotenen  Materials,  so  weit  es  auch  femerstehendi 
Kreisen   interessant   sein   dürfte. 

1.  Bisheriger  Entwicklungsgang:  Vor  dem  Jahre  18 
erhielten  die  schwachsinnigen  Kinder  Berlins  entweder  in  der  Motefii 
stalt  zu  Dalldorf  oder  durch  Einzelunterricht  oder  durch  den  Völkssch 
Unterricht  ihre  Bildung  imd  Erziehung.  Da  sich  infolge  dieser  unzureidu 
den  Bildungsgelegenheiten  für  schwachsinnige  Kinder  viele  dieser  letztei 
auf  der  Unterstufe  der  Volksschule  ansammelten  und  dort  als  Hemm 
für  den  Unterricht  der  Normalen  empfunden  wurden,  beschloss  die  St» 
sehe  Schuldeputation,  Nebenklassen  für  diese  Kinder  einzurichten,  j 
1.  Oktober  1898  wurden  22  Nebenklassen,  jede  mit  ca.  12  Schülern, 
öffnet.  Die  Behörde  hatte  dabei  die  Absicht,  die  schwachsinnigen  Kim 
durch  die  Nebenklassen  imterrichtsfähig  zu  machen  und  für  den  Hau 
Unterricht  vorzubereiten;  den  zurückbleibenden  Kindern  sollte  durch'  ^ 
Sonjderunt'erricht  eine  Bildung  fürs  Leben  mitgegeben  werden.  Da  jede 
von  allen  in  Nebenklassen  behandelten  Kindern  nur  ca.  8  bis  9  Ph» 
zurückversetzt  werden  konnten,  so  sah  man  sich  genötigt,  für  die  1 
Ziehung  der  Nebenklassenschüler  die  zweitgenannte  Absicht  als  Hauptmn 
zu  bezeichnen.  Damit  erkannte  man  aber  die  Selbständigkeit  der  \ 
Ziehung  Schwachsinniger  an.  Infolgedessen  biUigte  die  Behörde  der  Neb 
klasse  mehr  Unterrichtsstunden  zu,  als  ursprünglich  (12)  angenommen  wu 
ließ  sie  kleine  Schulorganismen  von  2—6  Klassen  entstehen,  ließ  sie 
Kinder  einer  Schule  in  Handfertigkeit  unterrichten,  schwerhörige  Schwa 
sinnige  in  einer  besonderen  Klasse  belehren,  gewährte  sie  einzelnen  Lehrt 
Reiseunterstütztmgen  zum  Besuch  auswärtiger  Hilfsschulen  und  erhöhte 
endlich  die  Anzahl  der  Nebenklassen,  so  daß  Berlin  gegenwärtig  1020  Kind 
(622  Kn.  u.  498  M.)  in  78  Nebenklassen  Sonderunterricht  zuteil  werden  lä 
(Seit  1.  April  1903  ca.   1300  Kinder  in  90  Nebenklassen.) 

2.  Voraussichtliche  Weiterentwickelung:  Die  bisher 
Entwickelung  des  Hilfsschulwesens  in  Berlin  zielt  auf  die  Ehirichtt 
von  Hilfsschulen.  Die  gegenwärtig  bestehenden  Nebenklassen  müsseü 
unvollkommene  Einrichtung  angesehen  werden,  weim  man  als  Ziel  i 
Schwachsinnigen-Er^iehung  die  Ausbildung  der  betreffenden  Kinder  tu  tii 
liehen  Gliedern  der  Gesellschaft  anerkennt.  Nur  eine  Hilfsschule  i 
mehreren  aufsteigenden  Klassen  kann  den  nach  Art  imd  Alter  verschied 
artigen  Kmdem  die  zulangende  Bildung  und  Erziehimg  geben;  für  Neb< 
klassen,  die  oft  in  so  viele  Abteiltmgen  zerfallen,  a£s  sie  Kinder  umfas» 
ist  es  eine  Unmöglichkeit.  An  einigen-  Stellen  sind  insofern  schon  / 
Sätze  zu  Hilfsschulen  vcrtianden,  als  man  mehrere  Nebenklassen  zQ  ei» 
Schulorganismus  in  einedi  Schulgebäude  vereinigt  hat.  Gegenwäctig  :Stdi 
nur  noch  14  Nebenlüaäs^  isoliert.    Unter  den  Bedenken,  die  man  gog 


MitUÜungm. 


«in«    Z«Qtralisienuig   der  Nebenklassen   m   Hilfsschulen  geltend  macht,   hat 
nur    das  der  lUiimlrage  für  Berlin  eine  Bedeutung.    Ein  Hilfsschuigebäude 
imL0te  für   mehrere    Stadtteile    aentral    gelegen    sein   und    müßte    geeignete 
Häuine  bieten.    Für  eine  %'ollkoaimen  eingerichtete   Hilfsschule  sind  auüer- 
dem    211    fordern:     Hof,    Spiel  halle,    Turnhalle,    Brausebad,    Werkstart    für 
Hajidarbeit,  Schulgarten,  genügende  Anschauungsmittel  und  eine  reichhaltig 
ausg:€stattete  Lehrerbibliothek.  —  Beiijglich  der  innern  Organisation 
der    Schwachsinnigen-Eniehung  treten  folgende   Neuerungen  gegenwärtig  m 
Kraft  oder    sehen    ihrer    Einführung    entgegen :     Bei    der    Auswahl    der 
sct"wachsmmgen   Kinder   aus  der    Masse   der   Volksschüler   dient   der  Ber- 
lin, er  Personalbogen  ab  Unterlage.    Derselbe  bietet  Raum  für  Fest- 
stell ungen  in  der  Volksschulklasse,  für  die  Resultate  der  ärztlichen   Unter- 
sticHung,  für  fortlaufend  zu  vermerkende  Beobachtungen  während  der  Hüfs- 
scliiilenichung,   und   iwar  seitens  des   Lehrers  und  seitens   des  Arztes*  und 
encUich    Raum   für    Notiien    über   die    Weiterentwicklung    des    Kindes    nach 
der     Schulieit.     Bei   der    Überweisung   der   schwachsinnigen    Kinder   in   die 
Nel>eRklasse   sind  tätig:    der   Lehrer  der  Volksschulklasse,   der   Rektor  der 
Vollfsschule^  ein  Ärat  imd  der  Schulinspektor.     Das  Urteil  des  letzteren  ist 
mleut  auschlaggeb end.    Die  Personalbogen  verbleiben  bei  der  Schule,   um 
eoftretendenfalls    dem    Gericht    imd    dem    Militär   als    Ausweise    übergeben 
werden    zu    können.    —    Die    Feststellungen    in    der    Volksschulklasse    sollen 
Idinfüg  auf  dem  Personalbogen  eine  Ergänzung  erfahren^  insofern  nämhch 
a^^ch  die  Resultate  der  Beobachtung  wahrend  der  ersten  vier 
'W'ochen     des     Hilfsscbulunterrichts    mit    verzeichnet    werden 
töUen;  man  hält  eine  Fixierung  der  positiven  Kenntnisse  im  Lesen,  Schreiben» 
Eechnen   und    Memorieren    für    notwendig,    Aufzeichnungen    über    den    An* 
^chaüungskieds  una  den  Sprachreichtum  der  Kinder  für  wünschenswert.  — 
Wih^nd   bbher   der   Überweisung   eines   Kindes   in   eine   Nebenklasse   ein 
™ei  jährig  er  Besuch  der  Volksschule  vorausgegangen  sein  musste^  soll  von 

bP^  ab  ein  halbjähriger  Besuch  genügen,  wenn  dann  bereits 
W  Feststellung  des  Schwachsinns  möglich  ist.  —  Der  Lektionsplan 
'Oll,  einschliesslich  der  Spiel-  imd  Arbeitsstunden,  ca.  24  Stunden  um- 
fassetL  -  Die  schwerhörigenSchwachsinnigen  und  die  Sprach- 
^*biechl  er  werden  in  besonderen  Klassen  unterrichtet.  Man  beabsichtigt, 
für  diese  KtiKler,  entsprechend  dem  Grad  ihres  Leidens,  Vorbereitungs* 
•^  J  Ässc  n  und  Heilkursc  einzurichten,  —  Für  die  nochntcbtunter- 
^Uhtsfähigen  Kinder,  die  meist  der  Hilfsschule  von  dem  Eltcm- 
^'^  direkt  überbliesen  werden,  soll  eine  Vorbereitungsklasse 
^^  eigentlichen  Hilfssch ulklassen  vorausgehen.  Nach  ^f^  jährigem  oder 
"^itrem  Besuch  dieser  Klasse  sind  die  betr.  Kinder  der  Hilfsschule  m- 
führen,  —  Die  Hilfsschule  zerfällt  in  3,  bezw.  6  aufeinanderfolgende 
Steifen,  Für  größere,  körperlich  entwickeltere  Kinder  ist  später,  wenn  viel- 
'*'<At  auch  in  Deutschland  die  Schulpflicht  der  schwachsinnigen  Kinder 
^^  mm  16,  Lebensjahre  ausgedehnt  worden  ist  oder  wenn  sich  in  einer 
}^'kk\^  mehrere  Kinder  finden  sollten,  deren  Eltern  einen  über  das  14. 
^tnsjahr  ausgedehnten  Schulbesuch  wünschen,  der  Hilfsschule  eine  Klasse 
gen,  in  der  die  Kinder,  nach  Geschlechtem  getrennt,  nur  einige 
^eitschf in  IIb-  fi&difogtsche  Pi>'chologlep  Fctiiologie  und  Hygiene.  9 


130  MiUeäungm. 

Stunden  am  Tage  unterrichtet  werden,  damit  sie  sich  während  der 
Zeit  der  Erlernung  eines  Berufes  widmen  können.  —  Die  Sem< 
berichte,  die  bisher  in  ungleichmäßiger  Form  und  nach  ven 
scharf  beleuchteten  Gesichtspunkten  abgefaßt  wurden,  sollen  in 
nach  einem  Formular  aufgestellt  werden.  Am  Schluß  des  Sem« 
an  die  Behörde  zu  berichten:  1.  über  die  Entwicklung  jedes  e 
Kindes  (1.  Formular),  2.  über  den  Bestand  der  Klasse,  den  Stun< 
die  behandelten  Lehrstoffe,  Ausflüge  und  Spaziergänge,  methodi» 
obachtungen.  Anzufügen  sind  Anträge  des  Lehrers  betr.  die  En 
einzelner  Kinder  oder  ihise  Oberweisung  in  andere  Anstalten.  (2.  Fo 
—  Für  die  Entwickltmg  der  schwachsinnigen  Kinder  im  nachsch 
tigen  Alter  ist  eine  entsprechende  Fürsorge  (Einrichtung  von  Fortl 
schulen  etc.)  in  Aussicht  genommen.  —  Zu  Lehrkräften  an  Hi]£ 
erachtet  man  solche  Lehrer  als  besonders  geeignet,  die  sich  aus 
Beruf  der  Schwachsinnigen-Erziehung  widmen  und  die  entsprechen 
kenntnisse  auf  psychologischem  und  hygienischem  Gebiete  und  a 
des  Handfertigkeitsunterrichts  besitzen.  *~  Die  Hilfsschule  muß  eim 
ständigen  Leiter  unterstellt  werden.  —  Zur  Förderung  der  Hi 
Pädagogik  ist  ein  Zusammenschluss  aller  beteiligten  Pädagogen  zu  wi 

3.  Methodisches:  Ziel  des  Unterrichts  und  der  Ei 
schwachsinniger  Kinder  ist  die  Erwerbsfähigkeit  und  die  sittliche 
keit;  darum  ist  eine  praktische  Gestaltung  des  gesamten  Unterric 
wendig.  Die  bisher  gebräuchlichen  Memorierstoffe  sind  geringer 
werten  als  die  Stoffe  des  Anschauungsunterrichts,  die  das  Kind  1 
bar  in  die  Praxis  des  Lebens  einführen.  Der  Anschauungs-Unten 
der  wichtigste  Gegenstand  im  Unterricht  der  Schwachsinnigen, 
zu  beleben  und  zu  vervollständigen  durch  Spaziergänge,  Spiele  im 
und  im  Zimmer,  Handarbeit  und  sonstige  praktische  Übimgen.  I 
schauungs-Unterricht  bildet  im  Unterricht  der  Schwachsinnigen  e 
sammenlassung  der  Realien  und  hat  z.  B.  auch  elementare  Belel 
über  Rechtsgrundsätze  zu  bieten.  Eine  besondere  Beachtung  ist  ( 
thode  der  Vorbereitungskurse  zuzuwenden.  Das  Sonderziel  diesei 
ist,  die  Kinder  zu  einer  größeren  SelbstdiszipKnierung  ihres  Denki 
Verhaltens  zu  erziehen,  damit  sie  im  Unterricht  der  Hilfsschule  die 
xa  fordernde  Selbstzucht  üben  können.  —  Der  Hilfsschule  fehlt  heu 
ein  nach  praktischen  Gesichtspunkten  bearbeitetes  Lesebuch. 

4.  Beachtenswerte   Untersuchungsresultate: 
Grundlage  für  eine  zusammenfassende  Darstellung  des  Wesens  vom  S 
sinn  bilden  die  Einzelbeobachtimgen  jedes  Lehrers,  die  darum  von 
ordentlichem  Wert  sind  und  deren  geordnete   Darstellung  und  V< 
Hebung   zu   wünschen   ist. 

II.  Zur  Charakteristik  des  Schwachsinns  würden  Feststellung 
den  Anschauungskreis  \md  den  Sprachreichtum  der  Kinder  von  Be 
sein.   Der  methodische  Weg  zu  diesen  Fixierungen  wäre  noch  festzn 

III.  Die  medizinischen  Untersuchungen  haben  die  körperliche  ! 


Mit^üungm-. 


131 


und  die  schwer«  erbliche  Belastung:  emes  hohen  Prostentsatsres  der 
icliwacligiiiiiigeii    Kinder   erwiesen. 

IV.  Die  Untersuchungen  über  das  Milieu  haben  in  denj  meisten  Fallen 
lui  Feüstelluii^  einer  andauernden  wirtschaftlichen  Schwäche  des  elter- 
lichen Hausstandes  gefühlt*  A,   F. 

Im  AnschluB  an  obige  Ausführungen  ging  uns  folgender  Aufruf  zu,  den 
'  der  Beachtung  der  Leser  besonders  empfehlen : 

Ew.    Hochwohlgeboren 
wir    unSf    beifolgenden    Aufruf   tat    Begründung    eines 
^ftiehung^-   und   Fürsorge. Vereins  für  geistig  lurück* 
gebliebene  (schwachsinnige)  Kinder 
der  ganx  ergebenen  Bitte  tn  überreichen,  genehmigen  zu  wollen^  daß 
^^  ätsch  Ihren  Namen  unter  den  Aufruf  setzen. 

Da  uns  bereits  die  unten  verzeichneten  Persönlichkeiten  ihre  Namens- 
ßMcnchrift  gütigst  zur  Verfügung  gestellt  haben,  so  hoffen  wir,  daß  auch 
Sie  dieses  gemeinnützige  Werk  unterstützen  werden,  und  bitten  daher,  uns 
kldiiidgtichst    Ihre    geneigte   Zustimmung    zu   erklären. 

fn  größter   Hochachtung  ganz   ergebenst 
Dr.  Fischer»  Stadt^  und  Kreisschul  Inspektor,    Arno  Fuchs,  Lehrer. 

Gaedingr  Stadt*  und  Kreisschulinspektor* 
)t.  von  Giiyeki,  Stadt-  ymA  Kreisschul mspektor.  Henstorf,  Rektor. 
Franz  Pagel^  Fortbildungsschul -Dirigent  Schwermer,  Lehrer. 
Stubbe,  Stadt*  und  Kreisschulinspektor, 
hroti,  Landgerichtsrat.  Dr.  A.  Baginsky,  Direkt,  d.  Kaiser  u.  Kaiserin 
ch*Kiader- Krankenhauses,  Professor  an  der  Universität.  Dr,  K.  Beer- 
prakt,  Arzt.  Alfred  Boehm.  v.  Borries,  Polbeipräsident  von  Bertin. 
dl,  Geh,  Oberregierungsrat  und  Vortrag.  Rat  im  Kultusministerium. 
Fiber,  GeneraJsuperimendent  und  Probst  von  Berlin.  Feder,  Pastor, 
tedrich,  Superintendent.  Dr,  Freund,  Geh.  Oberrcgicrungsrat  und  vertrag. 
tm  Minist erium  d.  Iimem,  v.  Gersdorf f,  Pastor,  Professor  Dr.  Gersten^ 
g»  Stadtschutrat.  Dr.  Ginsberg.  Professor  Dn  Glatiel,  Stadtverordneter. 
Gönel,  prakt.  Arzt.  Haase,  Stadt-  und  Kreisschtilinspektor.  Professor 
A  Hartmann,  Sanitälsrac.  Dr  Hausen,  Stadt-  und  Kreisschulinspektor. 
Peter  Jessen^  Direktor  der  Bibliothek  des  KÖnigl  Kunstgewerbemuseums. 
Johannsen,  Lehrerin.  Professor  Dr.  F.  Jolly^  Geh.  Medizinalrat.  Frau 
crbiiTgermeister  Kirschner.  Knobtauch,  Direktor  des  Böhmischen  Brau- 
ftttsts.  Professor  Dr,  v.  Liszt,  Geh.  Regierungsrat.  Dr,  Lorenz^  Stadt ^ 
^d  Kreisschulinspektor,  Lucanus,  Viiepräsident  des  Königtichcn  Provin- 
"ul'StiuiyeQil^^'jmus  j^y  Bertin.  Frau  v.  Manius.  Dr.  E.  Mendel^  Pro- 
'ttiOf  an  der  Universität.  Mietz,  Lehrer  Professor  Dr,  Moeti,  Geh.  Me- 
^imm,  Direkt,  d.  städt.  Irrenanstalt  Heoberge.  Rudolf  Mosse,  Vcr- 
^libuchhäfidler  und  Rittergutsbesitzer.  Neuber^  Prälat»  FürstbiscbÖfl.  De^ 
Probst  bei  St.  Hedwig.  Dr.  Nawratzki,  prakt.  Artt  an  der  Irren- 
Idbtcri'AnsiaU  in  Dalldorf.  Siegfried  Ochs,  Professor,  Direktor  des 
iilhannon.  Chors.    Bcrthold  Otto»  Schriftsteller.    Katharine  Otto,  Lehrerin, 

9* 


132  MüUüungen, 

Pape,  Lehrer.  Dr.  Friedrich  Paulsen,  ordentl.  Professor  an  der  Univenkit 
Piper,  Erziehimgsinspektor  an  der  Idiotenanstalt  in  Dalldorf.  Fxi  Ramni' 
lack,  Lehrerin.  Dr.  Reicke,  Bürgermeister  von  Berlin.  l>r.  Sander,  GeL 
Medizinalrat,  Dir.  d.  städt.  Irren-  u.  Idioten-Anstalt  in  Dalldorf.  Sdbei|^ 
Stadtrat.  Stier,  Stadt-  lind  Kreisschulinspektor,  KönigL  Schnliat.  Dr. 
Strecker,  prakt.  Arzt  und  Schularzt.  Professor  Voigt,  ProvinzialsdialiiL 
Professor  Dr.  Waetzoldt,  Geh.  Oberregierungsrat  und  Vortrag.  Rat  im 
Kultusministerium.  Frau  Staatsminister  Elise  Gräfin  v.  Posadowsky-Welmcr, 
Exzellenz.  F.  Wende,  Leiter  der  IL  kaufm.  Fortbildungsschule  zu  Berlin. 
Wefing,  Bildhauer.  Otto  Wenzel,  Direktor  der  Berufsgenossenschaft  der 
ehem.  Industrie.  Dr.  Wulf,  Stadt-  und  Kreisschulinspektor.  Dr.  Zwidi; 
Stadt-  und  Kreisschulinspektor,  Kgl.  Schulrat,  Mitglied  d.  Reichstages. 

Aufruf. 

Für  jeden  Menschenfreund  besteht  darüber  kein  Zweifel,  daß  di& 
sozial-wirtschaftlichen  Umwälzungen  der  Neuzeit  nachteilige  Einflüsse  anf 
die  Jugenderziehung  ausgeübt  haben.  Manches  alleinstehende  oder  übel- 
beratene Menschenkind  erliegt  den  neuen,  ungünstigen  Entwickelungs-  nd 
Existenzbedingungen  und  geht  für  Zeit  und  Ewigkeit  verk^-en. 

Diese  Tatsache  berührt  jeden  Menschenfreund  aufs  tiefste,  besonder 
wenn  er  der  Kinder  gedenkt,  die  von  der  Natur  mit  einem  schwaches 
Geiste  ausgerüstet  sind.  Nicht  begabt  mit  körperlicher  Kraft  und  Ge> 
waqdtheit,  schneller  und  richtiger  Überlegung,  nicht  selten  behaftet  taH 
einer  krankhaften  Anlage,  oft  nicht  ausgebUdet  in  den  allereinfachstfi 
und  allemotwendigsten  Kenntnissen  und  Fertigkeiten,  hervorgegangen  a» 
oftmals  sehr  kümmerlichen  Verhältnissen,  und  doch  mitten  hineingeitdll 
in  den  Kampf  des  Daseins,  müssen  viele  dieser  geistig  Minderwertigen  be* 
sonders  nach  der  Schulentlassung,  von  der  unerbittlichen  Härte  des  G» 
Schicks  erfaßt  und  aufgerieben,  ein  Spielball  der  Verf ührungei^ 
ein  Opfer  der  Not,  derAusbeutung  und  der  Laster  wcvdeo, 
müssen  sie,  getrieben  von  den  Verhältnissen,  durch  Verbrechen  gegei 
Leben  und  Eigentum,  Meineide,  Auflehnung  gegen  die 
staatlichen  Sicherheitsorgane,  gegen  die  militärische 
Disziplin  in  Konflikt  geraten  mit'  den  Strafgesetzen  und  endet 
im  Arbeitshaus,  Gefängnis  oder  Zuchtbaus,  müssen  ne  lo- 
mit  eine  Gefahr  werden  für  das  Wohl  des  Einzelnen  und  der  Gesamtheit 
oder  eine  Last  für  die  Armenpflege  in  Gemeinde  und  Staat. 

Die  bürgerliche  Gesellschaft  ist  durch  gewisse  Zeichen  der  Zeit,  durch 
den  Verlauf  mehrerer  Gerichtsverhandlungen  aus  den  letzten  Jahren,  durch 
die  medizinische  Wissenschaft  und  endlich  durch  die  Pädagogik  mit  alleffl 
Nachdruck  auf  die  Notwendigkeit  einer  Sondererziehung  der  geistig  zurüd* 
gebliebenen  Kinder  hingewiesen  worden.  Die  Behörden  unserer  Reiche* 
hauptstadt  und  der  meisten  größeren  Städte  Deutschlands  haben  diese 
Notwendigkeit  erkannt  und  lassen  die  geistig  zurückgebliebenen  Kinder 
in  Nebenklassen  oder  Hilfsschulen  besonders  unterrichten  und  erziehen. 
Die  Erfolge,  die  bei  einer  entsprechenden  Behandlung  der  Schwachsinoigea 
bis  heute  erzielt  wurden,  haben  die   Überzeugung  befestigt,  daß  eine  g^ 


MiOeäungen,  133 

te  und  allseitige  Erziehung  an  diesen  Kindern  Wunder  wirken,  sie 
eligiös-sittlichem  Gemüt,  intellektueller  Bildung  und  technischer  Fertig- 
n  den  Grenzen  ihrer  Beanlagung  ausrüsten,  sie  fest  machen  gegen  die 
afe  der  späteren  Entwickelung  und  also  heranbilden  kann  zu  brauch- 
I,  z.  T.  sogar  zu  selbständigen  Gliedern  der  bürgerlichen  Gesellschaft 

die  Pädagogik  ist  auch  zu  der  Überzeugung  gekommen,  daß  sie 
lie  Hälfte  der  zu  leistenden  Arbeit  vollführen  kann,  daß  sie  zur  Völl- 
ig ihres  Werkes  der  tätigen  Mithilfe  edler  Menschenfreunde  aller 
le  und  Berufe  bedarf. 

Darum  mfen  die  Unterzeichneten  alle  diejenigen,  welche  ein  Herz 
i  für  die  geistig  zurückgebliebene  (schwachsinnige)  Jugend  tmd  mit- 
en  wollen  an  einer  gesunden  Weiterentwickelung  unserer  Volkszustände, 
lem  Zusammenschluß  auf! 

Durch  gemeinsame  Arbeit  wollen  wir  in  dem  neu  zu  begründenden 
ziehungs-  und  Fürsorgeverein  für  geistig  zurück- 
gebliebene (schwachsinnige)  Kinder 
'heit  schaffen  auf  theoretischem  Gebiete,  und  zwar 
das  Wesen  der  geistig  Zurückgebliebenen,  die  beste  Unterrichts- 
Erziehungsmethode  und  die  geeignetste  Organisation  der  Er- 
lg.  Aber  wir  wollen  uns  auch  praktisch  betätigen,  direkt  und  sofort 
Rpirtschaftlichen  Elend,  der  körperlichen,  geistigen  und  sittlichen  Not 

Kinder  steuern,  imd  zwar  durch  die  Einrichtung  von  Pfleg* 
iftenund  fachmännischen  Beiräten.  Den  Schwachsinnigen 
:6nftig  nicht  nur  eine  verständnisvolle,  gediegene  Schulerziehung  zu 
erden,  sie  sollen  auch,  je  nach  Bedürfnis,  bezügl.  ihrer  körperlichen, 
l^en,  sittlichen  und  wirtschaftlichen  Lage,  bei  der  Wahl  des  Berufes, 
geeignetsten  Lehrherren  und  Dienstherrschaften,  bei  gerichtlichen  An- 
i  und  bei  der  militärischen  Ausmusterung  treu  beraten  tmd  in  Sttmden 
iot,  der  Anfechtung  tmd  Atifregung,  in  der  Zeit  der  gefährlichsten 
le  ihrer  Entwicklung  überwacht  und  geführt  werden. 
VlTer  eine  rührige  Hand  besitzt  oder  ein  Scherflein  übrig  hat,  der 
Be  sich  den  Unterzeichneten  an,  melde  sich  als  Pfleger,  fach- 
pischer  Beirat  oder  als  Arbeitgeber  oder  erwerbe  durch 
ag  eines  jährlichen  oder  einmaligen  Beitrages  die  Mi t- 
dschaft  des  Vereins. 

Ifitbürgerl  Menschenfreunde!  Erbarmet  Euch  auch 
er  Armen! 


^ 


Bibliotheca  pädo-psychologica 

von 
Leo  Hirschlaff. 

LItteratttr  dM  Jähret  igou 

A.    Allgemein«  Psycholofle. 

a.  Allgemeines. 
(Lehrbücher,  Methoden,  Historisches,  Anatomie  und  Physiologie 
der   nervösen   Centralorgane). 


1.  Aars,  K.  B.-R.:  Les  sept  probltoes  de  Tarne.    C.  R.  IVe  CoogrH 

Int.  de  Psycho!.,  1900  (1901),  144-160. 

2.  Abramowski,  £.:  Seele  und  Körper.  Prxeglad  Fikn,  1901,  IV.  (8)* 

3.  Adamkiewicz,  A.:  Les  cellules  de  T^corce  c^r^brale  et  Fadifitf 

consciente.     Rev.  de  Psychol.  Clin,  et  Th6r.,  1901,  V,  38-48. 

4.  Adamkiewicz,  A.:,  Über  das  Wesen  und  die  Bedeutung  der  Giofi- 

hirnrindenganglienzellen    des    Menschen.     Ztsch.  f.  klin.    Med.,  IWlt 
XLII,  303-308. 

5.  Ad  am  so  n,   J.  £.:   Teachers   and   Psychology.    J.   of  Educ,  1901, 

XXIII,  183-186. 

6.  Allievo,    G.:    La    Psicologia    filosofica   di   fronte   alla    PMcologB 

fenomenistica.     Riv.  Filos.,  1901,  IV,  441-480. 

7.  A  n  g  e  1 1 ,  J.  R.,  &  F  i  t  e ,  W. :   New  Apparatus.   (Contrib.  fr.  PsydioL 

Lab.  Univ.  o£  Chicago.)    Psychol.  Rev.,  1901,  VIII,  4Ö9-467. 

8.  Aristo te.     (Rödler,   G.,  Tr.)    'ApwroriXooq  mpl  ipf$x^    Tndt^  de 

L'Ame.    2  Vols.    I.:  Texte  et  Traduction.    H.:  Notes.    Paris,  Leron 
1900.    Pp.  xvi  +  268,  686. 

9.  Aristoteles:    Über  die  Seele.    Übers,  und  erklärt  von  £.  Rolfei. 

224  S.   Bonn  1901,  P.  Hanstein. 

10.  A  s  h  e  r :  Gegenwärtiger  Stand  der  Lehre  von  der  GehirnlcdadisatianLr 

Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Arzte,  S.  461.  1901. 

11.  B  a  g  1  i  o  n  i ,  B. :  Eldmenti  di  Filosofia  ad  uso  anche  dei  Licet  Psico- 

logia, Logica  e  Morale.    Roma,  G.  B.  Paravia  &  C,  1901,  Pp.  262. 

12.  B  a  g  1  i  o  n  i ,  S. :  La  Psyche  e  le  Funzioni  del  Sistema  Nervoso  Centnle. 

Saggio    di    Critica     Fisiologica.      Riv.    di    Filos.,     Pedag.    e   Sdems 
Affini   II,  Vol.    IV,    N.  4.   1901. 

13.  B  a  1  d  w  i  n ,  J.  M. :  A  Scheme  of  Classification  for  Psychok)gy.  PsychoL 

Rev.,  1901,  VIII,  60-63. 


StMwt^a  ßdd0-'ß^jfck&k£ica. 


135 


x^. 


1&, 


16. 


17. 


18- 


19, 


a 


n. 


IB^ldwin  ,  J^  M. :  Dictionary  of  Phüosophy  and  Psychology,  S  Vols, 
Vol.  L,  A  to  Law,  New  york  and  London,  Macmillan  Co.,  190L 
Pp.  xxjv  +  644. 

Barck«  C:  A  Coütribution  to  our  Knowledge  of  Conical  Blindnes«: 
xwo  Cases  of  Bilat&ral  Homonymous  Hemianopsia.  Amer  J,  of  Oph- 
thal.. 1901.  XVllL  292-^29a 

V  B  a  s  c  b :  Modifikatiori  der  Peiotte  nveines  Spbygmofnanometers. 
Wknef  medirißjsche  Wochenschrift,  S,  2052,  190L 

B  a  u  d  i  n .   Äbb^,    L'acte  et  la  puissaiace  dans  Anstote.    Paris,  1901. 

Tp.  12a 

Bechterew,  W,  v. :  Über  das  corticale  Sehzentnmi,  Monatsschr. 
f.  Psychiai,  und  Neun  X  (6),  432—435.    190L 

Becbe.M,  A.:  Die  Haltung  Ciceros  beim  Ausbruch  des  Bürgerkrieges, 
Eine  historisch-psychologische  Studie.     Di^«  Zürich  1900.  62  S. 

Beetz  j  K.  O. :  Einführung  in  die  moderne  Psychologie,  L  Allge- 
meine Grundlegung.  Osierwieck,  Zickfeldi»  190L  434  S.  (Der  Bücher- 
schat»  des  Lehrers  IL) 

B  e !  a  u  ,  K. :  Ü  her  die  Gremeti  des  niechani&chen  Geschehens  im 
Seelenleben  des  Menschen  nach   Lotze.    Diss.   Erlangen   1901,  3S  S, 

B  e  n  i  n  i ,   E, :    Fsjcologia   speri mentale   positiva.    Turin^    1900. 


B 


e  r  g  e  r ; 


Le   plastoscope.     La    Natuce,    1901.    XXL\,   203-204. 

B  e  r  g  e  r  I    H, :    Experimencelle    Untersuchungen    über    die    von    der 

Sebsphare  aus  ausgelösten  Augenbewegungen.     Monaisschr.  f.  Psych. 

lana  Neurol,,  1901,  IX,  185— ^IL 

^Ö^rnhatt,   J.:     Untexscheidung    der   physischen    und    psychischen 

Naturerscheinungen.     Vereinsblatt   der   pfäliiscben   Ante,   S.  196—200. 

^  B  c  r  n  b  e  i  m ,  F, :  L'aphasie  moirice.    La  Parole,  1901,  XI,  193—226, 

067-306,  34&--364,  402—435. 
^'^«rnheinif   F.:   Etat    a^tcel   de   ta   question   de  Taphasie  miotrice. 

O^.   des   H6p.,    1001,    IJCXIX,   741—747,   769—775. 

^  ^  e  r  n  h  c  i  m  e  r,  5t. ;  Anatomische  und  experimentelle  Untersuchungen 

^Jber  die  corticaien  SehientreiL    Vortrag,  geh.   beim  intemat.   med. 

ICongreß  in  Paris.    Klin.  Monaisbl.  f.  Augenhlkd.  38.  541^545.  1900. 

- ■  «    ernheimer.    St,:    Die    Lage    des     Sphincterzenlrums.     Eine    ex- 

l^erimenteile  Studie.  .  Graefes  Ar  eh.  L  OphthaJmol  LH,  {2),  302—316. 

msOL  -  Dass.  Bericht  über  die  Vers,  d-  ophthalmoL  Ges.  S.  105—110. 

^^    e  r  n  i  e  s ,  V. :  Immat^rtalie^  et  mat6rialit6  de  TÄme  humaine.    Rev. 

^e  Fhilos.,  1901,   I,  566—588. 
^^  e  s  s  c  r ,    L.  ?    Anti*  Psychologisches.     Von    der    Materie.     Das    freie 

^Voit,  S.  311-315,  327^335.    190L 
^^  i  a  n  c  h  i  ^  La  geografia  psicologica  del  mantello  cerebrale  e  la  dottrina 

^  Flechsig     Ann.  di   Nevrol,   1900,   XVIII,   162-192. 
^^  iervliet,  J.  J.  van:   L^^volution  de  la  psychologie  au  XIX  sifrcle, 
Xev.  d.  Quest-  Scienc,  1901,  L,  107—130. 
%iervlietT  J.   J.  van.     Et^ides   de  psychologie.     Ghent,   A.  Siffer; 
Paris,   Alcan,   1901.    Pp,    iOL 


3L 


31 


136  BidUotheca  pädo-ptychologica, 

35.  Bischoff,   £.:   Über  die  pathologisch-anatomische  Grundlage  d4 
sensorischen  Aphasie.    Wiener  klinische  Rundschau,  S.  783,  806.  190 

36.  B  i  s  c  h  o  f  f ,  £. :  Über  die  Lokalisation  der  verschiedenen  Formen  ci 

Sprachtaubheit.  Centralbl.  f.  Nervenhk.  und  Psychiat.,  1901,  3Cl 
321—328. 

37.  Bormann,   W.:    Intfemationale    psychische    Forschung.    Die  ilH 

simüiche  Welt,  9.  J.  S.  28—30.    1901. 

38.  Broden,A.  und  Wolpert,  H.:  Respiratorische  Arbeitsversudie I 

wechselnder    Luftfeuchtigkeit    an   einer    Versuchsperson.    Aiduv 
Hygiene,  39.  B.  S.  298—311. 
3^Burckhardt,   F^:   Psychologische   Skizzen  zur  Einfuhrung  in  c 
Psychologie.    4.  Aufl.  317  S.    Löbau,  J.  G.  Walde.   1901. 

40.  B  ü  r  g  1 ,  £.  :•  Der  respiratorische  Gaswechsel  bei  Ruhe  und  Arbeit  \ 

Bergen.    Diss.  Bern  1900.   39  S. 

41.  Ca j all   S.   Ramön    y  (Bresler,  J.,   Übers.):   Studien  über  < 

Hirnrinde  des  Menschen.  2.  H.  Die  Bewegungsrmde.  Leipzig,  Bai 
1900.    Pp.   113. 

42.  Calkins,  M.  W.:  An  introduction  to  Psychok^g^y.    526  S.  Lonsd^ 

Macmillan  and  Co. 

43.  Cantoni,  C..:  Ccrso  elementare  di  filosofia.    Vol.  L  Psicologia  p 

cettiva,  Logica.   (12  a  ed.)  Mailand,  Hoepli,  1901.   Pp.  xvi4-^8. 

44.  Carus,   P.:    Whence  and  Whither.    An   Enquiry   into  the  Nati 

of   the    Soiil,    Its    Origin    and    Its    Destiny.     Chicago,    Open   Co 
Publ.    Co.,    1900.     Pp.    viii4-188. 
46.  Cavani,  £.:  Se  esista  un  mancinisnoo  vasomotorio.    Richerchd 
guanto  volumetrico.   Istituto  di  Fisiologia  di  Modena  1901.   18  S. 

46.  C  est  an,  R^  et  Lejonne,  P. :  Troubles  psychiques  dans  un  cas 

tumeur  du  lobe  frontal.    Rev.  neurol.   IX  (17),  846—862.   1901. 

47.  Cha.ujEfard'  &  Rat  her  y:   Un  cas  d'aphasie  nx>trice  due  ä 

ramollissement  exactement  localis^  au  pied  de  la  3me  drconvoluti 
Bull,   et  Mto.   Soc.   d,   H6p.  Paris,   1901,  XVHI,  1213—1246. 

48.  Clapar^de,  £d. :  La  psychologie  dans  ses  rapports  avec  la  m^ded 

Rev.  M^d.  de  la  Suisse  Romande,  1901,  XXI,  697-609. 

49.  Conrad,  P. :  .Grundzüge  der  Pädagogik  u.  ihrer  HUfswissenscfaal 

in  elementarer  Darstellung.  1.  Teil.  Psychologie  mit  Anwendung 
auf  den  Unterricht  und  die  £rziehung  überhaupt.  396  S.:  Davos  19 
H.    Richter. 

60.  Cyon,  £.  v. :  Die  Beziehungen  des  Depressors  zum  vasomotonscb 

Centrum.    Pflüg.  Arch.  84,  (6,  6),  S.  304—308. 

61.  D  e  a  r  b  o  r  n ,  G.;  V.  N. :  Psychology  and  the  Medical  SchooL  Sciefl( 

N.  S.,  .1901,  xiv,   129—136. 

62.  D  e  s  s  o  i  r ,  M. :  Geschichte  der  neueren  deutschen  Psychologie.  2,  Au 

2.  Halbbd.  (1.  Bd.  XV.  und  S.  367-626.)    Berlin  1902^  C.  Dundu 

63.  D  e  s  s  o  i  r ,  M. :  Jenseits  der  Seele.     Vom  Feb  zimi  Meer,  90^  J. 

S.  67—62,  94—98,  137—140.   190L 

64.  Dittes,  Frd. :   Schule  der  Pädagogik.    Gesamtausg.   d.   Psycholog 


ßiblfotheca  pääo^ps/dtid&jica. 


137 


56. 

5S. 
5Q, 

61. 


I 


62. 


6e. 

67. 

71. 


VI   Logik,   Er^ehuttgs^   u.    Unterrichtsiehra.     6.   Aufl.   3^17.   Lfg*.   S. 
Ii3-I0i9,    Leipzig   1901,   J.   Klinkhardt. 
D  o  I  e  s  c  h  a  ] ,  M, :  Vergleichende  Untersuchungen  des  Gärtnerischen 
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Boa, 

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Bihli&tk^ca  päd^pa^ckd&giea* 


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l^ehmen,  A.t  Lehrbuch  der  Philosophie  auf  aristotelkch^scholastv 
scher  Grundlage,  mm  Gebrauche  an  höheren  Lehranstalten^  uml 
mmi  Selbst unterrichL  IL  Bd.  L  Abtlg,  Kosmologie  und  Psycho- 
logie. 526  S.  Freiburg  i.  B.  1901,  Herder. 
L 1  e  b  m  a  R  n ,  O. :  Gedanken  und  Tatsachen.  Philosophische  Abhand» 
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himrinde.     III.    Mitteilung.     (Schluß.)      Sitzber.    KgL     Preuß.    pjgJ^^ 
Wiss.  Berlin,  1901,  1149—186.   —  Dass.  Sep.  35  S.  Berlin,  G.  RnX0^' 
166.  Münsterberg,  H.:   Psychologische  Atomistik.    C.  R.  IVc  CoraÄ"*^ 
Int.  de  Psychol.    1900  (1901),  162-153. 

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9.   J.   S.   4—8,   36—39.   —   Dasselbe:   Mitteüungcn  des  wiisenscl»^^' 
liehen  Vereins  für  Okkultismus  in  Wien,  2.  J.  S.  20. 

167.  Nettleship,    £.:   Gases   of   Congenital   Word-Blindness   (Inal^^^ 

to  Learn  to  Read).    Ophthal.  Rev.,   1901,  XX,  61—67. 


MUteihcca  päd&-psyckolügka.  143 

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Loodoiw    H.    K.    Lewis. 
169.  O  n  Q  d  ]  f  A. :   Subcerebrales    Phonationszentrum.    Mathematische   und 

naturwissenschaftlicbe  Berichte  aus   Ungarn,   17.   B.,   S.  70 — 82- 
17(t  P  a  V  i  c  i  ^  ,  A.  F. :   Une  hypoth^se  sur  la  possibilit^  des  rapports  do 
l'äme   et   du    corps,     C.    R*    IVe    Congrfes    Im*   de   PsycboL,    löCX) 
(1901X  306—310. 
J7L  Pe^Uaube»  E.:  Pdnpaldtisme  et   psychologie  expdrimentale*  C   R* 

IVe  Congrfcs  Int.  de  PsychoL,  1900  (1901),  292—296. 
nt,  P  ei  IIa  übe,  E. »  IVe  Congr^s  international  de  Psychologie:  Psycho* 
logie  expdrimentale  et  p^ripatdtisme.   Rev.  de  Philos.,  1901,  I,  608—613. 
i  ^a.  P  e  c  e  1 1  a  ^    Dicouverte  du  centxe  visuel  conicaJ  revendiqu^e  par  un 
anatome  Italien,   Janus,  S.  629—636. 

174.  Peter,  C:   Der  Einfluß  der   Entwickluiigsbedingungen  auf  die  Eil* 

dting  des   Zentralnervensystems   und  der   Sinnesorgane   bei   den  ver* 
schiedenen  Wirbel tierk lassen.     Anal.  Ani.   1901,  XIX,  177—198. 

175.  Pfeiffer:    La   psychojogie  de  Call.  Rev.  de  Psychjat.,  N.  S.,  1901, 

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1*6,  P  f  e  Ti  n  i  g  s  d  o  r  f ,  E.  r  Das  Verhältnis  von  Leib  und  Seele  nach  dem 
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bis  433, 

l''»  P  i  k  le  r  ,  J-:  Physik  des.  Seelenlebens  mit  dem  Ergebnisse  der  Wesens* 
Gleichheit  aller  Bewußtseinsjeustände.  AUgemeinverständL  Skizze  e. 
Systems  d,  Psychophysiolog^ie  u.  e.  Kritik  der  herrsch.  Ldire.  Leipzig, 
J,  A.  Barth,  1901,  gr.  8»,  40  S. 

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'   P  r  Q  b  s  i ,  M. :  Über  einen  Fall  voUständiger  Rindenbljndheit  und  voll- 
ständiger Amusie.    Monatsschr.,  f.  Psychiai.  und  NeuroL  IX   (1),  5— *21. 

P  \itnam.    D.:    A  Teit-book   of   Psychokigy   for   Secondary   Schools 
New  York,  Amer.  Book  Co.,  190L    Pp.  300. 
^         ^  a  a  f  ^  W.  de  i  Die  Elemente  der  Psychologie.    Anschaulich  entwickelt 
lojid   auf    die    Pädagogik    angewandt.     Aus    d.    HoIL    v.    W.    Rheinen. 
a.  Aiifl.    132  S.  Langensalza,  H.  Beyer  &  Söhne. 
*^  ^  u ,  A. :  Der  moderne  Panpsychismus.    Eine  summarische  Kritik  des 
Idealismus    und    seiner    neuesten    Entwicklungsphase.     16    S.    Berlin, 
Gose  &  Tetzbfl.  —   Dass.  Deutsche  Zeitschrift,   Bd.   14,  S.  205—213. 
*^  a  u  h  ^  F. :  Psychologie  appüquäo  &  la  morale  et  ä  r^ducation.  Paris, 
j  liachette. 

^-     ReckliDghausen:   Blutdruckmessungen  bei  Menschen.    Archiv 

Ifir  ^^^  experiroejitelle  Pathologie  üod  Pharmakologie,  46.  Bd,,  S.  78—132. 

*   ^  e  g  e  n  e  f  ,  Fr  :  Aristoteles  als  Psychologe.  64  S.   Aus :  Päd^ogisches 


144  BütUoiheca  pddo-psyeMo^ica, 

Magazin,  Abhandlungen  vom  Gebiete  der  Pädagogik  und  ihrer  Hilh- 
wissenschaften,  hrsg.  v.  F.  Mann,  Hft.  161.  Tj>Tigf^«^|^iyn  h^  g^y^j 
und  Söhne. 

187.  Regensburg,  J.:  Über  die  Abhängigkeit  der  Seelenlehxe  Spinozas 

von  seiner  Körperlehre  und  über  die  Beziehungen  dieser  bekten  n 
seiner  Erkenntnistheorie.    Diss.  Gießen  1900.  104  S. 

188.  Rehmke,  J.:  Wechselwirkung  od.   Parallclismus ?  (Aus:  Philosoph. 

Abhandlgn.  Gedenkschrift  f.  Rud.  HayoL)  68  S.  Halle  1902,  M.  Nie- 
meyer. 

189.  R  c  h  m  k  e ,  J. :  Der  gegenwärtige  Stand  der  Frage  nach  dem  Verhähni» 

von  Leih  und  Seele.    Der  Lotse,  1.  J.  30.  u.  33.  H. 

190.  R  e  h  m  k  e ,  J. :  Die  Seele  des  Menschen.  156  S.  Aus  Natur  und  Ödstes- 

weit,  36.  Bd.    Leipzig,  B.  G.  Teubner. 

191.  R  e  t  z  i  u  s ,  G. :  Zur  Frage  von  den  sogenannten  transitorischen  Furchen 

des  Menschengehimes.    Anatomischer  Anzeiger,  £ig.  S.  91. 

192.  Ribot,  T.i  La  psychologie  de  1896  ä  1900     C.  R.  IVc  Congr^  Int. 

de  Psychol,  1900  (1901),  40-47. 

193.  R  i  g  h  e  1 1  i :  Af asia  transcortica  motoria.   Riv.  di  PathoL  Njerv.  e  Ment., 

1901,  VI,  289—314. 

194.  Rosenfeld,  M. :   Zur  optisch-sensorischem  Aphasie.    Neural  Cential- 

blatt,  1901,  XX,  395-402. 

195.  S  a  c  h  s ,  H. :  Die  Entwicklung  der  Gehimphysiologie  im  19.  Jahrhundert* 

Zeitschr.  f.  paed.  Psychol.  und  Pathol.   III,  (4),  255—280.    190L  — 
Dass.   Sep.   29    S.    Berlin,    H.    Walther. 

196.  Sanford,  £.  C. :  Improvements  in  the  Vemier  Chronioscope.  Amer* 

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197.  De  Sarlo:  Scienza  e  Coscienza.    Riv.  Filos.,  1901,  IV,  481—514. 

198.  Saturnik,  A. :  Psychologie  ideal  ukräsy.    (Progr.)    Vrychnov6  u  IC-»- 

1901.   Pp.  28. 

199.  S  c  h  i  1 1  i  n  g ,  A.  C. :  Graphische  Darstellungen  zur  Psychologie.  Studio 

Sep.  60  S.    Leipzig,  £.  Wunderlich.  —  Dass.  Pädag.-psydioL  Stud-»- 
S.  5-7. 

200.  Schleisiek,  B. :  Untersuchungen  mit  dem  Gärtnerschen;  Tonomet^^* 

Diss.  Rostock)  1901,  41  S. 

201.  Schlüter,  W.:  Psychophysisches  Skizzenbuch.    Berlin,  Wakher,  19(>^- 

202.  Schmidt,    £. :    Eine   neue   physiologische   Tatsache,   psydiologisc?^ 

gedeutet.    (24  S.)  Freiburg  i.   B.  1901.  Fr.  Wagner. 

203.  Schneider,  A.:  Beiträge  zur  Psychologie  Alberts  des  Großen.  Di^^ 

Breslau,  1900.   39  S, 

204.  Schrader,  W. :  Die  Seelenlehre  der  Griechen  in  der  älteren  Lyr&l^ 

(Aus:  „Philosoph.  Abhandlgn.    Gedenkschrift  f.  Rud.  HaynL)  tt     ^ 
Halle  1902,  M.  Niemeyer. 

205.  Schroeder,P.:  Das  fronto-occipitale  Associationsbündd«  Monatur'*^' 

f.  Psychiat.  u.   Neurol.    IX,  (2),   81—99,   1901. 

206.  Schumann,  J.   Chr.   und   Voigt,  G.:   Lehrbuch  der  Pidig<Ä^'^ 


B^^ÜßiAeca  päde^ßsyckaiog^iea. 


145 


213. 

aie. 

218. 
2X9. 

2ao, 

221. 
22S, 


(In  drei  Teilen.)  IL  Tl.  FsycboLogie.  IL  Aufl.    293  S.    Pädagogische 

Bibliolhek,  2,  Bd.  L  TL  Haimovcr,  C  Meyer. 
Schütz^   L.i   Naturkraft  und  Seelenvennögen.    Philosophisches  Jahr- 
buch der  GorresgeseLlschaftf  14.  J.   S.  16—30.    Dasselbe;    Akteti  des 

&.  imemationalen  Kongresses  kathotischer  Gelehrten,  S.  210. 
S  c  h  w  a  r  X ,  E, :  Analyse  des   Pulses,    Wiener  medizinische  Wochen- 
schrift.   S.    2001—2004,   2059—2061. 
S  chwertfcger,  E. :  Ziehen  über  Herharts  Psychologie.     Jahrbuch 

des  Vereins  für  wissenschaftliche   Pädagogik,   S.    146 — 254. 
S  criptürc,  E.  W. :  Computation  qI  a  set  ol  simple  direct  measurer 

mcnts  Sttid.  fr.  Yale  Psychol  Lab..   1900  (1901).  VIII,   110—23. 
S  e  e  1  a  n  d  ,  N.  v, :  Über  das  i,Wo*'  der  Seele.    Philos.  Jahrbuch ,  1901, 

XIV,  315-^319.  —  Dass.  Psychische  Stud.,  1901,  S.  665— 609. 
S  e  r  g  i ,  G. ;   La  psiche  nel  fenomeni  della  vita,    Toritio»   F.   Bocca^ 

1901,  Pp.  22L 
S^rienx^  F.  &  Mlgnot,  R. :  Surdit6  corticale  avec  paralexie  et 

lialluctnatiOQs  de  l'oule  due  i  des  kystes  hydatiques  du  cerveau.  Houv, 

Icon.  Salp^trifere,  1901.  XIV,  39—45, 
S  h  e  1  d  o  n  f  W*  H, :  A  Case  of  Psychical  Causation  ?    PsychoU    Rev., 

1901,  Vül,  Ö78— 595, 
Siebert*  O,:   Hermann    LotÄC,    Lehre  von  der   Existenx  der   Seefe. 

Kirchliche  Wochenschrift  für  evangeliscbe  Chrisien,  No.  19.  20. 
Siegfried,  M.:  Jacquetscher  Sphygmograph,    Deutsche  mediiinische 

Wochenschrift,  Vereinsbeilage^  S.  126. 
Smith,  W. :  Professor  Tbilly  on  loteraciioti.    Disc.   Phüos,  Rcv.  X» 

(5),  606—514.    190L 
S  o  k  a  1 ,  E, :  Th.  Ribot ;    Pfadfinder  der  modernen  Psychologie^    Nord 

tttul  Süd,  Aprü,  S,  43—64, 
S  o  EU  m  e  I ,  R, :  Demonstration  der  ausgestellten  psychophysiologischen 

Apparate,   C.  R.  IVe  Congrfes  Int,  de  Psychol,  1900  (1901),  427—431, 
Sommerfeld,  L.:  Über  Blutdruckmessungen  mit  dem  Gärtncrscbeii 

Tonometer,   Therapeutische   Monatshefte,   S,   72, 
S  o  n  r  y  ^    J.t   Anatomie   c^r^brale    et    psychologic.     Arch,    de   neuroL, 

1901 /XIL  2e  s,,  67  u,  68, 
Spaulding,  E«  G,i   Beiträge  z\ii  Kritik  des  psychophysischeD   Pa- 

railehsmus  vom   Standpunkte  der  Energetik.    Halle,  Niemeyer,  1901. 

Pp,  VII  +  100. 
Stadeimannr  Ein   Fall   von   Aphasie  utid   Agraphie,    Centralbl,  f. 

Ntrvenhk.,  1900,  XI,  713—717. 
S  I  <*f  anowska,  M.t    La  .ceUule   nerveuse   et   les   actes    psychiquesw 

Ren.  de  Funivers,  de  BruxeUes  VL  Juli   190L    30  S. 
Steil,  A,    M. :   Über  die   Tätigkeit   der  vom   Leibe  getrennten  Seele 

vom  Standpunkte  der  Philosophie,     Philos.  Jahrb.   14,  (1),  S,  28—46. 
Steiner,  R. :   Moderne  Seelenforschung.    Die   Gesellschaft^  1.    B,   SL 

129—136. 


^ttidirifl  fGr  pl<üiEcifisch«  Psychologie^  PMliologlc  und  Hy£i«tif. 


10 


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logisches  Problem.     Wien.  Klin.  Rundschau,  .1900,  XIV,  30  u.  8L 

228.  S  t  e  r  n ,  L.  W. :  Über  Arbeitsgemeinschaft  in  der  Psychologie.  C.  R.  I 

Congr^    Int.    de   Psychol.,    1900   (1901),   485—438. 

229.  Stern,   ,L.    W.:   Die    psychologische   Arbeit   des    19.    Jahrhunde 

Ztsch.  f.  päd  Psycho!.,  1900,  II,  329-362,  413—436.  Dass.  Sep.  Ber 
Wahher,1900.    Pp.  48. 
280.  Storch,  £.:   Eine  letzte  Bemerkung  zu    Herrn  Edingers  Anfu 
„Himatiatomie   tmd    Psychologie.'*    Zeitschrift   für    Psychologie  i 
Physiologie  der  Sinnesorgane,  26.   B.   S.   105—106. 

231.  Storch,   £.:   Psycfhologische   Untersuchungen  über  die  FunktkM 

der  Hirnrinde,  zugleich  eine  Vorstudie  zur  Lehre  von  der  Apha 
HabU.   Breslau,    1901.   75   S. 

232.  S  t  ö  r  r  i  n  g :  Vorlesungen  über  Psychot>athologie  |n  ihrer  Bedeutung 

die  normale  Psychologie  mit  Einschluß  der  psychologischen  Gn 
lagen  ,der  Erkenntnistheorie.  ^  Leipzig,  Engelmann,  1900,  468  S. 
283.  S  t  o  u  t ,  G.  F. :  A  Manual  of  Psychology.  2.  Aufl.  London,  W,  B.  Q 
University  Tutorial  Press,  1901.  Pp.  XVI  +  661. 

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Watt,  S.  106—111. 

235.  Strebe],  H.:  Eine  Lanze  für  indische  Psychologie  und  Theosop 

Die  übersinnliche  Welt,  8.  J.  S.  370—379,  410—428. 

236.  Strohmayer,  W.:  Anatomische  Untersuchung  der  Hörsphare  b 

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237.  Studnicka,   F.  K.:    Über    die    erste    Anlage    der    Großhimhe 

Sphären  am  Wirbeltiergehime.  Aus :  Sitzungsber.  d.  böhm.  Gesell 
d.  Wiss.  33  S.  Prag  1901,  Fr.  Rivnäc  in  Konun. 

238.  Syrkin,  N.:     Was  muß    man    von    der    Psychologie    wissen? 

gemeinverständlich  beantwortet.    68  S.   Berlin,   H.   Steinitz. 

239.  Thilly,    F.    The   Theory   of    Interaction.    Philos.    Rev.    X   (2), 

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240.  Thomsen,   C:    Geist   und    Körper.      Monatsschrift   für    Stadt   i 

Land,  S.   1271—1287. 

241.  Thudichum,    L.    W. :    Die    chemische    Konstitution    des    Gehi 

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Part  II.  Instructor's  Manual.  New  York  und  London,  MaaDÜ 
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243.  Titchener,  E.  B.:  A  Primer  of  Psychology.    (a  AuR)    New  Yc 

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BrWotäeea  pad&'P^*ehükgkü, 


147 


n%. 


350. 
201 

S6t. 


2M. 
2ÖÖ. 

266, 
259. 


261 


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V^  illa,  G,j  La  psioologia.  e  la  storia.   Riv.  FiloSv,  1901,  IV.,  308—326. 
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proieß.    Auf  Grund  pyknot.  Substanzbegriffcs.    2,  Aufl.  ergänzt  durch 

d.    Behandlung   d.   wichtigsten    Probleme   e.    realen   Weltanis chauung 

V.  durchaus  neuen  Gesichtspunkten:  d.  e rk e n,n tn ist heore tische  Problem, 

die    Raumanschauung,    die    Kunst,    d,  Etitsiehung    des    Lebens,    das 

Problem  der  Vererbg,,  das  Darwinsche  Entwicklungsprinzip  in  geklärter 

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der  Jugend.    4.  Aufl.  101  S.    Langensalza  1901,  Schulbuchhandlun^^. 

273.  Weygandt,  W.:  Himanatomie,  Psychok>gie  und  Ericentotnistheori^* 

Centralblatt  für  Nerveiiheilkunde  und  Psychiatrie,  Bd.  12,  S.  1— 1& 

274.  Wijnaendts     Francken .    C.   J.:     Psychologische     omtreHrf  y^  - 

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275.  Wille,  B.:  Materie  nie  ohne  GeistL  Berlin,  Edelheim  1901. 

276.  Wundt,  jW.:    Grundriß  der  Psychologie.    4.  AuR    411  S.    LdpÄ^^^ 

1901,  W.  Engelmann. 

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Geburtstages.    92  S.  Leipzig  1901,  W.  Engclmann. 

278.  Ziehen:  Psychologien  Jahresbericht  über  Leistungen  und  Fortschritt^ 

auf  Tdem  Gebiete  der  Neurologie,  S.  896—916. 
279L  Ziehen:    Über   di.e   Beziehungen   der   Psychologie   zur   Psychiatric- — * 
Jena,  Fischer,  1900.  32  S. 

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in  Komm. 

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283.  Die  Psychologie  tritt  ein  in  die  Periode  der  Psychopathologie. 

blätter  für  den  katholischen  Religionsunterricht,  S.  1—3. 

284.  Die  Wundtsche   Psychologie  nach  ihren  wesentlichsten  Eigentümfi« 

keiten  betrachtet.     Ostfnesisches  Schulblatt,  Norden,  S.  888—884. 

285.  L*ami6e  Psychologique.    7e  annde,  1900,  hrsg.  v.  Bin  et,  A.,  Pa 

Schleicher  1901.    Pp.  854. 

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Baldwin,  J.  M.  Princeton  (N.  J.),  Univ.  Press,  190L    Fp.  »- 

287.  Studies  from  the  Psychoiogical  Laboratory  of  the  University  of  Wic:^ 


i 


SiMhihetm  jtädo-psychotßg^üis^ 


t4Q 


293. 


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»i^ 


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473.  N  e  r  n  s  t ,   W.   und  v.    Lieben,   R. :   Ein   meues  phonographisches 

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1901,  XXXVII,  649—661. 

476.  Nicolai:    Binoculair  Zien    en    de    Valproef    van    Hering.     Nedefi 

Tijschr.  voor  Geneesk.  37,  131—134. 

477.  Nuvoli:    Sulla  teoria    della  audizione.     Arch.   ItaL  di  OtoL,  \^Ol 

XI,  330-338. 
47a  N  y  8 ,  D. :  La  ki^finition  de  la  masse.    Rev.  N6o^coL,  1901,  VIII,  5-8& 

479.  Ohr  wall,  H.:  Die  Modalitäts-  und  Qualitätsbegriffe  in  der  Sioiie^ 

Physiologie  und  deren  Bedeutung.    Skand.    Arch.  f.  PhysioL  XI  (3, 4}# 
246—272.    1901. 

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Bihii&iheca  pädo'Piycki^agica, 


159 


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fcif  er,  F.  X,:  Der  Akt  der  Projektion  in  der  Gesichts  Wahrnehmung 
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150  Bibliotheca  päd<hpsyckoiogiau 

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612.  Rpthert,  W.:  Taktile  Reizerscheinungen.     Flora,  S.  871— 4SL     . 
619.  Roubinovitch,    J.:.    Des   variations    du   diamtee    pupillaire  «I 

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1900  (1901),  522—623. 
614.  Roux,J.  &Lafond,M.:    Du  r61e  respectif  des  sensatioos  cutiirfw 

et  des  sensations  profondes  dans  la  recoobaissance  des  objets  pir  \k. 

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515.  Russell,  B.:  On  the  Notion  of  Order.    Mind,  N.  S.  87,  S.  80-6L     i 
616.  Sachs,    M.    &   Meiler,   J.:   Über   die  optische   Orientientog  brir^ 

Neigung  des  Kopfes  gegen  die  Schulter.     Graefes  Arch.  LI!  (Q, 

bis  401.  1901. 
517.  Saint-Maurice,    G.:    De    la   methode   de   Peau    camphrte 

la  mesure  de  l'odorat.    (Th^e).   Paris,  19(X). 

618.  Schaefer,    K.:    Über   dSe   intracranielle   Fortpflanzung   der 

insbesondere  der  tiefen  Töne,  von  Ohr  zu  Ohr.    Arch.  f, 
(3,  4),  161-166.    1901. 

619.  Schaefer,  K.  L.  &  Abraham,  O.:  Studien  über  Ui 

töne.     L  Mitteil.  Pflügers  Arch.   83,  207—211.   1901.    2.  MittdL 
86,  636-542;  3.  MitteU.  ebda.  88,  476—491. 

520.  Schenck,  F.:  Einiges  über  binoculare  Farbenmischung.   Univ. 

Marburg  1901,  .21  S. 

521.  Schiff,  A.:  Zu  Stransky:  Conjugierte  Empfindungen.     Wieuor 

nische  Rundschau,  S.  480. 
622.  Schloesser,  C.:  Die  für  die  Praxis  beste  Art  der  Gesii 

suchung,  ihre  hauptsächlichsten  Resultate  und  Aufgaben.  (90  S.) 

Sanmüung  zwangloser  ^Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 

künde.     Hrsg.    v.    A.    Vossius.    m.    Bd.    a    Hft     Halle.    C 

Hold,  1901. 
523.  Schmiegelow,  E.:  Eine  neue  Methode,  die  Qnantifit  des  Hfl^; 

Vermögens  vermittelst  Stimmgabeln  zu  bestimmen.    Arch.  f. 

1900,  L,  32—44.  (Fortsetrong  fioigt). 


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Jahrgang. 


W03 


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Zeitschrift 


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^==r  Inhalt  von  Heft  3, 

V'  Ml  cmr^mnriEt,  Zur  Vü^laciendtfri  Psycbfilogie  tier 

A  jc1i£,  BcolüdiltiJiceii  dt  ^^vidiiinni^ai  Kindern. 

^.  ifCcutsiei  itpd  4.  Clttn«p&ctr  Ober  Rci^ketiltiLmilii'r- 

iltiisfii9l»eri<!iti& 

Birlitt     —  Er/ithangv  n  Fi^ rannte- Vemn  L  K^^tig  /uiikk^hikbetit:  i'^liKicii^ 

fFiiuife)  Kinder  xu  Betlin. 

B«rlellt»  iifiil  &«ft|tf«cliiitiK«ti* 
Hne>  Mag«0(^  —  K*  Stid;f*        Meäiincii  Kelter.        K.  HsiuJu«. 

Aäolf  Hpimc.  -  Robert  Sddd, 
Zur  Entsteh  Ufi£  der  Spraciie  iftul  Hqgria^Ü Jutig  des  Ktaücs 

BERLIN  S.W. 

Hrrntaan  Watthcr,  VcrUgsUuclihandtiing 

JlbrUai  crffcktloM  6  IltfU  i  i    ti  biifviK 
Prm:  I.  a  \l  J,iUr|^cij{  4  Mk.  0  TR.  )lJ)jrfiaii|£  ir  ff.  >  ML  id.- 


'^  190: 


Hygiama 


mtßm^m^^^m^ 


«^tfi#«Atf«0N^ 


hJerdüidl  nkhl  ÄlIrmiliL"' AMf-jfrt}^"    S.'ft-^i'Sf'l'irf  rniÄv. 

iJch  MTit  einet  kcillr  v«i*  |.if'  li.i;klt- 

DHJj^krtl:  Um  £ejiuii4ieit  i> 

wJKbsendeJuj^CTict  ini  Fj:i:[KiJtlirli  für  Sefiiilklitilrr  wft^n: 
Q^hjilln  nn    tlkfi    i'  S'Aliritolitjr«   die  für  dlt  tn\witkUm'  ■ 

krÄftlgefi  Kürficfs  tv»  iJ 

Jittig^e  MidcHert,  BlelehvHcIttlg«  mtul  Bkttnrfnie  bfs;liirfrn 


^Nygtajna" 


StuiSlcreiide  imuI   geistig  «Mige^li^figt   ArlvHttndc  Tindrn  <n 
du  IticM  ¥«rUjiHUdtei  Niltimificl»  v 
Kfirtc  sdijiell  iu  crsctrtTJ  und  neitt  i 

Prei»  d»r  %  Büchse  ;  5W)  Qr.  }nh.  Mk  2,4ö,  tirr  »/,  HVivSkw  Mk.  hfiCTi 

Vorrfttig  tri  vlcrn  inelftni  Apoiheldvn  iiitd  Drofi^rleit,  aoim  4lnkt  dmrtl 

Dr.  Theinhardt's  Nährmittel -Gesellschaft 

Cann statt  a.  Neckar. 


Nervöse,    zurückgebliebene, 

anormale  Kinder, 

Knaben  und  Mädchen,  ifinden 
angemessene  Pension, 

Erziehung  und  Unterricht 

bei 

Dr.  Kemsies 

Berlin  N.  W.,  P.    ■        ^^ 


Schöneberg  bei  Berlin 

HauptstrMte  Nr.  106. 


Zeitschrift 


für 


Fädaaofilscbe  f  $ycl)ologie, 

Patl)oloaie  und  l^yglene. 

Herausgegeben 

von 

Ferdinand  Kemsies  und  Leo  Hirschlatf. 


Jahrgang  V.  Berlin^  Aug:ust  1903.  Heft  3* 

Zur  veritlelchenden  Psychologie  der 
Sprachstörungen« 

Vortrag;  gehaSten  in  der  Psychologischen  Oesell Schaft  zu  Berlin 

am  16.  7-  1903. 
Von  Hermann  Out7.mann. 

Meine  Damen  und  Herren  1   Das  neugeborene  Kind  begrüßt 

^it   Schreien  die  Welt,  und  dieser  erste  Schrei,  so  freudig  er 

^''^    den    Eltern    willkommen    gehei&en    wird^    hat    an    sich 

US  besonderes   Melodisches.     Er   ist   krähend,   kreischend, 

^t»gerissen,  und  wer  sollte  ihm  von  vornherein  ansebenj  daß 

cüe  Grundlage  für  die  spätere  Entwicklung  einer  so  kompli- 

;cn  Fähigkeit  wie  die  der  Sprache  abgibt.    Der  Schrei  des 

^^ndes  ist   seine  erste  Lautäußerung.     Ganz   allmählich  zeigt 

*'^li  aber  auch  in  dem  Schreien  eine  Abstufung,  es  zeigt  sich, 

"^ß   das   Kind   bei   verschiedenen   Gelegenheiten   versdiieden 

s^Hreit,  und  eine  erfahrene  Mutter  oder  Wärterin  weiß  recht 

'Ohl,  was  das   Kind  mit  seinen  verschiedenartigen   Schreien 

"^•^-.-11   will.    Wenn  die   Periode  der   Unlustgefühle,  die  bei 

^    ■        >  ugling  die  ersten  drei  Monate  fast  vollständig  beherrscht^ 

^^^i^ijber  ist,  so  fangt  er  an  mit  den  Beinen  zu  strampeln  und 

^'  ein,  mit  den  Händen  zu  fassen  und  an  den  Bewegungen 

'      .-.    Muskelapparates  Vergnügen  zu  finden.    Zu  diesen  Be* 

^^gtingen  gehören  auch  die  des  Sprechapparates  und  der  Säug- 

***^  unterhält  sich  daher  auch  mit  der  Produktion  eigenartig 

gelallter  Laute  wie  ,,papapa",  ,^bababa*',  ,,mamäma*\  „nanana** 

^  Ä,  m.    Diese  erste  Lautproduktion  des  SäugUngs  ist  nichts 

weiter  als  eine  Lustäußer ung^  er  findet  Vergnügen  an  seiner 

lelUdurifl  tär  r*^EOIi«>i«  Psychologie,  Pathologie  and  Hygietie  1 


162 


Hefmann  GuUmmtn. 


Umgebung  und  reagiert  durch  die  gelallten  selbständigen  La.m 
Produktionen  auf  diese  Empfindung*    Das  Mutter  herz  bat  v^-c 
jeher  den  ersten  gelallten  Lauten  des  Kindes  besondere    !]^^e^ 
deutung  beigemessen,  und  so  kommt  es,  daß  infolge  des  U  wm 
Standes,  daß  die  ersten  Laute  fast  stets  Lippen-  und  vord^Te 
Zungenlaute  sind,  fast  in  allen  Sprachen  der  Welt  die  Wörter 
„Vater**  und  ,,Mutter":  Papa^  Baba,  Mamaj  nana  oder  so  äliiJi- 
lich  lauten,    Sie  finden  „Papa"  und  „Mama^'  bei  den  Balcsi.lri 
in  Zentralbrasilien,  Sie  finden  es  bei  den  Buschmännern  ^lx^d 
Hottentotten.  Manchmal  sind  die  Vater-  imd  Muttemamen  aüci 
einsilbig,  manchmal  finden  Änderungen  statt  dadurch,  daß  \r^r- 
schiedene  Vokale  die  verschiedenen  Geschlechter  andeuten*     so 
im  Mandschurischen;  ama  und  ämä.   Manchmal  heißt  auch  der 
Papa  —  Mama  und  die  Mama  —  Papa  usw.  usw, 

Das  Lallen  des  Säuglings  können  wir  als  die  erste  Vor- 
stufe der  Sprache  bezeichnen.  Später  kann  man  bald  beo*)- 
achten,  wie  der  kleine  lallende  Mensch  Freude  und  Vergnüg" ^ii 
an  seinen  eigenen  Lautproduktionen  empfindet,  er  kreiscrlit 
manchmal  vor  Vergnügen  auf ;  Sie  sehen  also,  daß  seine  eigen^^^ 
Lautproduktionen  positive  Gefühlstöne,  Lustgefühle  in  ihm  ^^' 
wecken. 

Bei  der  Weiterentwicklung  der  Sinne  horcht  das  Ki'^^ 
nun  auf  seine  Umgebung,  d.  h*  es  hört  aufmerksam^  es  t>^* 
obachtet  seine  Umgebung,  d.  h,,  es  sieht  sie  aufmerksam  aJ^' 
mit  der  besseren  Ausbildung  der  Sinne,  mit  ihrer  besser ^^ 
Verwertung  erwacht  dann  sehr  bald  ein  starker,  kräftiger  Tri^  "^ 
der  der  Nachahmung :  das  Kind  will  das,  was  es  hört,  auch  na*^  ^' 
ahmen.  Natürlich  wird  es  auch  hier  die  Laute  am  frühest^^ 
nachahmen,  die  am  leichtesten  zu  bilden  sind,  und  so  entwick^* 
sich  allmählich  das  Nachsprechen  des  Kindes. 

Die  eigentlich  innere  Seite  der  Sprache,  das  Verstand^^^^ 
für  das  Gesprochene,  ist  bei  dem  Kinde  weit  früher  entwicl^^^^|J 
als  selbst  das  Nachsprechen,  denn  ein  achtmonatliches  Ki*^ 
—  wer  selbst  Kinder  beobachtet  hat,  wird  das  besiätig^^** 
können  —  versteht  schon  vieles  und  reagiert  durch  Anderu*^^ 
der  Blickrichttmg  oft  sehr  deutlich  auf  die  vorgesprocher^^^ 
Worte.  Allmählich  aber  wird  auch  das  Nachsprechen  bess^* 
und  aus  der  Nachahmungsperiode  entwickelt  sich  nun  die  letx^* 
Periode,  die  mr  Vollendung  führt,  das  spontane  Sprechel*  * 
die  Sprache  wird  zum  Gedankenausdruck  des  Kindes. 


^r  T^r^idchenäen  Fsyckohgie  der  Spr^ckstSrung^r$. 


163 


Ich  habe  Ihnen  die  Entwicklung  der  Sprache  des  Kindes 
kufi  vorgeführt,  weil  man  so  am  besten  sehen  kann,  wie  sich 
eigentlich  psychisch  die  Sprache  aufbaut.    Wir  haben  zunächst 
dis  Entwicklung  des  sensorischen  Zentrums  der  Sprache  d.  h. 
desjenigen  Zentrums,  in  dem  die  Wortklänge  abgelagert  sind, 
so  daß  sie  immer  wieder  erkannt  werden  können.    Das  Kind 
versteht,  wie  schon  gesagt,  bereits  frühe  eine  ganze  Anzahl 
von  Worten;  man  weiß  ja,  daß  kleine  Kinder  manchmal  bis 
lum  meiten  Jahre  noch  nicht  selbständig  sprechen,  aber  eine 
beträchtliche    Menge    von    Wonbegriffen    von    ihnen    aufge- 
speichert werden  und  sie  diese  an   den  Wortfclängen  wieder 
erkennen.    Ich  wünschte  wohl,  daß  einmal  ein  tüchtiger  psy- 
chologischer Arbeiter  sich  daran  machte,  ein  Lexikon  von  den- 
jenigen Worten  aufzunehmen,  die  ein  Kind   versteht,  ehe  es 
selbständig  spricht.     Das  wäre  viel  wertvoller  und  wichtiger 
als  die  schon  öfters  verfaßten  Lexika  von  den  Wörtern,  die 
das  Kind  zu  einer  gewissen  Zeit,  z*  B,  Ende  des  zweiten  Jahres, 
spontan  spricht  und  selbständig  anwendet. 


Mit  dem  Wort  klänge  verknüpfen  sicH  natürlich  die  Teil- 
^''Erstellungen  der  verschiedenen  Begriffe,  also  optische, 
^l^üstische,  taktile,  olfaktorische,  gustatorische,  barästhetische, 
^nnästhetische  etc*  etc.  Teilvorstellungen« 
Nehmen  wir  als  Beispiel  den  Begriff  „Glocke",  Dieser 
^t  vielleicht  für  ein  Kind  noch  nichts  weiter  als  die  akustische 
J^ilvorsiellung,  weil  das  Kind  erst  den  Glockenklang  gehört 


J^  Hermann  GuUfrumn. 

hat.  Es  sieht  dann  eine  Glocke  und  hat  nun  die  optische  V 
Stellung.  Es  faßt  die  Glocke  an  und  hat  die  taktile  und  thei 
ästhetische,  wenn  es  die  Glocke  hebt,  auch  die  barästhetisc 
Vorstellung.  Vielleicht  bildet  sich  auch  die  Geschmacksv 
Stellung  durch  Berühren  der  Glocke  mit  der  Zunge. 

So  entwickelt  sich  der  Begriff  nicht  auf  einmal,  sond< 
allmählich  und  wird  durch  die  Erfahrung  immer  genauer  c 
geengt.  Mit  den  Teilvorstellungen  des  Begriffes  ist  der  W< 
klang  alsbald  mehr  oder  weniger  stark  verbimden. 

Das  ist  die  erste  große  Assoziation,   die   sprachlich 
bildet  wurde,  es  sind  diejenigen  Bahnen,  die  am  stärksten 
uns  allen  ausgebildet  sind.    Wenn  wir  ein  Wort  hören, 
das  wir  einen  bekannten  Begriff  besitzen,  so  wird  imwei^ 
lieh  auch  der  Begriff  erweckt,  wenn  wir  überhaupt  die  A 
merksamkeit  auf  den  Wortklang  richten.  — 

Das  Kind  spricht  nun  allmählich  nach,  d.  h.  es  bildet  < 
motorisches  Zentrum  bei  sich  aus,  es  fängt  an,  seine  Spra 
Werkzeuge  nach  dem  sprachlichen  Vorbilde  zu  üben, 
plappert  zunächst  vielleicht  sinnlos  das  Vorgesprochene  na 
hat  also  noch  keine  Verknüpfung  mit  den  Teilvorstellung 
der  Begriffe.  Es  lernt  aber  allmählich  durch  Vergleichen  i 
den  Klangvorstellungen,  die  es  gewonnen  hat,  die  Worte  rieh 
sprechen  und  verknüpft  nun  auch  diese  motorischen  Spra 
Vorstellungen  mit  denTeilvorstellungen  der  Begriffe.  So  bildet  s 
der  gesamte  Kreislauf  der  Sprache  aus.  Wenn  das  Kind  anfäi 
selbständig  zw  sprechen,  so  kann  man  manchmal  im  Zweifel  s< 
ob  das  motorische  Zentrum  von  den  Teilvorstellungen  der  \ 
griffe  aus  direkt,  oder  ob  es  indirekt  über  die  Klangvorstellunj 
erregt  wird.  Vieles  spricht  für  das  letztere.  Die  Bahnen  ni 
lieh,  die  von  den  Teilvorstellungen  der  Begriffe  zu  dem  hk 
rischen  Sprachzentrum  gedacht  werden  können,  sind  an  s 
außerordentlich  schwach  und  locker.  Wenn  wir  auf  der  Stn 
ein  Pferd  sehen,  also  in  uns  die  Vorstellung  „Pferd"  err 
wird,  so  brauchen  wir  durchaus  nicht  gleichzeitig  an  den  W« 
klang  oder  an  die  Wortbewegung  „Pferd**  zu  denken,  es  geni 
daß  wir  das  Pferd  sehen.  Spricht  aber  jemand  von  ein 
Pferde  zu  mir,  so  wird  durch  die  Wortklangvorstellung  ai 
notgedrungen  der  Wortbegriff  erregt,  ich  stelle  mir  dann, 
wie  ich  das  Wort  „Pferd**  höre,  auch  ein  Pferd  mehr  oc 
weniger  deutlich  vor. 


Zur  vtr^iaichenä^i  I^ychah^  d^r  Sßra£ks0rHng'^n. 


165 


Es  sei  nun  ferne  von  mir,  etwa  mit  diesen  Zentra,  die  ich 
Ihnen  hier  hingemalt  habe,  bestimmte  Stellen  der  Hirnrinde 
darstellen  zu  wollen»  ich  will  mich  auf  die  Lokalisation  an  dieser 
Stelle  nicht  einlassen.  Es  ist  aber  gut,  wenn  man  ein  der- 
artiges Schema  festhält,  weil  man  so  bequemer  alle  die  mannig- 
faltigen Störungen  der  Sprache  überblicken  kann, 
k  Wenn  wir  nun  noch  einmal  auf  das  sensorische  Sprach* 
'lentrum  zurückgehen,  so  besteht  es  ja  natürlich  im  wesentlichen 
aus  den  Kiangvorstellungen  der  Worte,  aber  nicht  allein  aus 
ihnen,  denn  das  Kind  achtet  immer  und  unter  allen  Umständen 
lüf  den  zu  ihm  sprechenden  Mund ;  es  nimmt  also  auch  optische 
Vorstellungen  der  gesprochenen  Laute  in  sich  auf,  und  daß 
wir  alle  diese  optischen  Vorstellungen  in  uns  aufgenommen 
haben,  das  sehen  wir  manchmal  in  überraschender  Weise,  ohne 
daß  wir  uns  dieser  Dinge  bis  dahin  bewußt  w^aren.  Wir  sehen 
ei  daran,  daß  wir  einen  Menschen  viel  besser  verstehen,  wenn 
wihn  ansehen,  wir  sehen,  daß,  wenn  wir  im  Theater  sitzen  und 
einen  Schauspieler  nicht  verstehen  können,  wir  fast  unmittel- 
bar das  Verständnis  hervorrufen,  wenn  wir  das  Opernglas  auf 
den  Mund  des  Darstellenden  richten*  Es  ist  gleichsam  eine 
latente  Ablesefähigkeit,  wir  erkennen  an  dem  uns  durch  das 
^Opernglas  genäherten  Munde  die  Lautbewegungen  und  über^ 

etzen  sie  in  die  Lautklänge, 

Wir  müssen   also   eigentlich  das   Perzeptionszentrum   der 
Sprache  teilen  und  rwei  Zentra  daraus  machen  und  zwar  ein  Klang- 

atnim  —  wir  wollen  es  A  nennen  und  ein  Sehzentrum,  wir 

ollen  es  O  nennen,  zu  dem  zwei  Bahnen  führen,  eine  durch 
Gehörnerven,  den  acusticus  und  eine  durch  den  Sehnerven, 
fl^fl  opticus.  Es  sind  aber  auch  dies  noch  nicht  alle  peripher- 
impressiven  Bahnen,  wir  haben  noch  eine  Bahn,  die  sehr  wichtig 

^*  vielleicht  die  wichtigste  von  allen.    Sie  liegt  nämlich   in 

frselben  Bahn,  die  peripber-expressiv  vom  motorischen  Zen- 
_J^um  zu  den  Sprechw^rkzeugen  führt,  nur  muß  sie  als  peripher- 

%€ss!ve  Bahn  rückläufig  gedacht  werden.   Wir  drücken  das 

der  Figur  durch  einen   zentralw^ärts   zeigenden   Pfeil   aus. 

^^^M  ich  spreche,  so  brauche  ich  nicht  zu  hören  und  zu  sehen 

^s  ich  spreche  —  letzteres  könnte  man  jederzeit  im  Spiegel  — 
doch   weiß   ich,  daß   ich   spreche  und  was   ich  spreche, 

pfethcn  Sie  für  sich  selbst  ganz  unhörbar  das  Wort  „Baum** 
^^s,  so  fühlen  Sie,  wie  sich  zunächst  die  Lippen  aufeinander- 


1^  Herfnann  Gutzmann. 

setzen,  wie  Sie  den  Mund  in  die  verschiedenen  Vokalsu 
des  a  und  u  bringen  und  wie  die  Luft  beim  m  durch  d 
fließt.    Offenbar  sind  es  die  Berührungsgefühle  und  < 
schiedenartigen   Lage-   und   Bewegungsvorstellungen 
tikulationswerkzeuge,  die  Ihnen  Kunde  davon  gaben, 
eigentlich  mit  Ihren  Sprachwerkzeugen  anfingen.   Wir 
also  notgedrungen  eine  peripher-impressive  Bahn,  die 
Sprachwerkzeugen  ausgeht,  annehmen,  die  uns  darüber 
was  wir  eigentlich  in  jedem  Augenblick  mit  Zunge, 
Gaumen,  Kehlkopf  etc.  etc.  tun.   Ich  behaupte,  daß  die 
die  allerwichtigste  deswegen  ist,  weil  sie  eigentlich  d 
troUeur  unseres  Sprechens  ist. 

Man  kann  inuner  lesen,  daß  das  Gehör  der  Koi 
der  Sprache  ist.  Freilich,  das  Gehör  bringt  uns  Ku 
das,  was  wir  gesprochen  haben,  mit  der  Sprache  unse 
menschen  übereinstinunt.  Aber  es  ist  durchaus  nicht  d 
troUeur,  denn  seine  Kontrolle  käme  ja  immer  zu  spät,  sie 
ja  erst  dann,  wenn  man  gesprochen  hat,  nicht  im  S] 
Im  Sprechen  selbst  haben  wir  zum  Kontrolleur  der  Bt 
nur  die  vorherbezeichneten  verschiedenen  Arten  des 
sie  sind  imsere  intensivste  und  direkteste  Sprachvori 
Eine  vollständige  Empfindungslähmung  der  Sprachw< 
würde  eine  schwere  Sprachstörung  hervorrufen. 

Nun  gehen  mit  den  akustischen,  motorischen  und  o 
Eindrücken  der  Sprache  natürlich  auch  Gefühlstöne 
und  so  \vie  das  Kind  sich  freute  über  die  lallenden  Lau 
die  es  hervorbrachte,  so  hat  auch  der  ausgebildete  erw 
Sprecher  gewisse  Gefühlstöne,  die  sich  mit  seinen  aku: 
optischen  und  taktilen  Sprachvorstellungen  verknüpfe 

Beim  Kinde  handelt  es  sich  besonders  in  der  ers 
der  Sprachenentwicklung  um  vorwiegend  s  i  n  n  1  i  c  h  e  G  e 
die  teils  treibend,  teils  hemmend  wirken.  Diese  sinnlichen 
wirken,  wenn  auch  nicht  so  deutlich,  auch  bei  der  Spn 
erwachsenen  Menschen.  Dazu  treten  aber  in  viel  st 
Maße  die  intellektuellen  Gefühle:  ästhetische, 
und  sittliche  Gefühle.  So  wird  bei  dem  ausgebildeten  S 
der  begleitende  Gefühlston  von  verschiedenen  Umstäi 
hängig  sein,  deren  einige  ich  Ihnen  hier  nur  kurz  anfüh 

Schon  der  allgemeine  körperliche  und  seelische 
wirkt    außerordentlich    merkbar    auf    die    Sprachprc 


Zur  V€rgMch€nätn  P^ch&iag^  dir  Spfaeksiorungen. 


167 


N 


^ 


^ 


weniger  merkbar  auf  die  Perzeption  ein.  Der  Inhalt  des  Ge* 
sprochenen  hat  naturgemäß  die  allergrößte  Einwirkung  auf  den 
Gefühlston,  Weniger  deutlich  erscheint  von  vornherein  der 
Einfluß  der  Form  des  Gesprochenen.  Wer  aber  selbst  einmal 
vor  einer  Versammlung  frei  gesprochen  hat,  und  sei  es  nur  bei 
Gelegenheit  eines  Toastes  gewesen,  wird  wissen,  wie  sehr  der 
Cefühlston  von  der  Leichtigkeit,  mit  der  man  gerade  seinen  Ge- 
danken wort  liehe  Form  zu  geben  vermag,  abhängig  ist,  wie 
der  erhöhte^  positive  Gefühlston  dann  seinerseits  befreiend^ 
tieibend  und  bahnend  wirkt,  wie  der  herabgesetzte,  negative 
Cefühlston  bei  schlechter,  wenig  befriedigender  Formfindung 
seinerseits  hemmt  und  das  VVeitersprechen  erschwert.  Jeder 
von  Ihnen  wird  diesen  Kampf,  dieses  Wogen  der  Gefühle  kennen 
gelernt  haben,  wenn  er  einmal  gezwungen  war,  Ausführungen 
in  einer  fremden  Sprache  zu  machen,  die  ihm  nicht  ganz  ge- 
läufig war.  Wie  froh  war  er,  wenn  er  seinen  Gedanken  im 
fremden  Idiom  solche  Form  zu  geben  vermochte,  daß  der  Aus- 
länder ihn  ohne  Mühe  verstand,  %vic  fühlte  er  die  Hemmungen 
bei  der  Wortempfindung  schwer,  kam  es  ihm  doch  vor,  als  ob 
eine  Last  ihm  vom  Herzen  fiele,  wenn  er  den  gesuchten  Aus- 
druck endlich  hatte!  Ganz  besonders  empfindet  man  dies  im 
fremden  Lande,  wie  man  andrerseits  nach  genügander  Aus- 
bildung in  der  fremden  Sprache  geradezu  schwelgt  und  jede 
Gelegenheit  sucht,  seine  Kenntnisse  an  den  Mann  zu  bringen. 
Auch  die  LTmgebung  hat  wesentlichen  Einfluß  auf  unseren 
Gefühlston  beim  Sprechen,  der  lebhaft  schwankt,  je  nachdem 
uns  unsere  Umgebung  angenehm  oder  unsympathisch  ist*  Das 
ist  selbst  bei  dem  Zwiegespräch  der  Fall.  Der  Stimmklang, 
die  Schnelligkeit  oder  Langsamkeit  des  Antwortenden,  die 
Fornij  in  der  uns  Antwort  ^erteilt  wird,  und  vieles  andere  gibt 
d^r  Perzeption  einen  mehr  oder  weniger  starken  positiven  oder 
negativen  Gefühlston  mit.  Wer  ruhig  und  wohlklingend,  gut 
*ccentuiert  und  deutlich  spricht,  dem  hören  wir  gern  zu,  der 
beeinflußt  auch  unsere  Antwort  in  gleichem  Sinne ;  der  blasierte^ 
^selnde,  undeutlich  und  abgerissen  parlierende  Schwätzer 
stitnint  unseren  Gefühlston  so  stark  herab,  daß  wir  uns  unter 
l^'^ständen  nicht  einmal  zu  einer  Antwort  aufraffen  können* 
*^^^z  absehen  will  ich  hier  von  peinlichen  Situationen  u.  a.  m. 
Wenn  nun  alles  dies  schon  bei  dem  Normalsprechenden 
^  Wesentlich  einwirkt,  so  werden  die  Verhältnisse  noch  viel 


]58  Hermann  GuUmann, 

komplizierter  bei  Sprachstörungen.  Daß  die  negativen  Gefüh 
töne  hier  überwiegen,  erscheint  von  vornherein  klar,  und  dcx 
gibt  es  auch  hier  Ausnahmen,  wie  wir  alsbald  sehen  werde* 

Wenn  Sie  wieder  auf  das  Schema  blicken,  so  erscheint  di 
Einteilimg  bei  Sprachstörungen  in  peripher-impressive,  zentral 
imd  peripher-expressive  als  die  natürlichste.  Wir  wollen  nu- 
einige  aus  jeder  dieser  drei  Gruppen  von  Sprachst^ 
rungen  nicht  nur  in  bezug  auf  die  Störungen  ihrer  Bah 
nen  und  Zentra,  sondern  auch  bezüglich  der  bei  ihnei 
auftretenden  Gefühlstöne  uns  etwas  näher  ansehen.  Vo: 
vornherein  muß  ich  dabei  auch  gleich  bemerken,  daß  eine  auc 
nur  annähernde  Vollständigkeit  in  einem  Vortrage  nicht  ei 
reicht  werden  kann.  Es  kann  sich  heute  also  nur  darum  handeb 
Ihnen  einen  Überblick  über  die  Mannigfaltigkeit  und  Vielseitij 
keit  dieser  Erscheinungen  zu  geben. 

Beginnen  wir  zunächst  mit  den  peripher-impressive 
Sprachstörungen,  so  ist  die  bekannteste  derselben  di 
Taubstummheit.  Sie  entsteht,  wenn  entweder  von  Gebu: 
an  Taubheit  vorhanden  ist  oder  im  Kindesalter,  im  viertel 
fünften  Jahre,  manchmal  noch  später,  Taubheit  eintra 
Es  kann  sogar  noch  Taubstummheit  entstehen,  wenn  di 
Taubheit  vor  der  Pubertätsentwicklung,  also  vor  dem  14.  Jahn 
sich  einstellt.  Nun,  der  Taubstunmie  würde  ja,  wenn  wir  uu 
ein  Bild  seiner  Sprachstörung  hier  nach  unserem  Sehern 
machen  wollen,  die  akustische  Bahn  und  damit  notwendige: 
weise  die  akustischen  Teilvorstellungen  entbehren.  Er  kan 
aber  eine  große  Reihe  von  anderen  Teilvorstellungen  aufbauei 
die  die  Begriffe  mit  Ausnahme  der  akustischen  Teilvorste 
lungen  sehr  wohl  bilden  lassen. 

Die  Erziehung  des  Taubstummen  ist  bekannt :  er  lernt  m 
den  beiden  peripher-impressiven  Bahnen,  die  ihm  noch  übri 
sind,  der  optischen  und  der  taktilen,  seine  Sprache  entwickeh 
so  daß  er  imstande  ist,  wenn  er  die  Taubstummenanstalt  durcl 
gemacht  hat,  so  viel  zu  sprechen  und  so  viel  vom  Munde  de 
Sprechenden  abzulesen,  daß  er  sich  im  Leben  verständige 
kann,  daß  er  also  als  praktisch  brauchbarer  Mensch  in  da 
Leben  hinausgeht. 

Bei  dem  kleinen  Kinde  und  auch  bei  dem  in  der  Schul 
befindlichen  Taubstummen  zeigen  sich  nun  sehr  wenige  Sti 
rungen  in  bezug  auf  die  Psyche.     Das  Kind  empfindet  noc 


Zur  vergleichenden  Psychologie  der  Sprachstörungen.  169 

nicht  viel  von  seinem  Mangel.    Gleichwohl  merkt  man,  mit 
welcher  Freude  ein  taubstummes  Kind  das  erste  Wort  spricht, 
wenn  es  gelernt  hat,  was  dieses  Wort  bedeuten  kann,  denn  bis 
es  dahin  konmit,  macht  es  ja  eine  Menge  von  rein  mechanischen 
Artikulationsübimgen.    Nehmen  wir  an,  es  handle  sich  um  das 
Wort  „Baiun".    Das  Kind  hat  die  Vokale  a  und  u  sowie  ihre 
Verbindung  zu  „au",  das  b  und  das  m  artikulieren  gelernt,  es 
fühlt  die  Explosion  bei  b,  sah,  daß  die  Lippen  dabei  geschlossen 
und  geöffnet  werden,  fühlte  daß  die  Nasenwand  beim  m  er- 
zitterte, sah  und  fühlte  die  Bewegungen  der  Artikulation  und 
des  Stinunorgans  bei  a  und  u.    Nun  kann  es  die  Verbindung 
„Baum"  nicht  nur  sprechen,  sondern  auch  vom  Munde  des 
Lehrers  „ablesen".    Es  fehlt  also  nur  noch  die  Verknüpfung 
des  mechanischen  Sprechvorganges  mit  dem  Begriff  „Baum". 
Diesen  Begriff  hat  es  aber  schon,  die  Verknüpfung  wird  mittelst 
eines  Bildes  oder  eines  wirklichen  Baumes  hergestellt.    Der 
Lehrer  zeigt  auf  den  Baum  und  spricht  „Baum".    Das  Kind 
»igt  ebenfalls  und  wiederholt  das  Wort.    Dann  leuchten  seine 
Augen  und  das  Kind  freut  sich  seiner  Erkenntnis.    Es  freut 
sich,  wenn  es  zimi  erstenmal  „Papa"  und  „Mama"  sagen  und 
^ar  mit  Verständnis  sagen  kann.    Es  zeigen  sich  da  recht 
starke  positive  Gefühle  und  die  Freude  teilt  sich  ja  auch  den 
Angehörigen  des  Kindes  mit. 

Anders  verhält  es  sich  mit  einem  erwachsenen  Taub- 
stummen, Er  merkt  doch  die  unangenehme  Lage,  in  die  ihn 
sein  Übel  bringt.  Aber  das  ist  nicht  bei  allen  der  Fall,  ja  es 
gibt  sogar  Taubstumme,  die  sich  für  bevorzugte  Menschen 
Wten  und  die  von  der  Überzeugung  durchdrungen  sind,  daß 
^,  was  sie  leisten,  mehr  ist,  als  was  andere  leisten.  Sie 
l^ben  ein  gewisses  Selbstbewußtsein,  das  sich  darauf  gründet, 
^  sie,  obwohl  mit  weniger  Sinnen  ausgerüstet,  zu  den  gleichen 
Leistungen  befähigt  sind,  wie  die  Vollsinnigen.  Der  Ausfall 
^er  akustischen  Bahn  ist  aber  für  den  gesellschaftlichen  Ver- 
kehr ein  großer  Mangel  und  der  Taubstumme  hat  deswegen 
einen  gewissen  horror  davor,  sich  den  anderen  Menschen  anzu- 
schließen. Er  ist  nüt  Vorliebe  mit  Taubstummen  zusammen,  höchst 
sehen  heiratet  er  eine  Hörende,  meist  eine  Taubstumme.  Daß 
^urch  die  Nachkommenschaft  nicht  bevorzugt  wird,  ist  ja 
klar.  Andererseits  ist  der  von  früh  auf  Taubstumme  bei 
^eitern  nicht  so  schlimm  daran,  als  der  Ertaubte  und  Schwer- 


t 


170  Hermann  Gutzmann. 

hörige,  dessen  Leiden  erst  nach  voller  Entwicklung  der  Spra 
später  entstand,  denn  dieser  kennt  den  Wert  des  Gehörs,  \ 
weiß  genau  zu  schätzen,  was  er  verloren  hat. 

Die  zentralen  Sprachstörungen,  von  denen  ich: 
einige,  die  wichtigsten  und  häufigsten,  hier  besprechen  möcl 
sind  zum  Teil  ebenfalls  auf  direkte  schwere  Zerstörungen  der 
treffenden  Bahnen  und  Zentra  zurückzuführen.  Manchmal 
das  aber  auch  nicht  der  Fall.  Eine  Sprachstörung,  die  auf 
ordentlich  verbreitet  ist  und  die  man  überall  hören  kann, 
in  den  Schulen  außerordentliche  Störungen  bei  Entwicklimg  \ 
Unterricht  der  Kinder  macht,  das  Stottern,  zeigt  zunäc 
keine  Zerstörung  irgend  einer  besonderen  Bahn,  es  sind  i 
Bahnen  vorhanden.  Auch  die  Verknüpfungen  zwischen  sei 
rischem  Zentnmi  und  den  Teilvorstellungen  einerseits,  zwisc] 
diesen  und  dem  motorischen  Zentrum  andrerseits  sind  ^ 
banden.  *  Nur  gelingt  es  ihm  nicht,  von  dem  motoriscl 
Zentnmi  aus  die  Bewegungen  der  Sprachwerkzeuge  so 
zu  koordinieren,  daß  die  Sprachwerkzeuge  richtig  ineinam 
greifend  funktionieren.  Es  scheint  so,  als  ob  die  zu  einer  koo 
nierten,  gut  abgestuften  Bewegung  nötige  normale  Hemmu 
die  stets  vorhanden  sein  muß,  ihm  fehlt.  Man  kann  oft  höi 
daß  der  Stotterer  unter  gewissen  Umständen  ganz  fließ< 
spreche  und  nur  zu  gewissen  Zeiten  stottere,  z.B.  wenn  er  in  \ 
legenheit  gebracht  wird  oder  wenn  es  sich  imi  eine  bestimi 
Sache  handeln,  die  ihm  peinlich  ist.  Es  ist  aber  ein  Irrtum 
glauben,  daß  der  Stotterer  in  den  anfallsfreien  Zeiten  wirk] 
richtig  spricht.  Das  tut  er  nie.  Ich  selbst  habe  sehr  zahlrei 
Stotterer  nicht  bloß  gesehen,  sondern  behandelt  und  monateh 
in  meiner  Gesellschaft  gehabt,  weit  über  3000,  und  kenne  sie  a 
in  allen  Einzelheiten  recht  genau.  Ich  habe  nie  einen  Stotte 
gesehen,  der  dann,  wenn  er  glaubte,  fließend  zu  Sprech 
wirklich  fließend  sprach  und  wirklich  gar  keine  fehlerhaf 
Bewegungen  machte.  Man  muß  nur  genau  untersuch 
Nimmt  man  die  graphischen  feineren  Untersuchungsmetho< 
zu  Hilfe,  so  findet  man  auch  bei  scheinbar  fließendem  Sprecl 
falsche  Bewegungen,  sie  sind  nur  nicht  so  auffallend,  wie  b« 
wirklichen  Anstoßen.  Ich  identifiziere  demnach  Stottern  ni 
mit  Anstoßen.  Es  kann  jemand  stottern,  ohne  anzustoßen, 
habe  eine  ganze  Anzahl  Stotterer  behandelt,  die  niemals 
gestoßen  haben,  wenigstens  nicht  in  meiner  Gegenwart. 


Zur  vergUuhemiim  Psyck&hgi^  der  Sprachstärungvn, 


171 


sagten,  sie  fühlten  einen  eigenartigen  Zwang  der  Sprache»  es 
ginge  nicht  so  frei,  wie  sie  eigentlich  wünschten.  Ich  bemerke 
dabei^  daB  das  meist  Erwachsene  waren,  die  nur  durch  große 
Willensanstrengung  es  dahin  gebracht  hatten,  die  stärksten 
Anstöße  zu  unterdrücken. 

Das  Stottern  ist  ein  proteusartiges  ÜbeL  Ich  kenne  nicht 
Ewei  ganz  gleichartige  Stotterer,  ja  es  kommt  vor,  daß 
mehrere  Geschwister  stottern,  daß  es  einer  vom  andern  gelernt  und 
doch  jeder  seine  Eigentümlichkeiten  hat.  Immerhin  kann 
man  die  Gesamtmasse  der  Stotterer  nach  gewissen  Gesichts- 
punkten gruppieren,  eine  Gruppierung,  die  für  die  psycholo- 
gische Beurteilung  der  einzelnen  Fälle  sehr  wichtig  ist.  Erstens 
gibt  es  eine  Gruppe  von  unaufmerksamen  Stotterern ;  die  finden 
Sie  besonders  bei  den  stotternden  Schulkindern,  Diese  Kinder 
fernen,  wenn  sie  die  Aufmerksamkeit  auf  die  sprachlichen  Vor- 
gänge richten,  leicht  richtig  sprechen.  Das  ist  das  Gros  der 
Stotteren  Sehr  interessant  sind  solche  Stotterer,  wenn  sie  in 
die  Sprechstunde  kommen.  Der  Knabe,  der  bis  dahin  zu 
^inea  Ehern  mit  der  größten  Schwierigkeit  gesprochen, 
d^r  in  der  Unterhahung  mit  seinem  eigenen  Vater  angestoßen 
^tie,  spricht,  weil  er  sich  zusammennimmt  und  weil  er  eine 
g^^wissc  Energie  anwendet,  da  er  dem  Arzt  gegenübergestellt 
wird,  vor  dem  er  meist  auch  etwas  Angst  hat,  mit  großer  Auf- 
merksamkeit imd  —  stottert  zum  größten  Erstaunen  der  An- 
gehörigen, die  ihn  begleiten,  nicht.  Hier  handelt  es  sich  nicht 
^tH'a  um  Suggestion  u.  dgL  Derartige  Stotterer  stottern  auch 
^*cht,  wenn  man  sie  das  eben  noch  stotternd  Gesprochene 
Wiederholen  läßt.  Das  sind  diejenigen  Stotterer,  bei  denen  die 
*^^nimreisenden  Routiniers  und  Charlatane  ihre  Scheinerfolge 
^i*2ielen,  Erfolge,  die  natürlich  nicht  von  Dauer  sind,  da  zur 
Behandlung  eine  intensive  Beeinflussung  der  gesamten  Energie 
des  Patienten  gehört*  Das  läßt  sich  nicht  in  ein  paar  Wochen 
^reichen^  und  das  Übel  ist  nach  kurzem  Scheinerfolge  bald 
<^er  da. 

Die  zweite  Gruppe  sind  diejenigen,  die  ich  spastische 
•^^otterer  nenne^  bei  denen  die  Spasmen  so  heftig  sind,  daß 
S^rade  die  geringste  Aufmerksamkeit  auf  den  sprachlichen  Vor- 
^^ng  das  Stottern  her\'orbringt  und  manchmal  ganz  ungeheuer- 
*^^h  verstärkt.  Das  sind  diejenigen  Stotterer,  die,  wenn  sie 
^  ihre  Sprache  denken^  nicht  von  der  Stelle  kommen.    Wenn 


w 


172  Hermann  GuUmann. 

sie  nicht  daran  denken,  der  Willensreiz  wegfällt,  dann  tritt 
oft  eine  Erleichterung  und  relativ  gutes  Sprechen  ein. 

Die   dritte  Gruppe   der  Stotterer   wird   durch   diejenigeni 
repräsentiert,  bei  denen  im  Laufe  der  Zeit  psychische  Neben- 
störungen   eintreten,    hervorgegangen    aus    dem    Gefühl    der 
Minderwertigkeit  den  normalen  Sprechern  gegenüber.  Das  Be- 
wußtsein, nicht  alles  sagen  zu  können,  was  man  will,  infolge- 
dessen die  Angst  vor  dem  Sprechen,  die  Verlegenheit,  alles 
dieses  sind  sekundäre  Erscheinungen.   Sie  können  sehr  stark 
vorhanden   sein,    können    aber    auch  vollständig  fehlen.     Bei 
Kindern  fehlen  sie  meistens;  ein  Kind  von  vier,  fünf  Jahren, 
wird    höchst    selten    diese    psychischen    Nebenerscheinungen^ 
aufweisen.    Erst  in  der   Schule   ist  die   Gelegenheit  zur  Ent- 
stehung derselben   gegeben,    das    Kind   wird    seinen   normal- 
sprechenden  Mitschülern  gegenüber  exponiert  und  fühlt  dann 
seinen    Sprechmangel,     besonders    wenn    noch    Necken    und 
Nachspotten  der  Kameraden  dazu  kommt.  Dann  sind  die  nega- 
tiven Gefühle  e'ben  überwiegend  und  es  ist  augenscheinlich, 
daß  dies  seinerseits  wiederum  auf  die  Sprache  hemmend  ein- 
wirkt.   Es  ist  wie  in  einem  circulus  vitiosus. 

Die  psychischen  Neben  Vorgänge  können  aber  auch  voll- 
ständig fehlen,  ja  sogar  bei  erwachsenen  Stotterern.  Ich  habe 
eine  ganze  Anzahl  Erwachsener  kennen  gelernt,  die  gar  nicht 
wußten,  was  Verlegenheit,  Angst  vor  dem  Sprechen  bedeutet. 
So  hatte  ich  einen  guten  Freund,  einen  jüngeren,  vor  kurzem 
gestorbenen  Dichter,  der  den  meisten  von  Ihnen  dem  Namen 
nach  bekannt  gewesen  ist.  Er  war  bei  mir  in  Behandlung,  die 
ihm  bei  seiner  Gleichgültigkeit  dem  Übel  gegenüber  nichts 
nützte,  nach  vier  Wochen  mußte  ich  sie  aufgeben.  Er  war 
aber  durch  sein  Sprachübel  durchaus  nicht  etwa  bedrückt,  hatte 
keine  Angst  vor  dem  Sprechen;  im  Gegenteil.  Ich  habe  nie 
gesehen,  daß  er  in  einer  Gesellschaft  gewesen  wäre,  wo  er 
nicht  das  erste  Wort  geführt  und  die  Unterhaltung  an  sich 
gerissen  hätte.  Ja,  seine  Kühnheit  und  Gleichgültigkeit  gegen 
das  Übel  ging  so  weit,  daß  er  einmal  einen  öffentlichen  Vortrag 
gehalten  hat,  in  dem  die  Zuhörer  unendliche  Qualen  aus- 
standen. Er  selbst  fühlte  durchaus  keine  GSne;  dabei  war  er 
ein  Mann,  der  sehr  genau  über  seine  Empfindungen  Auskunft 
geben  konnte. 


Zur  v^rj^leich^HiUn  J^cA&iog^t^  der  Sprachsti^rung^n. 


173 


Ein  Gymnasial-Oberlehrer,  der  in  meine  Behandlung  kam, 
stotterte  furchtbar.    Er  war  in  meiner  Klinik,  dort  führte  er 
das  Tischgespräch  imd  riß  die  Unterhaltung  sofort  an  sich, 
dabei  stotterte  er  so,  daß  er  bei  den  gewaltsamen  Konsonanten- 
Explosionen  sogar  Speichel  verspritzte  und  ich  ihm  das  Sprechen 
^imächst  untersagen  mußte.    Dies  war  ihm  aber  alles  gleich- 
ffükig.   Er  war  nur  14  Tage  in  meiner  Klinik;  gleich  zu  Beginn 
niußte  ich   ihm  ein  Zeugnis  ausstellen,  daß  er  in  meiner  Be- 
handlung sei.    Als  er  daraufliin  seine  definitive  Anstellung  be- 
kommen hatte,  erklärte  er,  daß  er  nur  zum  Zweck  jenes  für 
seine  definitive  Anstellung  notwendigen  Zeugnisses  zu  mir  ge- 
ionimen  sei.  Jetzt  habe  er  erreicht,  was  er  wollte.    Sein  Sprech- 
übel  sei  ihm  gleichgültig,  ihn  geniere  es  nicht,  und  er  ziehe  vor, 
seinen  Urlaub  in  den  Alpen  2U  verbringen*  —  Sie  sehen  also, 
wie  verschiedenartig  die  Erscheinungen  bei  den  Stotterern  sind, 
Nun  zu  einer  anderen  Sprachstörung,  der  Hörstumm- 
heit. Ich  erinnere  Sie  daran,  daß  das  sprechenlernende  Kind  zu« 
nächst  nicht  spontan  spricht,  sondern  daß  sich  erst  eine  gewisse 
2eit   lang  die  erregenden  Reize  im  Klangzentrum  aufstapeln,  bis 
s<^hließhch  gleichsam  der  Druck  vom  Perzeptionszentriim  aus 
so  stark  wird,  daß  das  Kind  anfängt,  zunächst  nachzusprechen 
*^d   dann  spontan  zu  sprechen.    Bis  zu  dieser  Zeit  ist  das  Kind 
^^Urnrn,  es  perzipiert  nur,  was  in  der  Umgebung  gesprochen 
^i^d.    Es*  kann  nun  sehr  wohl  vorkommen,  daß  das  Kind  bei 
^^incn  Nachsprechversuchen  Malheur  hat.   Es  findet  beim  Ver- 
ßJ^ichen  mit  dem  Ohre,  daß  sein  eigenes  Sprachprodukt  nicht 
^     Idingt,  wie  das,   was  die   Umgebung   vorsprach,   und  das 
^'^Ict  auf  manche  Kinder  deprimierend,  so  daß  sie  manchmal 
^^t^atelang  stimim  bleiben.    In  allen  diesen  Fällen  ist  es  gut, 
^^^    Kind  ruhig  sich  selbst  zu  überlassen,  es  fängt  von  selbst 
*'^'^cier  zu  sprechen  an.   Es  kann  aber  auch  sehr  wohl  sein,  daß 
^^     stark  eintretenden  Unlustgefühle  eine  so  starke  Hemmung 
^^^hen,  daß  die  weitere  Entwicklung  der  Sprache  zunächst 
^^^^lit  mehr  vor  sich  geht,  und  nun  bleibt  das  Kind  zunächst 
^''^^^nm:  es  ist  hörstumm. 

Andrerseits  kann  es  vorkommen,  daß  es  auf  die  sprech- 

^^^^genden  Reize  nicht  stark  genug  reagiert,  daß  es  selbst  eine 

"^*^  Faulheit   zeigt.     Es  versteht   schon   lange  alles  und  erst 

E^-Hi  allmälilich  bequemt  es  sich  endlich,  nun  auch  nachzu- 

•^^^^^-ntn,  was  sich  ihm  darbietet,  und  spontan  ein  Wort  hervor 


174  Hermann  GuUmann, 

zubringen.  Die  Kinder  zeigen  demnach  keine  rechte  Lust  an 
der  Sprachbewegung.  Es  ist  sehr  interessant,  daß  diese  Lust 
an  der  Sprachbewegung  bei  den  verschiedenen  Geschlechtem 
verschieden  ist.  Das  weibliche  Geschlecht  zeigt  eine  weit 
größere  Neigung  dazu  und  hat  viel  mehr  Freude  am  Sprechen. 
Die  Frau  ist  uns  hierin  bei  weitem  überlegen,  ihre  sprachliche 
Geschicklichkeit  ist  auch  in  gewissen  somatischen  Geschlechts- 
unterschieden begründet:  Daß  die  Zungenmuskulatur  des 
Weibes  nicht  bloß  relativ  sondern  auch  absolut  die  des  Mannes 
übertrifft,  ist  offenbar  eine  Folge  der  Übung.  Das  kleine  Kind 
zeigt  schon  das  Gleiche.  Knaben  sind  sprachlich  viel  häufiger 
gehemmt  als  Mädchen.  Die  Unlust  ist  also  sehr  häufig  eine 
Ursache  dieser  Hemmung,  tmd  umgekehrt  entsteht  die  Unlust 
wieder  dadurch,  daß  das  Kind  nicht  richtig  nachsprechen  kann 
und  dies  schwer  empfindet. 

Eine  sehr  schwer  einschneidende  Störung  ist  die  moto- 
rische Aphasie,  wenn  durch  irgend  eine  organische  Störung 
im  Gehirn  das  motorische  Sprachzentrum  ausfällt.  Es  ist  klar, 
daß  ein  solcher  Patient  alles  versteht,  aber  nichts  nachsiprechen, 
noch  auch  spontan  sprechen  kann.  Die  Übungen  nun,  die  man 
anstellt,  um  andere  Teile  im  Gehirn  als  Ersatz  heranzuziehen, 
sind  in  vieler  Beziehung  psychologisch  interessant.  Es  zeigt 
sich  nämlich  sehr  oft,  daß  der  Betreffende  schließlich  noch 
einige  Worte  übrig  hat,  daß  er  beispielsweise  ganz  gut  auto- 
matisch Worte  anwendet,  wie  z.  B.  für  die  Bejahimg  Ja  und 
für  die  Verneinung  Nein.  Ja  und  Nein  sind  aber  keine  gewöhn- 
lichen Worte,  da  sie  keinem  speziellen  Begriffe  entsprechen, 
sondern  sie  sind  eine  automatische  Verknüpfung  mit  Affir- 
mation resp.  Negation.  Das  sieht  man  am  besten  in  diesen 
pathologischen  Zuständen.  Ich  habe  einen  Aphasiker  behandelt, 
der  Ja  und  Nein  richtig  anwandte,  der  aber  nicht  imstande 
war,  „Ja**  nachzusprechen;  das  Wörtchen  fiel  also  automatisch 
richtig  heraus:  er  wollte  bejahen  und  sagte  „Ja",  wollte  ver- 
neinen und  sagte  „Nein**,  war  aber  nicht  imstande,  die  Artiku- 
lation dieser  Wort chen  willkürlich  nachzuahmen.  Ebenso  bleiben 
auch  andere  automatische  Sprachbewegungen  häufig  vorhanden. 
So  wird  ja  leider  das  Beten  unseren  Kindern  von  Jugend  auf 
mechanisch  beigebracht,  sie  lernen  beten,  ohne  den  eigentlichen 
Sinn  und  Gedanken  aller  Worte  logisch  zu  erfassen.  Das  Beten 
wird  zur  automatischen  Tätigkeit  ganz  besonders  bei  Leuten,  die 


Zur  v^rgimck^ftden  F$vcköl&^  tUr  Sptaekiidntnf^wi. 


175 


es  ^ur  Lebensgewohnheit  machen,  bei  Betschwestem  oder  Berufs* 

beierinnen.     Dieses   rein  mechanische  Beten  kann   auch    bei 

totaler  Aphasie  bestehen  bleiben.   So  hat  ein  Assistent  von  mir 

einen  Fall  veröffentHcht,  der  sich  auf  eine  alte  73  jährige  Dame 

mit  absoluter  motorischer  Aphasie  bezog.    Gab  man  ihr  einen 

Rosenkran2,  so  betete  sie  Vaterunser  und  Ave  Maria  fließend, 

aber  sie  war  nicht  imstande  „Vater**  willkürlich  nachzusprechen* 

Femer  ist  bekannt,  daß  das  Fluchen  sich  eigentlich  genau  ebenso 

amomatjsch  vollzieht  und  bei  motorischen  Aphasien  oft  noch 

gut  vorhanden  ist.  Sagt  man  „Himmelkreuzschockschwerenot", 

so  denkt  man  weder  an  den  Himmel,  noch  an  das  Kreuz  usw., 

^sondern  man  macht  eine  automatische  Sprachbewegung. 

^m      Sie    sehen    also:    automatisch    können    die    Sprechbewe* 

■jungen  bei  motorischer  Aphasie  vorhanden  sein,  es  fehlen  nur 

^äie  willkürHchen  Artikulationen.    Von  sonstigen  psychologisch 

interessanten    Phänomenen   bei   motorischer  Aphasie  will   ich 

nur  eins  erwähnen.    Wenn  man  einem  Aphasiker,  der  lange 

Zeit,  jahrelang,  nicht  sprechen  konnte,  durch  viele  Mühe  und 

^Arbeit  wieder  beigebracht  hat,  ein  Wort  nachzusprechen,  z.  B. 

^päs  Wort  j, Stuhl",  so  ist  er  damit  noch  nicht  imstandej  spontan 

^^.iStuhr'  zu  sprechen.   Da  zeigt  sich  denn  eben,  daß  die  Bahnen, 

die  von  den  Teil  Vorstellungen  zu  diesem  neu  gebildeten  moto- 

J^jschen  Zentrum  führen,  doch  sehr  schwach  sind.    Dagegen 

^nacht  er  den   Klang  richtig  nach   und   verknüpft  mit    dem 

Klange  auch  richtig  den  Begriff  ,,Stuhr'.    Daher  ist  man  ge- 

^^*^gen,  nachdem  man  das  Wort  ,jStuhr*  mit  ihm  geübt  hat, 

a^h  noch  das  Bild,  den  Begriff  „Stuhl**  mit  der  neuen  Wort- 

b^wegungsvorstellung  zu  verknüpfen.    Das  geschieht  am  besten 

^t  beim  Taubstummen  durch  Anschauungsbilder.    Ich  klebe 

kleine  bildliche  Darstellungen  in  ein  Vokabelheft  und  schreibe 

^  zugehörige  Wort  daneben.    Nun  muß  er  Schrift  und  Bild 

^sammenhalten   und  so   wie   man   Vokabeln    lernt,   die   Ver- 

feüpfung  des  Begriffes  mit  der  neugelernten  Wortbewegung 

«ioüben. 

Die  Gefühlstöne  sind  natürlich  rein  negativ^  besonders 
*CQn  der  eingetretene  Intelligenzdefekt  nicht  groß  ist,  empfindet 
^  Kranke  seine  Lage  äußerst  peinlich,  da  er  fortwährend 
ach  Worten  sucht,  sie  aber  nicht  aussprechen  kann.  Jeder 
retfuch  mißglückt  imd  der  Kranke  verzweifelt  schließlich.  Es 
>äre  für  ihn  aber  doch  einlach,  z.  B.  „Brot"  anzudeuten^  in- 


176  Hermann  Gutzmann. 

dem  er  die  Eßbewegung  oder  das  Brotschneiden  mit  der  Ge- 
bärde wiedergibt.  Er  ist  zu  ungeduldig,  zu  eilig,  sein  Leidens- 
zustand  veranlaßt  ihn  zu  Bewegungen,  die  keiner  versteht. 
Würde  ihm  zunächst  eine  natürliche  Gebärdensprache  für  alle 
praktischen  Bedürfnisse  des  täglichen  Lebens  beigebracht,  sc 
wäre  schon  viel  gewonnen,  und  die  gemütliche  Depression  würd< 
von  selbst  wesentlich  geringer. 

Viel  schwerer  ist  die  Depression  noch  bei  der  senso 
rischen  Aphasie.  Der  Kranke,  dem  das  Klangzentrum  de: 
Sprache  fehlt,  hört  noch  ganz  gut,  er  hört  z.  B.  noch  Musik 
aber  er  versteht  nicht  mehr,  was  gesprochen  wird.  Die  Wort 
klänge  finden  kein  Echo  bei  ihm,  sie  sind  ihm  wie  das  Lau. 
gewirr  einer  ganz  fremden  Sprache,  er  ist  wort  taub.  Dies 
Patienten  sind  natürlich  viel  schwerer  dran,  weil  sie  sets  glaube^ 
aus  Dingen,  die  andere  sprechen,  etwas  herauszuhören,  w-i 
gar  nicht  gesagt  wurde. 

Bei  bestehenden  Resten  des  Worthörvermögens  zeigt  si^ 
häufig  eine  psychologisch  recht  interessante  Erscheinung.  P^ 
Vorsprechen  werden  sinnähnliche  Worte  geantwortet,  die  Aj- 
Begriff  zwar  nicht  ganz  geben,  aber  ihm  verwandt  sind,  t 
antwortet  der  Patient  auf  das  vorgesprochiene  Wort  „Licht"  n 
„Lampe**,  auf  „Tinte**  mit  „Feder**  u.  a.  m.  Oppenheim  und  W^ 
phal  haben  bereits  darüber  Beobachtungen  angestellt,  ich  hsi. 
bei  den  wenigen  sensorischen  Aphasikem,  die  ich  behandelt 
das  Gleiche  gefunden.  Auch  das  therapeutische  Verfahren  bei  se 
sorisch  Aphasischen  ist  psychologisch  interessant.  Es  bleil 
zum  Verständnis  des  Gesprochenen  ein  Weg  übrig,  das  ist  dt 
optische.  Wenn  der  Patient  diesen  bewußt  benutzen  lernt,  daa 
ist  ihm  geholfen.  Dieser  neue  Perzeptionsweg  kann  ihm  durcj 
das  „Ablesen  vom  Munde**  beigebracht  werden  und  nun  ist  e 
höchst  interessant,  daß  auf  diese  Weise  auch  die  Reste  des 
eventuell  noch  vorhandenen  Hörweges  weit  mehr  ausgenutzt 
werden.  Hatte  der  sensorisch  Aphasische  das  Ablesen  von 
Munde  einige  Zeit  geübt,  und  sprach  ich  nun  zu  dem  Patientei 
so,  daß  er  zwar  meinen  Mund  sah,  aber  meine  Worte  nich 
hörte,  dann  ging  das  Ablesen  der  Länge  der  Übung  ent 
sprechend  mehr  oder  weniger  schwerfällig.  Ließ  ich  ihn  dam 
sich  umdrehen  und  sprach  laut,  so  war  die  Störung  ebenso 
stark  wie  vor  Beginn  der  Behandlung.  Er  hörte  oder  appei 
zipierte  wenig  oder  nichts.  Ließ  ich  ihn  nun  sich  umdrehen  un< 


Sur  Tergiifthin^n  Ps^ohgie  der  SprachsiSrungwit. 


m 


sah  die  Wortbewegungen  und  hörte  die  Wortklänge  gleich- 
£itig,  dann  ging  es  mit  dem  Antworten  resp.  Nachsprechen 
anz  glatt.  Daraus  folgt,  daß  die  bewußte  Einübung  der  opti- 
:hen  Bahn  die  Reste  der  akustischen  PerEeptionsbahn  resp, 
des  Ferzeptionszentrums  weit  stärker  zum  Anklingen  brachte, 
als  die  alleinige  Benutmng  des  akustischen  Weges  vermochte* 
andrerseits  unterstützten  die  Reste  des  akustischen  Weges  die 
>tjsch€  Wortperzeption  ganz  ungemein.  Es  handelte  sich  also 
bei  der  Anwendung  beider  Bahnen  nicht  um  eine  einfache 
Addiiion  der  Sinneseindrücke,  sondern  mehr  um  eine  Multi- 
plikation. 

Der  sensorische  Aphasiker  ist,  wie  ich  schon  vorher  sagte^ 

N^'f  hst  deprimiert,  er  ist  geradezu  mißtrauisch  gegen  seine  Um* 

geijung.    Er  hat  schwer  unter  seinem  Übel  zu  leiden  und  man 

kann  sich  nicht  wundern,  wenn  er  infolgedessen  ein  schwer 

reizbarer  Mensch  ist,  mit  dem  schlecht  ist,  Kirschen  zu  essen^ 

*sonders   bei   den   ersten    Ühungs versuchen.     Das   erschwert 

^e    Behandlung   manchmal   in   höchst   unangenehmer  Weise. 

Verlassen  wir  nun   die  zentralen  und   werfen  noch  einen 

Ischen  Blick  auf  die  peripher -expressiven  Sprachstö* 

pUBgen,  so  sind  bei  diesen  physische  Störungen  nicht  häufig 

^nzutTeffen.    Sie  glauben  gar  nicht,  wie  gleichgültig  es  manch 

pnem  Patienten  ist,  ob  er  durch  die  Nase  spricht,  ob  er  lispelt 

i^r  mit  der  Zunge  anstößt.    Es  gibt  viele  Menschen,  denen 

^s  durchaus  nichts  ausmacht,  ja  viele,  die  es  gar  nicht  einmal 

Jerken.  daß  sie  einen  Sprachfehler  haben.  So  habe  ich  eine 

-■*iiie  in  meiner  Sprechstunde  gehabt,  die  mir  ihr  kleines  Mad- 

^^^n  brachte,  das  mit  einem  sehr  schweren  Aussprachefehler 

-^haftet   war.    Es  sprach  das   S   seitwärts  aus.     Am   Schluß 

\^^   Untersuchung  sagte  die  Mutter:    ,Jch  weisch  gar  nicht, 

^*i  wem  dasch  Kind  esch  hat!"    Sie  selbst  hatte  denselben 

[^hler  wie  ihr  Töchterchen,   ja  noch   stärker,  es  wäre  aber 

tlich  nicht  klug  gewesen^  ihr  das  von  vornherein  zu  sagen. 

Aber  auch  peripher  expressive  Sprachstörungen  haben  psy- 

*>schc   Nebenerscheinungen,     Gaumenspalten   haben   raanch- 

Ü   sehr  sichtbare  psychische  Störungen  und  eine  tiefe  De* 

J'^^ssion   zur   Folge,     Ich   selbst   habe   leider  den  Fall  erlebt, 

^ß  ein  mit  Gaumenspalte  J^ehafieter  Patient  sich  wegen  seines 

»ebrechens  im  Tiergarten  erschoß*    Am  nächsten  Tage  stand 

Lokalanzeiger,  daß  er  leider  lange  Zeit  vergeblich  in  meiner 

7<ifithrift  für  pädifio^scli(^  P»ychoIogic,  Pathologie  und  Hy^tcüi.  - 


^mm 


178  Hermann  Guitmann. 

Behandlung   gewesen   wäre.    Als    ich    genauer    nachforschte, 
stellte  sich  heraus,  daß  er  einem  Mädchen  einen  Liebesantrag 
gemacht  hatte  und  dieses  ihn  seiner  Sprache  wegen  ausgelacht 
hatte.  — 

Ich  habe  Juristen  in  meiner  Behandlung  gehabt,  jung^ 
Referendare,  die  vorher  nie  eine  Ahnung  davon  hatten,  daß 
sie  lispelten.  Als  sie  nun  bei  Gericht  das  Protokoll  verlesen 
mußten,  und  zum  deutlichen  Sprechen  aufgefordert  wurden, 
kam  ihnen  plötzlich  ihre  sprachliche  Minderwertigkeit  zum  ^Be- 
wußtsein und  sie  kamen  in  tiefer  Depression  zu  mir. 

Sie  sehen  daraus,  daß  physische  Depressionen  nicht  all  ein 
mit  dem  Stottern  verknüpft  sind,  sie  können  auch  bei  jedem 
anderen  Sprachfehler  vorhanden  sein.    Ein  weiteres  Beispiel: 
Vor  einigen   Jahren  kam  ein  Kommandeur  in  höchster  A.uf- 
regung  zu  mir  und  erzählte,  daß   er  am  Tage  vorher  seine 
siebzehnjährige  Tochter  auf  den  großen  Garnisonball  geführt 
hätte.    Sämtliche  Offiziere  hätten  sie  zum  Tanz  aufgefordert; 
sowie   sie  aber   den   Mund   aufgetan,   seien   sie   unwillkürlich 
zurückgeprallt  und  sein  Kind  habe  schließlich  den  Ball  weinend 
verlassen.    Es  war  ein  bildhübsches  Mädchen,  wenn  sie  aber 
zu  sprechen  begann,  stutzte  man  wohl  oder  übel,  da  sie  das 
S  In  einer  höchst  unangenehmen  Weise  aus  dem  rechten  Mund- 
winkel zischte.     Die   Depression   war  groß,   verschwand  aber 
mit  dem  leicht  zu  beseitigenden  Übel.    Vor  Jahren  habe  ich 
einen  ähnlichen  Fall  mit  dem  verstorbenen  S.  Guttmann  be- 
obachtet.    Der   siebenjährige  Junge   lispelte  durch  die  Nase, 
war  ein  Kind  reicher  Eltern,  so  daß  er  zu  Haus  unterrichtet 
wurde  und  wenig  mit  anderen  Knaben  zusammenkam.   Eines 
Tages  war  er  auf  einem  Kinderball.    Die  Kinder  hatten  seinen 
Fehler  bemerkt,  böse  Buben  ahmten  ihm  nach,  er  kam  weinend 
nach  Hause,  verweigerte  Nahrungsauf snahme  und  blieb  meh- 
rere Tage  stumm.    (Aphrasia  voluntaria.)    Die  Übungen,  <hc 
wir  vornahmen,  beseitigten  nach  14  Tagen  das  nasale  Lispeln 
und  die  psychische  Depression. 

Psychische  Depressionen  sind  demnach,  wie  Sie  sehen, 
bei  allen  Sprachstörungen  vorhanden,  auch  bei  scheinbar  sehr 
einfachen.  Heilt  man  aber  die  Störungen,  so  verschwinden 
die  Depressionen  wie  der  Schnee  an  der  Sonne,  sie  sind  des- 
halb als  einfache  Folgeerscheinungen  anzusehen. 


3eobachtungen  an  schwachsinnigen  Kindern. 

Vortrag,  gehalten  im  „Verein  für  Kinderpsychologie"  zu  Berlin 

am  26.  Juni  1903. 

Von 

Arno  Fuchs. 

I. 

M.  D.  u.  H.I    Wenn  Sie  untersuchen  wollen,  welche  Ur- 
sachen zu  einer  Sonderbehandlung  der  Schwachsinnigen  (oder 
Schwachbegabten)  in  der  Volksschule  geführt  haben,  so  werden 
Sie  feststellen  können,  daß  es  zuletzt  die  pädagogische  Volks- 
schulpraxis war,  die  es  ablehnte,  die  schwachsinnigen  Kinder 
länger  im  Verbände  der  durchschnittlich  normal  beanlagten 
Volksschüler  zu  behalten.  Entmutigt  durch  die  ständigen  Miß- 
erfolge, die  sich  bei  der  Belehrung  und  Erziehung  dieser  Kinder 
innerhalb  der  großen  Schulklassen  immer  wieder  zeigten,  gab 
es   die  Volksschulerziehung  auf,   schwachsinnige   Kinder  ent- 
sprechend ausbilden  zu  wollen.    Der  Umstand  aber,  daß  die 
Schwachsinnigen  ein  Hemmnis  für  die  Erreichtmg  eines  Klas- 
^mieles  werden  konnten,  veranlaßte  die  Volksschulpädagogik, 
die  Absonderung  zu  fordern. 

Damit  sind  jedoch  nur  die  äußeren  Ursachen  für  die  Ein- 
richtung von  Hilfsschulen  gegeben.  Die  tieferliegenden  Ur- 
*^en  sind  in  dem  Aufschwung  der  deutschen  Psychologie 
^  suchen,  den  dieselbe  in  den  letzten  Jahrzehnten  erlebt  hat 
^d  der  auch  der  Volkssdiulpädagogik  in  hohem  Maße  zu- 
gute gekommen  ist.  Durch  die  Fortschritte  der  V^issen- 
^<4aften,  die  Verbreittuig  der  Herbartschen  Psychologie  in 
^  60/70  er  Jahren,  durch  das  sich  auf  allen  Wissensgebieten 
^^^Dierkbar  machende  Streben  nach  der  Feststellung  exakter 
*orschungsresultate,  femer  durch  eine  Reihe  sozialpsycholo- 

2» 


180  ^^"^  Fuchs. 

gischer  Ursachen  sah  sich  die  Volksschulpädagogik  zur  indi 
dualisierenden  Belehrung  und  Erziehung  geradezu  gedrän 
Trotz  der  in  einer  Volkssohulklasse  damit  verbunden 
Schwierigkeit  suchte  man  auch  hier  der  individuellen  Eig< 
art  auf  die  Spur  zu  kommen  und  ihr  gerecht  zu  werden.  I 
dem  Überschauen  der  in  den  letzten  Jahrzehnten  erschienen 
pädagogisch-psychologischen  Literatur  ist  dieser  Fortschritt  i 
dem  Gebiete  der  Volksschulpädagogik  deutlich  zu  erkenne 
Die  Bewegung  wird  Jahrzehnte  vorher  angekündigt  durch  < 
Pioniere  Sigismund  und  Tiedemann,  die  von  ihrer  Z 
nicht  hinreichend  verstanden  werden  und  einer  Rettung  \ 
dem  Vergessen  durch  eine  späte  Ausgrabung  bedürfen. 
Fluß  gebracht  wird  die  Bewegung  durch  die  Herbartsc 
Schule,  die  auf  den  (gebieten  der  Psychologie,  der  Methoc 
und  Zucht  eine  außerordentliche  Fruchtbarkeit  entwicki 
Dörpfeld  rüttelt  mit  seinem  „didaktischen  Materialismi 
an  dem  impsychologischen  Verfahren  in  der  Volksschule  i: 
verbreitet  psychologisches  Verständnis  durch  seine  Schi 
„Denken  und  Gedächtnis**.  Hartmann  unteminmit  zu  F 
Stellungen  über  den  Gedankenkreis  der  Kinder  eine  Analy 
derselben;  Lange  geht  den  einzelnen  Schritten  des  Apper2 
tionsvorganges  nach ;  P  r  e  y  e  r  sucht  Interesse  und  Verstand 
für  die  Entwicklimg  der  Seelenfähigkeiten  bei  Kindern  bis 
die  Familien  zu  tragen.  Und  während  nun  die  z.  T.  ältei 
psychologischen  Schriften  eines  Volkmann,  Drobis( 
Nahlowsky  u.  a.  allgemeinere  Beachtung  finden,  erwec 
das  Aufblühen  der  physiologischen  Psychologie  ( 
lebhafteste  Teilnahme  auch  in  Lehrerkreisen.  Die  individus 
sierende  Pädagogik  sucht  aber  nicht  nur  die  rein  psycholo 
sehen  Probleme  zu  lösen,  sondern  auch  die  erzieherisch( 
die  der  Regierung  und  Zucht.  Dadurch  wird  sie  zum  Studii 
der  Kinderfehler  geführt  und  trifft  in  diesem  Punkte  auf  c 
verwandte  Streben  der  Psychiatrie,  den  psychischen  Eig 
tümlichkeiten  anormaler  und  kranker  Kinder  heilend  entgeg 
zutreten.  Und  während  nun  Männer  wie  Strümpell,  Uf( 
Trüper,  Spitzner  etc.  auf  einen  Ausbau  der  „pädago 
sehen  Pathologie**  hinarbeiten,  auf  psychiatrischer  Seite  Koc 
Scholz  imd  Ziehen  die  Bearbeitung  des  Grenzgebie 
zwischen  Pädagogik  und  Medizin  in  Angriff  nehmen  und  ei 
lieh  zahlreiche  Fragen  der  Schulhygiene  Ärzte  und  Pädago{ 


Beobachtungen  an  schwachsinnigen  Kindern.  |31 

zur  Untersuchung  der  physiologischen  Schäden  und  Mängel 
an  Schulkindern  veranlassen,  müssen  sich  Pädagogik  und  Me- 
dizin zu  dem  Wunsche  einigen,  diejenigen  Kinder,  die  durch 
die  bisherige  Schulbehandlimg  nicht  die  geeignete  Förderung, 
Pflege  und  Erziehung  erhalten  können,  einer  geeigneten  Son- 
derbehandlung überwiesen  zu  sehen. 

Viele  große  und  mittlere  Städte  Deutschlands  kamen 
diesem  Wunsche  im  Verlauf  der  letzten  zwei  Jahrzehnte  nach. 
Es  wurden  Hilfsklassen,  Nebenklassen  oder  Hilfsschulen  ein- 
gerichtet. Das  Kindermaterial  nannte  man  schwachsinnig, 
schwachbegabt,  schwachbefähigt  oder  geistig  gechwächt,  je 
nachdem  man  bestrebt  war,  der  richtigen  Bezeichnung  zur 
Anerkennung  zu  verhelfen  oder  auf  die  Eltern  der  Kinder 
wohlwollend  Rücksicht  zu  nehmen.  In  Berlin  sind  seit  1898 
Nebenklassen  für  schwachsinnige  Kinder  eingerichtet  worden. 
Jede  Klasse  zählt  ca.  12 — 15  Schüler.  Gegenwärtig  werden  in 
ca.  90  Klassen  ca.  1300  schwachsinnige  Kinder  unterrichtet. 
Die  einzelnen  Nebenklassen  sind  nach  Art  der  einklassigen 
Volksschulen  organisiert.  An  einigen  Schulen  sind  mehrere 
Nebenklassen  zu  einem  Organismus  mit  aufsteigenden  Ab- 
teilungen vereinigt. 

M.  D.  u.  H.  Sie  haben  gesehen,  daß  es  im  Grunde  die  psy- 
chologische Beobachtung,  das  Versenken  in  dieEigen- 
^  des  einzelnen  Kindes  gewesen  ist,  denen  das  schwachsinnige 
Kind  heute  seine  Sonderbehandlung  verdankt.  Daraus  ist  leicht 
^  folgern,  daß  die  Hilfsschulpädagogik  nur  dann  auf  ihrem 
Gebiete  bedeutende  Erfolge  erreichen  wird,  wenn  sie  diese 
psychologische  Beobachtung  und  Vertiefung  zum  Prinzip  ihrer 
Arbeit  macht,  daß  aber  alle  ihre  Forderungen,  die  sie  ohne 
psychologische  Begründung  stellen  wird,  in  der  Luft  hängen 
^d  niemanden  überzeugen  werden. 

Über  Erziehung  und  Unterricht  schwachsinniger  Kinder 
*st  in  den  letzten  Jahren  eine  große  Anzahl  von  Arbeiten 
^röffentlicht  worden.  Die  Mehrzahl  der  Schriften  beschäftigt 
^ch  mit  der  praktischen  Seite  des  Hilfsschulwesens,  da 
"füglich  der  praktischen  Organisation  in  den  meisten  Orten 
^^  so  gut  wie  alles  zu  fordern  war.  Daher  haben  viele  dieser 
^bciten  nur  augenblicklichen,  höchstens  später  einmal  biblio- 
P^phischen  Wert. 


l 


182  -^fw<>  Fuchs, 

Theoretische  Arbeiten  sind  spärlicher  erschienen ;  sie  setzen 
sich  die  psychologische  Vertiefung  in  das  Wesen  der  Idioten, 
Schwachsinnigen  und  Imbezillen  (Sollier,  Ufer,  Möller,  Wresch- 
ner,  Heller  u.  a.)  zum  Ziel,  gehen  aber  zumeist  von  Ärzten  3.^s 
und    berücksichtigen    jugendliche    und    erwachsene    Schwach- 
sinnige und  Idioten  zugleich.     Über  die  psychische  Entwick- 
lung der  Schwachsinnigen,  die  in  Hilfsschuleinrich- 
tungen behandelt  werden,  ist  noch  auffällig  wenig   'ver- 
öffentlicht worden.*)  In  pädagogischen  Zeitschriften  liegen  ^virohl 
einige   Individualitätenbilder  vergraben,  dagegen  bringen      <lie 
ersten   Schriften   der   Hilfsschulliteratur    über    die    wichtig"  ^^^ 
Frage  der  Hilfsschulerziehung,  die  pädagogisch-psychologis<:::he 
Beobachtung,  außer  den  landläufigen  allgemein  pädagogiscl^en 
Betrachtungen  so  gut  wie  nichts. 

IL 

Wenn   ich   nun   heute   einiges   über   „Beobachtungen       ^ 
schwachsinnigen  Kindern"  Ihnen  vorzutragen  die  Ehre  h^-^» 
so  will  ich,  da  das  Gebiet  der  Hilfsschulpädagogik  in  diesem 
Vereine    zum    erstenmale    zur    Sprache    kommt,    nicht    da.:*^*^ 
einsetzen,  Beobachtungen  über  alle  möglichen  Eigenheiten  ^3er 
Schwachsinnigen  oder  den  nach  Methode  imd  Resultat   v-oU- 
kommenen  Abschluß  einer  Einzelfrage  zu  bieten,  sondern    ^^ 
will  es  als  meine  Aufgabe  betrachten,  Sie  für  das  neue  Get>^^^ 
zu  interessieren,  und  das  glaube  ich  am  besten  tun  zu  köni»^"' 
indem  ich  Ihnen  praktische  Beispiele  aus  meiner  pädagogisch- 
psychologischen  Beobachtung  vorführe,  die  ein  Merkmal   ^^ 
Schwachsinns  charakterisieren. 

Zunächst  möchte  ich  den  Damen  und  Herren,  die  v^i^'* 
leicht  der  Meinung  sind,  daß  von  Beobachtungen  an  Idioten 
oder  Blödsinnigen  gesprochen  werden  soll,  den  Irrtum  duf^ 
die  Feststellung  der  erreichbaren  Unterrichtsziele  in  einer  Hü'^ 
schule  nehmen.  Die  den  Hilfsschuleinrichtungen  zugehörig'^'^ 
schwachsinnigen  Kinder  erlangen  im  Durchschnitt  die  Fähigk^^^^ 
einfache  Lesestücke  in  deutscher  und  lateinischer  Druckschrift 
mit  einigem  Verständnis  lesen,  sich  über  kleine  Gedankengang^ 


*)  Vergl.  meine  Schrift:  Schwachsinnige  Kinder,  ihre  sittliche  und*  ^ 
tellektuelle  Rettung.  Gütersloh  1899.  Sie  enthält  den  Versuch,  auf  Gn«^^ 
ausführlicher  Analysen  schwachsinniger  Kindesnaturen  das  Wesen  des  Schwm^' 
Sinns  zu  fixieren. 


hiungett  üH  wtkwaCksiHm'g^n  Kindern. 


183 


mündlich  und  m  bescheidenem  Umfange  und  einfacher  Form 
aiach  schriftlich  frei  ausdrücken,  einen  einfachen  Brief  auf- 
setzen, sich  in  ihrer  unmittelbaren  Umgebung  allein  zurecht- 
finden  und  einfache  abstrakte  Rechenoperationen  in  allen 
Sp^ezies  im  Zahlraum  von  i^ioo  vollziehen  zu  können.  Es  ist 
^130  möglich,  diesen  Kindern  eine  gewisse  Selbständigkeit  an- 
ZT.ieTKiehen,  so  daß  man  die  Hoffnung  hegen  kann,  die  Mehr- 
msLhl  durch  entsprechende  Behandlung  xur  selbständigen  Mit* 
a^rbeit  an  den  sozial  wirtschafthchen  Aufgaben  der  Gesellschaft 
einmal  gerettet  zu  sehen. 

in  allen  Schriften  über  das   Hilfsschuhvesen  werden  Sie 

cla.s  Bestreben  der  Autoren  beobachten,  charakteristische 

Ärl  erkmale  des   Schwachsinns   festzustellen.     Der 

Grund  hierfür  liegt  darin^  daß  die  Auswahl  der  Schwachsinnigen 

^us  der  Mitte  der  Normalen  nicht  imn^er  leicht  ist,  namentlich 

Aw-enn  sie  früher  erfolgen  soll,  als  nach  einem  2  jähr.  Besuch  der 

Volksschule.    Um  das  Erkennen  des  Schwachsinns  zu  ermög- 

1^ einen  oder  zu  erleichtern^  hat  man  die  Sprache,  den  Willen, 

die  Aufmerksamkeit,  das  Gedächtnis  mit  mehr  oder  weniger 

Glück    und    Geschick    zum    Hauptcharakteristikum    erheben 

Wollen.     Nach  memer   Meinung  scheiden  Wille   und  Sprache 

aus  dieser  Konkurrenz  ohne  weiteres  aus;  dagegen  gewirmen 

außer  den  genannten  Merkmalen  auch  der  Konkretismus  im 

t>enken,  der  Rythmus  im  Denken^  die  Dispositionsschwankun- 

|W,  die  Sensibilität  und  die  logische  Denkfähigkeit  an  cha- 

^^eristischer  Bedeutung.    Erst  wenn  eine  Bearbeitung  aller 

dieser  Eigentümlichkeiten  vorliegt,  wird  es  sich  zeigen,  ob  eine 

einfache    oder   eine    komplizierte    psychologische    Erscheinung 

^1*  Hauptcharakteristikum  angesprochen  werden  kann. 

Wenn  Sie  das  Verhalten  und  Gebahren  eines  schwachsiimi 
t^  Alenschen  beobachten,  so  wissen  Sie,  daß  der  Volksmund 
^ür  eine  bestimmte  Bezeichnung  hat;  er  nennt  es  ,,dumm/* 
^^äs  bezeichnet  das  einfach  denkende  Volk  mit  diesem  Aus- 
druck? Es  spricht  den  Gegensatz  in  seiner  Wahrnehmung  aus, 
^  es  feststellt  bei  der  Beobachtung  des  Denkens  und  Tuns 
formaler  und  schwachsnmiger  Menschen.  Bei  einem  normalen 
Measchen  beobachtet  es  in  der  Regel  richtige  Wert* 
Hhützung,  richtige  Überlegung,  richtige  Schluß- 
folgtrungen  von  einer  Ursache  auf  die  entsprechende  Wirkung 
und  UTngekehrt,  also  die  Wirksamkeit  eines  gewissen  logischen 


184  Arno  Fuchs. 

Denkens.    Mit  dem  Prädikat  ^,dumm**  spricht  das  einfache  VoL^Blk 
dem  schwachsinnigen  Menschen  die   Fähigkeit  der  richtige 
Wertschätzung   der   Dinge  und   Zustände   und   der   richtige 


Assoziation,  also  die  Fähigkeit  des  logischen  Denken  — ms 
mehr  oder  weniger  ab. 

Wie  das  einfach  denkende  Volk  den  schwachsinnigeren 
und  normalen  Erwachsenen  beurteilt,  so  schätzt  es  auch  di 
schwachsinnigen  und  normalen  Kinder  ein.  Der  Gegensatz,  de 
es  wahrnimmt,  wird  bestimmt  durch  das  Tun  und  Denken  de 
schwachsinnigen  Kindes  selbst,  durch  den  Umstand,  daß  ähc:  _in- 
liehe  Verkehrtheiten  an  gleichaltrigen  normalen  Kindern  nic^CT  it 
mehr  beobachtet  werden,  also  das  Verhalten  zum  Alter  in  W-^^^'i- 
derspruch  steht,  und  daß  endlich  nahezu  alle  Handlungen  d»  — ies 
schwachsinnigen  Kindes  den  Charakterzug  des  beschränktesten 
Denkvermögens  an  sich  tragen. 

Wollen  Sie  mm  das  logische  Denken  der  in  nachfolgende  an 
Beispielen  geschilderten  schwachsinnigen  Kinder  beobachti^  en 
imd  sich  gleichzeitig  das  Denken  und  Tun  gleichaltriger  nc:^«)r- 
maler  Kinder  als  Gegensatz  vor  Augen  halten. 

1.  Nach  Schluß  des  Unterrichts  gehen  die  Kinder  mein«^er 
Klasse  auf  den  Flur,  um  ihre  Überkleider  anzuziehen.  t~  ^^ 
größeres,  sehr  imgeschicktes  Mädchen  kann  sich  nicht  alle^^"i 
bedienen.  Als  ich  nun  einem  1 1  jähr.  Knaben  sage,  ob  er  sein^^^ 
Mitschülerin  nicht  behilflich  sein  wolle  (von  selbst  sah  er  die^==se 
Notwendigkeit  nie  ein),  läßt  er  seine  eigenen  Überkleid^^^» 
die  er  in  der  Hand  hält,  an  den  Erdboden  fallen  und  komi  ^^ 
mit  umständlichem  Aufwand  an  Kraft  und  übermäßigem  Eif  "^^ 
dem  Wunsche  nach. 

2.  In  der  Turnhalle  regte  derselbe  Knabe  unter  sein^^^^ 
Kameraden  ein  Versteckspiel  an.  Er  zählte  oberfläcZ  ^"' 
lieh  und  ungenau  ab  und  blieb  mit  dem  zum  Aufsuchen  ve^^^" 
urteilenden  Schlußwort  des  Abzählverses  bei  einem  Knabe^^^ 
haften,  der  ihm  im  Augenblick  in  den  Sinn  oder  in  den  Wur  -^, 
kam.  Nun  rannte  er,  und  mit  ihm  die  übrige  Gesellschaft,  ^  *^ 
großer  Schnelligkeit  und  unter  zwecklosem,  lautem  Rufen  ds-  — **" 
von  und  „versteckte**   sich  hinter  —  einer  Kletterstange  ^^' 

3.  Merkt  derselbe  Knabe,  daß  ihm  andere  Kinder  im  Wissc^^^ 
oder  Können  überlegen  sind,  und  wird  ihm  gesagt,  er  könnr"^^^ 
etwas  nicht,  so  beruhigt  er  sich  mit  dem  Trost :  Das  kann  mer'  ^ 
Vater  auch! 


Beobachtungen  an  scftwacksinmgen  Kindern.  185 

4,  Will  sich  die  12  jähr.  N.  die  Winterüberkleider  anziehen, 
so  nimmt  sie  alles:  Hut,  Mantel,  Handschuhe  und  Boa,  vom 
Kleiderhaken  mit  der  rechten  Hand,  in  der  linken  hält  sie  die 
Mappe.  Darauf  läßt  sie  alles  an  den  Erdboden  fallen  und  hebt 
nun  ein  Stück  nach  dem  anderen  auf,  um  es  anzuziehen,  nicht 
selten  zuerst  die  dicken  Handschuhe,  die  dann  beim  Anziehen 
des  Mantels  wieder  ausgezogen  werden  müssen.  (Unverändert 
in  diesem  Verhalten  bis  zum  15.  Lebensjahre.) 

5.  Ein  II  jähr.  Knabe  brachte  mir  einst  einen  Blumen- 
strauß mit.  Er  zog  die  völlig  zerdrückten  Reste  eines  ehemals 
schönen  Sträußchens  aus  —  seiner  Hosentasche. 

6.  Unter  der  Überschrift  „Was  der  liebe  Gott  den  Weisen 
gesagt  hat"  erzählt  der  erstgenannte  11  jähr.  Knabe:  „Der  liebe 
Gott  sprach  zu  den  Weisen  im  Traume:  Mache  dich  auf  und 
fliehe  mit  Maria  imd  dem  Kinde  nach  Ägypten.**  Er  selbst 
hatte  an  der  Unvereinbarkeit  dieser  Teile  verschiedener  Ge- 
schichten nichts  auszusetzen. 

7.  Bei  der  Erzählung  vom  Wolf  und  den  sieben  Geißlein 
^ar  demselben  1 1  jähr.  Knaben  das  besondere  Wohlgefallen 
^^  Drastischen  vom  Gesicht  abzulesen,  bei  der  Wiedergabe 
^uch  sagen  zu  können:  „Die  Mutter  sprach:  Liebe  Kinder  1 
^*^cht  die  Tür  nicht  auf,  sonst  kommt  der  Wolf;  der  frißt 
^^ch  auf  mit  Haut  und  Haarl**  Leider  verpaßte  er  beim  Er- 
*^en  die  drastische  Pointe,  spannte  jedoch  immer  noch  dar- 
^^,  sie  auszusprechen.  Und  so  gab  er  den  ganzen  Abschnitt 
^^^  innerem  Behagen  wieder  und  schloß  mit  triumphierender 
r^^^e:  „Die  Kinder  sagten:  Wir  werden  schon  artig  sein, 
^oe  Mutter.  Da  meckerte  die  alte  Geiß  noch  einmal  und 
ß^g  in  den  Wald  —  mit  Haut  und  Haar.** 

8.  Auf  die  Frage:  Was  wird  bei  dem  Hausbau  zuerst  ge- 
"^^t?  antwortete  ein  laVsJähr  Mädchen:  das  Dach,  ein 
^^jähr.  Mädchen:  der  Schornstein. 

9.  Ein  1 1  jähr.  Knabe  erzählt  aus  der  Robinsongeschichte 
^^gendes:  „Nun  fuhr  das  Schiff  ab.    Robinson  sah  gar  nichts 

^^hr.    Zuletzt  sah  er  nur  noch  den  Laden  (seines  Vaters)  und 
*^  Hausecke.** 

10.  Ein  1 1  jähr.  Knabe  war  nicht  imstande,  einen  Analogie- 
^^iiß  ohne  direkte  Anschauung  zu  vollziehen.  Durch  die 
^schauimg  war  die  Reihe:  „am  Arm  ist  die  Hand,  an  der 
^^d  sind  die   Finger**   festgestellt   worden.     Soweit   es   sich 


186  ^^^o  Fuchs. 

ermöglichen  ließ,  sollte  gleichfalls  die  Reihe  „am  Bein  ist  d^r 
Fuß,  am  Fuß  sind  die  Zehen"  zur  Klarheit  gebracht  werde:Än. 
Der  Knabe  erklärte  dagegen :  „am  Bein  ist  der  Schuh."    Nacr  li 
längerer  Besprechung  fand  er  sich  zu  dem  Zugeständnisse  \>  ^- 
reit:  „am  Bein  ist  der  Strumpf." 

11.  Nach  längeren  Auseinandersetzungen  beantwortete  ein. 
12 jähr.    Knabe    die    Frage:    Warum    heißt    die    PferdebatÄXi 

Pferdebahn   und  nicht  Eselsbahn  oder  Elefantenbahn?    

dahin:  weil  sie  auf  Schienen  läuft. 

12.  Ein    15  jähr.   Knabe  wird  .angezeigt,   einen  Apfelr^st 
seinem  Mitschüler  F.  an  den  Kopf  geworfen  zu  haben.    Lcrli 
frage  den  Knaben :  Was  habe  ich  erst  gestern  wieder  verbot&xx  ? 
Antwort :  Wir  sollen  nicht  werfen.    Frage :  Warum  hast  du  denn 
doch  geworfen?    Antwort:  Der  P.  ist  ja  nicht  weggegang^r^; 
er  hat  sich  ja  vorgestellt.  —  Er  hatte,  wie  sich  aus  der  Unter- 
suchung ergab,  einen  dritten  Knaben  treffen  wollen;  im  letzten 
Augenblicke  hatte  sich  P.  jedoch  vorgestellt  und  war  getroffen 
worden.  Es  bedurfte  einer  längeren  Auseinandersetzung,  ehe  ^r 
zu   der   Erkenntnis   gebracht   wurde,   daß   nicht   das   Treffe xi, 
sondern    das    Werfen    das    zu    Verurteilende    und    ihn    S  ^^ 
lastende  war. 

13.  Ein  13  jähr.  Knabe  schlägt  mit  der  Faust  nach  eine:^^ 
Mädchen  und  hätte  es  sicher  ins  Gesicht  getroffen,  wäre  ^^ 
nicht  zurückgezuckt.  Als  ich  nun  empört  frage,  wie  er  da^^^ 
komme,  so  rücksichtslos  nach  der  Frieda  zu  schlagen,  sagt  ^^ 
ruhig:  ich  habe  sie  ja  nicht  getroffen. 

14.  An   Stelle  eines  schulgerechten   Handfertigkeitsunte-  ^' 
richts  lasse  ich  von  meinen  Schülern  zu  Hause  Gegenstände^ 
die  im  Unterrichte  besprochen  worden  sind,  im  kleinen  a^^' 
fertigen.    Einst  sollten  die  Kinder,  nach  dem  Beispiele  RobiÄ^ 
sons,  ein  kleines  Floß  zimmern.    Ein  Knabe  bringt  kein  Flc^-^ 
mit  zur  Schule  und  sagt,  sein  Vater  habe  gezankt,  daß  er  ^^ 
viele  Nägel  verbrauche,  und  der  Bruder  habe  sein  Holz  vC^ 
Feuer  geworfen.    Da  ruft  ein  13 jähr.  Schüler  vergnügt:  „Mei^ 
Vater  ist  tot;  ich  kann  so  viele  Nägel  verbrauchen,  als  ich  will  *" 

15.  Ein  12  jähr.  Mädchen  soll  einen  Tadel  über  Faulh^i^ 
von  dem  Vater  unterschreiben  lassen.  Sie  erklärt:  Vater  w^^ 
nicht  da;  Mutter  hat  unterschrieben. 

Frage  :  Vater  ist  den  ganzen  Nachmittag  fort  gewesen? 


Beabachiungen  an  schwachsinnigen  Kindern.  187 

A^ntwort:  Früh  war  er  da,  und  abends  ist  er  zum  Nacht- 
dienst gegangen. 
F  rage:  Am  Nachmittag  war  er  also  da? 
Antwort:    Nein,  er  war  beim  Portier  und  hat  ein  bißchen 

geschlafen. 
Frage:  Den  ganzen  Nachmittag? 

.Antwort:   Nein,  dann  hat  er  meine   Schuhe  gemacht. 
Frage:  Also  Vater  war  doch  da  in  eurer  Stube? 
A  n  twor  t:  Ja,  aber  die  alten  hat  er  gemacht;  dann  ist  er  zum 

Nachtdienst  gegangen. 
F  r  age:  Also  Vater  hätte  doch  unterschreiben  können,  er  war 

doch  da;  du  hast  ihm  nur  das  Heft  nicht  gezeigt. 
Antwort:  Nein,  ich  traute  mir  nicht  I 

i6.  Die  Geschichte  von  Joseph  und  seinen  Brüdern  ist  bis 
2U  Josephs  Verkauf  sachlich  zur  Klarheit  gebracht,  insonderheit 
das  Verhalten  der  Brüder  durch  den  Vertragston  und  durch 
scharfe  Zeichnimg  der  einzelnen  kleinen  Nebenzüge  deutlich 
herausgearbeitet  und  der  Unterricht  auf  den  sittlichen  Inhalt 
8©i"ichtet  worden.  Auf  die  ethische  Konzentrationsfrage:  Wer 
S^fällt  euch  in  der  Geschichte,  und  wer  nicht?  —  antwortet 
dasselbe  12  jähr.  Mädchen:  „mir  gefallen  die  Brüder  nicht,  — 
'^^il  sie  den  schönen  Rock  zerrissen  haben." 

17.  Etwas  Ähnliches  ereignete  sich  auch  bei  der  Beurtei- 
lung des  „verlorenen  Sohnes.**     Es  kam  mir  darauf  an,  dem 
^^rlorenen  Sohn  ein  Lob  der  Kinder  zuzuwenden,  weil  er  zu 
sich  selber  sagt :  „ich  bin  ein  schlechter  Mensch  gewesen  etc.** ; 
^ch  hatte  den   sittlichen   Inhalt  des  betr.  kleinen  Abschnittes 
deutlich  herausgehoben,  so  daß  die  Richtung  des  Unterrichts 
ÄUf  dieses  Willensverhältnis  ausschließlich  abzielte.    Als  Ant- 
wort auf  die  Konzentrationsfrage  erhielt  idh  von  einem  13 jähr. 
Mädchen  das  Urteil:  „Mir  gefällt  der  Sohn  gar  nicht,  weil  er 
^ic  Schweine  hüten  mußte.**. 

18.  Bei  Behandlung  der  Geschichte  „Joseph  wird  von  seinen 
ßriidem  verkauft**  war  nach  plastischer  Herausarbeitung  der 
Willensverhältnisse  und  besonders  auch  der  Trauer  des  Vaters 
^Je  Konzentrationsfrage,  den  Jakob  betreffend,  gestellt  worden. 
^Di  12 jähr.  Mädchen  antwortete:  „Mir  gefällt  der  Jakob  nicht, 
^U  er  den  Joseph  am  liebsten  hatte  I**  Diese  Antwort,  die  den 
Vater  verurteilte,  weil  ihm  Joseph  sogar  im  Tode  noch  das  liebste 
Kind  war,    war  nur   scheinbar   geistreich;    denn   die    Frage: 


188  '^''»"^  Fuchs. 

Woran  siehst  du  denn,  daß  Jakob  den  Joseph  am  hebsten  hattes 
erhielt  als  Antwort :  Er  hatte  ihm  doch  einen  bunten  Rock  g« 
schenkt. 

19.  Zur  Freude  seiner  Mitschüler  zündete  der  iiVtjäh 
Ew.  Schi,  vor  dem  Unterrichtsanfang  in  der  Schulklasse  Streid 
hölzer  an.  Die  Kameraden  freuten  sich  über  die  Illuminatia 
und  zeigten  ihn  zum  Dank  dafür  an.  Vor  meinem  Eintritt  5 
die  Klasse  hatte  der  Bursche  schon  mit  allen  möglichen  Mitte' 
den  Rauch  beseitigen  wollen,  „damit  Herr  Lehrer  ja  nicta 
merke.**  Auch  hatte  er  seinen  Streichhölzern,  die  er  noch  ta 
sich  trug,  die  Köpfe  abgebrochen  und  stellte  mm  auf  meli 
erste  Frage  seine  Streichholzschachtel  mit  den  Hölzern  z 
Verfügung,  erklärend,  er  könne  es  ja  gar  nicht  gewesen  s^: 
denn  seine  Hölzer  hätten  ja  keine  Köpfe.  Diese  Köpfe  ab 
lagen  unter  seiner  Bank.  — 

Das  äußere  Verhalten  der  schwachsinnigen  Kinci< 
das  Mißverhältnis  zwischen  körperlichem  Kraftaufwand  \u 
beabsichtigtem  Effekt,  die  durch  starke  Gefühlstöne  od 
mechanisches  Wortgedächtnis  gestörte  logische  Diszip 
nierung  der  Gedanken,  der  Mangel  an  logischer  Ass 
ziation  und  endlich  das  eigenartige  Aufeinanderwirken  d< 
logischen  und  sittlichen  Kausalität,  alle  diese  Vorgänge,  d 
in  den  voranstehenden  typischen  Beispielen  eine  Veranscha^' 
lichung  finden,  sind  in  gleichem  Grade  und  gleicher  Häufij 
keit  bei  11 — 15  jähr.  Normalen  nicht  zu  beobachten;  sie  ve 
raten  den  „Schwachsinn**,  d.  h.  das  schwache  Sinnen,  Denken 
Überlegen.  Für  jedes  einzelne  Kind  ließe  sich  die  Zahl  d^ 
exakten  Beweise  eines  Mangels  im  logischen  Denken  auße 
ordentlich  vermehren,  besonders  die  Beweise  für  den  Mangf 
an  logischer  Assoziation,  und  zwar  durch  BerücksichtiguT 
der  mathematischen  und  rein  abstrakten  Denkoperatione? 
Die  letzten  Beispiele  (Nr.  18  und  19),  die  zwar  nur  ein* 
Rückschluß,  aber  eine  bezeichnende  Schlußfolgerung  g 
statten,  daß  sich  nämlich  die  logische  Kausalität  als  : 
schwach  zur  Unterstützung  der  sittlichen  erweist  (vergl.  au^ 
die  Beispiele  12 — 17),  legen  dar,  daß  dies  Verhältnis  der  loj 
sehen  zur  sittlichen  Kausalität  das  gleiche  bleibt  auch  t 
den  raffinierten  Schwachsinnigen,  die  sich  in  ihrem  Chara 
ter  dem  von  S ollier  geschilderten  Imbezillen typus  nahes 
Diese  vollziehen  oftmals  anscheinend  geistreiche  Gedankenas^ 


Beobttchtungen  an  schwachsmnigen  Kindern.  |39 

sia^tionen  und  bringen  sie  z.  T.  in  Bonmots  zum  Ausdruck.  Bei 
kritischer  Untersuchung  der  fadenscheinigen  Logik  ergibt  sich 
jedoch,  daß  nicht  logische  Überlegimg,  sondern  nur  zufällig 
glückliche  Assoziation  zugrunde  liegt.  Selbstredend  tritt  der 
Mangel  an  logischer  Denkkraft  bei  den  verschiedenen  Kindern 
in  verschieden  starkem  Grade  auf;  er  verstärkt  sich  bei  allen 
in  Zeiten  ungünstiger  Disposition,  wobei  oft  die  Gedankenreihen 
disziplinlos  durcheinandergeworfen  werden. 

Wenn  man  die  einzelnen  Beispiele  betrachtet,  so  könnte 
man  zu  der  Meinung  kommen,  daß  sich  Ähnliches  auch  im 
Leben  der  normalen  Kinder  ereigne,  daß  folglich  den  Bei- 
spielen nicht  Beweiskraft  für  die  Tatsächlichkeit  des  Schwach- 
sinns innewohne  und  sie  selbst  ein  Charakteristikum  zu  kenn- 
zeidhnen  nicht  geeignet  seien.  Dem  gegenüber  ist  folgendes 
zu  beachten: 

Auch  normale  Kinder  begehen  logische  Verkehrtheiten. 
Erfolgen  dieselben  jedoch  in  dem  genannten  Alter  von 
n — 15  Jahren  imd  in  ähnlicher  Art,  wie  sie  in  den  Beispielen 
geschildert  wird,  so  ist  die  Ursache  dieser  Inkorrektheiten 
nicht  Mangel  an  logischer  Denkkraft,  sondern  Unaufmerksam- 
keit oder  Unüberlegtheit.  Beweis  dafür  ist,  daß  das  normale 
Kind  dem  Geschehen  der  offen  zu  Tage  liegenden  logischen 
Inkorrektheit  (in  der  Regel)  eine  Selbstkorrektur  folgen  läßt, 
während  sich  das  schwachsinnige  Kind  (in  der  Regel)  mit 
seinem  Tun  auch  später  einverstanden  erklärt  oder  die  richtige 
logische  Rückzugslinie,  die  auf  eine  Selbstverurteilung  abzielt, 
nicht  findet. 

Bei  jedem  schwachsinnigen  Kinde  bildet  das  Täppische, 
Linkische,  Unlogische  im  Wesen  für  die  ganze  Lebenszeit  und 
nach  allen  Richtungen  des  Denkens  und  Tuns  in  stärkerem 
^€r  geringerem  Grade  die  Regel. 

Jedes  schwachsinnige  Kind  ist  in  der  logischen  Bewertung 
^r  zweckmäßigen  Richtung  seines  WoUens  und  der  zweck- 
nüßigen  Mittel  zur  Durchführung  desselben  gegen  gleich- 
altrige Normale  auffällig  weit  zurückgeblieben  und  bleibt  auf- 
ßttig  weit  zurück. 

Aus  eigner  Energie  erwirbt  das  schwachsinnige  Kind  nur 
^^«nig  logische  Gewöhnung;  die  selbsterworbene  beschränkt 
*di  auf  egoistische  und  äußerliche  Beziehungen  zur  Mitwelt. 


190  Arno  Fuchs, 

Ein  psychologisch  begründetes  Erziehimgsverfahren  ver- 
mag durch  entsprechende  Belehrung  und  andauernde,  gute 
Gewöhnung,  deren  wichtigstes  Mittel  in  einer  anschaulichen, 
praktischen  Witzigung  des  Kindes  (Empfindenlassen  der  Folgen 
ein'^  logisch  verkehrten  Tuns)  besteht,  den  Mangel  an  logi- 
scher Denkkraft  in  etwas,  aber  nie  völlig  auszugleichen.  — 

Zum  Schluß  möchte  ich  Ihre  Aufmerksamkeit  noch  auf 
einige  Fälle  lenken,  die  einen  Ausfall  oder  eine  eigentümliche 
Verändenmg,  bezw.  akute  Schwächimg  der  logischen  Kausa- 
lität erkennen  lassen.  Außer  den  sämtlichen  geschilderten  Ab- 
weichungen im  logischen  Denken  und  Verhalten  sind  bei 
diesen  Fällen  noch  besondere  Eigentümlichkeiten  zu  beobach- 
ten, die  nicht  allgemein  bei  allen  Schwachsinnigen  nachzu- 
weisen sind,  sondern  den  betr.  Kindern  persönlich  anhaften. 
Diese  Abweichungen  sind  für  mich,  je  nach  Art  und  Stärke- 
grad, Beweise  für  augenblickliche  oder  dauernde  geistige  Ge- 
störtheit  oder  vorübergehende  psychische  Regelwidrigkeiten 
gewesen. 

20.  Die  9  jähr.  L.  singt  und  schreit  während  des  Unter- 
richts ohne  erkennbaren  Grund  plötzlich  laut  auf.  —  Eine 
Zeitlang  kam  sie  mir  jeden  Morgen  entgegen  mit  der  stereo- 
typen Redensart:  „Herr  Lehrer,  idh  habe  ein  Heft."  -^ 
Minutenlang  spricht  sie  vor  sich  hin:  Herr  Lehrer!  He^ 
Lehrer!  —  ohne  etwas  zu  wollen.  —  Sie  erzählt:  „Maria  iißd 
Joseph  gingen  in  den  Stall  und  —  lauerten  auf  den  Bären."  " 
Als  ihr  ein  Kind  bei  dem  Ankleiden  behilflich  sein  will,  ruft 
sie:  „Laß  mich,  ich  kann's  allein!  Wir  geh'n  doch  nicht  t^ 
Leichenhalle?**  —  Während  des  Unterrichts  ruft  sie  plötzlich- 
„Guten  Tag,  junge  Frau,  wie  geht's?**  —  Ein  andermal:  „E^^ 
Skandal!  Ein  Skandal!**  —  stets  ohne  Ursache  und  obD^ 
Zweck.  —  Sie  fragt  mich,  ob  sie  mit  Legehölzchen  spiel^^ 
dürfe.  Aus  gutem  Grunde  wird  die  Bitte  abgeschlagen.  D^ 
ruft  sie:  „Herr  Lehrer!  der  Wilhelm  hat  Kopfschmerzen- 
Es  wird  festgestellt,  daß  dies  nicht  der  Fall  ist.  Auf  <i^J 
Frage,  wanun  sie  es  gesagt  habe,  erfolgt  die  Antwort:  „W'^* 
ich  nicht  mit  den  Hölzchen  rechnen  darf.**  Dann  fügt  si< 
hinzu:  „es  wird  bald  vorübergehen.**  —  Ein  Mitschüler  dc^ 
L.  sieht  ein  Bild  und  sagt:  „Das  ist  Bismarck."  Die  Echola-hJ 
bewirkt  bei  L.  denselben  Ruf.  Gefragt,  wer  Bismardc  ^^ 
sagt  sie :  „Onkel  Boas  ist  Bismarck.**    Die  Frage  wird  wied^ 


Beobachtungen  an  schwachsinnigen  Kindern,  IQl 

iolt,  und  sie  gibt  darauf  zur  Antwort :  „Kaiser  Augustus" ;  und 
lach  einiger  Zeit   setzt   sie   lächelnd   im   sächsischen   Dialekt 
linzu :  „Der  zweete  I**  —  Für  L.  gibt  es  nichts  Vergangenes  und 
licfats  Zukünftiges ;  ihr  fehlt  jedes  Orientierungsvermögen.    Sie 
>ekennt  sich  dazu,  alles  getan  und  alles  unterlassen  zu  haben; 
de  bestreitet  alles,  was  ihr  schuld  gegeben  wird,  und  würde  bei 
\ndrohung  einer  Strafe  jede  Schuld  auf  sich  nehmen.  —  Sie 
ieklamiert  ein  Gedicht;  ein  Anklang  führt  sie  in  eine  fremde 
Strophe,  die  von  femliegenden  Dingen  handelt;  L.  spricht  ohne 
Selbstkorrektur  die  fremde  Strophe  zu  Ende.  —  Wenn  Sie  ihr 
Abschriftheft  durchblättern,  können  Sie  neben  der  beachtens- 
«^erten  Fertigkeit  im  Abschreiben  von  der  deutschen  und  lateini- 
schen Druckschrift  die  Eigentümlichkeit  beobachten,  daß  L.  oft, 
l>evor  das  erste  Wort  oder  die  erste  Zeile  zu  Ende  geschrieben 
ist,    abspringt,   ein  neues   Wort   oder   eine   andere   Reihe   zu 
abreiben  beginnt,  daß  sie  niemals  einen  Fehler  zu  verbessern 
sucht.    Vom  Inhalt  des  Abgeschriebenen  hat  L.  kein  Bewußt- 
sein. —  Das  Zeichenheft  enthält  außer  einer  Reihe  von  An- 
leitungsversuohen  nichts,  als  sinnlose  Kritzeleien  oder  zweck- 
lose Anhäufimgen  von  Vierecken,  die  alles  und  jedes  bedeuten 
*>Dd  nicht  bedeuten  sollen,  je  nachdem  man  die  Frage  stellt. 
Diesem  Kinde  mangelt  die  logische  Kausalität,  es  ist  darum 
^dit  verantwortlich   zu  machen   für   sein   Tun.     Jetzt   ist  es 
^3  Jahre  alt;  trotz  einer  guten  Erziehimg  im  Elternhause  ist 
sein  Zustand  nahezu  unverändert.     Das  Kind  kann  nicht  er- 
logen, nur  gewöhnt  (dressiert)  werden.    Es  ist  geistesgestört. 
21.  Wenn  Sie  die  Blätter  aus  den  Schönschreibheften  des 
J'r.  P.  imd  des  W.  R.  betrachten,  so  wollen  Sie  folgendes  vor- 
W  beachten :  Jedes  schwachsinnige  Kind  weiß,  daß  das  Schön- 
schreibheft ein  Reinheft  ist,  in  dem  der  Lehrer  während  der 
Unterrichtsstunde  mehrere  Verbesserungen  anbringt;  es  weiß 
^,  daß  seine  Arbeit  vom  Lehrer  genau  kontrolliert  wird.  — 
Diese  beiden  Kinder  haben  nun  sehr  oft,  und  zwar  nicht  nur 
^  Schönschreibunterricht,  die  Eigentümlichkeit  offenbart,  in 
^  gefertigte  Arbeit  hineinzumalen,  zu  kritzeln  oder  zu  schrei- 
^,  die  Schrift  plötzlich  zu  verändern,  ein  Komma  bis  über 
^  halbe  Heft  zu  ziehen,  die  Buchstaben  plötzlich  ungeheuer 
S^oß,  dann  wieder  verschwindend  klein  zu  schreiben  (Fr.  P.), 
Greine  Arbeit  immer  wieder  frisch  anzufangen,  ähnliche  Buch- 
^ben  und  Wörter  halb  fertig  zu  schreiben  und  schließlich  sich 

t 


192  ^^^^  Fuchs. 

gleichbleibende  Schriftformen  die  Seite  herunter  zu  wied 
holen  (Tic).  Die  Arbeiten  auf  den  vorliegenden  Blättern  si 
von  beiden  Kindern  gefertigt,  nachdem  die  geschilderte  Eig 
tümlichkeit  sehr  oft  gerügt,  den  Kindern  mit  Strafe  gedn 
und  ihnen  die  Strafe  auch  wirklich  zuteil  geworden  ist.  I 
Kinder  sind  sich  während  ihres  Tuns,  das  in  unbewacht 
Augenblicken  in  Gegenwart  des  Lehrers  geschieht,  nicht  k 
über  das  Warum  und  über  die  Folgen. 

Diese  beiden  Fälle  liegen  im  Gegensatze  zu  dem  erst 
nannten  bedeutend  günstiger,  insofern  es  sich  hier  nur 
ein  akut  gestörtes  logisches  Denken  handelt.  Es  erscheint  a 
nach  den  bisherigen  Erfahrungen  fraglich,  ob  sich  di 
Dämmerzustände  des  Bewußtseins  durch  die  Erziehung  werc 
beseitigen  lassen. 

22.  Schwieriger  liegt  der  Fall  Fr.  K.,  den  ich  Ihnen 
letzt  vorführen  möchte.    Sie  sehen  das  Zeichenheft  des  Fr. 
vor   sich.     Der    1 1  jähr.   Knabe   zeichnet  einen   Eisenbahnzi 
einen  elektrischen  Straßenbahnwagen  verkehrt,  Tiere  vertik 
Sie  sehen  femer  auf  einem  später  ausgefüllten  Blatte,  wie  i 
den  Knaben  zum  richtigen  Zeichnen  veranlaßt  habe,  und  1 
obachten  auf  den  nächsten  Blättern  die  Rückkehr  des  Kinc 
zu  seiner  Eigentümlichkeit.    Es  zeichnet  jetzt  eine  Lokomotr 
einen  Omnibus  und  Tiere  vertikal,  eine  Kirdie  verkehrt. 
Das  Kind  erkennt  die  gezeichneten  Dinge  richtig  und  hat 
der    Erledigung    seiner   Aufgabe    auch    längere    Zeit    dana 
nichts  auszusetzen.    D^e  einfachsten  logischen  Schlußfolger 
gen,  die  selbst  jüngere  Kinder  beim  Anblick  der  Bilder  < 
Fr.   K.  gezogen  haben,  setzen  bei  diesem  Knaben  aus.    (I 
Untersuchung  und  Beobachtung  dieses  Falles  ist  noch  ni< 
abgeschlossen.) 

M.  D.  u.  H.l  Mit  der  Schilderung  dieser  besondei 
Eigentümlichkeiten  im  logischen  Denken  einzelner  schwa 
sinniger  Kinder  habe  ich  das  Ende  meiner  Darlegungen 
reicht.  Es  sollte  mich  freuen,  wenn  es  meinen  mehr  belletri 
sehen  Ausführungen  gelungen  sein  sollte,  Ihre  Aufmerksamk 
auf  das  neue  und  interessante  Gebiet  der  Beobachtung  u 
Behandlung  schwachsinniger  Kinder  gelenkt  zu  haben. 


über  Rechenkünstler. 

Von  F.  Kemsies  nnd  A.  Grünspan. 

Die  Leistungen  sogenannter  Rechenkünstler  beruhen  in  der 
Regel  auf  einem  außerordentlichen  Zahlengedächtnis,  das  als 
angeboren  bezeichnet  werden  muß  und  schon  in  der  Jugend 
den  ersten  Anlaß  zu  einer  besonderen  Liebhaberei  für  Zahlen 
wid  Zahlenoperationen  gibt.  Diese  bewirkt  nun  wieder  eine 
einseitig  gesteigerte  Entwickelung  der  Gedächtnisf xmktionen,  die 
die  Norm  beträchtlich  überschreiten  und  in  Verbindung  mit 
omemotechnischen  Hilfsnuttehi  das  Zustandekommen  der  er- 
staunlichen Produktionen  ermöglichen.  Wir  imterscheiden  nach 
der  Art  des  Gedächtnisses  auditive  und  visuelle  Typen,  wobei 
die  Kapazität  unberücksichtigt  bleibt,  und  die  sensorische  Grund- 
lage des  Gedächtnisses  außer  Beziehung  zu  den  logischen 
Operationen  gedacht  ist.  Da  die  meisten  Rechenkünstler  sich 
JQehr  mechanisch  mit  elementaren  Operationen,  wie  Multi- 
plizieren, Dividieren,  Win-zelziehen  abgeben,  und  überdies  die 
Resultate  einer  größeren  Zahl  von  Aufgaben  stets  präsent 
kabcn,  auch  niu"  innerhalb  gewisser  Grenzen  arbeiten,  so  wäre 
es  folgerichtig,  ihre  Leistungen  als  solche  des  Gedächtnisses) 
anzusehen  imd  jenen  Unterschied  als  grundlegend  zu  be- 
^R^chten,  z.  B.  bei  Inaudi  und  Diamandi.  Einen  Gegensatz 
^  Bmen  bilden  diejenigen  Rechner,  bei  denen  die  logischen 
^tudctionen  in  den  Vordergrund  treten  und  die  Gedächtnis^ 
'^nteionen  sich  nur  anpassen.  Sie  sind  die  eigentlichen  Vir- 
^^*08cn  auf  rechnerischem  Gebiet,  sie  gehen  ihre  eigenen  Wege 
■  ^  können  schöpferisch  wirken.  Als  Vertreter  dieses  Typus 
betrachten  wir  Ferrol,  über  den  wir  hier  zum  ersten  Male 
'^tttuüch  Bericht  erstatten.  Über  Inaudi  und  Diamandi  findet 

PqpcholoilCf  PKttiologie  mid  Hygiene.  3 


194 


F,  Kemsies  und  A.  Grünspan. 


man  genaue  Angaben  bei  A.  Binet,  Psychologie  des  grands 
calculateurs  et  joueurs  d'^chec.  (Paris  1894.) 

Inaudi^)  behält  18  Zahlenstellen,  welche  ihm  einmal  vor- 
gesprochen "werden ;  werden  sie  ihm  aufgeschrieben  dargeboten, 
so  liest  er  sie  mit  deutlicher  Bewegung  der  Artikulations- 
organe leise  einmal  durch  und  prägt  sie  ein,  ohne  ein  mnemo- 
technisches System  anzuwenden.  Er  faßt  dabei  inrntier  drei  auf 
einander  folgende  Stellen  zusammen  und  merkt  die  französi- 
schen Laute.   Er  arbeitet  also  mit  Gehörsbildem. 

Diamandi^)  dagegen  läßt  sich  die  Zahlen  lieber  auf- 
schreiben als  vorsprechen  und  sieht  sie  in  Gestalt  imd  Farbe 
vor  sich,  wie  sie  auf  der  Tafel  niedergeschrieben  sind.  Er  ver- 
mag zehn-  bis  zwölfstellige  Zahlen  sich  fast  augenblicklich  ein- 
zuprägen, allerdings  niemals  rein  visuell,  denn  er  murmelt  dazu 
immer  leise.  Quantitativ  bleibt  er  hinter  I  n  a  u  d  i  zuröck. 

Inaudi  besitzt  auch  ein  gutes  visuelles  Gedächtnis,  das 
aber  beim  Rechnen  nicht  in  Erscheinimg  tritt.  Gibt  man  ihm 
drei  Reihen  von  Konsonanten  ä  4  in  ein  karriertcs  Netz  eifr 
getragen  und  läßt  sie  einzeln  der  Reihe  nadh  mit  Beachtimg 
eines  bestimmten  Tempos  anschauen^  indem  man  ihm  das 
Leisemitsprechen  tmtersagt,  so  merkt  er  die  Buchstaben  ab 
Gesiditsbilder  tmd  wiederholt  von  den  12  Konsonanten  7  ri* 
tig  und  vermag  auch  ihre  Stellung  im  Netz  anzugeben.  Er 
überragt  dabei  andere  Versuchspersonen  von  akademischer 
Bildung.  Im  übrigen  hat  er  für  viele  Dinge  gar  kein  Gedächtnis, 
weil  sie  sein  Interesse  nicht  erregen. 


Tafel  I. 


J.  Uest 

Tor: 

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• 

II 

Ferrol,  der  von  Kemsies  nach  demselben  Versod*' 
verfahren,  das  er  schon  bei  Inaudi  angewendet  hatte,  tai^^' 


n  Vcrgl.  diese  Zeitschrift  190K  Seite  171  ft,  ferner  P.  J,  MSbiifl^  1^^ 
die  AnlJi^t^  tur  Mathematik.    Leipsif  1900 

»^  Vergt,  diese  Zeitschrift  190£  Seite  489  fll 


Ober  Rechenkünstler.  195 

sucht  wurde,  gibt  nach  einmaligem  Vorsprechen  von  12  Zahlen- 
stellen,  ähnlicfh   wie   Diamandi   9 — 12    richtig  wieder.     In 
diesen  Leii^tungen  F  e  r  r  o  1  s  und  D  i  a  m  a  n  d  i  s  liegt  noch  nichts 
besonderes;   denn   mehrere   Studenten    der    Mathematik   und 
Philologie,  die  zum  Vergleich  herangezogen  waren,  erreichten 
wiederholt  dieselben  Resultate.  F  e  r  r  o  1  und  Diamandi  unter- 
scheiden sich  aber,  wie  die  meisten  der  bekannt  gewordenen 
Rechenkünstler,  von  I  n  a  u  d  i  darin,  daß  ihnen  die  akustischen 
Bilder  leicht    entschwinden,    und  die  entsprechenden    graphi- 
schen Zeichen   in   der  eigenen    Handschrift   erinnert   werden. 
Er  beschreibt  diese  Substitution  der  Gedächtnisbilder  folgender- 
maßen :  Während  ich  die  Gehörsbilder  aufnehme,  und  ich  mich 
in  einem  Zustande  maximaler  Konzentration  befinde,  wobei  ich 
die  Hand  mechanisch  seitlich  an  die  Stirn  lege,  als  wenn  ich 
genauer  auf  einen  Gegenstand  blic^ken  wollte,  ziehen  die  Zahlen 
in  der  genaimten  Reihenfolge  in  meinem  Gesichtsfelde  vorüber. 
Wurden  Ferrol  Ziffern  in  das  karrierte  Netz  geschrieben  vor- 
gelegt, 90   erinnerte   er   sich   wie   vorhin   9 — 12   Ziffembilder. 
Wurden  sie  ihm  in  einer  fortlaufenden  Reihe  gezeigt,  wobei 
JÄdi  der  4.  und  8.  Ziffer  ein  Komma  gestellt  wurde,  so  „ge- 
^^^annen  sie  für  ihn   Leben  und  machten  einen  angenehmen 
Eindruck"   und  wurden   sämtlich  richtig  reproduziert.     Auch 
^ses  zeichnet  Ferrol  aus,  daß  die  Gesichtsbilder  der  Zahlen 
'fir  ihn  ästhetische  Größen  sind,  daß  sie  ihm,  zu  rechnerischen 
Gruppen    vereinigt,   den    Eindruck   von    Blumenarrangements 
^chen,  und  daß  sich  Farbenempfindungen  mit  ihnen  asso- 
^ren;  z.  B.  sieht  er,  wenn  er  sich  in  den  Anblick  der  Zahl 
Wieft,  die  i  sichwarz  in  weißem  Felde,  die  6  in  gelbem  Felde, 
fe  7  im  roten,  die  8  im  violetten.    Die  Farbe  der  Schrift  ver- 
^g  er  bei  den  letzten  3  Ziffern  nicht  genau  anzugeben ;  jeden- 
falls erscheinen  sie  ihm  nicht  in  der  Farbe  des  Feldes.    Ferner 
*^t  er  beim   Merken  die   Zahlen  gewöhnlich  zu  zweien  zu- 
s^nimen.     Die  Assoziation  zwischen  den  Zahlen  und  Zahlen- 
P^en  ist  nicht  immer  sehr  fest.    Daher  kommt  es  auch,  daß 
^  beim  Reproduzieren  der  Zahlen  in  der  3x4  Anordnung  des 
s      Netzes  oft  paarweise  umstellt.    Beim  Merken  von  Buchstaben 
^h  den  vorigen  Versuchsanordnungen  zeigt  er  ein  analoges 
"erhalten  xmd  erzielt  dieselben  Resultate.    Ihm  steht  dabei  das 
Netz  mit  den  einzelnen  Fächern  vor  Augen,  und  die  Buch- 
^ben  werden  nach  Gestalt  und  Größe  erinnert.    Er  scheint 

3» 


106 


F,  Kemsies  und  A.   Grünspan, 


also  darin  Inatidi  überlegen  zu  sein.  Was  die  Quantität 
mnemotecHnisch  zu  merkender  Zahlen  angeht^  so  ver- 
mocHte  Ferrol  bis  700  Ziffern  in  aufgegebener  Anordnung 
zu  reproduzieren,  imd  er  sagt  von  sich,  daß  damit  noch  nicht 
die  Grenze  seines  Könnens  erreicht  sei ;  für  ihn  gebe  es  theore- 
tiscK  keine  Grenze.  Habe  er  mit  Hilfe  seines  Systems  ein 
bestimmtes  Zahlenquantum  erlernt,  so  könne  er  ein  zweites 
immittelbar  darauf  in  Angriff  nehmen,  ohne  daß  dadurch  die 
Festigkeit  des  bereits  erlernten  leide,  u.  s.  f. 

Alle  drei  Rechner  sind  jedoch  imstande.  Hunderte  von 
Zahlenstellen,  die  in  den  Aufgaben  und  Ergebnissen  einer  mehr- 
stündigen Sitzung  vorgekommen  sind,  ohne  Anwendimg  von 
Hilfsmitteln  wiederzugeben,  weil  die  Zahlen  infolge  der  inten- 
siven geistigen  Erregimg,  die  die  Beschäftigung  mit  ihnen  her- 
beiführt, sich  festgesetzt  haben  und  erst  dem  Gedächtnis  ent- 
schwinden, weim  neue  Zahlen  in  das  Bewußtsein  eintreten. 

Es  wurde  auch  noch  auf  Ferrols  Gedächtnis  für  Silben 
und  Wörter  in  einigen  Versuchen  näher  eingegangen.  12  Sü- 
ben  in  der  3x4  Anordnung  des  Netzes  (Tafel  II)  wurden  in 
9   Sekunden  vorgesprochen,  die  letzte  Silbe  jedesmal  betont 

Tafel  n. 


gut 

zein 

tra 

bli 

pin 

mer 

kel 

dan 

ter 

las 

nok 

laum 

Nach  jeder  Darbietung  schrieb  F.  in  ein  Netz,  was  er  behalten 
hatte  und  brauchte  im  ganzen  fünf  Wiederholungen  für  die 
korrekte  Wiedergabe.  Gaben  wir  ihm  an  Stelle  der  sinnlosen 
Silben  12  zweistellige  2^ahlen  (Tafel  III),  so  merkte  er  sie  bereite 

Tafel  ffl. 


62 

U 

80 

61 

20 

48 

87 

94 

76 

60 

26 

86 

über  RedtenkünstUr. 


197 


li  zwei  Darbietungen.  Endlich  sprachen  wir  ihm  lo  Voka- 
i  vor,  deren  Fremdwörter  selbstkonstruierte,  sinnlose  Laut- 
iplexe  waren  (Lemstück).    Er  brauchte  sechs  Wiederholun- 


Lernstück. 


togir 

semba 

pefar 

funam 

livor 


Name 

günstig 

kriechen 

dunkel 

Früchte 


malit 
bilirni 
wirdo 
nufem 


Käfer 
anders 
finden 
würdig 


wedok    Rasen 


zur  vollständigen  Erlemimg,  wodurch  ein  leichtes  Wort- 
icHtnis  charakterisiert  ist.  Interessant  war  nxm  die  Fest- 
ung, daß  Ferrol,  wenn  auch  kein  hervorragend  leichtes, 
och  ein  eminent  treues  Gedächtnis  besitzt,  und  daß  er 
einmal  erlernten  Zahlen,  sinnlosen  Silben  und  sinnlosen 
ter    über  sehr  große  Zeiträume  festhält     Tafel   II   wurde 

erstenmal  gelernt  am  27.  11.  01,  dann  am  30.  11.  01 
i  emmaligem  Vorsprechen  korrekt  wiedergegeben  imd  am 

03,  also  nadbi  i  Jahj  7  Monaten  spontan  zur  Hälfte  repro- 
jrt    (Tafel    IV)    und  nach    einmaligem  Vorsprechen  das 

Tafel  IV. 


pin 

mer 

kel 

dan 

nok 

faum 

ce  vollständig  wiedergegeben,  ohne  daß  F.  in  der  Zwisdhen- 

jemals  an  diese  Silben  gedacht  hatte. 

Tafel  III  wurde  erlernt  am  27.  11.  01  und  am  31.  12.  01, 

nach  einem  Monat,  wurden  9  der  zweistelligen  Zahlen 
itan  reproduziert.  Er  sah  den  Zettel  noch  innerlich  vor 
.  Von  den  fehlenden  3  Zahlen  kam  ihm  eine  sehr  bekannt 
die  andern  beiden  waren  ihm  fremd  geworden.  Das  obige 
abellemstück  koimte  von  ihm  am  9.  7.  03  nach  der  4.  Dar- 
ang  wiederholt  werden,  so  daß  eine  Ersparnis  von  2  Wie- 
fcolungen  gegen  das  erste  Erlernen  des  Stückes  zu  konsta- 
ai  ist.    Diese  Ersparnis  muß  darauf  zurückgeführt  werden, 

ihm  die  Vokabeln  in  der  langen  Zeit  nicht  völlig  fremd 


198 


F.  Ktmsia  xmJ  A^  GrmmipOM, 


geworden  waren;  denn  zur  Erlernung  einer  neuen  Vokabel- 
reihe  hatte  er  wieder  6  Wiederfaohmgen  nötig. 

Die  Schnelligkeit  der  Ausführung  einfacher  Rechenoperar 

tionen  ist  bei  allen  drei  Rechenkünstlern  sehr  groß,  was 
sich  hinreichend  durch  die  tägUche  Übung  und  durdi 
den  großen  Gedäcütnisvorrat  an  fertigen  Resultaten  erklären 
läßt.  Wir  ließen  F.  zusammen  mit  zwei  Studenten  einfadie 
Additionsexempel  ausführen.  Es  wurden  die  9  Grundzahlen 
in  beliebiger  Folge  zu  langen  Additionsreihen  aufgeschrieben. 
Die  3  Personen  begannen  gleichzeitig  zu  rechnen  und  mußten 
nach  je  15  Sekunden,  weim  ein  Signal  ertönte,  einen  Strich 
machen  und  die  Summe  notieren.  Alle  drei  hatten  starke 
Schwankungen  der  Leistungsfähigkeit  (vergl.  die  Linien  dec 


f. 
so 

A^^.^f, 

fl 

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1 

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I 

6 

_ 

f 

_ 

T 

T  1 



Figur  I),  am  meisten  jedoch  Ferrol,  bei  dem  nach  m^**' 
malen  Leistungen  starke  Depressionen  vorhanden  waX^^ 
F.  zählte  in  den  ersten  15  Sekimden  36  Stell^i  zusamnt»^^ 
K.  20  imd  E.  18.  F.  läßt  mit  geringen  Schwankungen  in  ^^ 
Schnelligkeit  nach  imd  kommt  nach  Verlauf  von  zwei  Minute^ 
auf  16  Stellen  pro  15  Sekunden,  erhebt  sich  dann  wieder  io 
starkem  Auf  und  Ab  bis  zu  42  Stellen  nach  3  Mmutea  45  ^ 


1 


iden  und  geKt  in  der  5.  Minute  wieder  auf  18  herunter.  Dfe 
fferenz  zwischen  Maximum  und  Minimum  beträgt  also  bei 
a  42  —  16=26,  während  sie  sich  bei  K.  nur  auf  23  — I2«=»ii 
i  bei  E.  auf  18  — 7=»  11  beläuft.  F.  rechnet  demnach  bei 
tsen  einfachen,  auf  ziemlich  mechanischen  psychischen  Vor- 
Qgen  beruhenden  Operationen  noch  einmal  so  schnell  wie 
t  beiden  anderen  Versudispersonen. 

Er  behauptet  freilich,  gar  nicht  zu  rechnen,  sondern  die 
•umme  zweier  Zahlen  sofort  mit  ihrem  Anblick  zu  verbinden," 
ibewußt  und  unbeabsichtigt;  er  lege  sich  noch  eine  gewisse 
Jschränkung  dabei  auf,  da  er  bei  dem  Erfassen  zweier  be- 
bigen Zahlen  sogleich  auch  die  Differenz,  das  Produkt,  den 
lotienten,  die  Quersunmien,  die  Logarithmen  u.  a.  mitzudenken 
ivohnt  sei,  die  für  ihn  in  bestimmten  Richtungen  des  Raumes 
^,Hegen",  oder  aus  der  Erde  „aufzusteigen"  scheinen. 

F.  glaubt,  daß  die  Schnelligkeit  seines  Rechnens  mit 
und  3-stelligen  Zahlen  imd  dieses  ungesuchte  „Auftauchen" 

Resultate,  das  von  ihm  als  „Empfinden"  bezeichnet  wird, 

seine  spezifische  Art  zu  rechnen  zurückgeführt 
den  muß,  auf  die  wir  deshalb  jetzt  näher  eingehen  wollen. 

F.  unterscheidet  nach  der  Art  des  Zustandekommens  seiner 
^tiltate  zwischen  schriftlichem  Rechnen  und  Kopfrechnen; 

letztere  wendet  er  in  Zahlenkreisen  bis  1000  000  an  und 
über  hinaus,  wenn  „Kürzungen"  anzubringen  sind;  das 
riftliche  Rechnen  ist  nur  noch  insofern  schriftlich,  als  er 
i  Resultat  mit  den  Einem  beginnend  niederschreibt,  imd 
IT  unmittelbar  nach  Bekanntwerden  der  Aufgabe.  Während 
die  Einer  notiert,  berechnet  er  die  Zehner,  indem  er  sämt- 
tie  Zehnerwerte  der  Teilprodukte  feststellt  und  sie  sofort 
diert.    Dasselbe  wiederholt  sich  bei  den  Hunderten  u.  s.  f. 

Beispiele  für  schriftliches  Rechnen: 


31 

X  12 

1X2  =  2  Einer 
(2X3)+(iXi)  =  7  Zehner 
1X3                =3  Hunderter 

oder: 

31 
12 

31                            31 
12                            12 

.  .    2 

•  7a                          372 

200  ^'  Kemsies  und  A,  Grünspan, 


*1 

X  87 

•  .  4 

42 

X 

X  87 

7X2  =  4  Einer  +  i  Zehner 
(7X4)+i+(8X2)  =  5  Zehner        Hunderter 
__        (8X4)+4  =  36  Hunderter 
•  54"  

42 

I 
X  87 

3654 

In  derselben  Weise  rechnet  F.  auch,  wenn  die  Faktoren 
von  sehr  hoher  Stellenanzahl  sind.  Das  nämliche  Verfahren 
wendet  übrigens  Diamandi  an. 

Beispiele  für  Kopfrechnen: 

31 
X  12 

F.  behauptet,  daß  die  Bestimmung  der  Einer  aus  Einem  X 
Einem,  und  die  der  Hxmderter  aus  Zehnem  X  Zehnem  zu 
einfach  ist,  als  daß  für  sie  bestimmte  Zeitmomente  aiurusetzen 
seien.  Es  bleibe  nur  die  Auffindung  der  Zehner  übrig  aus 
Einem  x  Zehnem,  weshalb  er  hiermit  den  Anfang  macht,  also 

(2X3)  +  (IX  0  =  7  Zehner 
3     I 
X 
I     2 


Hunderter  und  Einer  schließen  sich  vom  imd  hinten  an:  372. 
Größere  Zahlen  ergeben  Überträge,  z.  B.:  (8x4) +  (7x2) 
=  6  Zehner,  4  Himderter,  die  in  bekannter  Weise  der  höheren 
Stelle  zugeschlagen  werden. 

8     2 
X 

7    4 
also:  6068. 


über  Rechenkünstler,  201 

Beispiele  für  Kürzungen: 

3    2        oder        2     3        oder        2     2        oder        2     2 
X  X  X  X 

ilj_£  X   2     I  X  3     I  X   I     3 

Die  4  Fälle  haben  das  eine  gemeinsam,   daß   2  Ziffern 

gleich  sind^  imd  deshalb  2  Multiplikationen  in  eine  zusanunen- 

gezogen  werden  können.    Statt  zu  sagen: 

(2x3)  + (2x1)  =  8  Zehner, 

sagen  wir: 

2X3  +  2X1  =  2X4  =  8  Zehner 
oder: 

i-|-3  =  4,  4x2  =  8  Zehner. 

Resultate:  384,  483,  682,  286. 

Ist  die  Summe  der  zusammengezogenen  Ziffern  =  10,  so 

ergeben  sich  neue  Kürzungen: 

84  48  44  44 

X  X  X  X 

X   2     4         X  4     2  X  2     8  K   8     2 

Statt  zu  sagen: 

(4  X  8)  +  (4  X  2)  ==  40  Zehner, 
wird  nach  obiger  Angabe  gerechnet: 

84-2  =  10,   4x10  =  40; 
hl  diesem  Falle  tritt  jedoch  eine  zweite  Art  der  Kürzung  ein, 
die  die  obige  in  sich'  aufnimmt,  nämlich: 

2  X  8  =  16,  16  +  4  =  20  Hunderter. 
Resuhat:  2016. 
Bei  der  zweiten  Aufgabe: 

4     8 
X 
X  4     2 


ss^en  wir: 


Bei 


'rechnet 


man: 


4  X  5  =  20  Hunderter. 
Resultat:  2016. 

4     4 
X 

A  2     8 

3x4=12  Himderter, 
Resultat:  1232; 


202  ^'  Kemsks  und  A.  Grünspan. 

und  bei 

4    4 
X 
X   8     2 


9  X  4  =  36  Hunderter, 

Resultat:  3608. 

Ähnliche  Kürztingen  finden  statt,  wenn  die  Summe  d^i 

mit  der  gleichen  Zahl  zu  multiplizierenden  Zahlen  nicht  10, 

sondern  20,   30  usw.  ausmacht,   femer  wenn  man  nicht  &c 

Sununen,  sondern  die  Differenzen  in  Betracht  zieht. 

Beispiele  für  Division  ohne  Kürzung: 

41463 

8 

8X5  =  40;  41—40=1 
14—8X1  =  6 

•6:5  =  1 

51 
81 

6— i>5  =  i 
16— iXi  =  15 
15:5  =  3 
41436 

51 
813 

Aus  diesen  Beispielen  ist  ersichtlich,  daß  F.  soviel  Opera- 
tionen als  irgend  möglich  zusammenzufassen  sucht. 

Weiteres  Zusammenfassen  kommt  vor  bei  Addition  oder  Sub- 
traktion von  Produkten,  beim  Wurzelziehen,  beim  Logarith- 
mieren,  bei  der  Bestimmung  von  Winkelfunktionen. 

Diese  Art  zu  rechnen  unterscheidet  ihn  prinzipiell  von 
Inaudi  und  Diamandi  und  befähigt  ihn  zu  noch  höheren 
Leistimgen,  bei  denen  eine  ausgezeichnete  Kombinationsgabe 
zusammenwirkt  mit  der  Neigung  und  Übung  ztisammen- 
zufassen.  Es  tritt  hinzu  als  förderndes  Moment  die  Kennt- 
nis vieler    Zahlenbeziehungen,    die    aufzusuchen   für    ihn   ein 


Ober  ReOunkÜHStUr.  203 

angenehmes  Spiel  ist,  dem  er  sich  gern  hingibt.  Sobald 
zwei  beliebige  Zahlen  ihm  genannt  werden,  denkt  er  sofort 
über  die  zwischen  ihnen  möglichen  Beziehimgen  nach.  Wir 
fragten  ihn  nach  den  Beziehimgen  zwischen  36  mid  144. 
Er  führte  über  sie  folgendes  aus:  Daß  144  das  4 fache  von 
36  und  beide  Zahlen  die  Faktoren  2.2.3.3  enthalten,  schien 
mir  80  selbstverständlich,  daß  ich  diesen  Umstand  garnicht 
näher  erwähnte;  ebenso  selbstverständlich  war  die  Teilbarkeit 
dieser  Zahlen  und  damit  auch  ihrer  Quersummen  durch  9. 
Nur  daß  diese  Quersummen  beide  gleich  9  waren,  schien  mir 
besonderer  Erwähnung  wert.  Beide  Zahlen  sind  Quadrate,  die 
eine  jenes  der  doppelten  Wurzel  der  anderen.  Streiche  ich  in 
der  144  die  bei  der  Teilung  durch  36  resultierende  Ziffer  4 
hinten  oder  in  der  Mitte,  so  bleibt  14;  diese  aber  ergibt  in  der 
3.  Potenz  2744,  also  eine  Zahl,  die  wie  144  mit  „44**  endigt, 
während  die  beiden  ersten  Ziffern  wiederum  9  als  Quersiunme 
geben.  Es  ist  ferner  14  =  2X7,  drehe  ich  144  um,  so  erhalte 
ich  441  =212=^9.7*.  Die  Zahl  2744  ist  =  8-343  =  7'- 8; 
i-l_ 2+3+4+54-64-74.8  ist  aber  36.  36  und  144  haben  gleichen 
log  sinus  und  gewissermaßen  gleichen  log  cos  (nämlich  9,7692187 
und  9,9079576),  weil  180=5X36,  also  180—36=4.36=144, 
sin  (180 — a)  aber==  sin  a  und  cos  (180 — a)  =  —  cos  a  ist.  — 
Es  ist  ferner  362=9.144  =  1296,  1442  =  20736.  Diese  Zahl 
endigt  mit  36,  also  zugleich  mit  der  doppelten  Quersumme  von 
36^  und  144»,  nämlich  18.  36^  =  46656,  144'  =  2985984,  eine 
Zahl,  die  ich  erhalte,  wenn  ich  36^  mit  64  multipliziere.  Die 
Zahl  1679616  =  36*  beginnt  und  endigt  mit  16;  die  Wurzel 
aus  dieser  Zahl  ist  4,  die  mit  der  Quersumme  multipliziert 
widerum  144  gibt  Es  ergibt  144*  =  16796x6  •  16  •  16  =429981696, 
eine  Zahl,  in  der  5  mal  die  16  erscheint. 

Da  Fer  r o  1  außerdem  den  Logarithmus  der  Primzahlen  von 
I  — 433  auswendig  weiß,  ebenso  den  log  sin,  cos,  tg  und  cotg  der 
etwa  20  am  häufigsten  vorkommenden  Winkel,  femer  die  Quadrat- 
und  Kubikzahlen  bis  weit  in  die  Zahlenreihe  hinauf  und  eine 
Reihe  von  Gesetzen  über  die  Teilbarkeit  der  Zahlen,  so  gelingt 
es  ihm,  auf  einfachen  Wegen  zur  Lösung  von  quantitativ  und 
qualitativ  schwieriger  Kopfrechenaufgaben  zu  gelangen.  Wir 
geben  im  folgenden  vier  Beispiele  dafür. 

I.  Gesucht  ist  die  19,5.  Wurzel  aus  einer  24  stelligen  Zahl. 
Es  ist  F.  sofort  klar,  daß  er  die  39.  Wurzel  zu  nehmen  hat 


204  ^'  -Kiemsies  und  A.  Grünspan. 

und  das  Resultat  ins  Quadrat  erheben  muß.  Nun  ist  der 
garithmus  einer  24  stelligen  Zahl  hinsichtlich  seiner  Kennziff« 
=»23  bekannt,  während  die  Mantisse  sich  nach  den  Ziffern  d« 
Radikanden  richtet  Die  Wurzel  sollte  rational  sein ;  sie  war  au£ 
dem,  wie  F.  erkannte,  kleiner  als  10,  und  nun  erhielt  er,  inde: 
er  23, ... .  diurch  39  teilte,  0,5  ...  .,  welche  Zahl  auf  o,6o2^:z>^ 
zu  erhöhen  war,  d.  h.  auf  den  Logarithmus  der  nächst  höher^^s 
ganzen  Zahl.  Diesen  log  4  wußte  F.  auswendig.  Diese  Zahl  4 
war  demnach  die  39.  Wurzel  und  demgemäß  16  die  19,5  Wurz^^^X 

2.  F.  wurde  die  Aufgabe  gestellt,  die  9.  Wurzel  aus  d^^nm 
Produkt  von  zwei  12  stelligen  Zahlen  zu  ziehen.  Bevor  ihm  dLi< 
Aufgabe  selbst  genannt  wurde,  stellte  er  sofort  folgende  Üb^^x*- 
legung  an:  Da  der  Radikand  23,  höchstens  24  Stellen  ha1>^^m 
konnte,  so  mußte  die  gesuchte  Wurzel  3  stellig  sein  und  konrs.'^e 
der  Zahl  der  Stellen  nach  höchstens  500  betragen.  Da  die 
Wurzel  aufgehen  sollte,  und  er  sich  auf  das  Ausmidtiplizier^  n 
der  großen  Faktoren  nicht  einlassen  konnte,  so  beschloß  ^^x-, 
rein  rechnerisch  nur  auf  die  i .  Stellen  der  Faktoren  zu  acht^ 
im  übrigen  aber  deren  Teilbarkeit  festzustellen.  Es  konzxi 
sich,  da  die  Wurzel  unter  500  sein  mußte,  nur  um  kleine  Teil^ 
handeln,  und  da  außerdem  beide  Faktoren  von  gleicher  StelU 
anzahl  waren,  so  enthielt  wahrscheinlich  jede  annähernd  di^ 
9.  Potenz  der  Quadratwurzel  des  Resultates,  welche  also  cir'c:^^ 

20  sein  mußte.    Nun  wurden  die  Faktoren  genannt;  der  i.  d^"*'" 
selben  beginnt  mit  79.    Die  folgenden  Stellen  beachtet  F.  nic^^t** 
mehr  und  stellt  nur  durch  ihre  Addition  fest,  daß  die  Z^^^^^ 
durch  9,  die  Wurzel  also  durch  3  teilbar  ist.     Logarithmis^^^ 
betrachtet,  ließ  diese  mit  79  beginnende  Zahl  nur  den  W^^^ 

21  zu,  eine  Erwägung,  die  F.  erst  später  zur  Kontrolle  anstell'^^^- 
Der  2.  Faktor  begann  mit  32 ;  die  andern  Ziffern  wtu-den  nicrJ^^ 
mehr  berücksichtigt;  F.  zieht  vielmehr  rasch  die  Summe  d^^ 
log  79  und  32  =  annähernd  2.3,608,  woraus  als  WurzellofiT^" 
rithmus  2,60  folgt.     Die  Wurzel  selbst  ist  also  nahezu  ^o^- 
Der  Wert  397  ist  ausgeschlossen  als  Primzahl;  398,  396  sit»« 
nicht  durch  3,  resp.  durch  7  teilbar,  und  so  bleibt  als  allein 
mögliches  Resultat  399.    Diese  Überlegungen  folgten  zeitlich 
so  rasch  aufeinander,  daß  F.  nach  Nennimg  des  letzten  Fak- 
tors auch  schon  das  Resultat  präsent  hatte. 

3.  Ein  Kapital  von  1000  M.  soll  in  9  Jahren  amortisiert 
werden.    Gegen  die  ursprünglich  festgesetzte  Rate  wird  seitens       ^  ^ 

U 


Üiter  MechenkünsUer. 


205 


des    Schuldners  Protest  erhoben  mit  dem  Erfolge,  daß  seine 
Beschwerde  als  berechtigt  anerkannt  und  der  Zinsfuß  um  Vs  ^1^ 
ermäßigt  wird,    Dadurch  ermäßigt  sich  auch  die  Amortisations- 
fate  um  0,30  t^/o  des  Kapitals,  nämlich  auf  131,50  M.  Wenn  man 
nun   die  Logarithmen  einzelner  Zinsfaktoren,  und  zwar  1,0  p, 
daiux  ijO  p  5,  femer  \^o  (p  +  1)  usw.  mit  einander  vergleicht^ 
so  zeigt  sich,  daß  die  Differenzen  dieser  Logarithmen  auf  etwa 
3  Stellen  berechnet,  nahezu  gleich  sind.    Infolgedessen  werden 
3iicli   bei  einer  nicht  zu  hohen   Reihe  von  Jahren  die  Diffe- 
renzen der  Amortisationsraten  gleich  sein.    F.  sieht  von  vorn- 
herein von  der  Verwendung  der  reg.  fals,  ab,  müßte  aber,  um 
"it5     Differenz   der   *\mortisationsraten   zu  erfahren,   zwei   der- 
selben berechnen,  wenn  nicht,  diese  Differenz  0,300/0,  durch 
^»^     Angabe  des  Kapitals  bereits  gegeben  wäre*     Er  rechnet 
cles^ialb  die  Amonisationsrate  bei  einem  Zinsfuß  von  3  0/0  aus, 
nj^d^t  die  Zahl  128,50  M.  und,  indem  er  sie  von  1310O  M  ab- 
^^^J^t,  die  Differenz  3  M.  oder  0,30  «»/o.    Demnach  ist  der  end- 
ffviltige  Zinsfuß  3^/2*^/0,  der  ursprüngliche  4<>/o. 

4.  Es  ist  x!  berechnet,  aber  da  einer  der  Faktoren  aus- 

^^^ lassen  wurde,  so  erhielt  man  das  unrichtige  Produkt  68  428  800. 

1^  ^^i^  groß  ist  X  und  welches  ist  der  ausgelassene  Faktor  y? 

A^^*^     Bestimmung  von  y  untersucht  F.  die  Zahl  68428800  auf 

*^^  Teilbarkeit.    Es  leuchtet  sofort  ein,  daß  für  diese  Unter- 

^^^liung  8^   5  und   10  nicht  in  Betracht  kommen,  eine  Unter- 

i^^^liung  auf  9  und  27  aber  zu  keinem  Resultate  führen  kann. 

Xmtersucht  also  auf  7,  u  und  13,  und  zwar  derart,  daß  er 

Produkt  7j  11,  ij  :=  looi  so  oft  als  möglich  abzieht: 

68428      Soo 
-  68 
360—360 
440 
Es  zeigt  sich,  daß,  da  440  wohl  durch  11,  nicht  aber  durch 
und  13  teilbar  ist,  der  fehlende  Faktor  y^^^j,  x  aber  weniger 
^h  13,  nämlich  12  ist.    Auch  hier  stellt  F.  diese  Überlegungen 
^chon  an,  während  die  Aufgabe  genannt  wird  und  liefert  das 
^ Nichtige  Resultat  unmittelbar  nach  Nennung  der  Aufgabe. 

Man  vergeiche  damit  die  Leistungen  Inaudis,  die  er  nach 
dem  Berichte  von  Binet  bei  jeder  Sitzung  vorführt,  um  den  Unter- 
schied in  der  Qualität  der  Operationen  und  in  der  Quantität  der 
Zahlen  bei  beiden  Rechenkünstlern  völlig  zu  verstehen.  L  rech- 


206  ^'  Ketnsies  und  A.  Grünspan, 

net  im  Kopfe  gleichzeitig  aus:    i.  Die  Differenz  zwei^^r 
Zahlen  von  je  21   Stellen,    2.  die  Summe  von  5  Summanden 
zu  je  6  Stellen,   3.  das  Quadrat  einer  vierstelligen  Zahl,  4.  d^n 
Quotienten  zweier  vierstelligen  Zahlen,  5.  die  Kubikwurzel  eiii.^r 
neunstelligen  Zahl,    6.  die  5.  Wurzel  einer  zwölf  stelligen  Zalrml. 
Zur  Einprägung  sämtlicher  Aufgaben  sind  mehrere  Wieder- 
holungen notwendig.   Die  Zahlen  für  die  erste  Operation  werden 
von  der  Umgebung  genannt,  von  I.  wiederholt,  darauf  unt^r 
dem  Diktat  von   I.  an   die  Tafel  geschrieben,  ohne  daß    ^r 
sie  jedoch  zu  Gesicht  bekommt,  und  nun  von  dem  Impresairio 
vorgelesen,  sowie  von  I.  wiederholt.    Dann  geht  man  zu  d^^xn 
Zahlen  der  zweiten  Operation  u.  s.  f.     Sind  sämtliche  Zahl^^xi 
angeschrieben,  so  wiederholt  sie  I.  zum  letzten  (6.)  Male. 

Die  Lösung  beansprucht  10 — 12  Minuten,  in  dieser  Z^^it 
muß  er  ca.  200  Ziffern  festhalten. 

F.  braucht  die  einzelnen  Aufgaben  nicht  erst  zahlenmä^Wi-g 
einzuprägen,  um  darauf  die  Resultate  festzustellen,  sondern  gi"fc>^ 
letztere  sofort  an,  nachdem  die  Aufgaben  gestellt  sind. 

Es   bleibt  noch  übrig,  etwas  über  die  Entwickelung  d  ^^^ 
Rechenkünstlers   nachzutragen.    Zur  Erklärung  der  außer^^^' 
wohnlichen   Leistungen   einer   Person  pflegt   man  wohl  na-^c^" 
besonderen  Gaben  und  Leistungen  in  der  Ascendenz  zu  suche^"*^- 
Nun  gibt  Ferrol  wie  Inaudi  von  seiner  Mutter  an,  daß  sie  c 
Zeit  der  Schwangerschaft  infolge  von  Wirtschaftssorgen  v: 
rechnen  mußte.     F.  berichtet  aber  noch  weiter,  daß  sie  el 
ausgesprochene  Begabung  für  Rechnen  besessen  und  ihm  ein^ 
ausgezeichneten  ersten  Rechenunterricht  erteilt  hätte.     Au« 
Diamandis  Mutter  hat  ein  ausgezeichnetes  Gedächtnis  besesses^ 
Von  seiner  Schwester  sagt  F.,  daß  ihre  Leistungen  im  Mul 
plizieren  für  ihn  viele  Jahre  unerreichbar  waren.  VonDiamanci 
vierzehn  Geschwistern  zeigten  zwei  ein  ähnliches  Talent  w 
er,  welches  aber  nicht  weiter  ausgebildet  wurde ;  von  Inaudis  < 
schwistem   läßt   sich   derartiges  nicht   mitteilen. 

Zur  Anlage  tritt  als  steigerndes  Moment  die  tägliche  Übun-— •^":^ 
und    das   Interesse,    das    sich    in    den  Gegenstand   allmählic    "^ 
hineinbohrt.    F.  sagt,  daß,  wenn  er  einige  Monate  der  gewohnte    "^^ . 
Beschäftigung  fem  geblieben  sei,  er  eine  gewisse  Unsicherher:^    ^^ 
bei  sich  konstatiere,  und  daß  er  größere  Anstrengungen  mache 
müsse,  um  die  Lösungen  zu  finden.    Wenn  er  in  der  Übun. 
bleibe,  so  mache  er  stetige  Fortschritte  in  Bezug  auf  Mannt] 


über  RecßunkünsÜer,  207 

gkeit  der  Rechenoperationen  sowohl,  als  auch  in  bezug 
die  Methoden. 

Inaudis  Fähigkeiten  sind  scharf  umgrenzte.  Er  hatte  weder 
Trieb  noch  das  Können,  sich  nach  Wissensgebieten  zu  be- 
2n,  in  denen  Rechenoperationen  Anwendung  finden,  so  daß 
5t  auf  Grund  dieses  und  einiger  anderer  Fälle  den  all- 
«inen  Satz  ausspricht,  daß  die  Rechenkünstler  ihre  ge- 
te  geistige  Kraft  für  ihr  Talent  aufbrauchen,  so  daß  ihnen 
andere  Disziplinen  nichts  mehr  übrig  bleibt.    Dieser  Satz 

jedoch,  wie  das  Beispiel  Ferrols  zeigt,  nur  beschränkte 
iing.  Denn  diesem  gelingt  es,  sich  spielend  und  autodi- 
tisch  in  Probleme  der  Physik,  Chemie,  der  biologischen 
scnschaf ten  und  der  reinen  Mathematik  hineitizudenken  und 
ständig  Fragen  zu  stellen  imd  zu  beantworten.  Er  ist  der 
nder  mehrerer  elektrischer,  auf  Rechnung  gegründeter 
iapparate,  und  er  behandelt  oft  schwierige  mathematische 

physikalische  Probleme  in  der  Absicht  sie  zu  lösen,  ohne 

Tragweite  sofort  ermessen  zu  können.  Im  ganzen  ein 
citiger  imd  anregender  Kopf,  der  sich  in  keiner  Beziehung 
leichen  läßt  mit  dem  ländlich  einfachen  Inaudi,  der  sein 
bentalent  unter  der  seiner  Obhut  anvertrauten  Herde  ent- 
:eln  mußte. 

Gemeinsam  ist  beiden  die  intensive,  geistige  Erregung 
:h  Zahlen,  die  sich  durch  das  ganze  Vorstellungs-, 
lüts-  imd  Willensleben,  ja  sogar  im  Traume  noch  fort- 
Qzt.  Die  Zahlen  haben  im  Traume  eine  solche  sinnliche 
tlichkeit  imd  Lebhaftigkeit,  daß  ganze  große  Rechen- 
•ationen  mit  sämtlichen  Einzelheiten  erinnert  werden.  Es 
imt  bei  Ferrol  vor,  daß  er  am  Morgen  die  Lösung  einer 
«reren  Aufgabe  fertig  vorfindet.  Bei  Tage  vermag  Inaudi 
irmender  XJmgebxmg  ungestört  seinen  Zahlen  nachzusinnen; 
st  völlig  in  sie  versenkt  und  befindet  sich  im  Zustande 
imaler  Aufmerksamkeit.  Wird  er  unterbrochen,  so  bleibt 
e  Rechnung  im  Gedächtnis  stehen.  Er  rechnet  sogar  wäh- 
l  der  Unterhaltung,  wenn  auch  langsamer,  weiter.  Ferrol 
lält  sich  ähnlich. 

Interessant  und  einer  näheren  Prüfung  wert  erscheint  die 
lauptung  Ferrols,  daß  seine  Rechenkunst  sich  unterrichtlich 
wenden  lasse,  wofür  er  eine  Reihe  von  Erfahrungen  an 
idcm  beizubringen  gedenkt. 


Sitzungsberichte. 


Psychologische  Gesellschaft  zu  Berlin. 

Sitzung  vom  20.  Januar  1903.    Beginn  7  Uhr  20  Min. 

Vorsitzender:  Herr  Th.  S.  Fla  tau. 
Schriftführer:  Herr  Pfungst. 
Der  Vorsitzende  verkündigt  die  Meldung  von  drei  neuen  Mitgliedern, 
zwar  der  Herren: 

Kriminalkonunissar   Joh.    v.    Manteuffel,   Berlin   NW.,  I^^^^ ^ 

bergerstr.  26, 
Dr.   med.   James   H.    Honan,   American  Physidan,   Berlin      '^^•* 

Lützowstr.  78, 
Freiherr  v.  Münchhausen,  Berlin,  Schleiermacherstr.  19. 
Er  begrüßt  sodann  den  Redner  des  Abends  und  die  zahlreich  erschien^^^''^'^ 
Gäste.    Hierauf  hält  Herr  Prof.  Dr.  G.  S  i  m  m  e  1  (a.  G.)  den  angekündi^^^ 
Vortrag: 

Über   ästhetische   Quantitäten. 
Der  Glaube  an  die  unbegrenzte  Spannweite  der  Kunst  hat  verschietS-^^^ 
ästhetische  Richtungen  zum  gleichen  Irrtum  verführt.   Sowohl  der  abstr^-^^^ 
Idealismus  wie  der  Realismus  glauben,   das  Wesensprinxip   der  Kunst  h.^^^ 
lu  allen  Inhalten  des  Seins   das  gleiche  Verhältnis,   d.  h.  sie  könne  gnm^^ 
sätzlich  jeden  Gegenstand  in  den  Kreis  ihrer  Formen  ziehen  und  mit  gieic^^'^ 
VoUkonunenheit  ausstatten.    Dieses  ist  das  entgegengesetzte  Extrem  etg'^^^\ 
über  jener   Theorie,   die  nur   Schönes,   Charakteristisches   als  Gegenst^^-^' 
gelten  lassen  wollte. 

Die   Meinung,   die   Kunst   könne   wie   ein   Spi^el  jedes  Ding  in  ^'    ^ 
inuner  gleichen  UmbUdung  wiedergeben,  übersidit,  daß  die  Kunst  t^^ 
ihre  Mittel  historisch  erwachsen  sind.   (Dieser  artistische  Panthdsmus      ^^ 
ein   Größenwahn,    der    die   Relativität    und    endlose  EntwicklungsfiUiigi^^ 
alles  Menschlichen  verkennt.)  Ztun  objektiven  Sein  kann  die  Kunst  deshalb      ^^ 
verschiedenen  Punkten  nur  ein  verschiedenes  Verhältnis  haben.    Ein  hi*-^^^^ 
für  charakteristischer  Punkt  soll  hier  aufgezeigt  werden,  indem  ich  die  'N^'^ 
schiedenhcit  des  ästhetischen  Standpunktes  in  ihrer  Abhängigkeit  von  ^^^^^ 
verschieden  großen  Umfang  des  Kimstwerkes  betrachte. 

Di^  Dinfr~  fordern  von  sich  aus  gewisse  Größomiaße  für  ihre  ^^^^\1 
banmg  im  Kunstwerke.    Wenn  diese  Forderung,  die  aus  den  Dingen  qn-Ä""** 


Sim^ngsb^^^U. 


200 


ufmd  jene,  die  vom  rein  artistischen  Standpunkt  erwächst,  haJd  auseinander 
weichen,  bald  zusammenfallen,  so  ist  so  viel  enviescn,  daß  die  künstlerische 
Qe^alrtmg  rur  Wirklichkeit  ein  ganz  ssufälligcs  und  schwankendes  Verhält- 
nis   liaL 

Die  größten  Diskrepanzen  entstehen  gegenüber  der  n  i  c  h  t  o  r  g  a  n  i  - 
s  c  li  e  n  Natur,  So  können  z,  B*  Alpenbilder  die  Quantitätsbedeutung  nicht 
^fcschBpfend  wiedergeben^  sie  wirken  leer  und  unzureichend.  Selbst  Segantini, 
Hfer  finiige  große  Alpenmaler,  den  es  gegeben  hat)  hat  die  Berge  immer 
m  den  Hintergrund  gerückt  oder  stilisierte  Formen  gewählt  und  auch  sonst 
noch  (durch  Luft-,  Beleuchtungs- Behandlung)  von  der  Forderung  jenes  aÜein 
durch  die  Quantität  eriiel baren  Eindruckes  ganz  abgelenkt. 

Bei  allem  organbch  Gewachsenen  finden  wir,  daB  der  Umfang  immer 
sö   weit  geht^  als  die  inneren  Kräfte  ihn  getragen  baben.   Da  empfinden  wir 
(durch    wahrscheinlich    unbewußte    kompliziertere    Erfahrungen    und    Ein- 
füliluiigen)  die  inneren  Kräfte  de^  Wachstums,  wir  sind  infolge  dessen  immer 
j  niif  der  Gro&e  einverstanden,  und  dem  Künstler  ergeben  sich  ohne  weiteres 
di«    Änderungen   der   Form,   deren   es  bei   Änderung  der  Quantität  bedarf. 
Bei  Unorganischem  dagegen  drückt  die  Gestalt  kein  Inneres  aus;  die 
formen  sind  durch  äußere  Einwirkungen  gestaltet ;  es  fehlt  das  innere  Prin< 
rip  f  tij  ^ic  äußerlich  gegebene  Form,  das  uns  bei  der  Umbildung  leiten  könnte. 
.  l^a  können  wir  uns  nur  an  die  gegebene  Tatsache  der  Größe  halten. 
^^    ^ie   kommt   es   weiter,   daß   auf   den   Nichtarchitekten   kleine   Modelle 
^Bk    Bauwerken  fast  gar  keine  ästhetische  Wirkung  haben  oder  wenigstens 
^™e    solche,  die  der  Ausführung  in  den  wirklichen  Maßen  gar  nicht  ent- 
^tieht?    Psych  ophysisch   sind   wir  nicht  imstande,  die   Schwere  Verhältnisse, 
^^    Lasten  und  Tragen,  Ausbiegea  und  Hochstxebcn,  kturz  die  dynamischen 
Vorgänge^    in    so   kleinen   Abmessungen   in   uns   nachzubilden   und  naclmi- 
*tihlen.     Alle   diese    „Einfühlungen*'    entstehen  uns   erst   oberhalb  einer  ge- 
^S^n  absoluten    Größe    der    Obje^itc,    welche    wir   füglich   „Schwelle'*   der 
^acbempfindung   nennen   können.     Unsere   historisch   gegebene   Architektur 
^t    effenbar  jene   Quantitätsmaße,  welche  unserer  Seele  ein  solches  Nach- 
fühlen gestatten.     Bei   sehr  viel  kleineren   oder  sehr  viel  größeren  können 
^r    üoch  immer  anschauen,  intellektuell  konstatieren,  aber  ästhetisch  wirk* 
^^*ii  sind  diese  Verhältnisse  nicht. 

In  diesem  Zusammenhange  wird  klar,  weshalb  idealistische  (?)  in- 
^Uelcttjalis tische  Ästhetik  stets  formalistisch  sein  muß.  Denn  wo  es  nicht 
*iJconimt  auf  das  NachfühJen,  sondern  auf  rein  intellektuelle  Prozesse,  da 
werden  jene  Bedingtheiten  durch  bloße  Größenmaße  ganz  gleichgültig  sein* 
Für  (Jip  reine  Vernunft  ist  Form  FoiTn  und  die  gleiche  Form  müßte  immer 
^^^  gleiche  Wirkung  haben. 

Für  einen    Gott,   dessen   Empfinden   nicht   von   Reizschwellen  begrenzt 
wäre  in   solchen   Fällen  das   Quantum  ganz  gleichgültig.    Er  würde  an 
"^   inantitativen    Verschiedenheiten    nicht,    wie    wir   es    müssen,    qualitative 
Ttrschiedenheiten  der  Reaktion  knüpfen. 

ßiese    Wandlung    des    ästhetischen    Wertes    zeigt    einen    neuen    Typus 

"*i  Orfanischem,  Nicbtmenschlichein,    Der  ästhetische  Widerstand  gewisser 

^^bjektc  richtet  sich  nicht  nur  gegen  Verkleinerungen  und  Vergrößerungen,. 

manchmal  gerade  gegen  die  DarsteUung  in  natürlicher  Größe, 

^eitKhrifi  fQr  pilidft£0£E&€:tie  Ps,ychoLo£it,  Patholoj^ie  und  Hygiene.  ^ 


210  Süzungsberickte, 

Auf  einem  nicht  allzu  großen  Bilde  wirkt  z.  B.  ein  Pferd  immer  oaturar 
listisch,  d.  h.  aus  der  Sphäre  des  Kunstwerkes  herausfallend.  So  sind  über- 
haupt gewisse  Objekte  von  vornherein  vom  Kunstwerk  ausgeschlossen,  weil 
sich  die  Dinge  der  Kunst  im  selben  Maße  entziehen,  als  das  Interesse  an 
ihrer  Wirklichkeit  associativ  das  Vorstellen  beherrscht,  wie  etwa  die 
Interessen  des  taglichen  Lebens,  sehr  merkwürdige  Erscheinungen  und  Vor- 
fälle und  dergleichen  mehr. 

Alle  diese  treiben  die  Kategorie  des  Seins  als  Frage,  Wunsch,  Wissen 
ins  Bewußtsein  und  entfernen  sich  damit  aus  der  bloß  ideeUen  Sjdiare  der 
Kunst. 

Diese    Motivreihe    kann    noch    von    einer    anderen    Seite    vermehrt 
werden.    Ein   Reiter   auf   dem   Pferde   ergibt   in  natürlicher  Größe  einen 
Widerspruch,  denn  die  lebensgroße  Darstellung  wirkt  realistisch;  das  inner* 
lieh  gerechtfertigte  Verhältnis  beider  scheint  direkt  tmigekehrt.    Eine  Ver- 
kleinenmg  aber  verschiebt  das  künstlerische  Verhältnis  der  TeUe  zu  Gunsten 
des  geistig  Höheren.    Dies  zeigt,  daß  die  einzelnen  Teile  eines  Kunstwerkes 
nicht  nur  durch  ihre  gegenseitigen  Relationen  wirken,  sondern  es  ist  eine 
bestimmte  absolute  Größe  des  Ganzen  erforderlich,   die  jenen  Relationen 
erst  die  rechte  Bedeutung  gibt.    Der  Accent  mag  immerhin  auf  der  Form 
liegen,  aber  zu  der  Möglichkeit,  entscheiden  zu  können,  kommt  sie  erst, 
weim  sie  an  einem  bestinmiten  Größenmaße  sich  zeigt. 

Bei  der  Menschengestalt  zeigt  sich  das  ästhetische  Wunder,  daß  sie 
durch  fast  alle  möglichen  Vergrößerungen  imd  Verkleinerungen  ihren  ästheti- 
schen Wert  bewahrt  Der  Grund  hiefÜr  ist:  ihre  ästhetischen  Pn^rtionen 
besitzen  für  uns,  die  wir  mit  ihnen  solidarisch  sind,  solche  Wichtigkeit  uod 
Deutlichkeit,  sie  haben  solch  immittelbare,  iimere  Notwendigkeit,  daß  ^^ 
Herr  werden  über  alles  andere.  Ja,  die  menschliche  Figur  wird  als  NortB 
für  Qualitäten  und  Proportionen  alles  übrigen  empfunden:  der  Mensch  ^ 
das  Maß  aller  Dinge,  auch  im  Anschaulichen. 

Wo  es  sich  aber  um  ein  Verhältnis  von  Menschen  untereinander  handelt 
tritt  das  Quantitätsproblem  wieder  auf.  So  tritt  z.  B.  beim  Madonnenlö^^ 
die  körperliche  Kleinheit  in  einen  Widerspruch  zu  seiner  beherrschende^ 
zentralen  Rolle.  Die  kindliche  Form  ist  überhaupt  wegen  ihrer  minder^*^ 
Differenziertheit  wenig  geeignet,  geistig  Bedeutsames  auszudrücken.  Di^^ 
Schwierigkeit  ist  völlig  überwunden  allein  bei  der  Sixtiiüschen  Madonna. 

Grenzen  für  die  Macht  des  Künstlers  gibt  es  nicht.  Damit  ist  ab^ 
lücht  gesagt,  daß  diese  quantitative  Bedingtheit  keine  Bedeutung  bal^^ 
sondern  nur,  daß  sie  ein  Element  ist,  das  von  anderen  Elementen  zwar  öb^^' 
wogen  werden  karm,  aber  nicht  verschwindet.  Im  gaiuen  scheint  es,  ^^ 
ob  jedes  künstlerisch  verwertbare  Element  zwei  Größenschwellen  besits^* 
ein  bestimmtes  Quantum  seiner  Darstellung,  innerhalb  dessen  sie  überbsi^P^ 
erst  eine  ästhetische  Reaktion  hervorruft,  und  emes,  wo  sie  wieder  eriisd»^ 
Auch  auf  anderen  Gebieten  des  höheren  Seelenlebens  finden  sich  8olcl>^ 
Schwellen,  z.  B.  Schwelle  des  Rechtsbewußtseins  (minima  non  curat  praetor/» 
des  religiösen  Bewußtseins. 

Die  ästhetischen  Schwellen  der  Gegenstände,  oberhalb  und  unterhw' 
welcher  ihre  ästhetische  Verwendbarkeit  liegt,  rücken  je  nach  dem  Fof^ 
vermögen  des  Künstlers  zusammen  oder  auseinander.   Mit  wachsender  ^^ 


Sütan^iä^rt^i^. 


211 


H^  dex  ästhetischen  Erkenn Lni^  aber  müssen  die  Schwellenwerte  sich 
r  mehi  einander  nähern»  bis  das  vollendete  Wissen^  wenn  es  einmal  ein 
geben  kann^  für  die  künsUerische  Komposition  einen  ganz  be- 
ten Maßstab  für  den  vollen  künstlerischen  Eindruck  gewinnt. 

bisherigen  Untersuchungen  über  aUe  diese  Piobleme  sind  bis 
ni  der  Feststellung  gelangt,  daß  gewisse  Modifikationen  der  Re- 
\k  auf  das  bloße  Quantum  sich  zurückführen  lassen.  Aber  damit  ist 
f|-oblem  erst  gestellt.  Die  psychologischen  Mittelglieder  fehlen  noch, 
ierru  nocli  zwei  prinzipielle  Erwägungen  i  Die  erste  betrifft  nicht  das 
um  des  Kunstwerks  selbsti  sondern  das  der  Gefühls erregung, 
km.  ihm  ausgeht.  Es  ist  sehr  dilettantisch,  die  Bedeutsamkeit  des 
[Werks  dem  Quantum  der  Gefühle  proportional  zu  setzen.  Vielmehr 
Jas  gefühlsmäßige  Mitgerissenwerden  nicht  nur  eine  bestimmte  Form 
tug  auf  rhythmischen  Wechsel  innehalten,  sondern  auch  das  Quantum 
ine  gewisse  Schwelle  nicht  übersüvreiten,  wenn  nicht  das  Gefühl  alles 
öensche  in  uns  überschwemmen  soll. 

fo  kann   z.  B.  die    Spannung^  die  ein  Roman    in   uns  erzeugt,  das  zu 

f   Interesse   am   rein   Stoffhchen^   die  künstlerische   Wirkung   zerstören ♦ 

^^ewisse  Distanz  und  Reserve  ist  notwendig.    Daß  es  sich  hier  um  eine 

eitätsfrage  handeil,  ersieht  man  daraus,  daß,  wenn  uns  schon  der  In- 

irohl   bekannt   ist,  die  künstlerische   Formung  doch  bei  jedesmaligem 

immer  noch  ein  Spannungs*  und  Teilnahmegefühl  erregt,  das  gegen- 

äem  obigen  realistischen  Gefühl  nur  wie  ein  xartes  Abbild  erscheint, 

;    uns    ja   die   Kunst   sozusagen    den    Inhalt    des    Lebens   ohne    das 

selbst  bietet. 

nch  die  Gefühlsstärke  scheint  mir  also  eine  untere  und  eine  obere  äst  he- 

Schwelle  zu  haben.    Jenseits  der  einen  Teilnahmslosigkeit,  jenseits  der 

^  realistische  Teilnahme.    Diese  Hcrabgeset^theit  der  Gefühlsquantität 

cht  nur  den  Sinn,  dem  ästhetischen  Gefühle  Platz  zu  machen,  sondern 

^.abstraktere''  Gefühls  starke,  der  von  der  Qualität  der  realen  Gefühle 

fehlt,  i  s  I  selbst  schon  eine  ästhetische  Qualität.  Denn,  wo  wir  sonst  ur- 

;lich    bei    Gefühlsintensj täten    FU^rabsetzungen    erfahren,    pflegen    wir 

anko.  ein  Versagen  zu  empfinden;  die  Kunst  allein  weiß  den  ganzen 

^  des  Fühlens  lückenlos  zu  bewahren. 

nsere  zweite  Erwägung  gilt  dem  Quantitätswert  im  alleräuöerlichsten 

scheint  uns  selbstverständlich,  daß  innerlich  sehr  bedeutsame  Gegen- 
eine größere  Bildflächc  brauchen,  geringere  Gegenstände  eine 
te.  Dieses  Verhältnis  ist  keineswegs  selbstverständlich.  Das  Ver- 
ide  scheint  mir  zu  sein,  daß  jede  Büdgrößc  einen  bestimmten  Teil 
Sehfeldes  beansprucht.  Wenn  ein  Bild  das  Sehfeld  nicht  gam 
nahezu  ganz  ausfüllt,  so  wird  unvermeidlich  noch  vieles  andere  mit- 
ist ein  richtiges  Verhältnis  des  Sinnes  des  Inhaltes  zu  der  Gesamt- 
ier  momentanen  Interessen  erforderlich.  Auch  das  sinnliche  Bewußt- 
11  nur  von  einem  ästhetisch  bedeutungsvollen  Gegenstand  ganz  aus- 
werden; ein  geringer  darf  das  Sehfeld  nicht  ganz  beanspruchen.  Das 
jede  Symbolik^  die  das  Grundwesen  aller  Kunst  ist,  verleUen. 

4» 


212  SitsungsherickU. 

Als  die  letzte  Formel  der  Kunst  und  ihrer  Beglückung  kann  man  aus- 
sprechen, daß  sie  Forderungen  der  Dinge,  deren  jede  unabhängig  von  der 
anderen  entwickelt  ist,  so  daß  die  Wirklichkeit  gleichsam  nur  die  Wahl  bat, 
welcher  sie  gehorcht,  mit  einer  Gleichheit  imd  Gleichmäßigkeit  zu  g^ 
horchen  weiß,  als  gäbe  es  nur  eine  einzige  Gesetzmäßigkeit,  wo  die  Wirk- 
lichkeit  in   Zufälligkeit   und  gldchgültige   Fremdheit  auseinander  geht. 

So  sehen  wir:  aus  den  rein  artistischen  Bedingungen  einerseits,  aus 
unserer  körperlich-seelischen  Struktur  andererseits  entwickeln  sich  Allfo^d^ 
rungen  an  die  Quantität  des  Kunstwerkes.  Aus  der  inneren  Bedeutung  der 
Dinge  (Associationen,  innerer  Sinn)  quellen  andere,  die  aber  mit  jenen 
ersten  übereinzustinmien  durch  keine  prästabilierte  Harmonie  gehalten  sind. 

So  zeigt  uns  die  Kunst  wenigstens  im  Bilde  des  Seins  den  einheitlichen 
Zusammenhang  seiner  Elemente,  den  die  Wirklichkeit  uns  vorzuenthalten 
scheint,  der  aber  unserem  tiefsten  Wissen  nicht  fremd  sein  kann,  weil  das 
Bild  des  Seins  schließlich  auch  ein  Teil  des  Seins  ist. 

(Autorreferat.) 

Die  Diskussion  über  den  Vortrag  wird  auf  Wunsch  des  Herrn  Vor- 
tragenden vertagt. 

Schluß  der  Sitzung  8V2  Uhr. 


Sitzung  vom  5.  Februar  1903.     Beginn  7Vs  Uhr. 
Vorsitzender:  Herr  Th.  S.  Flatau. 
Schriftführer:  Herr  Pfungst. 
Herr  Th.   S.   Flatau  begrüßt  die  anwesenden  Gäste  und  verkündet 
die  Aufnahme  der  Herren: 

Joh.  V.  Manteuffel, 
Dr.  med.  James  H.  Honan, 
Freiherr  von   Münchhausen, 
sowie  die  Meldung  der  Herren 

Dr.  med.  Schultze-Verden, 
Erziehungsdirektor  S.  Neubauer, 
Frau  Leutnant  K  e  m  m  1  e  r. 
Er  verweist  sodann  auf  die  für  den  6.  Februar  angesetzte  gemeinsam« 
Sitzung  der  Internationalen  Musikgesellschaft  und  der  Psychologischen  Ge- 
sellschaft und  läßt  eine  Liste  kursieren  zur  Einzeichnung  derjenigen  Mitglieder, 
die    einer   separaten    Demonstration    des    Photophonographen   beizuwohnen 
wünschen.    Es  melden  sich  ca.  30  Mitglieder. 

Es  findet  alsdann  die  s.  Z.  vertagte  Diskussion  über  den  Vortrag  d«* 
Herrn  Prof.  Dr.  G.  Simmel:  „Über  ästhetische  Quanti- 
täten" statt. 

Diskussion. 
Herr  Martens:  Die  Änderung  der  natürlichen  Quantität  von  OD* 
jekten  im  Kunstwerk  wirkt  auf  jeden  schärferen  Kenner  der  Naturohj«»^ 
immer  mißlich.  Kleinere  Darstellimg  z.  B.  von  Pferden  auf  Schlachtfddö* 
macht  auf  mich  denselben  naiven  Eindruck  wie  die  mehrfache  Größe.*' 
Königsdarstellung  auf   den   altägyptischen   BUdem. 


Sitm  ngsberühte. 


213 


in  Stern  bemerkt :  Herr  Professor  S  i  m  m  e  1  hat  in  seinem  Vor* 
Jie  imiwdfdhaft  richtige  Tatsache  hervorgehoben,  daJJ  sehr  kleine 
e  von  architektonischen  Kunstwerken  keinen  ästhetischen  Eindruck 
Ifi  machen,  wean  wir  nicht  gerade  selber  Architekten  sind*  Er  hat 
ihr  richtig  dadurch  erklärt»  daß  uns  bei  der  Betrachtung  sehr  kleiner 
die  Wirkung  d^t  Kräfte  in  dem  Bauwerk  nicht  lum  Bewußtsem 
was  aber  beim  Architekten  der  Fall  ist.  Er  drückte  dies  etwa  durch 
ndung  aus,  daß  die  „Dynamik  der  Kräfte"*  oder  die  „dynamiscfee» 
uns  nicht  zum  Bewi:ßtsein  kommen.  Ich  wollte  mir  nun  die  Frage 
ii  naturlich  in  ganz  bescheidener  Weise,  ob  Herr  Professor  Simmel 
^i  vorziehen  würde,  hier  zu  sagen:  die  „Statik  der  Kräfte'*  oder  die 
jthen  Gesetze**.  Denn  ein  Bauwerk  ist  ein  System,  in  welchem  die 
l  2tir  Ruhe  gelangt  sind  oder  im  Gleichgewichte  sich  befinden.  Und 
l^tik  ist  eben  der  Teil  der  Mechanik,  welcher  die  zum  Gleichgewicht 
^rlichen  Bedingungen  (die  Größe  der  Kräfte,  ihre  Richtungen  und 
jge  ihrer  Angriffspunkte)  bestimmen  lehrt.  Die  Dynamik  hingegen  ist 
jgc  Teil  der  Mechanik,  der  die  Art  der  Bewegung  bestimmen 
pe  dn  nicht  im  Gleichgewicht  befindJicJier  Körper  nehmen  muß 
(ob  in  gerader  oder  kniminer  Linie,  mit  welcher  Geschwindigkeit^ 
t  Wirkung  er  auf  einen  anderen  Körper,  den  er  auf  seiner  Bahn  trifft, 
f' etc,).  Und  das  in  dem  Bauwerk  noch  vorhandene  dynamische  Spiel 
tckkularkräfte,  also  etwa  die  Oscillationen  der  Moleküle  innerhalb 
luwerks  infolge  der  Temperaturschwankungen  in  der  Außenwelt,  die 
(icscm  mitteilen,  oder  ähnliche  Molekular bewegun gen  können  hier 
Ifemeint  sein,  da  diese  weder  den  das  Bauwerk  Betrachtenden,  noch 
jkhitekten,  sondern  nur  den  Natiirforseher  und  den  Naturphilosopheti 
lieren. 

Irr  Pfungst  pflichtet  dem  Herrn  Vortragenden  in  der  Betonung  einer 
f  und  einer  unteren  ästhetischen  Schwel] e  durchaus  bei,  glaubt  jedoch 
läaß  beide  jemals  auch  nur  im  idealen  Falle  zusammenfallen  können, 
%  neben  den  Forderungen  des  Objekts  immer  noch  diejenigen  des 
luden  Subjekts  behaupten  werden ;  diese  sind  aber  —  und  dies  ist 
petjsch  ungemein  bedeutender  Faktor  —  individuell  äußerst  variabel» 
OT  Bärwald:  Das  Gesetz,  daß  die  ästhetische  Wirkung  eines  Ob- 
Sofem  sie  sich  gerade  an  seine  Große  heftet,  bei  der  verkleinerten 
idung  verloren  gehe^  wird  beschränkt  durch  die  Gegenwirkung  der 
ition,  die  auch  mit  dem  verkleinerten  Gegenstande  die  Vorstellung 
iprünglichen  Große  und  somit  die  gewohnte  Gemütswirkung  verbindet, 
(enschliche  Figur  vertragt  nur  deshalb  jegliche  Verkleinerung,  weil 
jedermann  mit  Associationen  überhäuft  ist.  Ebenso  versagt  das  archi- 
iche  Modell  seinen  ästhetischen  Effekt  nur  dem  Nichtarchitekten, 
fjcnbild  den  seinigen  nur  dem  Nichtalpinisten.  Die  Associationsfülle 
I  also  hier  Unterschiede  der  ästhetischen  Empfänglichkeit. 
Tade  an  die  Verkleinerung  aber  können  sich  andererseits  Asso* 
m  knüpfen,  die  eine  schiefe  ästhetische  Wirkung  mit  sich  führen, 
trkleinerte  Modell  des  Kiingerschen  Beethoven  wirkt  nicht  wie  er- 
Wüleoskonzentration,  sondern  wie  gnomenhafte  Verbissenheit, 
fUdercn   Fällen    wird    der   richtigsiellende   Einfluß    der    Association 


214  SiUungsberichie, 

dadurch  paralysiert,  daß  die  Kleinheit  der  Nachbildung  mit  der  Wucht  des 
Inhalts  einen  komisch  wirkenden  Gegensatz  bildet.  So  in  den  winzigen 
Kopien  des  Landgrebeschen  Beethoven,  der  in  höchster  Erregung  bin- 
stürmend  dargestellt  werden  soll  und  um  so  mehr  in  Gefahr  gerät,  als  ein 
possierlicher  psychischer  „Sturm  im  Wasserglase**  zu  erscheinen. 

Das    Schlußwort    erstattet    Herr    Simmel,    der    nicht    zugegen  sein 
konnte,  schriftlich. 

Es  folgt  sodann  der  Vortrag  des  Herrn  G.  Fla  tau: 

Zur  Psychologie  der  Zwangsvorstellungen. 

Der  Vortrag  ist  unter  den  Originalbeiträgen  dieser  Zeitschrift  zum  Ab- 
druck gelangt.  ^ 

Diskussion. 

Herr  Th.  S.  F 1  a  t  a  u  fragt,  ob  tatsächlich  ein  Vorlegen  der  luiange- 
nehmen  und  peinlichen  Affekte  oder  jahrelang  herrschender  Druck  sorg<^<^' 
voller  Lebensführung  in  der  Regel  nachweisbar  sei.    Oder  ob  auch  frcudi^^ 
Gefühle  bei  größerer  Intensität  Zwangs vorstellimgen  auslösen.  Femer  ob  c^^T 
Inhalt   der   Zwangsvorstellungen   selbst   inmier   unlustbetont   »ei.    Ein  T^^»» 
der  Fälle  würde  sich  ätiologisch  an  die  Hysterie  anreihen. 

Herr  Bärwald  fragt  an,  ob  Zwangsvorstellungen  sich  inuner  nur  2-^ 
Anschluß  an  ein  bestimmtes  einzelnes  Erlebnis  entwickeln,  oder  ob  auch 
dauernde  Tendenz  der  Gefühle  z.  B.  zu  Zweifeln,  zu  Reuegefühlen  u.  s. 
Zwangsvorstellungen  einer  bestimmten  Art  erzeugen  können. 

Herr  Steingiesser  weist  in  längeren  Ausführungen  auf  den 
liehen    Zusammenhang    zwischen     Herzerkrankungen    und     Zwangsvorstr 
lungen  hin. 

Herr  Haake  bemerkt,  daß  die  Frage,  die  er  stellen  möchte, 
teUweise   durch   den   Vorredner  beantwortet   sei.    Er  wünsche  nämüch 
erfahren,  ob  und  inwieweit  ein  Zusammenhang  zwischen  dem  VorkomxD^»- 
von  Zwangsvorstellungen  und  bestimmten   körperlichen  Erkrankungen 
Abnormitäten   beobachtet   worden  sei,   und   ob   man  annehmen  dürfe,  c 
krankhafte  Zwangsvorstellungen  in  jedem   Falle  durch  gewisse  körperli( 
Dispositionen  mitbedingt  seien. 

Nach   einigen  auf  die  Anfragen  bezüglichen   Bemerkungen  des  He 
G.  F 1  a  t  a  u  erfolgt  der  Schluß  der  Sitzung  um  8V4  Uhr. 

Zur  Aufnahme  meldet  sich 

Frl.    Dr.    med.    Martha    Wygodzinski,    Berlin    N.,    Sc^ 
hauser  Allee  9. 


Sitzung  vom  5.  März  1903.     Beginn  7  Uhr  25  Min. 

Vorsitzender:  Herr  Th.  S.  Fla  tau. 
Schriftführer:  Herr  G  i  e  r  i  n  g. 
Der  Vorsitzende  verkündet,  daß  folgende  neue  Mitglieder  aufgenomina 
worden  sind: 

Frau  Leutnant  K  e  m  m  1  e  r , 

Frl.   Lr.   med.   Martha  Wygodzinski, 


i 


Sit9un^sbcn£ki€. 


215 


Herr   ErKiehun^direktor   Neubauer, 
HciT   Stabsarie    a.    D.   Dr.    Sc  hu!  tie- V  erden. 
tm  Aufnahme  vorgeschlagen  sind   die   Herren: 
Ingenieur  Serenyi,   Berlin,    Birwaldstr,  55. 

Oberlehrer   Dr.   FriedTnann,    Berlin   N.^   Wilhelmshafenerstr,  33. 
Dr.  phiL  E  d  e  l  h  e  i  m  ,    Berlin  W,,   Habsburgerstr.  4. 
Vgn  der  Münchener  Gesellschaft  sind  folgende  Schrift  an  eingegangen: 
Jahresbericht  1899/1900  und   1900/1901. 
R e i s n e r  v.   Licht  enstern:    Die   Macht  der   Vorstellungen  im 

Kriege, 
Tb.  L  i  p  p  s :  Psychologie,  Wissenschaft  und  Leben, 
Pannwilt^   Die    Psychologie   des   Gerich tssales^ 
G.    H  i  r  t  h :    Psychologie    und    Kunst. 
Eine  Liste  zum  Abonnement  auf  Eitz'  „Tonwort"  wird  aufgelegt.    So- 
ta erhalt   Herr  Dr.  Liebfnann  das  Wort  iti  dem  angekündigten  Vor- 
«: 

Die  Sprache  der  Geisteskranken. 
Der  Vortragende  bespricht  die  Veränderungen  der  Sprache  bei  den 
^Intigsten  Formen  der  Getsteskrankheiten  und  gibt  lur  Erläuterung  eine 
e  von  Stenogrammen,  die  er  einem  soeben  erschienenen,  vom  Vor- 
enden gemeinsam  mit  Max  Edel  herausgegebenen  Werke  (Liebmann- 
I;  Die  Sprache  der  Geisteskranken,  Halle  1903)  enmimmt. 
Die    Sprache   der   Geisteskranken   unterscheidet   sich   vielfach   von   der 

len  in  mechanischer   und  formaler   Beiiehung. 
Die  mechanischen  Veränderungen   betreffen  besonders  die  Laut- 
ung,  die   Lautverbmdung,   die   Lautfolge,  das   Tempo,  das  Timbre  und 
Stimmsläxke, 

In  formaler  Hinsicht  findet  raan  absonderlichen  Inhalt,  eigenartigen 
ruck,    Abweichungen    der   syntaktischen    und   grammatischen    Formen. 
1.  Bei    der    Melancholie    (traurige    Verstimmung    ohne    genügende 
■-^^rc    Ursache)    ist    die    Sprache    gewöhnlich   langsam    und   zögernd,    die 
biTie  leise  und  monoton.    Der  Kranke  hat  großen  Drang  zum  Sprechen, 
Inhalt   ist  aber  immar  derselbe;  Angsiideen   und  Selbstvorwürfe.    Bei 
Ktelancholia  attonita  sprechen  die  Patienten  oft  monatelang  kein  Wort. 
S.  Die    Rede    der    Maniaci    {Manie:    heitere    Stimmung    ohne    äußere 
iche,    Ideenflucht,    Bewegungsdrang)    hat    meist    ein    jagendes    Tempo. 
t^heurer   Wortschwall.     Häufig   werden   in  sinnloser   Hast   nur  noch  ab- 
tscne   Worte   oder   unartikulierte    Laute   ausgestossen.     Laute,   fröhliche, 
brüllende  Stimme,   Heiterer  Inhalt.   Witzige  Pointen,   Neckereien,  Häufig 
p>pc  und  obscöne  Ausdrücke.    An  Stelle  des  logischen  Zusammenhangs 
'a  häufig   lautliche   Associationen   und   alberne    Reimereien. 
5.  Bei  der  akuten  hallucinatorischen  Verwirrtheit  (Delirien  mit  massen- 
Sinnestäuschungen     und   reaktiven     Stimmungen   und    Handlungen) 
-eben    die    Kranken    meist    stundenlang    hintereinander.     Sie    antworten 
%  sondern  reden  nur  mit  sich  selbst  oder  mit  ihren  Stimmen.    Der  Ton 
Verschieden  je  nach  dem  Inhalt  der  Sinnestäuschungen.    Meist  wird  nur 
i    verworrenes     Zeug     vorgebracht.      Häufig    Verbigeration   (d,    h, 
»erden   abgerissene  Worte  oder  sinnlose  Silben  mit  leichten  Variationen 


216  Sitzungsberichte, 

öfters  auch  mit  Reimen  in  endloser  Weise  wiederholt).  Häufig  treten  Ver* 
folgungs-,  Versündigungs-,  Größen-  und  erotische  Ideen  auf,  aber  ohae 
System.  Mitunter  schwimgvoUe,  bilderreiche  Rede,  öfters  auch  eine  Axt 
Bibelsprache. 

4.  Chronische  Paranoia:  (Der  Ich-Standpunkt  der  Paranoiker 
ist  ^»verrückt*'  in  ihrem  Verhältnis  zur  Außenwelt.  Beeinträchtigmigi- 
und  Verfolgungsideen  einerseits,  Überschätzungs-  und  Größenideen  anderer- 
seits werden  mit  oder  ohne  Siimestäuschungen  zu  einem  Wahnsystem  metho- 
disch ausgesponnen).  Mitunter  Stummheit.  Paranoiker,  die  sich  wie  Kiiider 
gebärden,  sprechen  häufig  in  hohem  Diskant.  Manche  Patienten  sprechen 
konstant  in  zwei  Stimmlagen.  Die  beiden  Stimmen  imterhalten  sich  mit- 
einander. Der  Vortragende  teilt  einen  solchen  Fall  mit,  der  behauptet, 
ein  Kind  spreche  aus  ihm. 

Paranoiker,  die  sich  in  ihrem  Wahne  sehr  gebildet  vorkommen,  wenden 
oft  eine  übertriebene,  gezierte  Artikulation  an. 

Paranoiker  mit  kindlichem  Benehmen  gefallen  sich  oft  in  einer  Art 
Baby-Sprache. 

Viele  Paranoiker  entfalten  eine  große  Produktivität  in  der  Bildung 
neuer  Worte,   die  meist  aus   Gehörshallucinationen  entstehen. 

Der  Paranoiker  redet  so  lange  Vernünftiges,  als  er  nicht  von  seinen 
Wahnideen  spricht.  Kommt  er  auf  diese,  so  spiegelt  sich  in  seiner  Rede 
die  groteske  Verzerrung  seines  Empfindungs-  und  Vorstellungslebens  wieder. 

5.  Dementia  praecox  (Psychose  des  jugendlichen  Alters:  Ober- 
spannte Ideen.  Sprunghafter  Gedankengang.  Selbstüberschätzung.  Geziertes, 
altkluges  Wesen.  Eigentümliche  Haltung.  Verwirrtheit,  Aufregung):  Diese 
Patienten  sprechen  viel  und  schnell.  Bei  Erregung  und  Verwirrtheit  un- 
zusammenhängende Rede.  Oft  werden  nur  sinnlose  Phrasen  aneinander- 
gereiht. Manche  dieser  jugendlichen  Patienten  sprechen  mit  hochtrabenden 
Redensarten  von  Dingen,  die  sie  gar  nicht  verstehen. 

6.  SekundärerBlödsinn:  Ausgang  ungeheilter  Psychosen:  a)  Apa- 
thischer Blödsinn:  Ausdruckslose  Miene.  Glieder  verharren  in  leidit 
gebeugter  Stellung.  Perzeption,  Sensibilität,  Reflexerregbarkeit  minimal)- 
Diese  Patienten  bringen  jahrelang  kein  Wort  hervor,  dann  gelegentlich  wohl 
einzelne  Worte  und  Sätze,  b)  Agitierter  Blödsinn:  Verworrenheit, 
läppisches  Wesen,  keine  planmäßigen  Handlungen,  automatische  Bewegungen, 
Reste  früherer  Wahnvorstellungen.  Diese  Patienten  schwatzen  viel,  oft  mit 
weinerlicher  Stimme.  Dürftiger  Inhalt.  Kurze,  abgerissene,  zusammenhang- 
lose Sätze. 

7.  Progressive  Paralyse:  „Gehirnerweichimg**  (eine  organische 
mit  charakteristischen  körperlichen  Lähmungserscheinungen  verbundcoc 
Seelenstörung,  die  zu  fortschreitendem  Verfall  der  geistigen  und  körperlichen 
Kräfte  führt).  Bei  den  paralytischen  Anfällen  pflegt  die  Sprache  ganz  «* 
versagen.  Häsitierende  Sprache.  Silbenstolpem  (Wiederholung,  UmstcUonJ 
und  Auslassung  von  Silben  und  Lauten).  Stammeln.  Monotone,  blecherno 
oder  meckernde  Stimme.  Schließlich  verwaschene  Artikulation  und  ^ 
verständliches  Lallen.  Immense  Größenideen.  Schwelgen  in  ungch«ff* 
Zahlen.    Schließlich  wird  nur  sirmloses  Zeug  geschwatzt.    Verbigeratioa. 


S^^tm^ä^ficki^. 


217 


:  Epilepsie  (Epiteptbche  Krämpfe :  BewuBtlosigkeii^  plotiliclies  Hin- 

Tonisch'klonische    Krämpfe).     Auf    epileptischer    B&m    entwickelt 

a)  fortschreitende  Degeneration  des  Charakters  und  des  Intellekts, 

erzustände  und  Psychosen  manischen,  melancholischen,  paranoischen 

kters.      Bei    vorgeschrittenen    Fällen    stockende,    stotternde    Sprache. 

merxustande  un«usammenhangende  Rede.   Epileptiker  sprechen  meist 

kh  selbst,  sind  leicht  gereizt,  führen  oft  drohende  Reden. 

Hysterie   (Globus,   Clavus,   Ovarien   Steigerung   der   retlektorischen 

iomotorischen    Erregbarkeit.     Plotzhch   verschwindende    Lähmungen. 

fanfälle.      Leichte     Suggestibilität.      Mangelhafte   Reproduktions treue. 

Affekt ej    Koketterie.     Degeneralive    Veränderungen    des    Charakters 

itellekts.    Interkurrente  Psychosen)-    Mitunter  vollständige  Stummheil* 

stotternde    Sprache,     öfters    l^ysterische    Aphonie    (Flüstersprache). 

rbche  reden  viei  von  sich,  klagen  über  alle  möglichen  Beschwerden, 

Khlechter  Laune  brauchen  selbst  wohlerzogene  Patienten  die  obscönsten 

wkiicke. 

Angeborener  Schwachsinn  (Imbecillität,  Idiotie :  Degene- 
«eichen.  Intellektuelle  Schwäche  bis  zum  Blödsinn).  In  den  höchsten 
2  überhaupt  keine  Sprache,  nur  unartikulierte  Laute.  In  minder 
eil  Fällen  hochgradiges  Stammeln.  Höher  stehende  Idioten  und 
ciile  erwerben  allmählich  eine  deutliche  Sprache,  vergreifen  sich  aber 
i  Ausdruck  und  sprechen  häufig  ohne  grammatische  und  syntaktische 
!n.    Meist    dürftiger    Inhalt,     Kindische    Wünsche.     Beeinträchtigungs- 

.  Chronischer  AlkohoUsmus  (Fortschreitende  Degeneration 
lilcllekts  und  Charakters).  Die  Patienten  sind  im  allgemeinen  sehr 
g.  Langsame,  stockende  Sprache,  öfter  lallend.  Tremulierende  Stimme, 
ic  Ausdrücke.  Die  Patienten  beklagen  oft  ihre  Trunksucht,  äußern 
bitmordideen.    Manche  renommiercxi  in  cynischer  Weise  mit  ihren  Trink- 


Delirium   zusammenhanglose    Reden,    eigenartige   Verfolgungsideen 
von  Insekten  dringen  auf  die  Kranken  ein.    Blitze  zucken.  Donner 
Gewehre  krachen)* 
Autorreferat.) 

Diskussion: 
err  Dr.  Max  Edel:  Hochgeehrte  GeseüschaftI  Wie  Sie  schon  vor 
des  Vortrages  von  unserem  verehrten   Herrn   Vorsitzenden  gehört 
habe    ich    die   Absicht,    Ihnen    lur    Ergänzung   des   Vortrages    von 
^  Dr.   Liebmann  über  die  Sprache  der  Geisteskranken  einige  pbono* 
ihische  Aufnahmen  zu  demonstrieren.    Die  von  mir  angefertigten  Steno* 
de  sind  wohl  im  stände^  Aufklärung  über  die  Störungen  der  Sprache 
der  Hinsicht  zu  geben^   also  über  den  absondorlichen  Inhalt,  den 
tigen  Ausdruck,  Abweichungen  der  syntaktischen  und  grammatischen 
abei    sie  vermögen  keinen  genügenden  Aiif Schluß   über  die  raecha* 
Veränderungen  der  Sprache  m  geben,  z.  B.  in  betreff  der  Stimmhöhe 
Btärke,   des   Timbre,   Tempo,    Pathos,   der    Laut  Verbindung  u»  a.     Ich 
daß   die   phonographische  Aufnahme   der   Sprache   Geisteskranker, 
ktllch  bei  Verbesserung  dtt  technischen  Apparate,  im  stände  sein  wird, 


218  SitMungsberichte. 

diese  Lücke  auszufüllen.  Besonders  trifft  dies  für  Demonstratioiisnrec 
zu.  Sehr  wohl  weiß  ich,  daß  die  phonographische  Aufnahme  hei  Geirt 
kranken  gewissen  Schwierigkeiten  begegnen  wird.  Man  wird  nur  ds 
kleinen  Teil  der  Kranken  dazu  veranlassen  können,  in  den  Apparat  denü: 
hinein  zu  sprechen.  Vielleicht  gelingt  es  aber  spater  bei  Verbessenmg  i 
Apparate,  auch  bei  aufgeregten  und  verwirrten  Kranken  das  Phcmogni 
zu  erhalten,  wenn  die  Reden  in  größerer  Entfernung  als  bisher  auf 
nommen  werden  können.  Eine  weitere  Vervollkommnung  unserer  Den 
strationsmittel  würde  es  zweifellos  bedeuten,  wenn  die  durch  das  Stc 
gramm  kontrollierte  phonographische  Aufnahme  durch  ev.  gleichfä 
biographische  Aufnahme  vervollständigt  würde.  Alsdann  wird  man 
besten  in  der  La^e  sein«  die  ganzen  Eigentümlichkeiten  der  Redew 
eines  Geisteskranken  zu  fixieren  in  Verbindung  mit  der  Haltung,  Mimik 
Gestikulation.  Auf  diese  Weise  wird  die  Vorstellung  der  Kranken  seOif 
gewissem  Grade  ersetzt  werden  können,  wo  dieselbe  nicht  mögltch 
andererseits  eine  Unterlage  für  eine  exakte  wissenschaftliche  Erforsdu 
der  sprachlichen  Äußerungen  Geisteskranker  geschaffen.  Die  Beispi 
die  ich  Ihnen  hier  zu  demonstrieren  gedenke,  hat  Herr  Dr.  Liebmann  t 
TeU  bereits  angeführt.  Es  handelt  sich  um  einen  Fall  von  Paranoia  a 
tun  jenen  Fall  von  Doppelsprache  —  mit  Teilung  der  Persönlfchki 
Der  Kranke  glaubt  ein  Kind  in  sich  zu  bergen,  zu  welchem  er  spricht.  M 
kann  die  verschiedenen  Stimmlagen  hier  sehr  gut  hören.  Die  dritte  A 
nähme  betrifft  einen  schwachsinnigen  Querulanten ;  bei  derselben  kann  m 
abgesehen  vom  Pathos  der  Rede,  das  Stottern,  Stocken,  das  Suchen  nach.d 
passenden  Ausdruck,  die  häufigen  Einschiebungen  von  Verlegenheitslaut 
die  näselnde  Stimme  heraushören.  Bisher  war  es  mir  nicht  mögii 
eine  größere  Zahl  von  klassischen  Beispielen  vorzuführen,  da  ich  erst  i 
kurzem  auf  den  Gedanken  gekommen  bin,  die  Sprache  der  GeisteskranI 
auf  phonographischem  Wege  zu  fixieren.  Ich  hoffe  aber  bald  ein  große 
Material  beibringen  zu  können.  Zum  Schluß  danke  ich  unserem  i 
ehrten  Herrn  Vorsitzenden  für  die  freundliche  Unterstützung  bei  die 
Aufnahmen  und  für  die  Erlaubnis,  diese  Demonstration  hier  halten  zu  dar! 
(Demonstration.) 

Nach   einigen   kurzen    Bemerkungen   der   Herren   Th.    S.   Flatau 
L  i  e  b  m  a  n  n  schließt  die  Sitzung  um  8^/4  Uhr. 


Verein  für  Kinderpsychologie  zu  Berlin. 

Sitzung  vom  15.  Mai  1903.     Beginn  8  Uhr  20  Min. 

Vorsitzender :  Herr  K  e  m  s  i  e  s. 
Schriftführer:    Herr   Hirschlaff. 
Der  \'orsitzcnde  eröffnet  die  Sitzung  mit  einigen  einleitenden  BemeT 
gen   und   begrüßt   die   erschienenen   Gäste.    Sodann   hält   Herr  Obeit^ 
Dr.   F.   K  e  m  s  i  e  s  den  angekündigten  Vortrag : 

„Die  Schwachbefähigten  auf  höheren  Lehranstalten 
Der  Vortrag  wird  in  extenso  in  dieser  Zeitschrift  publiziert  ' 


Sritungtöerichie. 


Diskussion: 
Herr    Ca&tel:     Nach    meinen    Erfahrungen    an    Schulkiödem    —    en 
dte  sich  allerdings  um  geistig  minderwertige   Kinder,  die  teils  wenig, 
I  noch  gar  keinm  Unterricht  genossen  hatten  —  kann  man  die  Begabung 
ttt|cnieni  nicht   unter  einem  Gesichtspunkt  zusammenfassen,  wenn  man  ein 
TicÄtiges  UTtcil  über  die  geistige  Poleni  der  Kinder  erlangen  will.    Memes 
llracbtens  muß  man  in  jedem  einzelnen  FaO  tu  eine  Analyse  der  verschiedenen 
P Äußerungen  geistiger  Tärigkeit  eintreten,  wie  z.  B.  Gedächtnis.  Perzeption, 
►Kcproduktion,    Kombination,    Zahl enbegriffs vermögen    etc.     Erforscht    man 
dkst  Funktionen  gesondert,  so  wird  man  in  liemlich  exakter  Weise  gewisse 
V'f^tglejchspunkte   eruieren,   die   es   ermöglichen^   die  einzelnen   Fälle  gegen- 
einander  abiuÄchäticn,    Dabei   stellt   sich   nun   die   schon  vielfach  betonte 
Tatsache    Heraus,    daß    man    nicht    schlechtweg    begabte,    weniger    begabte, 
*inbegabte  unterscheiden  darf,  sondern  daß  die  Begabung  für  die  eini einen 
»tigen    Leistungen   bei    ein   und    demselben    Individuum    sehr  verschieden 
i  kann.    Ich  erinnere  nur  an  das  häufig  mangelnde  Zahlenverständnis  der 
Aofäliger,  das  in  spateren  Jahren  in  den  mangelhaften  Leistungen  im  Rechnen 
^<^  in  der   Mathematik  seinen  Ausdruck  findet;  dieselben  Schüler  können 
^^  den  Sprachen  und  im  deutschen  Aufsatz  Vonügliches  leisten.     Der  umge- 
«^rte  Fall  findet  sich  auch  nicht  gan«  selten     Als  Beispiel  zitiere  ich  einen 
^jährigen   Knaben*   der   einen   höchst   gewitzten   Eindruck   macht,   in  allen 
^^cbern  gute   Leistungen  aufweist,  sich  aber  noch  nicht  einmal  im  Zahlen- 
^«^ise  von  1  bis  10  iurcchtfinden  karm.    Das  ist  nun  ein  ganz  exorbitanter 
^^^»    er  beweist  doch  aber,   daß   bei   der   Beurteilung  der   Begabung  eine 
Reihe  gani  verschiedener  Faktoren  in  Rechnung  gezogen  werden  muß. 

Herr  Poppelreuter;   Ich   möchte  an  den   Herrn  Vortragenden  die 
p*ge  richten,  warum   er  in  seinen  Ausfühntngen  die  Richtung  gerade  auf 
L  s  Ziel  hin  genommen  hat  zu  zeigen,  worin  das  Wesen  der  schwachen 
*  ^  g  a  b  u  n  g  bestehe.    Darüber  läßt  sich  doch  wohl  auf  dem  Boden  der 
"«rgebrachten    Vorstellungen    über    geistige    Prozesse    kaum    Neues 
*^gen.  Alle  Pädagogik  ist  ja  auf  die  Voraussetzung  gegründet,  daß  die  gute 
Begabung  als  alJ  gern  eine  Geisteskraft  rurückgcht  auf  die   Fähigkeit,  im 
_^ti2elnen    richtig    aufzufassen,    zu    behalten,    zu    unterscheiden,    zusammen- 
fassen,    einzuordnen,     Begriffe     und     irrteile     lu     bilden,     Systeme     ru 
-rsehen  u.  s*  w,  u.  s.  w.     Daher  ergibt  sich  von  selbst,   daß  schwache 
f^gabung      darin     besteht,     daß       sich      diese      geistigen     Funktionen 
*t    geringerer    Kraft   und   in    unvollkommenerer   Form    als 
^i    normaJer   oder   guter    Begabung   vollziehen,   so   wie  sich  das   in  jeder 
iltitcrrichtsstundc  beim  Schwachbegabten  Schüler  in  der  einzelnen  Leistung 
**Et   Dagegen  bietet  der  Vortrag  des   Herrn  K.  ein  vortreffliches  Muster- 
^ispiei  dafür^  wie  der  Lehrer  im  atigemeinen  seinen   Beruf  dem  Schiüer 
5«nüber    auffa^en    und    ausüben    soll.     Nicht    wie    der    Richter» 
*  ordern  wie  der  Arzt  soll  der  Lehrer  «einem  Schüler  gegenüberstehen. 
*<^^t    feststellen,    entscheiden    und    richien,    sondern   beobachten,    beurteilen 
^r>d    helfen   ist   die   Hauptaufgabe  des   Pädagogen.     Die  ganze  Schulmis^re 
^'^''de  mit  einem  Schlage  beseitigt  sein,  wenn  dieser  Unterschied  in  seinjer 
^'*'^*eti.  großen  Tragweite  tm  Geltung  käme.   Als  die  Hauptquclle  der  Fehler 
^^    schwachen    Leistungen    würde   der    Lehrer   nicht    strafwürdigen    bösen 


220  SÜMungsberickU. 

Willen,  sondern  die  normalen  Beschaffenheiten  des  psycS=M.m- 
sehen  Lebens  und  der  Kindernatur  insbesondere  erkennen;  nicht  ^zscxit 
der  leider  allzuweit  verbreiteten  nervösen  Erregimg  des  Schulmeisters,  s^ovi- 
dem  mit  der  Ruhe  des  beobachtenden  und  prüfenden  Arztes  oder  Na^r-v^x- 
forschers  würde  er,  solange  nicht  böser  Wille  festgestellt  ist,  den  Unv-^z>Xl- 
kommenheiten  des  Kindes  entgegentreten.    Freüich  nicht  nur  als  NaKr^jB.?. 
Objekt,   aber  auch  und  zum  großen  Teil  als.  Naturobjekt  soll    ^^ilcr 
Lehrer  seinen  Zögling  betrachten.   Dann  wird  von  selbst  inmier  mehr  an    ^züe 
Stelle  der  Grobheit  der  Methode,  des  Verfahrens,  des  Urteils  und    ^^«r 
Entscheidimgen,  die  heute  noch  so  vielfach  und  gewiß  nicht  inmier  mit  X.^'n. 
recht   dem    Lehrer   vorgeworfen   wird,    die   Feinheit   und   Gerechtiglc^*2t 
des  Beobachtens,  Vergleichens,  Abwägens,  Urteüens  und  Bewertens  tre-^^^o, 
für  die  uns  vor  allem  die  Naturwissenschaft  die  anerkannten  Muster  lieC^st. 
Und   daraus   wieder   werden  die   richtigen   Gegen-,    Heil-  und  Fördenm^^s- 
mittel  gefunden  werden,  und  es  wird  immer  mehr  die  Schule  die  Heirs^n 
erobern,   während  sie  heute  noch  durchweg  nicht   einmal  den  Dank    ujxnd 
die    Anerkennung   zu   finden   pflegt,    die   sie   wirklich   verdient. 

Herr  Kemsies:  Er  glaube  nicht,  daß  seine  Darlegimgen  über- 
flüssig seien,  denn  gerade  das  Wesen  der  schwachen  Begabung  bedürfe 
der  Aufhellung  in  empirisch  -  psychologischem  Sinne;  seine  Methode  d^ 
Beobachtens  sei  ihm  freilich  so  sehr  zur  zweiten  Natur  geworden,  d^i^ 
er  es  nicht  für  nötig  gehalten  habe,  noch  besonders  auf  sie  hinzuweisen^* 

Herr  Poppelreuter:  Ich  bitte  den  Herrn  Vortragenden,  mich  nic^^^ 
mißzuverstehen,  als  ob  ich  seine  Darlegungxmgen  ihrem  Hauptinhalte  naC^^ 
und  an  sich  als  überflüssig  angesehen  hätte;  die  Ausführungen  selbst  hal^^^ 
ich  im  Gegenteil  für  sehr  wertvoll  und  zeitgemäß;  ich  habe  nur  gewissc:^^' 
maßen  eine  andere  Zuspitzung  und  Nutzanwendung  des  Vortrags  erwarte"^*^' 
So  möchte  ich  denn  an  diesen  den  Wunsch  anknüpfen,  daß  die  von  dei^^ 
Vortragenden  geübte  Betrachtungsweise,  d.  h.  ein  auf  bestinunte  und  wo^^  ' 
möglich  graphisch  festgelegte  Einzelbeobachtung  gegründetes  UrteUen,  imme?  ^^ 
weitere   Verbreitung   in   Lehrerkreisen  finden  möge.    Denn  es  kann  leide  ^^^ 
nicht   geleugnet   werden,   daß   weit   mehr  als   es  in  den  Umständen  unab 
änderlich  begründet  ist,  mechanische  und  schematische  Massenbehandlung 
herrscht,  wo  individuelle  und  psychologische  Pädagogik  di« 
schönsten  und  wertvollsten  Früchte  zeitigen  könnte,  von  der  soeben  der  Vor 
trag  des  Herrn  K.  ein  lehrreiches  Exempel  vorgeführt  hat. 

Herr  Rauh:     Ich  möchte  dagegen  Einspruch  erheben,  daß  mit  den  vo 
Dr.  Kemsies  aufgeführten  Faktoren,  Gedächtnisschwäche,  Mangel  an  Kon 
binationsgabe  etc.  die  Frage  erschöpfend  behandelt  sei,  zumal  der  Mange 
in  einem  Erkenntnisgebiet,  etwa  den  Abstraktionen  der  Mathematik,  nie 
auf   schwache    Befähigung   schlechthin   zu   schließen   erlaubt.    Als   Beispie 
führe  ich  Fr.   Nietzsche  mit  seinem  „ungenügend"   in  der  Mathen 
in    dem   sonst   vorzüglichen  Abiturientenzeugnis   an  und  knüpfe  daran  di  -- — 
Forderung,  in  solchem  Einzelfall  nach  der  Ursache  der  einzelnen  „schwache:::====-^ 
Befähigung"  zu  suchen.    Ich  glaube  sie  im  vorliegenden  Fall  nicht  in  einer — "-^ 
der  von  Dr.  Kemsies  angeführten  Faktoren  erkennen  zu  dürfen,  sonder^  ^^^ 
in  einem  Mangel  an  Interesse  für  so  gedankenblasse  Abstraktionen,  wie 
Mathematik  sie  bietet,   einem   Mangel,   der  seine  Wurzel  wieder  in  eine 


B^bew^tf. 


221 


übemormil  entwickelten  Fhantasictäcigkeit  und  einem  Drange  ^mi  frischen 
Leben  sieb  zu  beteiligen  hat. 

Nach  einigen  kunen  Erwiderungen  des  Herrn  K  e  m  s  i  e  s  schließt  die 
Sit^iizig  um  10  Uhr. 


Sitzung  vom  26.  Juni  1903.     Beginn  8Vä  Uhr, 

Vorsitzender:   Herr  Kemsies. 

Schriftführer  t    Herr    Hirschlaff. 
Nach  einigen  geschäftlichen  Vorbemerkungen  des  Vorsitzenden  hält  Herr 
1-ela.rcr  Arno  Fuchs  den  angekündigten  Vonrag: 

,,B  eobachtungen   an   schwachsinnigen    Kinder  n/* 
Der  Vortrag  findet  sich  unter  den  Originalbeiträgen  dieser  Zeitschrift  ab- 
gedfuckl, 

Diskussion: 
Herr  Kem&ies  dankt  dem  Redner  für  den  anregenden  Vortrag  und 
eröffnet  die  Diskussion   mit  einigen   Leitworten. 

Herr  Schul  Inspektor  Dr.  v.  G  i  i  y  c  k  i  weist  darauf  hin^  daB  die  vom 
H  enu  Vortragenden  angeführten  EinKelhtobachtungen^  wenn  auch  an  iweifel- 
los  schwachsinnigen  Kindern  gewonnen,  doch  an  sich  als  ausreichende  Be- 
weis« für  die  krankhafte  Beanlagung  der  betreffenden  Individuen  nicht 
^rigesehen  werden  könnten.  Dieselben  logischen  Denkfehler  ließen  sich 
gclegeDtlich  auch  bei  normalen  Kindern  und  Erwachsenen  nachweisen  und 
müBieti  vielleicht  z.  T.  auf  die  Dürftigkeit  und  Enge  des  den  Kindern  zur 
Verfügung  stehenden  Erfahrungskreises  zurückgeführt  werden.  Das  logische 
Ocjiken  allem  sei  nicht  das  Kriterium  für  die  Beurteilung  des  Geist  es  äsustandes 
****■  Kinder,  wenn  auch  die  Häufigkeit  und  die  kindische  Art  der  Mißgriffe. 
***^  bei  Seh  wachs  iimigen  gewöhnlich  der  Entwickelungsstufe  eines  viel  un- 
''«^iferen  Alters  entsprächen,  als  bedeutsame  Symptome  anzusehen  seien. 

Herr  Fischer  stimmt  dem  Vorredner  darin  bei,  daß  zwar  an  der 
S^ ästigen  Minderwertigkeit  der  von  dem  Vortragenden  angeführten  Kinder 
^icht  zu  zweifeln  sei,  die  angeführten  Beispiele  allein  aber  vielfach  zu  deren 
^^nstaticrung  nicht  ausreichten,  vielmehr  ähnliche  von  normalen  Kindern 
*^n<j  Erwachsenen  in  reichster  Fülle  angeführt  werden  könnten,  und  bringt 
Uiig^  solche  Beispiele  bei, 

Herr    Fuchs:   Auf   den   Einwand,   daß    die   gegebenen   Beispiele  nicht 
r^    Beweise  für  Mängel  in  der  logischen  Denkfähigkeit  gelten  konnten,  da 
^^iche  Vorgänge  auch  bei  normalen  Kindern,  ja  sogar  bei  normalen  Er- 
-^clisenen  festzustellen  seien,  erwidere  ich,  daß  ich  nicht  einen  Augenblick 
^tr^ji   gezweifelt    habe,    daß   sich   ähnliche    Beispiele   a«s   dem   Leben   der 
^  ^Tmalcn    werden   berichten    lassen.     Aber   es   wird    doch   gewiß   niemand 
^^^'►^ommen,  deswegen,  weil  ein  normales  Kind  einmal  eine  logische  Verkehrt- 
est   begangen  hat,   dasselbe  als  schwachsinnig  zu  bezeichnen,  ebensowenig 
*^  es  mir  beigefallen  ist,  die  von  mir  genannten  Kinder  nur  um  der  geringen 
"^^xahl  der  von  mir  berichteten  logischen  Inkorrektheiten  als  schwachsinnig 
^Uszygeben.     Es    ist    in   diesem   Punkte   notwendig,   daß   Sie  mir   entgegen- 
'^^mmcD,   übeneugt   zu   sein,   daB   ich    Ihnen   aus   der  Fülle   meiner   Beob* 
^^tuisgen  über  die  logische  Denkfähigkeit  schwachsinniger  Kinder  nur  eine 


L 


222  Süaung9henckt9. 

verschwindend  kleine  Zahl  von  Beispielen  vorgeführt  habe.  Wollte  ick  das 
Thema  über  nur  ein  Kind  erschöpfend  behandeln,  so  müßte  tmd  könnte  idi 
ein  außerordentlich  reichhaltiges  Beweismaterial  erbringen.  In  monem 
Vortrage  aber  konnte  ich  mir  nur  gestatten,  über  einige  typische  Fälle  n  Ik- 
richten;  ich  habe  jedoch  ausdrücklich  hervorgehoben,  daß  Ahnliches  anch 
einem  normalen  Kinde  unterlaufen  könne,  und  zwar  aus  Unachtsamkeit  oder 
in  einem  sehr  jugendlichen  Alter.  Dieser  Punkt  ist  m.  £.  von  den  Hemn 
Vorrednern  nicht  beachtet  worden.  Femer  betone  ich  nochmals,  daß  ich  das 
Charakteristische  nicht  durchaus  in  den  einzelnen  geschilderten  Vorgingen 
gesucht  habe,  sondern  vor  allem  auch  darin,  daß  diese  Erscheinungen  an 
10— 15  jährigen  Kindern  beobachtet  worden  sind,  und  daß  endlich  bei 
jedem  einzelnen  schwachsinnigen  Kinde  in  der  Regel  nach  jeder  Richtung 
seines  Denkens  und  Handelns  die  Eigentümlichkeit  eines  Mangels  im  logi- 
schen Denken  zu  beobachten  ist.  Charakteristisch  ist  also  in  erster  Linie  das 
Alter  der  Kinder  und  die  Häufigkeit  der  Beweise.  Wollen  Sie  meine  Dar- 
legungen und  die  einzelnen  Beispiele  über  die  von  mir  angeschnittene  Frage 
kritisch  betrachten,  so  muß  ich  Sie  bitten,  das  zu  tun,  wenn  ich  Ihnen  meine 
Methode  zur  Feststellung  bestimmter  Resultate  über  das  logische  Denken 
Normaler  und  Schwachsinniger  und  diese  Resultate  selbst  vorführe,  aber 
nicht,  wenn  ich  versuche,  Sie  durch  einen  nur  interessierenden  Vortng  fSr 
das  Thema  zu  gewinnen. 

Was  die  in  der  Diskussion  femer  aufgeworfene  Frage  betrifft,  ob  die  Ein- 
richtungen für  die  Erziehung  und  Belehrung  der  Schwachsinaigen  und 
Idioten  wirklich  auch  allen  Kindern  genügen  werden,  bemerke  ich,  daß  bei 
der  Vielgestaltigkeit  der  abnormen  Kindesnatur  stets  einige  Kinder  ans  dcB 
Rahmen  der  betr.  Einrichtung  herausfallen  und  nirgends  gut  untemibringci 
sein  werden.  Für  die  Mehrzahl  aber  scheinen  die  getroffenen  Venuistaltiingci 
entsprechend  organisiert  zu  sein.  Ich  bin  überzeugt,  daß  die  zur  TagesaiKtak 
erweiterte  Hilfsschule  die  geeignetste  Einrichtung  für  die  Belehrung  und  Er- 
ziehung schwachsiimiger  Kinder  sein  wird,  zumal  diese  Organisatioo  ^ 
eine  durch  das  Wesen  der  betr.  Kinder  bestimmte  anzusehen  ist.  Uisprfifl^ 
lieh  bestand  in  Berlin  die  Absicht,  die  Insassen  der  Nebenklassen  für  den 
Hauptunterricht  „unterrichtsfähig'*  zu  machen.  Das  ist  aber  nur  bei  8  bi> 
9<^  möglich  gewesen,  die  übrigen  91<Vb  verlangten  eine  ihrer  besonderen  Be- 
anlagung  entsprechende  Sondererziehung.  Damit  war  die  Sdbstindigkeit  dci 
Hilfsschulunterrichts  von  der  Natur  der  Kinder  selbst  gefordert.  Daß  dieK 
selbständige  Hilfsschulerziehung  und  Belehrung  erst  dann  eine  der  Kindi^ 
natur  und  den  sozialen  Bedürfhissen  völlig  entsprechende  sein  wrrd«  wti* 
natur  und  den  sozialen  Bedürfnissen  völlig  entsprechende  sein  wird,  wff> 
sie  durch  eine  Hilfsschule,  bezw.  eine  Tagesanstalt  die  entsprechende  Orgtft' 
sation  erfahren  hat,  bedarf  keines  Beweises.  — 

Daß  schwachsinnige  und  idiotische  Kinder  in  der  Exaktheit  ibN' 
Leistungen  nachlassen,  sobald  sie  dieselben  in  anderer  Umgebung  ansffibic* 
müssen,  ist  eine  oft  beobachtete  und  mit  der  Sensibilität  der  SchwmchsiniHf 
zu  erklärende  Erscheinung.  —  Einseitige  Begabung  mit  stauen  KootniH' 
habe  ich  bei  den  von  mir  erzogenen  Schwachsinnigen  nicht  beobachtet  P** 
gegen  ließ  sich  oft  eine  nicht  harmonische  Beanlagung  besflgL  des  matb^ 
matischen  Denkens,  des  sprachlichen  Ausdrucks  und  der  tecfanbchaB  Fertig 
keiten  feststellen. 


err  Schulinspekior  Dr.  v^.  G  i  f  y  c  k  t  führt  aus,  man  müsse  auch 
Ik  geistige  Entwicklung  der  nonnalen  Kimler  ein  umfangreicbes  und 
k  gesichtetes  MateriaJ  sammeln.  Dieses  würde  abgesehen  von  seinem 
paychologiächen  Werte  aucli  zur  Kontrolle  der  Beobachtungen 
Itwachäitmigen  dienen.    Er  regt  an,  vorcrsi  den  Inhalt  des  Bewußtseins 

n  Grad  der  geistigen  KräJie  bei  einer  größeren  Aniahl  von  neu  ein- 

tten    Kindern    systematisch   lu    untersuchen, 
ach  einigen  Bemerkungen  der  Herren  K  e  m  s  i  e  s  und  Maller  schließt 

fimg  um  10  Uhr. 


'ziehungE'  und  Fürsorge-Verein  für  geistig: 
turfickgebliebene  (schwachsinnige)  Kinder 
zy  Berlin* 

ich  längeren  Vorbereitungen  hat   sich  am   S6.   Man  d.   J,   der  oben 
Btr  Verein  konstituiert.     Demselben  gehören  heute  ca.   160  Personen, 
logen^  Mediziner,  Nationalökonomen  u*  s.  w,,  an.    in  der  begründenden 
mlnng  sprachen  die  Herren  Kgl,   Kreis-  u.   Stadtschulinspektor  Dr. 
Giiycki,    Rektor    Hensiorf    und   Rektor   Pagel    über   die   päda- 
ihen  und  sozialen  Ziele  und  die  Organisation  des  Vereins.    Die  Ver- 
lang nahm  den  vorgelegten  Statutenentwurf  an  und  ebenso  den  Entwurf 
Aufrufs,  der  das  große  Publikum  für  die  Ziele  des  Vereins  gewinnen 
diesen  Aufruf  haben  schon  jetzt  hervorragende  Personen  aus  Gesell- 
und   Wissenschaft    unteneichnet.     Zum    1.    Vorsitzenden    wurde    Herr 
KLSpektor  Dr,  von  Gitycki,  rum  2.  H err Schulinspektor  Dr.  Fischer, 
i  Herr  Sanitätsrat  Dr.  Hartmann,  zum  1.  Schriftführer  Herr  Schul- 
(or  GädiDg,   zum    1*    Schatzmeister   Herr   Bankier   A.    Böhm,   tum 
Dr.  Ginsberg  gewählt    —    Die  Bearbeitung  der  pädagogischen 
des    Vereins    setzt    sich    eine    besondere    Kommission    zum    Ziel 
Pädagogische      Kommission     bezweckt     ,,cine     pädagogische      Ver- 
Of   in    das    Wesen    der    geistig    zurückgebliebenen    Kinder,    eine   kJare 
mninis  der  besten  Methode,  die  zu  einer  erfolgreichen  Belehrung  uod 
Übung    dieser    Kinder    führt,    und    der    ihrem    Wesen    am    besteft    ent- 
rbenden  Organisation  des   Unterrichts/*   Diesen  Zweck  strebt  die  Kom* 
ion  an  durch  die  Abhaltung  von  Versammlungen,  die  Einrichtung  von 
fagskursen^  die  Gründung  einer  Bibliothek  der  einschlägigen  Literatur^ 
bitandbaJtung  eines  Leseiimmcrs  mit  den  entsprechenden  Zeitachrifteti, 
Einrichtung  von   Informationsreisen,   die   Beschickung   von   Kongressen 
Die    Pädagogische    Kommission    hielt    am   8.    Mai   im    Stadt.    Schul- 
Kttn  ihre  1.  Sitzung  ab.   Es  waren  ca.  100  Personen  erschienen,  darunter 
fJerr  Geh.  Ober^Regierungsrat  B  r  a  n  d  i.   Nachdem  der  Vorsitzende,  Herr 
or  Stndt^  die  Ziele  der  Pädagogischen  Kommission  klargelegt  hatte, 
:h  Herr   Lehrer  Arno   Fuchs  über  die  Verhandlungen  des   IV.   Ver- 
lit;^e£  deutscher  Hilfsschulen  in  Mainz  und  schloß  daran  seinen  Vortrag 
„Die  nächsten  Ziele  der  Hüfsschulpädagogik".    Der  Referent  erachtete 
ir  notwendig,   die   gesammelten    Beobachtungen  tmd  Erfahrucigen  auf 
Gebiete    der    Psychologie    und    Methodik    nach    pädagogisch   wisseo- 


224  Berichte  und  Besprechungen, 

scbaftlichen  Gesichtspunkten  zu  ordnen  und  zusammenzufassen  zu  monogra- 
phischen Abhandlungen.    Durch  diese  Arbeit  diene  man  der  wissenschaft- 
lichen Psychologie,  der  Psychiatrie  und  der  Methodik  alles  Unterrichts  und 
gebe    schließlich    den    Behörden    und    Volkswohltätem    die    besten   Finger- 
zeige und  Beweise  für  die  wünschenswerte  äußere  Organisation  der  Hilfs- 
schulerziehung.  —   Der  Vortrag  fand  allseitigen   Beifall.    An  der  D^atte 
beteüigte    sich    auch    Herr    Geh.    Ober-Regierungsrat    Brandi.    Er  gab 
seiner  Freude  Ausdruck  über  die  Einmütigkeit,  mit  welcher  man  sich  der 
Sorge  für  die  Schwachen  am  Geiste  widme,  imd  hob  femer  hervor,  dafi 
die  Behörde  das  Ziel  für  Nebenklassen,  die  Kinder  zum  Volksschulimterricbte 
wieder  zurückzuführen,  nicht  anerkeime,  da  die  betr.  Kinder  dann  in  den 
untersten   Klassen   aus   der   Schule   entlassen   würden.    Weiter  betonte   er, 
daß  das  Schwergewicht  in  den  Nebenklassen  und  Hilfsschulen  auf  die  Gemütt- 
bildung  zu  legen  sei.  —  Herr  Kgl.  Kreisschulinspektor  Dr.  von  Giiyc"ki 
sprach  Herrn  Geh.  Ober-Regierungsrat  Brandi  den  Dank  der  Versammliug 
für  sein  Erscheinen  imd  für  seine  Ausführungen  aus. 


Berichte  und  Besprechungen. 


Tafel   zur   Erziehung    des    Farbensinnes   von    Dr.    Hugo 
Magnus.  2.  Aufl.   1902.    Kerns  Verlag. 

Die  Tafel  ist  folgendermaßen  angeordnet:    In  neun  senkrechten  Reihen 
sind   die   Farben:    Braun,    Purpur,    Scharlach,    Orange,    Gelb,    Grün,  Blais» 
Violett  und  Schwarz,  in  Gestalt  ovaler  Blättchen  auf  eine  große  Tafel  attf- 
geklebt.  Jede  Reihe  besteht  aus  vier  solcher  Blättchen,  die  den  Übergang  w»* 
einer   ziemlich   hellen   Schattierung   einer   Farbe   in   den   Grundton  zeigen- 
Diese  so  hergestellte  Tafel  wird  den  Kindern  vorgelegt,  und  es  wird  ihnc«» 
bedeutet,  die  verschiedenen  Farben  zu  zeigen  und  zu  nennen.   Zu  der  Taf^ 
gehört  sodann  ein  Kästchen  mit  72  Täfelchen,  die  genau  dieselben  Faibe^ 
zeigen  wie  die  Ovale.    Diese  Täfelchen  werden  den  Kindern  in  die  Ha»^ 
gegeben,  damit  sie  sie  auf  die  entsprechenden  Farben  der  Tafel  legen.  Di^ 
Schattierungen  der  einzelnen   Farben   bereiten  ihnen   Schwierigkeiten,  m^^ 
das  Verfahren  muß  deshalb  so  lange  geübt  werden,  bis  keine  Fehler  gemad'^^ 
werden.   Legt  das  Kind  aber  ein  grünes  Täf  eichen  inmier  wieder,  auch  naC^ 
vielen  Übungen  auf  Blau  oder  Rot  und  umgekehrt,  so  liegt  die  Annahic^^ 
nahe,  daß  das  Kind  farbenblind  ist. 

Hat  sich  sein  Farbensinn  genügend  entwickelt,  so  daß  es  keine  FehL^ 
mehr  beim  Aufsuchen  der  Farben  begeht,  so  soll  die  Tafel  nicht  mehr  l>^* 
nutzt  werden,  sondern  es  sollen  aus  den  Täfelchen  verschiedene  bezeichne^^ 
Farben  und  ihre  Schattierungen  herausgesucht  werden.  Auch  soll  es  Täfdck^* 
auswählen,  deren  Farben  dem  Aussehen  irgend  eines  vorher  bestimmC^^ 
oder  gezeigten  Erzeugnisses  der  Industrie  oder  der  Natur  entsprechen.  ^^ 
lernt  das  Kind  mit  Sicherheit  die  verschiedensten  Farben  kennen  und  ses^^ 
Nuancen  unterscheiden. 


ßtPkkU  und  ß^spfuhMiftgen. 


225 


U    wurden    mit    der    Tafel    Versuche    an    Kindern    von    5—6    Jahren 
Hellt,       Hedwig     P.,      61/4     Jahre     alt,     leigte     eine    große     Freude, 
sie      der     Tafel     ansichtig     wurde.       Sie     bezeichoete     die      Farben- 
1   als    Kleckse    und    hätte    die     Taiel    gern    in    Besitz     genomnxen. 
mich  den  Farben beieidmungen  gefragt  wurde,  kannte  sie  die  Namen 
Jurpur  und  Scharlach  nicht,  sondern  verwendete  dafür  den  Namen  Rot. 
[e  war  für  sie  Gelb,  und  Violett  Blau.   Die  beiden  ersten  Schattierungen 
Schwarz  sah  sie   als   Braun  an.    Als  ihr  die  richtigen  Bezeichnungen 
itit    wurden,    behielt    sie    nach    einiger    Übung.     Darauf   satltc   sie    die 
chen    auf    die    entsprechenden    Farbenovale    legen.     Bei    den    tiefsten 
der    Tafel    gelang    es    iiir   ziemlich   leicht,    die   richtigen    Farben   lu 
[fen;  bei  den  helleren  Nuancen  hingegen  hatte  sie  wiederholt  Schwierig- 
und   machte   Fehler,     Besonders   verwechselte   sie  die   Schatlierun^n 
charlach  und  Orange  {3.   und  4,   Farben  reihe),  deren  Unterscheidung 
1  ungeübtes  Auge  schwierig  ist.    Ebenso  erging  es  ihr  mit  den  helleren 

von  Braun  und  Schwarz  (1,  und  9.  Farbenreihe), 
[urt  H.,  6Vf  Jahre  alt,  freute  sich  sehr  über  die  bunten  Eier,  wie  er 
,  Der  Kleine  bezeichnete  die  braune  Farbenreihe  (l,)  und  Orange 
tit  Gran.  Auch  er  machte  keinen  Unterschied  atwischen  Purpur  (2.)  und 
flach  (3)  und  nannte  beide  Rot.  Violett  (ß.)  dagegen  bezeichnete  er  als 
drot.  Er  legte  die  ihm  durcheinander  gereichten  Täfelchen  für  die 
dfarben  auf  die  richtige  Stelle,  doch  bei  den  helleren  Nuancen  erging 
wie  Hedwig,  Das  Ganze  erschien  ihm  als  ein  unterhaltendes  Spiel, 
n  eine  Farbenreihe  mit  Täf eichen  bedeckt  war,  rief  er  vergnügt  aus : 
habe  gewonnen  T' 

iTalter  E.,  b  Jahre  alt,  bezeichnete  Scharlach  mit  Dunkdgelb,    Orange 
er  nur  unter  dem  Namen  ,, Fußbodenfarbe**,  weil  er,  da  sein  Vater 
eist  er   ist,   diese    Bezeichnung   dafür    gehört    halte*     Für   Violett   ge- 
lte er  den  Ausdruck  Rosa.    Sein  Farbensinn  war  ziemlich  entwickelt; 
er    legte    die    Täf  eichen    mit    ntur    wenigen    Abweichungen    auf     die 
:e  Stelle.      , 

Eine  Schwester,  Ella  E*,  8  Jahre  alt,  fand  auch  für  die  Täfelchcn 
:ht|ge  Farbe,  aber  sie  halte  für  die  Farbenreihen  andere  Benennungen» 
nele  sie  Purpur  mit  Rosa,  Scharlach  mit  Gelb.  Orange  w^  für 
und  Gelb  dagegen  Outikelgelb. 
bUlen  die  Kinder  für  die  Farben  verschiedener  Gegenstände  die  cnt- 
lenden   ^Farben täfele hen    heraussuchen,    so    gaben    sie    immer    dunkler 

Tafeln,  als  verlangt  wurden. 
Als  diesen  wenigen   Beispielen   geht   hervor,   daß   die  Kinder  im   Alter 
Jahren  noch  keinen  genauen  Unterschied  zwischen  der  2.^  3.  und 
benreihe,  sowie  der    1.   und   9.   Reihe  machen  und   die  Farben  nicht 
benennen,    Die  Mischfarbe  B  kennen  sie  nicht  als  solche  und  finden 
nicht   die  feinen   Unterschiede   zwischen  den   helleren   Farbe nnuanccn. 
nach  einiger  Übung  lernen  sie  selbst  die  feinsten  Schattierungen  unter- 
en,  und  deshalb  scheint    mir  dieses   System  von   Magnus  in   der  Tat 
lödagogischen  Standpunkte  aus  emplehlenswert. 
crlin.  Max  Kr  od. 


Z^lidirift  Inr  pädigoeiKKe  P^ychdlofie.  pAtholoiTie  titid  lij^tm. 


226  Befichte  und  Besprechungen, 

£.  Stiehl,  Eine  Mutterpflicht.  Beitrag  zur  sexvelUn 
Pädagogik.  Verlag  von  Herrmann  Seemann  Nachfolgerin 
Leipzig.    46  Seiten.  0,50  M. 

Obwohl  \ms  die  letzte  Zeit  mit  Beiträgen  zur  sexuellen  Pädagogik  radi- 
lich versehen  hat,  so  ist  doch  das  Erscheinen  dieses  Schriftchens  mit  Frendea 
zu  begrüßen.  Daß  ein  Wandel  in  den  bestehenden  Verhältnissen  Not  tnt, 
darüber  sind  sich  wohl  nahezu  alle  Eltern  und  Erzieher  Idar.  Vide  aber 
werden  nicht  wissen,  welchen  Weg  sie  bei  der  Belehrung  ihrer  Kinder  ober 
geschlechtliche  Dinge  einzuschlagen  haben.  Diese  werden  in  dem  Werioe 
trotz  seines  geringen  Umfanges  viele  dankenswerte  Anregungen  finden.  Andi 
die  Mahnimg,  die  die  Verfasserin  gibt,  daß  jede  Mutter  neben  der  offaMB 
Belehrung  der  Kinder  die  gesundheitliche  Erziehung  derselben  zur  SittUchkdt 
mit  Tatkraft  und  Sachkenntnis  in  die  Hand  zu  nehmen  hat,  verdient  volle 
Beachtung.  Hier  werden  die  sanitären  Maßregeln  über  Kinderenäehung,  die 
im  Schlußteil  des  Werkchens  gegeben  sind,  manchem  zustatten  kommen. 

Berlin.  Grünspan. 


Heinrich  Keiter:  Die  Kunst,  Bücher  zu  lesen.  Winke 
für  die  Lektüre  dichterischer  und  wissenschaftlicher 
Werke.  Dritte  Auflage.  Essen  a.  d.  Ruhr,  Verlag  und  Druck 
von  Fredebeul  &  Koenen.    1901.    142  S. 

„Lesen  imd  Bildung**,  wie  Schönbach  seine  treffliche  Schrift  genannt 
hat,  wäre  ein  zu  weiter  Titel  für  das  vorliegende  Büchlein.  Der  Veifiatf 
will  nur  den  Lese-  und  Lemlustigen  Winke  geben,  wie  sie  ihr  Leitt 
zweckmäßig  einzurichten  haben,  damit  sie  den  Genuß,  die  Bildung  nod 
Belehrung  daraus  schöpfen,  die  den  meisten  bücherverschlingenden  LeteA 
fast  gänzlich  entgehen.  Über  das  Was  läßt  er  sich  nicht  aus,  nur  du 
Wie  betrachtet  er.  Nachdem  er  dargelegt  hat,  daß  fruchtbar  nur  die  ^ 
Maß,  Ordnung  und  Kritik  betriebene  Lektüre  ist,  gibt  er  Ratschlage  fif 
das  Lesen  mit  der  Feder  in  der  Hand,  für  die  Herstellung  von  Sammlungen 
und  die  Anfertigung  von  Auszügen  aus  dem  Gelesenen  und  für  seine 
Beurteilung.  Im  einzelnen  behandelt  er  dann  die  Durcharbeitung  gemeinver- 
ständlicher, wissenschaftlicher,  insbesondere  geschichtlicher,  lite^atnrg^ 
schichtlicher  und  naturwissenschaftlicher  Werke.  Der  Hauptteil  des  Boches  ist 
der  Lestmg  dichterischer  Erzeugnisse  gewidmet.  Darin  gibt  der  Verfasser 
einen  Abriß  der  Poetik,  soweit  sie  zu  tieferm  Eindringen  in  das  sdifiaB 
Schrifttiun  notwendig  ist,  und  lenkt  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Punkte^  ^ 
man  bei  der  Lektüre  der  verschiedenen  dichterischen  Gattungen  zu  beadittft 
hat,  sowohl,  was  die  äußere  Gestalt,  als  was  den  inneren  Gehalt  betrlA 
Gedankenwelt,  Stoff,  dessen  Auffassimg  und  Gestaltung  durch  den  Diditc^ 
Charaktere  u.  s.  w.  Den  Schluß  bildet  eine  Anweisung,  das  GesamäA^ 
eines  Dichters  zu  entwerfen.  —  Es  ist  anztmehmen,  daß  die  klare  D»^ 
Stellung  des  Verfassers,  die  sich  von  Gelehrtheit  und  Oberflächlichkeit  f^ 
nügend  fem  hält,  manchem  Leser  nützlich  sein  wird,  der  sich  durch  dl* 
Lesen  nicht  nur  imterhalten,  sondern  auch  bilden  will.  Zu  bedauern  ^ 
aber  die  störende  Hervorhebung  des  persönlichen  Standpunkts  des  Ver 
fassers,  den  er  selbst  als  „christlich-konservativ"  bezeichnet.   Sein  Recht  a» 


BtruJtt^  und  Btspre^kungm  ^^^^^^T         227 

seine  Anschauung   und  ihr   Bekenntnis  soU  ihm  nicht  verschränkt  werden^ 

aber  ihr  ständiges  Eingreifen  schädigt  die  UnhefaDgenheit  der  Erörterung 
tiad  den  sachlichen  Gewinn  für  den  Leser.  Die  Hauptgesichtspunkte  für  die 
Beuiteüung  wissenschaftlicher  oder  künstlerischer  Erzeugnisse  liegen  doch 
aun  einmal  innerhalb  des  Gebietes  von  Wissenschaft  und  Kunst.  Der 
Verfasser  aber  sieht  alles  durch  seine  politisch  rdig tose  Brille  an  und 
verdammt,  was  ihm  durch  sie  geschaut,  verwerflich  erscheint*  Damit  hangt 
tag  zusammen  seine  Abneigung  gegen  die  böse  „neue  Zeit"  und  die 
Leistungen  neuzeitlicher  Forschung  und  Dichtung.  So  wäre  es  Pflicht  des 
Leluers,  der  etwa  seinen  Schülern  das  an  sich  nützliche  Büchlein  in  die 
Ha^nd  gäbe,  durch  mündliche  Belehrung  der  Einseitigkeit  des  Verfassers 
Gegengewicht  zu  bieten. 
Berlin*  SiegbertSchayer. 


Übungsaufgaben  zu  Prof.  Dr.  WÜmantis*  Deutscher 
Sc  liulgrammatik.  Bearbeitelvon  Dr.  K.  Bandow,  Frolessor, 
0  t>  errealschuldirektor  a.  D.  L  Heft.  Für  Sexta  und  Quinta. 
ochste  unveränderte  Auflage.  Berlin,  Gustav  Vetter.  190L 
TV,  103  S.  8ö,  0,80  M. 

Die  sechste  Auflage  ist  wie  die  fünfte  ein  unveränderter  Abdruck  der 

nerteu.    Das  Heft  war  schon  in  dieser  (1890)  den  Bestimmungen  der  Lehr- 

plaae  von  IB91  angepaßt^  und  es  entspricht  auch  denen  von  1901.    So  mag 

^   wie  früher  neben  Wümanna"    Schulgrammatik    nutzbringend    gebraucht 

werden,  kann  aber  auch  neben  andern  Lehrbüchern  oder  wo  kein  gedruckter 

l^eitfadcn  dem  grammatischen  Unterricht    zugnmde    gelegt    wird,    verwandt 

werden.    Insbesondere   empfehlen  sich   die  reichlichen   und   wohlgeordneten 

L'bimgen   für   diejenigen   Anstalt en,    auf   denen   die   grammatische    Bildung 

^  die  mit  ihr  verbundene  Denkbildung  nicht  dem   Lateinischen,  sondern 

<äcr  Muttersprache  obliegt.  Für  die  nächste  Auflage  wäre  eine  Inhaltsübersicht 

»wünscht. 

Berlin.  Siegbert   Schayer, 


Uli) 


Kanon  deutscher  Dichtungen.  Zusammengestellt  durch 
'  Ächk  onf  erenien  des  Königl.  Theresien-Gymnasiums  In 
^t^üchen,  München  1900.  KgU  H  of-  und  Universitäts-Buch- 
.Druckerei  von  D  r,   C.   W  olf  &   Sohn.    79   S.  gr.  &^.  0.70  M. 

Über  die  Absichten  und  Gesichtspunkte  dieser  Zusammenstellung  sprechen 
die  Herausgeber  nicht  aus,  Sie  wollen  anscheinend  eine  handliche 
Sammlung  derjenigen  Gedichte  geben,  deren  Kenntnis  sie  als  unentbehrlich 
^  4m  Scb liier  ansehen,  und  dadurch  die  deutschen  Lesebücher  entlasten. 

Die  Dichtungen  sind  auf  die  einzelnen  Klassenstufen  verteilt  und  für 
jede  Stufe  wiederum  nach  Gattungen  geschieden,  nur  daß  für  die  obersten 
^i  Lyrisches  allein  in  Betracht  kommt.  Angellängt  ist  ein  Verzeichnis  der 
^m  Auswendiglernen  vorgeschlagenen  Stellen  aus  deutschen  Dramen.  Trägt 
l^e  Auswahl  von  der  Art  der  vorliegenden  etwas  Eigenmächtiges  in  sich,  so 
**^rtet  man  von  einer  durch  die  Mitwirkung  mehrerer  Fachmänner  her- 
S^eilten   Sammlung^    daß    sie    eine   im   ganzen   allen   passende   MitteUtnie 


228  Beridkle  wtä  Bnpncfnmgtm, 

dantdle.  Das  »t  hier  durchaus  nicht  ohne  Eiaschriikuiig 
Gibt  auch  von  dem  Aufgenommenen  nicht  vieles  Aa^aß  mit  4en  fie 
gebem  zu  rediten,  so  fällt  doch  schon  von  vornherein  aitf  allen  Sldte 
gewisse  Magerkeit  auf.  Und  tatsächlich  fehlen  eine  Ansahl  von  OediC 
die  wir  gewohnt  shid,  mit  unsem  Schlilem  dnrchzunefamen  und  A 
wegen  ihres  künstlerisdien  und  bildenden  Wertes  auch  nicht  misKn  «Ic 
So  sucht  man  vergebens  auf  der  Unterstufe  Claudius'  ^bendfietf*  > 
Mond  ist  au^egai^en*),  Rückerts  ,Vom  Bämnlein,  daa  andre  Bttne 
gewoUtS  »König  Karls  Meerfahrt'  von  Uhland,  Seumes  «KMudier',  et 
Mittelstufe  U  h  1  a  n  d  s  Eberhaid-Balladen,  .TaiUefer'  und  »Gläok  von  Eta 
Schlegels  ^rion',  Schillers  ,Kampf  mit  dem  Drachen*,  »Oangnadi 
Eisenhammer',  »Handschuh',  Heines  »Belsazar*,  Vossens  .jSkMk 
Geburtstag',  auf  der  Oberstufe  Goethes  ,Mondlied*,  ,Hochael 
Schillers  »Spaziergang*,  »Künstler*,  ,Ideal  und  Leben*.  Zu  entb 
wäre  Geibels  »Rheinsage*,  die  Rückerts  »Barbarossa*  zu  ähnlic 
V.  Webers  »Deutschland'»  das  neben  Arndts  Lied  »Des  Deut 
Vaterland*  schwächlich  wirkt»  Schillers  »Johanniter',  deren  Lehre  ( 
den  »Kampf  mit  dem  Drachen*  wirksamer  gestaltet  ist.  Gern  sähe 
femer  einige  Änderungen  in  der  Verteilung.  »Der  Ring  des  Polykrates 
hier  für  IV  angesetzt  ist»  paßt  erst  für  III»  Schillers  philosopl 
»Worte  des  Glaubens'  sind  auf  der  Oberstufe  fruchtbringender  zu  beha 
als  in  Ulli;  auch  Schenkendorfs  ^Freiheit»  die  ich  meine'  is 
diese  Klasse  zu  abgezogen.  Schlegels  »Jambus*  und  »Hexameter* 
ebenso  wie  Schillers  »Distichon*  aus  Olli  nach  der  Oberstufe  zu 
weisen»  desgleichen  Schillers  »Teilung  der  Erde',  das  freilich 
inOn,  schon  in  OHI  oder  Uli  dem  Schüler  erklingen.  Walthers,Tiv 
zuht\  müßte  nach  den  preußischen  Lehrplänen  von  UI  nach  OII 
unterrücken. 

Berlin.  Siegbert   Sc  ha  yei 


Dr.  Arthur  Wohlthat»  Oberlehrer  an  der  Luisensc 
in  Düsseldorf,  Die  klassischen  Schuldramen  nach  lo 
und  Aufbau.  Leipzig»  G.  Freytag.  Wien-Prag»  F.  Temj 
1902.  X,  192  S.    2  M. 

Der  Verfasser  geht»  wie  allgemein  angenommen»  von  dem  Gesidxt^ 
aus,  daß  die  höchste  Aufgabe  der  Dramenlektüre  auf  der  Schule 
ästhetische  Erfassung  des  Dichtwerks»  nur  dann  erfüllt  werden  kann, 
sie  sich  auf  die  zuvor  erworbne  Erkenntnis  des  dramatischen  Aufbace 
der  sachlich-logischen  Gliederung  gründet»  und  daß  jenes  oberste  Sc 
daxm  ganz  erreicht  werden  kann»  wenn  nicht»  —  wie  es  oft  g^cfaie 
die  Herausarbeitung  des  Grundrisses  zuviel  Zeit  hinwegnimmt.  Deshalb 
er  in  dem  gut  ausgestatteten  Buch  eine  fertige  Übersicht  über  die  dram« 
Gliederung  der  auf  mittleren  und  höheren  Lehranstalten  gelesenen  Di 
und  berücksichtigt  auch  solche»  die  gemeinhhi  der  Privatlektüre»  für  di 
Buch  nebenher  bestimmt  ist»  überlassen  bleiben.  Er  behandelt  von  Lesi 
Schiller»  Goethe  alle  für  die  Schule  in  Betracht  kommoiden  Sl 


BefuMit  Uftd  ßBS^r<cäiM^em^ 


229 


dkseta   auch  den    Faust,    erstem   und   zweiteB    Teil,   von   Kleist   4ie 
Hermanni^cbUcht    und    dem    Primco    von    Hombmg,    Körners    Zriay, 

Vhlaads  Herzog  Ernste  GrUlparzers  Aimfrau^  Sappho,  Goldiies  Vlied, 
H  e  b  b  e  1  s  N ibelun^eii,  Ludwigs  Erbförster,  von  nichtdeutschen  S  h  a  k  e  < 
sp«ires  Corioilan,  Julius  Caesar,  Richard  III,  (dabei  in  der  Einleitung 
Hoaiich  VL),  Lear^  Macbeth,  Hamlet;,  aus  dem  Altertum  des  Sophokles 
beide  Odipus>  Antigone.  Aias,  Philoktel  und  des  E  u  r  i  p  i  d  es  Iphigetiie  b«i 
den  Tauiiem.  Vorausgeschickt  ist  eine  knappe  Erläuterung  der  Grundbegriff o 
aus  der  Technik  des  Dramas«  Auch  in  die  Darstellung  der  einzeln en 
Stücke  ist  das  bekannte  Schema  des  Handlungsverlaufs  verflochten,  die 
Übersicht  aber  so  eingerichtet,  daß  auch  bei  seiner  Nichtbeachtung  der 
Aüfbaa  klar  wird.  Der  Inhalt  der  einzelnen  Szenen  wird  kurz,  aber  mit 
fcciigtiider  Ausführlichkeit  wiedergegeben,  die  inhaltlich  zusammengehörigen 
unter  eiöc  gemeinsame  Überschrift  gefaßt,  auch  die  größeren  Abschnitte  her- 
vorgehoben. Die  Sprache  ist  schlicht,  ohne  trocken  zu  sein,  die  Inhaltsangabe 
niwrlassig:,  die  Gliederungen  sind  wohldurchdacht*  Im  ganien  ist  die 
Sc]iftft  ein  nützüches  Hilfsmittel  für  den  Unterricht.  Freilich  wird  so 
naodier  Deutschlehrer  nicht  gern  a«f  die  treffliche  Denkübung  verzichten 
«oUta,  die  Schüler  selbst  arbeiten  lu  lassen,  was  ihnen  hier  fertig  übergeben 
to4  Aber  auch  dann  ist  es  noch  für  ihn  selbst  eine  brauchbare  Grundlage* 
Im  übrigen  ist  es  unter  allen  Umständen  geeignet,  sowohl  die  zeitraubende 
Selbsttätigkeit  der  Klasse  zu  verkürzen,  als  auch  besonders  für  Wieder- 
bl\u]g«rL  und  vergleichende  Betrachtungen  das  Rüstzeug  darzubieten. 
B  e  T I  i  n-  S  i  e  g  b  e  r  t    S  c  h  a  y  e  r. 

t Adolf  Hcinzes  Praktische  Anleitung  zum  Disponieren 
LI  sc  her  Aufsätze.  Gänilich  umgearbeitet  von  Dr*  Her- 
mann Heime,  Direktor  des  Königlichen  Gymnasiums  und 
<^«i"  Real  schule  zu  Minden  i.  W.  Sechste,  verbesserte  und 
erweiterte  Auflage.  Leipzig,  Verlag  von  Wilhelm  Engel* 
«laftn.  Erstes  Bändchen.  Aufgaben  1—125.  190L  XX,  147  S. 
2*cites  Bändchen.  Stoff  aus  deutschen  Schriftsteller n; 
Sprichwörter,  Sprüche,  sinnverwandte  Wörter.  1899,  VI, 
^S,  Drittes  Bändchen.  Aussprüche  und  Sinnsprüche,  1900* 
^^tl,  130  S.   Viertes  Band  eben.   Stoff  aus  der  Erdkunde,  dem 

Klar-  und  Menschenleben.  1901,  VI,  104  S. 
Die  im  Jahre  1890  von  dem  Sohn  des  Verfassers  vorgenommene  Um- 
Ünmg  hatte  die  fünfte  Auflage  fast  als  ein  neues  Buch  erscheinen  lassend 
^JJlgabensammlung  wurde  auf  vi«  Hefte  verteilt  und  gemäß  den  Stoffen 
^1  fcordnel,  zahlreiche  Themen  durch  andere  ersetzt  oder  rnngearbeitet, 
^  ichrif Istellerisc hen  Belege  reichlicher  und  genauer  gegeben,  die  mit 
'^'ladwortern  stark  versetzte  Sprache  gereinigt*  Die  VoTrede  zur  vorliegenden 
"•«iatca  Auflage  verspricht  die  Wiedergabe  der  Aiiführungen  au^  fremd* 
%a«kLichen  Schriftstellern  in  deutscher  Übersetzung;  erfüllt  ist  dieses  Ver- 
5**^l*n  aber  n^r  im  ersten  Bändchen,  Im  übrigen  bleiben  für  eine  weitere 
die  der  reichliaitigen  Sammlung  wohl  beschieden  sein  wird, 
mandie  VVüosche:    Scheidung  der  Aufgaben  nach  Untemchtsstufen, 


230  Berichte  und  Besprechungen, 

Stärkere  Berücksichtigung  der  deutschen  Schuldramen,  dafür  Beschrankoni 
der  „allgemeinen"  Themen,  deren  sachgemäße  Bearbeitung  eine  umfassender 
äußere  und  innere  Lebenserfahrung  voraussetzt,  als  sie  den  Schülern  zu  eigne 
pflegt,  und  die  deshalb,  so  weit  es  nur  möglich  ist,  mit  dem  im  deutsche 
und  im  übrigen  Unterricht  oder  in  der  wirklichen  Entwicklung  der  Knabei 
und  Jünglingsjahre  gewonnenen  Stoffe  innig  verbunden  sein  sollten.  Zu  lobe 
ist,  daß  die  gestellten  Aufgaben  sich  von  Plattheit  wie  Verstiegenheit  glei< 
fem  halten  und  die  Gliederung  des  Gedankenplans  natürlich  und  legi»« 
ist,  nur  daß  Einleitung  und  Schluß  zuweilen  unorganisch  angefügt  sind. 
Berlin.  Siegbert  Schayer, 


Robert  Seidel,  Reallehrer.  Die  Handarbeit  der  Grün, 
und  Eckstein  der  harmonischen  Bildung  und  Erziehun 
Leipzig,   Verlag   von   Richard   Lipinski.    1901.   38   S. 

Gleichmäßige  Entwickelung  von  Körper  und  Geist  ist  die  Losimg  ^ 
neueren  Pädagogik.  Tatsächlich  jedoch  beschränkt  sich  auf  unseren  Schcd 
die  Ausbüdung  des  Leibes  auf  eine  geringe  Anzahl  von  Tum-,  Gesan 
imd  Zeichenstunden  neben  einer  überwiegenden  Masse  wissenschaftliche 
Unterrichts.  Ist  es  doch  auch,  wenn  die  unseren  Lehranstalten  gesteckte 
Ziele  erreicht  werden  sollen,  kaum  zulässig,  die  Unterweisimg  in  den  nur  de 
Verstand  bUdenden  Fächern  zugunsten  der  nur  oder  nebenbei  dem  Körpe 
förderlichen  .weiter  zu  beschränken.  Der  von  nichtamtlichen  Kreisen  mi 
Erfolg  betriebene  Handfertigkeitsunterricht,  der  dazu  angetan  ist,  Leib 
Sinne  und  Geist  zugleich  zu  entfalten,  steht  bisher  außerhalb  des  Lehrpluv 
und  kann  darum  seinen  Segen  nur  in  geringem  Maße  geltend  machen 
Da  erscheint  es  denn  als  ein  kühner  Gedanke  des  Schweizer  Reallehrer! 
Robert  Seidel,  wenn  er  das,  was  bisher  nur  geduldet  worden  ist,  ii 
den  Vordergrund  des  Schullebens  zieht,  indem  er  die  Handarbeit  als  „Grund 
und  Eckstein  der  harmonischen  Bildung  und  Erziehung**  hinzusteUen  vd 
sucht.  Niemand  wird  daran  Anstoß  nehmen,  daß  der  Verfasser  in  seine 
sonstigen  volkserzieherischen,  politischen  und  dichterischen  Schriftsteller^ 
sich  als  eifriger  Vertreter  der  Sozialdemokratie  bekennt.  In  dem  vorliegende^ 
Büchlein  tritt  seine  Parteigesinnung  nicht  störend  hervor;  nur  der  Geist,  dr 
darin  lebt,  ist  sozialistisch  oder  richtiger  sozial,  wenn  dies  soviel  bedeute 
wie  volks-  und  menschenfreundlich.  Denn  aus  warmer  Liebe,  zur  Menschlur 
und  zu  ihrer  stets  neuen  Hoffnung,  der  Jugend,  ist  sein  Plan  geboren,  de 
nichts  Geringeres  wül,  als  eine  völlige  Umwälzung  unseres  Schulunterricht^ 
zum  mindesten  eine  Verschiebung  des  Schwerpunkts  im  Aufbau  und  Tm 
sammenhang  .der  Lehrfächer.  Der  Handarbeitsunterricht  —  den  Name 
„Handfertigkeitsimterricht**  verwirft  der  Verfasser  als  nicht  würdig  genug  -^ 
der  bisher,  und  auch  das  nur  vereinzelt,  ein  halb  und  halb  als  Spideri 
betrachtetes  Anhängsel  der  wissenschaftlichen  und  technischen  Unterweison 
gebildet  hat,  soll  nicht  nur  nüt  den  übrigen  Fächern  lebendig  verschmolzei 
sondern  er  soll  geradezu  der  Mittelpunkt  des  gesamten  Unterrichts  weidei 
Wenn  das  Ziel  der  Schule  nicht  bloße  Vorbereitung  für  bestinunte  Beruf« 
Klassen  und  Stände,  sondern  die  BUdung  harmonischer  Menschen,  die  köipe: 
liehe,  geistige,  bürgerliche  und  sittliche   Schulung  ist,  so  verfehlen 


MiUeüi$ngtn, 


231 


ebungsanstahen  diesen  Zweck,  die  höheren  noch  mehr  als  die  niedcTen»  In 

allen^  so  meint  der  Verfasser  und  ganz  wird  niemand  wagen,  das  im  leugnen 

—  wird  mviei  Theorie  und  zu  wenig  Praxis  geboten,  Lehre  und  Ausübung 

gehen  vielfach  nebeneinander  her,  statt  miteinander^    ,,m  allen  wird  lu  viel 

Wissen    tind    zn    wenig    Könneti    erzeugt,    in    allen    wird    zu    viel    geredet 

id    2u    wenig    gehandelt,    in    allen    kommt    die    Kjorperblldung  und    die 

ditng    des    Herzens    und    Gemütes    zu     kurz**«     Damit    hangl    zusammen, 

^  die  Schulerziehung  keine  naturgemäße  ist,  woraus  sich  das  Unbehagen 

der  meisten  Kinder  an  der  Schule  erklärt.    All  das  wird  mit  einem  Schlage 

znders  werden,  wenn  an  Stelle  des  redenden  Unterrichts  der  handelnde  tritt, 

AQ  Stelle  der  ^j wissenschaftlichen^^  Lehrfächer  oder  doch  beherrschend  neben 

sie  dei-  Arbeitsunterricht.   Statt  über  die  Dinge  zu  sprechen,   sollen  die  Dinge 

«Ibst    in  die  Hand  genommen,  bearbeitet,  hergestellt  werden.    Das  ist  also 

soviel    mehr,  als  der  Anschauungsunterricht,  wie  er  in  den  untersten  Klassen 

gepflegt  wirdj  wie  Machen  mehr  ist  als  Sehen.    Das  theoreüsche   Lernen 

^^  gleichsam  nur  die  Ausstrahltmg  des  praktischen  Schaffens  darstellen. 

Das  Kind  soll  zuerst  ein  Stück  Holz  in  die  Hand  bekommen,  es  bearbeiten^ 

festalten   und    dann   erst   über   das   Wesen    des    Holzes,    über   den    Baum, 

von  dem  es  stammt,  belehrt  werden,  zuletzt  vielleicht  einen  Aufsatz  darüber 

scbr&il^en^  der  dann  nicht  dem  Lehrer  abgelernte  Wortweisheit  wiederkäuen^ 

somi^i-ii  Erlebtes  selbständig  nachschaffen  wird.    Es  soll  Figuren  bilden; 

^^^^"^     werden  ihm   die  abgezogenen    Lehrsätze   der  Raum-  und   Körperlehre 

lebericiig  werden,  kurz,  das  Fröbelsche  Beschäftigungsverfahren,  aber  nicht  als 

oektirende  Unterhaltung  schulunreifer  Kindlein,  sondern  als  Grundlage  des 

8*äa^Äterx  LrnterrichtsI    Wie  auf  diese  Weise  alle  Seiten  der  Menschennatur 

■egensreich  entwickelt  werden,   weiß   der  Verfasser  bestechend  darzulegen. 

Oüticli  seine  Ausführungen  klingt  als  Leitmotiv  der  Preis  der  Arbeit  als  der 

P"Oöeii  Bildnerin  und  Sittigerin  der  Menschheit-    Aber  ist  das  nicht  doch 

^^   "^enig   die   Wirkung   einer   einseitigen    Partcianschauu ng,   wenn   er   nur 

^^   ^  a  n  d  arbeit  zu  rühmen  weiß  und  den  Segen  der  rein  gebtigen,  vom 

^^'^ich  greifbaren   Stoff   losgelösten  Arbeit    unterschätzt?    Und   vergißt   er 

^ht    auch,   daß   die   Erziehung  schließlich   nicht  nur  der  Schule  zur  Last 


faüt^ 


Sondern  auch  dem  Ehamhause  und  noch  mehr  dem  Leben? 


Berlin. 


Siegbert   Schayer. 


Mitteilungen* 


%iir  Entstehan;  dar  Sprache  nnit  Be griff sblldung  des  Ktndes* 

Hs  steht  nach  den  Ergebnisseu  der  jüngsten  Forschung  wohl  fest,  daß 

^igentUche    Begriffsbildung    bei    den    Kindern    noch    nicht    im    zweiten 

"^vk^nsjahre,   sondern   erst   viel   später   und    zwar   teils   unter   dem   Einfluß 

^*  mehr   oder  weniger  sorgenden  oder  äußerlich  interessant en   Umgebung 

*^  Kindes,  teils  unter  dem   des   Unterrichts  erfolgt.    Der   Unterschied,  ob 

^^    Kind    in    einer    anwehenden    Umgebung    oder    nicht,    ob    in    einei^ 


232  MiUeäungen. 

großen  öder  klemen  Stadt,  namentlich  Industrie-  oder  Adsenladt 
oder  auf  einem  Dorfe  aufwächst,  kommt  hinsichtlich  der  Begriff»- 
bildung  desselben  sehr  früh  zur  Geltung.  Die  großstädtischen  Kinder  Ionen 
Im  Vergleich  mit  den  Dorfkindem  verhältnismäßig  ziemlich  spät  BaoKi^ 
Blumen,  Haustiere,  Feldfrüchte  u.  ä.,  also  die  notwendigsten  Beg^ritfe  koaes^ 
viel  eher  aber  alles,  was  zu  einem  feineren  Haushalt  und  einer  besser^A 
Lebensführimg  gehört,  femer  Soldaten,  Standbilder  und  Denkmäler  aA^ 
Art,  großartige  Bauten  und  die  bekanntesten  technischen  und  Verkeh^'S- 
einrichtungen,  ohne  die  heutzutage  keine  große  Stadt  denkbar  ist. 

Die   Untersuchungen   über   die   Entstehungszeit   der   ersten  klaren  19«^ 
griffe   des   Kindes   müssen,   wie  dies   auch  stets  von  den   Forschem,  al.^K> 
namentlich   Preyer,   Lindner,   Sigismund,   Ament  und   besonders   Meumarx^i, 
geschehen  ist,  in  Verbindung  gesetzt  werden  mit  den  Erörterungen  über  cSie 
Entstehung  der  Sprache,  denn  mit  Recht  sagt  schon  Cicero,  de  invent.  1,      -^  ^ 
Mihi  quidem  videntur  homines  hac  re  mazime  beluis  praestare,  quod  loca^ui 
possunt,  und  so  hat  sich  denn   im   Hinblick  darauf  in  neuester  Zeit 
umfangreiche,  durchweg  an  W.  Preyers  berühmtes  Werk:    „Die  Seele 
Kindes**  anknüpfende  kinderpsychologische  Literatur  entwickelt,  jedoch 
daß   bis   zum   Erscheinen   der   trefflichen  Arbeit  des  Züricher   Hochsds.'ul* 
Professors  E.  Metunann :  „Die  Entstehung  der  ersten  Wortbedeutungen  b^sim 
Kinde*',  Leipzig,  Engelmann,  irgendwie  sichere  oder  abschließende  Ergebni^vc 
auf  diesem  Gebiete  gewonnen  waren.    Metunann  wird  man  entschieden  l9«i- 
stimmen  müssen,  wenn  er  in  scharfem  Gegensatze  zu  fast  allen  bisheriflr^» 
Forschem  über  den  Gegenstand  die  ersten  Worte  nicht  als  Bezeichnungen  ^'osi 
Gegenständen,  sondern  lediglich  als  Wunschwörter  auffaßt  und  diese  £ii^* 
Wicklungsstufe    der   kindlichen   Verstandestätigkeit    als    emotionell-volitiansl 
bezeichnet.   Er  sagt  nämlich  in  dieser  Beziehimg  u.  a.  zutreffend  folgendes: 
Die  ersten  Worte  des  Kindes  bezeichnen  Wünsche,  Begehrungen,  etwas  habec 
wollen   oder   nicht   wollen,   Abneigungen   oder   Neigimgen,    und   wenn  ^ms 
Kind  scheinbar  Gegenstände  benennt,  so  gibt  die  Bezeichnung  nicht  dsi^ 
Gegenständen  selbst,  sondern  ihren  Beziehungen  zu  seinen  Wünschen  tn*^ 
Begehrungen.   Unrichtig  urteilt  dagegen  Ament,  wenn  er  in  seinem  sonst  woJ^ 
beachtenswerten   Buche:    „Entwickelung  von    Denken  und   Sprechen  beix3D 
Kinde*'  angesichts  seiner  Versuche  behauptet:   Das  Kind  sprach  das  Lalhr»^^ 
„mammamm"  zunächst  ohne  Bedeutung;  dann  gebrauchte  es  dasselbe  xc^^ 
Bezeichnung  von   Brot-  imd   Brezelstückchen  imd  rief  es  seiner  Schwest^^^ 
entgegen,  die  ihm  oft  davon  schenkte.    Alle  Speisen  und  Getränke  heiß^  '**' 
schließlich  „mammamm" ;  als  ihm  ein  Spielzeug  gefallen,  und  seine  Schwest^^ 
es  aufheben  wollte,   rief  es  unwillig   „mammamm**;   es  verlangte  nüt  de^^^^^^^^ 
Worte  sein  Abendessen,  endlich  bezeichnete  es  Brot,  Fleisch,  Gemüse,  Supp^^^" 
Milch   mit    diesem    Worte.    —   Ament    deutet    hiermit   selbst   an,    daß  d^^^^ 
Kind  mit  dem  gelallten  Worte  „mammamm**  nur  Wünsche  angibt,  ist  ab^^- 
keineswegs   berechtigt   anzunehmen,    daß    das    Kind   mit   diesem    Lallwort::^^^ 
einzelne  von  ihm  erkannte  Gegenstände  bezeichnen  wolle,  auch  nicht,  wi^^^ 
bisher  fast  immer  geschehen,  daß  dasselbe  auf  dieser  Stufe  schon  allgemein^^^'^ 
Begriffe  aufgefaßt  und  gebildet  habe. 

Meumann  legt  seinen  Ausführungen  nicht,  wie  andere  Forscher,  iwed^^^ 
BeurteUung  der  Kinderpsychologie  die  ausgebildeten  psychischen  Erscheinunge^^^ 


MiUeüungen,  233 

nen  zugrunde,  um  jene  mit  diesen  zu  vergleichen  und  danach  zu 
>ndem  geht  mit  Recht  vom  Sprachverständnis  des  noch  nicht 
ermögenden  Kindes  aus.  Er  zeigt  unwiderleglich,  daß  das  Kind 
zen  ersten  Lebensjahre  und  vielfach  auch  noch  in  einem  großen 
eiten  gar  kein  Sprachverständnis  besitzt  und  selbst  mit  den- 
en, die  alle  Kinder  zunächst  sprechen  lernen,  also:  „Papa**, 
k-tack",  „oo"  =»  „groß*«,  x.  B.  „Oopapa«« »..Großpapa"  „ci"  — 
1.  a.  keine  Begriffe  verbindet.  Am  allerwenigsten  weiß  ein 
em  Alter  wirklich,  was  eine  ihm  vorgehaltene  Schiefertafel 
ider  ist,  ja  selbst  die  Bedeutung  von  „Papa"  und  „Mama" 
>ch  nicht,  sondern  drückt  mit  diesen  Worten  lediglich  Gefühle 
ne  Freude  übet  das  Eintreten  oder  seine  Unsofriedenheit  mit 
en  der  Eltern. 

!  nicht,  was  allerdings  sehr  nahe  liegt,  daß  das  Kind  ja  doch 
ersten  Monaten  seines  Lebens  auf  die  Stimme  der  Mutter 
rärterin  höre.  Meumann  hält  diese  allbekannte  Erscheinung 
ter,  als  eine  Art  Anlehnung  oder  Richtung  des  kindlichen  Sinnes 
mmenes  angenehmes  Geräusch,  also  eine  einfache  Suggestion, 
päteren  Monaten  zeigt  sich  bei  gleichem  Anlaß,  wie  er  richtig 
höchstens  eine  ganz  schwache  Assoziation,  die  Lindner  am 
er  Wanduhr  allerdings  nachgewiesen,  aber  in  ihrer  Bedeutung 
X,  Auch  Sigismund  und  Preyer  legen  nach  Meumann  irrtümlich 
i  eines  zweiten  ausgestopften  Vogels,  der  dem  ersten  dem  Kinde 
ig  gleich  aussah,  zu  viel  Gewicht  beL 

1  gelangt  zum  wirklichen  Sprechen  erst,  nachdem  die  oben 
und  ähnliche  Worte  zunächst  rein  mechanisch  eingeübt,  dann 
ii  wirklich  als  Zeichen  für  die  einzelnen  Wahmehmimgen  von 
in  sind  und  Gebärden  mit  größerer  oder  geringerer  Lebendig- 
laßen  zur  Illustrierung  des  Empfundenen  von  ihm  angewendet 
ai. 
ein.  Karl  Löschhorn. 


Bibliotheca  pädo-psycholog^ica 

von 
Leo  Hirschlaff. 

Literatur  des  Jahres  1901. 

A.  Allgemeine  Psychologie. 

b.   Sinnesempfindungen. 

Fortsetzung. 

524.  Schwendt:    Ergänzende  Untersuchung  über  Tonhöhenbestimmung 

sehr  hoher  Töne  mittels   der  Kimdt'schen   Staubfiguren.     Verhand- 
lungen der  deutschen  otologischen  Gesellschaft,  S.  65—65. 

525.  Scripture,  E.  ,W.:  The  Color  Sense  Tester.    C.  R.  IVe  Congr^s 

Int.  de  Psychol.,  1900  (1901),  387—402. 

526.  Scripture,  E.   W.:  A  safe  test  for  color  vision.    Stud.  fr.  Yale 

Psychol.  Lab.,  1900  (1901),  VIII,  1—20. 

527.  S  e  a  r  s ,  C.  H. :  Studies  in  Rhythm.    Ped.  Sem.,  1901,  VIII,  1—44. 

528.  S  e  n  g  e  r ,   E. :  Phonation  und   Resonanz  der   Gesangsorgane.     Musi- 

kalisches Wochenblatt,  No.  11. 

529.  Siebenmann,   F.:  Über  die  Entstehung  der  Membrana  tectoria. 

Verhandlungen  der  deutschen  otologischen  Gesellschaft,  S.  31. 

530.  S  o  1  o  m  o  n  s ,  L.  M. :   A  New  Explanation  of  Weber*s  Law.     PsychoL 

Review,  1900,  VII,  3.  234—240. 

531.  Sommer,   G. :  Über  die   Zahl  der  Temperaturpunkte  der   äußeren) 

Haut.     Sitzber.  d.  physik.-med.  Gesellsch.  zu  Würzburg  Jahrg.   1901, 
S.  63-66. 

532.  V.  Spee,  F.:  Zur  Histologie  des  Corti*schen  Organs  in  der  Gehör- 

schnecke des  erwachsenen  Menschen.    Anatomischer  Anzeiger,   Erg. 
S.  13—23. 

533.  Squire,    C.   R.:   A   Genetic    Study   of   Rhythm.    Amer.   Joum.    of 

Psychol.  XII  (4),  492—589.    1901. 

534.  Stadelmann:     Ein   Fall   von    Aphasie   \xtid   Agraphie.     CentralbL 

f.   Nervenhk.  und  Psychiatr.,   1900,  n.  F.,   XI,   718—717. 

535.  Steiger,   A.:  Sehschärfe  und   Astigmatismus.     Arch.   f.   Augenhk., 

1901,  XLIV  (Ergzgsh.),  15—30. 

536.  Stern,  L.  W. :   Kontinuierliche  Flaschentonreihe.   Verhandlungen  der 

deutschen    otologischen   Gesellschaft,   S.  136-189. 


BibU&$k«€a  pädo-psychölogica. 


235 


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538,  Stevens,  W.  Le  C:  Paeudoscopic  Vision.  Science,  N.  S.,  1901, 
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639.  S  t  i  U  i  n  g ,    J. :   Fseudo  isochromatische  Tafeln   für  die    Prüfung  des 

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640.  S  t  ö  h  r  ,  A- :  Binooilare  Figur enmischung  und  Pseudoskopie.      Leipzig 

und  Wien,  Deuticke.    1900.   lia  S, 

641.  Stokes,  G.  J.;  The  Sense  of  Effort  and  the  Perception  of  Force. 

Rep.    Brit,  Ass.   Adv.    Sei.,    1900,    LXX»   912. 
643.  Storch»  E. :  Theorie  der  nmsikalischen  Tonwaliraehmiingen.  CentraJ- 

bU  f.  Nervenhk.  und  Psychiat.,   1901,  XII,  529—544. 
643>*  Storch,    E. :    Muskeif uncüon    und    Bewußtsein.      Eine    Studie    zum 

Mechanismus  der  Wahrnehmungen.    Aus :  Grenzfragen  des  Nerven-  und 

Seelenlebens.      Hrsg.   v.    L.    Loewenfeld    und    H.    Kurella,     10.    Hft. 

2.  Bd.  S.  43—86.     Wiesbaden,  }.  F.  Bergmann. 
544.  Storch,  E. :  Das  räumücbe  Sehen.    Allgemeine  mediciniscbe  Central- 

xeitimg,  S.  729—732. 
645.  Storch,   E. :  Über  die  mechanischen  Correlate  von  Raum  imd  Zeit, 

mit  kritischen  Betrachtungen  über  die  E.   Hering'sche  Theorie  vom 

Ortssinne  der  Netihaut.    Ztsch.  f.  Psycho!.,  1901,  XXVI,  201—226. 
64$.  S  t  r  a  n  s  k  y  ,  E.  ^  Con jugiene  Empfindungen.     Wiener  klinische  Rund- 
schau, S.  421. 
647p  S  t  r  a  1 1  o  n  ,  G,  M. :  A  new  Determination  of  the  Minimum  Visibile  and 

its  Beanng  on  Localisatlon    and  Binocular  Deplh.    C.  R.  IVe  Congrfea 

Int.  de  PsychoU,  1900  (1901),  411—417. 
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Schrift    für   Psychologie    und    Physiologie    der    Sinnesorgane,    25*    B, 

S.  7S^100. 
649*  Struyckeu.     La  pöinture  acoum6trique  en  micro-miUimilres.  Arch, 

Int.  de  Laryngol.  et  d^OtoL,  1901,  XIV,  269—273. 
6Ö0.  Stumpf,    C. :    Über    das    Erkennen   von    Intervallen    und    Accordep 

bei  sehr  kurzer  Dauer.     Ztscb.  L   Psycbol,   1901,  XXVII,   14Ö— 186. 

661.  Stumpf,    a    &    Schaefer,    K.    L.:    Tontabellen,    enthaltend    die 

Schwingung^ zahlen  der  12  stuf,  temperierten  und  der  25  stuf,  enharmon. 
Leiter  auf  C  innerhalb  10  Octaven  in  3  Stimmungen.  Aus-  Beiträge 
1.  Akustik  und  Musikwissenschaft,    10  S,  Leipzig  190 1^  f.  A.  Barth. 

662.  Sully,  j.i  The  Psychology  of  Tickling.    C  R.  IVe  Congr^s   Int.  de 

Psychol.,  19r)0  (1901),  329—342. 
663-  Stillen    De  Tunit^  de  mesure  de  Tacuitd  visuelle,   Clin.  Ophtal.,  1901, 
Vn,345. 

664.  S  u  1 1  e  r :    L'acuit^  visuelle  au  point  de  vue  m^ico-l^gal    Ann.  d'OcuL, 

1901,  CXXV,  91-100. 

665.  Sulier:  5  m^moires  sur  Tacuit^  visuelle.     Clin.  Ophtal.,  1901,  VIl, 

58-60. 
6{i€.  SaIzer:De  la  Hsibilit^  des   impressioos  dites   ,,ana3tatiqnes."     CUä 
Ophtal.,  1901,  Vn,  203. 


236  BOUoifuca  p&th-p^t^iologica, 

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566.  Thompson,  H.  B.,  &  Sakijewa,  K.:  Über  die  FlachsiMmiil 

düng  in  der  Haut.     Ztsch.  f.  PsychoL,  1901,  XXVII,  187—199. 
Ö69.  Thorndikc,  E.  L.:    Adaptation  in  Vision.     Scienäce,    N.  S.,  19 

XIV,  221. 

560.  Thunberg,  T.:    Untersuchungen  über  die  relative  Tiefenlagte  < 

Kalte«,  Wärme-  und  —  Schmerz  percipierenden  Nervenenden  in  der  H 
und  über  das  Verhältnis  der  Kältenervenenden  gegenüber  Win 
reizen.     Skand.  Arch,  f.  PhysioL,  1901,  XI,  382--435. 

561.  Tomlinson,   I.  H.:  Recording  Coksur  Perimeter.    Trans.  Opbiü 

Soc.  London,  1901,  XXI,  144—146. 

562.  T  r  e  i  t  e  1 :  Hörprüfung  Aphasischer.  Archiv  für  Psychiatrie  und  Ncn 

krankheiten,  35.  B.  S.  215—224. 

568.  Treves:    Diun  nuovo  cromoestesiometro.    Arch  di  PsychiaL,  It 

XXII,  258-260. 

564.  Triplett,  N.    &  Sanford,  £.  C:  Studies  of  Rhythm  and  Mc 

Amer.  J.  of  PsychoL,  1901,  XII,  861-887. 

565.  Tschermak,   A.:     Beobachtungen   über   die  relative    Farbenbl 

heit  im  indirekten  Sehen.  Arch.  f.  d.  ges.  PhysioL,  1900,  UQC 
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566.  Tschermak:  A.:   Über  physiologische  und  patholgoische  Anpass 

des  Auges.    Leipzig,   Veit  &  Co,   1900.    Pp.  31. 

567.  Ts  Chi  seh,  W.  V.:  La  douleur.   C.  R.  IVe  Congrfes  Int.  de  Psyd 

1900   (1901),   154—157. 
56a  Tschisch,  W.  v.:  Der  Schmerz.    Ztsch.  f.  PsychoL,  1901,  XX 
14—82. 

569.  Tuyl,    A.:    Über   das    Registrieren   der   Vorwärts-    und    Rückwl 

bewegungen  des  Auges.    Diss.  Freiburg  i  B.  1901.  34  S 

570.  Tuyl,  A.:  Graphische  Registrierung  der  Vorwärts-  und  Rückws 

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571.  Tufts,  F.  L.:  übersetzt  von  B.  Borchardt     Durchgang  des  Seh 

durch  poröse  Substanzen.     Physikalische  Zeitschrift,  No.  43. 

572.  Vaschide:  De  l'audiom^trie.     Bull,  de  LaryngoL,  OtoL  et  Rbiz 

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578.  Vaschide,  N.:  L'exp^rience  de  Weber  et  l'olfaction  en miüeu Uqu 

C.  R.  de  la  Soc.  de  BioL  53  (7),  S.  165—167. 
574.  Vaschide,  N.:  Recherches  exp^rimentales  sur  le  rapport  de  la 

sibilit^  musculaire  et  de  la  sensibilit^  tactile.    C    R.  IVe  Congrte 

de  PsychoL,  1900  (1901),  449—453.  —  Dass.  Ann.  d.  Sc.  psych.  1 

X,  S.  298—303. 
575..  Vaschide,    N.:    De   Tolfactom^trie.     BulL    de    laryngoL,    otol 

rhinol.  IV  (mars).  1901.  37  S. 

576.  V.  Wahl,   £.:   Farbenblindheit  und  Erweiterung  des   Gesichtsslp 

Gaea,  S.  488-49L 

577.  Wall  in,  W.:   Researches  on  the  Rhythm  of  Speech.     Stud.  i 

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578.  W  a  n  n  e  r :  Verkürzung  der  Knochenleitung  bei  normalem  Gebor. 

handlungen  der  deutschen  otologischen  Gesellschaft,  S.  65— -71. 


Bibiwikeca  päth-psyekologiea.  237 

579.  Wanner,    F.:    Hdidaverbestimmungen  für  die   Tonreihe   bei   hoch- 

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Ges.  deutsch.  Naturf.  u.  Ante,  71.  Vers.  1899.    1900,  2.  T.,  2.  Hälfte, 

a78-^79. 

58a  Weiler,  W.:  Auffallende  Wirkung  der  Schallstrahlen.    Periodische 

Blatter  für  Realienunterricht,  7.  J.  S.  80—81. 
B81.  Weiß,  O. :   Tabelle  der  zur  Accomnx>dation  auf  verschiedene  Entfer- 
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1901.  LXXXVIII,  91--94. 
Ö82.  Weiß,  O.:  Das  Verhalten  der  Accommodation  beim  stereoskopischen 
Sehen.    Arch.  f.  d.  ges.  Physiol.  (Pflügers),  1901,  LXXXVIII,  79—90. 
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with  Distance.    Nature,  1901,  LXV,  129;  174. 
W4.  W  i  r  t  h ,   W. :   Der  Fechner-Helmholtzsche  Satz  über   negative   Nach- 
bHder    und    seine    Analogien.     Forts.    Philos.     Stud.    XVII    (3),    311 
bis  430.    1901.  —  Dass.  Diss.   Leipzig  1900.    103  S. 
*W-  Wood,  R.  W.;  Davis,  A  S. :  Pseudoscopic  Vision  without  a  Pseudo- 
scope:  a  New  Optical  Illusion.  Nature,  1901,  LXIV,  351;  376;  Science, 
N.  S.  1901,  XIV,  185. 
"^-   V.  Zehender,    W. :    Helmbolds    Perimeter    nebst    Verändenmgsvor- 

schlägen.     Archiv  für  Ophthalmologie,  52.  B.  S.  382. 
'®'^-    Zgursky,  N.:  Psycho-physiologische  Theorie  der  Empfindung.    Mos- 

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^®-    Zimmern,    H.:    Prinzip   imserer   Zeit-   und    RaiunteUung.      Berichte 

über   die   Verhandlungen  der  königlich  sächsischen   Gesellschaft   der 

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de  ZooL  Exper.  (Notes  et  Revue),  1901,  IX,  (1),  I— V. 
^^^    2oth,    O.:    Bemerkungen   zu   einer   alten   „Erklärung"    und   zu   zwei 
neuen  Arbeiten  betreffend  die  scheinbare  Größe  der   Gestirne  und 
Form   des   Hinmielsgewölbes.     Pflügers  Arch.   Bd.   88    (3/5),   S.   201 
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"^^   2  o  t  h ,  O. :  Über  die  Drehmomente  der  Augenmuskeln,  bezogen  aus  dem 
rechtwinkeligen  Koordinatensystem  von   Fick.    Sitzungsberichte  d.   k. 
Acad.  d.  Wissenschaften,  Wien,  III.  Abteilung,  109.   B.  S.  509—564. 
g^        —  Dass.  Sep.  46  S,  Wien,  C.  Gerolds  Sohn. 

^^-    Zoth,    O. :   Ein   Beitrag  zu   den   Beobachtungen   und   Versuchen   an 
g^  japanischen   Tanzmäusen.      Pflügers   Arcli.   86,    147 — 176.     1901. 

^^*    Zwardemaaker,    H.:   Spezifische   Riechkraft  von   Lösungen   syn- 
thetisch bereiteter  chemischer  Körper.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 
w^        deutscher   Naturforscher   und  Ärzte,   2.   F.,   2.    H.  S.  277. 
^^'    Die  Heringsche  Theorie  der  Lichtempfindung.    (Nach  A  Fick.)    Gaea, 
S.  118—117. 
Mikroskogische  Demonstration  einer  Taubstummen-Schnecke.  Verhand- 
lungen der  deutschen  otologischen  Gesellschaft,  S.  33. 


606. 


238  BibUotheca  pädo-^syckohgica, 

c  Die  höheren  Seelenfunktionen 

(Vorstellungen,  Gefühle,  Strebungen,  Grundgesetze 

des  seelischen  Geschehens). 

696.  Abelsdorff,  G. :  Über  einige  Fortschritte  unserer  Kenntnisse  von 

den  Tatsachen  der  Gesichtsempfindung.     Deutsche  med.  Wochensch., 

1901,  XXVII,  (34),  577—580. 

597.  Adamkiewicz,   A.:   Zur   Mechanik   des   Gedächtnisses.      Ztsch.   f. 

klin.   Med.,   1900,   XL,   403—411. 

598.  Adamkiewicz,  A. :  Le  moi  actif  et  le  moi  inactif .    Rev.  de  PsychoL 

Cün.  et  Th6r.,   1901,  V,  325—332. 

599.  Adamkiewicz,  A. :  Über  Geifühlsinterferenzen.    Ztsch.  f.  Idin.  Med., 

1901,  XLII,   72—80. 

600.  Adamkiewicz,    A. :    Über    das    aktive   imd   inaktive   „Ich**,    seine 

Verbindung  und  seine  Dissoziationen.  Versuch  einer  physiologischen 
Erklärung  einiger  psychopathischen  Grundphänomene.  Ztsch.  f.  kHn. 
Med.,  1901,  XLII,  470—477. 

601.  Aikin.     Le   r^sonateur  vocal.     Vobc  Parl^e  et   Chant^e,   1901,   XII, 

97—104. 

602.  Albertotti:  La  valeur  de  Toeil  dans  Texpression.  Recueil  d'Ophthal., 

1901,  XXIII,  272—279. 

603.  Allen,   G. :   The   Evolution   of   the   Idea   of   God.    An  Inquiry   into 

the  Origins  of  Religions.    London,  G.  Richards. 

604.  Anastay,  E.     Quelques  observations  sur  Tassodation  subconsdente 

des  mots,  des  id^es  et  des  actes.  C.  R.  IVe  Congr^  Int.  de  Psycho!., 
1900  (1901),  463—464. 

605.  Arcelin,  A. :  La  dissociation  psychologique :  la  dissodation  ä  Tdtat 

normal.      Rev.    d.    Quest.    Scient.,    1901,    XLIX,    202—262. 

606.  Arnaud:  Sur  la  throne  de  l'obsession.    (Xle  Congr^  d.  M6d.  alien. 

et  Neurol.)     Rev.   Neuro!.,   1901,   IX,  833—836. 

607.  Axenfeld,  T.:  Ein  Beitrag  zur  Lehre  vom  Verlernen  des   Sehens. 

Klin.    Monatsbl.    f.    Augenhk.,    1900,    XXXVIII    (Beilageh.),    29—47. 

608.  Bachmann,  M.:  Zur  Psychologie  und  Physiologie  des  Tanzes,  IV. 

Neue   Metaph.   Rundschau,    1900,    III,   320—324,   882—384. 

609.  Baelz,  E.:  Emotionslähmimg.    Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie, 

S.  717—721. 

610.  Bair,  J.  H.:  Development  of  Voluntary  Control.  (Stud.  fr.   PsychoL 

Lab.  of  Univ.  of  Mich.)     Psycho!.  Rev.,  1901,  VIII,  474—510. 

611.  Bark  er,    H.:    Factors   in    the   Efficiency   of   Religious    Belief.     Int 

J.  of  Ethics,  1901,  XI,  329—340. 

612.  B  a  s  c  h ,   V. :   De   Tuniversalit^   du  jugement   esth^tique.     C.   R.    IVc 

Congrfes  Int.  de  PsychoL,  1900  (1901),  352—354. 

613.  Baselain  de  Ruppierre:  De  la  peur  chez  les  vieillards.     (Th^e.) 

Nancy,    1901. 

614.  Benthall,  W.:  Reflex  Action  and  Instinct.     Nature,   1901,  LXIV, 

459—462. 

615.  Bernard-Leroy,E.:  Sur  Tillusion  dite  „d^personnalisation*\   C.  R. 

IVe  Congr^s  Int.  de  PsychoL,  1900  (1901),  480—488. 

616.  Berndt,    G.    H.:    Die    Schüchtemhdt   sowie   andere   AngstzustSnde 


Fib^iheca 


239 


Aufl. 


6X7. 

618. 
619- 

B21. 
622. 

623. 

624. 

625, 

626. 

627. 


L  J. 

van: 

Rev. 

phüos 

J.    J- 

van^ 

Les 


L'homme  droit   et   rhomine  gaucbe. 

62   (10),  409-427.     1901. 

La    Memoire    motrice,      Rev,    de    Phüos 


629, 
6SO. 
631. 

632. 

633 
6S4. 

635, 

636. 
637, 


und  ihre  sofortige  Beseitigung  durch  ein  cäifaches  Verfahren. 

160  S.  Leip2tg  1901,  Modern-medicin.    Verlag* 
B  i  c  k  e  1 ,    A.  ■    Ztir    Analyse    von    Bewegungsstörungen    (mit    Dcmon* 

stxatiößcn  von  Tieren  mit  symmetrischen  Kleinhirnresectionen).    Deut- 
sche  med,   Wochensch.,    1901,   XXVI I,  851—853,   87C^873. 
Bieganski,     W,:    Das    Wesentliche  im  Urteil,     Prieglad  Filoi.,  1901, 

IV    (2). 
B  i  e  r  V I  i  e  t , 

ambidextres. 
B  ä  er v) iet, 

1901,  11.  7-24. 
Biervliet,   J.   J»   van:   La  memoire.     Paris,   Doin.    1901. 
B  I  n  e  t ,  A.  ■  Psych ology  of  Reasoning.    (Religion  ol  Sei.  Libr,)   London, 

Kegan  Paul,   190L     Pp.   188. 
B  i  n  e  t  -  S  a  a  g  1 6p :   Psych ophysiologic   des   religieuses :    Les   religieuses 

de   Port-Royal.     Rev.   de   l'Hypnot.,   1901,   XVI,   129—134,   161—168. 
Binet-Sangl^:  Physio-psychologie  dfö  religieuses.    Rev.  de  Psychiat,, 

N.  S.,  1901,  IV,  329-336. 
Binet-Sangt€,  C.:  Histoire  des  suggestions  religieuses  de  Frangois 

Kabelais.    (Suite,)    Ann.  M^d.-PsychoL,   1901,  Xill.    1-18,    177-188, 

353-369. 
B  i  Q  e  1  *  S  a  n  g  1  £ ,  C. ;  Les  lois  psychologiques  de  TWerog^nie.  (Suite) 

Rev.  de  rHypnot.,  1899,  XIV,  226—229,  266—276,  289-294,  321-326, 

353—364. 
B  1  a  n  c ,  E.  t    La  V^rit^,   sa  d^inition,  ses  cspfeces.    Rev.   de  Philos,, 

1901,    I,   269-284. 
Bleuler:   Zur   Genese   der   paranoischen  Wahnideen.     Psychiatrische 

Wochenschrift,  S.  264. 
Blondel,   A. :   Methode   nouvelle    pour   T^tude   de   la   parole   et  des 

courants  microphoniques.  C.  R.  Acad.  d.  Sd.,  1901.  CXXXIII,  786—787. 
,  Bode,   W..'    Goethe's    Ästhetik.     841   S.     Berlin    1901,   E.    S,    Mittler 

&   Sohn. 
.  B  o  e  r  i ;  Recherches  cliniques  sur  la  respiration,  le  rire,  le  pleurer  et  Ic 

Hebd,    de    Mdd.    et    de    Chir.,    1901. 


batUement   h^mipl^giques.    Gaz. 

XLVIII,  73—74. 
B  o  e  r  i ,  G. :   Sulla  mecanica  de!  tremore.    Nuov.  Riv,  Clinico-Terap., 

1901,  IV,  461-466. 
B  o  u  r  d  o  n ,   B.  i  Le  type  grammatical  dans  les  associations  verbales. 

a  R.  IVe  Congr^  Int.  de  PsychoL,  1900  (1901),  169-174. 
B  o  u  s  i  €  t ,    D.    W. :    Himmelsreise    der   Seele.     Archiv   für   Religions* 

Wissenschaft.  S.   136^-169. 
Boutroux,  P. :  L* Imagination  et  les  math^atiques  sdon  Descartes. 

(Bibticvtfa.  Fac.  d.  Lettres  de  rUniv.  de  Paris,  Nr.  X.)    Paris,  Alcan, 

1900.     Pp.  46. 
Bradley,    A.    C. :    Poetry    for    Poetry's    Sake.      Oxford,    Clarendon 

Press.   1901.     Pp.  32. 
Bradley,  F.  H. :  Some  Remarks  on  Conation.    Mind,  N.  S.,  1901, 

X.   4S7— 454. 


^a 


240  Bibimiki€^  päd^  ptyekaUgiem. 

036.  Brahn,  M.:  Experimentelle  Beitrige  xnr  Gefiäilfklife.    I.    Die 
tungen  des  Gefühk.     Fhiloe.  Smd.  XVIII  (1),  127—187.     IML 

699.  Braude,  M.:  Die  Elemente  der  reinen  Wahmefamnng.     £ 
zur  Erkenntnistheorie.    Diss.    Freiburg   1899.    284  S. 

640.  B  r  a  y ,  L. :  Le  beau  dans  la  nature.    Rev.  Philos.,  1901,  Ul, 

641.  Bray,  L.:  Du  beau.     Essai  sur  Torigine  et  T^volutioii  dn 

esth^tique.     Paris,    Alcan,    1901. 

642.  B  r  i  s  s  a  u  d :  Rire  et  pleurer  spasmodiques.     Rev.  NeuroL,  1800^  VID^ 

824—826. 
648.  Brömse^H.,  undGrimsehlyE.:  Untersuchungen  nir  Wnhwrhaii 

lichkeitslehre.    Mit  besonderer  Beziehung  auf  Marfoes  Schrift.    Zück 

f.  Phüos.  u.  phü.  Kr.,  1901,  CXVIII.  146—167. 
644.  Brunst,  H.:  Menschliche  Freiheit  (Psychologische  Studie  lur 

gung   Spinozas).    Der   praktische    Schulmann,    S.   898 — 898. 
646.  Busse,   H.   H.:   Handschrift  und  Charakter.     Deutscher 

in  Wort  und  Bild,  27.  J.  Nr.  15,  16. 

646.  Cady,  H.:  Wahrheit.     Eine  Unterweisung  in  12  Kapiteln.     Am 

Engl.  V.  L.  S.  176  S.  Leipzig  1901,  Lotus-Verlag. 

647.  Carus,  P.:  Identit^  et  continuit6  du  moi.     C.  R.  IVe  Congrb  Int 

de  Psychol.,  1900  (1901),  316—321. 

648.  C  e  c  o  n  i :   Intomo  ai  fenomeni  di  sinestesia.    Gior.   R.  Accad.  Ifad 

Torino,    1901,    LXIV,   97—143. 

649.  C^nas  et  Bezond:   Un  cas  de  rire  et  de  pleurer  ^»aanodiqpBiL 

Loire  M^d.,  1901,  XX,  134—136. 

660.  Chartier,   E.:   Sur   les   perceptions   du   toucher.     Rev.  de  Jf4t 

de  Mor.,  1901,  IX,  279—291. 

661.  Chevalier,  L. :  Das  Entstehen  und  Werden  des  Selbati 

(IV.)    (Progr.)    Prag,  1901.  Pp.  15. 

652.  C  h  o  1 1  e  t ,  J.  A. :  Psychologie  sumaturelle.     La  Psychologie  des 

—  La  Psychologie  du  purgatoire.     2  vols.     Paris,  Lethielleua^ 

653.  Choltschew,    I.    N.:    Über    individuelle    Schwankungen   der 

merksamkeit.     Voprosi  Phüos.,  1901,  XII  (Pt.  2),  135—148. 

654.  Claparöde,   E.:    Sur   la   d^finition   de   la   perception.     C.   R.  IV*^ 

Congr^s  Int.  de  Psychol.,   1900  (1901),  276—277. 

655.  Clapar^de,    £. :    Exp^ences    sur    La   vitesse    du   soulbveinefit 

poids  de  volumes  diff^rents.    Arch.  de  psychol.  de  la  Soisse 
I  (1),  69—94.     1901. 

656.  Clapar^de,    E.:     Les    animaux    sont-ils    conscients?    Rev.   pfaQoii 

51  (5),  481—498.  1901. 
667.  Cohen,  H.:  Autonomie  und  Freiheit.  Breslau,  Schottländcr,  19(M*^ 
656.  Co  h  n ,  J. :  Allgemeine  Ästhetik.  293  S.  Leipzig  1901,  W.  Flngrhml 
659.  Colegrove,  F.  W.:  Memory.     An  Inductive  Study.    (Sd  ed.  rerj 

New  York,   H.   Holt,   1901.     Pp.  369. 

(Fortsetsung  folgt) 


Scbriftleitung:  F.  Kemties,  Berlin  NW.,  Paulstr.  :U  und  L.  Hinchlaff,  Beriin  W.»  U|tw«|lr«4l 
VerUg  von  Hermann  Walther,  Verlagsbuchhandl.,  O.  m.  b.  H.,  Berlin  SW.,   KominiuidaalCHlL  M 
Druck :  Deutsche  Buch-  und  Knnstdruckerd  O.  m.  b.  H.,  Zossen^Bolfai  SW.  11. 


Xieeeo#e0oegoogaogce#sft»ooetoa^wgMi 


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:=    "'   "umf  Mineral - 


Erlitt  l^iiUflow^M 

kihistlielie  Mine  ml  wasKersalze, 

1er  Ersatz  der  verwendeten  natürlichen  Mineralwässer, 


0r.  Kr  II  Ml  Kaiifltiw'i^ 
uiedi^rjuinelie  RrHiise.«4til7.e* 


Dr. 


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(Alcali  hroniat.  efferv.  Sandow) 
t\n  Sedali vutn   par  exeellence  - 

ur   üerc'iliiiur   von   ki^^hltmisatirrin    ßroniwaüsef 
f.'Oan  Cbc.  =  U  Km\    hrntfi  ,  12  Natr    brorn  .  0,h  Arrtinnn    broin  J 


an«.    HyiHerJe  ti   *    u      Pir   \S..uyui,    «mr  laui   B-.. :   itiaiidstn 

*n  «in«  ütii'e mischend  proiiii^te. 

uiii'    ^iiai    lJ^'>[>  l    f  lin-c.rt    für    15  T?fiikglav.'T   wdcr  .10  WnrntUbcr 

^Of  cft.  31'  I  pCt.  btilliger  mit  aitdvrt;  It&iitl^  ßroiiiwäüjer. 


Salze  iind  fif  hp^ifh-n  Liunh  drc  Aijrtfht-Inrn  (ifut  iJi-N^M.^rien  ■(BrBii'+esa.liP  liflr  darth 


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5.  Jahrgang.  1903  Heft  4/5. 

Zeitschrift 


für 

^ädaaoal$cl)e  P$ycl)oloalc, 

Pathologie  und  l^ygiene. 

Herausgegeben 

von 

Ferdinand  Kemsies  und  Leo  Hirschlaff. 
^  Inhalt  von  Heft  4/5. 

Original-Artikel. 

[einrich  Idelberger,  Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprachentwickelung. 

eo  Hirschlaff,  Zur  Gesundheitspflege  des  Nervensystems. 

larx  Lobsien,  Kinderideale. 

udvig  Gurlitt,  Die  Schule  und  das  öffentliche  Leben. 

Sitzungsberichte. 

Psychologische  Gesellschaft  zu   Berlin.  —  Psychologische  Gesellschaft  zu 
Breslau.  —  Verein  für  Kinderforschung. 

Berichte  und  Besprechungen. 

B.  Otto.  —  B.  Otto.  —  Eingesandt. 

Mittellungen. 

!>ie  gemeinschaftliche  Erziehung  beider  Geschlechter  in  .Amerika.   -    Hilfs- 
schulen für  schwachbefähigte  Kinder. 

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Hermann  Walther,  Verla8sbuchh.andlung 
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nährt,  krftftigt,  ist  wohlschmeckend,  leicht  verdaulich  und  billig,  erfüllt 
hierdurch  nicht  allein  die  Aufgabe,  Schviächezustände  /u  heben,  sondern  hat 
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fähigkeit des  gesunden  Organismus  zu  erhalten  und  zu  erhöhen. 

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wachsende Jugend  und  namentlich  für  Schulkinder  wegen  seinem  hohen 
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kräftigen  Körpers  notwendig  sind. 

Hyglama  enthält  die  blutbildenden  Bestandteile,  deren  zarte,  rasch  gewachsene 
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Studierende  und  geistig  angestrengt  Arbeltende  finden  in  „Hyglama" 

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Schöneberg  bei  Berlin 


Zeitschrift 

für 

Pädaaogi$c])e  Psychologie, 

Patl)ol09ie  und  l^ygicne. 

Herausgegeben 
von 

Ferdinand  Kemsies  und  Leo  Hirschlaft 


Jahr^ng  V*        Berlin,  Dexeniber  1003. 


Heft  4/5. 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprachentwlcklun^ 

nach  eigener  Beobachtung  behandelt  von 
Heinrich   Idel berger. 

Vorwort 
Im  Sonimer  vorigen  Jahres  veranlaßte  mich  Herr  PrDfessor 
I>r.  E,  Meumann,  Zürich,  Beobachtungen  über  die  Entwickelung 
der  Kindersprache  anzustellen.  Die  von  mir  in  dieser  Richtung 
gewormenen  Ergebnisse  liegen  nun  teilweise  in  der  nachstehen- 
den Abhandlung  v'or.  Ob  und  inwieweit  den  mitgeteilten  Resul- 
taten eine  wissenschaftliche  Bedeutung  beimmessen  ist,  muß 
ich   einer  kompetenteren   Beurteilung  überlassen. 

Bei  der  Behandlung  der  folgenden  Sprachprobleme  dienten 
mir,  soweit  dies  mögUch  war,  die  an  meinem  eigenen  Kinde 
Ktirt  Idelberger  angestellten  Beobachtungen  als  Grundlage. 
Wo  diese  nicht  ausreichten,  wie  vor  allem  bei  der  Frage  der 
Worterfindung,  habe  ich  sodann  den  Beobachtungskreis  in  dem 
Älaße  erweitert,  als  ich  es  zu  einer  unanfechtbaren  Lösung 
unserer  Probleme  für  notwendig  hielt.  So  habe  ich  denn  außer 
meinem  Sohne  noch  die  folgenden  Kinder  beobachtet,  bezw, 
beobachten  lassen: 

1.  Gertrüde  SiaW.  geb.  21.  VII.  lOÜL  ) 

2.  AlbrechT  Herzog,  geb.  L\  L  1901.      \  (von  mir  selbst  beobachtet.) 
a    Heinrich  Nan,  geb.  28,  IIL  IWi.       | 

4.  August  Hackel,  geb.  7-  IX.  1J)(1L     (Vaier:  Kaufmann.! 

5.  Erich  Spohr,  geb.  10.  VI.  IBOL    I      (Vater:  Ant;  Mutter:  ehemaiige 

6.  Irene  Spohr,  geb.  8.  VIIL  1902.    (  Lehrerin,) 

7.  Hellmut  Rauch,  geb.  27,  VTU.  1901,     (Vater:  Am.) 
a  Ernst  Witebäky,  geb.  8.  IX.  19U1.     (Vater:  Amt.) 
%  Rosa  Bartscher,  geb.  15.  IX.  190L     (Vater:  Lehrer.) 

10.   Elisabeth   Schwarahaiipt,   geb.  7.  L  1301.    (Vater t    Lehrer;    Mutter: 

ehe  m  al  ige  L  e  hrp  ri  n . ) 
IL   Walter  Jost,  geb.  13, 11. 190^.    (Vater:  Lehrer;  Mutter:  ehem.  Lehrerin.) 

ZcitKlifift  für  pädDign^i^che  Psychologie*  P*ihologi*  und  Hygiene.  1 


242  Heimich  Idelberger, 

12.  Kurt  Zorbach,  geb.  30.  VII.  1899.         \ 

13.  Johanna  Zorbach,  geb.  14.  V.  1901.       \  (Vater:  Lehrer.) 

14.  Heinrich  Zorbach,   geb.  14.  IX.  1902.  J 

15.  Margarete  Schiocker,  geb.  17.  VI.  1902.    (Vater:  Ökonom.) 

16.  Kurt  Idelberger,  geb.  6.  U.  1902.    (Vater:  Der  Verfasser.) 

Die  unter  4  bis  15  genannten  Kinder  sind  nur  gelegent- 
lich von  mir  selbst  beobachtet  worden ;  im  übrigen  haben  die 
Eltern  derselben  auf  meine  Veranlassung  hin  Beobachtungen 
in  der  Richtung  der  behandelten  Probleme  aufgezeichnet  und 
mir  zukommen  lassen.  In  Anbetracht  dessen,  daß  die  Beob- 
achtung von  Kindern  eine  gewisse  Übung  und  Schulung  er- 
fordert, und  mit  Rücksicht  auf  die  Beurteilung  des  Wertes 
des  dieser  Abhandlung  zugrunde  liegenden  Materials  halte  ich 
es  für  nicht  überflüssig,  zu  bemerken,  daß  ich  diese  Eltern 
für  besonders  geeignet  zum  Beobachten  erachtete. 

Die  einschlägige  Literatur  habe  ich  mit  Absicht  nur  in 
geringem  Umfange  benutzt,  um  durch  dieselbe  nicht  zu  sehr 
beeinflußt  zu  werden. 

Einleitung. 

Ehe  ich  in  die  eigentliche  Behandlung  der  Probleme  ein- 
trete, sei  mir  gestattet,  einige  Beobachtimgen  allgemein-psycho- 
logischer Natur  mitzuteilen,  welche  für  die  nachfolgenden 
speziellen  sprachpsychologischen  Erörterungen  von  ganz  be- 
sonderer Bedeutung  sind.  Dieselben  betreffen  einesteils  das 
Verhältnis  des  Gefühls-  und  Willenslebens  ziim  Vorstellungs- 
leben und  andernteils  die  Energie  der  kindlichen  Aufmerksam- 
keit am  Ende  der  Zeitperiode,  die  man  die  Periode  des  Sprach- 
verständnisses nennt,  nach  deren  Ablauf  —  durchschnittlich 
im  zwölften  Lebensmonat  —  das  spontane  Sprechen  beginnt 

I.  Beobachtungen  über  das  Verhältnis  des 
Gefühls-  und  Willenslebens  zum  Vorstellungs* 
leben   beim   Kinde. 

Das  Verhältnis  des  Gefühls-  und  Willenslebens  zum  Vor- 
stellungsleben ist  erkennbar  aus  der  Gesamtheit  der  psychischen 
Äußerungen.  Als  solche  sind  in  der  fraglichen  Lebensperiode 
vor  allem  die  mimischen  und  pantomimischen  Ausdrucks- 
beweg^ngen  (Gebärden)  anzusehen;  außerdem  standen  meinem 
Sohne  Kurt  an  dem  Tage,  an  welchem  ich  die  nachfolgenden 
Aufzeichnungen  gemacht  habe,  schon  einige  Laute  bezw.  Laut- 
verbindungen zur  Äußerung  verschiedener  seelischer  Emotionen, 
insbesondere  die  Lautreduplikation  „ö — ö",  verbunden  mit  der 
hinweisenden  Gebärde,  als  Ausdruck  eines  Begehrens  zur  Ver- 


iiuuptpTobUme  der  kindikhm  Spr^cktnn&ükiung. 


243 


ting.  ^^in  4.  Januar  1903,  also  am  334,  Lebenstage  Kurts, 
le  ich  txxT  Feststellung  des  genannten  Verhältnisses  an  ver* 
iedenen  Stunden  alle  diese  Ausdrucksbewegungen  auf- 
eichnet.     Zur   Klarlegung   desselben   genügt   es,   wenn   ich 

lesen  Aufzeichnungen  eine  Stichprobe  gebe.  Ich  teile 
sbachtungen  mit,  welche  ich  an  dem  betreffenden  Tage 
-7  Uhr  nachmittags  niedergeschrieben  habe.   Zum  Ver- 

lis  der  Situation  bemerke  ich  noch,  daß  ich  mich  mit 
er  Frau  und  Kurt>  um  auch  Beobachtungen  an  Gertrude 
hl  aniustelkn,  in  die  in  unserm  Hause  eine  Treppe  höher 
egene  Wohnung  des  Kaufmanns  Stahl  begeben  hatte.  Im 
»hnzimmer  dortselbst  waren  außer  mir,  meiner  Frau  und 
rt  noch  Frau  Stahl  und  ihr  Töchterchen  Gertrude  anwesend. 
iiugefügt  sei  noch^  daß  Kurt^  welcher  aJs  Beobachlungsobjekt 
ler  bezeichneten  Frage  diente,  körperlich  so  weit  entwickelt 

kdaß  er,  an  einer  Hand  geführt,  durchs  Zimmer  schreiten, 
also  bei  dieser  Hilfeleistung  zum  Gegenstande  seines  Be- 
irens hinbewegen  konnte.  Ich  gestatte  mirj  die  unsere  Frage 
reffenden  Beobachtungen  in  derselben  aphoristischen  Form 

(teilen,  in  der  ich  sie  seinerzeit  aufgezeichnet  habe, 
c>3  (334*  Lebens  tag).  6  U  hr  nachmittags, 
[urt  will  ein  höhernes  Milchkännchen  (Spiel/eug)  haben 
Igt  mit  freudiger  Miene  nach  dem  Licht  —  will  vom 
Jöß  der  Mama  auf  den  Boden  —  will  laufen  —  will  an  den 
Bchinn  —  jauchzt  vor  Freude:  ei,  ei  —  rückt  am  Stuhl 
nd  her  —  nimmt  das  vorbezeichnete  Milchkännchen  in 
Hand  —  sieht  verwundert  m  das  dunkle  Schlafzimmer 
Vüre  2U  demselben  war  von  Frau  St.  geöffnet  worden)  — 
t  das  Milchkännchen  w^eg  —  ruft  vor  Freude:  heil  —  will 
^  —  guckt  ins  Schlafzimmer  und  lacht  —  sieht  mich  an 
Pacht  laut  —  bläst  vor  Vergnügen  —  spricht  „dada"  vor 
'gnügen  —  spricht  „ö — ö**  als  Ausdruck  eines  Begehrens 
r  Gegenstand  seines  Begehrens  konnte  in  der  Eile  nicht 
gestellt  werden)  —  will  aufgehoben  werden,  nachdem  man 
jrher  auf  den  Fußboden  gesetzt  hat  —  zerrt  und  drückt 
lem  Stuhl,  daß  er  vor  Anstrengung  schnauft  —  nimmt 
böberne  Milchkännchen  in  die  Hand  —  legt  es  wieder 
Seite  —  greift  nach  dem  ölkännchen  an  der  Seite  der 
[laschine*  — 
^^^  Uhr,    Macht  „ch— ch**  vor  Freude  —  greift  ins  Innere 


244  Heinrich  Idelberger, 

der  Nähmaschine  —  hebt  ein  Streichholzschächtelchen  vo 
Boden  auf  —  wirft  es  wieder  hin  —  fällt  hin  und  weint  — nip 
an  den  Haaren  des  auf  dem  Boden  liegenden  Dachsfelles  - 
spricht  „wauwau**  —  will  aufgehoben  werden  —  macht  e 
erstauntes  Gesicht  —  hebt  den  Zeigefinger  und  spricht  „ö — < 

—  stößt  vor  Freude  den  Laut  „ch**  hervor  —  will  das  hölzer-: 
Milchkännchen  haben  —  reckt  die  Ärmchen,  um  auf  den  Sek- 
der  Mama  gehoben  zu  werden  —  will  in  die  Schlafstube  sehe 
nachdem  er  von  dorther  einen  Laut  gehört  hat  —  klopft  n 
einem  Fuße  auf  den  Boden  —  guckt  nach  Frau  St.  und  spric 
„bw — bw**  —  will  von  dem  Töpfchen,  auf  welches  er  zwec 
Urinabsonderung  gesetzt  worden  ist,  wieder  auf  —  kaut  2 
seinen  Fingern  —  will  die  Holzspielsachen  haben  —  schre 
vor  Zorn  —  will  die  Spielsachen  haben  —  weint  —  will  (k 
Nachttöpfchen  haben  —  zeigt  nach  einer  kleinen  Schelle  uii 
spricht  „ö — ö**  zum  Zeichen,   daß  er  dieselbe  haben  möchl 

—  blickt  mit  Verwunderung  auf  ein  rollendes  Rasselchen  —  "vü 
dasselbe  haben  —  will  nicht  das  gereichte  Stück  Apfelsin 
nehmen  —  wehrt  ab  —  will  vom  Boden  aufgehoben  werde 

—  will  laufen  —  weigert  sich  wiederholt,  das  dargereichl 
Apfelsinestück  zu  essen  —  nimmt  und  versucht  es  —  verziel 
das  Gesicht  bei  dem  saueren  Geschmack  —  ißt  —  will  noc 
ein  Stück  haben.  — 

62Ö  Uhr.    Kurt  ißt  —  begehrt  noch  ein  Stück  Apfelsir 

—  fordert  lebhaft,  indem  er  mit  dem  Zeigefinger  auf  ein  solch< 
hindeutet  und  „ö — ö**  spricht  —  (er  erhält  ein  Stückchen)  - 
sieht  erwartimgsvoU  nach  Frau  St.,  die  wieder  ein  Stück  2' 
recht  macht  —  greift  nach  der  Stuhllehne  —  will  sich  ii 
Schoß  der  Mutter  aufstellen  —  will  ein  Stück  Apfelsine  habe 

—  rückt  an  einem  Stuhl  —  wackelt  an  dem  Stuhl  —  versuc! 
ein  Stück  Apfelsine  —  macht  ein  „saueres**  Gesicht  —  weh 
ab  —  weint  —  will  sich  an  der  Stuhllehne  aufstellen.  — 

6^0  Uhr.  Zeigt  einen  nicht  erkennbaren  Wunsch  dur» 
unbestinmites  Hin-  und  Herzeigen  mit  dem  Zeigefinger  an  UJ 
spricht  dabei  „ö — ö**  —  will  laufen  —  lacht  —  tätschelt  c 
Mama  —  wird  auf  den  Boden  gesetzt  und  weint  —  will  a*^ 
gehoben  werden  —  freut  sich  über  das  klingende  Rollschellcb. 

—  will  es  haben  —  jauchzt  laut  auf  —  lacht  laut  —  rum. 
die  Spielzeugschachtel  —  lacht  laut  —  läuft  an  der  Hai 
der  Mutter  dem  rollenden  Schellchen  nach  —  lacht  —  läi 


RmipipTühtime  (Ur  kmdlichm  SpmckmfmfiMwng. 


245 


rancl  um  die  Mama  —  freut  sich  sehr  dabei  —  sieht  das 
l^hcUchen  und  lacht  laut  —  bläst  vor  Vergnügen  —  sitzt  auf 
"  dem  Nachttöpfcheti  und  stößt  in  seiner  Freude  den  Laut  ,,ei**  aus 

—  will  von  dem  Töpfchen  auf  —  uriniert  —  weint  —  kaut  an  den 
Fingern  —  will  dem  Rollschellchen  nach  —  freut  sich  —  lacht 
laut  ™  lacht  —  will  auf  den  Schoß  der  Mutter  —  will  wieder 
auf  den  Boden  —  streckt  die  Zunge  vor  und  lacht  —  lacht 
laut  und  stößt  den  Laut  j^ei**  hervor  —  macht  ,,backe,  backe 
Kuchen"  —  ruft  vor  Freude  „ei'*  —  will  sich  im  Schoß  der 
Mutter  aufstellen  —  petzt  die  Augen  zu  —  betrachtet  mit  Staunen 
Maxuas  Brosche  —  spricht  „wauwe"  —  streichelt  die  Mama 
^  stößt  vor  Freude  den  Laut  ,,ch"  aus  —  zeigt  nach  einem 
Stuhl  und  spricht  „ö— ö''  (wahrscheinlich  will  er  an  demselben 
herumhantieren)  —  (Frau  St*  hat  einige  Butterbrote  in  einer 
Schale  auf  den  Tisch  gestellt}  Kurt  greift  danach  und  nimmt 

—  ißt.  — 

6*0   Uhr.    Reicht  wieder  nach  den  auf  dem  Tisch  noch 
stehenden  Butterbrötchenj  obwohl  er  noch  hat  —  ißt  —  greift 
nach  dem  Brötchen  der  Gertnide  St.  —  ißt  —  schaut  mit  Ver- 
minderung nach  der  schlagenden  Wanduhr  (6^/4  Uhr)  —  macht 
^^ktierende  Handbewegungen  —  will  kein  Brot  mehr,  wehrt 
ab    —  ^iii  auf  den  Boden   —  läuft  —  freut  sich  —  will  die 
^^^ohnstubentüre  zumachen  —  fällt  hin  und  erhebt  sich  wieder 
guckt  erstaunt  in  die  dunkle  Schlafstube  —  ruft  vor  Freude 
„ei**   —  wirft  den  Ofenschirm  um  —  will  an  das  Nachttöpfchen 
~~^   bläst  vor  Freude  „ch — ch'*.  — 

6^0  Uhr.    Bewegt  die  Schlafstubentüre  hin  und  her  —  will 

m  ciie  Schlafstube  —  in  der  Dunkelheit  fürchtet  er  sich  jedoch, 

*^^gt  an  zu  weinen  und  kehrt   wieder  um   —  will  laufen   — 

'^^cht  die  Schlafstubentüre  auf  und  zu  —  spaziert  ein  kleines 

-^üekchen  ins  Schlafzimmer,  indem  er  sich  an  der  Wand  hält 

^^    Icommt  wieder  heraus   —  macht  die  Türe  zu  —  zieht  sie 

Meder  auf  —  will  zur  Wohnzimmertüre  hinaus  auf  den  Vorplatz 

"^    vifill  an  den  Stuhl  —  bläst  vor  Vergnügen  ^»ch — ch**  —  will 

^    die  Nähmaschine  —  freut  sich  —  setzt  sich  auf  den  Boden 

"^    ^lU  auf  —  zeigt  nach  der  kleinen  Gertrude  —  klopft  mit 

^i^em  kleinen  hölzernen   Spieltöpfchen   an  der   Nähmaschine 

nenun  —  spricht  „wauwe**   —  will  auf  den  Arm  der  Mutter 

^  ^'ill  laufen  —  freut  sich  und  ruft  „ei**  —  will  die  auf  einem 

Weinen  nebenanstehenden  Tischchen  liegenden  Muscheln  haben 


246  Heinrick  ItUlberger. 

—  fällt  hin  und  weint  —  will  nach  dem  Papa  —  greint  imJ^ciet 
noch  —  will  nach   der   Nähmaschine   —  will  das  blechc^^^ 
ölkännchen  haben  —  freut  sich  und  ruft  „ei"  —  will  an  ^^ 
Muscheln  —  lacht  und  freut  sich  über  das  plärrende  Schäfcb^^ 
(Spielzeug)    —    reicht    mit    großer    Lebhaftigkeit    nach    do^ 
Muscheln  —  ruft  vor  Freude  „ei"  —  will  an  die  Nähmaschine  - — 
lallt  „hadä"  —  hantiert  an  der  Maschine  herum  —  rupft  slt\ 
dem  Lederriemen  der  Maschine  —  freut  sich  und  stößt  d^n 
Laut  „ch— ch"  aus.  —  (Schluß  7  Uhr.) 

Was  lehren  ims  nun   diese   Aufzeichnungen? 

Die  Äußerungen  des  Gefühls-  und  Willenslebens  sind  auft^ir- 
ordentlich  zahlreich  und  vielgestaltig.     Es  vergeht  kaum  eixi 
Augenblick,  in  dem  das  Kind  den  aufmerksamen  Beobachter 
nicht  einen  neuen  Wunsch  oder  eine  neue  Gefühlserregung  er- 
kennen läßt.     Die  Willensäußerungen   des  Kindes,   die    mit- 
geteilten Wünsche  und  Betätigungen,  stellen  sich  nun  durch- 
weg als   triebartige  Willenshandlimgen   dar,    und   in    diesem 
Sinne  bitte  ich  die  von  mir  in  meinem  Berichte  gebrauchte 
Form  „er  will**  aufzufassen.     Das  Gefühlsleben    ist,    wie   'wir 
ersehen  können,  zu  der  fraglichen  Zeit  schon  sehr  differenziert 
und  wird  charakterisiert  durch   das   Vorwalten    4^    Affekte 
(Schmerz,  Freude,  Zorn,  Furcht,  Staimen  etc.).    Intellektuelles 
Leben  können  bezw.  müssen  wir  bei  den  mitgeteilten  Beobach- 
tungen insoweit  annehmen,  als  dies  zur  Erklärung  der  Existenz 
der  Triebe  und  Affekte  notwendig  ist.     Sofern  sich  nämlich 
diese  letzteren  auf  Dinge  und  Vorgänge  richten,  muß  voraus- 
gesetzt werden,  daß  das  Kind  gegenständliche  Wahmehmungfe^ 
(von   denselben)   bildet.     Doch   sind   dieselben   offenbar   sehr 
primitiver  und  oberflächlicher  Art.    Dies  erhellt  einesteils  aus 
der  Kürze  der  Zeit,  in  der  die  gegenständlichen  Reize  auf  die 
Sinne  und  im  weiteren  Verlaufe  auf  das  kindliche  Bewußtsein 
einwirken  (ich  werde  diesen  Punkt  im  folgenden  Kapitel  noch 
näher   ins   Auge   fassen),    andernteils  aber  auch  aus  der  all- 
gemeinen psychophysischen  Entwickeltheit  in  diesem  Alter.  D^^ 
Sinneswahrnehmungen  haben  um  ihrer  selbst  willen  für  das 
Kind  keine  Bedeutung  ( —  es  betrachtet  die  Gegenstände  und 
Vorgänge  nicht  aus  objektivem  Interesse  — ) ;  sie  erlangen  di^* 
selbe  in   dem  kindlichen  Seelenleben  nur  in  dem  Maße,  ab 
sie    die     einfachen    Motive     für     die    Triebhandlungen    des 
Kindes  abgeben  oder  die  Gefühle  desselben  auslösen.    Triebe 


i/au^J^r&Mrrnt  iUr  JkiHititckm  SßfpßktmtwicMHttj^, 


247 


un  d  Affekte  sind  es  —  das  geht  zweifellos  aus  den  mitgeteilten 
Beobachtungen  hervor  —  die  das  Kind  in  dieser  Lebensperiode 
vollständig  beherrschen;  das  imeUektuelle  Leben  tritt  diesen 
gegenüber  ganz  zurück  (Daß  das  Kind,  wie  man  aus  anderen 
Beobachtungen  schheßen  kann,  kcmpliziertere  Assimilationen 
und  sukzessive  Assoziationen  bildet,  ändert  hieran  nichts.) 

Diese  Feststellung  ist  nun  für  die  folgende  sprach  psycho- 
logische Erörterung  von  der  allergrößten  Bedeutung.  Das 
gekennieichnete  Verhältnis  des  Gefühls-  und  Willenslebens  kehrt 
^icfi  natürlich  nicht  momentan  um:  es  waltet  auch  noch  ob  zu 
der  Zeit,  in  der  sich  ,,die  Seele  des  Kindes  in  die  Sprache 
flüchter*  (Hall)  und  kommt  in  derselben  zum  prägnanten  Aus- 
druck. Erst  allmählich,  mit  wachsender  Aufmerksamkeit  und 
Konzentrationsfähigkeit  des  Kindes,  ändert  sich  dasselbe  zu 
gunsten  des  intellektuellen  Lebens. 

Eine  Parallele  zu  diesen  Beobachtungen  bietet  uns  die 
Völkerpsychologie.  Bei  den  noch  auf  einer  niedrigen  Kukur- 
stufe  stehenden  Naturvölkern  werden  die  Individuen  ebenfalls 
niehr  oder  weniger  von  ihren  Trieben  und  Affekten  beherrscht, 
Äiich  hier  macht  sich  das  Dominieren  des  Gefühls-  und  Trieb- 
'^beris  in  der  Sprache  geltend,  doch  muß  ich  es  mir  versagen, 
Qä^rauf  näher  einzugehen. 

In  den  bisherigen  Erörterungen  über  die  Entwickelung 
der  Kindersprache  hat  man  nun  dieses  Verhähnis  des  emDtionell- 
volitjonalen  Lebens  zum  intellektuellen  Leben  beim  Kinde  In 
dieser  Zeit  sehr  mit  Unrecht  ganz  unberücksichtigt  gelassen 
^^^eyer.  Lindner,  Ament).  Die  Folge  davon  ist  eine  durchaus 
^*Sehe  Auffassung  von  der  Entstehung  und  Natur  der  ersten 
^Wortbedeutungen  gewesen.  Bei  Behandlung  des  ersten  Haupt* 
P^'otilems  w^erde  ich  ausführlich  hierauf  zurückkommen. 
2.  Beobachtungen  über  die  Energie  der 

Aufmerksamkeitt 

Beim   Erwachsenen   ist   die   Energie  der  Aufmerksamkeit 

^^      äußeren     Beobachtung     aus      mimischen     Ausdrucksbe- 

^Siingen,  aus  der  Quantität,  Klarheit  und  Vollständigkeit  der 

Pperzipierten  Vorstellungen,  deren  Kontrolle  dem  Beobachten^ 

J^^  durch  die  Sprache  möglich  ist,  aus  der  Konstanz  (Dauer) 

^^^    Aufmerksamkeit   und   ^   besonders  bei   höheren   Graden 

e^r   letzteren  —  im  Experiment  aus  Veränderungen  in  Atem 

^^^  Mi*i«im  4^kimn^^.     Beim   Kinde  im    12.   Lebensmonat  laßt 


248  Heinrich  Idelberger. 

sich     dieselbe    bestenfalls     nur    aus    mimischen    AusdrucVwS- 
bewegungen  und  der  Konstanz  (Dauer)  der  Aufmerksamfei^it 
schließen.     Da  sich  nun   die  ersteren  als  ein  sehr  varial>l^s 
Merkmal    kennzeichnen,    das   dazu   in   Bezug   auf   seine   V^^x- 
Wendung  keineswegs  immer  einwandfrei  ist  insofern,  als  A^r- 
ßdbe  Gesichtsausdruck,  in  dem  sich  die  Aufmerksamkeit  vcl-x- 
raten  soll,  auch  als  ein  Zeichen  der  Verwunderung,  des  Staunens 
gelten  kann,  so  bleibt  uns  als  einigermaßen  untrügliches  Ken.ii- 
zeichen  hier  nur  die  Konstanz.    Die  Frage  nach  der  Energ'i« 
der  Aufmerksamkeit  des  Kindes  in  dem  besagten  Lebensal^^i^ 
läuft  also  im  wesentlichen  auf  die  Frage  nach  ihrer  Konstsi-xiz 
hinaus.     Bestinmit  formuliert,    würde   dieselbe  lauten:     W  ie 
lange  vermag  das  Kind   im  zwölften  Lebensmonat  irgemrx^- 
welchen  Dingen  oder  Vorgängen  seine  Aufmerksamkeit  olrxxie 
Unterbrechxmg  zuzuwenden?    Die  Beantwortung  dieser  Fr^^^e 
ist  nun,  selbst  bei  genauester  Beobachtung  und  imter  Zuhi  1  *  ^• 
nähme  der  besten  zeitmessenden  Instrumente,  nicht  so  leic^^^» 
als  dies  auf  den   ersten  Blick  scheinen  könnte,  ja  in  vi^l^^ 
Fällen  ganz  unmöglich.    Dies  hat  seinen  Grund  darin,  daß  si^** 
das  Kind  keineswegs  immer  solange  einer  objektiven  Betrat^  ^' 
tung  der  Dinge  hingibt,  als  es  seine  Sinne  scheinbar  auf  ci^^' 
selben  richtet.    Dieselbe  wird  vielmehr  in  den  meisten  Fäl'^'^ 
dadurch  eliminiert,  daß  sich  die  Triebe  und  Affekte,  die  du  ^'^^ 
die   Sinneswahrnehmungen  ausgelöst  worden   sind,   mit    aJ-*^^ 
Macht  im  Bewußtsein  vordrängen  und  nunmehr  —  wie     i^*^ 
im  vorigen   Kapitel  ausführte   —  die   Seele  des  Kindes     ^^^ 
herrschen.  Wenn  also  von  Aufmerksamkeit  nur  solange  die  R^^-^^ 
sein  kann,  als  sich  das  Kind  aus  objektivem  Interesse  der  siX^  ^' 
liehen  Betrachtung  der  Dinge  und  Vorgänge  widmet,  so  nd-*^ 
man  sagen,  daß  die  Dauer  der  Aufmerksamkeit  durchaus  ni^^ 
identisch  mit  der  Zeitdauer  des  Hinsehens,  Hinhörens  etc.  n^-  ^^ 
den  Gegenständen  und  Vorgängen  ist,  und  hierin  liegt  die  gro  ^^^ 
Schwierigkeit  einer  experimentellen  Bestinunung  der  erster  ^^^' 
Bei  den  im  folgenden  mitgeteilten  Versuchen  zur  Messi^^^^ 
der  Aufmerksamkeitsdauer  kam  es  mir  besonders  darauf  S^^' 
die  höchstmöglichste  Leistung  des  Kindes  in  dieser  Bezieh» -^-^^ 
festzustellen.    Ich  wählte  darum  zu  denselben  Dinge  und  V^^ 
gänge  von  größter  Reizintensität.    Die  Reize  gehören  den  \^^^ 
schiedenen  Sinnesgebieten  an.    Bei  Ausführung  der  Versuch  ^^^ 
waren  mir  meine  Frau  und  mein  Vetter,  Herr  Regienmgsb^^ 


HauptprobUnu  der  kindUchen  Spracheniwicklung.  249 

fülirer  Hermann  Idelberger,  behilflich.  Als  Zeitmesser  diente  die 
Taschenuhr;  ein  feineres  zeitmessendes  Instrument  stand  mir 
leider  nicht  zur  Verfügung.  Die  einzelnen  Versuche  folgten  mit 
Pausen  von  je  zwei  bis  fünf  Minuten  aufeinander.  Nunmehr  teile 
ich  die  an  vier  verschiedenen  Tagen  vorgenommenen  Versuchs- 
reihen nach  dem  Tagebuche  mit. 

I.   Versuchsreihe  (vom5. 1. 1903  [335.  Lebenst.J,  nachm. 6— 7 Uhr). 

Frage  i.  Wie  lange  vermag  das  Kind  seine  Aufmerksam- 
keit   ohne  Unterbrechung  einem  Vorgang  zuzuwenden? 

Versuch  a.  Es  wird  ein  kleines  selbstlaufendes  Blech- 
^äxischen  vor  Kurt  auf  den  Tisch  gesetzt  und  laufen  gelassen. 
Er  beobachtet  den  Vorgang  zehn  Sekunden  lang  ohne  Unter- 
brechung. 

Versuch  b.  (Derselbe  Vorgang.)  Dauer  des  Hinsehens: 
'^    Sekunden. 

Versuch  c.  (Derselbe  Vorgang.)  Dauer  des  Hinsehens: 
^S     Sekunden. 

Versuch  d.  (Derselbe  Vorgang.)  Dauer  des  Hinsehens: 
^    Sekunden. 

Versuch  e.  (Derselbe  Vorgang.)  Dauer  des  Hinsehens: 
3    Sekunden. 

Während  dieser  Versuche  ist  Kurt  bestrebt,  das  „Tierchen" 
^^     ergreifen;  es  wird  dies  unmöglich  gemacht. 

Frage  2.  Wie  lange  vermag  das  Kind  seine  Aufmerk- 
^^^inkeit  ununterbrochen  einem  ruhenden  Gegenstand  zuzu- 
^^nden? 

Versuch  a.  Es  wird  ihm  eine  Taschenuhr  vorgehalten; 
^^^    Knabe  sieht  nach  derselben  20  Sekunden  lang  hin. 

Versuch  b.  (Derselbe  Gegenstand.)  Dauer  des  Hinsehens : 
4-  Sekunden. 

Versuch  c.  Gegenstand:  Taschenmesser;  Dauer  des  Hin- 
^^fciens:  5  Sekunden. 

(Kurt  greift  nach  den  Gegenständen.) 
Versuch  d.    Gegenstand :  Brennglas  (wird  ihm  in  die  Hand 
^^geben).   Dauer  der  Aufmerksamkeit:  5  Sekunden. 

Versuch  e.    Gegenstand :  Photographie  (wird  ihm  gegeben). 
^Uer  der  Aufmerksamkeit:  10  Sekunden. 

F  r  a  g  e  3.   Wie  lange  wird  die  Aufmerksamkeit  des  Kindes 
^^<^li  einen  Gehörsreiz  gefesselt? 


250  HemriOi  Idelberger. 

Versuch  a.   Ein  im  „guten  Zimmer**  befindliches  Pianofort        -: 
wird  gespielt.     Kurt  befindet  sich  in  dem  nebenanliegenden 
Wohnzimmer;  er  kann  das  Instrument  nicht  sehen.     (Er 
schon  sehr  frühe  großes  Interesse  an  Musik  gezeigt;  er  y^spielt 
selbst    gern   imd    begleitet    sehr   häufig    irgendwelche    Musi 
[Klavierspiel,  Drehorgel]  oder  Gesang  mit  rhythmischen  Are 
bewegungen.) 

Kurt  strebt  nach  der  Türe  des  „guten  Zimmers""^  ^ 
25  Sekunden. 

Versuch  b.  (Derselbe  Reiz.)  Dauer  des  Hinstrebens:  :^^; 
Sekunden. 

Versuch  c.  (Derselbe  Reiz.)  Dauer  des  Hinstrebens:  ^^2 
Sekunden. 

F  r  a  g  e  4.  Wie  lange  wird  die  Aufmerksamkeit  des  KincfL^s 
durch  einen  Tastreiz  gefesselt? 

Versuch  a.  Kurt  wird  am  Oberschenkel  gestreichelt.  lE^r 
gibt  sich  scheinbar  dem  Eindruck  30  Sekunden  hin.  Währ^Är».d 
dieser  Prozedur  spricht  er  mehrmals  das  Wort  „dada",  ^in 
Zeichen  seines  Wohlbehagens. 

Versuch  b.  (Wie  vor.)  Kurt  sitzt  still  da,  scheint  d^^n 
Eindruck  ganz  hingegeben:  8  Sekunden. 

Versuch  c.  Kurt  wird  am  Kopf  gestreichelt.  Aufm^ri^ 
samkeitsdauer :  acht  Sekunden. 

Frage  5.  Wie  lange  vermag  das  Kind  beim  Vorsprecl*^^'^ 
die  Mundstellungen  der  Erwachsenen  zu  beobachten? 

Versuch  a.  Kurt  beobachtet  die  Lippenbewegungen  *^^' 
ausgesetzt:  9  Sekunden. 

Versuch  b.    Aufmerksamkeitsdauer:   12  Sekunden. 

Versuch  c.    Aufmerksamkeitsdauer :   5   Sekunden. 

Bezüglich  dieser  Frage  hatte  ich  bereits  früher  Beoba-^^'** 
timgen  angestellt  und  dabei  folgende  Zeitdauer  gefunden- 

Versuch  d.    Am  17.  11.  1902  (also  an  Kurts  286.  Leben^- 
tage):  8  Sekunden. 

Versuch  e.  Am  18.  11.  1902  (also  an  Kurts  287.  Lebens-  --^ 
tage):  16  Sekunden. 

Bei  diesen  Versuchen  zu  Frage  5  wirken  gleichzeitig  ein  l^uti 
optischer  und  ein  akustischer  Reiz  auf  das  kindliche  Beiraßt*  l^ei] 
sein  ein.  Das  Kind  wendet  hierbei  den  Lippenbewegungen  V^ 
aus  objektivem  Interesse  seine  volle,  ungeteilte  Aufmerksam-     I  ^ 


HauptprobUm^  der  kindlichen  Sprachenitvicklung.  251 

keit  ZU.    Man  ist  also  imstande,  die  wirkliche  Aufmerksamkeits- 
dauer  zu  bestimmen. 

Daß  Kurt  Geschmacksreize  wahrnimmt,  konnte  verschieden- 
fecli  aus  mimischen  Ausdrucksbewegungen  festgestellt  werden, 
doch  war  es  unmöglich,  auf  diesem  Sinnesgebiet  die  Aufmerk- 
samkeitsdauer näher  zu  bestimmen. 

"-  'Versuchsreihe (vom  7.1.1903  [337.Lebenst.],nachm.6— 7Uhr). 
(Kvirt  hatte  von  5 — 6  Uhr  ca.  15  Minuten  geschlafen.)  Hier 
und  auch  bei  den  folgenden  Versuchsreihen  folgen  die  einzelnen 
^^^^•suchc   den  bei  der   I.  Versuchsreihe  aufgestellten  Fragen. 

Frage  i.  Versuch  a.  Vorgang:  laufendes  Blechmäuschen. 
Ö3.iaer  des  Hinsehens:  19  Sekunden. 

Versuch  b.  Vorgang:  Eine  silberne  Uhrkette  wird  vor 
s^iixen  Augen  hin-  und  herbewegt.  Dauer  des  Hinsehens: 
5     Sekunden. 

Versuch  c.  Derselbe  Vorgang.  Dauer  des  Hinsehens: 
^^^^  Sekunden.  Der  Vorgang  fesselt  ihn  also  überhaupt  nicht. 
(^Uxt  hat  vielleicht  bei  Versuch  b.  eingesehen,  daß  er  die  Kette 
^^^t:^  eifrigen  Begehrens  nicht  erhält.) 

Frage  2.  Versuch  a.  Gegenstand:  Taschenuhr.  Dauer 
des     Hinsehens:  5  Sekunden. 

Versuch  b.  Derselbe  Gegenstand.  Dauer  des  Hinsehens: 
^  ^      Sekunden. 

Versuch  c.  Gegenstand:  Photographie.  Dauer  des  Hin- 
^^tk^ns:  5  Sekunden. 

Versuch  d.  Gegenstand:  Taschenmesser  (wird  ihm  ge- 
^^t>en).  Aufmerksamkeitsdauer:  7  Sekunden. 

Frage  3.     Versuch  a.     Akustischer   Reiz:   Klavierspiel. 
^Vier  des  Hinstrebens  nach  der  Türe  des  „guten  Zimmers*': 
^^    Sekunden. 

Versuch  b.  Derselbe  Reiz.  Dauer  des  Hinsehens:  40 
^^Icunden. 

^^  Versuch  c.     Derselbe   Reiz.     Dauer  des    Hinsehens:     40 

^^  Wunden. 

^^        (Als  seinem  Begehren  Folge  gegeben  und  er  in  das  „gute 
^^^iimer"  an  das  Instrument  gebracht  wird,  „spielt**  er  selbst 
^i  einem  ersten  Versuch  13  Sekunden  und  bei  einem  zweiten 
^    Sekunden  lang  ohne  Unterbrechung.) 

F  r  a  g  e  4.   Versuch :  Tastreiz.    Kurt  wird  am  Oberschenkel 


252  Heiniich  Idelberger, 

gestreichelt.    Scheinbare  Aufmerksamkeitsdauer:  i6  Sekund^^^* 
Hoppst  bei  dem  Versuch  verschiedenemal  vor  Freude.    Es    ^^^ 
darum  fragUch,  ob  die  Aufmerksamkeit  nicht  unterbrochen  w^^- 
Frage  5.    Kurt  beobachtet  die  Lippenbewegungen  be**^ 
Vorsprechen  5  Sekunden  lang. 

HL  Versuchsreihe  (vom  11. 1.03  [34i.Lebenst.]  5—6  Uhr  nach«ici •) 
(Zwischen  4  und  5  Uhr  nachmittags  hatte  Kurt  ca.  V2  Stun.^^ 
geschlafen.) 

Frage  i.  Versuch  a.  Vorgang:  Eine  Taschenuhr  wix"<i 
an  der  Kette  vor  Kurt  hin  und  her  geschwungen.  Dauer  A^^^s 
Hinsehens:  10  Sekunden. 

Versuch  b.  Derselbe  Vorgang.  Dauer  des  Hinseher»- s. : 
7  Sekunden. 

Versuch  c.  Derselbe  Vorgang.  Dauer  des  Hinseher""»^- 
12  Sekimden. 

Frage  2.  Versuch  a.  Gegenstand:  Eine  PhotograpÄn- ^^ 
wird  ihm  vorgehalten.    Dauer  des  Hinsehens:  27  Sekund-^s^^* 

Versuch  b.     Gegenstand:  Eine  Taschenuhr  wird  ihm  ^^ 

die  Hand  gegeben.   Kurt  betrachtet  dieselbe:  10  Sekunden^  ^ 

Versuch  c.    Gegenstand:  Es  wird  ihm  ein  Schlüsselbu^i'  *^^ 
gegeben.   Dauer  der  Aufmerksamkeit:  7  Sekunden. 

Frage   3.     Versuch  a.     Akustischer  Reiz:   Klaviersj^  :^»-el 
Kurt  strebt  nach  der  Türe  des  „guten  Zinuners",  2  SekunA^  -^° 
(Wird  durch  eine  auf  dem  Tische  liegende  Taschenuhr 
gelenkt.) 

Versuch  b.    Derselbe  Reiz.    Dauer  des  Hinsehens:  2  -^^ 

künden. 

Versuch  c.    Derselbe  Reiz.    Dauer  des  Hinsehens:  2  ^^ 

künden. 

Frage  4.    Tastreiz:  Streicheln  am  Oberschenkel.    I^^  '^^ 
gibt  sich  dem  Reiz    15   Sekunden  hin. 

Frage  5.  Kurt  beobachtet  die  Lippenbewegungen  h^^^^^ 
Vorsprechen:  4  Sekunden. 

IV,  Versuchsreihe  (vom  18. 1.  03  [348.  Lebenst.]  5—6  Uhr  nac?»  ^^'^ 
(Kurt  hatte  von  3 — 4  Uhr  geschlafen.) 

Frage  i.  Vorgang:  Eine  silberne  Uhrkette  wird  -^'^^ 
Kurts  Augen  hin  und  her  geschwungen.  Dauer  des  Hinsehe  ^^ ' 
5  Sekunden. 


.b 


^mftpwM&im  der  l^ä^Jftm  Sprße^nJwfef^mg, 


253 


IVrage  2,  Versuch  a.  Gegenstand:  Es  wird  ihm  eine 
Tascl^enuhr  in  die  Hand  gegeben.  Kurt  betrachtet  dieselbe 
15     Sekunden, 

^^ersuch  b.  Gegenstand :  Eine  Photographie  wird  ihm 
gegeben,   Dauer  des  Hinsehens:  12  Sekunden, 

Frage  3-  Akustischer  Reiz:  Klavierspiel  Dauer  der 
Aufmerksamkeit:  65  Sekunden.  Er  sieht  zuerst  erstaunt  nach 
der  "Türe  des  „guten  Zimmers*'  imd  fängt  sodann  mit  beiden 
Häoclen  an  zu  „taktieren**. 

Frage  4.  Tastreiz:  Streicheln  am  Oberschenkel  Auf- 
merlcsamkeitsdauer :    10  Sekunden, 

Frage  5.  Versuch  a.  Kurt  beobachtet  die  Lippen* 
be^wegungen  3  Sekunden.  (Wird  durch  Mamas  Brosche  ab* 
gelenkt.) 

Versuch  b.  Aufmerksamkeitsdauer:  2  Sekunden.  (Der 
S^abe  wird  durch  das   Licht  abgelenkt.) 

Was  lehren  uns  nun  diese  Beobachtungen? 

Soweit  sich  die  tatsächUche    Dauer   der   Aufmerksamkeit 

tJn^weideutig  erkennen  läßt  (siehe  L  Versuchsreihe,  Frage  2: 

^' Ersuch  e  und  dj  Frage  4:  Versuch  b  und  c,  Frage  5;  Ver- 

^^c:li  a,  b>  c,  d  und  e;  H,  Versuchsreihe,  Frage  2:  Versuch  d 

^^<3  Frage  5;  HL  Versuchsreihe,  Frage  2;  Versuch  b  und  Cj 

*"^ge  4  und  Frage  5;  IV.  Versuchsreihe,  Frage  2:  Versuch 

^  ^M^nd  b,  Frage  4,  Frage  5 :  Versuch  a  und  b)  erscheint  dieselbe 

~~"^     und  damit  auch  die  Energie  dur  Aufmerksamkeit  —  durch- 

_    ^^  sehr  gering;  in  der  IV.  Versuchsreihe,  Frage  2:  Versuch  a 

_^^t:  sie  als  höchstes  Maß  die  Dauer  von  15  Sekunden  erreicht. 

^«iicksichtigt  man  nun  ferner  noch,  daß  bei  Dingen  und  Vor- 

^^ngen    von    noch    geringerer   Reizintensivitat    beabachtungs 

S^niäß  auch  die  Dauer  (und  Energie)  der  Aufmerksamkeit  eine 

8^«^ingere  ist,  ja  meist  nur  Augenblicke  beträgt^  so  ist  leicht 

^ir^ausehen,  daß  das  Kind  in  dieser  Lebensperiode  noch  nicht 

iit^  Stande  sein  kann,  seine  Wahrnehinungen  zu  analysieren.  Denn 

"^^    den  En\'achsenen  ist  es  notwendig,  daß  er,  um  einen  ihm 

°^^   dahin  unbekannten  Gegenstand  in  allen  Details  auf2ufassen, 

'"^^^  o  eint*  analysierte  Vorstellung  von  ihm  zu  bilden,  demselben 

^^ridestens  längere  Zeit  (einige   Minuten)  seine  Aufmerksam* 

*^*t  zuwendet.    Wie  soUte  dies  nun  bei  dem  Kinde  in  dieser 

^^bensperiode,  dem  doch  die  ihm   entgegentretenden   Dinge 


254  Heinrich  Idelberger. 

und  Vorgänge  alle  mehr  oder  weniger  neu  und  unbekannt  sind, 
anders  sein  können  I  —  Von  diesem  Ergebnis  meiner  Beob- 
achtungen über  die  Energie  der  Aufmerksamkeit  hängt  nun 
die  Entscheidung  der  im  folgenden  zu  behandehiden  Frage, 
wie  die  ersten  gegenständlichen  Wortbedeutungen  des  Kindes 
entstehen  und  welcher  Art  sie  sind,  in  erster  Linie  ab.  Außer- 
dem wird  durch  diese  Beobachtungen  auch  die  rein  lautliche 
Seite  der  Kindersprache  berührt  insofern,  als  durch  die  Energie 
und  Konstanz  der  Aufmerksamkeit  die  korrekte  Erfassung  der 
Sprache  der  Erwachsenen  und  die  Überwachung  der  eigenen 
Wiedergabe  (Nachahmung)  der  vorgesprochenen  Laute  und 
Lautverbindungen  bedingt  ist. 

Nach     diesen     allgemein-psychologischen     Bemerkungen 
schreite  ich  nunmehr  zur  Behandlung  zweier  Hauptproblemess. 
der  kindlichen  Sprachentwickelung,  nämlich  des  Problems  denrr* 
ersten  Wortbedeutungen  und  des  Problems  der  Worterfindung:  ^ 
die  beide  zurzeit  lebhaft  erörtert  werden. 

I.  Das  Problem  der  ersten  Wortbedeutungen 
beim  Kinde. 

Auf  der  Stufe  der  normalen  Hörstummheit  oder  des  Spracl:^- 
verständnisses  (gewöhnlich  vom  sechsten  bis  zwölften  Mona."C) 
hat  das  Kind  gelernt,  einesteils  vorgesprochene  Laute  oder  LauEt- 
verbindungen  nachzuahmen,  andemteils  vorgesprochene  Worte 
zu  verstehen,  ohne  dieselben  nachsprechen  zu  können.    „Ai-if 
dieser  zweifachen  Basis:  auf  dem  bloß  lautlichen  Nachahmen 
vorgesprochener  Worte  und  auf  dem  Sprachverständnis  ohne 
Sprechen  erhebt  sich  meist  am  Anfang  des  zweiten  Leberxs- 
jahres  die  eigentliche  Sprache,  das  lautliche  Nachahmen  von 
Worten  mit  Sprachverständnis"  (Meumann,  Die  Entstehung  der 
ersten  Wortbedeutungen  beim  Kinde;  Leipzig  1902,  Seite     i4 
[im  folgenden  zitiert  als  Meumann  I]  und  Meumann,  Die  Spraol^^ 
des  Kindes;  Zürich  1903,  Seite  25   [zitiert  als  Meumann  Hl)- 
Erst  dann,  wenn  dem   Kinde  artikulierte   Laute    oder  La.'*!^" 
komplexe  Zeichen  für  einen  geistigen  Inhalt  werden  und  vron 
ihm  verwendet  werden,  um  diesen  geistigen  Inhalt  auszudrüclc^^» 
mitzuteilen  und  zu  bezeichnen  (Meumann  I,  Seite  7  imd  MT^^" 
mann  II,  Seite  25)  kann  von  eigentlichem  Sprechen  die  R^^^ 
sein.    Hiemach  haben  wir  es  also  bei  aller  Sprache  mit  zv*''^^ 


Maupif*t&hkm£  der  HndlkhtH  Sprackentwidttmf§g* 


255 


Elementen  zu  tun,  nämlich  dem  Laute  oder  der  Lautverbindung 
und  einem  psychischen  Inhalt  desselben  (derselben)  oder  der 
Wortbedeutung,     Demgemäß  hat  sich  auch  eine  Darstellung 
der  kindlichen   Sprachentwickelung    mit    der   lautHchen   Ent- 
wickelung  der  Wone  (und  der  späteren  syntaktischen  Entwicke- 
lung   der  Sätze)   oder   der   „äußeren   Sprachform*"    (Steinthal) 
und    der  Entwickelung  der   Wortbedeutungen   (und  des   Satz- 
inhaltes) oder  der  „inneren  Sprachform"  zu  befassen.     Unser 
Problem   weist  mir  nun  die  Aufgabe  zu,  die  Entstehung  der 
allerersten  Wortbedeutungen    beim    Kinde    klarzulegen,    eine 
Aufgabe,  die  als  eine  der  schwierigsten  auf  dem  Gebiete  der 
kindlichen  Sprachentwickelung  bezeichnet  werden  muß.   Denn 
während  sich  einerseits  die  äußere  Sprachform  unmittelbar  der 
äußeren  Beobachtung  darbietet,  wir  darum  jede  lautliche  Ver- 
änderung  leicht   feststellen   können,    anderseits   in    bezug   auf 
^ie    innere   Sprachform   in   späteren  Entwickelungsstadien   die 
^^oghchkeit  vorliegt,  uns  mit  dem  Kinde  über  den  Sinn  seiner 
WoriD  durch  gegenseitige  Aussprache  verständigen  zu  können, 
^^    sind  wir  in   jener  Periode,   in   der  das   Kind  seine  ersten 
^^^ortbedeutungen    gewinnt,    auf    eine    sachlich    ungenügende 
1*  orschungsmethode  angewiesen*     Die  Methoden  der  äußeren 
^*2obachiung  und  der  wechselseitigen  Verständigung  versagen 
f^ier   vollständig.     Man  kann  nur  aus  den  sprachlichen  Äuße* 
^txngen  des  Kindes  Rückschlüsse  machen  auf  das,  was  es  damit 
^^int.     Doch  diese  Methode  birgt  die  große  Gefahr  in  sich, 
^ß  der  Erwachsene  den  Äußerungen  des  Kindes  seine  Wort- 
^deutimgen    unterschiebt*     Außerdem    gew^ährt    sie,    unein- 
geschränkt  zur   Anwendung    gebracht,    dem    jeweiligen    sub- 
^^«tiven   sprachwissenschaftlichen  und  philosophischen   Stand- 
'^^*lkte  des  Beobachters  großen  Einfluß  auf  die  Deutung  der 
*"^ten   Kindesworte.     Eine  kurze   Darstellung  der  Geschichte 
^t^Seres  Problems  wird  dies  zeigen.    (Da  der  Schwerpunkt  dieser 
^'^nz^n  Abhandlung  in  der  Mitteilung  und  Verarbeitung  eigener 
^"^obachtungen  Hegt,  so  erlaube  ich  mir,  die  geschichtlichen 
Mitteilungen,  soweit  möglich^  im  Anschluß  an  Meumann  I  und 
^^iimann  II  zu  geben.) 

Die  ersten  deutschen  Erforscher  der  Kindersprache :  Sigis- 
^"und,  Linder  und  Preyer  fassen  die  ersten  Worte  des  Kindes 
*^^   'Wfesentlichen  als   Begriffe  auf,  die  durch   Abstraktion  auf 
es  leichten  Herausfindens  der  Ähnlichkeit  von  Wahr- 


256  Heinrich  Idelberger. 

nehmungsumständen  gewonnen  seien  und  mit  weitestem  UmfsLKXf 
verwendet  würden.    Die  Frage  nach  der  Entstehimg  der  ersü^tr 
Wortbedeutungen  läuft  darxmi  bei  diesen  auf  dem  Standpunkcire 
einer  logischen  Psychologie  stehenden  Beobachtern    vielfa.c:I) 
hinaus  auf  die  Frage  nach  der  Entstehung  von  „Begriffexx**. 
Nach  ihrer  Auffassung  ist  das  Kind,  längst  ehe  die  Spraclie 
beginnt,  im  Besitze  aller  logischen  Funktionen:  der  Begriffs-, 
Urteils-  und  Schlußbildung.  —  (Man  vergleiche  hierzu  z.   B. 
Lindner,  Aus  dem   Natur  garten  der  Kindersprache;    Leipzig- 
1898,  Seite  17,  18,  19  ff.)  „Eine  ähnliche  Ansicht  vertreten  die 
ersten  französischen  Forscher,  insbesondere  Perez,  Compayr^ 
und  Taine."     (Meumann  I,  Seite  2.)     Die  Auffassung  dieser 
Interpreten  der  ersten  Worte  des  Kindes,  die  ich  nach  dem  Vor- 
gange Meumanns  als  die  logisch  begriffliche  bezeichne,  wurde 
fast  gleichzeitig  erschüttert  durch  die  Statistik  der  kindlichen 
Vokabularien,  mit  der  amerikanische  Psychologen  und  Lingu- 
isten vorangingen,  und  durch  die  Kritik  deutscher  Pädagogen 
und  Psychologen,  die  fast  sämtlich  direkt  oder  indirekt  von 
Wundt  angeregt  wurden.    Im  Gegensatz  zu  der  vorhin  gekcan* 
zeichneten  Richtunjg^  vertreten  diese  letzteren  die  Ansicht,  daß  ^ 
sich  bei  des  Kindes  ersten  Wortbedeutungen,  soweit  sie  intellel*' 
tueller  Natur  sind,  um  sehr  unvollständige,  imanalysierte  Wat^T- 
nehmungen  handelt  und  daß  die  sprachliche  Entwickelühg  4*^ 
Kindes  vorerst  lediglich  des  Assoziation^-  und  Reproduktior»-^- 
gesetzen  folgt.     In  diesem   Sinne    haben    neben  Wundt  vCMSr 
besondere  W.  Ament  und  E.  Meumann  die  ältere  Auffassu«ng 
kritisiert.    W.  Ament  nennt  die  ersten  Wortbedeutxmgen  d^ 
Kindes  „Urbegriffe"  (W.  Ament,  Die  Entwickelung  von  Sprech.^ 
und  Denken  beim  Kinde,  Leipzig  1899,  Seite  148  ff.)  und  ^i^ 
damit  sagen,  daß  dieselben  in  intellektueller  Beziehung  eixje 
völlige    Sonderstellung    einnehmen,    sie    sollen    weder  All^^ 
meinbegriffe    noch    Individualbegriffe    sein,    sondern   werd^ 
in  einer  Weise  verwendet,  die  beim  Erwachsenen  nicht  meb'' 
vorkommt.    Nach  Ament  ist  ein  Urbegriff  die  Bedeutung  ein^ 
Wortes,  welches  mit  einer  undifferenzierten  Sachvorstellung  v^' 
knüpft  ist  (Ament,  a.  a.  O.,  Seite   150).    Wegen  der  mang«'' 
haften  Differenzierung  des  Wortinhalts  können  nun  die  Worte 
in  sehr  allgemeiner  Weise  verwendet  werden,  und  die  Art  ihrer 
Verwendung  nennt  er  „Wortverallgemeinerung".    Etwas  Ato- 
liches  wollte  der  englische  Zoologe  Romanes  ausdrücken,  weöft 


ffoMßfpfsFBleme  der  i^äMcken  f^ßrackintwick 


er  die  ersten  Wortbedeutungen  als  ,, Vorbegriffe**  bezeichnete. 
Er  wollte  damit  andeuten^  daß  die  ersten  intellektuellen  Gebilde 
des    Kindes    eine    Zwischenstufe    zwischen    der     allgemeinen 
tierischen    und    der    spezifisch-mensclilichen    Erkenntnis    ein- 
nehmen,  (Aus  Meumann  I,  Seite  43,)   Die  Auffassungen  Aments 
und  Romanes'  haben  das  gemeinsam,  daß  es  sich  bei  des  Kindes 
ersten  Wortbedeutungen  um  eine   noch  nicht   logische   Stufe 
^     der   iniellektuellen    Prozesse   handelt.    ..innerhalb  welcher    die 
Worte  des  Kindes  Namen  von  großer  Allgemeinheit  sind,  mit 
welchen  die  allerverschiedenartigsten  Gegenstände  bezeichnet 
werden.     Femer  wird  dabei   angenommen,    daß    die   Kinder 
anfangs  die  zuerst  erworbenen  Worte  beständig  verallgemeinem, 
'ndem  sie  einen  immer  größeren  Kreis  von  Dingen  unter  die 
gleiche   Bezeichnimg  unterordnen/'    (Meumann    II,   Seite   53.) 
(Iiigentümlicherweise    bezeichnet    Ament    nicht    bloß    logisch 
bea.rbeitete  Vorstellungsgebüde,  sondern  alle  Wortbedeutungen 
^Is     Begriffe.     Dadurch   wird   er   des    Nachweises   überhoben, 
^'^rm  und  wie  sich  bei  der  Bildung  der  kindlichen  VV^ortbedeu- 
tud^en  die  logischen  Funktionen  betätigen,  und  da  er  infolge- 
dessen in  seiner  Darstellung  der  ,,Entwickelung  von  Sprechen 
^i^d  Denken  beim  Kinde*'  gerade  dieses  außerordentlich  schwie- 
^'S-e   Problem   unberücksichtigt  läßt,   kann   man   wohl   sagen, 
daß    er    bei    seiner    Arbeit    auf    halbem    Wege    stehen    ge- 
^'i^ben  ist.    Die  Untersuchungen  Aments  sind  auch  in&afem 
flieht  ganz  einwandfrei,  als  sich  der  Verfasser  in  der  Absicht, 
<len  immerhin  hypothetischen  ParalleUsmus  der  onto genetischen 
,  *^riö  philogenetischen  Sprachentwickelung  nachzuweisen,  dazu 
^*erleiten  läßt,  seine  Beobachtungen  im  Sinne  vorgefaßter  ent- 
^ickclungsgeschichtlicher    und    sprachwissenschaftlicher    Mei- 
nungen  zu  verwenden*)    Ein  weiterer  Gegensatss  in  der  Inter- 
pretation der  ersten  Wortbedeutungen  hat  sich  in  der  jüngsten 
2eit  herausgebildet.    Wahrend  bis  dahin  alle  Beobachter  der 
K^iBdersprache   dieselbe   mehr  oder  weniger   als   intellektuelle 
*-*^ bilde  —  apperzeptive  oder  assoziative  —  ansahen^  hat  Meu- 
^Janji  in  seinen  beiden  obengenannten  Schriften  darauf  hin- 
gewiesen,   daß    die    allerersten   Wortbedeutungen    emotionell- 
^'*>litional€r  Art,  die  ersten  Worte  der  Kinder  also  Gefühls-  und 
^\  unschwörter  seien*     Erst   durch   einen   Prozeß,   den   er  die 
'»JtUellektualisierung'*  der  ersten  Worte  nennt,  werden  die  Wort- 
bedeutungen nach  seiner  Auffassung  gegenständlicher   Natur 

Zdiichfift  für  pädAi^ogi&die  PiychoIogSe,  P-ithotogie  und  Hygiene.  2 


258  Heinrich  ItUlberger. 

(Bezeichnungen  von  Wahrnehmungsinhalten,  Dingen  oder  Vor- 
gängen), ohne  daß  deren  emotionelle  Seite  ganz  zurücktritti 
Diese  Intellektualisierung  der  ersten  Wortbedeutungen  bildet 
nach  ihm  den  Übergang  von  der  „emotionell-volitionalen"  zur 
„assoziativ-reproduktiven**  Sprachstufe.  (Meumann  I  a.  a.  0., 
Seite  5.)  Meine  Aufgabe  soll  nun  darin  bestehen,  an  der  Hand 
eigener  Beobachtungen  eine  Darstellung  der  Entstehung  der 
ersten  Wortbedeutungen  zu  geben,  um  zugleich  auf  diesem 
Wege  ein  Urteil  über  die  Richtigkeit  der  mitgeteilten  Auf- 
fassungen zu  gewinnen. 

Zur  einwandfreien  Lösung  dieser  Aufgabe  halte  ich  die 
unmittelbare  Beobachtung  für  unbedingt  notwendig ;  denn  nur 
dann  ist  es  möglich,  aus  der  jedesmaligen  Wortverwendung 
und  den  sie  eventuell  begleitenden  Gebärden,  vielfach  auch 
aus  dem  Klang  der  Stimme  den  Inhalt  der  ersten  sprachlichen 
Äußerungen  des  Kindes  zu  erschließen  und  so  eine  möglichst 
objektive  Verifikation  ihrer  Deutung  zu  erlangen.  Wo  die 
Bedeutung  der  ersten  Worte  nicht  unzweifelhaft  aus  der  Wort- 
verwendung und  den  angegebenen  Begleiterscheinungen  erkenn- 
bar ist,  werde  ich  mich  bei  der  Interpretation  derselben  einer  von 
Meumaim  zuerst  angewandten  Methode  bedienen,  die  in  der 
Durchführung  folgender  drei  Grimdsätze  besteht: 

1.  „Wo  nicht  besondere  Gründe  entgegenstehen,  haben  wir 
ims  die  Wortbedeutungen  und  die  psychophysischen  Prozesse, 
die  bei  ihrer  Gewinnung  und  Verwendung  in  Aktion  treten, 
so  einfach  wie  möglich  zu  denken. 

2.  Wo  die  Wortbedeutungen  des  Kindes  nicht  vollkommen 
eindeutig  sind,  muß  die  allgemeine  körperlich-geistige  Ent- 
Wickelung  (Entwickeltheit)  des  Kindes  die  maßgebenden  Ge- 
sichtspunkte für  die  Interpretation  abgeben. 

3.  Wenn  irgend  möglich,  muß  die  Deutung  der  kindlichen 
Worte,  ihrer  Gewinnung  und  Verwendung  aus  späteren  Ent- 
wickelungsstadien  geschehen,  die  der  Beobachtung  besser  vy 
gäxiglich  sind.  Insbesondere  müssen  wir  jedesmal,  wenn  ein 
bedeutungsbildender  Prozeß  als  später  eintretend  oder  in  spä- 
teren Jahren  noch  nicht  vorhanden  erwiesen  werden  kann,  diesen 
von  den  früheren  Entwickelungsstadien  absolut  ausschließen.**" 

Nunmehr  lasse  ich  die  unser  Problem  betreffenden  Beob- 
achtungen folgen.  Ich  habe  dieselben  an  verschiedenen  Kindern 
mehrere    Monate   hindurch    aufgezeichnet,    bezw.    aufieicfaliiea 


J/amßiJ^roifkme  ätr  kindUchen  SprachtHiwuMung, 


259 


Daß  das  gesammelte  Material  vielleicht  manches  Minder 
£e  enthält,  das  nicht   geeignet  ist,  zur   Klärung  unserer 
nach  der  Entstehung  der  ersten  Wortbedeutungen  bei- 
wird jedermann  begreiflich  finden,  der  sich  einmal 
befaßt  hat,  kleine  Kinder  zu  beobachten. 
Die  ersten  sprachlichen  ÄuBerungen,  die  mein  Sohn  Kurt 
f  dem  Zeitpunkte,  an  welchem  die  vorliegende  Arbeit  mm 
hluß  kommen  mußte,  gebrauchte,  waren  —  chronologisch 
ihrem  erstmaligen  Auftreten  geordnet  —  die  folgenden : 

I'         I.  wauwau  (wauwa,  wauwo,  wowo^  wowö») 
51.  Tag.    Auf  dem  Büfett  in  dem  „guten  Zimmer**  steht 
feines  Hundchen  aus  Porzellan,  ca.  fünf  Zentimeter  lang, 
kennt  dasselbe  schon  längere  Zeit,  betrachtet  es  allemal 
Jrößter  Freude  und  Verwunderung  und  greift  auch  stets 
eh*    Am  13.  to.  1902  (also  am  251.  Lebenstage)  gehe  ich, 
[auf  dem  Arm  tragend,  wieder  in  den  genannten  VVohu- 
l   Schon  in  der  Türe  richtet  er  den  Blick  nach  der  Stelle, 
tt  das  kleine  „Wauwauchen**  seinen  Platz  hat.    Er  sieht 
id  spricht  sofort  freudig  erregt  und  mit  ziemlicher  Deut- 
feit  „wauwau'\  ohne  daß   ich  ihm  das  Wort  vorher  vor- 
E  hätte*    Gleichzeitig  reckt  er  mit  seinem  linken  Ärmchen 
pi.    Das  Experiment  wiederholt  sich  an  demselben,  sowie 
17*,  314,  und  324.  Lebenstage  jedesmal  in  derselben  Weise. 
02.  Tag.    Kurt  betrachtet  die  Bildchen  in  dem  Katalog 
Schellenbergs  Kaisermagazin*V,    Auf  einmal  zeigt  er  mit 
äußerst  schnellen  Handbewegung  auf  ein  kleines  Näh- 
den  imd  ruft  mehremal  voll  Freude:  „wauwau"  („wauwa"). 
hopst  er  in  seinem  Stühlchen  auf  und  ab* 
57.  Tag.     I.  Kurt  ist  mit  seiner  Mama  in  der  Küche; 
rt  einen   Hund  im   Hofe  bellenj   sieht  verwundert  nach 
Küchenfenster  und  spricht:   wau — wa.   —  2,   Er  spricht 
iu  (wau— wa  oder  wauwö),  als  er  das  BUd  der  Großeltern 
Schaukelpferd  und  die  Wanduhr  sieht.     Allemal   ist  auf 
H  Gesicht  Freude  und  Verwunderung  zu  lesen, 
ji .  T  a  g,    Fräulein  H.  Seh,  kommt,  um  zum  Jahreswechsel 
Uulieren,    Sie  trägt  einen  Pelzboa  mit  Hundekopf.    Kurt 
luf  denselben  und  sagt  „wau— we*'  {Wahrscheinlich  rufen 
lünkeln   Glasaugen   und   die   großen   weißen  Zähne  sein 
M  her\^r.)   An  demselben  Tage  besucht  mich  eine  frühere 

2* 


260  Heinrich  Idelberger, 

Schülerin,  Fräulein  L.  O.,  aus  dem  gleichen  Anlaß.  Ihr  Pelzboa 
ohne  Himdekopf  entlockt  ihm  dieselbe  Lautverbindung. 

334.  Tag.  Onkel  H.  hat  ihm  einen  Giunmimaim geschenkt, 
welcher  infolge  einer  Vorrichtung  allemal  einen  pfeifenden 
Ton  hervorbringt,  sobald  man  ihn  zusammendrückt.  Kurt  reicht 
mir  ihn  (Gummimann)  hin  und  spricht  „wauwe".  (Offenbar 
wünscht  er,  daß  derselbe  wieder  pfeifen  soll.) 

337.  Tag.  Kurt  zeigt  verwundert  auf  Mamas  goldene 
Brosche  und  die  Knöpfe  am  Jackett  und  ruft  „wauwe". 

341.  Tag.  Kurt  zeigt  mit  schnellen  Armbewegungen  nach 
verschiedenen  Stellen  meiner  gekräuselten  Binde  und  stößt  die 
fragliche  Lautverbindung  aus. 

396.  Tag.  Kurt  sieht  die  schwarzen  Knöpfchen  in  meinem 
Vorhemd  und  spricht  mit  dem  Ausdruck  des  höchsten  Staunens 
„wauwe"  und  „wowo**. 

397.  Tag.  I.  Wenn  er  einen  Hund  auf  der  Straße  sieht, 
so  ruft  er  voll  Freude  „wauwau".  —  2.  Kurt  ist  in  der  Schlaf- 
stube, reckt  sein  Ärmchen  nach  dem  Fenster  derselben  nad 
spricht  in  bittendem  Tone  abwechselnd  „wowo"  und  „ß — ß— ß**- 
(Er  will  an  das  Fenster  gehoben  werden  und  Himd  und  Ka»* 
sehen,  die  gewöhnlich  im  Hofe  sind.) 

428.  Tag.  Sobald  er  Knöpfe  oder  Himde  sieht,  sprict*^ 
er  auch  heute  noch  mit  erstaimtem  und  freudigem  Gesielt*'' 
wauwau,  wowo,  wowö  oder  wauwö. 

433.  Tag.    I.  Kurt  hält  mir  ein  Badethermometer  hinucr^° 
spricht  „wowo".    2.  Sieht  Perlen  am  Kleid  und  spricht  „wauwc^^- 
(Siehe  auch  11.  dudu  429.  Tag.) 

443.  Tag.  Kurt  spricht  oftmals  wiederholt  wauwa,  als  ^^ 
sein  kleines  Tuchhundchen  haben  will. 

2.  a-a  (im  Rachen  erzeugt,  kurz  hervorgestoßen.) 
258.  Tag.  Ich  mußte,  da  ich  etwas  unpäßlich  war,  d-^^ 
Bett  hüten.  Meine  Frau  kommt  mit  Kurt  in  die  Schlafstut^- 
Letzterer  gewahrt  meinen  Kopf  mit  dem  dimkeln  Haar,  ^^^ 
unbedeckt  ist,  \md  stößt  den  angegebenen  Laut  redupliziereJCi^ 
aus.     (Offenbar  Ausdruck  seines  Erstaunens.) 

260.  Tag.  Sobald  er  seit  diesem  Tage  etwas  auf  der  Stra-^J 
sah,  was  ihn  lebhaft  interessierte  (Wagen,  Pferde,  Hunde,  Vög^^ 
rief  er  allemal  a — a — a. 

370.  Tag.    Kurt  gebraucht  ihn,  als  er  eine  Droschke  ^S^ 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprachentwicklung,  261 

:r  Landstraße  sieht.  Wie  elektrisiert  schnellt  sein  Zeigefinger 
der  Richtung  des  Gefährtes.  Er  sieht  abwechselnd  nach 
esem  und  mir.  Nunmehr  dient  der  reduplizierte  Laut  der 
itteilung.  Kurt  will  mich  auf  den  Gegenstand  seines  In- 
resses  aufmerksam  machen. 

372.  Tag.  Kurt  hat  in  die  Stube  uriniert.  Er  weist  auf 
e  Spuren  seines  Deliktums  durch  „a — a"  hin.  Desgleichen 
s  seine  Mama  Milch  verschüttet  hat. 

373.  Tag.  Kurt  spricht  „a — a",  sobald  er  den  Drang  zum 
rinieren  fühlt.  (Er  ist  nämlich  verschiedentlich  ausgezankt 
>rden,  sobald  er  ins  Zimmer  uriniert  hat.)  Er  macht  durch 
ese  Lautreduplikation  also  nuranehr  seine  Umgebung  auf 
in  Bedürfnis  aufmerksam.  Die  Accentuierung  ist  folgende: 
a,a-a  etc. 

375.  T  a  g.  Es  sind  einige  Tröpfchen  Milch  auf  dem  Brust- 
«tt  seines  Stühlchens  verschüttet  worden.  Er  zeigt  darauf 
id  sagt:  a-a. 

376.  Tag.  I .  Kurt  macht  durch  die  genannte  sprachliche 
ußerung  auf  ein  auf  dem  Boden  liegendes  Emailletöpfchen 
ifinerksam.  2.  K.  hat  Apfelteilchen  ausgespuckt  und  sich 
tbei  die  Hände  beschmutzt.  Er  hält  die  letzteren  seiner  Mama 
ö,  spricht  J-a  und  beruhigt  sich  nicht  eher,  bis  ihm  dieselbe 
ine  Hände  wieder  vollständig  gesäubert  hat.  3.  Als  er  Brot- 
ämchen  in  seinem  Bettchen  sieht,  weist  er  durch  a-~ 
rauf  hin. 

390.  Tag.  Durch  a-a  verbunden  mit  der  hinzeigenden 
sbärde,  macht  er  auf  die  unter  dem  Bette  stehenden  Pan- 
fein Papas  aufmerksam,  ebenso  auf  das  im  Nachtschränkchen 
hende  Nachttöpfchen. 

412.  T  a  g.  Kürt  hat  aus  einem  Buche  einige  Blätter  gerissen, 
steigt  darauf  und  spricht  a-a-a, 

423.  Tag.  I .  Kurt  sträubt  sich,  als  er  mittags  zum  Schlafen 
^gelegt  wird.  Plötzlich  spricht  er  5'-a.  Er  weiß,  daß  er, 
bald  er  sich  in  dieser  Weise  vernehmbar  macht,  aufgehoben 
«i  abgehalten  wird,  benutzt  also  diese  Erfahrung,  um  aus  seiner 
nach  seiner  Meinung — unangenehmen  Lage  herauszukommen. 
Wenn  man  seit  einigen  Tagen  früh  morgens  an  sein  Bettchen 
^OMiit,  zeigt  er,  diesen  Laut  hervorstoßend,  unter  die  Decke. 

439.  Tag.  I.  Auf  einen  auf  dem  Sofa  liegenden  Regen- 
■^tn  macht  er  durch  g:  * g"  aufmerksam;  1.  desgleichen  auf  ein 


252  Heinrich  Idelberger. 

Tröpfchen  Speichel,  welches  aus  seinem  Munde  auf  meinen 
Rock  gefallen  ist,  als  ich  ihn  auf  dem  Arm  trage. 

3.  ch  (Reibelaut,  nach  ß  übergehend;  ähnlich  dem  eng- 
lischen th.) 

259.  Tag.  Meine  Frau  tippt  mit  dem  Finger  an  den 
geheizten  Ofen  und  spricht  „heißT*  „heißl"  Darüber  lacht 
Kurt  laut  auf  und  ruft  (wahrscheinlich  nachahmend)  ch—ch— eh. 

289.  Tag.  I.  Sobald  er  ein  Licht  sieht,  fängt  er  vor  Freude 
an   zu   hoppsen  imd  stößt  immerzu   den   Laut  ch  aus. 

290.  Tag.  Kurt  versucht  mit  seinem  Zeigefhiger  die  Fliegen 
von  den  Wänden  aufzuscheuchen.  Das  Auffliegen  derselben 
(Fliegen)  erfreut  ihn  sehr  und  veranlaßt  das  genannte  ch. 

322.  Tag.  Der  Christbaum  wird  geschmückt.  Der  An* 
blick  der  glänzenden  Kugeln  erweckt  in  ihm  eine  unbändige 
Freude.  Fortwährend  zeigt  er  nach  denselben  hin  und  ruft 
ch — .ch — ch.  Dieselben  Szenen  wiederholen  sich  am  Abend 
des  nächsten  Tages  beim  Anblick  des  angezündeten  Baum^- 

360.  Tag.  Der  Laut  ch  als  Ausdruck  der  Freude  wird 
nicht  mehr  gehört. 

4.  ä  (nasal,  wie  franz.  in)  und  o  (kurz  gesprochen.) 

267.  Tag.  Wenn  Kurt  irgend  einen  Gegenstand  haben 
will,  so  zeigt  er  nach  demselben  hin  und  spricht  ä  (nasal, 
langgezogen),  und  zwar  solange,  bis  man  seinen  Wunsch  c^* 
füllt  hat. 

273.  Tag.  Der  Ausdruck  seines  Begehrens  ist  ä  (k^^^ 
gesprochen  und  redupliziert),  mit  einer  Schattierung  nach  « 
hin,  begleitet  von  Greifbewegungen. 

313.  Tag.  Sobald  Kurt  aus  der  Stube  oder  ans  Fenster  ^üi, 
so  reicht  er  nach  der  Türe  oder  dem  Fenster  und  ruft  lebb^it 
ö  -  5,  ö  -  ö.     (Der  Ton  liegt  auf  dem  zweiten  o.) 

314.  Tag.  In  der  Abenddämmerung  sitzt  meine  Fr^** 
mit  Kurt  auf  dem  Sofa  der  Wohnstube.  Dieser  reckt  fortwäbre^^ 
nach  der  Gaslampe,  indem  er  sein  bekanntes  o-5  ertön^^ 
läßt.  Da  ich  den  Wimschcharakter  dieser  Reduplikation  kannt^' 
dachte  ich,  er  wünsche  die  Lampe  angezündet  zu  sehen  (i^ 
Dunkeln  zeigte  er  stets  etwas  Furcht,  auch  in  diesem  Alt^'' 
schon).  Als  ich  seinem  vermeintlichen  Wimsche  nachkomin^ 
lacht  er  laut  auf.    Ich  drehe  darauf  die  Gasflamme  noch  einige 


liaupi^rohUtfu  lUr  kindiicken  Spra^kentim^inng. 


2Ö3 


aus  und  zünde  sie  wieder  an.    Jedesmal  reckt  er  im  Dunkeln 

f\  d€r  Lampe  und  wiederholt  sein  o  -  o. 
5.  dada  und  deide. 
320.   Tag,     Kurt  zerzaust  seiner  Mama  das   Haar.  Dies 
nacht  ihmi  wie  es  scheint,  großes  Vergnügen,    Seine  Beschäfti 
fung  begleitet  er  mit  den  angegebenen  Lautverbindungen,  in 
ichmeichelndem  Tone  gesprochen, 

331.  Tag.  Mit  großem  Vergnügen  zupft  er  mich  an  Kopf- 
md  Bart  haar  und  spricht  dazu  sein  j.dada"  und  ,,deide'\ 

337,  Tag.  Kurt  faßt  den  Hals  der  Mama,  legt  sein  Köpfchen 
in  ihren  Backen  und  spricht  mit  scheinbarem  inneren  Wohl- 
behagen  „dada**  und  ,,deide*\ 

430.  Tag.  Diese  Ausdrücke  werden  auch  heute  noch  fast 
i^gehnäßig  gehört,  sobald  K.  seine  Mama  oder  mich  „frisiert*** 

H  6.  baba. 

331-  Tag,  Jedes  Weinen  begleitet  Kurt  durch  vielmalige 
tV^iederholung  der  Silbe  ,jba'*, 

396*  Tag,  Ich  komme  gegen  7  Uhr  abends  vom  Spazier- 
ajig  zurück  nach  Hause  und  setze  mich  an  den  Tisch,  um 
e  Zeitung  zu  lesen.  Kurt  stellt  sich  vor  mich  hin,  weist  mit 
ixien  Fingerchen  auf  mich  hin  und  spricht  j^baba**,  (Schon 
^^e  beantwortete  er  die  Frage:  Wo  ist  der  Papa?  damit, 
^ß  er  auf  mich  hinzeigte.)  Als  ich,  erfreut  über  seine  An- 
^^,  ihn  dieserhalb  lobe  —  was  ihm,  nebenbei  gesagt^  außer- 
cicntlich  gefällt ;  auf  Lob  ist  er  immer  sehr  erpicht  gewesen  ~, 
I-  scheint  er  sich  selbst  seiner  Leistung  erst  voll  bewußt  %yx 
^r-den  imd  ruft  nun  immerzu  ,,baba**,  indem  er  mich  freude- 
»"^hlend  ansieht  und  meine  Knie  umfaßt, 

397.  Tag,  Meine  Frau,  Kurt  und  ich  fahren  in  der 
■^ktrischen  Straßenbahn,  PlatEmangels  halber  muß  ich  mich 
^*  3  m  entfernt  von  den  beiden  niederlassen;  der  Wagen  ist 
^Ü  besetzt.  Kurt  läßt  sämtliche  Wageninsassen  Revue  passieren. 
'Js  er  mich  in  meiner  Ecke  entdeckt,  ruft  er  mit  dem  Ausdruck 
reüdiger  Verwunderung  und  so  laut,  daß  man  es  trotz  des 
^^gengeräusches  durch  den  gan2en  Wagen  hört  „baba'' 
^arna,  ei,  sieh  doch,  da  ist  ja  der  j.baba**  I), 

403,  Tag.  Kurt  ruft  auch  reduplizierend  ,*ba'\  als  er  der 
^^to.  ansichtig  wird,    {Hierzu  ist  nun  zu  bemerken,  daß  er 


264  Heinrich  Idelbcrger, 

sehr  wohl  meine  Frau  und  mich  unterscheiden  konnte.  Fragte 
man  ihn:  Wo  ist  der  Papa?  so  zeigte  er  auf  mich,  und  bei 
der  Frage:  Wo  ist  die  Mama?  nach  meiner  Frau.  Daß  die 
RedupHkation  „baba"  auch  durch  den  Anblick  der  Mutter  aus- 
gelöst wurde,  hat  lediglich  seinen  Grund  darin,  daß  er  die 
Reduplikation  „mama",  so  oft  man  sie  ihm  auch  vorsprechen 
mochte,  zu  dieser  Zeit  noch  nicht  nachahmen  konnte.) 

406.  Tag.  I.  Kurt  hört,  daß  die  Vorplatztüre  aufgeschlossen 
wird  und  spricht  „baba".  (Er  hat  schon  gar  oft  erfahren,  daß 
nach  dem  Aufschließen  der   Papa  eintritt.) 

2.  Ich  beschäftige  mich  mit  meinem  Kinde  in  der  Wohn- 
stube; auf  einmal  wird  die  Vorplatztüre  von  einem  Jungen 
geöffnet,  der  meiner  Frau  etwas  in  der  Stadt  besorgt  hat. 
Kurt  hört  das  Aufschließen  und  spricht  sofort  wieder  „baba". 
(Da  seine  Mama  nicht  im  Zimmer  ist,  glaubt  er  wohl,  diese 
käme;  und  da  er  „mama**  noch  nicht  sprechen  kann,  so  erklärt 
sich  auf  diese  Weise  die  sprachliche  Äußerung.) 

408.  Tag.  Meine  Frau  hat  sich  hinter  die  Küchentüre 
versteckt.  (Er  spielt  nämlich  gern  Verstecken.)  Kurt  sucht  sie. 
Als  er  sie  endlich  findet,  ruft  er  freudestrahlend  immerzu  sein 
„baba",  trotzdem  er  mich  eben  erst  in  der  Wohnstube  ver- 
lassen hat. 

409.  Tag.  I .  Er  begrüßt  mich  mit  dieser  Anrede,  indeno 
er  auf  mich  deutet,  als  er  am  Morgen  früh  aufwacht  und  mich 
im  Schlafzimmer  gewahrt. 

2.  Ich  gebe  Kurt  eine  mir  zugegangene  Schneiderofferte, 
auf  welcher  Männer  in  den  verschiedensten  Garderoben  al> 
gebildet  sind.  Er  deutet  auf  die  einzelnen  Gestalten  und  neiH^^ 
sie  alle  „baba". 

410.  Tag.  Kurt  hat  auf  die  Aufforderung  hin:  Ruf  4^" 
Papa!  stets  sein  ,,baba**  hören  lassen.  Nun  sage  ich  ihrti* 
Ruf  dem  „Bibi'M  (Das  Lallwort  „bibi"  konnte  er  nachahmet^) 
Als  ich  kaxmi  das  Wörtchen  „Ruf"  ausgesprochen  habe,  ertc>^^ 
auch  schon  das  „baba".  (Mechanische  Auslösung  durch  as^^' 
ziative  Suggestion;  wurde  jedoch  nur  einige  Tage  bemerk^' 

411.  Tag.  Ich  spiele  auf  dem  Pianino.  Kurt,  der  Mu^* 
sehr  gern  hört  und  selbst  gern  „spielt",  kommt  zu  mir,  häng^ 
sich  auf  meine  Knie  und  bittet  in  einem  fort  „baba",  „bal>^  • 
Erst  als  ich  ihn  auf  den  Schoß  nehme,  so  daß  er  auf  4^^ 
Instrument  henimhämmem  kann,  ist  er  ruhig. 


Hauptprobleme  der  kindlidi^H  Spreichentwidüung.  265 

412.  Tag.  I.  Kurt  steht  auf  dem  Balkon  neben  seinem 
hieben.  Er  möchte  ein  Streichhölzchen  unter  dem  letzteren 
vorholen  (und  weiterhin  dann,  wie  auch  sonst,  wahrschein- 
i  hinxmter  in  den  Hof  werfen).  Er  kann  dasselbe  aber  nicht 
issen,  fängt  an  zu  schreien  und  ruft  immerzu  „baba".  (Papa 
*s  ihm  holen.) 

2.  Er  spricht  „baba",  als  er  beim  Kaffeetrinken  Brot  haben 
,  desgleichen,  als  er  die  Tischschublade  geöffnet  haben 
hte. 

3.  Als  ich  ihm  am  Abend,  nachdem  ihn  seine  Mama  zu 
:  gebracht  hat,  „gute  Nacht"  sage  und  das  Schlafzimmer 
asse,  sagt  er:  „baba,  adda"  (Papa  geht  forti). 

414.  Tag.  Indem  er  beim  Mittagessen  aui  meinen  Teller 
t,  spricht  er  die  genannte  Reduplikation.  Er  nimmt  keine 
ise  mehr  von  seiner  Mama,  bis  sie  aus  meinem  Teller  ge- 
ipft  hat.  Sein  „baba**  bedeutete  also  lediglich  den  Wunsch : 
will  von  Papas  Teller  essen  I  Dieser  Vorgang  wiederholt 
in  der  Folgezeit  noch  gar  häufig. 

422.  Tag.  Meine  Frau,  welche  Kurt  auf  dem  Arm  hält, 
t  diesen,  auf  mich  zeigend:  Wer  ist  das?  Kurts  Ant- 
t:  baba. 

430.  Tag.  Ich  verabschiede  mich  von  Kurt,  um  auszu- 
en.  Als  ich  die  Vorplatztüre  zuklappe,  sagt  er:  da,  baba 
Papa  hat  die  Türe  zugemacht,  „da**  [kurz]  sprach  er  näm- 
allemal,  wenn  eine  Türe  geschlossen  wurde). 
434.  Tag.  I.  Als  er  morgens  wach  wird,  hört  er  Papas 
te  im  Nebenzimmer.  Sofort  spricht  er,  zu  seiner  Mama 
eödet,  „baba**  (das  ist  der  Papa). 

2.  Kurt  will  auf  das  Sofa  gehoben  werden  und  spricht 
ba,  obba". 

448.  Tag.  Kurt  sieht  Papas  Hosen  am  Haken  hängen,  zeigt 
auf  und  spricht  „baba**. 

450.  Tag.  „Baba**  wird  als  Ausdruck  eines  jeden  Wunsches 
raucht,  dessen  Erfüllung  er  von  seinem  Papa  erwartet. 

7.  ada. 
390.  Tag.    I .  Kurt  spricht  mehreremal  „ada**,  als  ihn  seine 
k^r  zum  Ausfahren  angezogen  hat;  desgleichen,  als  ich, 
Itrf  dem  Arm,  die  Vorplatztüre  bei  der  Rückkehr  aufsehUefie. 
394.  Tag.  Er  zeigt  nach  der  Türe  und  ^gt  „adÄ**  (Wunsch, 


266  Heinrich  Idelherger. 

fortzugehen);  ebenso,  als  ich,  den  Überzieher  angezogen,  <ias 
Zimmer  verlasse. 

397.  Tag.    Ich  ziehe  Weste  und  Rock  an;  Kurt  sieht  dies 
xmd  spricht  „ada**. 

403.  Tag.  Wenn  man  ihn  fragt:  Wo  warst  du  hin?  oder: 
Wo  gehen  wir  denn  hin?  antwortet  er  mit  seinem  ,,ada". 

412.  Tag.  Als  ich  am  Abend  nach  Hause  komme,  sitzt 
Kurt  in  seinem  Stühlchen  am  Tisch  in  der  Wohnstube.  Er  sielit 
mich  und  spricht:  „baba  ada".  (Sollte  wohl  heißen:  Paj>^ 
war  fort.    Man  vergleiche  hierzu  auch  6.  baba,  412.  Tag.  13-^ 

421.  Ta  g.   Als  ich  fortgehe  und  die  Türe  zuklappe,  sprici^"* 
er:  „ada,  baba". 

431.  Tag.    Kurt  ist  in  der  letzten  Zeit  angehalten  worde:-^^^^-^' 
allen  Besuchern  beim  Weggehen  ein  Händchen  zu  geben.  Da^^^^^ 
aufgefordert,  tut  er  dies   auch  heute,  als  sich  Frau  N.  v( 
abschiedet,  und  sagt  zugleich   „ada". 

446.  Tag.  I .  Als  ich  ausgehe,  kommt  mir  Kurt  bis  an  ( 
Vorplatztüre  nach  und  ruft  in  bittendem  Ton  mehreremal  „adj 

2.  Eine  Freundin  meiner  Frau  ist  mit  ihrem  kleinen  Jung 
bei  uns  zu  Besuch.  Nachdem  dieselbe  weggegangen  und  Ki 
gefragt  wird:   Wohin  ist  das  Kindchen?  antwortet  er:  „a 


le 


8.  obba. 

391.    Tag.     I.   Kurt  sitzt  auf  dem   Boden;  er  reckt  c3 
Ärmcheu  nach  mir  (möchte  aufgehoben  werden)  und  spri( — n^  Tit 
in  einem  fort  „obba",  bis  ich  seine  Bitte  erfülle. 

2.  Er  hebt  den  Schürhaken  —  nebenbei  gesagt,  eines  seil  ^  gr 
liebsten  Spieldinge  —  vom  Boden  auf  und  sagt  ebenso. 

396.  Tag.  K.  will  vom  Arm  der  Mutter  auf  den  BoA^^^n, 
um  zu  laufen;  er  gibt  diesen  Wunsch  durch  die  angegeb^^=nc 
sprachliche  Äußerung  und  gleichzeitiges  Recken  nut  den  Tk^m —  ui* 
chen  kund. 

397.  Tag.  „obba"  spricht  er,  wenn  er  aus  seinem  Stm— 5ihl- 
chen  will. 

404.  Tag.  Kurt  spricht  allemal  „obba",  sobald  er  ^^^^^ 
niederhockelt  (Kniebeuge). 

406.  Tag.  Wenn  er  einen  Gegenstand  (Löffel,  ^^  ^^"^^^ 
Schürhaken  etc.)  auf  den  Boden  wirft,  so  begleitet  er  cü^se 
Tätigkeit  durch  „obba".  Ebenso  läßt  er  dasselbe  hören,  so^t^*^^ 
er  einen  solchen  zum  Hinwerfen  bereit  hält.    Z.  B.:    Er       '^^ 


i 


l^cmptpj^Mems  der  kth^icken  Sprackentt^kinni^, 


267 


eioen  Löffel  auf  den  Boden  werfen.    Ich  habe  ihm  dies  des 
äf t>eren  untersagt.    Er  sieht  mich  mit  fragendem  Blick  an  und 

410.  Tag.  Kurt  sitzt  im  Stiihlchen.  Sein  Schürhaken  ist 
luf  den  Boden  gefallen.  Er  sieht  mich  an  undj  auf  das  Eisen 
i^igend,  spricht  er  in  einem  fort:  „obba**,  bis  ich  dasselbe 
iu fliehe  und  ihm  gebe. 

423,  Tag.  Er  hat  verschiedene  kleine  Gegenstände  vom 
^^.llcon  in  den  Hof  hinabgeworfen.  Indem  er  mich  ansieht 
iricl  mit  seinem  Finger  in  den  Hof  zeigt,  spricht  er:  „obba". 
I^h    soll   sie   heraufholen,) 

424*  Tag.  I*  Kurt  hat  Brot  aus  dem  Küchenschrank  ent- 
loroTOen  und  wirft  es  auf  den  Boden,  Ich  hebe  es  auf  und  lege 
es  wieder  an  seinen  Platz.  Mein  Junge  reicht  nach  dem  Schrank 
BTKi    spricht:  „obba". 

2*  Kurt  will  aus  dem  Bettchen  aufgehoben  werden  und  spricht 
abivechselnd  a — a  und  „obba**,   (VergL  hierzu  2.  a — a,  423.  Tag!) 

3,  Er  sitzt  in  seinem  Stühlchen  am  Tisch  und  wirft  einen 
Apfel  auf  denselben.  Nun  möchte  er  denselben  wieder  haben 
i^^«i   sagt:  ,,obba'^ 

4,  Dasselbe  wiederholt  sich,  als  er  ein  entfernt  von  ihm 
liegendes  Streichhölzchen  nehmen  möchte. 

425.  Tag.  I.  Kurt  sitzt  in  seinem  Stühlchen  am  Kaffee^ 
tisch.  Er  zeigt  nach  der  offenstehenden  Türe  und  ruft  im 
bittenden  Tone:  „obba*\ 

2.  Er  ist  in  der  ,,guten  Stube'*  und  will  hinausschreiten, 
lieht    die   Zinmiertüre  auf  und  begleitet  diese   Tätigkeit   mit 

(      3.  Seine  Mama  öffnet  die  Balkoniüre  und  Kurt  laßt  dasselbe 
Wt  hören. 

427*  Tag:  K  Kurt  spricht  es,  als  er  eine  auf  dem  Stuhl 
^^^gende  Streichholzschachtel  ergreift.  Desgleichen  sagt  er 
>iOhija**,  als  er  die  Kartoffelschalen,  die  er  vorher  auf  den  Boden 
S^w-orfen,  wieder  aufhebt  und  in  einen  nebenstehenden  Korb 
legt. 

^^H      429,  Tag.    Kurt  hat  seit  einigen  Tagen  gelernt,  sich  ohne 
^'^'^mde  Hilfe  aus  dem  Sitzen  zu  erheben.  Dies  macht  ihm  solche 
^ude,  daß  er  sich  in  einem  fort  hinset^st  und  wieder  aufsteht, 
*^%s  Hinsetzen  sowohl,  als  auch  das  Aufstehen  begleitet  er  stets 
^it  „obba"\ 


268  Htinrich  IcUlherger. 

9.  hich-hich. 
394.  Tag.    Sobald  Kurt  sein  Schaukelpferd  bewegt,  aruit 
er  voll  Freude  hich— hieb.     (Wird  nur  einige  Tage  geh&art.) 

IG.  B-B. 
397.  Tag.  Kurt  ist  in  der  Schlafstube,  reckt  seine  ä^a  jlü- 
chen  nach  dem  Fenster  derselben  und  spricht  in  bittendem 
Tone  abwechsehid  „wowo"  und  „ß— ß— ß".  (Er  will  suis 
Fenster  gehoben  werden  und  Hund  oder  Katze  sehen,  c3üe 
gewöhnlich  im  Hofe  sind.    Seit  einigen  Tagen  ruft  er  nämlich 

allemal,  sobald  er  die  letztere  im  Hofe  sieht,  voll  Freude:  ß ü; 

—  Nachahmung  des  Lockrufes  der  Katze  — ). 

II.  du-du. 

397.  Tag.  Ich  habe  seit  längerer  Zeit,  wenn  Kurt  s^in 
Schaukelpferd  bewegte,  stets:  Raragäulchen,  ju — ju!  ge- 
sprochen. Heute  spricht  er  nun  bei  dieser  Betätigung,  d^ 
„ju — ju"  nachahmend,  „du — du";  dabei  jauchzt  er  gerad^^u 
vor  Freude;  je  ärger  das  Pferdchen  schaukelt,  desto  vc%&^ 
freut  er  sich. 

405.  Tag.  Kurt  sprach  die  Reduplikation  als  er  auf  seii^^^ 
Spazierfahrt  laufende  Pferde  sah.  Auf  seinem  Gesicht  ist  gro-^^ 
Freude  zu  lesen. 

411.  Tag.  In  der  „guten  Stube"  hängt  das  Bild  eÜ»-^ 
Pferdes  (Ölgemälde);  beim  Anblick  desselben  wird  ebenf3-^^^ 
das  „du — du"  ausgelöst. 

417.  Tag.  I.  Sobald  er  das  Rollen,  eines  Wagens  h<>^' 
sieht  und  zeigt  er  unaufhörlich  nach  dem  Fenster  und  spriol^^; 
„du — du",  desgleichen  beim  Sausen  des  Windes  (glaubt  es  ^^^ 
ein  Wagen).  Hebt  man  ihn  nicht  hoch,  damit  er  das  Geit^^^^^^ 
sehen  kann,  so  fängt  er  an  zu  weinen. 

2.  Kurt  gewahrt  im  Spiegelschrank  der  „guten  Stube"  ^^^^ 
Spiegelbild  des  Ölgemäldes  vom  Pferde  und  sagt:  „dudu**- 

418.  Tag.    Meine  Frau  hat  Kurt  auf  dem  Arm  und  näl^^ 
sich  dem  Fenster  des  Wohnzimmers.    Auch  ohne  daß  Wag^^^' 
gerassei  vernehmbar  ist,  ruft  er  „du — du".    (Freut  sich  sch^^^ 
in  dem  Gedanken,  daß  er  jetzt  „du — du"  sehen  werde.) 

419.  Tag.  Wir  sitzen  am  Kaffeetisch.  Auf  einmal  set^ 
Kurt  ein  außerordentlich  wichtiges  Gesicht  auf  und  ruft  ga^^ 
unvermittelt  mehreremal  „du — du"  xmd  „wauwau"  (wowa). 


HauptprohUnte  der  kindlichen  Sprachentwicklung.  269 

420.  Tag.  Dasselbe  Schauspiel  wiederholt  sich  heute  früh 
als  ich  ihm  beim  Aufwachen  begrüßen  will,  nur  mit  dem  Unter- 
schied, daß  jetzt  auch  die  „ß — ß**  (Katze)  noch  in  der  Gesell- 
sctkaft  seiner  Lieblingstiere  „du — du"  und  „wauwau**  erscheint. 
IVIit:  dem  Ausdruck  der  größten  Freude  wiederholt  er  diese 
W<3rte  mehreremal  in  der   verschiedensten  Aufeinanderfolge. 

429.  Tag.   Kurt  besitzt  neben  einem  großen  Schaukelpferd 

riocz:h  zwei,  kleine  Holzpf erdchen.    Als  er  nun  heute  in  seinem 

Stüllchen  sitzt  und  seine  Spielsachen  vor  sich  hat,  nimmt  er 

dsLS»  eine  dieser  Holzpferdchen   in  die  linke  Hand,  reicht  es 

mir-  hin  und  spricht  dazu  immerfort  mit  dem  Ausdruck  der 

größten  Wichtigkeit  „du — du".    Darauf  nimmt  er  das  andere 

in  <3ie  rechte  Hand  und  tut  wie  zuvor.   Um  sein  Unterscheidungs- 

veinnögen  zu  prüfen,  nehme  ich  sein  kleines  Tuchhundchen, 

>v^lches  in  der  Größe   dem  kleineren   Holzpferdchen  gleich- 

^oxumt,  und  halte  es  ihm  vor;  sofort  sagt  er  „wowa"  (wau — wau). 

431.  Tag.    Kurt  sitzt  in  seinem  Stühlchen  am  Mittagstisch 

^rid   neben  ihm  meine  Frau  imd  ich.     Plötzlich  gerät  er  in 

freudige  Erregung  und  ruft  „dudu",  „bibi",  „wauwau",  „ß— ß** 

"^  bunten  Wechsel  durcheinander.    In  seiner  Erregung  über- 

^stet  er  sich  oft,   so   daß   Wortbildungen,   wie  „bi— dudu", 

»w-a-u — dudu",  „du — wauwau",  „wau — bibi"  etc.  erzeugt  werden. 

v^ine  Lieblingstiere  „gehen  ihm  sehr  im  Kopfe  herum",  sie 

?^h^n  mit  ihm  zu  Bett  und  stehen  mit  ihm  auf  1) 

436.  Tag.    Er  hört  Pferdegetrappel  auf  der  Straßb  und 
^^^t    „dudu". 

12.  bibi. 

406.  Tag.    Kurt  spricht  „bibi".    Trotzdem  er  die  „bibi" 

^f- ^-Viben  und  Hühner,  die  er  tagtäglich  im  nebenanliegenden 

^^^ff-e  eines  Bäckers  sieht)  schon  lange  kennt  und  die  Frage: 

^2!/^    sind  die  bibi?  prompt  mit  der  Blickrichtung  und  durch 

^^>.2eigen  beantwortet,  ist  es  doch  zweifelhaft,  ob  er  mit  der 

^%r"^gebenen  gesprochenen  Reduplikation  einen  geistigen  Inhalt 

^^^^Dindet.    Er  ahmt  dieselbe  in  der  Wohnstube  auf  Vorsagen 

^^^    nach.  Wahrscheinlich  haben  wir  es  noch  mit  einem  inhalt- 

^^cn  Lallwort  zu  tun. 

421.  Tag.    H^ute  spricht  Kurt  spontan  das  Wort  „bibi", 
^    «  Tauben  im  angrenzenden  Hofe  auffliegen  sieht.    (Vergl. 

^  -     dudu,  431.  Tagl) 


270  Hein f  ich  Idelberger. 

13.  da. 

406.    Tag.    Sobald   eine   Türe,  besonders   die   des    Vor- 
platzes, zuklappt,  spricht  er  „da". 

426.  Tag.  Kurt  will  einen  Schlüssel  aus  der  obersten  Schut>- 
lade  einer  Kommode,  die  auf  dem  Vorplatz  steht,  ziehen.  DaihtX^ 
dies  nicht  gelingt,  kommt  er  zu  mir  in  die  Küche,  sieht  mic^^ 
an  imd  spricht,  auf  die  Kommode  zeigend,  in  weinerlichem  Toi»^  '• 
ö — ö.     Ich  nehme  daraufhin   den  Schlüssel  mit   der  rechte:^ 
Hand  aus  der  Schublade;  Kurt  greift  sofort  danach.    Statt  ihr^Äi 
denselben  zu  geben,  lege  ich  ihn,  beide  Hände  auf  dem  Rücke  "»1 
haltend,  aus  der  rechten  in  die  linke   Hand  und  halte  ihir:aci 
nun  die  leere  Rechte  hin.    Kurt  sieht  dieselbe  erstaunt  an  m^  '<1 
spricht  ;,da**. 

430.  Tag.  Er  sagt  „da,  baba",  als  ich  beim  Fortgehen 
die  Türe  zumache.    (Vergl.  hierzu  6.  baba,  430.  Tag.) 

14.  mama. 

418.  Tag.  Heute  gelingt  ihm  öfters  die  Nachahmimg  A-es 
Wortes  „Mama**. 

419.  T  a  g.  Er  übt  fortgesetzt  das  „mama**.  Seine  Leistung: 
scheint  ihm  große  Freude  zu  bereiten. 

423.  Tag.  Er  gewahrt  meine  Frau  in  der  Küche  und  rtx£t 
mit  freudiger  Miene  „mama**.  Von  jetzt  ab  konmit  es  wiederholt 
vor,  daß  der  Anblick  der  Mama  das  genannte  Wort  auslöst. 
Er  spricht  dasselbe  stets  sehr  langsam.  Die  Produktion  scheixit 
ihm  noch  schwer  zu  fallen.  „Baba**  wendet  er  nicht  mehr  a-'t-if 
meine  Frau  an.  (Vergl.  hierzu  die  Bemerkung  bei  6.  bal>^> 
403.  Tagl) 

438.  Tag.  Fräulein  B.  im  Hause  vis-a-vis  steht  im  Fenster 
imd  spricht  mit  mir.  Ich  sage  zu  Kurt,  den  ich  auf  dem  A.:^"t^ 
halte,  indem  ich  hinüberzeige :  Ruf  I    Sofort  spricht  K.  „mam^"- 

449.  Tag.  „Mama**  ist  Ausdruck  eines  jeden  WunsclB^^s, 
dessen  Erfüllung  er  von  der  Mama  erwartet. 

15.  mimi. 

422.  Tag.  Spricht  „mimi**.  (Wahrscheinlich  noch  l^^I- 
wort.) 

431.  Tag.  Seine  Mama  hält  ihm  eine  Tasse  Milch  "^^^^ 
ohne  ein  Wort  zu  sprechen.  Kurt  spricht,  indem  er  nach  ^^^ 
Tasse  reicht,   verschiedenemal  in  dringendem  Tone  „miocii". 


i 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprachentwicklung,  271 

i6.  bitte  (beite-beute). 

..  Tag.  Kurt  ahmt  das  ihm  vorgesprochene  „bitte,  bitte" 
tte,  beite  und  beute"  nach  (Lallwort). 
.  Tag.  Er  wirft  seinen  Gummiball  mehreremal  auf 
den  und  begleitet  jedes  Hinwerfen  mit  „bitte"  oder 
.  Dabei  freut  er  sich  ungemein. 
.  Tag.  Holzblättchen,  Schürhakto  und  Ball  wirft  er 
:r  Wucht  auf  den  Boden  und  spricht  jedesmal,  indem 
„Mund  recht  voll  packt",  „bitte"  oder  „beute". 

17.  na- na  (übergehend  nach  nein-nein). 

.Tag.     Kurt  schüttelt,  als  er  essen  soll,  verneinend 

jfchen  und  spricht  „nana".    (Nachahmxmg  von  „nein — 

vomit  jedes  Verbot  der  Eltern  seit  langer  Zeit  seinen 

iß  findet.) 

.Tag.    Ich  frage  ihn:  WUlst  du  „lulu"  (Schläfchen) 

.    Kurt  schüttelt  das  Köpfchen  und  sagt  „nana". 

.Tag.    I.  Als  ich  meinen  Morgenkaffee  trinke,  reicht 

ich  meinem  Brot  und  spricht  „nana". 

Curt  fährt  das  Rädergäulchen  durchs  Wohnzimmer.  Als 

1  ein  Hindernis  in  den  Weg  stellt,  spricht  er  unwillig 
«< 

.Tag.  Kurt  bleibt  mit  dem  Schürhaken  an  einem  Gegen- 
Lngen  und  spricht  na — na  (Ausdruck  des  Mißbehagens). 

18.  beu-dododo. 

.  Tag.  Heute  verspricht  er  beim  Hinwerfen  seines 
erschiedenemal :  beu — dododo.  (Entstanden  aus  „beute" 
:  16  —  und  dudu  —  Wort  ii.) 

19.  didi. 

Tag.  Kurt  spricht  dasselbe  allemal,  wenn  er  sich  freut, 
nicht  weniger  als  438  Mal  gebraucht.)*) 
\nschluß  an  die  MitteUung  der  sprachlichen  Äußenmgen 
eigenen  Kindes  gebe  ich  auch  die  an  anderen*  in  den 
Jprachanfängen  stehenden  Kindern  gemachten  Beob- 
en  wieder,  soweit  sie  geeignet  erscheinen,  ein  helleres 

)ie  Fortsetzung  dieser  Aufzeichnungen  siehe  in  dem  „Nachtrag'', 


272  Heinrich  Idelberger, 

Licht  auf  die  bei  der  Bildung  der  ersten  Wortbedeutungen  s^tsitt- 
findenden  psychischen  Prozesse  201  werfen. 

L  Qertrude  Stahl. 

15.  Lebensmonat.  Das  Wort  ^^mania*'  wird  von  ihr 
allemal  gebraucht,  sobald  sie  etwas  Eßbares  sieht  und  dass4Bll)e 
haben  möchte.  Demselben  Wunsch  dient  auch  die  Rcdi-»pli- 
kation  „nam — nam". 

16.  Monat,  „popo"  (Nachahmung  des  Wortes  „ICar- 
toffeln")  spricht  sie  in  oftmaliger  Wiederholung,  wenn  sie  vx)n 
den  auf  dem  Tisch  stehenden  Kartoffeln  haben  will.  (VerS^- 
hierzu  meine  hierauf  bezüglichen  Ausführungen  bei  der  Be- 
handlung des  Problems  der  Worterfindung.)  Jei  (Brei)  ^wrird 
hervorgebracht,  wenn  die  Mama  den  Brei  bringt.  Hi — hi  i^^ 
Ausdruck  der  Freude. 

„di — di**  spricht  sie,  wenn  sie  irgend  einen  Gegenstand 
haben  möchte. 

Durch  „mimi**  gibt  sie  den  Wimsch  nach  Milch  zu  erkenn^^- 
Durch  „hu**  drückt  sie  ihr  Verlangen  nach  Suppe  aus. 

Sonne  und  Mond  nennt  sie  „mmo**.  „Opa**  sagt  sie,  sob^^ 
sie  auf  das  Sofa  oder  auf  einen  Stuhl  gesetzt  werden  vriJ^- 

Gegen  Ende  des  16.  Monats  wird  „hm**  (dringend  &^' 
sprochen)  als  Ausdruck  eines  Begehrens  gebraucht. 

„mü — mü**  spricht  sie  voll  Freude,  wenn  sie  einer  Fli^^^ 
ansichtig  wird  („mü — mü**  Nachahmung  von  Mücke). 

Die  Worte  „bubo**,  „bi**,  „ab**,  verbunden  mit  Gr^^' 
bewegungen,  werden  gesprochen,  sobald  sie  ein  Butterb^"^' 
eine  Birne,  oder  Äpfel  haben  möchte. 

17.  Monat.    Mit  „mimi**  bezeichnet  sie  jetzt  alles  Eßb^--^  " 
(Milch  verlangt  sie  jetzt  durch  „mich**.)     Gleichzeitig  dient: 

als  Ausdruck  bezw.  Mitteilung  des  Begehrens. 

„Mama**    gebraucht    G.    St.    jetzt    bei    allen    möglic 
Wünschen.     (Mama  soll  ihr  die  betr.  Gegenstände  ihres 
gehrens  geben.) 

Herrn  E.  empfängt  sie   mit  dem   Wort   „baba**.      (T:^^ 
einen  Schnurrbart  und  Spitzbart,  wie  Herr  Stahl.)  , 

Indem  sie  die  Hände  zum  Abputzen  hinhält,  spricht  sie  „a-^^^^ 
(Wunsch.) 

18.  Monat,     „hei**   wird   als   Ausdruck   der   Freude 
braucht. 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprachentwicklung.  273 

G.  spricht  „a — a**,  sobald  sie  auf  das  Töpfchen  will.  Sie 
erzeugt  dieselbe  sprachliche  Äußerung,  sobald  sie  das  Töpfchen 
sieht  und  kein  Bedürfnis  verspürt. 

Ihi-  zwei  Monate  altes  kleines  Schwesterchen  nennt  sie 
„bobch**,  sobald  dasselbe  weint,  teilt  sie  dies  ihrer  Mama  mit 
den    Worten  mit:  „bobch  a**  (langgezogen). 

Gertr.  nimmt  die  Tasche,  geht  der  Türe  zu  xmd  sagt  „ada" 
(soll  heißen:  ich  gehe  jetzt  fort).  Wenn  ihr  kleines  Schwester- 
chen gebadet  werden  soll,  kündigt  sie  dies  demselben  an  mit 
den  Worten:  „bobch,  jeich  ba**,  (eine  der  Mutter  nachgeahmte 
Redensart:  Schwesterchen,  du  wirst  gleich  gebadet.  Daß  sie 
mit  dem  Wörtchen  „jeich"  eine  Zeitvorstellung  verbindet,  ist 
un^rahrscheinlich.) 

Sobald  ihre  Mama  die  kleine  Marie,  ihr  Schwesterchen, 
aus   dem  Bettchen  aufhebt,  sagt  sie  „auf*. 

„ab"  spricht  sie,  wenn  Mama  die  Kleine  von  den  Windeln 
entblößt. 

Wenn  Frau  St.  damit  beginnt,  die  entblößte  Marie  wieder 
VI  wickeln,  reicht  sie  die  Sicherheitsnadeln  und  sagt  „nä" 
(d.   h.:  hier  hast  du  das  Nädelchen). 

Der  Anblick  des  Häubchens,  welches  die  Mama  dem 
Schwesterchen  beim  Ausgehen  aufsetzt,  entlockt  ihr  das  be- 
^nnte  „ada". 

Ich  (der  Beobachter)  zeige  ihr  mein  Taschenmesser  und 
fra^e  sie:  Was  ist  das?    Antwort:  „baba"  «=»  das  gehört  dem 

Sic  zeigt  auf  das  Handtuch  und  spricht  „ab",  obwohl  ihre 
"äiide  weder  schmutzig  noch  naß  sind.  (Soll  wohl  heißen: 
^^s  dient  zimi  Abtrocknen.) 

Ihr  Schuhchen  nennt  sie  „hu",  ebenso  meine  Tuch- 
P^ixtoffehi. 

Während  Mama  die  Hände  abtrocknet,  sagt  sie  „ab"  (soll 
*^^ißen:    Mama  trocknet  die  Hände  ab.) 

19.  Monat.  Ei  und  Eierschalen  nennt  sie  „Gackei".  Das- 
^^be  Wort  gebraucht  sie,  sobald  Mama  die  Suppe  anrichtet, 
^    welche  gewöhnlich  ein  Ei  kommt. 

„a — a  böbch"  heißt :   Ich  fühle  ein  Bedürfnis  imd  will  das 
Töpfchen  haben. 
l  20.  M  o  n  a  t.    Sobald  sie  vom  Trottoir  heruntergeht,  spricht 

1  Zeitschrift  für  pfidagogische  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene.  3 


274  Htinrich  ItUlbtrger. 

sie :  „ab — dei**  (absteigen) ;  den  umgekehrten  Vorgang  begleitet 
sie  mit  „opa". 

„ada  häs"  =  ich  will  zu  den  Häschen  (Stallhasen)  gehen. 

Als  Mama  Gertrude  das  Waschbecken  abnimmt,  spricht 
diese  weinend  „wa"  =  ich  will  mich  waschen. 

„u — wa"  (zumachen)  sagt  sie,  indem  sie  die  Türe  bchHeßt.     

Gertr.  sieht  die  Zwiebacksdose  und  spricht  in  oftmaliger  - — 
Wiederholung  „wiewat". 

IL  Rose  Bartscher. 

15.  Lebensmonat.     Rose    hält    der   Mutter    ein    Stüc^^L*^ 
Brot  hin  und  sagt :  „beis"  =  Mutter  soll  beißen. 

Sie  spricht  „uch**  (Kuchen)  reduplizierend,  d.  h.  ich  wifc^  13 
Kuchen  haben. 

„hisch"  ist  der  Ausdruck  ihres  Verlangens  nach  Wur^^^. 

16.  Monat.  Rosel  sieht  das  Bild,  welches  ein  Kind  da^i-. 
stellt.  Sie  ruft  mit  größter  Freude,  indem  sie  danach  greiÄ't:  : 
„didi,  didi".  Sieht  sie  Feuer,  so  entfernt  sie  sich  xmd  rm.-a£t 
abwehrend:  „heis — heis**. 

„dudde  auf"  bedeutet:  Ich  will  am  Fenster  gucken,  macrlit 
es  aufl 

„beisch"  ==  Bleistift  kann  je  nach  der  Betonung  Wunsch 
oder  Benennung  sein.  Will  sie  ihrer  Puppe  den  Schuh  3x1- 
ziehen  oder  selbst  angezogen  werden,  so  spricht  sie  „az". 

„nein"  soll  heißen:  ich  stecke  die  Hand  hinein  (in  das 
Töpfchen). 

Die  Mutter  holt  den  Hut;  Rosel  weiß  sofort,  daß  diesell^e 
ausgehen  will.  Sie  ruft  im  Ton  der  Mitteilung:  „ada"  «  sie 
geht  fort. 

„se  bopp  az"  bedeutet:  (ich  will)  die  Puppe  anziehen. 

„wadder"  (Wasser)  wird  heischend  sowie  mitteilend  ^^' 
braucht. 

„huf*  (Hut),  „deich"  (Fleisch),  „dul"  (Stuhl)  und  „gaff"^" 
(Uhr)  werden  ebenso  in  dieser  zweifachen  Weise  verwenA«^- 

17.  Monat.  „Sie  stellt  sich  vor  Papa,  reckt  die  Armcl^^^ 
und  sagt  „hopp",  d.  h.:  ich  will  aufs  Sofa  gehoben  werd^^- 

„laula  pat"  (Lauras  Pack)  spricht  sie,  als  sie  Lauras,  des 
Dienstmädchens,  Kleider  sieht. 

„bepp  zu"  dient  als  Ausdruck  ihres  Wunsches:  Macht  SX^ 
die  Knöpfe  zul 


yy* 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprachentwicklung,  275 

,laula  batt  ada'*  »   Laura  ist  fortgegangen. 

i8.  Monat,  „opa  gisch  aus"  bedeutet:  Großvater  hat 
etw^a^s  geschickt,  packt  es  aus. 

Rose  bringt  ein  Töpfchen,  in  dem  ein  Kuchenstückchen 
"lieg^,    und  spricht:  „kuche  is  drin". 

Sie  sieht  einen  Wagen  vorüberfahren  und  nrft  voll  Freude : 
„rara.**  (Pferd). 

Beim  Spiel  stößt  sie  sich  an  einem  Schränkchen ;  sie  kommt 
weinend  und  sagt:  „stos — stos". 

^,bums  mama  unna"  «=  Mama,  der  Ball  liegt  unten. 

III.  Ernst  Witebsky. 

i8.  Lebensmonat.  „mama"  ist  Bezeichnung  für 
Miatt-er,  „papa"  für  Vater  und  „ahmama"  für  Großmutter; 
,Alij>apa"  nennt  er  den  Großonkel,  überhaupt  jede  ältere  Person, 
aucl:i  eine  auf  einem  Bilde  oder  einer  Münze  dargestellte. 

Mit  „dat"  bezeichnet  er  Soldaten,  Briefträger,  Schutzleute, 
^t>^rliaupt  uniformierte  Leute. 

„ti"  ist  Benennung  für  Tee  und  jede  Kanne  mit  oder  ohne 
Inhalt. 

,,adda"  spricht  er  reduplizierend,  sobald  er  den  Wunsch 
"^&t,  fortzugehen,  oder  als  Antwort  auf  die  Frage,  wo  er 
S^'^esen  sei. 

,,wauwau**  ist  Ausdruck  der  Freude  beim  Anblick  eines 
^'^indes  oder  einer  großen  Katze. 

„happ"  ist  speziell  der  Name  für  einen  Hund  der  Nach- 
•^^J-schaft. 

„lala",  übergehend  nach  „rara"  nennt  er  sein  Pferdchen 
^^^   jedes  große  Pferd. 

„appel"  ist  Bezeichnimg  für  Apfel,  Birne,  Apfelsine,  über- 
^^pt  für  jede  rundliche  Frucht. 

„laden"    ist   Benennung    für   Schokolade,    braunes    Bröt- 

^^^ft  etc.,  überhaupt  alles,   was  eine  braune   Farbe  hat  und 

^^-^^rtig  klein  ist,  daß  es  in  den  Mund  eingeführt  werden  kann ; 

T^istens  wird  es  in  oftmaliger  Wiederholung  als   Ausdruck 

^^*^^i3  Verlangens  gebraucht. 

19.  Monat,    „papa  licht"  »  Wimsch,  daß  Licht  gemacht 

^^^c.   „ah"  ist  Ausdruck  der  Verwunderung  imd  des  Staunens. 

„da,  da"  verbunden  mit  hinweisender  Gebärde,  spricht  er, 


276  Heinrich  Idelberger. 

sobald  irgend  etwas  sein  Interesse  erregt  und  er  darauf 
weisen  will. 

,^ahnst"   (Ernst)   wird  in  folgendem   Sinne  von  ihm 
braucht:  Ernst  will  dieses  oder  jenes  haben. 

„tisch**  nennt  er  den  Tisch  imd  jede  erhöhte  Platte,  ^mL^^mji 
der  etwas  steht  oder  stehen  soll. 

„bah,  böh"  ist  Ausdruck  des  Widerwillens,  verbimden  imi       lit 
abweisender  Gebärde. 

^„aiß**  spricht  er  allemal,  wenn  durch  Berührung  mit  eint=^— =m 
Gegenstand  in  ihm  ein  Gefühl  der  Unlust  erzeugt  wird,  als^^so, 
sobald  er  etwas  als  heiß,  kalt  oder  rauh  empfindet. 

Mit  „marsch  dadda",  sehr  energisch  gesprochen,  weist  er 

etwas  ab. 

„lappele"  ist  Bezeichnung  für  Wasser,  Urin  etc.,  überha«Lj:^pt 
für  jede  klare   Flüssigkeit. 

„hoppa"  benennt  er  den  Ball;  es  ist  auch  Ausruf  der  Frei.^»    <le 
beim  Ballspiel. 

IV.  Helmut  Rauch. 

14.  Lebensmonat.  Die  erste  sprachliche  Äußerung^  '^ 
dieser  Zeit  ist  „iu**  (französisch  gesprochen).  Dieselbe  di^^-^^ 
als  Ausdruck  eines  jeden  Wunsches. 

„ada"  spricht  das  Kind,  wenn  es  fortgehen  möchte  o^^^^ 
eine  andere  Person  die  Wohnung  verläßt. 

Im  15.  und  16.  Monat  traten  keine  neuen  Worte  auf,  ^^ 
das  Kind  in  dieser  Zeit  schwer  krank  war. 

17.  Monat.  „ram — ram— ram"  (Nachahmung  %r^^^ 
„haben")  spricht  er,  sobald  er  irgend  eine  Speise  si^^^^' 
(Wunsch.)  Den  Vater  faßt  er  dabei  am  Arm,  danüt  er  \t%^^ 
dieselbe  reiche. 

„mama**  spricht  das  Kind  immer,  wenn  es  weint  oder  *^^^, 
übler  Laune  ist.  Das  Wort  „gau**  (Gaul)  wird  durch  den  Anbli^^ 
seines  Schaukelpferdes  tmd  eines  sich  auf  der  Straße  beweg^^^^ 
den  Pferdes  ausgelöst  und  dient  als  Ausdruck  des  Wunsch-^ 
aufs  erstere  gesetzt  zu  werden,  imd  der  Freude. 

Durch  „papa"  gibt  er  seine  Freude  über  das  Koma»:^^ 
des  Papas  oder  auch  den  Wunsch,  von  ihm  getragen  zu  werd^^' 
zu  erkennen. 

18.  Monat.    Wenn  er  Kakes  oder  die  Kakesdose  siel»^ 


Haupiprehlim*  tUr  HnMiek^n  S^mthfnhffükhmg. 


277 


hüpft  er  vor  Freude  und  spricht  „ke— ke",  zum  Zeichen,  daß 
er   davon  haben  wüh 

Sobald  irgendwelche  Gegenstände  sein  Interesse  in  hohem 
Grade  erregen,  deutet  er  mit  den  Worten  ,,papa  da**  darauf  hin* 

,^bibi"  spricht  er,  sobald  er  Hühner  oder  auch  andere  Vögel 
od«jr   fliegende  Insekten  sieht, 

,,u**  (langgezogen)  =  Ausdruck  des  Staunens. 

j^heiß'*  sagt  er,  sobald  er  etwas  Glänzendes  sieht,  z.  B, 
Metallbetten,  Lampe^  Kaffeekanne,  Ofen;  ursprünglich  wurde 
di^s  durch  den  glänzenden  Ofen  und  die  glänzende 
Kaffeekanne  hervorgerufen;  „heiß"  spricht  er  später  ferner 
beim  Berühren  eines  heißen  Gegenstandes  oder  auch  beim 
^Väschen  mit  kaltem  Wasser. 

,jau"  ist  der  Ausdruck  jeden  Unbehagens,  (gehört  von  der 
Sch-wester,  welche  „au"  ruft,  wenn  sie  gekämmt  wird), 

V.  Albrecht  Herzog* 

22.  Monat.    Pferd  und  Kuh  nennt  er  j.muh*', 
,,gech — gech"  ^  ich  will  die  Kegei 
Federhalter  und  Bleistift  nennt  er  beide  ,,beibif*\ 

Er  bezeichnet  die  Tinte  der  Reihe  nach  als  Wasser,  Kaffee, 
Mach. 

Regenschirm  und   Stock   nennt   er  beide  „dock", 

23,  Monat,    „gauch'*  =  Rauch  und  Zigarre. 

,,on'*  (Uhr)  ist  die  Bezeichnung  für  Taschenuhr^  Wanduhr 
^d    Wecker, 

Milchkanne  und  Flasche  nennt  er  beide  „michgann*'. 


Vf»  Johanna  Zorbach* 

19.  Monat.  Nach  einem  kleinen  Verwandten,  Otto,  der 
öocli  nicht  laufen  kann,  nennt  sie  alle  Kinder,  die  noch  auf  dem 
^^Tiü  getragen  werden,  „oddo", 

2K  Monat.  ,,näus  ich  bubf,  noß  da  is*'  heißt:  ich  will 
^^^    Stube  hinaus,  weil  Herr  Noß  da  ist, 

22.  Monat,  „des  äser  man'*  =  Das  ist  ein  böser  Mann. 
J^H^nna  sieht  ein  Pferd  vor  einen  Wagen  gespannt  und  glaubt, 
^^  Sei  eine  Kuh.    Sie  ruft  ^^muh  da'*  (das  ist  eine  Kuh), 

23.  Monat,  „utz  dach  duch'*  --  schmutzig  ist  das 
^^chentnch- 

,,han5  hese  hott**  ^  ganz  böser  Kurtl 


278  Hemrick  Idelberger. 

,,nein  osen  nas"  »>  nein,  die  Hosen  sind  nicht  naß. 

,,haum"  ist  die  Bezeichnung  für  Bäume  und  Sträucher. 

24.  Monat,    „jeder  olzer  heinz"  —  lieber,  goldiger  Heinz t 

„da  deht"  (da  steht)  wird  auch  gebraucht,  wenn  sie  einen 
Gegenstand  hängend  oder  liegend  wahrnimmt. 

Was  lehren  uns  nun  diese  Aufzeichnungen 
über  die  Entstehung  der  ersten  Wortbedeu- 
tungen? 

Das  Kind   gebraucht  seine  ersten  wenigen  Worte   beim 
Anblick    der    allerverschiedenartigsten    Dinge. 
So  spricht  mein  Sohn  Kurt  z.  B.  das  Wort  „wauwau",  wenn  er 
das  kleine  Porzellanhündchen,  das  Bild  ^es  Nähtischchens, 
Bild  der  Großeltern,  sein   Schaukelpferd,  die  Wanduhr,  dei 
Pelzboa,  Mamas  goldene  Brosche,  die  Knöpfe  am  Jackett,  di< 
gekräuselte  Binde  imd  einen  Hund  auf  der  Straße  sieht.  (Verg^l^  ^ 
Kurt  Li.  wauwau.)    Preyer  imd  Lindner  würden  mm  vielleicfc::^^ 
in  diesem  Falle  sagen,  das  Kind  habe  einen  Begriff  von  groß^^^ 
Allgemeinheit  gebildet.    Diese  Interpretation  erweist  sich  ab^L^y 
als  durchaus  falsch  und  zwar  aus  folgenden  Gründen.    V^  ±r 
haben  oben  in  der  Einleitung  gesehen,  daß  die  Dauer  uktt^c] 
Energie  der  kindlichen  Aufmerksamkeit  absolut  ungenügexnL<j 
ist  zur  vollständigen  Auffassung  der  Analyse  der  Wahm^lm- 
mungsobjekte.     Dies  bedingt  sodann   femer,    daß  eine  V^ir- 
gleichung  der  Wahrnehmungen,  sowie  die  zu  jeder  Begriffs- 
bildung notwendigen  Tätigkeiten  der  Abstraktion  und  Deter- 
mination bei  dem  einjährigen  Kinde  ausgeschlossen  sind.  Solc^he 
logischen  Leisttmgen,  wie  die  der  Begriffsbildung,  treten  na-ot- 
weislich  erst  in  einem  sehr  viel  höheren  Alter  auf.    Wie  sch'wr^r 
dem  Kinde  die  Unterordnungen  von  Wahmehmimgsobjekt^n 
und  der  allgemeinen  Begriffe  wird,  davon  kann  man  sich  l>^ 
Kindern  im  schulpflichtigen  Alter  genugsam  überzeugen.    Da-^ 
kommt    noch,    daß    ein     und    dasselbe    Wort   durc^h 
die  allerverschiedenartigsten  Dinge    ausgelö  st 
wird,  Dinge  für  die  ein  gemeinsamer  Oberbegriff  überhatB-]>t 
nicht  oder  doch  nur  sehr  künstlich  auffindbar  ist  (vergl.  ob^n 
„wauwau").     Während  so  einesteUs  die  geistige  Unreife  di^^ 
einjährigen     Kindes,     die     retrospektive     Deutung     der    p^X* 
chischen  Leistungen  von  Kindern  in  spätem  EntwickeluafF^' 
Stadien    und    die     große     Verschiedenartigkeit     der    DüslSS^ 
auf     welche     das     Kind     seine     ersten     sprachlichen    Äuße- 


ffttu/^pr&Uem^  der  kmälkhen  Sprack^niwieM^mg* 


279 


■j-uii^en     bezieht,     die     Annahme     einer     Begriff  sbildung     im 
rSio^ne  des  Erwachsenen  in  diesem  Alter  verbieten,  so  läßt  uns 
atidcmteils  die  unmittelbare  Beobachtung   klar  und    deuthch 
erlcennen,  welcher  Art  der  geistige  Inhalt  dieser  ersten  Kindes- 
^  t>irte  nun  wirklich  ist*     Aus  den  ihren  Gebrauch  be- 
g:  leitenden  mimischenundpantomi mischen  Aus- 
<i  rucksbewegungenj  aus  dem  Klang  der  Stimme 
und  der  Reduplikation  der   Worte  ersieht  man, 
ti^ß  dieselben   lediglich  dem   Ausdruck  von   Ge* 
f  ülilen  und  Begehrungen  dienen,  also  Wunsch- 
^'  Ö  r  t  e  r  s  i  n  d*    Es  ist  die  Freude  an  den  Gegenständen,  die 
I^x-^\ide  an  dem  Wiedererkennen  bestimmter  Objekte  tmd  das 
V^^rlangen  nach  denselben,  welche  das  Kind  mit  seinen  ersten 
^V"c*rten  ausdrückt.    Die  Funktion  der  Sprache  ist  nämlich  eine 
clt-^ifache,   sie   dient   dem   Ausdruck,  der   Mitteilung   und   der 
ß'^^eichnung  psychischer  Inhalte.    Beim  Erwachsenen  fallt  diese 
^^^ifache  Funktion  normalerweise  immer  zusammen;  wenn  er  ein 
»rtn^res   Erlebnis  zum   Ausdruck  bringt,  will   er  dies  z^igleich 
t>^zeichnen  oder  benennen  und  anderen  Personen  mitteilen.    Bei 
^€^rn  Kinde  dagegen  trennen  sich  anfänglich  diese  drei  Funk- 
^-looen  der  Sprache;  seine  ersten  Worte  werden  von  ihm,  wie 
s^crtion  gesa^»  lediglich  zum  Ausdruck  von  Gefühlen  und  Be- 
lehrungen verwendet,  ohne  daß  es  sich  dabei  dessen  bewußt  ist, 
*^^ß  hiermit  zugleich  eine  Mitteilung  an  seine  Umgebung  oder  eine 
^^^eichnung  verbunden  ist ;  die  Bedeutungen  der  ersten  sprach- 
^'otien  Äußerungen  des  Kindes  sind  ausschließlich  emotioneller 
^^*^«r  volitionaler  Art.    Wenn  z.  B.  Kurt  mit  freudiger  Miene 
^^ch  dem  Lichte  zeigt  imd  dabei  redupHzierend  den  Laut  ,,ch*' 
^visstößt,  so  dient  derselbe  lediglich  als  Ausdruck  der  Freude, 
*^^ineswegs  aber  zur  Bezeichnung  des  Lichtes  (vergL  Kurt  L 
3*    „ch").    Oder  wenn  Kurt,  indem  er  nach  dem  Fenster  reicht^ 
^^     dringendem,   bittenden   Tone   in  oftmaliger   Wiederholung 
*^ii  Laut   „ö**   spricht,   so   gibt   er   damit  seinen   Wunsch   zu 
^''Icennen,  an  dasselbe  gehoben  zu  werden  (vergL  Kurt  L  4.  „ö")- 
^o  ist  sein  ,  .wauwau"  anfänglich  zumeist  Ausdruck  der  Freude 
^i^id  des  Staunens;  durch  ,,a — a"  drückt  er  ebenfalls  seine  Ver- 
^^^^*^^denmg  oder  sein  Interesse  für  die  Gegenstände  seiner  Um- 
e^bung  aus  usw.    Ein  Rückblick  auf  die  obigen  Aufzeichnungen 
^i«'d  diese  Auffassung  von  der  Entstehung  der  ersten  Wort- 
fi^^^mmag  bestätigen.    Dadurch  nun,  daß  sich  die  Wünsche 


22^)  HexKTxJt  Uti^atr^^r, 

f\0:s  Kindes  auf  dk  alleTverschiedaiaitigstcn  Dinge  richten, 
^utMii:ht  jener  Schein  einer  großen  Allgenieinheit  (Pieycr)  oder 
V^erallgemeinerung  <Ament^  seiner  ersten  Worte.  — 

Die  psychologische  Begründung  dessen,  daß  die  ersten. 
Worte  durchaus  emotioneller  und  volitionaler  Art  sind,  liegt: 
in  dem  in  der  Einleitung  dargelegten  Verhältnis  des  Gefühls- 
und  Willenslebens  zum  intellektueUen  Leben.  Wir  sahen  dort- 
»elbst,  daß  das  Gefühls-  und  Willensleben  das  e!f  Monate  alt^ 
Kind  vollständig  beherrscht.  Ich  habe  an  dieser  Stelle  schon  be- 
merkt, daß  sich  dieses  gekennzeichnete  Verhältnis  natürlich  nicl^^ 
plötzlich  umkehrt,  sondern  erst  mit  wachsender  Aufmerksamkeit 
und  Konzentrationsfähigkeit  änden  sich  dasselbe  allmählich  zix- 
gunsten  des  Vorstellungslebens.  Eine  Prävalenz  desf  Ge- 
fühls- und  Willenslebens  liegt  darum  auch  noch  in  der 
Z<!it  vor,  in  welcher  das  Kind  seine  ersten  Worte  sprictxt 
und  muß  notwendigerweise  in  diesen  zum  Ausdruck  konunen- 
iJic  Nichtbeachtung,  oder  zum  wenigsten  doch  die  ungenügend^ 
Würdigung  dieser  psychologischen  Tatsache  hat  bei  Preyeri 
Lindner  u.  a,  die  falsche  Auffassung  über  die  Entstehung  der 
ernten  Wortbedeutungen  verschuldet. 

Die  Gefühle  (Affekte)  und  Begehrungen  sind  nun  bei  dena 
einjährigen  Kinde  in  solcher  Stärke  vorhanden,  daß  sie  nict^^ 
durch  einen  einmaligen,  sondern  erst  durch  einen  meb.^' 
rnaligcn  Gebrauch  eines  Wortes  vollständig  ausgelöst  werdet^- 
Deshalb  ist  auch  gerade  die  Reduplikation  seiner  spracl^' 
liehen  Äußerungen  neben  dem  Klang  der  kindlichen  Stimit*^ 
und  der  ihre  Verwendung  begleitenden  Gebärden,  d^^ 
sicherste  äußere  Kennzeichen  ihres  emotionell-volitionalen  G^' 
brauchs.  Diese  Beobachtung  halte  ich  für  eine  der  wertvollste^» 
die  ich  bei  der  Beschäftigung  mit  dieser  Frage  gemacht  hat>^' 
weil  sie  uns  einesteils  tatsächlich  ein  unfehlbares  Mittel  an  dt^ 
Hand  Kil>^>  ^1^^  Wunsch  oder  affektionellen  Charakter  d«"" 
Kindesworte  zu  erkennen,  andererseits  auch  die  Entstehux"*? 
virirr   Reduplikationen  psychologisch  begründet. 

Wenn  nun  das  Kind  bei  weiterer  geistigen  Entwickelung 
dir  Personen  seiner  Umgebung  als  etwas  von  sich  Verschiedenes 
•luffasHcn  lernt»  wenn  ihm  \x)r  allen  Dingen  zum  Bewußtsein 
konunt.  daß  dieselben  imstande  sind,  seine  Wünsche  zu  ^^' 
liillrn.  oder  auf  seine  Gefühlserregungen  einzugehen,  so  v«r- 
M^Ti\drt  rs  dirsr  rnu>ti^'>nol^^x>litional  gebrauchten  Wörter,  außer 


Hüupipp^hltm^  d^r  hn4ikhtn  S^^hmht}4€k(uf9g, 


281 


usdruck  auch  zur  Mitteilung  seiner  Begehmngen  und 
Uile.  Dies  ist  z.  B.  der  Fal],  wenn  Kurt  die  ihm  gereichte 
te  Milch  wegstößt,  nach  dem  Schaukelpferd  zeigt  und  „ö — ö" 
dit,  arum  Zeichen,  daß  dieses  auch  trinken  soll  (vergl  Kurt, 
und  „ö"),  oder  wenn  er,  mich  ansehend,  beim  Kaffee - 
ren  ,jbaba**  ruft,  indem  er  nach  dem  Brot  reicht,  um  mir 
brch  seinen  Wunsch  nach  demselben  mitzuteilen  (vergh  Kurt, 
>aba*%  oder  wenn  er  auf  der  Landstraße  ein  Gefährt  sieht, 
fcchselnd  nach  diesem  und  mir  hinsieht  und  dabei  den 
:  „a**  reduplizierend  ausstößt,  um  mich  auf  dasselbe  auf- 
tsam  zu  machen  (vergl.  Kurt,  2.  „a— a")  usw. 
Neben  diesen  nur  emotionell  gebrauchten  Wörtern  treten 
\  solche  auf,  die  schon  ein  Minimum  von  Bezeichnung 
alten.  Wenn  sich  Kurt  am  396,  Lebenstage  vor  mich  hin* 
;  und  mit  vergnügter  Miene  mehrere  Male  j,baba'*  spricht, 
tt  dies  zunächst  ein  Ausdruck  seiner  Freude  darüber,  daß 
fen  Papa  sieht ;  sodann  will  er  denselben  aber  auch  offenbar 
it  benennen  (vergL  auch  Kurt,  11.  ,>dudu'*,  429.  Tag). 
Aus  dem  Wunschcharakter  der  ersten  Worte  erklärt  sich 
^  daß  das  Kind  für  logische  Correlate  verschiedenfach  das- 
i  Wort  verwendet.  So  gebraucht  Kurt  das  Wort  „obba** 
ittendem  Tone  und  reduplizierend,  sobald  er  vom  Arm 
Mutter  auf  den  Boden  will  und  umgekehrt  (vergL  Kurt, 
bbba).  Es  ist  sein  „obba**  eben  nur  Mitteilung  eines 
isches  (vergl  auch  Helmut  Rauch,  18-  Monat:  „heiß**  und 
it  Witebsky,   19.  Monat:   „aiß**). 

Ihrer  grammatischen  Bedeutung  nach  sind  die  Affektworte 
Cindes  als  Interjektionen  bezw,  als  Interjektionalsätze,  die 
Ischwörter  als  Verbalsätze  aufj^ufassen.  Wenn  Kurt  sein 
chen  nach  mir  reckt  und  j,obba"  spricht,  so  bedeutet  das : 
•will  auf  deinen  Arm  gehoben  werden.  Die  ersten  Worte 
Kindes  sind  also  eben  ihres  emotionell-volitionalen  Charak- 
wegen  durchweg  Satzworte,  ,,die  Wortfunktion  des  Wortes 
Rekelt  sich  erst  aus  seiner  Satzfunktion  durch  einen  ein- 
inkenden  Prozeß/*  (Meumann  L  Seite  6,)  — 
Bei  fortschreitender  geistigen  Ent Wickelung  wächst  ins- 
ndere  das  Vorstellungsleben  des  Kindes.  Das  schon  früher 
hnte  Verhältnis  des  emotionell-volitionalen  Lebens  zum 
lektuellen  Leben  ändert  sich  allmählich  zugunsten  des 
treu.    Wenn  ich  für  diese  Behauptung  auch  keine  exakten 


282  Heinrich  Idelberger. 

Beobachtungen  beigebracht  habe,  so  wird  dieselbe  doch  wohl 
allgemein  als  richtig  hingenommen  und  durch  bisherige  Beob- 
achtungen einigermaßen  beglaubigt.    Natürlich  handelt  es  sLcrli 
bei  der  angedeuteten  Ändenmg  dieses  erwähnten  psychisdi.^11 
Verhältnisses  um  einen  sehr  langsam  verlaufenden  geistig^^n 
Prozeß.   Die  unverhältnismäßig  stärkere  Entwickelimg  des  kicxcl- 
liehen  Intellekts  hat  ihren  Grund  in  der  wiederholten  Beot- 
achtung  der  Gegenstände  und  Vorgänge  seitens  des  Kindes, 
wodurch  fortgesetzt  neue  Vorstellungsdispositionen  geschaffen 
werden  und  der  d^nit  im  Zusammenhange  stehenden  Steigenxn.^ 
der  kindlichen  Aufmerksamkeit  und  Konzentrationsfähigkeit. 
Aufmerksamkeit  und  Vorstellungstätigkeit  Isind  aber  in  gewissem 
Maße  antagonistisch  gegen  das  Gefühlsleben.    Diese  Wande- 
lung des  angedeuteten  psychischen  Verhältnisses!  macht  sioh 
selbstverständlich  auch  wieder  in  dem  vornehmsten  Ausdrucl^al- 
mittel  des  Kindes^  in  seiner  Sprache  geltend.    Die  kindlichen 
Wortbedeutungen   erhalten   allmählich   auch   gegenstänci- 
liehen    Charakter.    Die  Worte  werden  zur  Bezeichnung  vc^^ 
Gegenständen  und  Vorgängen  verwendet,  sie  werden  „intelle^' 
tualisiert'*  (Meumann). 

Als  ein  erster  Schritt  zu  dieser  Intellektualisierung  der  kinC^' 
liehen   Sprache  ist   schon   die  oben  mitgeteilte   Beobachtung^, 
anzusehen,    daß    manche   Worte    neben    ihrem    Gefühls-  ^Mi^^^ 
Wunschcharakter    schon   ein  Minimum   von  gegenständliche^^ 
Bedeutung  enthalten.     Einen    weiteren   Fortschritt   ii^^^ 
dieser  sprachlichen  Entwickelung  stellt  sodann  die  Tatsache 
dar,  daß  die  meisten  der  ersten  Worte  des  Kindes  lange  Zeit 
hindurch   abwechselnd   sowohl   emotionell-volitional  als 
auch  als  Bezeichnung  verwendet  werden.    Eine  große  Anzahl 
derartiger  Beispiele  habe  ich  in  den  obigen  Aufzeichnungen 
mitgeteilt   (vergl.   II.   Rosa   Bartscher,    16.   Monat:     „beisch", 
„wadder",  „hut",  „deich",  „dul",  „gaga;  III.  Ernst  Witebsk>', 
18.  Monat:  „laden**,  „hoppa**;  IV.  Helmut  Rauch,  14.  Monat: 
„ada**  u.  a.  m.).    Äußerlich  unterscheidet  sich  der  emotionelle 
von   dem   intellektuellen   Gebrauch   in   diesen    Fällen   allemal 
durch  die  Reduplikation  des  Wortes  verbunden  mit  einer  dem 
Wunsch   und   Gefühlscharakter    angemessenen   Wortbetonung 
und  mit  entsprechender  Gebärde.    Auf  dieser  Stufe  sprachlicher 
Entwickelung  stehen,  wie  aus  den  Aufzeichnungen  zu  ersehen  ist, 
die  meisten  der  von  mir  in  Bezug  auf  die  Frage  der  Entstehimg 


f^mpfpmbUmt  J£r  Jhn^bJtem  Spmchentisftckfmig, 


ix^r  ersten  Wortbedeutungen  beobachteten  oben  angeführten 
ICiuder-  Bei  meinem  Sohne  Kurt  hat  die  Intellektualisienm^ 
d^r  Sprache  ebenfalls  bereits  begonnen ;  denn  dadurch,  daß  er 
P3.pa  und  Mama  durch  „baba''  und  ,,mama**^  eben&o  Hund  imd 
Pf^rd  durch  ,, wauwau  und  „dudu*'  unterscheidet,  zeigt  er  an, 
cia.13  diese  Wortbedeutungen  gegenständhcher  Art  sein  müssen. 
(Eine  weitere  sprachliche  Emwickelungsstufe  würde  sodann  die 
sein:  die  emotionelle  Wortbedeutung  tritt  ganz  oder  fast  gani 
X  uir ück,  nignnsten  der  rein  intellektuellen,) 

Was  bezeichnet  denn  nun  das  Kind  mit  seinen 
ersten  Worten,  oder  welcher  Art  sind  seine 
£C^  gen  ständlichen  Wortbedeutungen  und  wie 
Icommen  sie  zustande?  Hierüber  gibt  uns  unsere  Auf- 
zeichnung unter  Zuhilfenahme  der  eingangs  angeführten  drei 
i^^^thodischen  Grundsätze  mm  Teil  wichtige  Aufschlüsse^  und 
Tt\it  diesen  Fragen  wollen  wir  uns  nunmehr  noch  etwas  näher 
l^^fassen. 

Der  Charakter  der  ersten  Wortbedeutungen  läßt  sich  ledig- 
lich aus  der  Verwendung  der  ersten  Worte  erschließen.    Nun 
^^t  aber  die  Deutung  dieser  Verwendung  gerade  sehr  schwierig. 
^Vir  sahen  schon,  daß  die  unter  dem  Einfluß  einer  logischen 
Psychologie  stehenden  Erforscher  der  Sprache  des  Kindes  seine 
^  lösten  Worte  als  Begriffe  im  Sinne  des  Erwachsenen  auffassen* 
Oa-ß  der  ein-  bis  Eweijährige  Erdenbürger  zur  Bildung  solcher 
geistig  nicht  imstande  sein  kann,  habe  ich  im  Anschluß  daran 
Schon  dargetan.    Auch  der  erste  der  drei  oben  aufgestellten 
^K?ilK>dischen   Grundsätze,  daß  man  sich,  wie  dies  überall  in 
^r  rxakten  Natur forschung  seit  langem  und  neuerdings  auch 
^  der  Psychologie  mit  großem  Nutzen  geschieht,  auch  bei  der 
'^t^rpretation  der  ersten  kindlichen  Worte  möglichst  einfacher 
Erl^lärungsgründe  bedienen  müsse,  ist  für  uns  ein  lureichender 

Cri^nd,  uns  dieser  ähem  Auffassung  nicht  anzuschließen,  zumal 

-H  die  Entstehung  der  ersten  Wortbedeutung  auf  eine  viel 

i fächere  Weise  dartun   läßt,   wie   wir  später   ^ehcn  w^erden. 

Die  kindlichen  Wortbedeutungen  und  ihre  Entstehung  sind, 

^%et    wir  aus  der  Wortverwendtmg  ersehen  können,  ganz  eigen- 

g,  so  daß  die   Übertragung   eines   vom   Erwachsenen  ent- 

^»itiienen  Schemas  auf  das  Kind  absolut  unzulässig  ist.    Ich 

^ill  versuchen,  dies  an  einem  Beispiel  zu  zeigen. 

Helmut  Rauch  benennt  mit  dem  Worte  ,,h€iß"  den  Ofen, 


^^^^^^^^i^^ift 


284  Heinrich  Idelherger, 

die  Kaffeekanne,  die  Lampe,  die  Metallbetten,  überhaupt  alle 
glänzenden  Gegenstände.    „Heiß"  ist  ihm  zuerst  imter  Hinweis 
auf  den  heißen  Ofen  vorgesprochen  worden.  In  dem  kindlichen 
Geiste  ist  durch  den  Anblick  des  Ofens  eine  Vorstellung  ent- 
standen, die  sich  nun  mit  der  Wortvorstellung  verbindet.  Daß 
es  sich  bei  der  ersteren  nur  um  ein  wenig  oder  gar  nicHt 
analysiertes  intellektuelles  Gebilde  handeln  kann,  ist  schon  von 
vornherein  anzunehmen,  wenn  man  das  Ergebnis  meiner  eir^- 
leitenden  Ausführungen  über  die  Energie  der  Aufmerksamkeit 
in  Betracht  zieht.    Von  welcher  genaueren  Beschaffenheit  die^e 
Vorstellung  nun  ist,  welches  ihr  wesentlicher  Bestandteil  ist, 
dieses  erkennen  wir  aus  der  weitern  Verwendimg  des  von  dem 
Kinde  angezeigten  Worte  „heiß".  Daraus  eben,  daß  H.R.mit 
demselben  auch  die  glänzende  Lampe,  die  Metallbetten,  die 
Kaffeekanne,  überhaupt  alle  glänzenden  Gegenstände  bezeichnet, 
geht  klar  hervor,  daß  das  eine  Merkmal  (Merkmal  nicht  im 
Sinne  eines    logisch    bearbeiteten   Vorstellungselementes  auf- 
gefaßt) oder  besser  gesagt,  die  eine  Teilvorstellung  des  Ofeas 
„glänzend"  einzig  und  allein  seine  Wortbedeutung  ausmacl^t 
(und  nicht  etwa  die  Teilvorstellung  „heiß") ;  nur  sie  hat  gelegeat- 
lieh  des  Aktes  der  Benennung  im  Blickpimkt  des  Bewußtsein.^ 
gestanden.    (Erst  ungefähr  drei  Wochen  nach  der  Gewinnung 
dieser  Wortbedeutung  wurde,  nachdem  das  Kind  durch  Be- 
rührung der  heißen  Kaffeekanne  die  Temperaturempfinduaß 
,,heiß"  —  als  etwas  Unangenehmes  —  kennen  gelernt  hatt^» 
die    Teilvorstellung    „unangenehm"    in    den  Wortinhalt   aaf  • 
genommen.     Vergl.    Seite    36,     die    zweite    Bedeutung    v<^i^ 
„heiß"  I)    Wenn  das  Kind  nun  diese  Teilvorstellimg  an  irgem^ 
einem  anderen  Gegenstande  wieder  wahrnimmt,  so  wird  d^^ 
mit  ihr  assoziierte  Name  reproduziert,  und  zwar  handelt  es  sich 
dabei  um  eine  ganz  mechanische  Auslösung  desselben.    Dah^' 
kommt  es,  daß  das  eine  Wort  „heiß"  Bezeichnung  für  so  ver- 
schiedenartige Dinge  wie  Ofen,  Lampe,  Metallbetten,  Kaffee- 
kanne etc.  werden  kann.     Das  Kind  benennt  bei  all  diesen 
Gegenständen  nicht  diese  selbst,  Isondern  nur  die  Teilvorstellung 
„heiß".    Dadurch  erhält  dann  das  Wort  „heiß"  in  den  Augen 
der  Erwachsenen  den  Schein  einer  großen  Allgemeinheit  (B^ 
griff:  Preyer)  oder  einer  fortschreitenden  Verallgemeinerung 
(Ament).     Dieser  schwindet  aber  sofort,  wenn  man  sich  kla^ 
macht,  was  das  Kind  eigentlich  mit  demselben  bezeichnet, 


ii^xupiprQhUtUi^  ii^r  kindMeken  Spmckeniwicklung ^ 


285 


ifi  es  nicht  diese  heterogenen  Dinge  mit  der  Fülle  ihrer 
if  ferenten  Eigenschaften  (welche  es  infolge  der  Schwäche  und 

Silität  seiner  Aufmerksamkeit  überhaupt  nicht  auffassen 
h),  sondern  immer  nur  die  gleiche  TeilvorsteUung  an  diesen 
&genständen  benennt.  Der  Wortinhalt  ist,  wie  man  hier  also 
^Itj  durchaus  konkret«  die  Einbeziehung  der  genannten  Dinge 
Lter  denselben  sprachlichen  Ausdruck  zeigt  nun  die  reine 
Wirksamkeit  der  Assoziation,  sie  folgt  dem  Gesetz  der  Berüh- 
ngsassoziation*  Auf  Grund  der  assoziativen  Verknüpftmg 
ctes  Eindrucks  A  (Teilvorstelltmg  des  Ofens  „glänzend*')  mit 
ner  Vorstellung  B  (Wortvorstellung  „heiß**)  reproduziert  auch 
cier  dem  A  ähnliche  Eindruck  (Teilvorstellung  ,,glänzend** 
L  den  andern  Gegenständen)  die  Vorstellung  B  (Wortvor- 
ellung  „heiß*0. 

K  Auf  ganz  dieselbe  Weise  läßt  sich  die  Entstehung  der  ersten 
^nbedeutungen  bei  fast  sämtlichen  oben  mitgeteilten  Worten, 
Le  zur  Bezeichnung  verwendet  werden,  erklären.  Immer  ist  es 
ne  gemeinsame  Teilvorstellung  oder  es  sind  einige  derselbn, 
dche  das  Kind  an  den  im  übrigen  vielfach  sehr  verschiedenen 
^genständen  und  Vorgängen  wieder  erkennt,  apperzipierend 
OTStellt  und  benennt.  Dies  ist  z.  B  der  Fall,  wenn  Kurt  L  alle 
rcßeren  männlichen  Personen,  sowie  auch  deren  Abbildungen 
baha**  und  alle  größeren  weiblichen  Personen  „mama"  nennt, 
'der  wenn  Ernst  Witebsky  mit  ^.diit'*  alle  uniformierten  Leute 
Soldaten j  Briefträger,  Schutzleute)  bezeichnet  usw.  Eine  Asso- 
iation  nach  dem  Gesetz  der  Kontiguität  ist  ferner  durch  folgen- 
i^  Vorgang  nachweisbar.  Gertrud  Stahl  spricht  beim  Anblick 
deines  Taschenmessers  ,,papa*\  die  durch  den  Anblick 
deines  Messers  erzeugte  Wahrnehmung  ruft  die  Vorstellung 
^%  Messers  ihres  Vaters  in  ihr  wach  und  diese  letztere  repro- 
^^nert  dann  weiterhin  die  mit  ihr  durch  Angrenzung  ver* 
l^^ödcnc  VorsteUung  ihres  Papas^  durch  welche  dann  ganz 
i^echanisch  der  Name  desselben  ausgelöst  wird  (vergL  Gertrude 

^Eiü  Beispiel  von  assoziativer  Übertragung  durch  Simulta- 
^^Wat  hegt  vor,  wenn  Ernst  Witebsky  mit  dem  Worte  „ti**  den 
Tee  und  jede  Kanne  mit  oder  ohne  Inhalt  benennt,  „Sie  folgt 
^*in  Schema:  was  bei  Gelegenheit  des  Aktes  der  Benennung 
^ichzeitig  in  den  Blickpunkt  der  Aufmerksamkeit  fällt,  das 


286  Heinrich  IdeVberger. 

assoziiert  sich  mit  der   Benennung  und    wird    in  die  Wor"«^ 
bedeutung  aufgenommen"   (Meumann   I,   Seite  44). 

Hiermit  würde  man,  wenn  man  allenfalls  noch  hinzufüg'"« 
daß  das  Kind  mit  seinen  ersten  Worten  vorzugsweise  Vooc 
gänge  (Tätigkeiten,  Veränderungen)  in  geringerem  Maße  EigcKr: 
Schäften  imd  etwa  noch  räumliche  Beziehungen  der  Dinge  b^ 
zeichnet,  das  Wesentlichste  dessen  angeführt  haben,  was  m»  ^ 
aus  den  obigen  Aufzeichnungen  zu  schließen  berechtigt  ist. 

Ich  fasse  das  Ergebnis  in  meiner  das  Problem  der  erst^ 
Wortbedeutungen  betreffenden  Beobachtungen  kurz  zusanunei> 

Wenn  man  bedenkt,  daß  an  allen  psychischen  Vorgang^! 
das  Vorstellungs-,  Gefühls-  und  Willensleben  beteiligt  ist  urtc 
keine  dieser  drei  seelischen  Betätigungen  isoliert  auftritt,    sc 
läßt  sich  die  Frage  nach  der  Entstehung  der  ersten  Wort- 
bedeutung auch  so  formulieren :  In  welchem  Maße  haben  Vor- 
stellungs-, Gefühls-  und  Willensleben  Anteil  an  der  Bildua^^ 
derselben  und  wie  verlaufen  die  bedeutungbildenden  Prozesse 
im  einzelnen?    Da  muß  nun  gesagt  werden,  daß  die  ersten 
Wortbedeutungen  durchaus  emotionell-volitionaler  Art  sind,  dsLS 
Gefühls-  und  Willensleben  in  vorherrschendem  Maße  an  ihrei 
Bildung  beteiligt  ist.     Die  ersten  Worte  des   Kindes  dienen 
zunächst   dem   Ausdruck  und   weiterhin  auch   der   Mitteilwig 
seiner  Gefühle  (Affekte)  und  Begehrungen.    Infolge  der  rasche- 
ren Entwickelung  des  Vorstellungslebens  werden  die  kindlichen 
Worte  allmählich  intellektualisiert,  d.  h.  zur  Bezeichnung  ver- 
wendet.    Die  ersten  gegenständlichen  Wortbedeutungen  sin<i 
nun  keineswegs  das  Produkt  einer  logischen  Geistestätigkeit, 
sondern  entstehen  nach  Maßgabe  der  Assoziations-  und  R^ 
produktionsgesetze  auf  Gnmd  sehr  unvollständiger,  nur  wenig 
oder  gar  nicht  analysierter  Wahrnehmungen,  bei  welchen  nur 
die  eine  oder  andere  Seite  des  Wahmehmimgsobjektes  (Teil 
Vorstellung),  die  nicht  den   Charakter  von  analysierten  oder 
abstrahierten  Merkmalen  trägt,  apperzipiert  und  benannt  wird. 
Es  erscheint  daher  berechtigt,  eine  erste  e motion eil- voll- 
tionale  imd  eine  sich  anschließende  assoziativ-repro- 
duktive Sprachstufe  zu  tmterscheiden. 


I 


Hmipiprobltmc  der  Jh'mdiuk^n  Spfioi^henittiü'Jtlun^, 


287 


r" 


IL  Das  Problem  der  Worterfindung. 

Ein   zT^eites   Hauptproblem  auf   dem   von   mir  betretenen 
Gebiete,  das  gegenwärtig  im  Mittelpunkte  der  sprachpsycholo- 
gischen Diskussion  steht,  ist  das  der  Worterfindung,    Das  Kind 
t^^zeichnet  nämlich  vielfach  Gegenstande  oder  Vorgänge  mit 
Latiien  und  Laut  komplexen,  die  keinerlei  Ähnlichkeit  mit  dem 
Ciegcnstand  haben,  also  z.  B,  nicht  mit  akustischen  Merkmalen, 
die  dem  Wahrnehmungsobjekt  entlehnt   sind,  die  aber  auch 
^icht  aus  der  Sprache  der  Umgebung  stammen  j  ebenso  ge- 
*>  taucht   es  zum  Ausdruck  seiner  Gefühle  und   Begehrungen 
1-^ut©  oder  Lautverbindungenj  wie  solche  beim  Envachsenen 
^^   diesem  Zwecke  nicht   verwendet  werden;   kurz  gesagt:  es 
t^^^ten  bei  allen   Kindern   gelegentliche  Wörter  auf,  die  dem 
^inde  völlig  eigentümlich  sind  und  welche  deshalb  häufig  als 
Erfindungen  des  Kindes  angesehen   werden.     Mehrere   Beob- 
^c::liter  der  kindlichen  Sprachent Wickelung  wie  Lindner,  Ament, 
Strümpellj  Sully  u.  a.  treten  für  eine  Worterfindung  ein  und 
S'txchen  durch  eine  Reihe   von   Beispielen  ihre  Auffassung  zu 
^^titKen.    Auf  der  andern  Seite  wird  die  Richtigkeit  derselben 
d.iarch   Forscher  wie   Wundt,    Preyer,   Stumpf   und   Meumann 
t^^striiten.     Dies  hat   mich    veranlaßt,   das   fragliche   Problem 
^tif  Grund  einer  ad  hoc  angestellten  ausgedehnten  Beobachtung 
^'^»n  neuem  eingehend  zu  untersuchen.     Doch  nach  der  alten 
logischen    Regel:     Contra    principia    negantem   disputari    non 
pcjtest  —  halte  ich  es,  bevor  ich  in  die  Behandlung  des  Problems 
^intrete^  für  notwendig,  den  Sinn  desselben  festzustellen. 

Da  ist  es  nun  insbesondere  der  Terminus  ^»Erfindung",  der 
Anlaß  zum  Mißverständnis  geben  kann.  Es  erscheint  derselbe 
in  Seiner  Anwendung  auf  sprachliche  Produktionen  des  Kindes 
*ii  den  ersten  Lebensjahren  recht  unglücklich  gewählt,  und  er 
^*st  darum  verschiedenfach  die  Gegner  einer  Worterfindung 
^m  Widerspruch  herausgefordert.  Es  wird  von  aenselben 
hervorgehoben,  daß  ,jXU  aller  Erfindung  ein  planmäßiges,  ab- 
^'<^htlich€s  Vorgehen,  eine  Vorstellung  von  einem  Zwecke,  der 
^^twirklicht  werden  soll*'  (Meumann  II,  Seite  3^),  gehört  und 
°^  dies  dem  Kinde  abgesprochen  werden  muß.  Es  ist  klar, 
^  der  Mensch,  um  etwas  in  diesem  Sinne  zu  erfinden,  eine 
^hete  Stufe  geistiger  Ausbildung  erstiegen  haben  muß,  als 
*j|^  das  ein-   bis   rwcijahrige   Kind  einnimmt 


./^mruM   f-i^U^r^ay 


/r-^r-r.     :.rr.r 


.:,..,  .......a»„n.^™„r,ng«,  Wonsinne  fe^S^^^^ 

../•;»»i^      .'.r.^  ^w:H  ni^ht   in  dem    Sinne   möch         h 
;^v...r.  H.t^«^.iir  wu^^n,  daß  jede  absichtliche  Url^tr^ 
;.,r^.  l.ur.^^T  .\iasriruckft  der  Erwachsenen  seitens  der  K^^^^ 
/,^r:f:rfir»rliin^  m  bezeichnen  sei,  wie  dies  von  Stum-vr"^^^ 
,i.,i,.|,f,  Kijfcri;irTige  sprachliche  Entwickelung  ei,?f^^" 
Ar^^^f\^u^^    fiir   pädagogische   Psychologie    lU      rs       ^  ^^^"'^^^ 
u.,H    4^'^;     I^h   verstehe    unter   Worterfindimi  W-^  ^ 
v;  |,  r>  ri  r  ;i  ri  f:  P:  r  2  e u  ge  n  von  Wörtern.  Der  j^ceAT^^V^ 
knt    h;ill)/M-   möchte   ich   darum   unser    ProblerrT  i^    '^    t^'ZI* 
kUnlni:    Kommt    es  vor,    daß    die    Kiz-*-^^^-^^ 
hihirn.   welche   in  keiner  Weise   a-iT  ix  * -*--   x  l   - 
M'KtinK  zurückzuführen  sind?    Im  Sinne  ü«-- "-^-^ 
\viM<h'  u'h  (hisselbe  im  folgenden  behandeiii.  '^^ 

liiu  ouie  einwandfreie  Lösung  des  voriie^Kmid    --- rit-r^L^ 
Uribruuluhieu»  hielt  ich  gerade  hierbei  die  5^jcüc:ii.--r  ^:_-. 
hv  h^i   vielei    Kinder    für    erforderlich.      Fj^^j-siec     sir    VZ- '— 
wuuKmi  ^evhs  bczw,  sieben  Monate  hincur^rfi    re^jc-Äcn^-^^ 

\     \\\-<\W\\\  Schwarzhaupt»  2.  Gertruiie    icioi.    -     __— 

U  ivWvl    \    Vlbiwht  Henrog,  5.  Rosa  Bar:sciit;r    ?   Zj-\ii  ^^--- 

IJv-'-'.v.  l\,iuvh.  ^  v.t:J  o.  Kur:  und  .--^oonnu  -T-r^j,,.:::;  " =" 

W  A^vxx^  XV.".   Iviel^erger. 

\ '»     ;i^    Jo'*    V!:crv    ier^sei-rea    H'iir-,:ut!i     r.i:     j^*-    -. 


HßuproiphUmt  der  kindikkm  SprQcksntwi^lung^ 


289 


des  Wortes  ,,Sofakisseii"  entsprach.   Bekanntlich  sind  die  Kinder 
frühzeitig  imstande,  den  Rhythmus  in  Sprache  und  Musik  auf- 
zufassen  und  nachzuahmen.     Daß   das  22   Monate  alte  Kind 
Ijei  der  Nachahmung  eines  viersilbigen  Wortes  nur  drei  Silben 
spricht,  wird  wohl  kaum  jemand  gegen  meine  Auffassung  von 
der  Entstehung  dieser  Bezeichnung  ins   Feld  führen  können. 
Wenn  ich  nach  diesen  Bemerkungen  davon  absehen  muß^  das 
Wort  ,,adda2ee"  als  von  dem  betreffenden  Kinde  spontan  er- 
zeugt anzusehen,  so  hat  die  ad  hoc  angestellte  Suche  —  bei 
aufmerksamster    eigener    Beobachtung    der    Kinder    Albrecht 
Herzog,  Gertrude  Stahl  und  Kurt  Idelberger  —  nicht  eine 
einzige    sprachliche  Äußerung    zu   Tage    gefördert, 
welche  man  als  freie  Erfindung  der  Kinder  —  Erfindung  in  dem 
oben  angedeuteten  uneigentlichen  Sinne  —  bezeichnen  könnte, 
bejsw,  sich  nicht  mehr  oder  weniger  als  eine  Nachahmung  von 
^^aturlauten    oder    als    Nachahmung    der    Sprache    der    Er 
wachsenen  qualifizierte.    Ich  muß  darum  ein  spontanes 
ErEeugen    von  Wörternj    eine   Wortbildung  der 
Ki  nder  ohne  äußere  Anregung  verneinen. 

Allgemeine  sprachlich-psychologische  Erwägungen  lassen 
di^s  Resultat  der  Beobachtung  erklärlich  erscheinen.  Fragen 
wii"  lunächst;  Wann  reden  wir  von  einer  wirklichen  Wort- 
bildung, was  macht  das  Wesen  eines  Wortes  aus? 

Drei  Momente  sind  es,  welche  das  Kriterium  in  dieser  Frage 
abgeben.    Erstens:  Jedes  gesprochene  Wort  besteht  aus  zwei 
Elementen.     Das   eine   dieser   Elemente  verdankt   seine   Ent- 
stehung einem  physischen  Prozeß;  es  ist  der  Laut  —  selbst- 
verständlich der  artikulierte  —  bezw.  die  Lautverbindung.    Das 
andere  Element  ist  das  Produkt  eines  psychischen  Prozesses; 
^s  ist  der  jeweilige  geistige  Inhalt  eines  Wortes  —  Vorstellungen^ 
Pfühle   oder   WiUensregimgen   —   oder   die   Wortbedeutung. 
^ide  Elemente  assoziieren  sich,  und  dadurch  wird  der  Laut 
^^^'it  äußeren  Zeichen  für  diesen  psychischen  Inhalt.    Wie  diese 
^ssoziation  zustande  kommt,  kann  uns  hier  gleichgültig  sein- 
^w^itens:  Das  vorhin  genannte  physische  Element  —  der  Laut 
^^x  die  Lautkombination  —  muß  mit  der  Absicht  hervorgebracBt 
Und   verwendet  werden,  diesen  geistigen   Inhalt  auszudrücken^ 
"Mitzuteilen  oder  m  bezeichnen.    Dazu  kommt  noch  ein  drittes : 
^^n  einer  eigentlichen  Wortbildung  kann  immer  nur  dann  die 
RecJe  sein,  wenn  die  gekennzeichnete  psychophysische  Asso- 

^^L  Zt\U^hüi\  fuf  pädagoeischt  Ptychologic.  Pathologie  tind  Hygiene.  4 


290  HeinriOi  Idelberger, 

ziation  wiederholt  derart  zustande  kommt,  daß  ein  Laut  oA^r 
eine  Lautverbindung  dieselbe  Wortbedeutung  erhält.  Erst  die 
Konstanz  dieser  Verbindung,  welche  dieselbe  zu  einem  zeit- 
weisen  oder  dauernden  Bestandteile  der  Sprache  macht,  gibt 
derselben  die  Bedeutung  eines  Wortes. 

Unter  Berücksichtigung  dieser  angeführten  drei  Momente, 
welche  die  Frage,  ob  diese  oder  jene  lautliche  Äußerung  des 
Kindes  als  eine  wirkliche  Wortbildung  aufzufassen  ist,  zu  ent- 
scheiden haben,  werden  nun  aus  dem  Rahmen  der  Erörterung 
imsers  Problems  zunächst  alle  die  von  dem  Kinde  im  ersten 
Lebensjahre     gebildeten     Lalllautverbindungen,     sodann     die 
Wörter,  die  durch  Assoziation  eines  psychischen  Inhaltes  mit 
einem  längst  geläufigen  Lallwort  entstehen,  ausgeschieden.  Das 
Wort  muß  sich  als  die  spontane  Assoziation  einer  noch  nicht 
geübten  Lautverbindung  mit  einem  Bedeutungsinhalt  erweisen, 
wenn  es  als  vom  Kinde  im  Sinne  unsers  Problems  erfund^'^ 
gelten  soll.    So  sind  die  so  gern  als  Erfindungen  der  Kind^^ 
hingestellten     Bezeichnungen     „papa"      (=  Vater),     „mam^- 
(=  Mutter),  „deta,  dada**  (=  Tante)  u.  a.  keineswegs  als  solct^^ 
anzusehen;   es   sind  einfach  nur  assoziativ  übertragene  LaJ^^' 
Wörter.    Weiterhin  scheiden  nach  der  Wesensbestimmung  d^^^ 
Wortes  auch  alle  die  lautlichen  Äußerungen  des  Kindes  au^^ 
der  Behandlung  unsers  Problems  aus,  die  sich  als  „Entladungen^ 
der  kindlichen  Affekte  kennzeichnen  und  der  Wiederholung 
in  derselben  lautlichen  Zusammensetzung  ermangeln.  — 

Fragen  wir  sodann:   Ist   die  Assoziation  einer  bis  dahi^ 
noch  nicht  geübten  Lautkombination  mit  demselben  geistige^ 
Inhalt  beim  Kinde  psychologisch  denkbar?    Nehmen  wir  einm^-l 
an,   das  Kind  habe  auf  Grund  seiner   Sprachdisposition  ein  ^ 
gegenständliche  Bezeichnung  spontan  gebildet,   also  eine  bi^ 
dahin  noch  nicht  eingeübte,  spontan  erzeugte  Lautverbindun  ^ 
als   Bezeichnung  einer   neu   auftretenden   Sachvorstellung  aT"^' 
gewandt,  und  es  würde  nun  dem  Kinde  nach  einiger  Zeit  da*-  ^ 
bezeichnete  Objekt  gezeigt,  um  die  Reproduktion  der  selbsttäti  ^^ 
erzeugten  Lautverbindung  zu  veranlassen.    In  diesem  Falle  i^^^ 
es  sicher,  daß  die  letztere  unterbleibt.     Es  fehlen  dem  Kind       ^ 
eben  die   notwendigen   Dispositionen    zur  Wiederholung   deg^ 
früheren  Prozesses  der  Lauterzeugung;  diese  werden  erst  durc^^ 
wiederholtes  Vorsagen  der  Lautverbindung  von  Seiten  der  Eii^^' 
wachsenen  und   Nachsprechen  derselben   seitens   des    Kinde ^^ 


Hmi^prxfhUme  der  MmäiüAem  SpwackeniwüMung* 


291 


tiatten;  erst  dadurch  wird  der  kleine  SprachschiUer  all- 
lilich  in  stand  gesetit,  sich  der  akustischen  und  motorischen 
ijrtvorstellung  wieder  zu  erinnern.  Wie  schwach  das  Wort- 
lächtnis  des  sprechenlemenden  Kindes  ist,  beweist  folgende 
^bachtung:  Albrecht  Herzog  wird  am  19.  XL  02,  also  am 
'*  Lebenstage,  ein  Tintenglas  mit  Inhalt  vorgehahen.  Nach 
■  letzteren  befragt»  weiß  er  keine  Antwort  zu  geben,  und 
laufhin  sage  ich  ihm  das  Wort  „Tinte'*  vor*  AJbrecht  spricht 
iselbe  nach,  .^dinde**»  Bei  meiner  Anwesenheit  in  der  eiter- 
igen Wohnung  am  20.,  24.,  26.,  28.  und  29.  November  frage 
Bpr  Prüfung  seines  Wortgedächtnisses  allemalj  indem  ich  ihm 
WGIas  zeige,  nach  dem  Inhalt  desselben.  Niemals  weiß  er  den 
sprechenden  Namen  anzugeben,  obwohl  ihm  derselbe  bei 
Kn  Besuche  mehreremal  vorgesprochen  worden  ist  und  er 
n  auch  jedesmal  ebenso  oft  nachgesprochen 
i  Erst  bei  meinem  Besuch  am  3.  Dezember  02  kommt  ihm 
B  AnbUck  des  Tintenglases  sofort  das  Wort  5,dinde**  von 
1  Lippen.  Durch  vielmaliges  V^orsprechen  des  Wortes  an  den 
^n  bezeichneten  Tagen  und  Nachsprechen  desselben  von 
ten  des  Kindes  vermochte  also  die  Sachvorstellung  erst  die 

tihr  assoziierte  Wort  Vorstellung  zu  reproduzieren.  Obgleich 
Ich  in  dem  obigen  Beispiel  um  ein  nachgesprochenes  Wort 
idek,  so  zeigt  sich  dabei  doch  eine  so  geringe  Fähigkeit, 
»  einmal  Gesprochene  festzuhahen  und  zu  wiederholen,  so 
&  mau  hieraus  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  schließen  kann, 
3  das  Kind  nicht  imstande  ist,  eine  etwa  erfundene  gegen- 
^düche  Bezeichnung  auch  nur  einmal  zu  wiederholen,  ge- 
ftieige  denn  konstant  derart  zu  gebrauchen,  daß  dieselbe 
SRnem  zeitweisen  oder  dauernden  Bestandteil  seiner  Sprache 

■Penau  so  steht  es  mit  der  Erfindung  der  emotionell  ge- 
Reh  ten  Wörter,  der  VerbaMnterjektionen.  Wenn  das  Kind 
br  häufig  eine  gewisse  Beharrlichkeit  im  Gebrauche  einzelner 
irselben  zeigt,  &o  liegt  d«r  Grund  eben  darin,  daß  es  längst 
-übte  und  geläufige  Lallworte  zum  Ausdruck  seiner  Gefühle 
ftd  Begehrungen  benutzt.  Die  Laute  und  Lautverbindungen 
^d  da;  sie  erhalten  vom  Ende  des  ersten  Lebensjahres  an 
*i  irgend  welchen  Emotionen  insofern  einen  psychischen 
K  als  sie  als  Ausdruck  derselben  dienen.  So  gebrauchte 
Sohn  Kurt  vom  10.  bis  12.  Lebensmonat  nacheinander  die 

4* 


292  Heinrich  Idelberger, 

Laute  bezw.  Lautverbindungen :  „ch"  (in  der  Aussprache  etwas 
dem  englischen  th  zuneigend),  „dada",  „deide"  als  Ausdruck  der 
Freude,  „a"  (kurz  gesprochen)  als  Ausdruck  der  Verwundening, 
des  Staunens,  „ä"  (nasal,  wie  französisch'  in)  und  „ö"  (kun  ge- 
sprochen, mit  hinzeigender  Gebärde)  als  Ausdruck  eines 
Wunsches  usw.  —  alles  ihm  längst  geläufige  Lalllaute  bezw. 
Lallwörter. 

Wenn  ich  nun  auf  Grund  eingehender  Beobachtung  und 
sprachpsychologischer    Erwägungen    eine    Wortbildung   der 
Kinder  ohne  äußere  Anregung  verneinen  muß,  so  drängt  sich 
mir  die   Frage  auf:   Wie   ist   die  Entstehung  der  in 
der  einschlägigen   Literatur  auftretenden  Bei- 
spiele einer  angeblichen  Worterfindung  zu  er- 
klären?   Solche  Beispiele  sind  mitgeteilt  von  Darwin,  Taine,    ^ 
Sully,  Strümpell,  Lindner,  Ament  u.  a.    (Zum  Teil  zusanunen- 
gestellt  bei  E.   Rzesnitzek,   Zur   Frage   der  psychischen  El^^* 
Wickelung  der  Kindersprache,  Breslau   1899,  Seite  17  ff.  uO^ 
W.  Ament,  die  Entwickelung  von  Sprechen  und  Denken  beixti 
Kinde,  Leipzig  1899,  Seite  63.)   Es  ist  mir  nachträglich  natiirli^l^ 
nicht  möglich,  festzustellen,  welchen  näheren  Umständen  di^' 
selben  im  einzelnen  ihr  Dasein  verdanken.     Einige  der  n»i^' 
geteilten   Beispiele  freier  Worterfindung  stellen    sich    \tAo<^ 
augenscheinlich  als  mit   einem   psychischen   Inhalt  assbria^i'^ 
verbundene   Lallwörter  dar,  so   Darwins  „mxmi"   und  Tain^^^ 
„ham"  (Bezeichnung  für  Nahrung),  Preyers  „da",  „nda",  „nt^^* 
(Bezeichnimg  für  „da"),  „atta"  (für  „fort"),  Sullys  „ma— m»* 
(Zeichen  von  Unlust),  „dada"  (Zeichen  der  Freude),  Lindnd^ 
„j-j-j"  (angeblich  Bezeichnung  für  Zucker),  „papp"  (BezeichnuDß 
alles  Eßbaren),  „mem"  oder  „möm"   (Bezeichnimg  für  all^^ 
Trinkbare),   „wewe"   (Mitteilung    der  erfolgten  Hamaussdi^^' 
düng)  (G.  Lindner,  Aus  dem  Naturgarten  der  Kinderspracb^^ 
Leipzig  1898;  Seite  34  und  36),  Aments  „adi"  (Bezeichnung  f^ 
Kuchen)  (W.  Ament,  a.  a.  O.,  Seite  99)  usw.    Andere  derselben 
sind  offenbar  onomatopoetischen  Ursprungs,  so  die  von  Lind- 
ners  Knabe  mitgeteilten  BezeicTmungen  „pip"  (für  Vogel)  uöd 
„mm"  (für  Annäherung  eines  Wagens)  (G.  Lindner,  a.  a.  Ov 
Seite  36  und  24),  femer  das  von  Stumpfs  Knabe  gebrauchte 
„tap"  für  öffnen  der  Flasche  (Stumpf,  Eigenartige  sprachlich^ 
Entwickelung  eines  Kindes.    Zeitschrift  für  pädagogische  Psy* 
chologie  III.,  6.     Seite  427)  usw.     Im  allgemeinen  scheinen 


Hattpfpröbi€fH€  iUr  hindiuk^n  Sprach'ml;wkkltmg* 


2Q3 


iir  nach  meinen  Beobachtungen  die  Hauptentstehungsursachen 

der  Beispiele  einer  angeblichen  Worterfindung  folgende  zu  sein : 

1.  Selbst  bei  aufmerksamster  Beobachtung  eines  sprechen* 

lernenden  Kindes  ist  es  doch  fast  unmöglich^  alle  die  äußeren, 

insbesondere  die  von  der  Sprache  der  Erwachsenen  ausgehenden 

Entwickelungsreize   und  deren  tatsächlichen   Einfluß   auf  die 

Uindlicbc  Sprachentwicklung  zu  überwachen.     Dieser  Einfluß 

ist  ein  sehr  großer  und  frühzeitiger;  er  beginnt  nahezu  vom 

ersten  Augenblicke  der  extra-uterinen  Existenz  des  Kindes  an. 

Wie  oft  kommt  es  gegen  Ende  des  ersten  Lebensmonats  vor, 

daß  der  kleine  Erdenbürger  plötzlich  sein  Schreien  unterbrich  t, 

wena  sich  Erwachsene  in  seiner  Nähe  unterhalten,  um  nach 

E^^-^digung  des  Gesprächs  sofort  wieder  in  die  frühere  ,jTonart*' 
verfallen.     Dieser  offenlaindige   Einfluß   steigert   sich  mit 
ehmender  Verfeinerung  des  Gehörs  und  wachsender  Übung 
deir  Sprachorgane.     Er  zeigt   sich  nicht  bloß   in  den  sprach- 
lichen Produktionen  des  Kindes,  welche  das  Resultat  absieht* 
li  eher  Einwirkung  der  Erwachsenen  sind,  sondern  wird  auch 
durch  die  Tatsache  bestätigt^  daß  die  Kleinen  die  Erwachsenen 
in.  ihrer  Sprache  auch  dann  nachahmen,  wenn  nachweislich  eine 
sprachliche  Einwirkung  nicht  beabsichtigt  war  oder  sein 
konnte.     Wie  häufig  müssen  die  letzteren   (Erwachsenen)   — 
manchmal  in  recht  unliebsamer  Weise  —  erfahren,  daß  sie  in 
ihreii  Unterhaltungen  von  Kindern  belauscht  worden  sind.   „Wie 
<*ft  mag  das  Kind  an  den  Gesprächen  der  Erwachsenen  in 
zitier  Weise  Anteil  nehmen,  aber  wie  selten  ist  die  Gelegen- 
^itj   eine  solche   sich   meist   unvermerkt   vollziehende   Anteil- 
nahme zu  beobachten/*    (G.  Lindner,  a.  a.  O.j  Seite  So,)    Diese 
Tatsache  fällt  bei  Beantwortung  der  Frage  nach  der  Entstehung 
^^  „erfundenen**  Wörter  schwer  ins  Gewicht  und  gewinnt  die 
£fÖßt€  Bedeutung  in  unsrer  Erörterung,  wenn  man  bedenkt, 
^^    das    Kind    seine    Nachahmungen    sehr    häufig    bis    zur 
völligen   Unkenntlichkeit  verstümmelt.     Bei    ab- 
sichtlicher Einwirkung  der   Erwachsenen   auf  die   Sprachent- 
^^ickelung  des  Kindes,  also  beim  Vorsprechen  irgendwelcher 
prter  zum  Zwecke  der  Nachahmung,  kann  man  sich  davon 
erzeugen,  wie  dieselben  gar  oft  bei  sofortiger  Wiedergabe 
Ittli  das  Kind  in  einem  solchen  lautlichen  Gewände  erscheinen, 
eine  Älinlichkcit  der  vorgesprochenen  und  nachgeahmten 
roner  kaum  noch  oder  gar  nicht  mehr  lu  erkennen  ist.    Die 


294  Heinrich  Idelberger, 


\ 


Einsicht  in  die  in  der  Literatur  mitgeteilten  kindlichen  Vok^^' 
biüarien  bestätigt  uns  dies.     Wie  bei  beabsichtigter  Spract»-- 
beeinflussung,  so  macht  sich  diese  Wortverstümmelung  selbs'^  — 
verständlich  auch  bei  der  unbeabsichtigten^  unvermerkten  Ei 
Wirkung  geltend,  und  zwar  vielfach  in  noch  höherem  Gradi 
Dazu  kommt  noch  ein  Drittes.    Die  Kontrolle  darüber,  weichte- 
Entwickelimgsreizen  die  kindlichen  Sprachproduktionen  ihr^ 
Ursprung  verdanken,  wird  nicht  unwesentlich  durch  den  Ue 

stand  erschwert,  daß  das   Kind  nicht  allemal  sofort  am =^l 

diese  Reize  vernehmbar  reagiert.    Gelegentlich  der  Versuch-  ^^s, 
welche  ich  zwecks   Beantwortung   der  später  zu  erörternd^^^  :3i 

Frage,  ob  dasselbe  vom  7.  bis  13.  Monat  die  Lippenbewegungi jh 

der  Erwachsenen  beim  Sprechen  beobachtet,  vomahm>  koDn^'^t=:e 
ich  feststellen,  daß  es  sehr  häufig  erst  geraume  Zeit  lautl- 
dieselben  nachahmte  und  dann  —  in  einem  Zeitraum  von  1 5- 
Sekimden  nach  dem  Vorsprechen  —  einen  dem  vorgesprochen« 
JLaut  mehr  oder  weniger  ähnlichen  hervorbrachte.     Diesdl 
Erfahrung  habe  ich  auch  bei  ein-  bis  zweijährigen  Kinde  1 
gemacht.    Wenn  dies  bei  beabsichtigter  Einwirkung  stattfind  ^.^ —  ^> 
so  kann  dasselbe  natürlich  auch  bei  der  unbeabsichtigten  ^'-^• 
schehen.    Klingen  dann  nachträglich  unvermittelt  solche  dur^::r^  1 
unvermerkte     Beeinflussung     entstandenen,     vollständig     v^^  ^■'• 
stümmelten  Lautgebilde  an  des  Erwachsenen  Ohr,  so  kann    ^^^ 
sich  meist  ihren  Ursprung  nicht  erklären  imd  ist  nun  geneij 
dieselben  als  vom  Kinde  „erfunden**,  d.  h.  selbsttätig  erzeimi 
anzusehen.    Durch  Zufall  wird  es  hin  und  wieder  möglich, 
Entstehung  eines  auf  die  dargelegte  Weise  gebildeten  Worir^^^ 
später  —  vielleicht  nach  Tagen  und  Wochen  —  nachzuweis^^^- 
Einen  Beleg  dafür  gibt  folgende  Beobachtung :  Gertrude  St»-*^' 
sprach  am  14.  Oktober  02,  also  an  ihrem  444.  Lebenstage,  d-^*^ 
Wort  „popo**,  ohne  daß  die  Eltern  und  ich  uns  die  Entstehu«^^^  -^ 
und  die   Bedeutung  desselben  hätten  erklären  können.     V-^c:^^ 
Popo  =  Gesäß  konnte  es  nicht  herrühren,  da  diese  Bezeic^^* 
nung  in  der  Familie  St.  niemals  angewandt  wurde.    Ebenso  y^^^^ 
es  ausgeschlossen,  daß  hier  ein  inhaltleeres  Lallwort  vorl^,^' 
da  es  allemal  in  auffällig  dringendem,  bittendem  Tone  mehre^'^' 
mal  hintereinander  gesprochen  ward.     Ich  war  daher  anfar»^^ 
geneigt,   dasselbe   als  eine   schlechte  Aussprache   des  Wor€^^ 
„Papa**  zu  betrachten,  doch  mußte  ich  sehr  bald  von  dies^^      i 
Auffassung  zurückkommen,  da  G.  St.  das  Wort  >,papa''  danebet» 


Hmiptprohl^m^  dfir  Mnäiick^n  Sßr&chff^hpüHungM 


295 


btojaiichte  und  lautrichtig  aussprach.  So  verging  geraume 
Bit,  ohne  daß  wir  uns  über  Ursprung  und  Bedeutung  dieser 
o^^itkombination  Klarheit  hätten  verschaffen  können.  Als  ani 
5,  Tag€  nach  Feststellung  der  erstmaligen  Anwendung  (also  am 
3.  Oktober  02}  die  Familie  St.  am  Mittagstisch  saß  und  unter 
rxci-erem  auch  ein  Gericht  Kartoffeln  aufgetragen  v^nirde,  schrie 
r^^trude  mit  Hinweis  auf  das  letztere :  popo,  popo !  Auf  die  Frage 
ex-  Mutter :  Willst  du  Kartoffeln  ?  antwortete  sie ;  Ja,  popo,  popo  1 
„Js**  gebrauchte  sie  zu  der  Zeit  sinnrichtig.)  Hiermit  war  das 
Lätsei  gelöst*  G,  St.  bediente  sich  der  Laut  Verbindung  ,spopo**  zur 
li^eilung  ihres  Verlangens  nach  Kartoffeln,  In  lautlichem 
leziehung  qualifiziert  sich  dieselbe  als  eine  durch  SubstimtiDn 
mci  regressive  Assimilation  veränderte  Nachahmung*  (Den 
-a.vit  ,,k**  sprach  das  Kind  damals  noch  nicht.  Albrecht  Herzog 
khtnte  dieselbe  Beieichnung  durch  „popcf*'  nach.)  Als  ein 
^sc^ziativ  übertragenes  Lall  wort  glaube  ich  dieselbe  deshalb 
rtidt  auffassen  zu  können,  weil  einesteils  die  Lalllautverbindung 
p,FM>po**  nicht  allzuhäufig  auftritt  (tonloses,  „hartes"  p  verbunden 
TBit  0),  andemteils  war  die  Anregung  zur  Nachahmung  ja  auch 
durch  den  öfteren  Gebrauch  des  Wortes  >, Kartoffeln"  seitens 
der  Eltern  gegeben. 

^B   Was  bis  dahin  von  den  Anregungen,  welche  von  den  Er- 
(Bchsenen  ausgehen,  gesagt  v^iirde,  gilt  auch  von  den  sprach- 
bildenden Einflüssen  der  Naturlaute.    „Die  Kinder  greifen  nicht 
selten,  ohne  daß  die  mit  ihnen  verkehrenden  Personen  den 
böSionderen  Anlaß  konstatieren  können,  beliebige  Laute  oder 
Geräusche  aufj  ahmen  sie  mit  ihren  Mitteln  nach  und  erheben 
sie  dann  rur  Bezeichnung  für  irgend  ein  Objekt  ihrer  Umgebung, 
äuf  welches  der  Laut  bezogen  wurde,"  (Metmiann  IL,  Seite  24.} 
Daß  tatsächlich  die  große  Schwierigkeit,  alle  die  die  sprach- 
liche Entwickelung  des  Kindes  beeinflussenden  Entwickelungs- 
^^lie  zu  kontrollieren,  und  die  daraus  entspringende  Ungenauig- 
kcit  der  Beobachtungen  die   Hauptentstchungsursachc  der  in 
^cr  Literatur    auftretenden    Beispiele    angeblicher  Worterfin- 
dungeti  ist,  wird  mir  durch  folgende  Erfahrung  bestätigt.    Als 
ich  Zwecks  Sammlung  des  Materials  zur  Behandlung  unseres 
^soblems  bei  den  Ehern  der  obengenannten  Kinder  vorsprach, 
Wußte  mir  dieses  und  jenes   Eltern  paar  von  solchen  ,,er- 
^detien*'  Wörtern    seiner    Kinder    zu    berichten.     Die    „Er* 
iüTigen**  verschwanden  aber  von  dem  Tage  an,  von  welchem 


206  Heinrich  IMberger, 

dieselben  dieser  Frage  auf  meine  Veranlassung  hin  ihre  Au: 
merksamkeit  zuwandten. 

2.  Der  Schein  einer  Worterfindung  wird  gar  häufig  dadurc' 
hervorgerufen,  daß  das  Kind  seine  mehr  oder  weniger  ve 
stümmelten  Nachahmungen  auf  ganz  andere  Dinge  anwende 
als  dies  von  seiten  der  Erwachsenen  zu  geschehen  pflegt.   Die 
kommt  einesteils  daher,  daß  es  infolge  seiner  unvoUkonunenefl 
Beobachtung  nicht  erkennt,  auf  welche  Objekte  der  Erwachsen 
seine    Bezeichnungen    richtet.    Andemteils    hat    das    seine^ 
Grund  darin,  daß  es  alles,  was  mit  einem  Worte  durch  Korr 
tiguität  oder  Simultaneität  assoziiert  werden  kann,  in  den  Wor" 
inhalt  aufnimmt.    Nun  kann  der  Fall  eintreten,  daß  die  primär-* 
richtige  Wortverwendung  so  frühzeitig  verschwindet  und  hint« 
der  sekundären  Anwendung,  der  Anwendung  auf  solche  durcrr  ^ 
Kontiguität  und  Simultaneität  verbundene  Objektsvorstellungfe  ^  ^ 
derart  zurücktritt,  daß  sie  von  der  Umgebimg  nicht  bemenT=-^ 
worden  ist.    Zum  dritten  kann  die  Ursache  dieser  Erscheinusrm.  ^ 
darin  liegen,  daß  sich  bei  den  Benennungen  des  Kindes  as^-^iD- 
ziative  Analogie  geltend  macht.     Jedes  unter  normalen  Ver- 
hältnissen aufwachsende  Kind  hat  vom  ersten  Aufdänunem  d^^ 
Sprach  Verständnisses  an  vielfältig  bemerkt,  daß  die  Erwachsen,  ^n 
Wörter  zur   Bezeichnung  von   Gegenständen  und  Vorgängen 
verwenden.    Wenn  es  dies  später  nachahmend  auch  tut  tir^d 
dabei  seine  Sprachprodukte  auf  andere  als  von  den  Erwachsenen 
benannte  Dinge  anwendet,,  so  handelt  es  nur  analog  der  Tätigkeit 
derselben.    Von  Worterfindung  im  Sinne  unsers  Problems  karm 

in  diesem  Falle  natürlich  nicht  die  Rede  sein. 

3.  Eine  besonders  mächtige  Stütze  aber  erhält  die  Annahnr3.e 
einer  selbsttätigen  Erzeugung  gegenständlicher  Bezeicl^ 
nungen  durch  den  Umstand,  daß  die  Erwachsenen  irgend  welche 
reflektorisch  oder  affektionell  vom  Kinde  ausgestoßenen  Lau«^ 
oder  Lautverbindungen  auffangen,  ihnen  eine  gegenständliche 
Bedeutung  unterschieben  und  dieselben  auf  diese  Weise  selb^ 
zu  Objektsbezeichnungen  erheben.     Folgendes   Beispiel  mög 
dies  zeigen.    Die  Mutter  steht  mit  ihrem  kleinen  Liebling  ai 
dem  Arm  am  Fenster  und  läßt  diesen  hinaus  auf  die  Straf 
schauen.     Da  kommt  eine  Droschke  angefahren.     Das  Kii 
gewahrt  dieselbe  und  gerät  durch  den  Anblick  des  sich  I 
wegenden  Gefährtes  derartig  in  psychische  Erregung,  daß 
ganz  impulsiv  irgend  eine  vielleicht  bis  dahin  noch  nicht  ' 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprachentwicklung,  2Q7 

endete  Lautverbindung  hervorstößt.  Die  wegen  dieser  Leistung 

r'^s  Lieblings  ganz  entzückte  Mutter  greift  dieselbe  auf  und 

tlxauptet  nun,  das  Kind  habe  hiermit  die  Droschke  oder  das 

F-^Td  —  oder  auch  beide  zugleich  —  bezeichnet,  also  ein  neues 

'"•ort  gebildet.    Erscheint  wieder  ein  solches  Vehikel,  so  nennt 

^    dasselbe  mit  jener  Lautverbindung  und  weist  ihr  Kind  xmter 

oxsprechen  derselben  auf  dieses  hin.    Auf  diese  Weise  wird 

^     betreffende    Lautkombination    allerdings    bei    oftmaliger 

Wiederholung  zur  Gegenstandsbezeichnung.    Hierzu  ist  erstens 

L    l)emerken,  daß  diese  Lautverbindung  bei  ihrem  erstmaligen 

ia.£treten  nicht  etwa  eine  Benennung  des  Objektes  sein  sollte; 

^x-«  erste  Anwendung  ist  rein  emotioneller  Art.    Zweitens  würde 

^s  Kind  ohne   die   Helferdienste  der   Mutter  dieselbe  beim 

>chmaligen  Sehen  des  Gefährtes  wahrscheinlich  nicht  hervor- 

ringen ;  wenn  es  geschähe,  so  wäre  das  wenigstens  nur  zufällig 

ti-ci  durch  die  Tatsache  zu  erklären,  daß  zeitweise  gewisse  Lall- 

örter  dominieren.    Die  Mutter,  welche  dieser  emotionell  ge- 

ra.uchten  Lautverbindung  einen  gegenständlichen  Inhalt  gibt 

i:i.<i  die  fortgesetzte  Anwendung  in  einem  sich  gleichbleibenden 

iiruie  ermöglicht,  ist  somit  die  eigentliche  Schöpferin  dieses 

Vortes,  nicht  aber  das  Kind. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Zur  Gesundheitspflege  des  Nervensystems.^ 

Von 

Leo  Hirschlaff. 

Man  hat  das  gegenwärtige  Zeitalter  nicht  mit  Unrecht  a' 
das    Zeitalter   der   Nervosität   bezeichnet. 

Statistische  Untersuchungen  haben  gelehrt,  daß  die  Za 
der  Nerven-  und   Geisteskranken  in  stetigem  Wachstum 
griffen  ist ;  schwarzseherische  Gemüter  gefallen  sich  sogar  :S^  i 
der    Weissagung    einer    unaufhaltsam    fortschreitenden    Er"^  n 
artung  des  Menschengeschlechtes.    Als  Ursachen  für  diese  EZ.  :a 
scheinung  werden  angeführt :  die  Zunahme  der  BevölkeruKr^M.  ^ 
und  die  dadurch  erschwerten  Lebensbedingungen  in  wirtscha^ Et- 
licher Beziehung,  die  gewaltige  Ausdehnung  des  Verkehrs  ujcä^cJ 
ihre  Folgewirkungen,  die  Entstehung  der  modernen  GroßstädLtz«, 
die   immer   steigenden   Anforderungen   der   einzelnen    BermJPs- 
zweige  in  bezug  auf  körperliche  und  geistige  Tüchtigkeit,  <i.ie 
verkehrte,   teils   verweichlichende,   teils   überanstrengende    EIt- 
Ziehung  der  Jugend  u.  s.  f. 

In  der  Tat  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  alle  diese  sozial^^o 
Faktoren  geeignet  sind,  den  Kampf  ums  Dasein  zu  erschweren 
und  die  Entstehung  von   Nervenkrankheiten  zu  begünstigen. 
Indessen  wäre  es  verfehlt,  hieraus  den  Schluß  zu  ziehen,  da.ß 
die  mühsam  errungenen  Kulturfortschritte  wieder  aufgegeben 
und  die  Lebensbedingungen  der  Menschen  wieder  vereinfad^^ 
werden  müßten.     Es  wäre  eine  traurige  Verkennung  der  &^" 
scheinungen,  wenn  man  glauben  wollte,  das  geistige  und  si*^^* 
liehe  Niveau  der  Menschheit  ließe  sich  nicht  weiter  erhöhe ^^ 
ohne  daß  die  Nervenkraft  der  einzelnen  und  des  Volkes  Einbu-i3' 
erlitte.    Im  Gegenteil:  je  höher  die  Fortschritte  der  Kultur,     J 
verbreiteter  die  geistige  und  sittliche  Bildung  der  Mensch^- 
desto  eher  sind  die  Bedingungen  gegeben  für  die  Erhaltu* 
und  Förderung  der  Nervengesundheit. 

Allerdings  legt  der  Fortschritt  der  Zivilisation  dem  ^■ 
zelnen  Aufgaben  und  Pflichten  in  hygienischer  Beziehung  a-' 

**)  Dieser  Aufsatz   erscheint  gleichzeitig  separatim   im  Vorlage  «^ 
Wirts*»,  Berlin  SW.,  Lindenstr.  69. 


Zur  Gesundheitspflege  des  Nervensystems.  299 

früher  nicht  oder  wenigstens  nicht  allgemein  bekannt  und 
-htet  waren.  Je  mehr  deshalb  gerade  die  Allgemeinheit  an 

Errungenschaften  der  modernen  Kultur  teilzunehmen  be- 
it,  um  so  mehr  übernimmt  sie  auch  die  Verpflichtung,  sich 
:\ibereiten  und  zu  stählen  für  diese  Mitarbeit  an  den  Fort- 
ritten und  Zielen  der  Menschheitsentwicklung. 

Die  Gesundheitspflege  des  Nervensystems  ist  eine  unerläß- 
e  Vorbedingung  für  das  erfolgreiche  Streben  nach  den 
demen   Lebenszielen:  neben  den   sozialen   Bedingungen 

Lebens  müssen  die  Grundsätze  der  persönlichen  Ge- 
idheitspflege  heute  mehr  denn  je  von  jedermann  beachtet 
3  befolgt  werden.  Den  gesteigerten  Aufgaben  und  Hoff- 
igen des  Lebens  muß  eine  gesteigerte  Pflege  der  persön- 
len  Leistungsfähigkeit  gegenüberstehen. 

Wir  wollen  im  folgenden  die  Gesichtspunkte  besprechen, 
I  für  die  persönliche  Gesundheitspflege  des  Nervensystems 
uptsächlich  in  Betracht  kommen;  die  rein  sozialen  Faktoren, 
ren  Bedeutung  in  der  gleichen  Hinsicht  nicht  leicht  unter- 
lätzt  werden  kann,  sollen  aus  Mangel  an  Raum  an  dieser 
iUe  unerörtert  bleiben.  Aus  Gründen  der  Zweckmäßigkeit 
terscheiden  wir  unter  den  Einflüssen,  die  unser  Nerven- 
»tem  treffen  können,  diejenigen  Einflüsse,  welche  das  Nerven- 
dem selbst  angreifen  und  verändern,  von  denjenigen,  welche 
f  seine  Tätigkeit,  seine  Funktion  beeinträchtigen ;  wir  nennen 

ersteren  organische,  die  letzteren  funktionelle  Einflüsse. 
fade  ebenso  unterscheiden  wir  ja  die  organischen  Nerven- 
nkheiten,  wie  die  Rückenmarkschwindsucht  und  die  Gehirn- 
'^eichung,  von  den  funktionellen  Nervenkrankheiten,  die  sich 

Nervenschwäche,  Hysterie,  Hypochondrie  etc.  in  mannig- 
hen  Formen  äußern. 

Als  einer  der  wichtigsten  organischen  Einflüsse  auf  unser 
fVensystem  gilt  die  Macht  der  Vererbung.  Wissenschaft 
l  Kunst  haben  lange  Zeit  gewetteifert,  die  Rolle  der  Ver- 
Uxig  bei  der  Entstehung  von  Nervenkrankheiten  in  möglichst 
Sser  Weise  zu  schildern.  Das  Schreckgespenst  der  Ver- 
Ung  ist  dadurch  auch  im  großen  Publikum  allseitig  bekannt 
l  gefürchtet  geworden.  Indessen,  es  läßt  sich  leicht  nach- 
ten, daß  man  in  der  Furcht  vor  der  Vererbung  häufig  zu 
t  gegangen  ist.  Auf  der  Grundlage  der  Darwinschen 
^oricen,   in  deren   Beurteilung    die  moderne  Wissenschaft 


300  ^o  Hirschlaff. 


\ 


auch   in   manchen   anderen   Punkten   von   der  ursprüngliche^  "^ 
kritiklosen    Begeisterung    zurückgekommen   ist,    hat    sich  (L^^ 
Meinung  verbreitet,   als  sei  die  Vererbimg  der  Krankheite:^ÄV, 
besonders  der  Nerven-  und  Geisteskrankheiten,  ein  unentrinrnrna- 
bares  Verhängnis,  dem  gegenüber  jeder  Kampf  aussichtslc=^MS 
sei.    In  Wirklichkeit  wissen  wir  jedoch,  daß  die  Natur  in  d^  _er 
Mehrzahl  der  Fälle  die  Schädigimgen,  an  denen  die  Vorf ahr^^  en 
zugrunde  gingen,  bei  den  Nachkommen  auszugleichen  verstehzÄlit, 
Es  ist  erwiesen,  daß  eine  direkte  Vererbung  von  Nervenkran^Kruk- 
heiten    nur   in   sehr   geringem    Umfange    stattfindet.    IdiotE^nie, 
Epilepsie,  Hysterie,  Migräne  zählen  vielleicht  zu  den  wenig*  '^en 
Nervenkrankheiten,    bei    denen    die    erbliche   Belastung   eb   Jiie 
gewisse  Rolle  spielt.    Gerade  die  meistgefürchteten  organisch^^^en 
Nerven-  und   Geisteskrankheiten  aber,   wie  die   Rückenmair:^rk- 
schwindsucht,  die  Gehirnerweichung  etc.,  lassen  einen  solch^^en 
Einfluß  nicht  in  bemerkenswertem  Maße  erkennen.    Auch  ^^«iie 

einfache  Nervenschwäche,  Neurasthenie,  ist  gewiß  nicht  dui rch 

Veredlung  von  den  Eltern  auf  die  Kinder  direkt  übertragb  ar. 
Nimmt  man  als  erwiesen  an,  was  kaum  zu  bezweifeln  ist,  ds — aß 
die  Nervenschwäche  durch  ungünstige  Existenzbedingung^^^, 
unvernünftige  Lebensweise  und  Erziehung,  Vernachlässigt»- ng 
der  persönlichen  Gesundheitspflege  etc.  erworben  werden  ka^^nn, 
so  muß  man  zugeben,  daß  diese  Schädigfimgen  auch  bei  ^■en 
Nachkommen  einwirken  imd  auch  bei  ihnen  die  gleichen  F  o^ 
gen  werden  hervorrufen  können.  Es  vererbt  sich  nach  die  -^ser 
Auffassung  nicht  die  Krankheit  als  solche,  sondern  die  sch-^^^* 
liehen  Gewohnheiten  etc.,  die  die  Krankheit  auch  bei  den  V'  er- 
fahren erzeugt  haben;  und  es  steht  in  der  Macht  der  Na.  -^*^' 
kommen,  dagegen  anzukämpfen  und  den  vermeintlichen  h — ^"^' 
fluß  der  Vererbung  unschädlich  zu  machen.  Die  Tatsac  ^^> 
daß  eine  bestimmte  Krankheit  in  mehreren  Generationen  <^Ä^^" 
selben  Familie  vorgekommen  ist,  berechtigt  denmach  nicht  ^ 
dem  Schlüsse,  daß  sie  von  der  vorangehenden  auf  die  folger^  ^"^ 
Generation  erblich  übertragen  sei.  Durch  genaue  Un*^*^'"' 
suchungen  ist  sogar  neuerdings  festgestellt  worden,  daß  s^  ^^ 
eine  erbliche  Belastung  speziell  bei  Nerven-  und  Geis"^^" 
kranken  nicht  in  merklich  höherem  Grade  findet,  als  bei  v<>1^^S 
Gesunden,  deren  Nervensystem  zeitlebens  normal  bleibt.  XI?/^ 
übertriebene  Furcht  vor  der  Vererbung  sollte  daher  bekäirijpA 
werden.    Sie  verleitet  in  vielen  Fällen  die  davon  Betroffenen, 


i 


Zur  Gesundheitspflege  des  Nervensystems,  301 

die  X-Iände  in  den  Schoß  zu  legen  anstatt  den  Geboten  der  Ge- 
suTxdlieitspflege  zu  folgen  und  sieh  für  den  Kampf  ums  Dasein 
zu     ^wappnen. 

Diese  Auffassung  erleidet  nur  in  wenigen  Fällen  eine  Aus- 
nalirxie:  und  zwar  in  denjenigen  Fällen,  in  denen  das  Nerven- 
systiem  der  Eltern  durdh  Syphilis,  durch  Alkohol  oder 
älxxxliche  Gifte  ruiniert  worden  ist.  Diese  Schädigungen  über- 
trag-en  sich  tatsächlich  vielfach  auf  die  Kinder,  wenn  auch 
niclit  in  der  Weise,  daß  das  kindliche  Nervensystem  genau 
dieselben  Krankheitserscheinungen  zeigt  wie  das  der  Eltern. 
Al>er  eine  Schädigung  in  der  Anlage  und  Entwicklung  des 
Keimes  läßt  sich  hier  mit  Bestimmtheit  nachweisen.  Es  kommt 
iirfolge  dieser  Gifte  zu  einer  Entartung  des  Keimes  und  zu  einer 
da-xiemden  Verändenmg  des  kindlichen  Nervensystems,  auf 
deren  Grundlage  sich  die  schwersten  Krankheitsformen  ent- 
w'iclceln.  Um  so  mehr  Ursache  haben  wir,  vor  den  Gefahren,  mit 
denen  diese  Gifte  unser  Nervensystem  bedrohen,  eindringlichst 
2^     ^^-arnen. 

In  erster  Reihe  gilt  dies  für  den  Alkohol,  den  man 
^^J^vun  nur  zu  treffend  als  den  Erbfeind  des  Menschengeschlech- 
tes   l>ezeichnet  hat.  Jeder  Mißbrauch  alkoholischer  Getränke  — 
^^^^  hierzu  zählen  jede  Art  von  Schnaps,  Wein  und  Bier  —  be- 
^^'^tet  ein  Attentat  auf  unser  Nervensystem ;  und  eine  häufigere 
^Wiederholung  solcher  Mißbräuche  führt,  von  anderen  Schädi- 
^^^-^^^gen    abgesehen,    zu   dem    unausbleiblichen    Ruin    unseres 
^^Kenen  Nervensystems  und  desjenigen  unserer  Nachkommen. 
^^3  ist  eine  imumstößliche  Tatsache;  und  es  ist  eine  überaus 
^^Xirige  Erscheinung,  daß  trotz  dieser  wissenschaftlichen  Er- 
*^eixntnis  der  Mißbrauch  geistiger  Getränke  noch  immer  zu  den 
Selxeiligten    Einrichtungen    unseres    Volkslebens    zu    gehören 
^^Ixeint.    Was  haben  wir  hierbei  unter  Mißbrauch  zu  verstehen  ? 
^  xxschädlich  für  erwachsene  Gesunde  ist  nach  den  exakten 
"^  ^3tstellimgen  der  neuesten  Zeit  der  einmalige  Genuß  kleiner 
jcViantitäten  alkoholischer  Getränke,  wie  z.  B.  eines  halben  Liter 
"*^i«Tcs,  eines  Viertelliter  Weines,  eines  kleinen  Gläschen  fusel- 
^^ien  Schnapses;  vorausgesetzt,  daß  dieser  Genuß  nicht  zur 
^^Slichen  Gewohnheit  wird.    Relativ  unschädlich  für  er- 
^^chsene  Gesunde  ist  femer  der  einmalige  Genuß  einer  etwa 
^^^ifachen  Menge  der  genannten  Quantitäten  bei  besonderen 
^^Icgenheiten;  vorausgesetzt,  daß  nach  solchen  Gelagen  eine 


,02  "^  Hirscklaff. 

völlige  Enthaltsamkeit  von  4 — 8  Tagen  die  hervorgerufea^^^c^ 
Schädigungen  wieder  ausgleicht.  Unbedingt  schädlicJ^* 
auch  für  schwer  arbeitende,  kräftige,  gesunde  Männer,  ist  (^"^^ 
regelmäßige,  tägliche  Gewohnheit,  sogar  kleinste  Mengen  alle  ^^ 
holischer  Getränke  zu  sich  zu  nehmen ;  femer  auch  jedes  eL:^ri 
malige  Überschreiten  der  angegebenen  Höchstdosis,  selbst  wer 
es  in  längeren  Zwischenräumen  geschieht.  V o n  verderblicl 
stem  Einflüsse  und  daher  völlig  zu  verwerfen  ist  endlic — : 
selbst  die  kleinste  Menge  alkoholhaltiger  Getränke  für  jede  A_  -ä 
von   Nervenschwachen  oder   Nervenkranken,   ebenso   wie  f  tSLj 
schwangere  und  stillende  Frauen  und  besonders  für  Kind^^-  - 
Wie  häufig  wird  gegen  diese  Gebote  gesündigt  I    Wie  unheilv-^ir^ 
zeigt  sich  die  Wirkung  des  Mißbrauches,  der  sooft  unbewußt  itx^ 
gedankenlos  von  den  Menschen  in  dieser  Beziehung  getriet>^j 
wird!    Scheint  es  doch,  als  wenn  dieser  Mißbrauch  in  unser ^xti 
Volksleben  so  tief  Wurzel  geschlagen  hätte,  daß  wir  uns  d^^^. 
selbe  ohne  ihn  kaum  vorzustellen  vermögen.     Herrscht  docrj 
in  weiten  Kreisen  sogar  noch  der  Aberglaube,  daß  der  AlkoHc/ 
sogar  nützliche   Eigenschaften  habe,  daß  er  die  Verdauung; 
die  Ernährung  fördere,  die  Wärmebildung  steigere,  die  Blur- 
bildung  anrege,  die  körperliche  und  geistige  Arbeitsfähigkeit 
erhöhe!    In  Wahrheit  ist  das  gerade  Gegenteil  der  Fall.    Ab- 
gesehen von  der  ärztlichen  Verordnung  alkoholischer  Flüssig- 
keiten, die  sich  in  einer  verschwindenden  Minderzahl  von  Fällen 
als  nützlich  erweist,  besitzt  der  Alkohol  keine  einzige  der  ge- 
rühmten   Eigenschaften.    Er  hemmt  die  Verdauung  und  Er- 
nährung, besonders  bei  regelmäßigem  Alkoholgenusse.    Das 
durch  ihn  hervorgerufene  Gefühl  der  Wärme  und  der  erhöhten 
Leistungsfähigkeit  ist  nichts  als  eine  vorübergehende  Selbst- 
täuschung, welche  die  Einsicht  in  die  wahren  Kräfte  des  Or- 
ganismus zu  schädigen  geeignet  ist;  und  die  Blutbildung  ha^ 
mit  dem  vielgepriesenen  Rotwein  gerade  so  viel  zu  tun,  wi' 
etwa  mit  dem  Kartenspiel  oder  dem  Erlernen  der  chinesische 
Sprache.    Alle  diese  Tatsachen  sind  längst  auf  dem  Wege  d 
Experimentes  unbestreitbar  festgestellt.    Auf  der  anderen  Sc 
steht  es  ebenso  unumstößlich  fest,  das  der  Mißbrauch  alkoh 
scher  Getränke  die  schwersten  Nerven-  und  Geisteskrankbe 
erzeugt,  wie  z.  B.  das  Delirium  tremens,  Nervenentzündiü 
und  Nervenlähmungen,  Epilepsie,  Schwachsinn,  organisch 
himkrankheiten  u.  s.  f.    Ebenso  sicher  ist  es,  daß  das  Fan 


Zur  Gesundheitspflege  des  Nervensystems,  303 

^en  und  die  wirtschaftliche  Lage  der  Trinker  durch  den 
kohol  zerrüttet  wird,  sowie  daß  die  Mehrzahl  aller  Verbrechen 
m  Einflüsse  des  Alkohols  zu  danken  ist.  Dazu  kommt,  daß 
B  diese  Wirkungen  sich  nicht  auf  die  Person  des  Trinkers 
schränken,  sondern  auch  seine  Nachkommenschaft  treffen 
d  den  Fluch  der  Vererbung  und  Entartung  auf  die  Kinder 
d  Kindeskinder  heraufbeschwören.  Wann  wird  diesem  Un- 
Ll  endgültig  gesteuert  werden?  Wann  wird  es  gelingen,  die 
sichgültigkeit  des  großen  Publikums  gegenüber  der  Alkohol- 
f^e  zu  erschüttern? 

Neben  dem  Alkohol  ist  es  die  Syphilis,  die  in  zweiter 
ihe  genannt  werden  muß,  wenn  es  gilt,  die  Schrecken  der 
inschheit  und  die  Zerstörer  des  Nervensystems  aufzuzählen, 
id  es  doch  gerade  die  schwersten  organischen  Nervenleiden 
d  Geisteskrankheiten,  die  durch  die  Syphilis  hervorgerufen 
rden.  Es  ist  wissenschaftlich  nachgewiesen  worden,  daß  die 
ickenmarkschwindsucht  und  die  Gehirnerweichung  in  fast 
»tlichen  Fällen  auf  vorausgegangene  Syphilis  zurückzuführen 
.d ;  und  zwar  insbesondere  bei  denjenigen  syphilitisdh  erkrank- 
1  Personen,  die  entweder  gar  keine  oder  nur  eine  ungenügende 
Handlung  ihres  Geschlechtsleidens  durchgemacht  haben.  Wer 

weiß,  welch  unsägliches  Unheil  eine  solche  Erkrankung 
F  die  gesamte  Familie  des  Erkrankten  heraufbeschwört,  wie 
i  Patienten  in  der  Blüte  der  Jahre  dahingerafft  werden, 
mdem  Siechtum  verfallen  oder  der  Irrenanstalt  zugeführt 
rden  müssen,  der  wird  die  Bedeutung  dieses  Faktors  nicht 

unterschätzen  geneigt  sein.  Dazu  kommt,  daß  auch  hier 
i  Nachkommen,  ja  sogar  häufig  auch  die  Frauen  durch  die 
philitische  Erkrankung  des  Mannes  angesteckt  und  in  der 
-ichen  Weise  gefährdet  werden.  Ein  großer  Teil  aller  Fehl- 
burten,  die  Mehrzahl  der  Fälle  von  Unfruchtbarkeit  in  der 
^,  ein  erheblicher  Prozentsatz  der  idiotischen  und  blöd- 
migen  Kinder  sind  auf  die  Syphilis  der  Eltern  zurückzu- 
iren.  Es  ist  daher  außerordentlich  berechtigt,  daß  man  in 
uester  Zeit  begonnen  hat,  auch  gegen  diese  Geißel  der 
'Hschheit  den  öffentlichen  Kampf  aufzunehmen.  Die  Quelle 
^  syphilitischen  Ansteckung  ist  in  den  meisten  Fällen  der 
ierehehche  Geschlechtsverkehr,  wie  er  durch  die  öffentliche 
-r  geheime  Prostitution  ermöglicht  wird.  Denn  trotz  aller 
etlichen  Kontrolle  sind  unter  den  öffentlichen  sowohl  wie 


304  Leo  Hirschlaff. 

unter  den  geheimen  Prostituierten  die  Geschlechtskrankheiten 
dermaßen  verbreitet,  daß  völlig  gesunde  Prostituierte  zu  den 
allerseltensten  Ausnahmen  gehören.  Es  wäre  demnach  er- 
wünscht, daß  jeder  außereheliche  Geschlechtsverkehr  wegen 
der  allzu  großen  Gefahr  der  Ansteckung  aus  Gesundheitsrück- 
sichten unterbliebe;  denn  die  geschlechtliche  Enthalt- 
samkeit bringt  keinerlei  Schaden  an  Leib  und 
Seele  hervor,  wie  vielfach  angenommen  wird.  Da  indessen 
hierzu,  so  wie  die  Verhältnisse  liegen,  zunächst  keine  Aussicht 
besteht,  müssen  wir  uns  notgedrungen  nach  anderen  Maß- 
nahmen umsehen,  um  der  Gefahr  der  geschlechtlichen  An- 
steckung zu  begegnen.  Nach  meiner  Überzeugung  gibt  es  ru 
diesem  Zwecke  nur  ein  brauchbares  Mittel:  die  Benutzung 
zweckmäßig  konstruierter  Praeservatifs  von  Seiten  der  Männer 
in  jedem  Falle  außerehelichen  Geschlechtsverkehres.  Es  ist 
daher  notwendig,  zumal  die  jungen  Leute  darauf  aufmerksam 
zu  machen:  i)  daß  sie  in  der  genannten  Schutzmaßregelein 
zuverlässiges  Mittel  besitzen,  um  geschlechtlichen  Ansteckungen 
zu  entgehen;  2)  daß  sie  im  Falle  einer  geschlechtlichen  An- 
steckung imter  keinen  Umständen  dem  weiteren  Geschlechts- 
verkehr huldigen  dürfen,  bevor  ihre  Erkrankung  nicht  laut 
ärztlichem  Ausspruch  geheilt  und  nicht  mehr  übertragungs- 
fähig ist.  Denn  wer  das  Unglück  gehabt  hat,  sich  geschlecht- 
lich anzustecken,  soll  nicht  in  der  Verborgenheit  darüber 
trauern  und  durch  Quacksalbereien  seinen  Organismus  rui- 
nieren, sondern  er  soll  einen  Arzt  aufsuchen  und  durch  gewissen- 
hafte Befolgung  der  ärztlichen  Anordnungen  seine  Gesui^^' 
heit  wiederherstellen  lassen.  Wenn  man  mit  einer  solche^ 
offenen,  wissenschaftlich  begründeten  Darstellung  an  das  P^' 
blikum  herantritt,  dürften  die  Erfolge  bessere  sein,  als  wex^ 
man  sich  auf  fromme  oder  moralische  Wünsche  beschränk^» 
die  noch  wenigen  Menschen  Nutzen  gebracht  haben.  Es  g^^ 
nicht  länger  an,  die  Angelegenheiten  des  Geschlechtslebens 
zu  verheimlichen  und  mit  dem  Makel  des  Unanständigen  ux* 
Unmoralischen  zu  behaften.  Solange  jeder  Mensch  mit  eii^^ 
natürlichen  Geschlechtsanlage  versehen  auf  die  Welt  kona^^ 
und  solange  die  heutigen  sozialen  Verhältnisse  und  gesellsch^^* 
liehen  Einrichtungen  einer  großen  Zahl  von  geschlechtsreif^^ 
Männern  und  Frauen  die  rechtzeitige  Eheschließung  ^^' 
schweren,  haben  wir  mit  dem  außerehelichen  Geschlechtsv^'     , 


Zur  Gesu^dkeiis^pß^gt  ih%  NerventYstenis, 


305 


mit  einer  Tatsache  7x\  rechnen,  die  durch  schöne 
cht  aus  der  Welt  geschafft  wird. 

le  Schädigungen  des  Nervensystems  durch  das  G^- 
chtsleben  sind  mit  der  Syphilis  nicht  erschöpft*  Neben 
r  schweren  Erkrankung,  die  indes  durch  sorgfältige  ärzt- 

Behandlung  fast  ausnahmslos  in  längerer  oder  kürzerer 
geheilt  werden  kann,  ist  es  vornehmlich  der  Tripper, 
geeignet  ist,  die  Entstehung  nervöser  Erkrankungen  xu  be- 
igen.  Wenn  auch  das  IVippergift  nicht  direkt  wie  das 
ihsgift  am  Nervensystem  haftet,  so  entstehen  doch  da- 
I  namentlich  bei  Frauen  eine  grosse  Reihe  von  Organ- 
Enkungen  des  Unterleibes,  die  eine  dauernde  Quelle  von 
Ziagen,  Schmerzen  und  anderweitigen  körperlichen  und 
chen  Beeinträchtigungen  darstellen.  Ein  grosser  Teil  aller 
ichen  Unterleibserkrankungen,  die  so  außerordentlich  ver- 
St  und  hartnäckig  sind,  ist  auf  die  (j  bertragung  des  Trippers 
Manne  auf  die  Frau  zurückzuführen.  Daß  aber  die  Unter- 
crankheiten  der  Frauen  mit  allen  ihren  Beschwerden  und 
inehmlichkeiten  eine  der  häufigsten  Ursachen  von 
Chondrischen  Verstimm jngen  und  nerv^ösen  Zuständen 
>An  sind,  dürfte  hinlänglich  bekannt  sein.  Daher  gelten 
für  die  Verhütung  dieser,  viel  au  wenig  beachteten  Gefahr 
ben  als  Schutz  gegen  die  Syphilis  geschilderten  Gesichts 

Endlich  muß  noch  eines  Umstandes  gedacht  werden,  der 
Jeiten  des  Geschlechtslebens  aus  zu  einer  Schädigung  des 
pnsystems  führen  kann^  ich  meine  die  übermäßige 
riedigung  des  Geschlechtstriebes,  die  freilich, 
t  genommen,  erst  unter  den  sogenannten  funktionellen 
ligungen  des  Nervensystems  ihre  Besprechung  finden 
.  Wenn  auch  von  den  Gefahren,  die  nach  dieser  Richtung 
Gestehen,  im  Volke  vielfach  übertriebene  Vorstellungen 
chen,  so  mulA  doch  daran  festgehalten  werden,  daß  die 
I  häufige  Ausübung  des  Geschlechtsgenusses  ebenso  wie 
vorzeitige  Befriedigung  unter  allen  Umständen  schädlich 

Die  Gefahren  der  leider  so  sehr  verbreiteten  Onanie 
ICinder  und  jungen  Leute  bestehen  einmal  in  der 
löpfung  der  wertvollsten  Kräfte  des  Organismus  zu  einer 
Wo  er  derselben  am  dringendsten  bedarf,  nämlich  2ur  Zeit 

ginnenden  körperlichen  und  seelischen  Reife,-  als  Folge 

ilScHrifl  fßr  j*iiliffogi«h*  P$ycho1ogi«'»  Pilhölogic  und  Hygiene.  5 


306  ^ö  Hirschlaß. 

davon  beobachten  wir  nicht  sehen  noch  beim  Erwachsenen 
nervöse  Schwächezustände,  vor  allem  aber  ein  vorzeitiges  Er- 
löschen der  Zeugungsfähigkeit  mit  allen  seinen  sozialen  und 
hygienischen  Folgeerscheinungen.    Sodann  ist  als  häufige  Folge 
des  Onanierens  eine  seelische  Schädigung  zu  bemerken,  die 
sich  in  Form  von  Schüchternheit,  Menschenscheu,  kleinmütiger 
Selbstverzweiflung  und   Selbstpeinigung  äußert.     Um  irrtüm- 
lichen Verallgemeinerungen    vorzubeugen,    füge    ich   sogleich 
hinzu,  daß  diese  Schädigungen  nur  in  den   Fällen  häufigen 
und   lange    Zeit   fortgesetzten    Onanierens  zustande   kommen, 
meist  auch  nur  bei  Personen,  deren  Nervensystem  schon  durcb 
anderweitige  Einflüsse  geschwächt  ist.     Aber  auch  beim  Eic- 
wachsenen  spielt  das  Übermaß  der  geschlechtlichen  BefrieA^' 
gimg  eine   gewisse   Rolle   in  der  Entstehungsgeschichte  nc^*' 
vöser  Erschöpfungszustände  aller  Art ;  insbeSsbndere,  wenn  ^  ^ 
der   Häufigkeit   der   Geschlechtsbefriedigxmg   sich  eine  me^2^ 
oder  minder   krankhafte   Art   ihrer   Ausführung    hinzugesel^^^- 
Hier  ist  es  nicht  nur  der  Säfteverlust,  der  schädlich  auf  de^^^ 
Organismus  einwirkt,  sondern  vor  allem  die  krankhafte  ui«=^^ 
übertriebene  Aufregung,  die  der  in  irgend  einer  Richtung  ve=-^^* 
kehrte  Geschlechtsgenuß  unweigerlich  mit  sich  bringt,  und  d     — ^^ 
unfehlbar  der  nervösen  Zerrüttung  Vorschub  leistet.     Schcs=^° 
die  vielfach  aus  Furcht  vor  der  Kindererzeugung  übliche  vo^^r* 
zeitige  Unterbrechung  der  Geschlechtsbefriedigung  rechnet  ^^u 
diesen  Schädigungen;  sie  könnte  ebenfalls  durch  die  Anwe==:=^' 
düng  der  oben  empfohlenen  Schutzmaßregel  aus  der  Welt  g       ^* 
schafft  werden. 

Unter  den  weiteren  organischen  Ursachen  für  die  Ei^*^' 
stehung  von  Nervenleiden  muß  nunmehr  der  Unfälle  g'  ^' 
dacht  werden.  In  der  heutigen  Zeit  des  stark  entwickelt^^^ 
Verkehrs  und  der  treibhausmäßig  sich  entfaltenden  Gro^^^ 
industrie  mit  ihrem  beschleunigten  Arbeitstempo,  in  einer  Ze^^^» 
in  der  die  Maschinen  immer  komplizierter  werden  und  einc^^° 
immer  größeren  Teil  der  menschlichen  Arbeit  ersetzen,  sin^-  ^ 
auch  die  Unfallerkrankungen  innerhalb  der  Berufstätigkc:=  ^^ 
immer  häufiger  geworden.  Speziell  das  Nervensystem  wir' 
bei  Unfällen  häufig  in  Mitleidenschaft  gezogen,  sei  es  durc:=^ 
direkte  Gewalteinwirkung  auf  den  Kopf  oder  Rücken,  sei  ^^ 
durch  die  allgemeine  Erschütterung  des  gesamten  Körper^/ 
sei  es  endlich  indirekt  durch  die  nervösen  Folgezustände  andef' 


\ 


\ 


lur  ü^sundheitispßige  da  Ntrv^m^iietm. 


307 


weniger  Verletzungen,  die  erst  später  ihren  Einfluß  auf  das 
Nerxensystem  geltend  machen.    Zur  Verhütung  dieser  Unfall- 
erkrankungen   sind   in   erster   Linie  gewisse   Schutzmaßregcln 
berufen,  wie  sie  in  jedem  Fabrikbetriebe  je  nach  der  Lage  der 
diirc>i  ihn  bedingten   Schädigungen   gesetzlich  vorzusclireiben 
Sind ;   2,  B.  Schutzgitter,   Respiratoren   und   Schutzbrillen,    Be- 
schaffenheit    der    Arbeitskleidung     und    Arbeitsräume,    Ven- 
nla.tions-  -und  Badeeinrichtungen  und  dergleichen  mehr.    Leider 
vei-ii^rren  zuweilen  die  Angestellten  gegenüber  diesen  Schutzein* 
ncrhtungen  in  einer  beklagenswerten  Gleichgültigkeit,  die  schon 
^ie^l  Unheil  verschuldet  hat;  auch  der  Alkohol  spielt  hierbei 
t\Tx^  Rolle j  wie  die  gehäufte  Zahl  der  Unfälle  am  Montag  be- 
^'^ist.    Die  Unfallgesetzgebung  des  Deutschen  Reiches  hat  hier 
"^^.nches  gute  gestiftet,  dadurch  daß  sie  den  Arbeitgeber  ver- 
^^laßt,  die  L^nfallverhütung  in  seinem  Betriebe  mehr  als  zuvor 
^'^ -zustreben,  sowie  dadurch,  daß  sie  dem  verletzten  Arbeiter 
^iJXea  Rechtsanspruch  sichert,  der  ihn  wenigstens  einigermaßen 
f*iT-  die  erlittene  Einbuße  an  Gesundheit  und  Erwerbsfähigkeit 
ci^trschädigt.    Andererseits  freilich  darf  auch  nicht  verschwiegen 
^"^-Tden,  daß  diese  Unfallgesetzgebung  nach  ärztlichen  Erfahr- 
ui^^en  auch  ihrerseits  wiederum  in  nicht  ganz  seltenen  Fällen 
V'^CManlassung  t\x  nervösen  Schädigungen  der  Arbeiter  geworden 
»si:-   Wenigstens  erleben  wir  es  mitunter,  daß  anscheinend  nur 
laicht  Verletzte,  bei  denen  der  Unfall  keine  ärztlich  nachweis- 
V^.Te  oder  nur  geringfügige  Folgen  hinterlassen  hat,  sich  mehr 
^Tid  mehr  in  die  Vorstellung  einleben,   daß  ihre  Gesundheit 
d^rch  den  Unfall  dauernden  Schaden  genommen  habe  und  daß 
sicli  aus  dieser  Vorstellung  heraus  in  Verbindung  mit  den  wieder- 
holten ärztlichen  Untersuchungen,  Attesten,  Verhandlungen  und 
'Zurückweisungen  vor  Gericht  ein  krankhaft  nervöser  Seelen- 

^  Island  entwickelt.  Es  konunt  in  solchen  Fällen  zu  einer  tiefen 
^^«emden  Verstimmung,  zu  völliger  Verzagtheit  und  Verzweif- 
mng^  selbst  bis  zum  Lebensüberdruß,  mit  anderen  Worten  zu 
^iner  krankhaften  Gemütsverfassung,  die  nicht  sowohl  durch  den 
Unfall  selbst  als  vielmehr  durch  den  Kampf  um  die  Unfall- 
^^nte  erzeugt  worden  ist.  Daher  muß  vor  aussichtslosen  und 
^ürch  die  Lage  der  Sache  nicht  genügend  gerechtfertigten 
^chriuen  inbezug  auf  die  Erlangung  einer  Unfallrente  im  eige- 
^^^  Interesse  der  Kranken  gewarnt  werden:  nur  die  im  2u- 
e  mit  dem  erlittenen   Unfälle  ärztlich  nachweis- 


308  ^^  Hinchlaff. 

baren  Schädigungen  können  von  der  Unfallgesetzgebung  be- 
rücksichtigt werden. 

Zu  den  organischen  Einflüssen,  die  unter  Umständen  ge- 
eignet sind,  das  Nervensystem  zu  schädigen,  gehört  auch  eine 
unzweckmäßige  Ernährung.  Obwohl  die  Wissenschaft 
längst  gelehrt  hat,  daß  eine  zweckmäßige  Ernährung  in  be- 
stimmten Verhältnissen  aus  Eiweiß,  Fett,  Kohlehydraten  (Mehl- 
stoffen), Salzen  und  Wasser  zusammengesetzt  sein  muß,  wird 
doch  häufig  gegen  diese  Regel  gefehlt,  sei  es  aus  Unkenntnis, 
sei  es  aus  Not  oder  aus  Fanatismus.  So  ist  z.  B.  eine  Kost, 
die  zu  wenig  Eiweißstoffe  enthält,  in  den  meisten  Fällen  un- 
genügend für  Personen,  die  körperlich  oder  geistig  schwer  ru 
arbeiten  haben.  Es  folgt  daraus  eine  mangelhafte  Ernährung 
und  Blutbildung  des  Körpers,  die  auch  das  Nervensystem 
schwächt  imd  in  seinen  Leistungen  hemmt.  Nicht  viel  seltener 
ist  allerdings,  unter  Vernachlässigung  der  übrigen  Nahrungs- 
bestandteile, eine  übermäßige  Zufuhr  von  Eiweißstoffen,  deren 
Schädlichkeit  für  das  Nervensystem  um  so  größer  ist,  als  da- 
mit zugleich  auch  die  Salze,  speziell  die  Fleischsalze  und  die 
Gewürze  in  zu  großer  Menge  zugeführt  werden.  Diese  aber 
bewirken  eine  Überreizung  des  Nervensystems,  die  sich  auf 
die  Dauer  als  verderblich  erweist,  besonders  bei  einem  an  und 
für  sich  schon  in  erhöhtem  Maße  reizbaren  Nervensystem. 
Es  muß  daher  darauf  hingewiesen  werden,  daß  das  Fleisch 
und  die  daraus  bereiteten  Speisen  weder  die  einzige,  noch 
auch  nur  die  Hauptnahrung  eines  gesunden  Menschen  bilden 
dürfen.  Eiweißzufuhr  beim  gesunden  Erwachsenen  ist  nur  so- 
weit erforderlich,  als  ein  Verbrauch  an  Zellmaterial  im  Körper 
durch  die  geleistete  Arbeit  stattgefunden  hat ;  auch  kann  ein 
Teil  des  Eiweißbedarfes  durch  Eier  und  pflanzliches  Eiweiß 
gedeckt  werden.  Die  eigentlichen  Nahrungsstoffe  im  engeren 
Sinne  sind  vielmehr  die  Fette  (Butter,  fette  Käse,  Milch,  Speck, 
öl  etc.),  die  zum  Teil  direkt  dem  Ansätze  dienen,  und  die 
Kohlehydrate  (Brot,  Gemüse,  Kartoffeln,  Mehlspeisen,  Zucker, 
Obst  etc.),  die  in  der  Hauptsache  den  Kraftbedarf  des  Körpers 
decken.  Reizmittel,  wie  Pfeffer,  Senf,  Gewürze,  geräucherte, 
saure  und  stark  gesalzene  Speisen  sollten  stets  nur  in  geringen 
Mengen  genossen  werden;  ebenso  alle  aus  vielen  Bestandteilen 
zusammengesetzten  Gerichte. 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  die  Wahl  einer  geeignett^ 


Ar  üemnäketapßegt  4es  Xervmsysiem$, 


309 


Imährung  für  die  Gesundheit  der  heranwachsenden  Genera- 
Schon  die  Säuglingsernährung  ist  von  hervorragender 
ichtigkeit  für  die  Nervengesundheit  des  in  der  Entwickelung 
begriffenen  Organismus,  insofern  die  Muttermilch  die  einzige 
Tiatürliche  Nahrung  für  jeden  SäugUng  bildet  und  jeder  wie 
itmner  geartete  Ersatz  dafür  stets  unvollkommen  bleibt.  So 
unterscheidet  sich  schon  das  Brustkind  von  dem  Päppelkind 
nicht  nur  in  seinem  Ernährungszustande,  sondern  auch  in  seiner 
Nervengesundheit,  seiner  Widerstandskraft  gegen  äußere  Ein- 
flüsse, seinem  ruhigeren  V'erhalten  und  Schlaf  u.  s.  w.  Auch 
K\r  die  späteren  Lebensjahre  der  Kinder  gilt  der  Satz,  daß  die 
ahrung  möglichst  frei  von  Reizstoffen  sein  solle,  in  erhöhtem 
aße:  Fleisch  und  Räucherware  sind  zu  beschränken,  Gewiiae, 
Kaffee,  1  ee^  vor  allem  aber  Alkohol  völlig  zu  meiden.  Milch, 
Eier,  Butter,  Gemüse,  Mehlspeisen,  Obst  sollen  in  jedem  Falle 
den   Grundstock  der  kindlichen  Ernährung  bilden. 

An  letzter  Stelle  muß  noch  einiger  Gifte  gedacht  werden, 
die  unter  Umständen  eine  organische  Schädigung  des  Nerven- 
sysienns   herbeiführen   können.     Um  mit  den   mildesten  anzu* 
fa.ng^en  r  Kaffee,  Tee  und  Tabak  sind  dem  Nervensystem 
'l^s    Erwachsenen  nur  dann  schädlich,  wenn  sie  im  Übermalie 
genossen  werden.      Von  den  Giften,  die  in  einreinen   Berufs- 
arte»  auf  die  darin  beschäftigten  Arbeiter  einwirken,  sind  zu 
ffc^nnen  :     Blei,     Phosphor,      S  c  h  w  e  f  e  1  k  o  h  ]  e  n  s  t  o  f  f  » 
^fsen,  Quecksilber,  Nicotin,  Leuchtgas  und  seine 
Verbrennungsprodukte,  Kohlenoxyd,  Kohlensäure  und 
f^^ige  andere.     Alle  diese  Gifte  schädigen  das  Nervensystem 
***  nriehr  oder  minder  hohem  Maße,  falls  nicht  von  den  Arbeitern 
diejenigen   Schutzmaßregeln  angewandt  werden,  die  mr  Ver- 
nütung  der  betreffenden  Vergiftungen  dienen.     Hierher  gehört 
^'^r    allem    häufiges    Baden,   Waschen   der   Hände   vor   jedem 
^^sen,  Wechsel  der  Kleidung  nach  der  Arbeit,  überhaupt  mög- 
lichste  Reinlichkeit  des  ganzen   Körpers;   bei  giftigen   Gasen 
«a^Uptsächhch  Ventilationseinrichtungen  uld  Respiratoren,  die 
^^^   giftigen  Ausdünstungen  von  den  Lungen  fernhalten  und 
^t*  Schädlich  machen. 

Außer  diesen  gewerblichen  Giften  sind  es  aber  noch  eine 
R'^ihe  anderer  Gifte,  deren  verderblicher  Einfluß  auf  das  Ner- 
^cnsy^iem   feststeht:   ich   meine   die   arzneilichen   Gifte. 
^  ist  leider  im  V'olke  Sitte  geworden,  mit  den  Arzneien  Miß 


310  ^«  Hirschiaff. 

brauch  zu  treiben.    Ein  Heilmittel,  das  einem  Patienten  gegen 
eine  bestimmte  Krankheitsersdheinung  einmal  vom  Arzte  ver- 
ordnet worden  ist,  wird  häufig  nicht  nur  von  demselben  Patien- 
ten   auf   eigne    Faust    unter    Umgehung    des    Arztes   immer 
und  immer  wieder  genommen,  sondern  auch  allen  Bekannten, 
xmd  Fremden  weiter  empfohlen.    Hierher  gehören  namentlich 
diejenigen     Mittel,    die    gegen    Kopfschmerzen    imd    andere 
Schmerzen  vielfach  empfohlen  worden  sind,  wie  z.  B.  Ant  ä- 
pyrin,  Antifebrin,  Phenacetin,  Aspirin,  Antinervin  und  imzähligC'^ 
andere,  sowie  die  Schlaf-  imd  Beruhigungsmittel,  wie  Bronrm, 
Chloralhydrat,  Sulfonal,  Trional,  Morphium,  Opitun  etc.,  vc^^n 
den  zahllosen  Geheinunitteln  aller  Art  ganz  abgesehen.    Durc=:  "i 
die  Gewissenlosigkeit  mancher  Apotheker  und  Drogisten  v^sX 
es  ja  leider  jedem  Patienten  möglich,  sich  alle  diese  gtstXä\czJ2i 
nicht   freigegebenen   Mittel  auch  ohne   ärztliche   Verordnun  ^ 
zu  verschaffen.     Und  die   Anregung  dazu  bieten  außer  de:=  ^ 
wohlgemeinten   Ratschlägen   der  lieben   Bekannten  die   zalfc^  J- 
reichen  Reklame-Inserate,  -Notizen  und  -Aufsätze  über  alle  de  :^* 
artige  Präparate,  von  denen  die  modernen  Tageszeitimgen  zxr^- 
gefüllt  sind.    Über  den  Umfang  dieses  Mißbrauches  ist  hml» 
sich  vielfach  im  Unklaren ;  über  seine  Schädlichkeit  kann  eii^ 
Zweifel  nicht  obwalten. 

Bevor  wir  zu  dem  zweiten  Teile  unserer  Erörtenmgen  über- 
gehen, möchte  ich  noch  kurz  einer  Ursache  gedenken,  die  niAt 
allzu  selten  eine  organische  Schädigung  des  menschlichen  Ner- 
vensystems verschuldet:  ich  meine  die  Hundefinne  (Echino- 
coccus).   Es  ist  im  Volke  wenig  bekannt,  daß  jeder  Hund  ohne 
Ausnahme  zahlreiche   Bandwürmer  besitzt,  deren  Eier  durch 
Lecken  des  Hundes  an  den  Menschen  oder  an  Möbeln,  Ge- 
schirren u.  dergl.  abgelagert  und  so  unter   Umständen  dem 
Magen  des  Menschen  zugeführt  werden  können.    Daraus  ent- 
stehen schwere  Erkrankungen  aller  Organe,  nicht  selten  auch 
Geschwülste   im  Gehirn,  gegen  die  es  eine   Hilfe  meist  nicht 
gibt.     Ein  Hund  im  Haushalt  bildet  daher  eine  stete  Gefahr 
für    sämtliche     Familienmitglieder,    besonders    aber    für   die 
Kinder,  deren   Reinlichkeitssinn  noch  weniger  ausgeprägt  ^u 
sein  pflegt  als  der  der  Erwachsenen. 

Wir  kommen  nunmehr  zu  der  Besprechung  der  sogenann- 
ten fimktionellen  Einwirkungen,  die  sich  im  Gegensatze  zu  den 
organischen  Schädigungen  nur  auf  die  Tätigkeit  oder  Funktion 


\ 


Zmr  GesunJA^rffßßg^e  ti^s  Ntr^^nsviUrMS^ 


311 


eBsystems  beliehen.  Hier  müssen  wir  uns  zunächst 
klar  werden^  daß  unser  ganzes  Leben  aus  den  Tätig- 
iten  unserer  einzelnen  Organe  besteht.  Alle  noch  so  kom- 
Tten  Handlungen,  die  wir  ausführen,  welchem  Zwecke  sie 
immer  gewidmet  sein  mögen,  setzen  sich  zusammen : 
s  den  Tätigkeiten  des  Geistes,  der  Sinnesorgane  und  der 
rmuskulatur,  2)  aus  den  Verrichtungen  der  Eingeweide- 
e,  der  Lungen,  des  Herzens,  der  Därme,  Nieren  u.  s,  f. 
diesen  Funktionen  steht  nur  ein  Teil,  nämlich  die  Tätig- 
des  Geistes,  der  Sinnesorgane  und  der  Körpermuskuiatur, 
dem  direkten  Einflüsse  unseres  Willens.  Die  übrigen 
e  können  nur  indirekt  durch  unseren  Willen  beeinflußt 
Eden:  sie  unterstehen  einer  automatischen  Regelung,  die  im 
meinen  richtig  funktioniert,  wenn  die  vom  Willen  abhängi- 
Organe  ihre  hygienischen  Pflichten  erfüllen.  Wir  werden 
daher  im  folgenden  hauptsächlich  mit  den  Tätigkeiten 
Geistes,  der  Sinnesorgane  und  der  Körper* 
kulatur  zu  beschäftigen  haben. 
Für  diese  Organe  gilt  folgendes  wichtige  Grundgesetz: 
rätigkeit  dieser  Organe  ist  gesund,  solange  sie  der  äugen- 
dichen  Leistungsfähigkeit  des  Organismus  entspricht;  un- 
ndj  sobald  sie  diese  übersteigt  oder  dauernd  unter  ihr 
kbleibt.  Daraus  folgt,  daß  Labung  für  jedes  Organ 
zlich  und  notwendig  ist,  daß  aber  jede  Ü  heran - 
ngung  ebenso  schädlich  ist,  wie  die  dauernde 
ätigkeit  eines  Organes.  Eine  Überanstrengung 
ist  jedesmal  gegeben,  wenn  die  Leistung,  die  von  einem 
beansprucht  wrd,  über  seine  augenblickliche  normale 
ungsfähigkeit  hinausgeht;  d,  h.  nicht  nur,  wenn  die  Tätig- 
an  sich  zu  groß  ist,  sondern  auch,  wenn  sie  an  sich  gering* 
,  aber  für  den  ungeübten,  momentan  geschwächten,  er- 
*ren  oder  erschöpften  Organismus  trotzdem  noch  xu  groß 
Mit  anderen  Worten:  jede  Tätigkeit,  mag  sie  dem  Ver 
oder  der  Arbeit  gewidmet  sein,  kann  zur  schädlichen 
anstrengung  werden,  wenn  die  Leistungsfähigkeit  des  Or- 
loius  momentan  herabgesetzt  ist,  wie  2.  B.  im  Zustande 
Hungers,  der  Müdigkeit,  bei  ungeübten  oder  durch  Krank- 
geschwächten  Individuen.  Nur  wenn  man  dieses  Gesetz 
!der  Lebenslage  beachtet,  wird  man  imstande  sein  zu  be- 
löi,  ob  eine  beliebige  Handlung,  die  man  gerade  ausführt 


312  Leo  HirseMaff. 

oder  ausführen  soll,  der  Gesundheit  zuträglich  ist  oder  nicht. 
Dabei  soll  noch  einmal  betont  werden,  daß  es  gesundheitlich 
an  sich  gleichgültig  ist,  was  für  einen  Zweck  die  betreffende 
Handlung  verfolgt ;  ob  sie  der  Werte  schaffenden  Arbeit,  der 
Vorbereitung  zur  Arbeit,  oder  aber  dem  müßigen  Vergnügen 
dient,  ob  sie  bewußt,  gewohnheitsmäßig  oder  unbewußt,  auto- 
matisch ausgeführt  wird,  wie  etwa  das  An-  und  Auskleiden, 
das  Tragen  von  leichten  Gegenständen  in  den  Händen,  das 
Warten  an  der  Haltestelle  der  Strassenbahn  u.  dergl.  mehr. 
Auch  muß  daran  erinnert  werden,  daß  eine  Überanstrengung 
nicht  nur  durch  eine  einmalige  zu  schwere  Leistung,  sondern 
häufiger  noch  durch  eine  zu  lange  fortgesetzte,  an  und  für 
sich  xmbedeutende  Leistung  hervorgerufen  werden  kann. 

Woran  erkennt  man  aber,  daß  im  gegebenen  Falle  eine 
Überanstrengung  vorliegt?  Eine  gesunde  Tätigkeit  fällt  uns 
leicht,  sie  erhöht  unser  körperliches  und  seelisches  Wohlbe- 
hagen und  ruft  schließlich  eine  angenehme  Müdigkeit  hervor, 
die  die  Vorbedingung  des  normalen  Appetites  und  des  gesunden 
Schlafes  ist.  Eine  Überanstrengung  dagegen  macht  uns  kör- 
perliches imd  seelisches  Unbehagen,  oft  sogar  Schmerzen,  und 
hinterläßt  eine  übermäßige  Abspaimung  und  Erschöpfung,  die 
bei  häufiger  Wiederholung  unsere  Leistungsfähigkeit  immer 
mehr  herabsetzt  und  schließlich  zu  nervöser  Unruhe,  Über- 
reiztheit und  Mißstimmung  führt. 

Wie  aber  schützen  wir  uns  vor  Überanstrengun- 
gen? Die  Antwort  lautet:  i)  durch  die  hinreichende  Aus- 
bildung und  Übung  sämtlicher  Organe,  die  uns  in  den  Stand 
setzt,  die  an  dieselben  gestellten  Anforderungen  mit  immer 
geringerer  Mühe  zu  erfüllen;  2)  durch  ruhiges,  stetiges  und 
aufmerksames  Arbeiten,  wobei  unsere  Gedanken  nicht  ab- 
schweifen, sondern  dauernd  bei  der  Sache  sind ;  3)  durch  Ein- 
schaltung von  Pausen  in  jede  fortlaufende  Tätigkeit,  so  daß 
Arbeit  und  Ruhe  in  zweckmäßiger  Weise  einander  folgen; 
4)  durch  Abwechslung  in  der  Tätigkeit  der  verschiedenen 
Organe,  wodurch  eine  gleichmäßige  Übung  und  Ermüdung 
herbeigeführt  wird,  während  deren  ein  Teil  der  Organe  sich 
immer  wieder  erholt;  5)  endlich  durch  regelmäßige  Unter- 
brechungen der  Arbeit  zum  Zwecke  der  Nahrungsaufnahme, 
der  Erholung  und  des  Schlafes. 

Alle   diese   Forderungen  müssesi   innerhalb  jeder  Berufe- 


S^€r  CwfimM^pßegg  ds$  ^ervmsymfm. 


313 


tig^keic  erfüili  werden;  sie  werden  auch  innerhalb  jeder  Be- 
tätigkeit  bis  zu  eitlem  gewissen  Grade  voo  jedermann  er^ 
Füllt,  da  die  natürlichen  Bedürfnisse  des  Organismus  uns  dazu 
'ingen^   und  da  bei  grober  Vernachlässigung  dieser   Bedio- 
gungen   der   Organismus  schnell   zugrunde   gerichtet    werden 
Düüüte.    Freilich  ist  die  Berücksichtigung  dieser  Forderungen 
l>ei    den    meisten   Menschen   eine   ungenügende,   teils    infolge 
rOängelnder  Einsicht,  teils  infolge  mangehider  Zeil,  schlechter 
'V^erhältnisse  oder  verkehrter  Lebensgewohnheiten*     Die  Folge 
dieser  V'emachlässigung   ist  die  steigende   Nervosität  der  Be- 
rtifsarbeiter,   die   wir  heute   wohl   in   jedem    Berufszweige   an* 
treffen.     Einige   Beispiele  mögen  das  Gesagte  erläutern:  Der 
l^iiograph,  der  den  ganzen  Tag  über  seine  Arbeit  gebückt  sitzt 
und  zu  einer  Erholung  des  Abends  keine  geeignetere  Beschäfti- 
gung  weiß,   als  zu   lesen   oder   zu    zeichnen,   wird   sich   nicht 
wundem  dürfen,  wenn  er  über  kurz  oder  lang  der  Nervosität 
anhi^imfällt.     Er   würde  diesem   Schicksal  entgehen,  wenn   er 
seine  freie  Zeit  benutzte,  um  seine  Augen,  die  sonst  stets  auf 
^^e     Nähe  eingestellt  sind,  gelegentlich  auch  einmal  im  Fern- 
sehen z\x  üben,  sowie  um   sich  körperlich  ausmarbeiten   und 
durczh  genügenden  Aufenthalt  in  frischer  Luft  die  Einwirkung 
^^s     Stubenhockens   auszugleichen.     Die   junge     Buchhalterui, 
^^^    geEwungen  ist,  den  Tag  mit  Correspondenz    und  Schreib- 
'^^^schinenarbeit  auszufüllen,  sündigt  gegen  ihr  Nervensystem, 
^^tin  sie  jede  freie  Minute  benutzt,  um  möglichst  zahlreiche, 
^Pa.tinende  Romane  zu  verschlingen^  die  feinsten  Handarbeiten 
^^s^uführen  oder  sich  anstrengenden  Sprachstudien  hinzugeben: 
^^ch  ihr   würde  eine   ausgiebige   Bewegung   in   frischer   Luft, 
^P^jierengehen,  Schwimmen,  Schlittschuhlaufen,  Turnen  oder 
^^rgleichen,   neben    reichlicher   Ernährung   und    genügendem 
^^^hlafe  dienlicher   sein.   Der   Muskelarbeiter  endlich,  der  die 
■^siypizeit  seines  Lebens  mit  anstrengender  körperlicher  Arbeit^ 
^ft    unter    der   erschwerenden    Bedingung     ohrenbetäubenden 
Tnies  und  starker  Staubentwicklung  zubringt,  wird  nicht  gut 
^i*an  tun,  seine  freie  Zeit  zum  Radfahren,  Kegeln  oder  zum 
Aufenthalt   in  lärmenden  und   raucherfüllten   Lokalen  zu  ver- 
Ij^erien;  er  wird  vielmehr  zweckmäßiger  handeln,  wenn  er  zu 
'^iner  Erholung  neben  körperlicher  Ruhe  Zerstreuungen  wählt, 
^^^  seine  geistigen  Interessen  zu  fördern  geeignet  sind,  mögen 
*ie  nun  iq  irgend  welcher  Lektüre,  in  dem  Besuch  von  Vor- 


314  Leo  Ifir schlaf, 

trägen  oder  in  der  Teilnahme  an  politischen  oder  gewerkschaft- 
lichen Bestrebungen  ihren  Ausdruck  finden.  Alle  diese  hy- 
gienischen Forderungen  können,  nebenbei  bemerkt,  meist  ein- 
gehalten werden,  ohne  daß  die  eigentliche  Berufstätigkeit  da- 
durch beeinträchtigt  würde;  im  Gegenteil  wird  ein  hygienisch 
lebender  Arbeiter  in  seinem  Berufe  leistungsfähiger,  arbeits-- 
freudiger  und  ausdauernder  sein,  als  jeder  andere. 

Zu  den  oben  gegebenen  Regeln  muß  aber  als  Ergänzung 
noch  ein  wichtiger  Grundsatz  hinzugefügt  werden:  man  ver 
meide  nach   Möglichkeit  jede  überflüssige  Tätigkeit 
die  nicht  einem  bestimmten,  wirtschaftlichen  oder  hygienische 
Zwecke  dient;  oder  da  dies  nicht  durchwegs  angängig  ist,  ss 
berücksichtige  man  wenigstens  auch  diese  Form  der  meist  vm 
bewußten   Tätigkeit   bei  der  Aufstellung  eines    hygienische 
Lebensplanes.    Man  halte  sich  gegenwärtig,  daß  jeder  Mensc:X=i 
täglich  eine  große  Summe  körperlicher  Arbeit  schafft  duro£-:« 
die   unzähligen,  gewöhnlich  unbeachteten   Körperbewegunger-:» 
und  Muskelanspannungen,  die  er  beim  Gehen,  Stehen,  Sitzen^^s^i^ 
Schreiben,  beim  Tragen  von  Gegenständen,  beim  Ankleider^^ 

und    Waschen,    sowie    bei    jeder    anderen    Gelegenheit    voll 

zieht;  daß  unsere  Sinnesorgane,  besonders  Auge  und  Ohr,  —^ 
während  des  Wachseins  unaufhörlich  arbeiten,  um  alle  mög-  — 
liehen  Eindrücke  der  Außenwelt  bewußt  oder  imbewußt  in  -^ 
uns  aufzunehmen;  daß  endlich  unser  Geist  unausgesetzt  be-  ^^''' 
schäftig^  ist,  auch  wenn  er  nicht  zu  bestimmtem  Zwecke  zu  ^^-^ 
arbeiten  gezwungen  ist,  da  uns  fortwährend  und  nebenher  '"^ 
allerlei,  meist  imnütze  und  überflüssige  Gedanken  durch  den  -^^ 

Kopf  gehen.    Wer  verständig  ist  imd  die  Gebote  der  Gesund-^ ' 

heitspflege  ernst  nimmt,  wird  auch  in  diesen  mehr  oder  weniger::^^' 
unbeachteten  Tätigkeiten  Maß  halten  und  sie  überall  da  zu^--^ 
unterdrücken   suchen,  wo  es  gilt,  die  Leistungsfähigkeit  de^^^ 
Organismus  aufs  höchste  anzuspannen  oder  zu  schonen.    So-^^> 
bald  man  einmal  gelernt  hat,  auf  diese  Dinge  zu  achten,  sc^^*> 
ergibt  sich  die  Gewohnheit  des  hygienischen  Handelns  in  kurze  -=r 
Zeit  von  selbst,  ohne  daß  man  gezwimgen  ist,  was  völlig  veia*'- 
kehrt  wäre,   in  jedem   Momente  darüber  nachzudenken,  wa^^^ 
dem   Organismus   nützlich  oder  schädlich   ist.     Vielmehr  g^*^ 
winnt  derjenige,  der  sich  solche  hygienischen  Überlegungc^=^n 
zur  instinktiven  Gewohnheit  gemacht  hat,  eine  reiche  Men^gp^ 
Zeit  für  nützliche  und  einträgliche  Beschäftigungen,  die  fin 


J^r  Gesnnäh^4pßegt  des  Nervemfsitms, 


315 


erer  lui bewußt  und  zweddos  vergeudet.  Auch  kann  die 
eit,  die  wir  biTuf lioh  leisten  müssen,  dadurch  nur  gefördert 
3en,  da  wir  mit  größerer  Sammlung,  Aufmerksamkeit  und 
Ter  Ruhe  arbeiten,  statt  der  so  häufigen  nervösen   Hast 

Zerstreutheit, 

Neben  der  hygienischen  Regelung  unserer  Tätigkeiten  ist 
i  eine  Reihe  von  Gesichtspunkten  für  die  Gesundheits- 
fe  des   Nervensystems  von  Bedeutung,  die  wir  nunmehr 

erörtern  wollen. 
Eine  regelmäßige  Verdauung  ist  für  die  Nervengesund 

dringend  erforderlich.  Einmal  hängt  im&er  Allgemein- 
iden,  speziell  unsere  Stimmung  und  Laune^  sehr  eng  mit 
era  Faktor  zusammen,  insofern  schlechte  Verdauung  ge- 
nlidh  Verdrießlichkeit,  Mißmut  und  griesgrämige  Laune 
orruft.  Sodann  aber  wissen  wir  heutzutage,  daß  durch 
Zersetzungen,  Gärungs-  und  Fäuhiisvorgänge,  die  bei  Er- 
rungs-  und  Verdauungsstörungen  im  Magen-Darmkanal  ent- 
en,  eine  Art  von  organischen  Giften  oder  Toxinen  sich  bilden 
len,  die  zu  vielerlei  Störungen  auch  des  Nervensystiems 
mlassimg    geben,      Kopfschmerzen,    Nervenentzündungen 

Neuralgien  {%.  B,  Ischias  tmd  Gesichtsneuralgie)  hängen 
■ig  mit  solchen  Störungen  zusammen;  nicht  selten  gesellt 

dazu  als  unterstützendes  Moment  eine  Erkältung,  die  auf 
En  so  beschaffenen  Boden  leichter  Wurzel  fassen  kann, 
onst.    Indessen  soll  die  tägliche  Stuhlentleening  nicht  durch 

ständigen    Gebrauch    von    Abführmitteln   erzielt    werden, 
lern  vielmehr  din-ch  eine   zweckmäßige   Lebensweise  und 
öhnung»  insbesondere  durch  eine  geeignete  Zusammenset 
;  der  Nahrung,  durch  reichlichen  Brot-,  Gemüse   und  Obst 
iß>  ev.  durch  Honig,  saure  oder  Buttermilch,  Pfefferkuchen, 
kpflaumen  und  ähnliches  mehr. 

Einen  sehr  wichtigen  Platz,  wie  in  der  persönlichen  Ge- 
lheitspflege überhaupt,  so  besonders  in  der  Erhaltung  ge- 
ler Nerven  nimmt  die  Hautpflege  ein.  Ist  doch  die 
tj  ganz  abgesehen  von  ihrem  Nerven reidhtum,  schon  in- 
lg  auf  den  Umfang  das  ausgedehnteste  Organ  unseres 
E>ers,  dessen  Tätigkeit  die  Funktionen  aller  übrigen  Organe, 
Lungen,  des  Hertens,  der  Nieren,  des  Darmes  etc,  in  er 
Sender  Weise  beeinflußt  und  reguliert.  Eine  tägliche 
rdltmg  des  ganzen  Körpers  gehört  daher  zu  den  selbstver- 


316  I^  HirscMaff, 

Ständlichen  Forderungen  der  Hygiene.  Diese  am  besten  a.H-- 
morgendlich  vorzunehmende  Waschung  mit  frischem»  nur  \jraOi 
strengen  Winter  etwas  versdhlagenen  Wasser  wird  zweckmäfr  i^ 
mit  einer  Abseifung  des  ganzen  Körpers  mittelst  einer  mild^'KüB 
neutralen  Seife,  z.  B.  der  Marseiller  Seife,  verbunden.  Mind^ 
stens  einmal  wöchentlich  ist  daneben  ein  lauwarmes  VoUb^aa^^ 
zu  nehmen,  dessen  Temperatur  zwischen  26®  imd  27^*  R^auin.  ^«^.s 
[32,5^ — 34°  Celsius]  gelegen  sein  und  dessen  Dauer  5 — 6  Mir-Ä.^^ 
ten  nicht  überschreiten  soll.  Sehr  empfehlenswert  sind  au.^=i:l 
die  neuerdings  in  Schulen,  Fabriken  und  Badeanstalten  ei"Än 
gerichteten  und  viel  benutzten  Brausebäder,  die  nach  Beea<z51-i 
gung  der  Arbeit  die  notwendige  Reinigung  besorgen  und  dL^is^n 
abgespannten  Nerven  eine  außerordentliche  Erfrischung  ST^* 
währen.  Audi  sollte  beim  Bau  der  großen  modernen  Arbeit ^^t- 
häuser  darauf  geachtet  werden,  daß  mindestens  ein  gem^imi- 
schaftlicher  Baderaimi  vorgesehen  wird,  der  allen  Mietern  xjl-kx- 
entgeltlich  zur  Verfügung  gestellt  wird. 

Durch  diese  Forderungen  wird  nicht  nur  der  Reinlichk:^  it 
genügt  und  den  oben  aufgestellten  Gesichtspunkten  Rechnung 
getragen,  sondern  zugleich  eine  gewisse  Abhärtung  gege  n 
Erkältungen  geschaffen,  denen  der  Körper  hauptsächlioli 
bei  feuchter  Witterung  ausgesetzt  ist. 

Die  Reinlichkeit  soll  sich  übrigens  auch  auf  unsere  Woh- 
nungen erstrecken.     Jede  Wohmmg  muß,   zur   Entfernung 
der  verdorbenen,  übelriechenden  Luft,  täglich  stundenlang  gr^* 
lüftet  und  täglich  einmal  naß  aufgewischt  werden.    Besonders 
die  Schlafräume  müssen  in  dieser  Beziehung  sorgfältig  berück- 
sichtigt werden ;  bei  reiner  Luft  —  die  oberen  Fensterteile  soUe^^ 
während  der  Nacht  stets  mehr  oder  weniger  geöffnet  sein  -" 
ist  der  Schlaf  bei  weitem  erquickender  und  gesünder  ab  in 
verdorbener  Luft. 

Die  Kleidung  sei  der  Witterung  entsprechend,  in  den 
Übergangs- Jahreszeiten,  in  denen  die  Feuchtigkeit  der  Luft 
in  unserem  Klima  überwiegt,  stärker  und  wärmer  als  in  der 
trockenen  Jahreszeit.  Man  beachte  ferner  sorgfältig  die  Fuß- 
bekleidung, die  zum  Schutze  gegen  Erkältungen  stets  wann 
und  dicht  sein  soll.  Auch  sorge  man  für  Reinhaltung  der  Kleide 
und  häufigen  Wechsel  von  Ober-  und  Unterkleidung;  di 
Kleidungsstücke  sollen  nicht  zu  eng  am  Körper  anUegen« 

Der  Schlaf  ist  ein  wichtiger  Faktor  in  der  Gesundbd 


ä£ur  G^sunähcfitpßegf  tUj  Mrsmt^tffm, 


317 


pflege  des  Nervensystems*  Er  sollte  von  den  24  Sttinden  des 
Tages  8^»o  Stunden  in  Anspruch  nehmen,  je  nach  dem  Lebens- 
alter. Der  an  einem  Tage  aus  irgend  einem  Grunde  versäumte 
Schlaf  muß  stets  am  folgenden  Tage  nachgeholt  werden.  Das 
Schlafzimmer  soll  hell,  luftig,  geräumig  und  möglichst  gerausch- 
frei  sein ;  während  der  Nacht  soll  es  durch  Vorhänge  etc.  ver 
dunkelt  werden,  da  das  auch  durch  die  geschlossenen  Augen- 
lider eindringende  Licht  eine  ausgiebige  Erholung  der  Nerven 
hinden.  Zur  Vermeidung  des  Träumens  achte  man  während 
des  Einschlafens  auf  seine  eigenen  Atemzüge,  wodurch  das 
nutzlose  Hin  und  Herwandem  der  Gedanken  beseitigt  wird. 
Aufregende  Lektüre  und  geistige  Anstrengungen  sollen  vor 
dem  Einschlafen  unterlassen  %\  erden ;  ebenso  eine  Überfüllung 
des  Magens- 

Bei  der  Auswahl  der  Erholungen  bevorzuge  man  vor 
Üiem  anderen  den  Aufenthah  in  der  freien  Natur.  Wande- 
Tjngen,  Bewegungsspiele,  Sport  aller  Art  sind  Faktoren,  die 
:iimal  dem  Großstädter  zur  Entlastung  seines  Nervensystems 
licht  genügend  empfohlen  werden  können.  Besonders  gilt  dies 
iir  die  Sonn-  und  Festtage^  für  die  Zeit  der  Kinderferien  und 
les  Sommerurlaubs  der  Erwachsenen^  der  hoffentlich  auch  den 
Angestellten  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  regelmäßig  zugänglich 
gemacht  werden  wird.  Sehr  wertvoll  sind  in  dieser  Beziehung 
auch  die  Erholungsstätten,  die  auf  Anregung  der  Arzte  von 
Krankenkassen,  Versicherungsanstalten  etc,  in  der  Umgebung 
von  Berlin  errichtet  worden  sind,  um  Rekonvaleszenten,  bei 
denen  eine  Fürsorge  nach  dieser  Richtung  besonders  am  Platze 
ist,  ohne  eigene  Unkosten  den  täglichen  Aufenthalt  in  reiner 
Waldeslufi  zu  ermöglichen. 

Die  im  Rahmen  der  obigen  Ausführungen  gegebenen  Rat- 
schläge dürften  im  allgemeinen  genügen,  um  Gesunden  in 
jeder  Lebenslage  einen  Fingerzeig  ^u  geben,  wie  sie  ihr  Nerven- 
System  gesund  erhalten  können.  Auch  für  manche  spezieUe- 
ren  Verhältnisse,  so  z.  ß.  für  die  gesundheitliche  Erziehung 
der  Kinder  durfte  das  Gesagte  ausreichen,  insofern  man  die 
mitgeteilten  VVmke  in  passender  und  verständiger  Weise  auf 
die  besonderen  Verhältnisse  der  Kindheit  überträgt.  Manche 
Klagen  über  Schulüberbürdung  und  über  eine  fortschreitende 
Entartung  des  heranwachsenden  Geschlechtes  würden  ver- 
iimmen,  wenn  man  zuvor  den  Versuch  machen  wollte,  alle  die 


318  ^o  Hirschlaff. 

aufgeführten  Faktoren  der  Nervengesundheitspflege  sorgfältig 
zu  berücksichtigen  und  durchzuführen. 

Jedoch  soll  ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  daß  die 
hier  gegebene  Darstellung  sich  ausschließlich  auf  Gesunde 
bezieht  und  nur  für  Gesunde  Geltung  hat:  in  Krankheits- 
fällen hat  der  Arzt  zu  entscheiden. 

Zum  Schlüsse  mögen  nofch  ehiige  Bemerkungen  über 
geistige  und  seelische  Gesundheitspflege  ihren 
Platz  finden,  die  freilich  noch  weniger  ak  die  vorangehenden 
Erörtenmgen  auf  Vollständigkeit  Anspruch  erheben  können. 

Zuerst  sollen  uns  die  Gefahren  der  medizinischen 
Halbbildung  der  Laien  beschäftigen.  Nach  meinem  Dafür- 
halten bezieht  sidh  die  Pflicht  der  Laien,  sich  eine  gewisse 
medizinische  Bildung  anzueignen,  lediglich  auf  die  Kenntnis 
vom  Bau  und  den  Leistungen  des  menschlichen  Körpers,  sowie 
die  persönliche  Gesundheitspflege  und  die  allgemeine  Kranken- 
pflege, niemals  aber  auf  das  Verständnis  oder  gar  die  Behand- 
lung der  Krankheiten  und  die  Anwendung  von  Heilmitteln  und 
Heilmethoden.  Leider  ist  es  aber  heute  Sitte  geworden,  die  me- 
dizinische Wissenschaft  in  der  Weise  zu  popularisieren,  daß  das 
Laien-Publikum  durch  gemeinverständliche  Vorträge,  Aufsätze 
in  Zeitungen,  Broschüren  und  Konyersationslexicis  über  alle 
möglichen  medizinischenjAngelegenheiten  aufgeklärt  werden  soll 
Was  dadurch  in  Wahrheit  geschaffen  wird,  ist  im  günstigsten 
Falle  eine  medizinische  Halbbildung,  die  den  Laien  zu  allerlei 
Vorurteilen,  verkehrten  Anschauungen  \md  unzweckmäßigen 
Handlungen  führt,  so  daß  er  sich  berufen  glaubt,  falls  er  über- 
haupt die  Notwendigkeit  empfindet  einen  Arzt  zu  konsultieren, 
die  ärztlichen  Anordnungen  zu  kontrollieren,  zu  kritisieren  und 
eigenmächtig  abziiändem.  Nicht  nur  der  Biertisch-Philister, 
die  in  dieser  Hinsicht  berühmten  alten  Tanten  imd  Schwieger- 
mütter imd  die  fanatischen  Anhänger  der  Kneippschen,  der 
Naturheil-,  der  Kräutersaft-  und  ähnlicher  Methoden,  sondern 
fast  jeder,  auch  der  gebildetste  Laie  jeden  Standes  und  Alters 
fühlt  sich  heutzutage  berufen,  über  medizinische  Angelegen- 
heiten Urteile  auszusprechen  und  Ratschläge  zu  erteilen;  wenn 
er  sich  auch  vielleicht  im  harmlosesten  Falle  darauf  beschränkt, 
die  Verordmmgen  „seines**  Arztes  auf  eigene  Faust  bei  allen 
seinen  Angehörigen  und  Bekannten  weiter  zu  empfehlen,  obnc 
Rücksicht  auf  die  Verschiedenheit  der  einzelnen  Krankheits- 


Zur  Gesuftdkeitspßgg^c  dei  4yert*^n^iiemi. 


319 


fälle,  Daixi  kommt  das  erklärliche  Bestreben  der  modernen 
Heilmittelfabrikanten,  den  Markt  und  das  Publikum  mit  An- 
preisungen ihrer  allein  selig  machenden  Mittel  zu  über- 
schwemmen. 

Auf  diese  Weise  ist  eine  heillose  Verwirrung  in  den  Köpfen 
der  Laien  eingerissen,  deren  Folge  einmal  die  Anwendung  aller 
möglichen  verkehrten  Maßregeln,  sodann  häufig  eine  unnötige 
Angstigung  des  Kranken  durch  unbegründete  Krankheitsvor- 
Stellungen^  vor  allem  aber  eine  bedauernswerte  Untergrabung 
des   Vertrauens   zu   den   Ärzten   beim    Publikum   ist.     Anstatt 
wie  in  früheren  Zeiten  den   Arzt  als  Freund  imd   Berater  in 
allen  ärztlichen  Dingen  zu  betrachten  und  seinen  Anordnungen 
im  Vertrauen  auf  seinen  guten  Willen  und  seine  Sachverständig- 
keit zu  folgen,  schwindet  mehr  und  mehr  das  Vertrauen  zu 
den  Ärzten^  während  das  Ansehen  der  Kurpfuscher  von  Tag 
211  Tage  steigt.    Inwiefern  an  dieser  Sachlage  die  Ärzte  selbst, 
inwiefern  die   Krankenkassen^Gesetzgebung  schuld  ist,  die  es 
lern  kranken  Arbeiter  ermöglicht,  eine  beliebige  Anzahl  von 
Ärzten  in  unglaublich  kurzer  Zeit  zu  konsultieren  und  gegen- 
einander auszuspielen,  soll  hier  nicht  untersucht  werden.    Sicher 
aber  ist,  daß  das  Vertrauen  zum  Arzte  gerade  in  der 
Behandlung  der  Nervenkrankheiten  noch  immer  eine  außer- 
ordentlich große  Rolle  spielt  und  stets  spielen  wird.    Ein  nicht 
anerheblicher  Teil  aller  hypochondrischen   Ideen  und  Angst- 
t^orstellungen,  deren  Verbreitung  ja  ungeheuer  groß  ist,  ent* 
sianunt  dem  geschilderten  medizinischen  Halbwissen  und  den 
darauf  basierten   Mißverständnissen  und   Schädigungen. 

Im   Anschluß   an   diese   Erwägungen,  die  ja  heute  noch 

kaum  auf  allgemeine  Zustimmung  rechnen  dürften,  soll  auch 

Über  die  richtige  Wert  Schätzung  der  Ge  SU  ndheits- 

pflege,    der    ja    auch    dieser    Aufsatz    gewidmet    ist,     ein 

aufklärendes  Wort  gesagt  werden.     Wer  da  glaubt,  daß  die 

Beschäftigung    mit    der    Gesundheitspflege    Selbstzweck    des 

Lebens  sein  dürfte,  geeignet,  den  uns  zur  freien  Verfügung 

stehenden  Zeitraum  des  Lebens  allein  auszufüllen,  der  befindet 

sich  in  einem  folgenschweren  Irrtume.    Die  Beschäftigung  mit 

der  Gesundheitspflege  darf  nur  als  Mittel  zum  Zwecke  betrachtet 

werden;  nämlich  als  Mittel  zum  Zwecke  der  Erreichung  einer 

möglichst  großen  und  vielseitigen  Leistungsfähigkeit,  die  uns 

m  den  Stand  set^t,  unsere  Aufgaben  im  Leben  möglichst  voll- 


320  ^^  Hinchlaf, 

kommen  zu  erfüllen.  Es  kann  daher  nur  davor  gewarnt  werden, 
die  hygienischen  Bestrebungen  derart  lu  übertreiben,  daß  jeder 
freie  Gedanke  und  jede  freie  Minute  ihnen  gehört.  Vielmehr 
sollen  alle  gesundheitlichen  Regeln  durch  gewohnheitsmäßige 
Übung  so  in  unser  Fleisch  und  Blut  übergehen,  daß  sie  kein 
besonderes  Nachdenken  und  möglichst  wenig  Zeit  erfordern, 
so  daß  wir  unser  Interesse  anderen,  wichtigeren  Gegenständen 
zuwenden  können. 

Denn  es  gibt  sicherlich  wichtigere  Gegenstände  und  Lebens- 
aufgaben, als  die  stete  Sorge  für  die  bloße,  körperliche  Gesund- 
heit unseres  lieben  Ich.  Es  ist  eine  Verkennung  der  Tatsachen, 
wenn  man  annimmt,  daß  das  Streben  nach  körperlicher  Gesund- 
heit neben  der  uns  durch  die  Verhältnisse  aufgezwungenen 
Berufspflicht  der  Häuptzweck  und  Hauptinhalt  des  Lebens  sei, 
dem  alle  anderen  Bestrebungen  untergeordnet  werden  müßten. 
Wie  schal  und  öde  wäre  ein  Leben,  das  nur  der  Befriedigung 
solcher  kleinlichen  Interessen  gewidmet  wäret  Um  wieviel 
größer  sind  die  Aufgaben,  die  die  Ausgestaltung  unseres  Geistes- 
und Seelenlebens,  die  Fürsorge  für  unsere  Angehörigen  und 
unsere  Mitmenschen,  die  Teilnahme  an  den  künstlerischen, 
wissenschaftlichen  \md  politischen  Bestrebungen  und  Errungen- 
schaften uns  auferlegt,  als  die  Befriedigung  der  körperlichen 
Wohlfahrt  unseres  eigenen  Ich!  Kann  es  etwas  Unverstän- 
digeres geben,  als  das  Leben  eines  Hypochonders,  der  die 
ganze  Zeit  seines  Daseins  mit  der  ängstlichen  Überlegung  hin- 
bringt, was  seinem  körperlichen  Ich  nützen  oder  schaden 
könnte  ?  Die  Abwägung  der  vielseitigen  Interessen  des  Lebens 
ist  sogar  von  großer  Bedeutung  für  ein  gesundes  Nerven- 
leben ;  di<*  körperliche  Gesundheit  soll  hierzu  nur  die  geeignete 
Grundlage,  nicht  aber  den  Endzweck  abgeben.  Geistige 
Interessenlosigkeit  und  geistiger  Stumpfsinn  sind  dem- 
nach Mängel,  die  nicht  nur  aus  idealen,  sondern  vor  allem 
aus  gesundheitlichen  Gründen  bekämpft  werden  sollten. 

Eine  der  häufigsten  Schwierigkeiten  in  dem  Kampfe  gegen 
die  Hypochondrie  bildet  aber  neben  dem  Mangel  geeigneter, 
höherer  Interessen  die  Übertreibung  etwa  vorhandener 
körperlicher  Störungen  und  Erkrankungen,  wie  sie  bei  Ängst- 
lichen, Nervösen  und  Hypochondern  die  Regel  ist.  Glaubt 
doch  fast  ein  jeder  derartige  Kranke,  der  irgend  welchen  B^ 
schwerden  vorübergehend  oder  dauernd  ausgesetzt  ist,  —  und 


wer  wäre  das  nicht  ^,  sich  schon  deswegen  berechtigt,  von 

allen  anderen  Interessen  abzusehen  und  der  Pflege  und  Be* 

seitigung  dieser  Störungen  allein  zu  leben.    Dazu  kommt  dann 

nocli  di€  Ausschmückung  der  Phantasie,  die  den  Hypochonder 

zu  den  wirklich  vorhandenen  Beschwerden  die  zahllosen  Gebilde 

seiner  eigenen  Angst  hinzugesellen  läßt.    Eine  nüchterne  Selbst- 

bc^obachtung,  die  alle  zu  starken  Ausdrücke  bei  der  Benennung 

der    Beschwerden  vermeidet  und  alle  zu  weit  gehenden  Schluß- 

folg^erungen  aus  den  beobachteten  Erscheinungen  besonnen  tmd 

kritisch  zurückweist,  bildet  die  beste  Schutzwehr  gegen  eine 

solclie  Gemütsverfassung, 

EndHch  möge  noch  im  allgemeinen  auf  die  Bedeutung  der 
Stimmung    und    der    Gemütsbewegungen    für    die 
^*^X"^vengesundheit  hingewiesen  werden.    Es  ist  noch  wenig  all- 
g^tnein  bekannt,  daß  unsere  Stimmung  tmd  unsere  Gemüts- 
bewcgungen  in  direktester  Weise  auf  tmsere  Gesundheit  ein- 
^irlcen  und,  je  nachdem^  zur  Förderung  oder  Verschlechterung 
^^r Selben  erheblich  beitragen  können.    Schlechte  Stimmungen, 
Unzufriedenheit,  Ärgerj  Aufregung,  Furcht,  Trauer  und  Ver- 
^^'eriflung  setzen  alle  Funktionen  des  Körpers  herab  bis  zur 
^ä^Hmung  in  extremen  Fällen.    Sie  beeinträchtigen  den  Appetit 
^^d  die  Verdauung^  hemmen  die  Blut  Zirkulation  und  Wärme- 
*^^ldung  und  vermindern  die  körperliöhe  und  geistige  Leistungs- 
^^d  Widerstandsfähigkeit.    Dagegen  werden  alle  diese  Funk- 
^^nen  gesteigert   und  günstig  beeinflußt  durch  die  Wirkung 
'^^r  entgegengesetzten  Ceniütsbewegungen,  wie  z.  B,  Heiterkeit 
^^d  Zufriedenheit,  Frohsinn,  Hoffnung  und  Freude,    Und  zwar 
^^l  die  Einwirkung  dieser  Faktoren  nicht  etwa  eine  geringfügige 
^Jid  vorübergehende,  sondern  vielmehr,  wie  experimentell  ge* 
leigt  worden  ist,  eine  mächtigej   tiefgreifende  und  dauernde. 
Um   so  mehr  sollten  wir  aus   hygienischen   Gründen  danach 
Streben,  uns  in  den  Besitz  dieser  heiteren  Gemütsverfassung 
lu  setzen  und  dauernde  Mißstimmungen  etc.  zu  bekämpfen  und 
auf  das  notwendigste  Mindestmaß  einzuschränken.  Bei  einigem 
guten  Willen  geht  das  auch,  zumal  wenn  man  bedenkt,  daß 
wir  alle  ja  diese  Forderung  innerhalb  unseres  beruflichen  Ver- 
kehres mit  anderen  fortgesetzt  als  etwas  Selbstverständliches 
zu  erfüllen  gewohnt  sind*    Freilich  gehört  dazu  —  von  äußeren 
Umständen   zunächst  abgesehen    —  eine  gewisse   soziale   und 
sittliche  Einsicht,  die  heute  vielleicht  noch  nicht  jedermanns 

Zdtschrlfl  für  piiügogiK-he  Psydiotogi^r  Palhologie  und  Hygiene.  % 


322  I^  HirsMaff. 

Sache  ist.    Wer  es  vorzieht,  mit  sich,  mit  seinem  Berufe  ur^d 
seinen  Angehörigen,  kurzum  mit  der  ganzen  Welt  in  ewigem 
Hader  zu  leben  und  für  sich  ein  Glück  zu  erstreben,  das  in  A  ot 
Ansammlung   von    Besitz   seine   vermeintliche    Voraussetzu:»-!^ 
findet,  dem  ist  in  dieser  Beziehung  nicht  zu  helfen.    Wer      ^s 
dagegen  als  seinen  Lebensberuf  ansieht,  möglichst  viel  Fr€z:>li- 
sinn,    Zufriedenheit  und  verständige  Freude  im  Leben  zu  .^^^- 
nießen  imd  um  sich  zu  verbreiten,  der  wird  gewiß  aus  eir:Ä.^x 
solchen   Lebensauffassimg   einen   Gewinn  ziehen,  den  er    ^si^xxi 
Abende  seines   Lebens  getrost  als  „Glück"  bezeichnen  dsi.  Ä'f , 
auch  wenn  er  von  der  Natur  weder  einen  großen  Geldbei.:».  ^tel 
noch  besondere  Fähigkeiten  und  Vorzüge  mit  auf  die  \^«^^It 
gebracht  hat. 

Freilich  soll  diese  Lebensanschauung  beileibe  xr».  Je- 
manden verleiten,   mit  den  bestehenden  Einrichtungen  iil::>e'' 
Gebühr  zufrieden  zu  sein,  oder  ihn  hindern,  an  dem  sozial  ^^^» 
politischen  imd  wissenschaftlichen  Fortschritt  der  Menschln^i^ 
nach   seinen   Kräften  mitzuarbeiten.     Aber  sie   soll  uns  tir<^>^^ 
dieser  Mitarbeit,  die  ja  zum  Teil  erst  den  späteren  Generation^  ^^ 
zu  gute  kommen  kann,  anregen,  auch  an  den  bescheiden. ^^ 
Freuden  des  gegenwärtigen  Lebens,  die  ja  doch  sicherlich  m^l^^ 
in  tins  als  in  der  Außenwelt  gelegen  sind,  nicht  vorüberzugeb.^^^ 
und  nicht  unser  Leben  in  Unzufriedenheit  und  Verbitteruii^ß^ 
zuzubringen.    Wer  sich  mit  dieser  Lebensanschauung  befre*^^' 
det,  wird  es  sogar  relativ  leicht  finden,  den  Sorgen  und  Kiräi^' 
kungen  des  Lebens,  ja  sogar  den  körperlichen  Leiden  ge^^^" 
über  soviel  gute  Laune  und  Lebensmut  sich  zu  wahren,  <i^^ 
er  trotz  aller  Nöte  des  Schicksals  sich  mit  einigem  Humor    ^^^ 
Leben  zurechtfindet. 

Solange  wir  leben,  sei  es  unsere  höchste  Aufgabe,  tTO^^ 
aller  Widrigkeiten,  denen  jeder  von  uns  ausgesetzt  ist,  in  vi^^^ 
selbst  so  viel  Glück  als  möglich  zu  finden.    In  ims  sert>^*' 
d.   h.  in  der  Ausgestaltung  unserer  Leistungen,  in  der  "V^^* 
tiefung  und  Vielseitigkeit  unserer  Interessen  und  in  der  V^^" 
vollkommnimg  und   Harmonisierung  unseres   Inneren.    Dei^ 
wer  das  Glück  in  äußeren  Dingen  sucht,  dessen  Seelenleb^^ 
wird  sich  notgednmgen  solange  in  einem  unheilvollen  Zwiespai^ 
befinden,  solange  die  idealen  Lebensbedingungen  der  Menscfr 
heit  noch  nicht  verwirklicht  sind. 


Kinderideale. 

Einige  experimentelle  Beobachtungen  von 
Marx  Lobsien. 

I. 

Jedes  Alter,  jedes  Gesfchlecht,  jede  historische  Periode, 
e  Landschaft,  jede  Zone,  jede  Benifsart  —  alle  haben  ihre 
i-ale,  die  ihnen  als  typisch  eigen  sind.  So  mannigfach  ver- 
ieden  sie  im  einzelnen  sind  —  in  dem  einen  stimmen  sie 
t  überein:  Ideale  sind  Gebilde  schöpf erisicher 
i  aütasie  und  zwar  Gebilde,  die  realiter  nicht  existieren; 
schweben  über  der  Wirklichkeit.  Dag  hindert  nicht,  daß 
reale  Welt  Farben  imd  Formen  für  die  Gestaltung  der 
der  hergibt.  Darin  sind  Ideale  den  Traumgestalten  äußer- 
:i  ähnlich.  In  einem  aber  unterscheiden  sie  sich  von  diesen 
Q2  wesentlich.  Im  Traume  waltet  lediglich  der  physische 
'Chanismus,  der  hier  und  da  zufällig  ausgelöst  wird,  kein 
Llle  bändigt  die  umherschweifenden  Vorstellungen  und 
ihengebilde.  Daraus  erklären  sich  die  zumeist  verrenkten, 
^aöglichen  Schöpfimgen,  die  der  Erwachte  als  Torheit  bei- 
•c  legt,  sie  belächelt;  denn  sie  sind  ihm  wertlos. 

Ganz  anders  jene  Gebilde  der  schöpferischen  Phantasie: 
der  Reifestufe  der  Entwickelung  ist  die  Distanz  zwischen 
^  Bilde  und  der  Wirklichkeit  niemals  —  auch  in  den  ein- 
ten Zügen  nicht  —  so  groß,  daß  jede  Möglichkeit  der  Reali- 
"Ung  schlechterdings  ausgeschlossen  ist.  Ich  meine,  der  Zu- 
^^enschluß  der  einzelnen  Züge  des  Bildes»  zum  Ganzen  (die 


324  Marx  Lobsien, 

äußeren  Formen,  die  treibenden  Motive,  die  Kräfte  und  Zu- 
stände) —  gibt  kein  verrenktes  Weltbild,  sondern  —  voraus- 
gesetzt die  Möglichkeit,  daß  diese  einzelnen  Momente  in  realita^ 
steigerbar  sind  wie  es  das  Bild  will,  entsteht  immer  noch  ein 
gesundes,  wenngleich  vergrößertes  Gemälde.    Eben  das  scheint 
mir  ein  sehr  wesentliches  Charakteristikum  des  Ideals  zu  sein, 
daß  es  immer  ein  harmonisches,  reines,  aber  skioptikonartig 
vergrößertes   Bild   der  Wirklichkeit  bietet.     Simson  z.  B.  er- 
scheint als   Ideal:    wir  haben  in  ihm  die  Verkörperung  d^r 
Kraft   in   Wille   und   Tat   im   Gegensatze   zur  Ohnmacht  ur^d 
Zwiespältigkeit  des  israelitischen  Volkes  —  wo  aber  ist  in  d^r 
ganzen   Darstellung  ein  Zug,  der  da   störend  wirkt  auf  die 
harmonische  Geschlossenheit  der  Persönlichkeit,  der  ihre  Schön- 
heit stört?    Wir  haben  ein  stark  vergrößertes,  aber  kein  düs- 
harmonisches Bild.     Genau  so  ist  es,  wenn  man  vom  IdeaJ 
des  menschlichen  Leibes,  eines  Gartens  u.  a.  redet  —  überall 
sind  reale  Einzelzüge  zu  einem  harmonischen  Ganzen  zuslamniei]- 
geordnet. 

Man  könnte  dem  entgegenhalten  Baal,  Ibis,  Triglaw  seien 
unharmonische,  in  Wirklichkeit  unmögliche  Gebilde,  die  aber 
trotzdem  göttliche  \'erehrung  genossen.  Man  darf  aber  nie 
vergessen,  daß  diese  Bilder  einer  weit  zurückliegenden  Eat- 
wickelungsperiode  angehören,  sie  sind  Gebilde  schweifende^ 
Phantasie,  gehören  einer  Periode  an,  die,  einem  gewissfei^ 
Kindesalter  gleich,  an  Unmöglichkeiten  nur  geringen  Anstoß 
nimmt.  Endlich  sind  derartige  Gebilde  zumeist  VerkSrpeniÄÄ 
der  Furcht,  des  Bösen,  \>rzemmgen  aber  befördern  hier  i^^ 
Moment,  worauf  es  ankommt,  den  Schrecken.  Dem  TeuP^ 
gibt  man  ein  widerliches  Aussehen,  der  Gestank  darf  nicÄ^t 
fehlen  —  aber  \ou  Idealen  kann  man  hier  schon  deshalb  nicÄ* 
reden,  i»^il  die  Bilder  häßlich  xmd  abstoßend  wirken,  höchstc^^ 
kann  man  von  imaginären  Autoritäten  der  Furcht  und  Abke^^^r 
reden.  Das  Ideal  ist  immer  Station  auf  dem  Wege  zum  I^«^' 
radiese.  —  Man  könnte  temer  hinweisen  auf  die  kühnen Bild^'» 
c:e  das  Kind  enra-lrtt.  Ein  \"ierTähriger  Bub"  ruft  seinen S{Ä^ 
genossen  r-  Komm:  schnell  herauf!  Ich  habe  ein  gioßartiff«^ 
Kaus  ^e'rau:.  Oben  :s:  ein  Dach  mit  einem  Turm,  ein  groö^ 
Fenster  ™i  i-ei  Tore  sind  darin,  hunden  Menschen  kfimicD 
dirm  s—en  AZes  snirmt  hinauf,  das  Wunder  zu  bcschöir 
vcH  SDci  TTjri  es   ^ezei^  und  der  Effekt:  aBgemdiie  ^ 


Kmderidsnie. 


325 


täiischting.  Auf  zwei  Stuhllehnen  hängt  ein  Regenschirm,  dessen 
Tuch  einen  großen  Riß  zeige  l  Der  kleine  Baumeister  hatte 
ein  Luftschloß  gebaut^  zu  dem  die  unbarmherzige  reale  Welt 
das  Material  in  keiner  Weise  bot.  Die  Genossen  hatten  die 
Reise  mit  dem  Siebenmeilenschirm  nicht  gemacht  und  ver- 
mochten nun  nicht  zu  folgen,  —  Ob  der  Puppe  ein  Bein  fehlt, 
ein  Arm^  hat  selbst  der  Kopf  dran  glauben  müssen,  ja  besteht 
sie  gar  nur  aus  einem  Etwas,  das  einem  Ungetüm  genau  so 
gleicht  wie  einem  Menschen,  einem  Fisch  und  einem  Affen  — 
sie  bleibt  doch  die  schönste,  wird  gespeist,  gepflegt,  unter- 
halten wie  eine  Prinzessin.  —  Hier  sollte  man  doch  billig  von 
Idealen  reden  dürfen.  Das  Kind  bedarf  nur  ganz  geringer 
Mittel»  um  ein  kühnes  Idealbild  zu  zeichnen.  Das  kindliche 
Spiel  besteht  mm  größten  Teile  aus  Fhantasieschöpfungenj 
schon  dann,  wenn  es  noch  außerstande  ist,  sie  in  Worten  m 
äußern,  —  Ein  Umstand  unterscheidet  die  Ideale  des  kleineren 
ivindes  von  denen  des  älteren.  Dort  sind  sie  Gebilde  schwei- 
fender Phantasie,  es  fehlt  ihnen  jede  Dauer,  hier  aber  haben 
sie  sich  zusammengeschlossen  zu  einem  Bilde,  das  zwar  dem 
Wandel,  aber  nur  in  größeren  Zeiträumen  unterworfen  ist. 

Die  eben  angedeuteten  allgemeineren  Züge  gehen  gleich- 
Sana  die  äußere  Form  des  Ideals  an,  ein  zweiter  Umstand, 
durch  den  das  Ideal  vom  Traum gebilde  sich  wesentlich  unter* 
scheidet,  ist  das  Wertgefühl,  welches  es  mit  der  Person- 
Hctikeit    verbindet.    Das   Wertgefühl    ist    recht   eigentlich   das 
schöpferische  Moment,    Es  vereinigt  die  Fäden  und  hält  das 
Bild  in   seinen   Formen  zusammen.    Das   Ideal  ist  ein   Stück 
Selbst,  ja  die  erlebende  Persönlichkeit  selbst,  nur  in  eine 
reinere,  freiere  Luft^  in  eine  größere,  lichtere  Höhe  geworfen. 
Das  Wertgefühl  treibt   an  zur  Auswahl  unter   den   Personen 
^i^d  Dingen.    Es  ergreift  immer  diejenige  Persönlichkeit,  die 
^  ihren  wesentlichen  Zügen  dem  Individuum  am  meisten  ent- 
spricht oder  durch  die  es  sich  am  wünschenswertesten  er- 
gänzt fühlt.    Der  Bramarbas  in  Gryphius  „Horribilikribrifax" 
^^  ^\n  vollendeter  Hasenfuß,  er  fühlt  sich  aber  vollkommen  in 
^^'A    männermordenden    Helden    hinein.     Er  will   nicht    auf- 
schneiden, er  täusche  sich  selbst  hinein,  klettert  am  Seile  des 
^'^laginären  Heldentums  hinauf  ins  Kuckucksheim  und  vergißt> 
^*i   seine  Zuhörer  diesen  Weg  nicht  mitmachen,  sondern  die 


D 


^^tanz   zwischen    Bild    und   Wirklichkeit    spottend    sich    ver- 


326  Marx  Lobsien. 


\ 


größern  sehen.  —  Rätselhafte  Freundschaften  entgegengesetztet 
Cliaraktere,  wie  sie  nicht  sehen  begegnen,  kommen  so  zustande, 
daß  sich  die  eine  PersönUchkeit  in  einzelnen  aber  wertbetoatea 
Zügen  ergänzt  fühlt.  —  Andere  Ideale  bilden  sich,  nicht  ^v^il 
eine  einzelne  Eigenschaft,  Tugend,  Kraft  ergänzt  wird  in  d^t 
anderen  wirklichen  oder  nichtrealen  Persönlichkeit,  sondern  iät^I 
hier  das  Verhältnis:  Groß:Klein  durchweg  besteht.  Die  Cü-e- 
Samtpersönlichkeit  erfährt   gleichsam  eine  Addition   in  ein.'cr 
Autorität  (man  vergleiche  die  bekannten  Schulautoritäten    suiif 
dem  Spielplatze  oder  in  der  Klasse). 

Eine  besondere  Färbung  der  Wertgefühle  ermögliczrlit 
eine  Einteilung  der  Ideale  in  zwei  große  Gruppen.  Die  ei»e 
Gruppe  umfaßt  die  Ich-will-Ideale,  die  andere  die  Ich-möcl».^e- 
Ideale.  Beide  sind  zwar  über  das  Reale  hinausprojiziert,  ^^äJi- 
rend  aber  jene  charakterisiert  sind  durch  ein  kraftvolles  oder 
auch  naives  Vergessen  des  Tatsächlichen  xmd  der  Mögli<^" 
keiten,  sind  diese  Resignationsideale;  das  Wertgefühl  hat  e;i»e 
mehr  oder  minder  starke  elegische  Färbimg. 

Kinderideale,  sofern  sie  gesund  sind,  gehören  fast  3.'«JS- 
schließlich  der  ersten  Gruppe  an.  Das  gesimde  Kind  ist  du^"^^ 
und  durch  realistisch.  Es^  lebt  in  der  Gegenwart.  Die  V^^^* 
gangenheit  —  und  sei  die  Entfernung  noch  so  groß  —  wirft  ^^ 
ohne  Bedenken  in  die  Gegenwart  hinein;  die  Zukunft  rei^*^ 
höchstens  bis  morgen,  nicht  weit  darüber  hinaus  liegen  it>^ 
Geburts-  und  Weihnachtstag,  erst  gegen  Ende  der  Schul^^ 
erweitem  sich  die  Distanzen.  Dennoch  gibt  esl  für  das  KS'^ 
Gelegenheit  genug,  wo  sich  AnläsJste  zur  Entfaltung  von  Re3^^' 
nationsidealen  bilden;  nur  beziehen  sich  diese  fast  nur  ^-'^ 
Sachen.  Ich  denke  dabei  an  die  „Wunschideale**,  wie  ich  ^^ 
nennen  möchte.  Die  Wünsche  wachsen  zimächst  aus  den  '^^^ 
dürfnissen  heraus:  je  mehr  Bedürfnisse,  desto  mehr  WünscJ^*' 
desto  mehr  Wunschideale.  Hier  richtet  sich  alles  Sehnen  ^'^ 
eine  Schachtel  Bleisoldaten,  dort  weckt  leider  die  Not  cJ^^ 
Lebens  Wunschideale  wie:   Gut  esisen,  neue  Schuhe  usw. 

Wir  wollen  also  für  die  vorliegenden  Untersuchungen,  d^^ 
sich  auf  die  Zeit  vom  9.   bis    14.   Lebensjahre  beziehen,  a/^ 
Kinderideale    betrachten:     harmonische    Schö- 
pfungen der  kindlichen  Phantasie  auf  dem  Weg^ 


KmdericUaU,  327 

am  Vollkommeneren  hin,  die  eine  gewisse  Dauer 
aben  und  durch  starke  Wertgefühle  sich  cha- 
akterisieren,  als  aktive  und  Resignat  ions-, 
ezw.  Wunsch  ideale.  Sie  sind  dem  Wandel  in  bestimmten 
eiträumen  unterworfen,  deren  Länge  sich  nicht  bestimmt  an- 
;eben  läßt.  Daß  sie  dem  Wandel  imterworfen  sind,  folgt  not- 
wendig daraus,  daß  das  Kind  selbst  als  Ganzes  oder  in  ein- 
einen Zügen  sich  in  den  Bildern  widerspiegelt.  Trotzdem 
errscht  hier  nicht  ein  Spiel  ohne  Sinn  und  Regel.  Auch  die 
3m  Winde  leicht  bewegte  Welle  gehorcht  mechanischen  Ge- 
tzen,  wenn  auch  manche  Schaumflocke  acht-  und  ziellos  hin- 
werfen scheint.  So  auch  folgt  die  Entwicklung  des  Kindes 
stimmten  psychophysischen  Gesetzen,  die  eben  weil  sie  psy- 
^physischer  Natur  sind,  sich  uns  schwer  erschließen.  In  der 
^t^ickelung  der  Kinderideale  gibt  es  gewiß  manche  Eintags- 
-^e,  manches,  von  dem  man  nicht  zu  sagen  weiß,  von  wannen 
Iconmit.  Damit  aber  ist  nicht  gesagt,  daß  keine  irgendwie 
^«tzmäßigen  Zusammenhänge  im  Grunde  wirksam  sind,  nur 
^  sie  unseren  Augen  verborgen  sind.  Reichere  Beobach- 
t^en  und  Mitteilungen,  nicht  zuletzt  von  Müttern,  die  zu  beob- 
xten  verstehen,  werden  uns  weitere  Aufschlüsse  bringen  über 
'    Natur  des  Kindes. 

'Xufgabe  der  vorliegenden  Untersuchungen. 

Sie  kann  in  einigen  kurzen  Zügen  gezeigt  werden.  Die  Be- 
achtungen wollen  den  Dingen  nachgehen,  welche  die  Rinder 
tne  Zwang  als  solche  bezeichnen,  die  ihnen  am  wertvollsten 
td,  mit  denen  sie  sich  am  längsten  und  liebsten  beschäftigen. 
^  wollen  diese  Ideale  womöglich  gruppieren,  um  etwa  vorhan- 
ne  Typen  aufzuweisen.  Sie  wollen  Unterschiede  beider  Ge- 
tilechter  aufsuchen  und  auch  die  Frage  erwägen,  ob  die  Ideale 
-h  wandeln  und  in  welchen  Durchschnittszeiträumen  das  etwa 
-schiebt  für  diese  oder  jene  Gruppe.  Sie  wollen  aber  auch  auf 
dividuelle  Besonderheiten  eingehen  und  erwägen,  ob  etwa  die 
^eale  durch  den  Gedächtnis-  und  Reproduktionstypus  beein- 
^ßt  werden,  ob  etwa  der  Motoriker  in  der  Art  und  Dauer- 
iftigkeit  der  Ideale  sich  wesentlich  vom  Akus^tiker  unter- 
^cidet.  Sie  wollen  diese  Resultate  ergänzen  in  einer  letzten 
"^ppe  von   Untersuchungen,  da  das  Kind  womöglich  noch 


328  ^^^*  Lobsitn, 

xingebundener  ist  und  auch  darüber  Auskunft  gibt,  was  ^s 
verwirft.     Denn   das  eben  ist   das   Charakteristische  an   den 
vorliegenden  Beobachtungen,  daß  sie  vollkommen  freie  Mit- 
teilungen der  Kinder  verwerten.  Es  waltete  in  keiner  Weise 
äußerer  Zwang  durch  den   Unterricht.     Es  wurden  lediglic\i 
die  Ecken  geboten,    im   übrigen   schalteten   die  Kinder    frei. 
Ein  eingehendes   Examinieren  übt  immer  einen  Zwang    st\is. 
Suggestionen  spielen  hierbei  eine  größere  Rolle  als  vielf  a.cli 
angenommen  wird.    Ist  das  Kind  weiter  geübt,  so  folgt  es     ge- 
horsam den  leisesten  Intensionen  und  der  Fragekünstler      lat 
nachher  herausgezaubert,   was  nimmer  drinnen  war.     T>sihtx 
auch  die   Überraschungen  bei  den  Damen  und  Herren^        die 
so  liebenswürdig  waren,  mir  ihre  Dienste  zu  leihen  imd      ilre 
häufigen  Versicherungen:    Wir  lernen  unsere  Kinder  ja       ^on 
einer  ganz  neuen  Seite  kennen.  —  Die  Untersuchungen  w^<i>llen 
endlich   die   pädagogische    Bedeutung   der    Kinderideale       auf- 
weisen, etwa  ob  und  wo  allgemeines  Interesse  für  Märc^l^en. 
also  eine  wirkliche  Märchenstufe  vorhanden  sei,  wo  Voirlicbe 
besteht  für  das  Heroische,  die  Person  Jesu  usw. 

Methode. 
a)    Zahl    der  Versuchspersonen.     Es  kamen,     in 


Frage 


5  X  50  Knaben, 
5  X  50  Mädchen, 


insgesamt  10  x  50  =  500  Kinder. 

b)    Art  derselben.     Es  waren   sämtlich   Volksscb^^'' 
der  wachsenden  Großstadt.    Kein  Zweifel,  daß  die  Stadt  taus^'^" 
flüchtige  Wimschideale  weckt  gegenüber  dem  einsamen  Dox^^* 
dafür  hat  der  Dorfbube  aber  einen  wesentlichen  Gewinn  ^' 
züghch  der  Intensität  der  Beobachtimg  und  des  intimeren  V'c^* 
kehrs     mit     den     Dingen.      Ferner,     es     handelt     sich    ^^^^ 
um    Kinder    niederer    Stände,     zumeist    von    Werftarbeitern, 
kleinen  Kaufleuten  und  Beamten.    So  ist  wenigstens  die  Mög- 
lichkeit da,  daß  Wunschideale,  auch  solche,  die  auf  elemen- 
tare Lebensbedürfnisse  sich  beziehen,  wuchern  werden.  Endlich 
konnten    nur    solche    Kinder    sich    beteiligen,    die    das  Ge- 
forderte niederzuschreiben  vermochten. 


Kinderideale,  329 

c)  Fragen. 

Folgende  i8  Aufgaben  wurden  gestellt: 

1.  Welche  Unterrichtsstunde  ist  dir  die  liebste? 

2.  Welche  Persönlichkeit  der  heiligen  Geschichte? 

3.  Welche  Persönlichkeit  der  Weltgeschichte? 

4.  Welches  Gebäude  unserer  Stadt? 

5.  Welches  Spiel  ist  dir  das  liebste? 

6.  Welche  Beschäftigung  außer  der  Schule? 

7.  Welches  Buch  ist  dir  das  liebste? 

8.  Wieviele  (etwa)  hast  du  gelesen? 

9.  Was  willst  du  werden? 

10.  Wie  heißt  deine  Lieblingsbliune  ? 

11.  Welches  Tier  hast  du  besonders  gern? 

12.  Wer  lernt  zu  Hause  laut? 

13.  Wer  lernt  zu  Hause  leise? 

14.  Wer  denkt  beim  Lernen  an  die  Stelle  (Seite)  des 
iches  ? 

15.  Was  ist  dir  angenehm? 

16.  Was  ist  dir  unangenehm? 

17.  Was  ist  dir  lächerlich? 

18.  Was  ist  dir  wunderbar? 

d)  Weise.  Um  Ermüdung,  Überdruß  usw.  pi  vermeiden, 
X  gestattet  worden,  sobald  deutliche  Symptome  dieser  oder 
ler  Art  sich  irgend  äußerten,  den  Versuch  abzubrechen  und 
j  Fortsetzimg  desselben  auf  einen  andern  Tag  zu  verschieben, 
ch  mußte  hierfür  eine  gleichgelegene  Tageszeit  ausgewählt 
rden.  Ich  bemerke  femer,  daß  der  Versuch  unternommen 
rde  in  den  Monaten  Januar  und  Februar,  einer  Periode 
igender  psychischer  Kapazität.'*')  Erwogen  wurde  femer  auch, 

die  Kinder  genau  nach  dem  Monatsalter  zu  ordnen  seien, 
•rauf  in  seinen  Untersuchungen  über  die  Muskelkraft  Prof. 
huyten-Antwerpen  immer  wieder  drängt.  Ich  entschied  in 
»sem  Falle :  nein  I  und  aus  folgenden  Gründen :  i .  Es  handelt 
:h  um  Einbeziehen  des  geringen  Prozentsatzes  der  Sitzen- 
bliebenen.  2.  Wenn  auch  alle  Mängel  unseres  Versetzungs- 
stems  zugegeben  werden  sollen,  so  ist  doch  nicht  zu  leugnen. 


*)  YerRl.  d.  Verf.:  Sdiwankimgen  psychifldier  Kapazität,  SammL  von 
ihiller  n.  Ziehen  AbhandL  lieft  V,  Bd.  VlI.    Reuther  u.  Reichard,  Berlin. 


330  -War*  Lobsien, 

daß  es  diejenigen  Schüler,  die  annähernd  auf  gleicher  Bildung" 
stufe  stehen,  in  eine  Klasse  zusammenführt.  3.  und  besonderes 
die  Bildung  der  Ideale  wird  nicht  lediglich  durch  die  Alteizr- 
stufe  bedingt,  sondern  mehr  durch  Erfahrungen  und  Erlebnis^. 
Das  ganze  Schulleben  aber  wirkt  so  einschneidend  auf  die  Ide 
gestaltung  ein,  daß  es  ein  arger  Fehler  sein  würde,  wenn 
nach  dem  Alter  ordnen  und  so  die  Kinder  verschiedener  TJntg=»^  x- 
richts-  und  Erfahrungskreise  zusammenwürfeln  würde. 

e)  Alter.  Die  Schüler  und  Schülerinnen  verteilen  sL^zzrh 
auf  fünf  Altersstufen  im  durchschnittlichen  Alter  von  I.=  13/:^  -^, 
II.  =  12,  III.  =  II,  IV.  =  10,  V.  =  9  Jahren. 

f)  Äußere  Ordnung.  Eine  gute  Disziplin  ist  bei  aU^n 
solchen  Untersuchungen  die  conditio  sine  qua  non ;  wo  in  eiiTÄ^^r 
Klasse  die  Disziplin  mangelhaft  ist,  wo  der  eine  Nachbar  "fc^ci 
dem  andern  Anleihen  macht  oder  gar  die  hintere  Bank  "l=:>-^i 
der  vorderen,  da  ist  jedes  Experimentieren  wertlos,  unmögli^:^!^- 
Derjenige,  der  die  Aufgabe  hat,  hernach  das  ganze  Matexrial 
zu  verarbeiten,  erkennt  allerdings  den  Schaden  mit  ger'm^^^^ 
Mühe,  denn,  das  sei  nebenher  angemerkt,  das  Experiment       ^^^ 
zugleich  der  tadelloseste  Prüfstein  für  die  Klassendisziplin.   ^11^^^ 
kann  man  dem  Übel  des  Abschreibens  auch  auf  anderem  W«^^^ 
begegnen.     Unsere  Schulen,  besonders  die  höheren,  arbei't^'^^ 
viel  zu   sehr  unter  dem  Zwange   des  nervösen  Wettbeweir^^^» 
die  leidige  Agonistik  verdirbt  leider  viel  zu   oft  die  Arbc^i*^* 
freudigkeit.    Auch  bei  diesen  Versuchen  bemächtigt  sich   ^i^^ 
Schüler  nur  zu  leicht  der  Gedanke :   du  mußt  es  deinem  Na^^^^ 
bar   zuvortun,    du   mußt   mehr,    mindestens    aber  ebenso  '%ri^^ 
schreiben  wie  der.    Hier  nun  empfiehlt  es  sich,  den  Kind-^^^ 
zu  sagen,  daß  es  keineswegs  auf  einen  Wettbewerb  ankomxxx^^ 
daß   das  beste   immer  der  leiste,  der  sich  gänzlich  auf  31^^ 
selbst  verläßt,  daß  wer  abschreibe,  nur  verderbe. 

g)  Vorläufige  Bedenken.    Einige  sollen  nicht  ver- 
schwiegen bleiben.    Suggestionen  durch  Lehrerpersönlichkeiten 
sind,  zumal  bei  dem  Fachlehrersystem,  bei  den  vorliegenden 
Versuchen   nicht   ganz   zu   vermeiden   und   es   wäre    vielleicht 
empfehlenswerter  gewesen,   wenn   ich  selber   das   Experiment 
geleitet  hätte.     Besonders  sind  Mädchen  geneigt,  persönlich^ 
Einflüsse  des  Lehrers  wirken  zu  lassen,  einem  Unterrichtsfach 


> 


Kmderidsale, 


331 


Vorzug  zu  geben,  das  durch  eine  besonders  liebe  Persön- 
it  vertreten  wird.  Doch  glaube  ich  berechtigt  zu  sein, 
i  Fehler  nicht  sonderUch  hoch  zu  werten,  weil  an  den 
Iten  das  Fachlehrersystem  nicht  besteht;  andererseits 
eine  völlig  fremde  Persönlichkeit  Quelle  mancherlei  Stö- 
n  sein.  Viel  schwerer  wiegt  aber  die  Lehrbefähigimg  des 
richtenden.  Diese  ist  keineswegs  über  alle  Unterrichts- 
5  gleichgradig  verteilt,  vermag  aber  auch  das  sonst  ödeste 
richtsgebiet  interessant  und  zum  Lieblingsfache  zu 
jn.  Diesen  Fehler  auszugleichen  bedarf  es  eines  noch 
eiteren  Beobachtungsmaterials,  das  vor  allen  Dingen  auch 
ingabe  des  Lehrers  darüber  enthält,  welches  Unterrichts- 
hm  besonders,  welches  ihm  gar  nicht  lieb  sei. 

IL 

Ergebnisse 

Welches  Unterrichtsfach  ist  dir  das  liebste? 


Knaben. 

Stnfe 

Sa. 

iine 

I 

n 

HI 

IV 

V 

ion 

1 

1 

2 

nen 

11 

3 

6 

7 

9 

36 

ilehre 

1 

1 

lichte 

8 

5 

11 

24 

raphie 

3 

1 

1 

1 

6 

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rlehre 

6 

6 

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7 

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15 

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2 

3 

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4 

2 

21 

liben 

2 

10 

12 

332 


Marx  Lobsien, 


Mädchen. 

Name 

Stufe 

8      1 

I 

n 

\W 

IV 

V 

Sa. 

EeÜgion 

1 

5 

3 

1 

10 

Beclmen 

14 

2 

10 

2 

7 

35 

EAmnlehre 

Geschiclite 

8 

1 

8 

17 

Geographie 

1 

5 

1 

7 

Naturbesohr. 

1 

4 

3 

8 

Natnrlehre 

1 

Deutsch 

1 

7 

'  \ 

Aufsatz 

4 

1 

5    JS 

Zeichnen 

3 

2 

3 

6 

2 

16 

Singen 

1       1 

1 

13 

7 

22 

Turnen 

2 

18 

3 

23 

Lesen 

2 

2 

8 

12 

Schreiben 

1 

3 

3 

'       ^ 

Handarbeit 

13 

13 

3 

1 

20 

50      1^ 

Bei  diesen  Beobachtxingen  ist  vielleicht  bedenklich,  daß 
die  Aufgabe  eine  Entscheidung  in  Bausch  und  Bogen  forderte, 
während  doch  zumeist  einzelne  Partien  mehr  interessieren,  doch 
möchte  ich  aus  eigenen  mehrfachen  Beobachtungen  behaupten, 
daß  das  Unterrichtsfach  durch  diese  Lieblingsepisoden  oder 
bevorzugten  Sonderstücke  bezeichnet  wird. 

Auffällig  ist  zunächst  das  Ergebnis  für  den  Religionsunter- 
richt. Es  kommen  zehn  verschiedene  Lehrerpersönlichkeiten 
in  Frage,  darunter  mehrere,  die  mit  besonderer  Wärme  und 
Liebe  diesen  Unterricht  erteilen.  Trotzdem  läßt  sich  nur  kon- 
statieren, daß  er  unter  500  Entscheidimgen  nur  zwölfmal  als 
Lieblingsfach  bezeichnet  und  zwar  bei  den  Knaben  unter  250 
nur  zweimal,  bei  den  empfänglicheren  Mädchen  unter  250 
Äußerungen  nur  zehnmal.  Dabei  ist  zu  bedenken,  daß  auf  kei- 
nen Unterrichtsgegenstand  soviel  Zeit  und  Kraft  verwendet  wir( 
in  der  Volksschule,  wie  gerade  auf  den  Religionsunterricht,  di< 
Biblische  Geschichte  mit  ihren  Nebenzweigen.  Woher  denn 


KimUndä^, 


333 


e  Lobn  für  die^  Arbeit?  Die  Frage  drängt  sich  unbe^ 
E  auf.     Ich  denke  wir  haben  hier  den  zahlenmäßigen  Be- 

dafür,  daß  in  dem  Unterrichtsbetriebe  etwas  faul  ist,  wir 
ssen  in  diesen  Daten  eine  schwere  Anklage  erbhcken.  Die 
t^  die  dem  Kinde  eine  nahe  und  hebe  sein  sollte,  die  Welt 
Wunders,  des  Mysteriums,  für  die  die  kindliche  Phantasie 
iufnahmefähig  ist,  die  ist  ihm  fremd,  es  fühlt  sich  darinnen 
it  heimisch.  Ich  möchte  ein  dreifaches  dafür  verantworte 
machen:    k  die  kindliche  Phantasie  und  deren  Entwicke- 

wird  vom  Unterricht  nicht  genügend  berücksichtigt;  man 
ickt  in  dem  Kinde  den  Erwachsenen,  ja  den  Erwachsenen 

reifer  Lebenserfahrung  und  bringt  an  denselben  Stoffe 
uij  die  weit  über  seiner  Welt  liegen,  in  denen  es  nicht  gern 
reilt,  2,  Die  Behandlung  geschieht  in  der  Form  der  Kate- 
e,  jenem  Erbstück  aus  den  Tagen  des  Rationalismus,  der 
Heinte  durch  Hebamrnenkunst  die  im  Bewußtsein  des  Kindes 
ummemden  Begriffe  und  V^arstellungen  wecken  zu  können. 
nd  besonders:  Die  gewaltige,  vielfach  imverstandene  Stoff- 
ige,  die  zu  memorieren  vorgeschrieben  ist,  verleidet  dem 
de  den  Unterricht  in  der  Religion.  Wieviel  Pein  im  Hause, 
riel  Strafe  in  Wort  und  Tat  knüpft  sich  an  diese  Stoff* 
Ige  —  und  da  soll  es  sich  wohl  fühlen,  da  soll  es  sich  dieser 
den  der  Qual  mit  Vergnügen  erinnern?  Es  kann  keinen 
eren  Widerspruch  geben.    Daß  doch  der  alte  Rationalis- 

uns  noch  so  tief  im  Fleische  sitzt;  daß  wir  immer  noch 
t  den  grundfalschen  Glauben  des  Commenius  an  die  Wunder- 
ht  des  Stoffes  beiseite  getan  haben,  immer  noch  glauben, 
\  des  Gleichnisses  vom  mancherlei  Acker,  es  komme  nur 
.uf  an  Stoff  zu  säen^  seine  Keimkraft  überwinde  auch  den 
g   unvorbereiteten   Boden,     Religion   ist   nicht   Sache   des 

chtnisses  und  Verstandes,  sondern  wie  Baumgarten  mit 
fem  Rechte  in  seinen  Neuen  Bahnen  ausführt,  der  Phan- 
»  und  zwar  entsprechend  dem  jeweiligen  Stande  der  Ent* 
:elimg  des  Kindes,  4,  Der  Unterricht  wird  bei  den  hier  in 
je  kommenden  Anstalten  in  konzentrischen  Kreisen  erteilt, 
notwendig  das  Interesse  abtöten  müssen.  Das  gesunde 
d  ist  stoffhungrig  und  man  muß  dem  Rechnung  tragen. 
Der  wieder  denselben  Stoff  mjir  mit  neuen  Anhängseln  und 
kleisterungen  bieten,  ist  impsychologisch,  weil  es  die  kind- 

Entwickelimg  ignoriert. 


334 


Marx  Lohsien. 


Diese  Deutungen  kann  ich  zwar  nur  herstellen  unter  Vorbe 
halt.  Neue  Versuche  wie  die  vorliegenden  an  verschiedenen  Untei 
richtsanstalten,  die  nicht  unter  gleichen  Hemmnissen  arbeit&i 
müssen  hinzukommen;  sie  sind  unschwer  zu  machen  und  i^ 
wünsche  dringend,  daß  sie  angestellt  werden.  Ich  bin  fe 
davon  überzeugt,  daß  dort  andere  Werte  konstatiert  werdoi 
und  wir  werden  so  in  Zahlen  ein  vernichtendes  Urteil  über  ^ 
eben  gerügten  Mängel  erfahren.  Unerwähnt  will  ich  jedoc 
nicht  lassen,  daß  die  religiös  indifferente  breite  Volksmasse 
der  Großstadt,  also  auch  das  Haus,  nicht  die  Schule  allein  ^^t 
Schuld  an  dem  Ergebnis  trägt. 

Ich  fasse  die  Gesamtergebnisse  ins  Auge  imd  berechne 
die  Werte  für  die  einzelnen  Fächer  in  Prozenten.  Die  Ergeb- 
nisse für  Knaben  und  Mädchen  sind  getrennt. 


Unterrichtsfach 

Knaben 

% 

M&dchen 

% 

Eeligion 

0,8 

3,6 

Eechnen 

14 

14,0 

Raiunlehre 

0,4 

0 

Geschichte 

10 

0 

Geographie 

2,4 

2,8 

Naturbeschreibung 

0 

3,2 

Naturlehre 

1,2 

0 

Deutsch 

0 

3,2 

Aufsatz 

0,8 

2,0 

Lesen 

8,2 

4,4 

iSeichnen 

22,4 

4,8 

Singen 

10,0 

8,8 

Turnen 

20,4 

4,2 

Schreiben 

8,4 

2,8 

Handarbeit 

— 

20,0 

Übereinstinunund  für  beide  Geschlechter  ergibt  sich  c^ 
Vorliebe  für  den  Rechenunterricht.     Wirft  man  einen  Bl*^ 


Kinderideale,  335 

:  auf  die  vorige  Tabelle,  so  gewahrt  man,  trotz  der  durch 
rpersönlichkeit  und  Verschiedenartigkeit  der  Klassen- 
1  bedingten  Unterschiede  ein  Wachsen  des  Interesses  von 
iteren  nach  den  oberen  Klassen  hin.  Man  darf  diese  Er- 
ung  wohl  damit  in  Verbindung  bringen^^  daß  der  Unter- 
;toff  der  unteren  Stufen  mehr  die  mechanische  Seite  des 
nunterrichts  berücksichtigt,  der  auf  der  Oberstufe  die 
i-praktische.  Auffallend  ist  sowohl  für  Knaben  wie 
len  das  geringe  Interesse  für  Rechnen  um  das  12.  Lebens- 
erum. Doch  muß  man  hier  größte  Vorsicht  beobachten, 
>erhaupt  bei  dieser  Tabelle,  weil  der  Einfluß  der  Lehrer- 
ilichkeit  nicht  nachweisbar  ist  und  ein  Urteil  in  Bausch 
ogen  verlangt  wird  über  das  ganze  Unterrichtsfach,  das  in 
einzelnen  Abschnitten  nicht  gleichmäßig  interesßiert. 
:h  aber  ist,  daß  hernaöh  die  Wunschideale  dieser  Alters- 
sinen  Schlüssel  an  die  Hand  geben  zur  Deutung  dieser 
2inung.  Für  die  an  die  Abstraktionskraft  große  Anforde- 
1  stellenden  Gebiete  Raumlehre  und  Physik  ist  aus  ein- 
i  psychologischen  Gründen  kein  Interesse  nachweis- 
infach  weil  diese  Kraft  nur  in  ganz  geringem  Maße 
iden  ist.  Erst  auf  der  Oberstufe  der  Knaben  er- 
1  mehrere  Schüler  in  der  Physik  ihr  Idealfach.  Auf- 
l  ist,  daß  starke  Neigung  für  die  technischen  Fächer 
iden  ist.  Addiere  ich  sämtliche  Werte  einerseits  für  die 
n  Unterrichtsgegenstände,  diese  Daten  je  durch  die  Zahl 
nterrichtsfächer  der  betreffenden  Gruppe  dividierend, 
ergibt  sich 

Knaben  Mädchen 

Bchn.  Fach :  techn.  Fach :     nicht  techn.  Fach :  techn.  Fach : 
3,7  13,7  3,7  8,2 

ithin  liegt  die  doppelte  und  dreifache  Anzahl  der  Ideale 
ichnischem  Gebiete.  —  Die  Deutung  dazu  liegt  nicht 
rn.  Die  technischen  Fächer  sind  den  wissenschaftlichen 
über  dadurch  charakterisiert,  daß  sie  nicht  einseitig 
je,  sondern  vorwiegend  leibliche  Fertigkeiten  ausbilden, 
•ewegungen  sind  dem  Kinde  ein  Bedürfnis,  insonderheit 
üngeren.  Weiter  ist  den  Fächern  eigentümlich,  daß  sie 
arstellen,  zumeist  ein  sichtbares,  verlangen.  Nichts  aber 
xa  Kinde  lieber  als  solches   Darstellen.     So   sehen  wir 


336  Marx  Lohsien, 

Zeichnen,  Turnen  und  Singen  am  höchsten  gewertet,  bei  den 
Mädchen  auch   die   weiblichen   Handarbeiten. 

Auffallend  ist,  daß  die  Naturbeschreibung  so  gering  im 
Werte  steht,  zumal  bei  den  Knaben.  Trotzdem  der  Unter- 
richt den  modernen  Forderungen  entsprechend,  unterstützt 
durch  vorzügliche  Lehrmittel,  erteilt  wird,  folgt  bei  den  Knaben 
überall  ein  blankes  Ablehnen.  Das  gibt  zweifelsohne  zu  denken, 
doch  müssen  wir  Ergebnisse  von  Nachprüfungen  abwarten, 
bevor  weitere  Schlüsse  gewagt  werden  dürfen. 

Es  mögen  noch  einige  Unterschiede  zwischen  Knaben  und 
Mädchen  angedeutet  werden.  Die  Zahl  der  Mädchen,  welche 
in  der  Rehgion  ihr  Idealfach  erblicken,  ist  viermal  so  groß 
als  die  der  Knaben.  Trotz  der  oben  berührten  ungünstigen 
Verhältnisse  bestätigt  sich  auch  hier  eine  landläufige  Erfahnmg. 
Im  Rechenunterrichte  halten  sich  beide  die  Wage,  doch  zeigen 
die  verschiedenen  Altersstufen  bedeutende  Schwankungen.  In 
der  Raumlehre  versagen  die  Mädchen  ganz.  Eigentümlich  ist, 
daß  die  Mädchen  in  der  Geschichte  ihr  Idealfach  nicht  erblicken, 
wohl  aber  sind  die  Knaben  mit  einem  nicht  unbedeutenden 
Prozentsatze  vertreten.  Für  die  Helden-  und  Kriegsdarstel- 
limgen  hat  das  Mädchen  keinen  Sinn,  wohl  aber  der  Knabe. 
Doch  ist  das  Interesse  am  weitesten  verbreitet  um  das  zehnte 
Lebensjahr  herum.  In  der  Geographie  zeigen  sich  beide  gleich- 
wertig. In  den  technischen  Fächern  sehen  im  Turnen  die 
doppelte,  im  Zeichnen  gar  die  fünffache  Zahl  der  Knaben  gegen- 
über den   Mädchen  ihr  liebstes   Unterrichtsfach. 

Überhaupt    kulminiert   im   Alter  von   9 — 10  Jahren  bei: 

Mädchen  das  Interesse  für  Handarbeit, 

Knaben       „  „  „    Turnen, 

im  Alter  von  10 — 11  Jahren: 

Mädchen  das  Interesse  für  Singen, 

Knaben       „  „  „    Geschichte, 

im  Alter  von   11 — 12  Jahren: 

Mädchen  das  Interesse  für  Rechnen, 

Knaben       „  „  „    Zeichnen, 

im  Alter  von  12 — 13  Jahren: 

Mädchen  das  Interesse  für  Turnen, 

Knaben       „  „  „    Zeichnen, 


KinderideaU, 


337 


im  Alter  von   13 — 14  Jahren: 

Mädchen  das  Interesse  für  Rechnen  und  Handarbeit, 
Kjiaben       „  „  „    Zeichnen  und  Rechnen. 

Das  Beobachtungsmaterial  ist  zu  gering  und  durch  zu- 
ile  Imponderabilien  mitbestimmt.  Es  ist  somit  bedenklich, 
iitere  Schlüsse  zu  ziehen  und  Erklärungsversuche  zu  wagen, 
h  begnüge  mich,  eine  Vermutung  auszusprechen.  Ich  glaube, 
.  allgemeinen  für  den  Wandel  im  Interesse  für  ein  Idealfach 
den  aufsteigenden  Stufen  die  Ursache^  in  der  verschiedenen 
dächtnisentwicklimg  dieser  Stufen  erblicken  zu  dürfen.  Ich 
5e  diese  Vermutung  mit  allem  Vorbehalt  und  begnüge  mich 
'  einem  Beleg.  In  meinen  Untersuchungen  über  die  Ge- 
rhtnisentwickelung  bei  Schulkindern*)  fand  ich  ani  absoluten 
igerungswerten  des  Gedächtnisses  für  Zahlen  folgende 
irte:  (Ich  stelle  die  Daten  für  die  Idealfächer  gleich  daneben, 

einen  Vergleich  zu  ermöglichen.) 


Stufe 

Knaben 

Mädchen 

OedAchtnis- 
entwickelong 

IdeaUach 

OedAchtnis- 
entwickelong 

Idealfach 

I:  n 

8 

+  8 

36 

+  12 

n  :m 

2 

—  8 

24 

—  8 

in :  IV 

20 

—  1 

23 

+  8 

IV  :  V 

0,2 

-  2 

12 

—  5 

Die  Gedächtnisuntersuchimgen,  soweit  sie  bis  jetzt  vor- 
jen,  bedürfen  noch  einer  wesentlichen  Ergänzung,  die  Ent- 
ielung  der  einzelnen  Gedächtnistypen,  des  akustischen,  mo- 
ischen,  visuellen  Typs  und  deren  Mischformen  muß  genauer 
orscht  werden,  auch  der  Einfluß  des  Typus  auf  die  Aus- 
W  des  Idealfaches,  erst  dann  wird  sich  ein  genaueres  Über- 
istiminen  ermöglichen  lassen.    Für  die  letztere  Angelegen- 


*)  Ztsclir.  f.  Psychol.  xmd  Physiol.  der  Sinnesorgane.    Hg.  v.  Ebbing- 
»  und  König.    Bd.  27,  8.  34  ff. 

Zeitschrift  ffir  pädago^sche  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene.  7 


338 


Mmrx  LobsieH, 


heit  hoffe  ich  hernach  noch  einiges   Material  beibringen  zu 
können. 


Die  ideale  biblische  Persönlichkeit. 


Ifame 

Knaben 

1 

M  B  d  c  b  e  a 

'               Stafe 

Sa. 

Stafe 

U 

r 

n 

m 

IV 

I 

H 

lU 

IV 

Gott 

1 

1 

1 

1 

Jesu« 

21 

37 

7 

10 

75 

25 

39 

33 

21 

IIB 

Dftvid 

3 

3 

4 

5 

15 

4 

4 

JoiQft 

5 

1 

4 

10 

8 

I 

4 

Abrftham 

1 

1 

15 

1 

18 

6 

2 

3 

n 

Euth 

1 

1 

7 

9 

2 

1 

1 

4 

Samnet 

1 

8 

9 

2 

l 

Petras 

1 

X 

1 

\ 

Moses 

2 

1 

6 

9 

1 

l 

2 

\ 

Simson 

4 

Gideon 

1 

Salomo 

2 

3 

J&kob 

1 

2 

1 

3 

4 

Steph&nus 

1 

2 

Goliath 

1 

1 

Maria 

1 

1 

3 

2 

& 

10 

Sarah 

1 

1 

Saul 

4 

4 

Elias 

2 

2 

1 

1 

Martha 

1 

1 

Eiaa 

1 

I 

Benjamin 

1 

1 

Nach  dem  in  den  voraufgegangenen  Tabellen  gezeigt^*' 
geringen  Interesse  für  Religion  erwartete  ich  hier  nur  eirve 
schwache  Auslese.  Ich  wurde  überrascht  durch  die  große  Za-fc* 


Kmä€rideaU.  330 

der  ausgewählten  Idealpersönlichkeiten  und  dadurch,  daß  nur 
wenig  Schüler  gan»  versagten.  Die  Tabelle  auf  Seite  338  ist 
unvollständig,  es  fehlen  etwa  sieben  Namen,  weil  sie  aber  nur 
einmal  vorkamen  imd,  wie  mir  schien,  am  Bilde  nichts  ändern 
konnten,  ließ  ich  sie  weg.  Lassen  wir  alle  beiseite,  die  fünf- 
mal und  weniger  als  Ideal  bezeichnet  wurden,  so  läßt  sich 
folgende  Ordnung  konstatieren: 


Mädchen: 
Jesus  118 

Abraham  11 

Maria  10 


Knaben: 

Jesns 

75 

Abraham 

18 

David 

15 

Josua 

10 

Knth 

9 

9 

Moses 

9 

Die  inkonkrete  Vorstellung  Gott  wurde  nur  je  einmal  auf 
den  beiden  Oberstufen  als  Idealpersönlichkeit  bezeichnet,  sonst 
halten  sich  die  Angaben  durchaus  an  konkrete  historische  Per- 
sonen. Unter  sich  erfahren  sie  allerdings  eine  sehr  verschiedene 
Wertung.  Weitaus  allen  voran  steht  das  Bild  des  Gottessohnes, 
zumal  bei  den  Mädchen,  Darin  liegt  zweifelsohne  ein  deut- 
licher Wink  in  der  Richtung  jener  neueren  Forderungen,  die 
das  Leben  Jesu  weit  mehr  in  den  Vordergrund  des  Unterrichts 
stellen  wollen  gegenüber  der  alttestamentlichen  Geschichte.  — 
EigentümUch  ist,  daß  von  allen  übrigen  Idealgestalten  nur  zwei, 
nämlich  Petrus  und  Stephanus  der  neutestamentlichen  Ge- 
schichte, alle  übrigen  dem  alten  Bunde  angehören.  Ob  dort 
die  andern  Gestalten  neben  der  des  Herrn  ganz  in  den  Hinter- 
grund gedrängt  werden?  Richtig  ist  ja,  daß  sie  Wert  und 
Bedeutung  erst  durch  ihren  Meister  erhalten,  im  alten  Bunde 
hing^en  löst  eine  Person  die  andere  ab.  An  Frauengestalten 
wird  von  den  Knaben  nur  vorgezogen  Ruth,  von  den  Mädchen 
Ruth,  Sarah,  Maria  (Mutter  des  Herrn)  und  Martha.  Nicht 
die  Frauen  elegisch-sentimentalen  Charakters,  sondern  die 
rüstigen,  geschäftigen,  tapfer  handelnden  Gestalten  interessieren. 
Das  Kind  selbst,  das  gesunde,  ist  nicht  weichlich-sentimental. 


340  Marx  Lohsien, 

Jeder  Schmerz  ist  schnell  vergessen  und  man  greift  tapfer  und 
tätig   in    die  Lebensfreude  ein.    Die  Mädchen  der  Oberstufe 
sind  es,   die  vielfach  im   Hause   Gelegenheit  haben,   sich  zu 
betätigen,  die  3ich  für  die  genannten   Frauengestalten  inter- 
essieren; es  handelt  sich  dabei  nicht  um  sentimentale  Wunsch- 
ideale, sondern  um  ein  naives   Hineinwachsen  in  das   Ideal. 
Dagegen  ziehen  die  Knaben  der  oberen  Stufen  keine  einzige 
Frauengestalt  vor,  nur  das  Alter  von   lo — ii  Jahren  erblickt 
häufig  in  der  Ruth  naiv  seine  Idealgestalt.    Für  die  Helden- 
gestalten eines  Moses,  Josua  und  David  haben  die  Mädchen 
keinen  Sinn,  desto  mehr  aber  die  Knaben. 

Abgesehen  von  der  Person  Jesu  dominieren  auf  den  ein- 
zelnen Altersstufen: 


Knaben:  Mädchen: 
I.    Josna  L    Abraham 

n.    Simson  U.       — 

III.  Abraham  m.    Maria 

IV.  Samuel  IV.    David 


Leider  umfassen  diese  Namen  zu  vielerlei  verschiedene 
Momente  als  daß  sich  charakteristische  Unterschiede  für  die 
beiden  Geschlechter  sowohl  wie  für  die  aufeinanderfolgenden 
Altersstufen  innerhalb  derselben  aufweisen  ließen.  Für  eine 
Nachprüfung  der  vorliegenden  Versuche  wäre  die  Frage: 
Warum?  von  recht  großer  Bedeutung. 


Die    ideale    profanhistorische    Person. 

Hier  mußte  die  fünfte  Altersstufe  der  Knaben  und  die 
vierte  und  fünfte  der  Mädchen  außen  vor  bleiben,  weil  dort 
Unterricht  in  der  Weltgeschichte  nicht  in  wünschenswertem 
Umfange  erteilt  wurde ;  ein  Versuch,  der  versehentlich  angestellt 
ward,  ergab  als  ideale  welthistorische  Personen  Detlev  von 
Liliencron  und  den  großen  Klaus  aus  der  bekannten  Erzählimgl 


KinderideaU, 


341 


Knaben: 


Name 

St 

afe 

Sa. 

I 

n 

in 

IV 

WÜhelm  L 

15 

8 

7 

2 

32 

Wilhelm  H. 

6 

7 

3 

5 

21 

Karl  der  Große 

6 

4 

7 

17 

Friedrich  H. 

5 

13 

1 

1 

20 

Friedrich  HI. 

1 

2 

3 

Hermann  der  Befireier 

1 

1 

9 

11 

Alarich 

3 

1 

9 

13 

Großer  Kurfürst 

6 

1 

11 

18 

Zietiien 

1 

1 

Tentobad 

2 

2 

Kurzhagen 

1 

1 

Napoleon  L 

1 

1 

2 

Friedrich  Wilhehn  I. 

3 

3 

Heinrich  der  Löwe 

1 

1 

Friedrich  Wilhehn  n. 

6 

6 

Kolombus 

Barbarossa 

AttUa 

2 

2 

Luther 

1 

1 

Blücher 

17 

17 

Königin  Luise 

3 

3 

Huß 

342 


Marx  Lohsien, 


Mädche  n: 


Name 

Stufe 

Sa. 

I 

n 

ni 

Wilhelm  I. 

10 

5 

15 

Wilhelm  n. 

5 

2 

7 

Karl  der  Große 

7 

7 

Friedrich  n. 

3 

6 

9 

Friedrich  in. 

6 

6 

Hermann  der  Befreier 

1 

1 

Alarich 

3 

3 

Barbarossa 

1 

1 

AttÜa 

1 

1 

Luther 

3 

3 

3 

9 

Königin  Luise 

3 

3 

6 

Auffällig  ist  zunächst  der  Unterschied  in  der  Zahl  ^^^ 
Idealpersojjen,  sie  ist  bei  den  Mädchen  weit  geringer  als  ^^^ 
den  Knaben.  Eine  Persönlichkeit  beherrscht  in  hervorragerx<der 
Weise  das  Interesse  sowohl  bei  den  Knaben  wie  bei  ^^" 
Mädchen:  Kaiser  Wilhelm  L  Dann  folgen  aufeinander  *^^' 
den  Knaben  —  wieder  die  Gesamtergebnisse  über  fünf  hii>^^ 
gerechnet : 


Knaben: 

Mädchen: 

Wilhelm  I 

30 

Wilhehn  I 

15 

Friedrich  der  Große 

19 

Friedrich  der  Große 

9 

Blücher 

17 

Luther 

9 

Karl  der  Große 

17 

WÜhelm  n 

7 

Wilhelm  n 

16 

Karl  der  Große 

7 

Alarich 

13 

Friedrich  III 

6 

Hermann 

11 

Luise 

6 

Der  Große  Kurfürst 

7 

Friedrich  Wilhelm  EL 

6 

Die  großen  kriegerischen  Ereignisse  sind  es,  die  von  de'^ 
Knaben  immer  vorgezogen  werden,  von  den  Mädchen  häui^B- 
Doch  sehen  wir  hier  auch  Vorliebe  für  das  innere  Erlebet 
der  historischen  Persönlichkeiten,  worauf  die  beiden  letrt^^ 
Namen   hinweisen.    Bei   den   Knaben   ist   es  der  eingeboren^ 


Kmäeriäeale, 


343 


rieb,  bei  den  Mädchen  nicht  zum  wenigsten  das 
onsbedürfnis,  das  zur  Auswahl  historischer  Idealpersön- 
en  treibt.  Man  muß  innerhalb  gewisser  Grenzen  der 
len  Natur  Rechnimg  tragen,  sonst  unterbindet  man  sein 
36.  Das  Bestreben  derjenigen  Neuerer,  welche  die  Ge- 
5  ihrer  kriegerischen  Momente  entkleiden  imd  sie  ganz 
Urgeschichte  aufgehen  lassen  wollen,  ist  unpsychologisth, 
idesnatur  nicht  entsprechend,  nimmt  auch  leicht  einen 
>er  ihr  Verständnis  hinaus.  Man  halte  mir  nicht  entgegen, 
e  Auswahl  lediglich  von  der  Art  der  Behandlung  ab- 
sei, ich  weiß,  daß  kulturhistorische  Momente  an  die 
von  Persönlichkeiten  in  den  hier  in  Frage  kommenden 
en  in  reichem  Maße  angeheftet  werden  —  aber  keine 
en  ist  genannt  worden ;  doch  gebe  ich  gern  zu,  daß  auch 
e  Frage:  warum?  vielleicht,  zumal  auf  der  Oberstufe, 
ich  dieser  Seite  Interesse  offenbart  hätte.  —  Es  handelt, 
er  um  positive,  aktive  Ideale.  Der  Knabe  wächst  naiv 
Helden  hinein. 

e  Hauptideale  der  verschiedenen  Altersstufen  sind  bei 
nahen  : 


Stufe 

Name 

Wilhelm  I. 

II 

Friedrich  der  Große 

in 

Blücher 

IV 

Großer  Kurfürst 

i  den  Mädchen  ergab  sich  folgendes: 
Mädchen. 


Stufe 

Name 

I 

Wilhelm  I. 

n 

Wilhelm  I. 

m 

Friedrich  der  Große 

344  Marx  Loäsien, 

Das    Interesse    für    historische    Ideale    wuchs!   bei  den 
Knaben  in  dem  Verhältnis: 

IV.  =  22  :  III  =  60  :  II  =  50  :  I  =  4i 
bei  den  Mädchen  : 

III  =  15  :  II  =  8  :  I  =  42 

Bei  den  Knaben  liegt  das  Interesse  also  wesentlich  höL^ 
als  bei  den  Mädchen,  am  höchsten  im  Alter  von  10—12  Jahrei 
bei  den  Mädchen  setzt  es,  kräftig  anwachsend,  erst  später  eixr^ . 

Man  könnte  hier  den  Einwand  erheben,  daß  die  TabeH^i^ 
nicht  einwandfrei  sei,  weil  wahrscheinlich  die  im  UnterridL-it  ^ 
zuletzt  behandelte  historische  Person  als  Liebling  angegeb^:«! 
werde.  Dem  widerspricht  aber  ein  Blick  auf  die  reiche  Auswai^J 
der  Ideale,  auch  habe  ich  mich  durch  sorgsamen  VergleL^rli 
der  Pensen  überzeugen  können,  daß  das  nicht  der  Fall  w^x-. 
Wir  können  als  ferneres  Ergebnis  hinstellen,  daß  die  historisctÄiecn 
Ideale  in  der  Zeit  vom  10. — 14.  Lebensjahre  keinen  einschn.ei- 
denden  'Wandlungen  unterworfen  sind. 

(Fortsetzung  folgt.) 


^^7^^ 


Die  Schule  und  das  öffentliche  Leben. 

übersetzt  von  Ludwig  Gurlitt 

Nachstehende  vier  Vorträge  sind  eine  vom  Verfasser  autori- 
-t  Übersetzung  der  Schrift:  The  school  and  society 
l  three  lectures  byjohn  Dewey,  prof essor  of  pedagogy 
e  university  of  Chicago  (Supplemented  by  a  Statement 
.e  university  elementary  school),  welche  im  Jahre  1900  er- 
:nen  ist  (Chicago,  the  university  of  Chicago  press ;  New  York, 
Clure,  PhiUpps  &  Company)  und  jetzt  in  der  dritten  Auf- 
vorliegt. Es  schien  uns  nützlich,  sie  einem  deutschen  Leser- 
ikum  zugängig  zu  machen,  nachdem  auf  ihre  hohe  Be- 
ing  in  unserer  pädagogischen  Literatur  schon  mehrfach 
ewiesen  worden  war. 

I. 

Die  Schule  und  der  soziale  Portschritt. 

Wir  sind  geneigt  die  Schwule  von  einem  individuellen  Stand- 
te  aus  zu  beurteilen,  als  etwas,  was  zwischen  Lehrer  und 
1er,  oder  zwischen  Lehrer  und  Eltern  besteht.  Das,  was 
am  meisten  interessiert,  ist  natm-gemäß  der  Fortschritt, 
im  Kind  macht,  welches  wir  persönlich  kennen,  seine  nor- 
körperliche  Entwicklung,  sein  Vorwärtsschreiten  im  Lesen, 
jiben  und  Rechnen,  das  Wachsen  seiner  Kenntnisse  in 
Erdkunde  xmd  Geschichte,  seine  Vervollkommnung  an 
nsart,  an  Geistesgegenwart,   seine   Gewöhnung  zur  Ord- 

und  zum  Fleiße  —  von  diesen  Gesichtspunkten  aus  be- 
en  wir  die  Arbeit  der  Schule.   Und  so  ist  es  auch  richtig ! 

der  Umkreis  unserer  Vorsorge  muß  erweitert  werden, 
der  beste,  der  weiseste  Vater  für  sein  Kind  anstrebt,  das 
das  Gemeinwesen  für  sämtliche  Kinder  anstreben.  Jedes 
re  Ideal  für  unser  Schulwesen  ist  engherzig  und  linerr 
ich,  und  wird  auf  dasselbe  hingearbeitet,  so  zerstört  es 
re  Demokratie.  Alles,  was  die  menschliche  Gesellschaft 
»ich  errungen  hat,  ist  durch  die  Vermittlimg  der  Schule 
heranwachsenden  Geschlechte  zur  Verfügung  zu  stellen, 
lie  höheren  Gedanken  und  Wünsche,  die  sie  hegt,  hofft 


346  Ludwig  GurUU. 

sie  durch  diese  neu  eröffneten  Wege  für  ihre  Zukunft  ver- 
wirklichen zu  können.  Hier  sind  Individualismus  und  Sozia- 
lismus einsl  Nur  indem  sie  bis  zur  äußersten  Grenze  jedot 
einzelnen  Individualität,  aus  der  sie  sich  zusammensetzt,  tr^^ 
ist,  kann  die  Gesellschaft  sich  selbst  einigermaßen  treu  bleibexrx 

In  der  so  gegebenen  Selbstleitung  ist  nichts  von  so  großer 
Bedeutimg,  wie  die  Schule.  Denn,  wie  Horace  Mann  sagf«:^- 
„Wo  irgend  etwas  wächst,  ist  ein  Bildner  mehr  wert  JuXs 
tausend  Umbildner." 

Wenn  wir  über  eine  neue  Bewegung  im  Erziehüngswes^  ^ 
zu  verhandeln  gedenken,  so  ist  es  ganz  besonders  notwendig,  da^  -ß 
wir  uns  eine  weite  soziale  Anschauung  angewöhnen.  Im  ander  :äi 
Falle  erscheinen  Änderungen  in  den  Schul-Einrichtungen  uä^  <i 

Überlieferungen  als  willkürliche  Eingriffe  einzelner  Lehrer 

im  schlimmsten  Falle  als  vorübergehende  Nichtigkeiten,  und  i^cm 

besten  nur  als  Verbesserung  kleiner   Nebensächlichkeiten 

und  das  ist  das  Niveau,  von  dem  aus  nur  zu  häufig  Scheel- 
reformen  unternommen  werden.  Das  ist  ungefähr  ebenso  ve="  r* 
nünftig,  als  wenn  man  sich  vornähme  etwas  herauszufinden^!' 
wodurch  eine  Lokomotive  oder  eine  Telegraphenstange  zu^*n 
selbständigen  Handeln  kommen  könnte. 

Die  zeitweiligen  Ändenmgen  in  der  Erziehungsweise  lu^^^ 
in  dem  ganzen  Lehrplane  sind  ebenso  eine  Folge  allgemein^^^ 
sozialer  Verhältnisse,  entspringen  genau  so  dem  Streben  sicri^h 
den  Bedürfnissen  der  jeweiligen  Gesellschaft  anzupasse^^i. 
wie  es  die  verschiedenen  Formen  in  der  Industrie  und  i^*^ 
Handel  tun. 

Nun  möchte  ich  Ihre  Aufmerksamkeit  besonders  auf  eii^^^ 
lenken :  den  Versuch,  das,  was  wir  schlechtweg  die  „neue  E- J"' 
ziehungsart*'  nennen  wollen,  in  dem  Lichte  eines  großen,  a-^" 
gemeinen  Wandeins  unserer  Lebensverhältnisse  zu  betrachte^^* 
Können   wir   in   der  Entwicklung    dieser    „neuen   Erziehung' 
eine  Verbindung  finden  mit  der  übrigen  Entwicklung  unsere:^'' 
staatlichen  Verhältnisse  ?    Wenn  wir  das  können,  so  wird  s^  * 
ihren   isolierten   Charakter   verlieren  und   wird  aufhören  eii»-* 
Angelegenheit   zu   sein,    die  nur  zwischen    überscharf  sinnige  ^ 
Pädagogen  und  einzelnen  Schülern  besteht.   Sie  wird  sich  dan^ 
darstellen  als  einen  Teil,  ein  Stück  der  allgemeinen  sozialen  En^^'       J 
Wicklung  und  —  wenigstens  in  seinen  bestimmenden  Zügen -^      J 
als  etwas   Unvermeidliches.    Lassen  Sie  uns  daher  nach  dc^ 


Die  Schute  und  das  öffentliche  Leben,  347 

rsachen  der  sozialen  Bewegung  forschen,  und  uns 
in  zur  Schule  wenden,  um  herauszufinden,  welche  An- 
vorhanden sind,  daß  sie  sich  bemüht,  gleichen  Schritt 
n.  Da  es  indessen  ganz  immöglich  ist,  das  ganze  Schul- 
11  durchforschen,  so  werde  ich  mich  zum  größten  Teil 
:  Besprechung  einer  typischen  Erscheinung  der 
2n  Schulbewegung  beschränken :  auf  das,  was  man  unter 
Zeichnung  „Handfertigkeitsunterricht**  ver- 
►abei  hoffe  ich,  daß  wir,  wenn  hier  eine  Beziehung  zu  den 
rten  sozialen  Ansprüchen  zutage  tritt,  imstande  sein 
sie  auch  bei  Neuerungen  anderer  Schulfächer  zu  finden, 
schuldige  mich  nicht,  daß  ich  nicht  ausführlich  über 
alen  Veränderungen,  die  für  uns  in  Frage  kommen, 
.  Die,  welche  ich  berühre,  sind  mit  so  großen  Buchr 
jeschrieben,  daß  sie  jeder  im  Vorbeilaufen  lesen  kann, 
fälligsten  —  ja  geradezu  alles  andere  in  den  Schatten 
und  beherrschend  sind  die  Errungenschaften  auf  in- 
em  Gebiete,  die  Anwendung  der  Naturwissenschaften  in 
ßen  Erfindungen,  durch  welche  die  Naturkräfte  in  einer 
leren,  schier  unfaßlichen  Ausdehnung  nutzbar  gemacht 
das  Entstehen  eines  Weltmarktes,  als  eine  Folge  der 
Produktion,  enormer  Fabrikmittelpunkte,  um  diesen 
nit  Waren  zu  versehen,  von  billigen  und  schnellen  Be- 
igsgelegenheiten, um  die  Waren  rasch  nach  einem  Mittel- 
iringen  und  ebenso  rasch  nach  allen  Seiten  hin  ausstrahlen 
u  können.  Selbst  die  schwächsten  Anfänge  dieser  Be- 
reichen nicht  viel  weiter  als  ein  Jahrhundert  zurück  und 
•  bedeutendsten  Errungenschaften  sind  erst  in  der  kurzen 
Zeit  der  jetzt  Lebenden  erworben  worden.  Man  kann 
lauben,  daß  jemals  schon  eine  derartig  schnelle,  voll- 
I,  weitreichende  Umwälzung  stattgefunden  habe, 
ch  sie  verändert  sich  das  Aussehen  der  Erde  selbst 
physikalischen  Formen:  politische  Grenzen  sind  aus- 
und  verlegt  worden,  als  wenn  sie  wirklich  nur  ge- 
e  Linien  auf  einer  Landkarte  wären,  von  allen  Welt- 
n  ist  ein  Heer  von  Menschen  in  den  Städten  zusammen- 
t,  Lebensgebräuche  wurden  mit  einer  frappierenden 
gkeit  und  Gründlichkeit  geändert  und  auch  das  Suchen 
uen  Naturgesetzen  wurde  außerordentlich  angeregt  und 
Tt  und  ihre  Anwendung  auf  das  Leben  ist  nicht  nur  mög- 


348  Ludwig  GurliU, 

lieh,  sondern  eine  geschäftliche  Notwendigkeit  geworden.  Selbst 
unsere  moralischen  und  religiösen  Vorstellungen  und  Interessen, 
das  Konservativste,  weil  Innerlichste  unserer  Natur,  sind  stark 
beeinflußt  worden.  Daß  eine  derartige  Revolution  nur  äußer- 
lich und  in  oberflächlicher  Weise  auf  die  gesamte  Erziehungs- 
weise wirken  sollte,  ist  imdenkbar. 

Vor  dem  jetzigen  Maschinensysteme  herrschte  das  Haus- 
halts- tind  Nachbarschafts-System.   Wir  brauchen  nur  eine,  zwei 
oder  höchstens   drei   Generationen   zurückzudenken,    um  eine 
Zeit   zu   finden,   in   der   sich  die   ganze   damals  gekannte  in- 
dustrielle Tätigkeit  im  Haushalte  selbst  abspielte,  oder  sich  doch 
imi  diesen  gruppierte.    Die  Kleider,  welche  man  trug,  wurden, 
nicht  nur  zumeist  im  Hause  selbst  angefertigt,  sondern  die  Fa-- 
milienglieder  konnten  das  Schaf  scheren,  konnten  die  Woli>* 
kämmen  und  spinnen  ^und  mit  dem  Webstuhle  hantieren.  Ansta«^ 
durch  einen  Druck  auf  einen  Knopf  das  Haus  durch  elektr     i* 
sches  Licht  hell  erleuchten  zu  können,  hatte  man  den  ganzc=^ 
langwierigen  Prozeß,  um  Lichter  herzustellen,  durchführen  g'     ^' 
lernt :  das  Töten  des  Tieres,  das  Aussieden  des  Fettes,  das  Dreh^^^ 
der  Dochte,  das  Formen  der  Kerzen.    Der  Bedarf  von  Zuck^^^' 
von   Mehl,   von   Baumaterial,  von  Möbeln,  Türangeln,  Här"^^* 
mem  etc.  war  in  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  zu  erstehe  ^^^^ 
in  Läden,  welche  fortwährend  offen  waren,  deren  Waren  m^^^ 
immer  betrachten  konnte,  und  die  oft  den  Mittelpunkt  nac  ^^' 
barlicher  Zusammenkünfte    bildeten.     Der  ganze  Werdegar»-i^ 
spielte  sich  vor  aller  Augen  ab,  von  der  Bebauung  des  RoX^' 
materials  auf  dem  Felde  an  bis  zu  dem  Augenblicke,  wo  d^^ 
fertige  Gegenstand  dem  Gebrauche  übergeben  werden  konnt^- 
Aber  nicht  nur  das,  sondern  in  Wirklichkeit  hatte  jedes  Mitglied 
der  Familie  seinen  Anteil  an  der  Herstellung  mit  beigetragen- 
Die   Kinder  wurden  mit  dem  Wachsen  an  Körperkraft  uri^ 
Verstand  allmählich  mit  den  Geheimnissen  der  verschiedene^^ 
Arbeitsstufen  bekannt  gemacht.   Sie  hatten  ein  ganz  unmittel' 
bares,  persönliches   Interesse  an  den  Erzeugnissen,  da  sie  j^ 
selbst  mit  an  deren  Herstellung  gearbeitet  hatten. 

Hierin  liegen  so  wichtige  Faktoren  für  die  Charaktef- 
bildung,  daß  wir  sie  nicht  unbeachtet  lassen  dürfen:  eine  E^' 
Ziehung  zur  Ordnung  und  zum  Fleiße,  zu  dem  Gefühle  der  VC' 
antwortung  und  dem  Pflichtgefühle,  etwas  zu  leisten,  etwas  i^ 
der  Welt  zu  schaffen.   Es  gab  immer  etwas,  was  getan  wcrd^^ 


\ 


Di£  SdiuU  tmd  äM  äffmäükä  Lthm. 


349 


uBte.  Es  war  wirklich  noiwendig,  daß  jedes  Mitglied  des  Haus- 
Utes  seinen  Arbeitsteil  gewissenhaft  und  im  rechten  Zusammen- 
mge  mit  den  anderen  leistete,  Persönlichkeiten,  die  sich  in 
trer  Tätigkeit  hervortaten,  wurden  bald  zum  Mittelpunkte  der 
ätigkeit.  Zudem  läßt  sich  die  große  erziehliche  Bedeutung 
ichl  übersehen,  weiche  in  der  genauen  Bekanntschaft  mit  der 
^atur  liegt :  dem  Kennen  der  Wirklichkeiten  der  Naturprodukte, 
lern  Rohmaterial,  den  Erfahrungen,  wie  sie  behandelt  und 
verwertet  werden,  welche  große  soziale  Notwendigkeit  sie  sind 
Lud  welchen  Nutzen  sie  bringen.  Es  war  eine  fortwährende 
Erziehung  zur  Beobachtung^  zum  Scharfsinn,  zur  schaffenden 
•mbildungskraft,  tum  folgerichtigen  Denken,  zum  klaren  Ver- 

Kide  durch  diese  unmittelbare  Berührung  mit  der  Wirklich- 
gegeben* Die  erziehlichen  Kräfte,  welche  in  der  haus- 
en Beschäftigung  des  Webens  und  Spinnens,  in  der  Säge- 
Ühle  und  der  Kornmühle,  dem  Kaufmannsladen  und  der 
:limiede  lagen,  waren  ununterbrochen  tätig. 

Keine  Zahl  von  Stunden  des  Anschauungsunterrichtes  — 
&  Anschauungsunterricht  bezeichnet,  um  zu  sagen,  daß  ge- 
^t  werden  soll  anzuschauen,  zu  sehen  —  kann  auch  nur  den 
Katten  von  den  Kenntnissen  ersetzen^  die  man  gewinnt,  wenn 
El  mit  den  Pflanzen  und  Tieren  im  Garten  oder  auf  dem 
imde  lebt,  und  für  sie  zu  sorgen  hat ;  keine  Schuleinrichtung, 
-Iche  den  Zweck  hat,  die  Sinnesorgane  zu  entwickeln,  kann 
*l  auch  nur  annähernd  mit  dem  vergleichen,  was  wir  an 
ärke  und  Lebhaftigkeit  unseres  Sinneslebens  durch  diese  tag* 
-\xt  Beschäftigung  und  durch  das  Interesse  an  häuslichen  Ver- 
-Itungen  gewinnen.  Das  Gedächtnis  kann  durch  regelmäßige 
tjung  ausgebildet,  ein  gewisser  Grad  von  klarem  Denken 
LTm  durch  den  Unterricht  in  den  Naturwissenschaften  und 
'der  Mathematik  erreicht  werden,  doch  ist  das  alles  schwäch* 
^li  und  schattenhaft^  wenn  wir  es  damit  vergleichen,  wie 
Bgere  Aufmerksamkeit,  unsere  Urteilskraft  dadurch  wächst. 
B  wir  etwas  leisten,  was  einen  realen  Zweck  hat  und 
B^einem  positiven  Ergebnisse  führt.  Die  Gegenwart  hat  durch 
li«  Konzentrierimg  der  Industrie  und  durch  die  Arbeitsteilung 
iie  haushalts-  und  nachbarschaft liehe  Tätigkeit  vernichtet,  wenig- 
stens soweit  sie  für  die  Erziehung  von  Bedeutung  war.  Aber 
^S  ist  zwecklos,  über  das  Schwinden  der  guten,  alten  Zeit, 
gg  Schwinden  der  kindlichen  Bescheidenheit,  Ehrfurcht  und 


350  Ludwig  Gurh'tL 

des  blinden  Gehorsams  zu  jammern,  wenn  wir  erwartea^  daß 
durch  das  Klagen  allein  und  durch  Ermahnungen  jene  Zeiten  ru- 
rückzubringen  wären.  Die  Grundbedingungen  unseres  Dasems 
sind  andere  geworden,  imd  deshalb  kann  auch  nur  eine  radikale 
Änderung  unseres  Erziehungswesens  den  neuen  Anforderungen 
entsprechen.  Wir  müssen  uns  über  die  Frage  klar  werden: 
Welchen  Ersatz  haben  wir  für  das  Verlorene  ?  Wir  sind  tde- 
ranter  geworden,  haben  an  sozialer  Urteilsfähigkeit  zug^ 
nommen,  haben  größere  Menschenkenntnis  gewonnen, 
sind  gewandter  geworden  im  Erkennen  von  Charakter- 
eigenschaften imd  im  Verstehen  sozialer  Situationen,  haben 
ein  schnelleres  Anpassimgsvermögen  an  verschieden  geartete 
Persönlichkeiten  und  eine  größere  kaufmännische  Tatkraft 
erlangt. 

Diese  Eigentümlichkeiten  sind  von  Bedeutimg.  für  das  Stadt- 
kind von  heute.  Aber  das  ist  ein  wirkliches  Problem:  Wie 
sollen  wir  diese  Vorzüge  beibehalten,  und  doch  in  die  Schule 
etwas  einführen,  was  die  andere  Seite  des  Lebens  darstellt, 
Beschäftig^imgen,  welche  eine  persönliche  Verantwortlichkeit 
fordern  und  welche  das  Kind  mit  Rücksicht  auf  das  wirkliche, 
praktische  Leben  erziehen? 

Wenn  wir  uns  der  Schule  zuwenden,  so  finden  wir  als 
eine  der  auffälligsten  Erscheinungen  der  Gegenwart,  die 
Einführung  des  sogenannten  Handfertigkeitsunter- 
richtes, nämlich  das  Arbeiten  in  den  Werkstätten  und  die 
Anleitung  zu  den  Haushaltungskünsten,  wie  Nähen  und  Kochen. 

Das  ist  nicht  ganz  bewußt  und  mit  der  vollen  Erkenntnis  ge- 
schehen, daß  die  Schule  jetzt  diesen  Zweig  der  Ausbildung 
zu  ersetzen  habe,  den  sonst  das  Haus  übernommen  bat, 
sondern  mehr  aus  Instinkt,  infolge  von  Erfahrung,  indem 
man  fand,  daß  solche  Arbeit  dem  Schüler  eine  höchst  wichtige 
Stütze  gewährte,  ihm  etwas  gab,  was  auf  keinem  anderen  Wege 
zu  gewinnen  war.  Die  Erkenntnis  der  großen  Wichtigkeit  dieser 
Unterrichtszweige  ist  noch  so  schwach  entwickelt,  daß  die  Auf- 
gabe oft  nur  mit  halbem  Herzen,  etwas  unklar  und  in  einer  zu- 
sammenhangslosen Weise  geleistet  wird.  Die  Gründe,  nut 
denen  man  dieses  Erziehungsverfahren  rechtfertigt,  sind  pein- 
voll  unangemessen  und  zuweilen  geradezu  falsch. 

Wenn  wir  selbst  die  Leute,  welche  am  meisten  geneigt 
sind,  diese   Tätigkeit    in  unserem   Schulsystem  aufzunebmtfV 


Dit  SchuU  und  das  ffßmihckr  Lebtn, 


351 


Bnau  über  die  Gründe  ihrer  Bereitwilligkeit  ausforschen 
ürden,  so  bekämen  wir,  glaube  ich,  zumeist  den  Bescheid,  daß 
jKe  Beschäftigungen  das  vollste,  lebhafteste  Interesse  und 
■  größte  Aufmerksamkeit  bei  den  Kindern  erweckeii.  Es 
ili  sie  frisch  und  tätig,  macht  sie  nicht  passiv^  und  träge 
id  setzt  sie  in  den  Stand,  nützlicher  zu  sein,  und  mehr  geneigt, 
n  Hause  zu  helfen;  es  bereitet  sie  bis  zu  einem  gewissen 
rtadc  auf  die  praktischen  Aufgaben  des  späteren  Lebens  \'or: 
ie  Mädchen,  bessere  Leiterinnen  des  Haushaltes  zu  werden, 
'enn  sie  nicht  direkt  Köchinnen  oder  Näherinnen  werden; 
ie  Knaben  —  würde  unser  Erziehungssystem  nur  entsprechend 
El  den  Handelsschulen  weiter  ausgebaut  und  abgerundet!  —  für 
»Ten  späteren  Lebensberuf.  Ich  unterschätze  den  Wert  dieser 
riinde  nicht.  Was  die  Beobachtung  anbelangt,  wie  dieser  Unter- 
cht  das  Verhalten  des  Kindes  beeinflußt,  darauf  werde  ich 
isführlich  in  meinem  nächsten  V^ortrage  zurückkommen,  wenn 
hi  von  dem  Einflüsse  der  Schule  auf  das  Kind  berichte, 

tAber  trotzdem  ist  diese  Anschauungsart  eine  ganz  unge- 
nlich   enge    und   begrenzte:    Wir   müssen   dieses   Arbeiten 
It  Holz  und  Metall,  das  Weben,  Nähen  und  Kochen  bei  uns 
aufnehmen,  als  sei  es  Lebenszweck  und  nicht  nur  ein  be- 
:nimtes   Lehrfach  1 

»Wir  müssen  es  in  seiner  sozialen  Bedeutung  auffassen^ 
einen  typischen  Prozeß,  durch  den  sich  die  Gesellschaft 
ilt,  als  ein  Mittel,  in  den  Kindern  das  Verständnis 
die  maßgebendsten  Bedürfnisse  der  bürgerlichen  Gesell- 
*taft  zu  erwecken^  und  ihnen  klar  zu  machen,  wie  diese  Be- 
Bfnisse  durch  die  wachsende  Einsicht  und  den  Geist  der 
«ansehen  befriedigt  werden   können.     Kurz  und  gut,  als  ein 

§'  tel,  durch  welches  die  Schule  selbst  zu  einem  naturgemäßen 
fe  des  Gesamtlebens  gemacht  werden  soll,  während  sie  jetzt 
tie  abseits  liegende  Stätte  ist^  in  welcher  man  nur  seine 
Aktionen  zu  lernen  hat. 

Eine  Gesellschaft  ist  eine  Anzahl  von  Menschen,  die  zu- 
ttnmenhalten,  weil  sie  nach  gleicher  Richtung,  in  gleichem 
'^iste  und  in  Erstrebung  eines  gleichen  Zieles  arbeiten, 
ie  gemeinsamen  Bedürfnisse  und  Zwecke  fordern  einen  wach- 
^den  Austausch  der  Ansichten  und  ein  Wachsen  gleichartigen 
lens.  Der  Hauptgrund,  weshalb  die  Schule  von  heute  sich 
iticr   natürlichen,    sozialen    Gemeinschaft   nicht   ausbilden! 


352  Ludwig  GurliU. 

kann,  ist  eben  der,  daß  diese  Elemente  gemeinsamer,  produk- 
tiver Arbeit  fehlen.  Auf  dem  Spielplatze,  bei  Spiel  und  Sport 
tritt  diese  gesellige  Vereinigung  spontan  imd  unvermeidlich 
ein.  Hier  gibt  es  etwas  zu  tun,  muß  etwas  geleistet  werden:  Die 
Arbeitsteilung,  das  Erwählen  von  Führern  und  Helfern,  das  ge- 
meinsame Mitwirken  und  Nacheifern  stellt  sich  dabei  ganz  von 
selbst  ein.  In  der  Schulstube  aber  fehlt  sowohl  die  Notwendig- 
keit wie  auch  das  Bindemittel  zu  einer  gemeinsamen  Orga- 
nisation. Vom  ethischen  Standpunkte  aus  betrachtet  liegt  die 
tragische  Schwäche  der  jetzigen  Schule  darin,  daß  sie  sich 
bemüht,  zukünftige  Mitglieder  des  Gemeindewesens  in  einer 
Umgebung  zu  erziehen,  in  der  die  Bedingungen  des  sozialen 
Geistes  vollständig  fehlen. 

Es  ist  ganz  erstaimlich',  wie  verschieden  eine  ausgesprochene 
Schültätigkeit  ist  von  jeder  anderen  Art  und  Weise  sich  zu 
beschäftigen.  Der  Unterschied  liegt  sowohl  in  den  Motiven, 
wie  im  Geiste  und  der  ganzen  Atmosphäre. 

Man  trete  in  eine  Küche  ein,  in  der  eine  Gruppe  Kinder 
lebhaft  beschäftigt  ist,  eine  Mahlzeit  herzurichten.  Dort,  in 
der  Schtile,  ein  mehr  oder  weniger  passives,  träges  Aufnehmen 
des  Gebotenen,  hier  ein  tatkräftiges,  frisches  Zugreifen.  Die 
Verschiedenheit  ist  so  schlagend,  daß  sie  einem  auffallen 
muß.  In  der  Tat  müssen  diejenigen,  die  ein  starres,  unwandel- 
bares Bild  der  Schule  in  sich  tragen,  einen  wahren  „chock** 
bekommen,  wenn  sie  den  Unterschied  erkennen.  Aber  die 
Verschiedenheit  der  Bedeutimg  dieser  Betätigungen  für  di« 
Allgemeinheit  tritt  ebenso  scharf  hervor. 

Das  ausschließliche  Aufnehmen  von  Tatsachen  imd  Waht'' 
heiten  ist  eine  so  rein  persönliche  Angelegenheit,  daß  sie  natuT^ 
gemäß  sehr  leicht  zur  Selbstsucht  führt. 

Es  gibt  kein  einleuchtend  gemeinnütziges  Motiv  *für  da^ 
Ansammeln  bloßer  Keimtnisse,  ebensowenig  wie  die  Allgemein.^ 
heit  einen  Nutzen  davon  hat,  wenn  es  mit  Erfolg  geschieht  ^ 
In  der  Tat  liegt  fast  der  einzige  Maßstab  für  den  Erfolg  inr^ 
Wettstreite  und  zwar  im  schlechten  Sirme  dieses  Wortes  - 
Durch  Wiederholungen  oder  durch  Examina  wird  das  Körmer^ 
der  Schüler  festgestellt  und  miteinander  verglichen,  um  zi^ 
sehen,  welches  Kind  die  anderen  überflügelt  und  mit  seinencr^ 
Wissen  und  seinem  Anhäufen  der  größten  Menge  von  Lerr^' 
Stoffen  geschlagen  habe.   So  sehr  ist  die  ganze  Schulatmosphär  ^ 


Du  Schule  und  äü*  SfinUkha  Leben, 


353 


-vtm  dieser  Vorstellung  durchtränkt,  daß  es  für  ein  Schulver^ 
Tjrechen  gilt,  wenn  ein  Kind  dem  anderen  bei  seinen  Aufgaben 
hilft-  Wo  die  Schularbeit  darin  besteht,  seine  Lektion  auswendig 
zu  lernen,  wird  das  gegenseitige  Helfen,  anstatt  die  natür- 
lichste Form  der  Zusammengehörigkeit  und  des  gemeinsamen 
Wirkens  zu  sein,  ein  verstecktes  Streben,  den  Nachbar  von 
der  Erfüllung  seiner  Pflicht  zu  befreien*  Sobald  es  sich  um 
eine  praktische  Tätigkeit  handelt,  ist  alles  anders  I  Hier  ist 
anderen  helfen  nicht  eine  Art  von  Wohltätigkeit,  welche  den 
Empfänger  herabdrückt,  beeinträchtigt,  sondern  es  ist  einfach 
eine  Hilfe,  um  die  Kräfte  frei  zu  legen  und  die  Absicht  dessen 
zu  fördern,  dem  man  beispringt. 

Ein   Geist  freier  Mitteilungen,  ein  Austausch  von   Ideen, 

Anre^ngen  und  Erfahrungen,  sowohl  über  Erfolge,  wie  über 

^lißerfolge  bei  früheren  Versuchen,  werden  die  vorherrschenden 

■terkmale   in  den   Gesprächen  sein.    Wenn  es  sich   hier  um 

ein  Wetteifern  handelt,  so  ist  ein  Vergleichen  der  Persönlich- 

Iceiten,  nicht  etwa  in  bezug  darauf,  wie  viel  jeder  an  Wissens* 

Stoff  in  sich  aufgehäuft  hat,  sondern  um  festzustellen,  was  der 

Einzelne  geleistet  hat,   der  einzig  wahre,  echte   Maßstab  der 

Wertschätrung.     In  einer  nicht  eigentlich  formellen,  aber  um 

so  durchdringenderen  Weise,  organisiert  sich  so  das  SchuUebert 

-auf  einer  sozialen  Basis. 

t    Innerhalb  dieser  Organisation  findet  sich  auch  das  Prinzip 
r  Schuldisziplin  oder  Schulordnung.   Naiürlich  ist  Ordnung  ein 
Begriff,  welcher  bis  zu  einem  gewissen  Grade  relativ  ist.   Be- 
steht das  Ziel,  welches  man  tn  erreichen  wünscht,  darin,  vierzig 
bis  fünfzig  Kinder  eine  bestimmte  Anzahl   \^on  Aufgaben  so 
gründlich  auswendig  lernen  zu  lassen,  daß  sie  diese  dem  Lehrer 
aufsagen    können,     so    muß    die     Disziplin     dazu    verwendet 
^^^rden^  um  zu  diesem  Resultate  zu  führen.   Ist  aber  das  Endziel 
^*^   Entwicklung  der  Kmder  zu  einem  großen,  geistigen  Ge- 
meinwesen, das  sich  untereinander  hilft  und  miteinander  för 
^^1^,  so  muß  sich  auch  eine  Schulerziehung  herausbildeUj  die 
aiesem    Ziele    entspricht.     Wo    etwas    hergestellt    wird,     ist, 
^    gewissem   Sinne,   wenig   Ordnung   zu   finden  —   in  jedem 
'^'^t^eitsraume,  in  welchem  fleißig  geschafft  wird,  herrscht  eine 
S^'Wisse  Unordnung,  da  ist  es  nicht  still,  die  Leute  beharren. 
-lit  in   vorgeschriebenen   Stellungen,   ihre  Arme  sind  nicht 

Zri I«ch*ift  für  pldm^jugisclte  Ps)  eliök*gie»  Pathologie  und  Hygiene-  0 


354  Ludwig  Gurlüt. 

Übereinander  gelegt,  und  sie  halten  ihre  Bücher  nicht  so  oder 
so:  Sie  tun  eine  Menge  verschiedener  Dinge,  und  da  herrscht 
die  Konfusion,  der  Lärm,  die  eine  Folge  dieser  Tätigkeiten  sind. 

Aber  aus  der  Beschäftigung,  aus  der  Arbeit,  die  etwats 
Wirkliches  schafft,  und  indem  man  sie  in  einer  sozialen,  ge- 
meinschaftlichen  Weise   leistet,   wird   eine   Disziplin   geboren- j 
die  ihte  eigene  Art,  ihren  eigenen  Typus  hat.    Unser  ganz^'i 
Begriff    von  Schuldisziplin    verändert    sich,  wenn  wir  dieser«^ 
Standpunkt  einnehmen.   In  entscheidenden  Augenblicken  wck^"- 
den  wir  uns  darüber  klar,  daß  die  einzige  Erziehung,  die  stancSi- 
hält,  die  einzige  Zucht,  die  eine  iimerliche  wird,  diejenige  h-  "•» 
welche  wir  durch  das  Leben  selbst  gewonnen  haben. 

Daß    wir    durch    Erfahrungen    und    durch    Bücher  od^^r 
durch  das  Wort  anderer  lernen  —  in  diesem  Falle  aber  nu^^> 
weim  es  uns  durch  Erfahrung  bestätigt  wird  —  das  ist  kein^e 
leere  Redensart.   Nun  steht  aber  die  Schule  so  abseits,  ist  ^^^ 
isoliert  von  dem  übrigen  Leben,  dessen  Bedingimgen  und  Grun^id- 
Sätzen,  daß  derjenige  Ort,  zu  dem  wir  unsere  Kinder  zur  Ei- » 
ziehtmg  schicken,  zugleich  der  Platz  innerhalb  der  ganzen  W^3t 
ist,  wo  es  die  größten  Schwierigkeiten  macht,  sich  Erfahrung  ^^ 
erwerben  —  die  Mutter  aller  Erziehung,  die  allein  dieses  Nanaecms 
wert  ist.    Nur  wo  eine  engherzige  und  starre  Auffassung  d^r 
herkömmlichen  Disziplin  herrscht,  ist  man  in  Gefahr,  die  tiefex"« 
und  unendlich  vielseitigere  Bildung  zu  übersehen,  welche  man 
erwirbt,  indem  man  an  einer  schaffenden  Tätigkeit  teilnimmt, 
indem  man  einem  Ziele  zustrebt,  das,  obgleich  es  dem  Geiste 
nach  ein  soziales  ist,  doch  greifbar  und  fühlbar  in  der  Forna 
ist,  einer  Form,    deren  Herstellung    das  Verantwortlichkeits- 
gefühl entwickelt  und  die   Urteilskraft  stärkt.  — 

Das  Wichtigste  bei  Einführung  verschiedener  praktischer 
Tätigkeiten  in  die  Schule  ist,  daß  dadurch  der  ganze  Geist  der 
Schule  erneuert  wird.  Es  wird  der  Schule  dadurch  die  Möglich- 
keit geboten,  sich  mit  dem  Leben  zu  verbinden,  des  Kindes  Heim 
zu  werden,  worin  es  durch  ein  wohlgeleitetes  Leben  lernt ;  anstatt 
nur  ein  Ort  zu  sein,  in  dem  man  seine  Aufgaben  lernt,  die  eine 
abstrakte  und  nur  entfernte  Verbindung  haben  mit  irgend  einem 
möglichen  Berufe  in  femer  Zukunft.  Es  wird  dadurch' der  Schule 
die  Möglichkeit  geboten,  eine  Miniaturgemeinschaft,  eine  em- 
bryonische Gesellschaft  zu  werden.  Das  ist  die  Grundidee,  auf 


Du  Sekt4ie  und  das  äjknl^ke  LebetK 


355 


r  sie  sich  aufbauen  muß,  und  aus  dieser  entwickeln  sich 
unausgesetzt  neue  Quellen  methodischer  Belehrung, 
Jnter  dem  so  geschilderten  industriellen  Regime  nimmt 
ind  an  der  Arbeit  teil,  nicht  um  zu  arbeiten,  sondern 
Resultates  willen,  das  erreicht  werden  soll.  Diese  vor- 
iebenen  Ziele  sollen  etwas  Wirkliches,  aber  doch  Neben- 
iches.  Untergeordnetes  sein.  Alles,  was  in  der  Schule  durch 
besprochene  Handtätigkeit  geleistet  wird,  darf  in  keiner 
ökonomisch  ausgenützt  werden*  Die  Bedeutung  dieser 
febung  liegt  nicht  in  dem  wirtschaftlichen  Werte  des  Her- 
Uten,  sondern  in  der  Ausbildung  der  sozialen  Kräfte  und 
hten*  Durch  dieses  Freisein  von  engen  Nützlichkeits- 
ichten» durch  dieses  Offensein  für  die  Betätigung  des 
blichen  Geistes  wird  es  erreicht,  daß  diese  praktischen 
keilen  sich  mit  der  Kunst  verbinden,  und  daß  die  Schulen 
Mittelpunkte  für  die  Naturwissenschaften  und  für  die 
ichtsforschung  werden. 
:ine  Verbindung  aller  Naturwissenschaften  findet  sich  im 
ndlichen  Unterrichte,  Die  Bedeutung  dieses  Unterrichtes 
darin,  daß  er  die  Erde  als  das  Heim  aller  menschlichen 
keil  darstellt.  Die  Welt  ohne  ihre  Beziehungen  zur  menscH- 
Tätigkeit  ist  weniger  ah  eine  Weh.  Menschen-Fleiß  und 
ingen  sind,  wenn  sie  nicht  in  der  Erde  wurzeln,  kaum 
tedanke,  ja  kaum  ein  Name.  Die  Erde  ist  der  Urquell 
menschlichen  Nahrung,  sie  ist  sein  beständiger  Beschützer, 
Zuflucht,  das  Rohmaterial  für  all  seine  Tätigkeit  und  die 
t,  zu  deren  Verschönerung  und  Idealisierung  er  all  sein 
en  anwendet,  Sie  ist  das  große  Feld,  die  große  Mine, 
oße  Kraftent wicklerin  von  Wärme^  Licht  und  Elektrizität, 
roße  Schauplatz  von  Meer,  Strom^  Berg  und  Ebene,  von 
unser  Ackerbau,  unser  Bergbau,  unser  Bauwesen,  all 
Fabrikbetrieb  und  der  dazu  gehörige  Handel  nur  ein- 
Elemente und  Faktoren  sind.  Nur  durch  die  Tätigkeit, 
lirch  diese  Umgebung  bedingt  wird,  hat  die  Menschheit 
lisiorischen  und  politischen  Fortschritte  gemacht.  Nur 
'  diese  Art  von  Arbeiten  ist  sie  zum  Verstehen  und  zu 
greifenden  Erkenntnis  der  Natur  gekommen.  Durch  das, 
iiT  auf  der  Erde  und  mit  der  Erde  tun,  Jemen  wir  sie 
ihen  und  ihren  Wert  schätzen, 

,uf  die  Erziehungsfrage  übertragen    bedeutet  das:  diese 

8" 


356  Ludwig  GurUU, 

Beschäftigungen  haben    nicht    zum   aUemigen  Ziele  die  Bei- 
bringung praktischer  Handgriffe  und  einer  größeren  Gewandt- 
heit —  das  Gewinnen  einer  größeren  technischen  Fertigkeit  etwa 
für  Köche,  Schneider,  Zimmerleute  —  sondern  sie  sollen  auch 
der  lebendige  Mittelpunkt  sein  zur  Erwerbung  naturwissensdiaft' 
lieber,  gründlicher  Kenntnisse  der  Weltkörper,  sie  sollen  der 
Ausgangspunkt  sein,  von  dem  man  die  Kinder  zu  dem  Ver- 
ständnisse aller  geschichtlichen  EntwicMung  der  Menschheit, 
führt.     Diese  tatsächliche  Bedeutung  kann  besser  durch  ein 
Beispiel  aus  dem  vorgeführten  Schulleben  bewiesen  werder^, 
als  durch  eine  allgemeine  Besprechung.   Es  wird  dem  nonn?i-l 
begabten  Besucher  kaum  etwas  einen  merkwürdigeren  Eindruck 
machen,  als  wenn  er  Knaben  sowohl  als  Mädchen  von  zehn,  zw(>lf 
und  dreizehn  Jahren  beim  Nähen  und  Weben  beobachtet  B^ 
trachten  wir  diese  Tätigkeit  nur  von  dem  Standpunkte  aus,  da^ 
sie  die  Kinder  geschickter  machen  soll,  sich  selbst  einmal  Knöp£e 
anzunähen  und  Flicken  einzusetzen,  so  ist  das  eine  so  eng"'^, 
so  kleinliche  Auffassung,  daß  sie  kaum  berechtigt  ist  in  das 
Schulleben  mit  aufgenommen  zu  werden.  Aber  betrachten  wix 
sie  von  einem  anderen  Standpunkte,  so  finden  wir,  daß  diese 
iTätigkeit  den  Ausgangspunkt  bildet,  von  dem,  weiterschreitend, 
das  Kind  den  Weg  nachgehen  lernt,  den  die  Menschheit  in 
seiner  gesellschaftlichen  Entwicklimg  genonunen,  indem  es  sich 
zugleich  eine  gründliche  Kenntnis  des  Materials,  das  es  ver- 
arbeitet,  und  der  mechanischen  Grundelemente  erwirl^.  An 
der  Hand  dieser  Beschäftigungen  wird  die  geschichtliche  Ent- 
wicklung der   Menschheit  rekapituliert.    Zum  Beispiele:  Den 
Kindern  wurde  zuerst  das  Rohtnaterial  gegeben,  der  Flachs, 
die  Baumwollpflanze,  die  Wolle,  wie  sie  vom  Rücken  des  Schafe 
kommt  (könnten  wir  sie  mit  zu  dem  Platze  nehlmen,  wo  <bs 
Schaf  geschoren  wird,  so  wäre  das  noch  besser);  dann  wird 
das  Material  genau  in  bezug  auf  seine  Verwendbarkeit  unter- 
sucht,   wozu   es   sich   am   besten    eignet.    Zum   Beispiel:  I^ 
Baumwollfasem  werden  mit  den  Wollfasem  verglichen.  Ich 
wußte  nicht,  bevor  die  Kinder  es  mir  gesagt  haben,  daß  der 
Grund  der  späten  Entwicklung  der  Baumwollindustrie  im  Ver- 
gleich  zur   Wollindustrie   darin   zu   suchen   ist,    daß  sich  die 
Baumwollfaser  so  schwer  aus  der  Samenkapsel  lösen  läßt. 

Die  Kinder  einer  Gruppe  konnten  während  dreißig  Minuten, 
in  denen  sie  die  Baumwollfasem  von  den  Samenkapseln  vxA 


£>i0  Scknie  amd  das  SffimUtcke  LebcK, 


357 


em  Samen  befreiten,   noch  nicht  ganz  eine  Unze  gereinigten 

tleriales  liefern. 
Es  war  ihnen  leicht  verständlich^  daß  ein  Mensch  mit  seiner 
Hände  Arbeit  im  Tage  nicht  mehr  als  ein  Pfund  auslösen 
konnte,  und  sie  begriffen,  weshalb  ihre  Vorfahren  wollene 
^|tt  baumwollene  Kleidung  trugen.  Außer  anderen  Ursachen, 
^Bcfae  die  Venvendbarkeit  der  Baumwolle  beeinträchtigen, 
Taeden  sie  heraus,  daß  die  Baumwollfasem  im  Vergleiche  tn 
den  Wollfasern  sehr  kurz  sind  —  jene  sind  kaum  ein  Zehntel 
JjoXi  lang,  während  diese  einen  Zoll  Länge  haben  — ,  rudern 
^■d  die  BaumwolLfasern  glatt  und  haften  nicht  aneinander, 
iRhrcnd  die  Wolle  eine  gewisse  Rauhheit  besitzt,  infolgedessen 

Easern  zusamine^nhalten :  eine  große  Erleichterung  für  das 
n)    Die  Kinder  erwarben,  erarbeiteten  sich  diese  Kennt- 
selbst  durch  ihre  Beschäftigung,  der  Lehrer  half  nur  durch 
Fragen  und    durch   Winke   nach, 

Sie  machten  dann  Schritt  für  Schritt  die  notwendigen  Pro- 
zesse  durch,  um  die  Fasern  in  einen  Stoff  zu  verwandeln.  Sie 
IjH^nden  wieder  die  ursprüngliche  \  orrichtung.  um  die  Wolle 
^^kämmen:  zwei  Bretter^  in  denen  Nadehi  befestigt  waren, 
übet  welche  man  die  Fasern  zog,  Sie  dachten  sich  wieder  die 
einfachste  An  des  Spinnens  der  Wolle  aus:  ein  durchlöcherter 
Stein  oder  ein  anderer  schwerer  Gegenstand,  durch  welchen 
der  Faden  gezogen  ist,  und  der,  indem  er  gedreht  wird  den 
Faden  herauszieht;  dann  kam  die  Spindel  daran.  Die  Kinder 
hielten  die  Wolle  in  den  Händen,  das  Ende  des  herausgezogenen 

Kens  w^urde  um  die  Spindel  gelegt  und  diese  zog,  indem  sie 
auf  dem  Fußboden  drehte,  den  Faden  immer  länger  und 
celre  ihn  zugleich  auf  sich  auL  Nun  werden  die  Kinder  mii 
den  nächsten  Erfindungen  auf  diesem  Gebiete  in  historischer 
Reihenfolge  bekannt  gemacht,  indem  sie  selbst  versuchen, 
selbst  ausprobieren.  Sie  sehen  die  Notwendigkeit  einer  Ande- 
rung,  einer  Vervollkommnung  ein,  und  lernen  die  Fortschritte 
schätzen,  und  das  alles  nicht  nur  mit  Bezug  auf  diesen  einen 
Zweig  der  Industrie^  sondern  auf  die  Entwicklung  des  ganzen 
menschlichen  Daseins,  In  dieser  Weise  w4rd  ihnen  der  ganze 
Werdeprozeß  bis  zu  der  jetzt  erreichten  Vollkommenheit  des 
Webstuhls  mit  dem  Hinweise  auf  die  Naturwissenschaften 
fgeführt,  die  es  uns  ermöglichten,  bis  zu  diesem  Grade  zu 
;pn    ?*  h  brauche  nicht  erst  die  Wissensgebiete  aufzuzählen. 


358  Ludwig  GufUtL 


welche  bei   dem   Studium  der   Fasern  in   Betracht  kommen,     \ 
in  dieses  mit  eingeschlossen  sind:  die  Erdkunde,  die  Ber- 
gungen, unter  welchen  das  Rohmaterial  wächst,  werden  be- 
sprochen, über  die  großen  Mittelpunkte  für  die  Herstellung  det 
Waren  und  über  deren  Vertrieb  wird  berichtet.    Die  Physik, 
die  physikalischen  Prinzipien,  auf  denen  die  Maschinen  be- 
ruhen, müssen  erklärt  werden,  aber  ganz  besonders  muß  imme^ 
wieder   das  historische   Moment   hervorgehoben   werden,  deX 
Einfluß,  den  diese  Erfindungen  auf  die  Menschheit  gemaclx^ 
haben.  Man  kann  die  ganze  Geschichte  der  Menschheit  in  dcm3 
Entwicklungsgang,  der  die  Flachs-,  BaumwoU-  und  Wollfaserxi 
zu  Kleiderstoffen  werden  läßt,  zusammenfassen.   Ich  will  nichi^t 
behaupten,  daß  das  der  einzige  oder  beste  Ausgangspunkt  sei - 
Aber  es   ist  sicher,  daß   sich  von  ihm  aus  sehr  bedeutend.« 
Ausblicke  auf  die  Geschichte  der  Menschheit  gewinnen  lasseia^^ 
daß  man  so  viel  sicherer  die  fundamentalen,  beherrschendexi 
Strömungen  kennen  lernt,  als  durch  das  Studium  der  zeitge- 
nössischen, chronologisch  geordneten  Dokumente,  was  im  all- 
gemeinen als  Geschichtsforschung  gilt. 

Nun  läßt  sich  das,  was  wir  an  dem  Studium  der  Faser 
bis  zu  deren  Verwandlung  in  ein  Gewebe,  (ich  habe  natürlich 
nur  ein  bis  zwei  elementare  Entwicklungsstuf«!  besprocheff) 
an  Beobachtung  gewonnen  haben,  bis  zu  einem  gewissen  Grade, 
auf  jedes  Material  in  jedem  Gewerbe  und  auf  jeden  Entwick- 
lungsgang anwenden.  Eine  Tätigkeit,  wie  die  hier  be- 
sprochene, gewährt  dem  Kinde  ein  echtes  Ziel;  sie  gibt 
ihm  zunächst  Erfahrung  und  bringt  es  in  Verbindung  mit  den 
Wirklichkeiten  des  Lebens;  aber  all  das  wird  noch  weit  über- 
wogen durch  die  Bedeutung,  welche  sie  gewinnt,  wenn  wir 
sie  auf  ihren  historischen  und  naturwissenschaftlichen  Wert 
einschätzen.  Mit  dem  Wachst  des  kindlichen  Geistes  an  Kraft 
und  an  Kenntnissen,  hört  sie  auf  für  dieses  nur  eine  ange- 
nehme Beschäftigung  zu  sein  —  sie  wird  mehr  und  mehr  ein 
Mittel  zum  Zweck,  ein  Werkzeug,  ein  Organ,  und  wird  hier- 
durch von  Grund  aus  verwandelt.  — 

Andererseits  übt  das  seinen  Einfluß  auch  auf  den  natur- 
wissenschaftlichen Unterricht  aus.  In  den  gegenwärtigen  Ver- 
hältnissen muß  jede  praktische  Tätigkeit,  um  erfolgreich  zu  sein, 
auf  die  eine  oder  andere  Weise  einen  naturwissenschaftlichen 
Untergrund  haben;  sie  soll  eine  Art  angewandter  Naturwissen- 


iHf  Schuh  Hftd  t/ai  vfftiUkke  l^^n. 


359 


Schaft    sein.    Und    dieser   Zusammenhang   soll   den    Platz   be- 
men,  welchen  sie  in  dem  Erziehungsplane  einnimmt.    Es 
delt  sich  indessen  nicht  nur  darum,  daß  die  Beschäftigungen 
im  sogenannten  Handfertigkeitsunterrichte  oder  die  sonstigen 
praktischen  Arbeiten  in  der  Schule   die  Gelegenheit  bieten  in 
die     Natur^vissenschaften    einzuführen,    welche    die    Tätigkeit 
durchleuchten,   mit    innerer   Bedeutung    erfüllen^    sie   wichtig 
werden   lassen,   anstatt   daß   sie  so   nur  ein   Beweis  sind  von 
der  Geschicklichkeit  der  Hand  und  der  Sicherheit  des  Auges, 
sondern  das   Gewinnen    solch  gründJicher,   naturwissenschaft- 
I   licher  Kenntnisse  wird  zu  einer  unentbehrlichen,  freien,  tätigen 
eilnahme  am  modernen  sozialen  Leben  führen. 

Plato  spricht  von  dem  Sklaven,  als  von  einem  Menschen, 
welcher  in  seinen  Handlungen  nicht  seine  eigenen  Ideen  aus* 
drückt,  sondern  die  eines  anderen*  Es  ist  unsere  soziale  Auf- 
gabe heute,  und  2war  dringlicher  als  zur  Zeit  Piatos,  darauf 
hinzuwirkenj  daß  der,  welcher  eine  Arbeit  leistet,  sie  mit  Ver- 
ständnis leiste,  indem  er  sich  klar  wird,  über  die  Methode, 
die  er  anwendet,  und  über  den  Nutzen  dessen,  was  er  anfertigt, 
^uf  daß  ihm  seine  Tätigkeit  selbst  etwas  bedeute. 

^V  Wird  nun  die  Schularbeit  in  dieser  breiten,  großherzigen 
IkVeise  betrieben^  so  überrascht  es  mich  immer  wieder  auf  das 
äußerste,  den  Vorwurf  hören  zu  müssen^  daß  diese  Beschäf- 
tigungen nicht  in  die  Schule  hineinpaßten,  weil  sie  materia- 
listisch, auf  einem  Nützlichkeitsprinzipe  beruhend,  und  in  ihrer 
Tendenz  geradezu  niedrig  waren.  Es  kommt  mir  vor^  als  wenn 
die  Leute,  welche  solche  Einwürfe  erheben,  in  einer  ganz 
anderen  Welt  leben  müßten.  Die  Welt,  in  welcher  die  meisten 
von  uns  leben,  ist  eine  Welt,  in  der  jeder  seinen  Beruf,  seine 
Tätigkeit,  also  etwas  zu  leisten  bat*  Einige  sind  die  Führenden, 
die  anderen  Umergeordnete,  Aber  die  Hauptsache  sowohl  für 
den  einen,  wie  für  den  anderen  ist,  daß  er  eine  Erziehung 
erhalten  hat,  die  ihn  befähigt,  in  seiner  täglichen  Beschäftigung 
das  zu  sehen,  was  von  großer,  für  die  Menschheil  wesentlicher 
_Bedeutung  in  ihr  enthalten  ist. 

Wie  viele  der  Arbeiter  sind  heutzutage  nur  ein  Anhängsel 
Maschine,  an  welcher  sie  hantieren  I     Das  mag  teilweise 

Maschine   selbst   zuzuschreiben    sein,  oder  dem   Regime, 
Iches  so  großen  Wert  auf  die  Leistungen  der  Maschine  legt; 


360  Ludwig  GurliU, 

aber  die  größte  Schuld  ist  darin  zu  suchen^  daß  man  dem 
Arbeiter  nicht  Gelegenheit  geboten  hat^  in  seinem  Geiste  «od 
in  seinem  Gefühle  das  Bewußtsein  von  der  sozialen  und  natur- 
wissenschaftlichen Bedeutung  seiner  Arbeit  auszubilden.  Gegen- 
wärtig werden  diejenigen  geistigen  Fähigkeiten^  auf  d^tien  sich 
unser  ganz  industrielles  System  aufbaut,  während  der  Schul- 
periode entweder  gänzlich  vernachlässigt  oder  geradezu  ge- 
hemmt. 

Ehe  wir  nicht  in  den  Jahren  der  Kindheit  imd  der  Jugend 
die  Triebe  des   Schaffens  und  Herstellens  systematisch  aus- 
bilden, ihnen  eine  allgemeine  soziale  Richtung  geben,  sie  be- 
reichem durch  historische  Erläuterungen,  leiten  \md  verkläret* 
durch  naturwissenschaftliche  Kenntnisse,  eher  sind  wir  nicht  i^c^ 
der  Lage,  die  Quelle  unserer  wirtschaftlichen  Übelstände  aucfc 
nur  einzudämmen,  geschweige  denn  diese  Übelstände  grünet* 
lieh  zu  beseitigen. 


\ 


Wenn  wir  einige  Jahrhunderte  zurückgehen,  so  finden 
die    Wissenschaft    tatsächlich    monopolisiert.     Der  Ausdnic^ 
„Besitzergreifen  von  Wissen**  war  in  Wahrheit  ein  gut  gewählte^- 
Das  Lernen  war  eine  Standesangelegenheit.  Es  war  dies  eim^^ 
natürliche  Folge  der  sozialen  Verhältnisse.  Es  gab  keine  Mögf  ■ 
lichkeit,  die   Mittel  zu  beschaffen,  durch  welche  die  Meng'-^ 
Zutritt  zu  den  geistigen  Hilfsmitteln  erlangen  konnte.  Das  ge- 
sammelte  Wissen    war    aufgespeichert  und  versteckt  in  dei* 
Manuskripten.    Von  diesen  waren  in  den  besten  Fällen  docb 
auch  nur  wenige  vorhanden  und  es  bedurfte  einer  langen,  müh- 
seligen Vorbereitung,  um  etwas  mit  ihnen  anfangen  zu  können- 
Eine    hohe   Priesterschaft    des   Gelehrtentums,    welche    diese 
Schätze  von  Wahrheiten  behütete  und  sie,  unter  sehr  strengei* 
Beschränkungen    an  die  Massen  verteilte,  war  die  imvermeid- 
liehe  Folge  dieser  Vorbedingungen.   Es  war  ein  unmittelbarer 
Erfolg  der  industriellen  Umwälzung,  von  der  wir  bereits  ge- 
sprochen haben,  daß  hierin  ein  Wandel  eintrat.     Die  Buch- 
druckerkunst  wurde  erfunden;  Gedrucktes  wurde  ein  Handels- 
artikel: Bücher,  Zeitschriften,  Zeitungen  vervielfältigt  und  in^ 
Preise  billiger.    Infolge  der  Erfindung  der  Lokomotive  un<l 
des  Telegraphen  wurden  schnelle,  billige  und  bequeme  Ver- 
bindungen durch  die  Eisenbahnen  und  durch  Elektrizität  ge- 
schaffen. Das  Reisen  wurde  erleichtert,  Freiheit  der  Bewegung 


Die  Schule  und  das  öffentliche  Lehen.  3^1 

jr  Begleiterscheinung,  dem  Austausche  von  Ideen,  un- 
gefördert.  Der  Erfolg  war  eine  geistige  Revolution, 
ssen  fing  an  zu  zirkulieren.  Während  noch  jetzt  —  und 
es  voraussichtlich  immer  sein  —  eine  bestimmte  Men- 
isse  die  Forschung  als  eigentliche  Arbeit  betreibt,  gibt 
ellos  keinen  bestimmten  Stand  von  Unterrichteten  mehr, 
re  ein  Anachronismus  I  Wissenschaft  ist  nicht  länger  ein 
jlicher,  starrer  Körper,  sie  ist  flüssig  geworden  und 
nun  frisch    in  alle   Kanäle  der  menschlichen   Gesell- 

US. 

ist  erklärlich,  daß  diese  Umwälzung  in  bezug  auf  die 
chaft  auch  einen  bedeutenden  Einfluß  auf  das  Ver- 
er  Individuen  ausüben  muß.  Geistige  Reizmittel  strömen 
1  Seiten  auf  uns  ein.  Das  avsschließlich  geistige  Leben,, 
en  nur  hinter  den  Büchern  und  für  die  Gelehrsamkeit 
jetzt  eine  ganz  andere  Wertschätzung.  Akademisch  und 
haben  aufgehört  Ehrentitel  zu  sein,  werden  allmählich 
rücken  des  Tadels. 

das  fordert  eine  Änderung  im  Schulwesen,  und  zwar 
gründliche,  daß  wir  noch  weit  davon  entfernt  sind,  uns 
e  volle  Ausdehnung  klar  zu  sein.  Unsere  Schulmethoden 
zu  einem  sehr  hohen  Grade  unsere  Lernstoffe  sind 
erbt  von  einer  Zeit,  wo  das  Lernen  und  Beherrschen 
•  Hilfsmittel,  die  tatsächlich  den  einzigen  Zugang  zum 
gewährten,  von  allergrößter  Wichtigkeit  waren.  Die 
jener  Zeit  sind  noch  sehr  im  Schwange  selbst  dort,, 
äußere  Methode  und  das  Lemgebiet  geändert  worden 
'ir  hören  zuweilen,  wie  das  Einführen  des  Handfertig- 
*rrichts,  der  Kunst  und  Naturwissenschaften  in  den 
:ar-  und  selbst  in  den  höheren  Schulen  mit  der  Be- 
g  abgelehnt  wird,  daß  sie  darauf  hinleiteten,  Spezia- 
tszubilden,  und  daß  dadurch'  unser  jetziges  Streben  nach 
ifassenden,  reichen  Geistesbildung  beeinträchtigt  würde, 
im  Gegenteil  gerade  unsere  jetzige  Erziehüngsweise,^ 
höchsten  Grade  spezial,  einseitig  und  engherzig  ist. 
ne  Erziehung,  die  fast  ausschließlich  von  dem  mittel- 
chen  Begriffe  des  Wissens  beherrscht  wird.  Es 
5,  was  sich  fast  nur  an  den  intellektuellen  Teil  unserer 
an  unseren  Verstand  wendet,  an  unserh  Wunsch,  zu 


362  Ludwig  GurUU, 

lernen^  Kenntnisse  anzusammeln  und  eine  Menge  überlieferten 
Lehrstoffes  auswendig  zu  können;  nicht  aber  erweckt  es  den 
Trieb  und  die  Fähigkeit  etwas  zu  machen,  etwas  vorwärts  zu 
bringen,  zu  schaffen,  zu  bilden,  weder  Nützliches  noch  Künst- 
lerisches. Gerade  die  Tatsache,  daß  Handfertigkeiten  und  Kunst- 
fertigkeiten und  die  Naturwissenschaften  zurückgewiesen  wer- 
den, als  technische  Lehrfächer  imd  angeblich  zum  Spezialismus 
verführend,  liefert  den  schlagenden  Beweis  für  die  Einseitigkeit, 
mit  der  unsere  Schulerziehung  geleitet  wird,  und  zu  welcher 
sie  verführt. 

Weim  der  Begriff  „Erziehung"  sich  nicht  ausschließlich 
richtete  auf  intellektuelle  Bestrebungen,  auf  Lernen,  so  würden 
diese  Lehrstoffe  und  diese  neuen  Methoden  willkommen  ge- 
heißen und  mit  der  größten  Bereitwilligkeit  in  den  Lehrplan 
aufgenommen  werden. 

"Während  die  Ausbildung  für  einen  eigentlichen  Gelehrten- 
beruf als  der  Urtypus  der  Kultur,  der  allgemeinen,  imifassenden 
Bildung  gilt,  wird  diejenige  zum  Mechaniker,  Musiker, 
Notar,  Arzt,  Landwirt,  Kaufmaim  oder  Eisenbahnimtemehmer 
als  eine  ausschließlich  technische,  berufsmäßige  angesehen.  Die 
Folge  davon  ist,  wie  wir  ringsum  beobachten  köimen,  eine 
Teilung  der  Menschen  in  „Gebildete"  und  in  „Arbeiter",  eine 
Trennung  nach  Theorie  und  Praxis. 

Kaum  ein  Prozent  der  ganzen  Schulbevölkerung  in  Amerika 
erreicht  das,  was  wir  höhere  Bildung  nennen,  nur  fünf  Prozei^^ 
erreichen  unsere  Hochschule,  während  viel  mehr  als  die  Hälfte 
die  Schule  verlassen,  wenn  sie  oder  bevor  sie  den  fünfjährige^ 
Elementarunterricht  absolviert  haben.    Daraus  läßt  sich  wol»! 
der  Schluß  ziehen,  daß  bei  der  großen  Mehrheit  der  menscb' 
liehen  Wesen,  die  rein  geistigen  Interessen  nicht  vorherrscheii^ 
sind.    Sie  haben  mehr  sogenarmte  praktische  Anlagen  iin^ 
Interessen.    Bei  vielen,    die    einen    angeborenen  Trieb  nact" 
geistiger   Bildung  haben,  verbieten  die  sozialen  Verhältnis^^ 
eine  entsprechende  Ausbildung.    Folglich  verläßt  weitaus  d^^ 
größte  Teil  der  Zöglinge  die  Schule,  sobald  sie  die  Grun^ 
elemente   des  Unterrichts  gewonnen,  sobald  sie  soviel  lesel^ 
schreiben  und  rechnen  gelernt  haben,  als  sie  später  brauche^^ 
um  sich  eine  Lebensstellung  zu  schaffen. 


Die  Schule  und  daf  öffentliche  Leben,  353 

Während  die  Leiter  unseres  Erziehungswesens  über  höhere 
»bildung,    über    Entwicklung    der    Persönlichkeit   etc.  etc. 

den  Zweck  und  das  Ziel  des  Unterrichts  sprechen,  be- 
:htet  die  große  Mehrzahl  derer,  welche  sich  dem  Schul- 
nge  unterwerfen,  diese  nur  als  ein  praktisches  Werkzeug, 

dem  man  Brot  und  Butter  genug  erwirbt,  um  das  enge, 
gliche  Leben  etwas  breiter  zu  gestalten.  Wenn  wir  unsere 
iehungs-Grundsätze  und  Ziele  in  einer  weniger  exklusiven 

auffassen  lernten,  wenn  wir  in  den  Erziehimgsplan  den 
affenstrieb  ziehen  würden,  welcher  bei  denen  vorherrscht, 
*n  Hauptinteresse  das  Schaffen,  das  Tun  ist,  so  würden  wir 
en,  daß  der  Einfluß  der  Schule  auf  die  Zöglinge  ein  viel 
lafterer,  andauernderer  und  veredelnderer  sein  würde. 
Warum  habe  ich  nun  diese  ausführliche  Auseinandersetzung 
jetragen?  Eine  zweifellose  Tatsache  ist,  daß  imser  soziales 
en  eine  durchgreifende,  radikale  Veränderung  er- 
en  hat.  Wenn  unsere  Erziehung  von  irgend  welcher  Be- 
:ung  für  unser  Leben  sein  soll,  so  muß  sie  eine  ebenso 
idliche  Verwandlung  durchmachen.  Diese  Verwandlung 
1  nicht  plötzlich  vor  sich  gehen,  ist  aus  inneren  Gründen 
it  in  einem  Tage  auszuführen.  Sie  ist  jetzt  schon  im  Werden. 

Neueinrichtimgen  in  imserm  Schulbetriebe,  welche  oft 
st  denen,  welche  in  unmittelbarer  Berührung  mit  der  Schule 
en,  geschweige  den  Zuschauem  als  kleine,  nebensächliche 
nderungen,  unbedeutende  Verbesserungen  in  dem  Schül- 
hanismus  erscheinen,  sind  in  Wirklichkeit  Anzeichen  und 
^eise  einer  Entwicklung.  Das  Einführen  von  praktischen 
:häftigungen,  des  Studiums  der  Natur,  der  Elemente  der 
urwissenschaften,  der  Kunst  und  der  Geschichte,  das  Zu- 
:drängen  der  bloßen  Hilfsmittel  und  des  Formalen  in  die 
ite  Reihe,  die  Veränderung  in  der  moralischen  Schulatmo- 
ire,  in  dem  Verhältnisse  der  Schüler  zum  Lehrer,  d.  h.  in  der 
dpiin,  das  Hereinziehen  frischerer,  ausdrucksvollerer  und 
jhlicherer  Lehrfächer,  das  alles  sind  nicht  Zufälligkeiten, 
lern  die  Folge  der  großen  sozialen  Umwälzung.  Wir 
sen  nun  diese  neuen  Einflüsse  organisieren,  müssen  sie 
iier  ganzen  Bedeutung  erfassen  und  müssen  die  in  ihnen 
altenen  Ideen  und  Ideale  in  ihrer  ganzen  Tragweite  voU- 
men  und  durchdringend  von  unserm  Schulsysteme  Besitz 
eifen  lassen. 


364  Ludwig  GurliU, 

Das  tun  bedeutet,  daß  wir  jede  \inserer  Schulen  zu  emetr"^ac^ 
Gemeinwesen  im  Kleinen  machen,  in  welchem  die  einieln^="  '^n 
Glieder  sich  in  praktischer  Arbeit  betätigen,  dem  L^ben  df=^—  r 
größeren  Menschengemeinschaft  entsprechend,  und  das  durcW      ■^- 

tränkt  ist  von  dem  Geiste   der  Kunst  imd  der  Wissensdmt ^^. 

Wenn  die  Schlile  jedes  Kind  der  menschlichen  Gesellschaft 
einem  Mitgliede  einer  solchen  Gemeinschaft  erzieht  und  en 
wickelt,  ihm  den  Geist  des  Gehorsams  ins  Herz  pflanzt, 
es  ausrüstet  mit  der  Kraft  der  Selbstbeherrschung,  so  sind  ue 
damit  die  tiefsten  und  besten  Garantieen  für  eine  Menschheit  { 
geben,  die  tüchtig,  liebenswert  und  harmonisch  sein  wird. 


k 


Sitzungsberichte. 

P8ycliolos:i8che  Oesellschaft  zu  Berlin» 

Ordentliche  Generalversammlung  vom  19.  März  1903. 

Vorsitzender:  Herr  Th.  S.  Fiat  au. 
Schriftführer :    Herr    G  i  e  r  i  n  g. 

)er  Vorsitzende  eröffnet  die  Sitzung  um  7,30  Uhr.     Er  verkündet  die 
iimc    folgender    Mitglieder : 

Dr.  Friedmann,  NW.,  Wilhelmshavenerstr.  33, 
Dr.  Edel  heim,  W.,  Habsburgerstr.  4, 
Ingenieur   Serenyi,    S.,    Bärwaldstr.   52, 
Kaufmann  Assroann,   Westend, 
odann  verliest  der  Schriftführer  den  Tätigkeitsbericht  über  das  Vereins- 
1902/3;    derselbe   wird   von   der   Gesellschaft   einstimmig    genehmigt, 
to  der  Kassenbericht,  den  Herr  Bärwald  erstattet.     Die  Entlastung 
orstandes  wird  nach  einer  lang  ausgedehnten  Debatte  durch  Majoritäts- 
luß  erteilt.  ^ 

"JB  folgte  die  Neuwahl  des  Vorstandes.     Derselbe  setzt  sich  folgender- 
a  zusammen: 

I.  Vorsitzender:   Herr  Th.   S.  Fla  tau, 

n.  Vorsitzender:   Herr  M.   Dessoir, 

I.  Schriftführer:   Herr   Möller, 

n.  Schriftführer:  Herr  Martens, 

Kassenwart:    Herr   Därwald, 

I.  Bibliothekar:  Herr  Gramzow, 

n.  Bibliothekar:  Herr  O.  Rosenbach. 

Schluß  der  Generalversammlung  10  Uhr. 


i9serordentliclie  Generalversammlung  vom  2.  April  1903. 
Beginn  7%  Uhr. 
Vorsitzender:  Herr  Th.  S.  Fiat  au, 
Schriftführer:    Herren    Möller   und   Martens. 

Q  der  auf  der  Tagesordnung  stehenden  freien  Diskussion  über  die 
inge  in  der  letzten  Generalversanmilung  gibt  Herr  Th.  S.  Flatau 
ide    Erklärimg    ab,    die    den    Mitgliedern    später    gedruckt    zugestellt 

Nachdem  ich  mich  seit  Jahren  mit  der  Phonographie  experimentell 
eschäftigt  hatte,  erfuhr  ich  aus  einer  Fachzeitschrift  von  der  £r- 
ndung  'des  Prager  Ingenieurs  Cervenka.     Ich  wandte  mich  an  ihn^ 


366  SämmgaierkiSe. 

mn  einen  seiner  Apparate  za  erhalten,  bekam  aber  die  Auskunft,  daß 
dies  vorerst  nicht  mögiich  sei,  weil  das  Besitzrecht  an  eine  Gesellschaft 
übergegangen  sei  Dagegen  erkläne  sich  Herr  Cervenka  bereit, 
mir  sein  Verfahren  in  vissenschaftüchon  Interesse  zu  demonstrieren. 
Ich  begab  mich  dazu  nach  Prag  und  habe  dort  das  System  des  Herrn 
Cervenka  geprüft.  Ich  habe  nicht  nur  die  Konstruktion  seines  Appa- 
rates kennen  gelernt,  sondern  auch  eine  Anzahl  von  Aufnahmen  selbst 
gemacht  oder  nach  eigener  Angabe  in  meiner  Gegenwart  herstellen 
lassen.  Ich  habe  femer  die  Technik  und  den  Veriauf  des  Verfahrens 
beobachtet  und  endlich  habe  ich  es  mir  aiigclegen  sein  lassen,  die 
Ausführung  in  den  einzdnen  Stadien  selbst  zu  eiiemeiL 

Weitere  Arbeiten  bezogen  sich  auf  den  neuen  Abgabeapparat  und 
auf  verschiedene  Einzelheiten  der  Häfsteile  in  konstruktiver  und  funk- 
tioneller   Hinsicht. 

2.  Nach  dieser  Prüfung  und  ihren  Ergebnissen  fühlte  ich  mich  dorchaos 
berechtigt,  Herrn  C.  zu  einer  Vorführung  seines  ApjpaanXts  einxnladen. 
Diese  Vorführung  war  ursprünglich  für  die  Internationale  M1lsikg^ 
Seilschaft  allein  geplant.  Für  die  Psychologische  Gesellschaft  hatte 
ich  —  auch  nach  der  Vereinigung  beider  Gesellschaften  für  die  D^ 
monstration  und  die  \*orträge  am  6.  Februar  —  eine  Reihe  von  Vor- 
führungen in  kleinerem   Kreise  in  Aussicht  genonunen. 

3.  Daß  Herr  C.  bei  seiner  Vorführung  am  6.  Februar  sich  auf  sdnmdäre 
Aufnahmen  beschranken  würde,  ist  nur  nicht  mitgeteilt  worden;  i^ 
habe  es  erst  nachher  erfahren  und  würde  es  nicht  für  korrekt  haluSr 
wenn  Herr  C.  den  Sachverhalt  in  der  Versammlung  nicht  zum  Ab^ 
druck  gebracht  hatte.     Nach  seiner  Aussage  ist  dies  jedoch  geschehefl- 

4.  In  meinem  \'ortrage  und  bei  anderen  Gelegenheiten  vor-  wie  nadibcf 
habe  ich  darauf  hingewiesen,  daß  Herr  C.  auf  meine  Veranlassung  ^ 
Erlaubnis  zum  Bau  und  zur  Hergäbet  eines  großen  photophonographisdtfD 
Apparates  für  weitere  Untersuchungen  und  für  wissenschaftlicbe  Vor- 
führungen in  kleinerem  Kreise  von  seiner  Gesellschaft  hat  ervirken 
.wollen.  Das  ist  seither  geschehen.  Herr  C.  hatte  mir  dieses  Exen^ 
bei  seinem  Hiersein  für  Mitte  Mai  in  Aussicht  gesteUt.  Nach  neuester 
Mitteilung  hat  indes  Herr  C.  die  Arbeiten  so  weit  beschleunigen  könneit 
daß  der  Apparat  voraussichtlich  noch  in  diesem  Monat  hier  eintreten 
wird. 

Sobald  dies  geschehen,  werde  ich  die  Angelegenheit  in  geeignet 
Weise  weiter  verfolgen.  Ich  sehe  aber  zunächst  davon  ab.  mich  ^ 
Erörterungen  in  der  Tagespresse  zu  beteiligen,  da  die  Einwendeng*- 
die  dort  gegen  den  Photophonographen  erhoben  worden  sind,  ohc^ 
genaue  Kenntnis  des  Apparates  und  ohne  das  Mittel 
Kontrolle  weder  begründet  noch  widerlegt  werden  können.^ 

An    diese    Erklärung    schloß    sich    eine    lebhafte   Diskussiao 
Schluß  der  Sitzung  97*  Uhr. 


SitsungsberühU.  367 

Sitzung  vom  30.  April  1903. 

Beginn  l^j^  Uhr. 
Vorsitzender:  Herr  Th.  S.  Fiat  au. 
Schriftführer :    Herr    M  a  r t en  s. 
Der  Vorsitzende  verkündet  die  Aufnahme  folgender  neuer  Mitglieder: 
Dr.    Hennig,    W.,    Hohenstaufenstr.    79, 
Dr.    med.    Thiele,    Charlottenburg,    Pestalozzistr.    87a, 
Dr.   Wünsche,    Hof  Zahnarzt,   W.,    Potsdamerstr.   20. 
lann  hält  Herr  Dr.  Tr eitel  als  Gast  den  angekündigten  Vortrag: 
Über  die  neueren  Theorien  der  Schallleitung 
und   -empfindung. 
Die  H  e  1  m  h  o  1 1  z  ische  Theorie  ist  nicht  imstande,  manche  krankhaften 
icheinungen   bei    Erkrankungen   des   Ohres   zu   erklären.     Daher   kamen 
L^c  Ohrenärzte  auf  den  Gedanken,  sie  nachzuuntersuchen.     So  ist  z.  B. 
Gehör  durch  manche  groben  Veränderungen  des  Ohres  (Verdickimgen, 
L2iehungen  u.  a.)  nicht  gestört,  aber  auch  bei  fehlendem  Trommelfell  und 
r^örknöchelchen  nicht  in  dem  Maße  herabgesetzt,  wie  man  es  erwarten 
te.    Bei  Mittelohrerkrankungen  ist  die  Hördauer  durch  den  Knochen  ver- 
gert,  was  nach  der  Helmholtzischen  Theorie  sich  nicht  erklären  läßt. 
Deshalb  haben   einige   Ohrenärzte   angenommen,   daß  das  Trommelfell 
>st  den  Gehörknödhelchen  nur  dazu  dient,  die  langen  Wellen  der  tiefen 
Cfte  zu  dämpfen  und  das  innere  Ohr  vor  zu  starken  Tönen  zu  schützen, 
t  tiefen  Töne  werden  durch  das  runde  Fenster  übermittelt,  während  die 
^en  direkt  durch  Molekular-Schwingungen  des  Knochens  zur  empfindenden 
mbrau  des  inneren  Ohres  geleitet  werden.     Bei  dieser  Auffassung  würde 
ti    ,die    Verlängerung    der    Knochenleitung   besser    erklären,   indem   die 
xnpfung  der  großen  Schallwellen  fortfällt. 

Auch  die  Resonanztheorie  des  Trommelfells  wird  bestritten,  femer  selbst 
:  der  Basilarmembran  mit  ihren  Nerven.  Einige  Forscher  nehmen  an, 
i   Membran  im  ganzen  schwinge.  (Autorreferat.) 

An  der  Diskussion  beteiligte  sich  Herr  Theodor  S.  Fiat  au. 
Nach  Schluß  der  ordentlichen  Sitzung  folgt  eine 

Ausserordentliche  Generalversammlung. 

Der  I.  Vorsitzende,  Herr  Th.  S.  Fiat  au  begründete  seinen  und  des 
^samten  Vorstandes  Rücktritt  mit  folgender  Erklärung. 

„M.  H.  Als  ich  dank  Ihrem  mir  erwiesenen,  ehrenvollen  Vertrauen 
Q  Schlüsse  des  vorigen  Semesters  die  auf  mich  gefallene  Wahl  zum  ersten 
(Ersitzenden  der  Gesellschaft  annahm,  habe  ich  die  Erklärung  daran  ge- 
■l^lossen,  daß,  wenn  ich  genötigt  ^erden  würde,  persönlich  in  die  Polemik 
•^treten,  die  man  in  der  Tagespresse  gegen  unsere  Sitzung  vom  6.  H. 
J.  begonnen  hat,  ich  unbedingt,  sowohl  im  Interesse  der  GesellschaH't, 
'®  m  meinem  eigenen,  mein  Amt  in  Ihre  Hände  zurückgeben  würde. 
*cse  Möglichkeit  ist  jetzt  so  nahe  gerückt,  daß  ich  im  Sinne  jener  Er- 
*nnig  jetzt  handeln  zu  sollen  glaube.  Die  anderen,  mit  mir  wieder  in 
^  Vorstand  gewählten  Herren  haben  sich  in  der  Angelegenheit  des  Rück- 
^  mit  mir  solidarisch  erklärt,  damit  Sie  durch  eine  jetzt  vorzunehmenidq 


358  SüaungshcrickU, 

Neuwahl  die  Leitung  unserer  Gesellschaft  einem  vollkommen  neuen  -^^^ 
neutralen  Vorstand  übertragen  können.  Wir  versprechen  Ihnen  aber  ^^.xs 
ohne  Mandat  eines  Amtes  für  die  Gesellschaft  weiter  zu  arbeiten  und  ^^^ 
neuen  Vorstande  an  der  Hand  zu  sein." 

Die  Versammlung  wählte  darauf  als  neuen  Vorstand  folgende  Hex-^«i; 

I.  Vorsitzender:  Herr  Albert  MoU^ 

n.  Vorsitzender:   Herr  A.  Vierkandt> 

I.  Schriftführer:   Herr  R.  W.  Martens, 

n.  Schriftführer:  Herr  A.  Vierkandt, 

I.  Bibliothekar:  Herr  W.  Neumann, 

n.  Bibliothekar:  Herr  R.  W.  Martens, 

Schatzmeister:    Herr   P.    Möller. 
Schluß  der  Sitzung  10  Uhr. 


Sitzung  vom  14.  Mai  1903. 
Beginn  7V4  Uhr. 
Vorsitzender :    H  err    Moll. 
Schriftführer:    Herr    Martens. 
Der  Vorsitzende  teilt  mit,  daß  zur  Aufnahme  gemeldet  ist: 

Herr  Referendar  Dr.  Lasker,  W.,  Bülowstr.  98. 
Sodann   hält    Herr   Gramzow    den  angekündigten  Vortrag: 

Ober    Gustav    Ratzenhofer   und   seine   positivistische 
Wcltansicht. 

Gustav  Ratzenhofer  wurde    am    4.  Juli  1842  zu  Wien    als  Sohn  e^^^ 
Uhrmachers  geboren.     Er  erlernte  die  Kunst  des  Vaters,  um  einst  dc^^*" 
Geschäft   übernehmen   zu   können.     Als  der  Vater  starb,   waren  die  \^^' 
mögensverhältnisse   so   mißlicher   Art,   daß    G.   R.   nicht   an   die  Vtnnt^' 
lichung   der    gefaßten    Lebenspläne    denken   konnte.      Im   Jahre    1859   traf 
er  in  das  Heer  ein,  machte  den  Feldzug  in  Italien  mit,  wurde  nach  f^ 
entbehrungsvollen  Jahren  zum  Leutnant  befördert,  erwarb  sich  durch  Privat- 
fleiß  die  Reife  für  die  Militärhochschule,  machte  1866  den  Feldzug  fssg^ 
Preußen  mit,  wurde  nach  der  Schlacht  bei  Königgrätz  Oberleutnant,  kaoi 
dann  in  den  Generalstab  und  brachte  es  auf  der  Stufenleiter  des  militaiiicbe& 
Ranges  zum  Feldmarschallleutnant  und  Präsidenten  des  Militär-Obergericbts 
üi  Wien.     Aus  dieser  Stellxmg  trat  er  im  Jahre   1901  in  den  Ruhestand 

Seiner  beruflichen  Entwickelung  ging  stets  eine  innere  wissensdtfft* 
liehe  parallel  Den  Boden  der  Staatswissenschaften  betrat  er  suent  '^ 
Jahre  1881  mit  seiner  Schrift  „Staatswehr**.  Seine  vergeblichen  Be- 
mühungen, auf  die  verworrenen  Veniältnisse  Österreich-Ungarns  durch 
Belehrung  einzuwirken,  führten  ihn  zu  gnmdlegenden  Untersuchungen  ^^ 
das  Wesen  der  Politik.  Von  der  wissenschaftlichen  Darstellung  der  Politik 
aus  baut  er  sein  System  in  folgender  Weise: 

Die  Politik  ist  Dynamik  der  sozialen  Kräfte,  die  sich  rücksicbtsl^ 
gegeneinander  messen.  Alles  Streben  des  einzelnen  wie  der  GtBO^' 
Schäften  („politischen  Persönlichkeiten*')  bt  auf  Selbsterhaltung  gerichtet,  ^ 


Sifsu  ngshenckU, 


969 


Olutes  Interesse  ist  allem  Lebenden  immanent:  Befriedigung  der  un- 
SuBerlichen  materiellen  BedürfniÄse.  Alle  politischen  Kampfers ctiei» 
Jen  stehen  unter  dem  polaren  Ge^etKe  der  absoluten  Feindseligkeit, 
Kampf  fordert  stets  Abscbätzung  der  eigenen  und  gegnerischen  Kräfte, 
i  offenban  sich  das  pohtische  Denken.  Wichtiger  als  dieses  sind  die 
jchen  Urtriebe:  I.  die  eigennütiigen  oder  materiellen  Triebe,  2.  die 
lisch en  Triebe,  3,  die  imellektuellcn  Triebe.  Sie  bilden  lusammen  den 
jchcn  Instinkt. 

)as    absolute     Imeresse    ist    jedem    Lebewesen    inhärent.       Ursprimg- 

sind    iwei,     durch     eine    Dominanten  struktur     festgelegte    Interessen- 

Ingen  i^orhanden :  das  physiologische  und  das  Gattungsinteresse.  Ersteres 

tum   Individuais  letzteres  tnm  Sozialinteresse. 

per    Interessen  begriff    ist   der  erste  sichere   Begriff,   den    wir   von   der 

ächkeit   haben.     Er  führt  auf  den  Begriff  der   Urkrajft.     Es  ist  die 

tlichste    Aufgabe    des    positiven    Monbmus,    das    Kraftpriniip    richtig 

orm ulier en.     Die  Urkrafrwresenheit  muß  im  Urkraftatom  gefunden  werden. 

|p  diesem    ist    jede    materielle    Vorstellungsweise    fernzuhalten.      Das    Ur- 

lom   ist   zu  denken  als  bestehend  aus  dem   -\-   Urkrafrpunkt  und  der 

thülle;    die    Urkraft   ist    ursprünglich   Attraktion    und    Repulsion   lu* 

Die   Welt   strebt   jenem    Maximum   der   Entropie    zu,    bei   dem   die 

sich    als   starrer  +    Urkraftpunkt   darstellt,   das    Krafiatom    ist    datin 

icn  vorwelilichen  Zustand  furtickgekehrt.     Die  Attraktion  wird   unter^ 

en  durch   die   Repulsion.    Auch  das   Leben   ist   eine   Erscheinung   der 

uhion^energie.     Auch   das    Bewußtsein   ist  nur  eine   Energieform, 

1  der  Kritik  vergleicht   der  Vortragende   R's.  System   mit   denen  von 

Hing  und  Hegel  und  zeigt,  wie  das  positivistische  Gedankengebäude 

unverkennbare    Ähnlichkeit    mit    denen    der    großen    Romantiker    hat. 

hin  auf  Übereinstimmung  und  Unterschiede  abwischen  der  Speku- 

und  der   Hypothesenbildung,  die  sich  im  engsten   Anschlüsse  an  un* 

^dbare  Erkenntnistatsachen  vollzieht.  (Autorreferat.) 

Diskuss  ionr 
err    Wilhelm    Stern    stimmt    mit    dem    Herrn    Vortragenden    darin 
m^  daß  das  Ratzenhofe r sehe  System  kein  wahrer  Positivismüs,  son- 
dogmatische    Metaphysik    ist.      Er   möchte   aber   das    Zeichen    hierfür 
besonders    in    Rat^enhofers    Hyiozoismus,    d.   h.   in    der    Annahme, 
4ie  Materie  an  sich  beseelt  sei,  finden. 
err  Dessoir  machte  darauf  aufmerksam,  daß  nahezu  alle  vom  Vor- 
!en  erwähnten  Gedanken  Ratienhofers  mit  den  Gedanken  älterer 
bsophen  identisch  eu  sein  scheinen;  er  wies  im  einzelnen  nach,  daß  die 
Erstellung  fast   den    Eindruck  einer  Citatenreihc  machte.     Demnach  rich- 
tft  er  an  den  V^ ortragenden  die  Anfrage,  ob  nach  seiner  Ansicht  das  Ver- 
Ratzenhof  ers  in  der  geschickten  Verknüpfung  älterer  Lehren  liegt, 
ob  und  an  welchem  Punkt  eine  originale  Th^eorie  zu  finden  sei, 
err   Baerwald  warf  ein,   es  liege  ein  Widerspruch  darin,   wenn   R, 
t  in  seiner  Politik  den  Kampf  um  die  Befriedigung  des  Stoffwechsel- 
nisse5    als  einzigen   wesentlichen    Inhalt   der  politischen  Ent Wickelung 
elit^  hinterher  aber  drei  Grundtriebe  in  ihr  anerkenne:  den  materiellen, 
Zdbchrifl  für  piiUgofische  P^ydiologie,  PAthologle  und  Hygiine^  9 


370  SttzungsbeHchte, 

den  moralischen,  und  den  auf  die  Durchsetzung  von  Ideen  gerichteten.  Hitrin 
liegt  ein  Schwanken  zwischen  dem  geschichtlichen  Materialismus  und  Ide- 
alismus. 

Herr  Gramzow  betont  Herrn  Wilhelm  -Stern  gegenüber,  <U5 
es  ganz  darauf  ankomme,  ob  man  Form  oder  Inhalt  meine,  wenn  maa  b^ 
haupte,  daß  in  der  theoretischen  Philosophie  eigentlich  bis  zu  Sokrates 
schon  alle  Prinzipien  erschöpft  seien.  Hinsichtlich  des  Inhalts  könne  man  die 
Behauptung  als  zutreffend  bezeichnen,  hinsichtlich  der  Form  nicht.  Dieses 
Verhältnis  gelte  aber  nicht  nur  für  die  theoretische,  sondern  auch  für  die 
praktische  Philosophie.  Gegenüber  Herrn  Dessoir  führt  Herr  Gramzow 
aus:  26  und  mehr  Autoren  könne  man  bei  jedem  sog.  originalen  Denker 
heraushören.  Absolut  neue  Gedanken  sind  heute  äußerst  selten  geworden. 
Das  Gedankengebiet  ist  in  weitestem  Umfaing  präoccupiert.  Das  Neue 
liegt  in  der  Aufstellung  solcher  durchgreifenden  Gesichtspunkte,  die  sich  aus 
der  vorliegenden  Gesamterfahrung  ergeben  und  ein  einigendes  Band  aller 
Einzelerkexmtnisse  bedeuten.  In  diesem  Sinne  liegt  bei  R.  das  Neue  in  der 
Formulierung  des  hypothetischen  Wirklichkeitsbegriffes  der  Urkiaft.  Der 
Vortragende  weist  femer  Herrn  Baerwald  darauf  hin,  daß  die  Lehre  R.'s 
von  den  politischen  Urtrieben  nicht  völlig  zur  Marxschen  Geschicbtuuf- 
fa^sung  hinleite.  Vielmehr  entspreche  R's.  Auffassung  dem  Worte  Bert  hold 
Auerbachs:  „Die  Idee  und  das  materielle  Erträgnis  bewegen  die 
Menschenkraft." 

Herr  Wilhelm  Stern  kann  der  Meinung  des  Herrn  Vortrageaden, 
daß  es  nicht  mehr  möglich  sei,  wirklich  neue  philosophische  Prinripien  au^ 
zustellen,  und  daß  alle  jetzt  aufgestellten  Prinzipien  bloß  der  Form  nach  neu 
seien  nur  in  Bezug  auf  die  theoretische  Philosophie,  also  die  Metaphysü^ 
zustinmien.  Dagegen  gelte  dies  nicht  für  die  praktische  Philosophie,  als» 
Ethik,  auf  welchem  Gebiete  sehr  wohl  auch  inhaltlich  neue  Grundprinzipien 
noch    möglich   seien. 

Herr    Gramzow   verweist   demgegenüber   auf   seine   Ausführungen. 

Schluß  der  Sitzung  9  Uhr. 


Sitzung  vom  28.  Mai  1903. 
Beginn  TV*  Uhr. 
Vorsitzender :    H  err    Moll. 
Schriftführer:    Herr   Martens. 
Der   Vorsitzende  verkündet  die   Aufnahme   des   Herrn 
Dr.   Laskfer,  W.,  Bülowstr.  98, 
sowie  die  Meldung  der  Herren: 

Dr.    med.   Cohn,   W.,   Alvenslebenstr.   4, 
Dr.  med.  Merzbach,  N.,  Chausseestr.  35, 
Zahnarzt  Dr.  Wo  hl  au  er,  W.,  Potsdamerstr.  116, 
Gerichtsassessor  Riem Schneider,  Charlottenburg,  Herderstr.  1% 
Dr.  E.   Schmidt,  Potsdamerstr.   138, 
Dr.  med.  Gallewski,  Assistenzarzt. 


SäMtmgsöericki^, 


371 


iann  wird  die  Verlegung  der  Bibliathek  d<*r  Geselhchalt  in  die  oberen 
«ne  der  Akademischen  Bierhallen  bekannt  gegeben.  Hierauf  hält  Herr 
Hellpuch  den  angekündigten  Vortrag: 

■        über    die    Aufgaben    der    Sozialpsychologie. 

^pas  Aufsteigen  der  Forschung  von  der  Beschreibung  zm  Causalver- 
9'^^Uig  und  Gesct2 formulier ung,  wie  es  die  Naturwissenacbaften  zeigen^ 
d  iüt  die  Geistes wissehschaften  vielfach  bestritten,  weÜ  e*  „Gesetze"  in 
eil  nicht  geben  künne.  Der  historische  Charakter  der  Geistes  wisse  n- 
aften  rechtfertigt  dies  aber  keineswegs.  Auch  die  Naturforschun^  bat 
t  historische  Seite,  sie  hat  EntwickeJujigsgesetze  und  muß  sie  haben, 
g  kein  Elementar gesetz,  i.  B.  das  von  der  Erhaltung  der  Kraft  oder 
itionsgeseti  kann,  da  es  vollgiltig  das  Universum  umfaßt^  den  tat* 
Wechsel  der  ,|Gebilde''  der  ,,KjältekonstelJatronen"  verständlich 
££  steht  aiso  neben  der  clementarbegrifflichen,  die  entwickelungs* 
ichc  (nicht  bloß  entwickelimgsgeschichtliche I)  Forschung;  möglich, 
er  Begriff  der  'Entropie  hier  einmal  so  fundamental  wird,  wie  der 
[riff  der  Energie  in  der  elementarbegrifflichen  Wissenschaft.  —  Was 
^e  Naturforschung  gilt,  gilt  auch  für  die  Geisteswissenschaften,  Daß  die 
ftologie  eine  Wissenschaft  im  \noOen  Sinne  sein  könne,  was  noch  Kant 
piete,  bestreitet  ihr  heute  niemand  mehr;  natnrlich  ist  alles  psychische 
cheben  nur  qualitativ  darstellbar.  Nun  behaupten  die  Historiker  und 
pker  oft,  die  psychologischen  Gesetze  seien  wohl  denkbar,  doch  für  die 
wpwissensc haften   nicht   zu   brauchen.     Das   ist   aber   nur   ein   zeitlicher 

Bei:  auch  heute  noch  leistet  der  mechan lache  Begriff-^ v^  der  Physiologie 

Bichts.  Zwischen  die  eixuelnen  Geisteswissenschaften  und  die  Psychologie 
Psich  eben  eine  vermittelnde  Disziplin  einschieben t  die  Sozialpsycho- 
fie.  Sie  wurde  als  Soziologie  von  Comtep  als  Völkerpsychologie  von 
xams,  Steinthal  und  W  u  n  d  t  inaisguriert.  Die  Geschi  cht  s  wissen- 
i^  ordnete  ihr  Lamp^echt  ,ein.  Es  wird  heute,  nachdem  namenthch  die 

t^gie  unendliche  Verwirrung  gestiftet,  nötig,  sich  über  die  Aufgaben 
ozial Psychologie  klar  zu  werdeti.  —  Sie  ist  1.  elementarbegriffliche 
aalpsychologie  oder  Soziologie:  als  solche  zerlegt  sie  die  gegebenen  (er- 
Een  oder  überÜefenen)  psychischen  Gebilde  des  Gemeinschaftslebens  in 
mente  und  sucht  unbedingt  (für  jedes  Gemeinschaftsleben)  giftige  Ge- 
le m  finden,  nach  denen  jene  Elemente  in  ihren  verschiedenen  Synthesen 
kea*  Als  solches  Gesetz  wäre  t.  B.  fürs  wirtschaftliche  Leben  das  O  p  p  e  n  * 
im«rsche  Druckgeseti  ein  Typus  (gleichgültig  ob  es  incrifft  oder 
fet)  oder  das  Maltliussche  Gesetz,  das  die  historische  Nationalökonomie 
iehlicb  als  historisches  Gesetz  auffaßte.  Oder  Breyfeigs  Trieb  sich  anzu- 
ilitflen  und  sich  abmsondern.  Die  Sozial psyc  hol ogie  ist  2,  entwickelungs- 
Srilfliche:  als  solche  verfolgt  und  vergleicht  sie  die  Abwandlung  sozial- 
^chiscber  ConsteUationen  und  sucht  fiir  sie  Gesetze  zu  finden,  Beispiele: 
te s i g s  Zeitaltergesetz,  Lamp rechts  vier  Stufen  des  Geisteslebens. 
Bc  spezielle  Arbeitsteilung  wurde  von  Wundt  auf  Sprache,  Mythe, 
"Wachränkt.  Indessen  müssen  wir  unbedingl  das  Gebiet  der  Wirtschaft 
^  der  Muße  (Genuß  im  weitesten  Sinne)  hinzugehen.    Redner  betrachtet 

6« 


372  Süsungsberichte. 

kurz  den  Stand  der  Leistungen  in  den  fünf  Arbeitsgebieten,  soziologisdi  u&^ 
historisch.  Eine  Soziologie,  die  noch  neben  diesen  Gebieten  steht,  da^ 
Psychologie  der  „allgemeinsten**  sozialen  Erscheinungen  gibt  es  nicht;  di»^ 
gehören  entweder  ganz  der  Individualpsychologie,  oder  doch  einem  jenes' 
fünf  Gebiete  an.  —  Schließlich  behandelt  Redner  das  Problem  des  „Singa- 
lären**,  der  Individualität:  des  Restes,  der  den  sozialpsychologischen  Ent- 
Wickelungsgesetzen  nicht  subsumiert  werden  könne.  Auch  in  der  Natur  gebe 
es  viele  singulare  Constellationen  (folgt  ein  Beispiel).  Sie  können,  obwohl 
außergesetzlich,  kausal  verständlich  gemacht  werden.  Die  Individualität  wird 
begriffen  durch  das  Zusammentreffen  der  Zeitkonstellation  (Gegenstud  der 
Sozialpsychologie)  mit  einer  bestimmten  individuellen  Anlage  (G^^enstand. 
der  Psychophysik).  Das  Pathologische  ist  an  sich  nicht  singnlär;  wie  weit 
es  aber  angeht,  von  etwas  „Sozialpathologischem**  zu  reden,  bedarf  noch  leiir 
der  Abgrenzung.  Denn  oft  werden  individualpathok)gi8che  Erscheiniingeav 
die  soziale  Ursachen  haben,  flüchtig  „sozialpathologisch*'  genannt.  Hier 
stoßen  wir  überall  auf  Dunkel,  dessen  Erleuchtung  vielleicht  noch  Jahr- 
tausende beanspruchen,  vielleicht  faktisch  nie  vollendet  werden  wir&. 
Trotzdem  muß  die  prinzipielle  Erforschbarkeit  gegenüber  modisdieo 
Bestrebungen  aufs  Entschiedenste  betont  werden.  (Autorrefent) 

Eine   Diskussion  fand  nicht   statt. 

Schluß  der  Sitzung  ^fi  Uhr. 


Sitzung  vom  11.  Juni  1903. 
Beginn  71/4  Uhr. 
Vorsitzender:    Herr    Moll. 
Schriftführer:   Herr  Martens. 
Der    Vorsitzende   verkündet    die    Aufnahme    der    Herren:   Dr.  Coho, 
Dr.    Merzbach,   Dr.   Gallewsky,   Dr.   Wohlauer,   Gcrichtsassei»* 
Riemschneider,  Dr.  Schmidt. 

Zur  Aufnahme  gemeldet  sind  die   Herren: 
Ziegeleibesitzer  H  e  i  1  m  a  n  n , 
Dr.  Jacobsen, 
Professor  Dr.  Oppenheim, 
Dr.   Oppenheimer. 
Herr  Dessoir  hält  den  angekündigten  Vortrag: 

Über   eigene   Beobachtungen  an  dem   Medium 
„Eusapia  Palladino.'* 
Herr  Dessoir  hat  an  einer  Reihe  von  Sitzungen  teilgenommen,  die  das 
Medium   im  März   1903   einem   Privatkreis  in  München  gab.    Er  schilderte 
zunächst    die    Persönlichkeit    der    P  a  1 1  a  d  i  n  o   und    die   Art   ihrer  Vorfüh- 
rungen. Eusapia  Palladino  zeigt  ihre  Wunder  immer  unter  bestimmten, 
sich  gleichbleibenden   Bedingungen  und   hat   ein  recht  gleichförmiges  Pro- 
gramm.   Sic  beginnt  —  bei  hellem  Licht  —  mit  Bewegungen  des  Tisches, 
an  dem  sie  und  die  Teilnehmer  sitzen,  Bewegungen,  die  anscheinend  ohne 
ihr  Zutim  erfolgen.    Dann  wird  das  Zimmer  verdunkelt  und,  während  ihn 
Hände  angeblich  gehalten  und  auch  die  Füße  kontroliert  werden»  «ird  O 


SiixungsötHckie, 


373 


Zimmer  ^, lebendig'',  als  ob  Geister  darin  oder  mindestens  noch  ein 

Hätide  vorhanden  wären.     Der  Vorhang,  vor  dem  sie  sit^i,  flarteri  hin 

CT,    Objektei    die    dahinter    stehen,    werden   auf    den    Tisch    geworfen, 

»line»  Harmonika  tmd  Zither  werden  zum  Erkhngen  gebracht,  die  Nacli- 

rden  benihrt,  gezwickt,  ^geschüttelt  usw.  Besonders  merkwürdig  isl  in 

1  ganzen  Hexensabbath  ein  gelegentliches  Aufblähen  des  Rockes  des 

ims,    wodurch   der    Eindruck    erweckt    wird,   als   ob   eine   starke    Luft- 

ng  vorhanden  und  beliebig  zu  dirigieren  wäre. 

k  Erklärung,  auf  die  der  Vortragende  alsdann  einging,  bezog  sich 
nur  auf  die  Erscheinungen,  die  er  selbst  beobachtet  hat,  Sie  ruhte 
tr  Voraussetzung,  daß  zunächst  versucht  werden  muß,  jene  Vorkomm* 
auf  mechanische  und  begreifliche  Weise  zu  erklären.  Das  wird  da- 
nahc  gelegt,  daß  nachweislich  Eusapia  Palladino  trot^  der  vor- 
gegangenen Kleidemntersuchung  einmal  einen  Blumenzweig  cingeschmug- 
titte  und  zu  Berührungen  benuute,  vielleicht  also  auch  andere  Hills- 
tändc  an  sich  verborgen  haben  mochte.  Es  gelang  dem  VortTagenden 
b  zweitua],  für  einen  Augenblick  das  wirkende  Etwas  zu  sehen:  etwas 
Mrzes,  stabartiges,  das  in  dem  einen  Fall  freilich  auch  die  Spitze 
■tiefeis  gewesen  sein  kann  Denn  die  Kontrolle,  die  Frau  Palladin-ö 
Ichließlkh  erlaubte,  nämlich  die  Sicherung  durch  Fassen  und  Berühren 
der  Nachbarn  ist  ganz  unzureichend  und  unzuverlässig.  Sie  hat  frag- 
«  der  Vortragende  des  näheren  erläuterte,  mehrere  Trics^  durch  die 
ligstens  eine  Hand  und  einen  Fuß  frei  macht,  ohne  daß  die  Nachbarn 
wohnlich  es  bemerken  können.  Einmal  hatte  sie  auch  eine  Schnur  be- 
um  die  Zither  heranzuziehen.  Stets  bringt  sie  leise  und  möglichst  un- 
l^kt  die  Gegenstände  dicht  an  sich  oder  umgekehrt  sich  an  die  Gegen- 
ide  heran  und  beginnt  erst  dann,  sie  durch  angeblich  unbekannte  Kraft 
wegen.  Ihr^i  Rock  und  den  Vorhang,  hinter  dem  die  Gegenstände 
und  vor  dem  sie  sich  selber  befindet,  benutzt  sie  als  Deckung  j  den 
lg  zieht  sie  manchmal  fest  an,  so  daß  er  eine  schräge  Flache  bildet^ 
r  füi  kurze  Zeit  leichte  Objekte  balancieren»  die  nur  in  der  herrschenden 
elheit  frei  zu  schweben  scheinen.  Die  im  Hellen  erfolgten  Tisch- 
'egungen  lassen  sich  zumeist  durch  die  bekannte  Schwerkraft-  und  Hebel- 
Firnisse  erklären;  manchmal  schiebt  das  Medium  den  Rock  unter  einen 
uß  und  benutzt  ihn  als  Hilfe,  manchmal  greift,  durch  das  Kleid  gedeckt, 
stabartige  Etwas  an  den  Tischfuß. 

Votzdem  bleiben  einige  Erscheinungen  übrig,  deren  Zustandekommen 
nicht  aufgeklärt  werden  konnte.  Da  aber  nachgewiesen  wurde*  daß 
Palladino  systematischen  Betrug  übt  und  zwar  in  einer  Weise, 
langjährige  Praxis  schließen  läßt,  so  würde  die  Annahme  unbekannter^ 
ausgehender  Kräfte  oder  gar  von  „Geistern**  nur  dann  erlaubt  sein, 
5i  jene  vorderhand  nicht  aufgeklärten  Erscheinungen  unter  zwingenden 
tifigungen  sich  ereignet  hätten.  Das  war  aber  nicht  der  Fall.  Vielmehr 
c  jene  „Kraft"  jedesmal,  wenn  strenge  Vorsichtsmaßregeln  getroffen 
ein  vom  Vortragenden  ersonn enes  Mittel  zuverlässiger  Kontrole 
e  ausnahmlos  das  Auftreten  der  Erscheinungen.  Unter  den  Prüfungs- 
ingen,  die  Frau  Eusapia  PaHadino  während  jener  Sttiimgen 
angab,  ist  eine  exakte  Feststellung  nach  des  Vortragenden  Meinung 


374  SitatngsberichU. 

überhaupt  nicht  möglich;  das  Ergebnis  dieser  Untersuchungen  war  sooid 
ein  völlig  negatives.  (Autorreferat.) 

Die  Diskussion  über  diesen  Vortrag  wurde  auf  die  nächste  Sitzimg 
vertagt. 

Schluß   der  Sitzung  8^/4  Uhr. 


Sitzung  vom  18.  Juni  1903. 

Vorsitzender  Herr  Moll,  später  Herr  Möller. 

Schriftführer:   Herr  Martens. 
Der   Vorsitzende  verkündet  die  Aufnahme  der  Herren:  Heil  mann, 
Prof.   Oppenheim,  Dr.  Jacobsen,  Dr.   Oppenheimer,  sowie  die 
Meldung  des  Herrn  Bergassessors  Dr.  Wolff ,  Berlin  W.,  Westminsterhotel 
Sodann  hält  Herr  Moll  den  angekündigten  Vortrag  über: 

„Spiritistische  Wahngebilde." 
Wenn    Männer   der  Wissenschaft   an   einer  spiritistischen  Sittung  teiV 
nehmen,   sollten  sie  ihr  Augenmerk   nicht  nur  auf  die  sogenannten  spix^' 
tistischen  Phänomene  richten,  sondern  auch  auf  die  anwesenden  Spiritisten 
selbst,   deren  Beobachtung   den   Seelenforscher  interessante   Denkfehler    ^^' 
kennen  läßt  und  ihm  damit  eine  dankbare  Aufgabe  bietet.  Er  erkennt  daos^ 
daß  viele  Spiritisten  zu  ihrem  Glauben  dturch  den  Einfluß  des  GeffiUs  ^^' 
führt  werden.    Man  ist  leicht  geneigt  das  zu  glauben,  was  angenehm  ist- 
So  erklärt  es  sich,  daß  der  Wunsch,  die  Unsterblichkeit  der  Seele  dargecmn 
zu  sehen,  dazu  führt,  allerlei  Vorkonunnisse  als  die  Wirkung  der  Gd»«C 
Abgeschiedener  hinzimehmen.    Aber  es  ist  nicht  das  echte  religiöse  GefSU» 
das  die  Spiritisten  zu  ihrem  Glauben  führt,  denn  ein  solches  kann  ge«ri0 
nicht   Erbauung  darin  finden,   daß   unsere   Toten  mit  derartig  lippiscben 
Dingen  beschäftigt  sind,  wie  es  in  den  spiritistischen  Sitzungen  geschieht, 
wo  die  Geister  Tische  aufheben,  einen  Anwesenden  am  Barte  zupfen,  einen 
anderen  in  der  Achselhöhle  kitzeln. 

Manche,  allerdings  nur  wenige  Spiritisten,  sind  gewöhnliche  Geisteskranie» 
die  bei  ihren  Sinnestäuschungen  und  Wahnvorstellungen  die  Wirkung  von 
Geistern  annehmen.  Viele  Spiritisten  '^sind  von  einer  derartigen  intellektuellen 
Minderwertigkeit,  daß  dadurch  allein  ihr  spiritistischer  Glauben  erklärt  wird- 
Aber  auch  Spiritisten,  die  geistig  sonst  höher  stehen,  leiden  oft  an  einer  un- 
glaublichen Kritiklosigkeit.*)  Man  denke  nur  an  Lombroso,  mit  dem  Ä^ 
Spiritisten  so  sehr  paradieren,  obwohl  gerade  diesem  Mann,  bekanntlich  auch 
in  der  Wissenschaft,  jede  Kritik  fehlt.  Andere  Forscher,  die  Gelegenheit 
hatten,  sicli  auf  einem  Sondergebiet  der  Naturwissenschaft  auszuzdcfanen^ 
halten  sich  deshalb  auch  für  befähigt,  spiritistische  Manifestationen  kritiscb 
zu  beobachten;  aber  nicht  der  Naturforscher,  sondern  der  Taschenspieler  ist 
hier  Fachmann.  Ein  Gelehrter  erklärte  mir,  daß,  wenn  er  die  Eusapi* 
Palladino  einige  Minuten  untersuche,  es  unmöglich  sei,  daß  sie  ein  BtD^ 
bei  sich  versteckt  habe.  Jeder,  der  taschenspielerisch  geschult  ist,  wird  deniy 
der  eine  solche  Behauptung  aufstellt,  die  Fähigkeit  absprechen,  spiritistisch^ 


*)  Ich  braoche  hier  du  Wort  Spiritisten  ganz  aJlgemoin.  nicht  nur  ftr  dloiwiiij  A*  **? 
PhlnooMae  Mif  Oeitter,  8ondem  aaoh  fOr  die,  die  lie  auf  eine  beeondwe  ptyiwöM  Knft  •^^ 
Median»  zoEfickffihren. 


SitMua^iiKrtehi^^ 


375 


aenc   kritisch   fu   behandeln.     Ab«r   atich   mit    Taschenspielern   muÜ 

vorsichtig'    sein»    weiui   man  $ie   als   Sachverständige    zuziehe :    daricus 

rncum  non  deam^t.     Nur  wenn  er  den  wisseJischaftUchen  Ernst,  wie  der 

jstofbene  BerUncr  Taschenspieler  Hermann  besilil,  dann  ist  er  nicht  nur 

ifch  seine  Tüchtigkeit*  sondern  auch  duxch  seine  Aufrichtigkeit  befähigt» 

Mann  der  Wissenschaft  als  Sachverständiger  zur  Seite  tu  stehen.    Die 

pdritivten  werfen  den  Mimnern  der  Wissenschaft  Selbst  Überschätzung  vor. 

^o  ist  diese  aber  mehr  vorhanden  als  bei  den  Spiritisten,  die  der  Meinung 

sie    kannten   nicht   getäuscht   werden?     Die    angeblich    festgehalten«! 

Eiasapia    Palladino    befreit    Hand    und    Fu0    durch    einen    Vorgang, 

Taschenspielern    bekannt   ist    und    ihnen   trotzdem    manchmal    entgeht, 

dcnt  aber  der  dünkelhafte  Spiritist  annimmt,  er^  der  dreimal   Schlaue, 

5one   nich!  getäuscht  werden. 

Wichtig  sind  die  Sinnestäuschungen,  die  durch  die  gespannte  Erwar- 
tm^  in  den  Sitzungen  begründet  werden.  Spiritisten  ^ehen  Erscheinungen 
an  Stellen,  wo  für  den  normalen  Menschen  volle  Dunkelheit  herrscht 
Sie  erkennen  genau  die  Richtung,  aus  der  ein  Ton  kommt,  während  der 
Mann  der  Wissenschaft  die  Schwierigkeit,  in  der  Dunkelheit  die  Richtung 
zu  taxieren,  kennt.  Ebenso  wichtig  sind  die  Erinnerungstäuschungen.  Nach 
den  Sitzungen  erzählen  die  Spiritisten  die  wunderbarsten  Dinge,  die  sie  ge- 
sehen hätten,  ohne  daß  sie  in  der  Sitzung  selbst  dies  glaubten.  Die  Er- 
innerungstäuschung spielt  auch  bei  den  sogenannten  Protokollen  eine  große 
Rolle. 

Der  Spiritismus  beruht  oft  nur  auf  der  Annahme,  daß  das  Medium 
nichi  tauscht.  Wenn;  2.  B.  die  EusapiaPalladino  von  dem  erschwindelten 
Geld  ihre  Angehörigen  unterstützte,  so  meinte  ein  Spiritist,  eine  solche 
brave  Person  könne  doch  unmöglich  eine  Betrügerin  sein,  obwohl  bekannt 
ist,  daß  auch  die  niedrigste  Prostituierte  mitunter  das  im  Dienste  der 
^I^Cfius  vulgivaga  erworbene  Geld  ihren  Angehörigen  opfert,  Charakte» 
^^Btisch  bt  es  auch  für  die  Spiritisten,  daß  sie  besonderes  Vertrauen  den 
^^edien  entgegenbringen,  die  ztir  „Gesellschaft"  gehören.  Mir  ist  ein  bezahltes 
I  Medium,  das  ich  möglicherweise  untersuchen  kann^  immer  noch  lieber, 
I  als  Frau  von  Soundso^  bei  der  eine  genaue  Untersuchung  nahezu  ausge- 
^•chlossen  ist,  und  schon  der  leicht  ausgesprochene  Verdacht,  daß  sie  be* 
^^■ge,  den  Skeptiker  von  der  Sitzung  ausschließen  würde.  Aber  auch 
^Bfc  bezahlten  Medien  werden  gewöhnlich  nicht  so  untersucht,  wie  es  die 
Spiritisten  erzählen;  da  wird  der  Rock  10  bis  80  Centimeter  hochgehoben, 
um  zu  beweisen,  daß  unter  ihm  nichts  versteckt  ist,  während  dem  Fachmann 
höchstens  eine  Untersuchung  in  einem  Kostüm  genügen  könnte,  wie  sie 
fast  in  allen  Fällen  von  der  Geschlechtsmoral  verboten  ist;  das  wissen  die 
Medien  auch  ganz  genau.  Die  Erfahruixg  von  fast  17  Jahren  hat  mir  be- 
wies en^  daß  es  fast  unmöglich  ist^  unter  wissenschaftlichen  Bedingungen 
spintistische  Phänomene  zu  beobachten.  Die  Spiritisten  und  Medien  ver- 
sprechen vorher,  sich  allen  Bedingungen  zu  unterziehen;  wenn  man  diese  aber 
durchführen  will,  werden  allerlei   Einwände   tmd  Ausreden  gebraucht. 

Mit  dtm  Spiritisten  des  richligen  Gehimkaltbers  ist  eine  Diskussion 
unoiöglich.     Wenn   heute  z.   B.   ein  Ziegel   vom   Dache   fällte  so  denkt  ein 


376  SüMungsberichU. 

solcher  Spiritist  nicht  an  die  Schwerkraft  der  Erde,  sondern  er  erwagt  zu- 
erst, welches  Medium  in  der  Nähe  ist  und  das  Herabfallen  des  Steins  be- 
wirkt hat.  Männer  der  Wissenschaft  stehen  auf  einem  anderen  Standpunkt. 
Sie  schließen  auf  Kräfte  aus  Wirkungen,  haben  aber  erst  dann  die  Nei- 
gung, eine  unbekannte  Kraft  anzunehmen,  wenn  sie  die  Wirkung  nicht 
mehr  auf  bekannte  Kräfte  zurückführen  können.  Die  Spiritisten  versteilen 
sich  allerdings  sehr  gern  in  Gegenwart  von  Skeptikern,  indem  sie  sich  wissen- 
schaftliche Allüren  geben;  wenn  sie  dann  aber  unter  sich  sind,  so  liegt  es 
anders.  Als  ich  vor  einer  Reihe  von  Jahren  den  Betrug  des  besten 
deutschen  Materialisationsmediums  Pinkert  feststellte,  indem  ich  den 
Geist  mit  AnUin  bespritzte  uiid  den  anUingefärbten  Stoff  später  aus  der 
Tasche  des  Mediums  zog,  meinte  ein  Spiritist,  das  beweise  nichts,  ein  Ko- 
bold  habe  vielleicht  das   Fuchsin   an   den  Lappen  herangebracht. 

Ein    weiterer    Denkfehler   der    Spiritisten    ist    der,    daß    sie,   wenn  ein 
Mann  der  Wissenschaft  nicht  sofort  ein  Phänomen  erklären  kann,  sagen- 
„Sie  geben  ja  selbst  zu,   Sie  können  es  nicht  erklären,  es  rührt  also  von 
Geistern  her"  und  doch  ist  es  gar  nicht  die  nächste  Aufgabe  des  Mannes  der 
Wissenschaft  zu   erklären,  wie  der  Schwindel  ausgeführt  wird;  nach  spiri- 
tistischer Logik  müßte  man  bei  jedem  Taschenspielerstück,  das  man  nictit 
sofort  erklären  kann,  Geister  annehmen.   Der  Mann  der  Wissenschaft  hat  i^ 
erster   Linie  festzustellen,    ob    unter   zwingenden   Bedingungen  dieses  od^^ 
jenes  Phänomen  zu  stände  kommt;  weitere  Aufklänmgen  sind  Sache  d^^ 
Taschenspielers  und  des  Illusionisten. 

Von  den  dauernd  dem  Spiritismus  Verfallenen  sind  noch  die  periodisch.^^^ 
Spiritisten  zu  unterscheiden,  die  nur  zeitweise,  besonders  wenn  irgend  ^i^ 
Medium  viel  von  sich  reden  macht,  Opfer  des  Spiritismus  werden.  Bilit  iha«<>^ 
ist  noch  weniger  anzufangen,  da  sie  gewöhnlich  vierzehn  Tage,  nachdexz^ 
sie  die  Opfer  des  Schwindels  geworden  sind,  dies  schon  wieder  bestreiten  9 
ihre  Eitelkeit  ist  zu  groß,  um  den  im  Enthusiasmus  begangenen  Denic- 
fehler  später  einzugestehen. 

Trotz  aller  Schwierigkeit,  spiritistische  Phänomen  wissenschaftlich  z^ 
beobachten,  bereue  ich  es  nicht,  daß  ich  so  häufig  den  Versuch  dazu  gemacht 
und  daß  ich  auch  das  „große"  Medium  Eusapia  Palladino  gesehen 
habe.  Als  ich  sie  aber  gesehen  hatte,  bUeb  für  nüch  als  Wunder  nur  das 
eine  übrig,  daß  solch  frecher  Betrug  ernste  Männer  verführen  kann,  an  eine 
imbekanntc  psychische  Kraft  zu  glauben,  die  Tische  schweben  läßt.  Als  ein 
Wunder  kann  man  es  betrachten,  daß  solch  durchsichtiger  Hokuspokus 
von  gläubigen  Gemütern  als  eine  Kundgebung  der  Seelen  unserer  Abge- 
schiedenen  hingenommen   wird.  (Autorreferat.) 

Diskussion: 
Herr  Martens  führt  an:  Da  es  denkbar  wäre,  daß  hinter  den  „Phä- 
nomenen" des  Spiritismus  eine  unbekannte  Naturkraft  wirksam  sei,  wie 
z.  B.  seinerzeit  in  den  Hansen*schen  Vorführungen  der  HypnotisfflttS» 
so  geht  das  Bestreben  imserer  Gelehrten  zunächst  dahin,  dieser  Kraft  aof 
die  Spur  zu  kommen.  Nach  den  beiden  gehörten  Vorträgen  besteht  wohl 
für  uns  kein  Zweifel  mehr,  daß  bei  dem  Medium  Palladino  keine  ^' 
bekannte  oder  „überirdische  Kraft"  wirksam  war  und  daß  es  sich  hier  0(^ 


lehr  oder  weniger  geachickte  Taschenspielcrstückchen  handelt.  In  An- 
ht  dessen,  daß  ein  leider  sehr  großer  Teil  des  Publikums  an  solchen 
isniiis  glaubt^  wäre  wohl  eine  nicht  mehr  wegzuleugnende  Entlarvung^ 
löglichst  suggestiv  auf  die  Massen  wirkt,  am  Platze  gewesen*  Redner 
diesbezüglich  an,  warum  eine  solche  mit  den  voriiigUchen  Mitteln 
lodernen  Technik  nicht  versucht  worden  ist,  z.  B.  eine  photographische 
chtaufnahme  unvorhergesehen  in  dem  Moment,  in  dem  Frau  Palla- 
,,dÄS  freie  Schweben  des  Tisches  in  der  Luft'*  durch  Heraufschnellen 
ihrem    Ftiße   bewerkstelligte. 

^err    Thiele    fragt    an:    Können    für   die    Betrügereien    des    Mediums 

dl    andere    Gründe     ah    Erwerb-     und    Ruhmsucht    angegeben    werden, 

.  psychopathologische   Ursachen,   bezw.    smd   in   dem    Fall   der  Eusa* 

P  a  1 1  a  d  i  n  o   solche,    insbesondere    hysterische    Erscheinungen,    seitens 

beiden    Herren    Vortragenden    bemerkt    worden? 

lerr  Fenzig  (als  Gast)  wollte,  wenn  schon  nach  Prof.  Dessoir  die 
isten  für  ihre  fertige  Theorie  erst  die  Thatsachen  suchten,  den  um- 
trten  Fall  illustrieren.  Er  verlas  Briefe  eines  angesehenen  Namr- 
lers  und  escakten  Beobachters^  der  mit  dem  Medium  Palladino  doch 
ninderlichsten  Phänomen  erlebt  hatte.  Hier  suche  man  für  scheinbare 
irungstatsachen  nach  einer  vernünftigen^  d.  h.  antispiritistischen  Theorie. 
ie  Beobachtung  wirklich  völlig  einwandsfrei  gewesen,  dann  dürfe  von 
rni   Betrug  doch  nicht   die  Rede  sein. 

■Jerr  Kronenberg  beleuchtet  die  Tätigkeit  der  Spiritisten,  als  Beweise 
r  feststehenden  Theorie  Kants  ,, Träume  eines  Geistersehers'*  zu  finden» 


err  Dessoir  crw^iderte  auf  die  Bemerkungen  des  Herrn  Mar* 
,  da&  iwischen  dem  Hypnotismus  und  dem  Spiritismus  für  den  P'orscher 
richtiger  methodologischem  Unterschied  bestehe.  In  den  hypnotischen 
nden  lagen  Tatsachen  vor,  für  die  eine  Theorie  gefunden  werden  mußte ; 
pirilisten  dagegen  suchen  zumeist  für  ihre  Theorie  die  sie  stützenden 
ichen,  d*  h.  sie  sehnen  sich  nach  einem  handgreiflichen  Beweis  für  die 
iülche  Unsterblichkeit  und  suchen  und  finden  nun  diesen  Beweis  in 
mediumistischen  Erscheinungen.  Weil  der  Ausgangspunkt  ein  Gefühls- 
jfnis  hl,  deshalb  halt  es  so  schwer,  zu  einer  gegenseitigen  Verständigung 
takzsgen.  —  Auch  die  Entlarvungen,  von  denen  Herr  M.  an  zweiter 
sprach,  können  die  Spiritisten  nicht  bekehren.  Sie  geben  ja  zu^ 
aucli  ihre  gefeiertsten  Medien  vielfach  betrügen.  Nur  fügt  eben  jeder 
:  daS|  was  ich  da  und  dort  gesehen  habe,  war  kein  Schwindel  und 
le  Kontrole  war  eine  solche«  daß  jede  mechanische  Herstellung  der  Er- 
nußgen  undenkbar  ist.  Selbst  die  Masse  des  Publikums  wird  nicht  ver- 
igei  werden,  sondern  immer  nur  sagen:  wir  wollen  doch  gar  zu  gera 
il  selber  diese  Dinge  sehen.  Wenn  heute  Frau  Palladino  nach  Berlin 
:  wnd  von  jedem  Teilnehmer  ihrer  Sitzungen  20^  ja  selbst  50  Mark  for- 
,  so  würden  Hunderte  gelaufen  kommen,  nur  um  einmal  selbst  dabei 
sen  zu  sein.  Welches  Interesse  soll  sie  also  daran  haben,  sich  den  un- 
emen  Anforderungen  der  Wissenschaft  zu  fügen?  —  Was  endlich  die 
en  Blitzlicht  aufnahmen  betrifft,  so  sind  solche  in  den  Münchener 
gen    gemacht    worden.     Sie    verstärken    den    Verdacht   der   Taschen- 


378  SÜMunfrsberichU. 

Spielerei,  enthalten  aber  keinen  uniweideutigen  Beweis,  weil  sie  nur  dann 
gemacht  werden  durften,  wenn  Eusapia  Palladino  es  wünschte.  Wire 
unversehens  photographiert  worden,  so  wäre  die  erste  Aufnahme  auch  lu- 
gleich  die  letzte  gewesen,  denn  sie  hätte  sicher  jede  weitere  Sitxong  ver- 
weigert. Herr  Dessoir  erwiderte  femer  auf  die  dankenswerten  BlitteUungcn 
des  Herrn  Dr.  Penzig,  daß  er  zunächst  die  Besorgnis  des  Briefschreibers, 
seine  Weltanschauung  erschüttert  zu  sehen,  nicht  teilen  könne.  Wie  dner- 
leits  der  reinste  metaphysische  und  ethische  Idealismus  ohne  Hilfe  spiri- 
tistischer Erscheinungen  bestehen  könne,  so  sei  et  anderseits  nicht  ausge- 
schlossen, daß  die  Erscheinungen  —  wenn  sie  mehr  als  Täuschung  und 
Selbsttäuschung  seien,  durch  irgend  welche  Naturkräfte  ganz  materialistiscb 
erklärt  werden  könnten.  Es  handle  sich  vorläufig  nur  um  Tatsachen  und 
nicht  um  Weltanschauungen.  —  Was  Dr.  Pensigs  Gewährsmann  erlebt  tu 
haben  glaubt,  beruht  ganz  und  gar  auf  subjektiver  Beobachtung.  Ja  sogar 
in  dieser  Subjektivität  sei  sie  nicht  einwandsfrei,  da  der  Gewährsmann  immer 
noch  auf  die  Kontrole  durch  einen  zweiten  Teilnehmer  angewiesen  gewesen 
sei.  Völlige  subjektive  Sicherheit  hätter  er  nur  dann  erhalten  können,  wenn 
er  allein  die  beiden  Hände  des  Mediums  gehalten  und  ihre  Beine  fest 
zwischen  den  seinen  eingeschlossen  hätte.  Und  selbst  diese  subjektive  Sicher- 
heit, die  er  nie  erhielt,  wäre  kein  objektiver  Beweps.  An  der  Genauigl^ 
seiner  Beobachtung  werde  man  außerdem  durch  manche  Umstände  irre, 
z.  B.  dadurch,  daß  er  von  den  großen  Tatzen  des  Mediums  spreche,  wahrend 
tatsächlich  Eusapia  Palladino  auffallend  kleine  Hände  hat.  Und  was  nutzt 
es  schließlich,  daß  der  Gewährsmann  „wimderliche"  Dinge  gesehen  hat 
imd  „ganz  verblüfft"  worden  ist?  Er  wird  ebenfalls  durch  Taschenspielertriks 
und  „Illusionen**  verblüfft  werden  und  sich  unfähig  finden,  sie  „auf  natäriidie 
Weise**  zu  erklären.  Sein  Bericht  gleicht  aufs  Haar  den  vielen  tausendea, 
die  in  den  spiritistischen  Blättern  seit  50  Jahren  veröffentlicht  werden. 
Mit  solchen  Wundererzählungen  wird  die  Sache  nicht  um  einen  Schritt  ge- 
fördert. Man  zeige  ein  einziges  „Phänomen** •  unter  zwingenden  Bedin- 
gungen und  lasse  es  immerfort  wiederholen.  Dann  setze  die  Kausahattf^ 
suchung  ein.  Wenn  es  den  Anhängern  der  Eusapia  Palladino  nicht 
gelingt,  sie  dazu  zu  erziehem  —  vorausgesetzt,  daß  mehr  als  Tascbes- 
Spielerei  bei  ihr  festzustellen  wäre  — ,  so  ist  keine  Hoffnung  auf  Fördenng 
des  Problems.  Bleibt  es  bei  den  wirren  und  schlecht  beaufsichtigten  Pro- 
duktionen, so  dürfen  sich  die  Spiritisten  nicht  über  die  Wissenschaft  b^ 
schweren,  die  damit  nichts  anfangen  kann. 

Herr  Egbert  Müller  führt  an:  Die  wissenschaftlichen  Forscher  er- 
fassen immer  nur  den  getrübten  Spiritismus  der  Spiritisten,  nicht  die  Waren, 
realen,  von  allem  Beiwerk  abgelösten  spiritistbchen  Vorgänge.  Daß  wir  es 
hier  nut  Geistwesen  zu  tun  haben,  ist  evident,  da  die  Vorgänge  auf  Ersuchen 
geschehen  (Geist-occulte  intelligente  Kraft).  Zur  Möglichkeit  ernster  Be 
schäftigung  mit  dem  Spiritismus  gehört,  daß  das  Medium  willenlos  ist, 
femer  sind  nötig:   Unabhängigkeit,   völlige   Muße,   Geld- 

Herr  Moll  erwidert  Herrn  Thiele,  daß  die  Eusapia  Palladino 
natürlich  des  Geldes  wegeh  ihre  Sitzungen  abhält,  sie  läßt  sich  sehr  gut 
bezahlen;    sie  tut  es  keineswegs  etwa,  um  den  Glauben  an  die  Unsterb- 


Stitun^sA^rickifiy 


379 


Mtikfeit  «u  verbreiten*     Was  die  Fjnage  ihrer  krankhaften  Veranlagung  tae- 
triüt,  so  macht  sie  einen  stark  hysterischen  Eindruck  und  soU  auch  nach 
atersuchnng  anderer,  die  sie  kennen,  hochgradig  ^hysterisch  sein. 
Schluß  der   Sitzung  91/4    Öhr. 


Sitzung  vom  25,  Jtini  1903. 
Beginn  77^  Uhr. 
Vorsitzendex r    Herr   Moll 
Schriftführer:   Herr  Martens 
Zur    Aufnahme    gemeldet    ist    Herr    Dr,    Ertist    Cohn,    Schöneberg, 

5. 
Herr   Gtisindc   hält  den   angekündigten   Vortrag: 

^_  Beiträge  lur  Methodik  das  Schulgesangunterrichts  in 
^P  ästhetischer    und   psychologischer    Hinsicht. 

^       Das  MusikaUsch^Schöne  des  Gesanges  tritt  uns  in  Form  von  Liedern  ent- 
gegen.   Jedem  Licde  liegt  eine  Melodie  xu  Grunde,  d.  h.   eine  tonisch  und 
thythmisch  geordnete  Folge  von  Tönen,  die  einen  musikalischen  Gedanken 
ausdrücken.     Wenn  die  Melodie   nur  von   einer  Stimme  gesungen  wird,   so 
haben  wir  die  homo|)hone,  wenn  sie  von  mehreren  Stimmen  gesungen  wird, 
die  polyphone  Kunstfomi,   Schließt  die  Melodie  befriedigend  ab,  so  entsteht 
em    Satz.     Läßt    uns    der    Schluß    unbefriedigt,    dann    nennt    man    die    ent- 
tprechende  l'onfolf^e   einen  Gang.     Verbmdet  man   zwei  Sätze  miteinander, 
^Jaxm  entsteht  die  Periode,    Durch   die   Vereinigung  zweier  Perioden  ergibt 
^^Bi    dus   iweiteibge,    durch    Verbindung    iweier   Sätze   das    einteilige    Lied. 
^&em    Liede   wie  jeder   Melodie   hegen   bestimmte   Motive   zu   Grunde,   die 
Tofiischer  und  rhythmischer  Art  sind.     Diese  Motive,  die   an  sich  der  weit- 
gehendsten  Veränderung  unterworfen  werden  könne n»  stellen  die  Einheiten 
des  G^angsstückes  dar.    Sie  sind  die  Vorbedingung  für  das  ästhetische  Ge- 
italieii  des  Komponisten.    Je  kunstreicher  ihre  Veränderung  und  Verknüp- 
ftiftg  2ti  einem  wohlgegliederten  organischen  Ganien  dem  Komponisten  ge* 
lifigt,   desto  wertvoller  ist  sein  Kunstwerk.     Jedes  Kunstwerk  der  Musik  er- 
scheint  als  eine  Vielheil,   in  der  reicher  Wechsel  und  passende   GegensatJEe 
m    der   Mannigfaltigkeit  der   musikalischen   Einzelheiten   vorhalten.     In   der 
Gruppierung    dieser   Einj^elheiten   tritt    eine    gewisse   Sinnigkeit,   ja    Idee   zu 
'Eftge,   Stellenweise  tritt  jtuweilen  recht  wirkungsvoll  eine  beabsichtigte  Wieder- 
holung ^^  wie  ein  Refrain  —  auf.  Die  Regulär ität  als  Moment  eines  Gesangs 
«ttickes  ist  notwendig ;  als  absolute  Regel,  in  der  das  tonische  und  rhythtnische 
Element  auf  geh  t>  ist  sie  jedoch  verwerflich.    Sie  wäre  etwas  unfreies,  indem 
sie   den  Komponisicn  beim  Gestalten  einengen  würde.     Man  denke  hier  an 
da*,   was   Wagner   in   seinen   „Meistersingern**   bei   der   Melodie:   „Wonnig- 
lieb  leochtend  usw/',  gesungen  von  Walter  Stoltzing  und  dem  Stadtschreiber, 
%o  trefflich  ausführt.    Beim  Komponisten  kommt  es  vor  allem  darauf  an,  die 
«cböae  Mannigfaltigkeit)  die  sich  nicht  allein  in  der  sinnreichen  und  kun^t- 
voil€D    Bearbeitung    der    Motive,    sondern    auch    auf   die   Wecbselwiii£tmgi:fl 
lonischef]  und  rhythmischen  Elements  be;fieht,  zum  Ausdruck  zu  bringen. 


380  SüzHHgsberichU, 

Aus   dieser  Mannigfaltigkeit  muß   hinwiederum  die  beabsichtigte  R^[ularb 
tat  zu  erkennen  sein.  Das  Kunststück  an  sich  stellt  sich  in  einer  ungesuchten 
naturgemäß  sich  ergebenen  Symmetrie  dar.    In  der  Wirkung  auf  den  Zu- 
hörer kommt  endlich  die  Harmonie  zum  Ausdruck.  Unter  Harmonie  verstehe 
ich  nicht  allein  etwas  rein  Äußerliches,  nicht  lediglich  die  sogenannte  enge 
(z.  B.  c,  e,  g.)  oder  wieite  Harmonie  (c,  g,  e.),  sondern  das  gesamte  Kunst- 
werk in  seiner  Beziehimg  auf  unsere  Psyche.    Da  muß  zunächst  vermerkt 
werden,   daß   gar  bald   ein   gewisser   Unterschied,   eine   Disharmonie  resp. 
eine   Entzweiimg  der  wesentlichen   Elemente   entsteht,   die  schließlich  den 
ärgsten  Konflikt  frei  erzeugt,  (der  sozusagen  durch  sich  selbst  überwunden 
wird.   Im  Kleinen  stellt  schon  die  Melodie  dieses  Verhältnis  dar.  Die  Melodie 
begreift  in  sich  ein  tonisches  und  ein  rhythmisches  Element.    Beide  Elemente 
stellen  gewissermaßen  ihre  eigenen  Forderungen  auf,  die  zu  erfüllen  sind. 
Die  Melodie  irrt  gewissermaßen  vom  Grundton  ab,  steigt  bis  zur  Dominate 
empor,   wo   wir   nur   eine   unvollkommene   Befriedigung  finden  und  kehrt 
dann  schließlich  zimi  Grundtone  wieder  zurück,  wo  ihre  beiden  Elemente 
sich  nüt  innerer  Notwendigkeit  vereinen  und  in  uns  das  Gefühl  der  B^ 
friedigung  wachrufen.    In  Bezug  auf  das  tonische  Element  handelt  es  sidi 
darum,  gewisse  Töne  in  der  Tonfolge  zu  bevorzugen,  resp.  besonders  in  Er* 
scheinimg   treten  zu  lassen;   beim   rhythmischen   Element  handelt  es  sidi 
jedoch   um   die   regelmäßige   oder   absichtlich   verzögerte   Wiederkehr  voa 
schweren  und  leichten  Taktteüen  in  gleichmäßigen  Zeiträumen.    Beim  Vor* 
halt  z.  B.  geht  das  Tonstück  aus  der  Konsonanz  in  die  Dissonanz  (Vorhalt) 
über,  deren  Übergang  in  die  Konsonanz  vom  Komponisten  absichtlich  ver- 
zögert  wird,   um  unser  Verlangen  nach   der  Konsonanz  gewissermaßen  za 
potenzieren,  so  daß  schUeßlich  der  Eintritt  der  Konsonanz  umsomehr  b^ 
friedigen  und  beruhigen  muß.    Je  größer  die  Aufregung,  desto  angenehmer 
und  wohltuender  die  Beruhigimg.    Man  denke  hier  z.  B.  an  Beethovens 
Symphonien,  insbesondere  an  die  neunte  Symphonie.    Hier  opfert  der  gro6e 
Komponist   scheinbar   die   Regularität   und   Symmetrie  untergeordneten  Be- 
ziehungen.   Die  Instrumentalmusik  zeigt  scheinbar  die  größte  Verwirrungi 
und  doch  liegt  ihr  die  größtie  Klarheit  zu  Grunde.     Es  toben  die  tonischen 
Elemente  gegeneinander  und  gegen  die  Rhythmik,  und  doch  versöhnen  sie 
sich  schließlich,  reichen  sich  gewissermaßen  immer  wieder  gegenseitig  die 
Hand  zur  Eintracht.    Je  größer  und  gewaltiger  die  Disharmoiüe  ist,  über 
die   schließlich  die   Harmonie   triumphiert,   desto   größer  die  Wirkung  des 
Tonstückes,    desto   bedeutender   der    Genius,    der   es   erzeugte.     Wie  steht 
es  nun  mit  der  Wirkxmg  des  Liedes  in  seiner  Totalität  auf  die  Psyche  des 
Menschen?    Jedes  Lied,  und  wenn  es  auch  noch  so  klein  ist,  ist  lyrischtf 
Art.    Es  enthält  ein  bestimmtes,  individuelles  Gefühl,  das  ihm  der  Genius 
gewissermaßen     eingehaucht     hat.      Es     ist     ein     Stück     inneres    Leben, 
das   der  Komponist  zimi  Ausdruck  bringt.    Leben  aber  erzeug^  Leben,  d.  b. 
das  in  einem  Liede  zum  Ausdruck  gebrachte  individuelle  Gefühl  erzeugt  in 
Zuhörer  verwandte  Gefühle,  denn  wir  Menschen  fühlen  im  allgemeinen  unter 
gleichen   Gesetzen.    Die   Herzen   der   Menschen  stehen  einander  näher  als 
die   Köpfe;  es  besteht  ein  geheimes   Band  zwischen  Ton  und  Herz.  Der 
Gesang  ist  die  Sprache  des  Gemütes,  die  austönt  im  Anmutigen,  Andäch- 
tigen, Edlen,  Sanften,  Erhabenen,  Heiteren,  Traurigen,  Schmerzüchen;  ftber 


Smungs^rühU. 


381 


CS  bt  nicht  wirklidie  Trauer»  kein  wirklicher  Schmerz,  der  in  Erscheiötiög 
tritt,  sondern  es  sind  deren  Substitute»  das  dem  Geist  des  Menschen  Ange- 
messene oder  das  ihm  Widerstrebende,  das  ihn  Befriedigende  oder  Niclit- 
befriedigende^  dms  sich  in  der  Psyche  des  Menschen  xur  Geltung  bringt» 
An  sich  betrachtet  hat  der  Gesang  keine  sittliche  Kraft;  er  bringt  musi- 
kalische Gedanken^  nicht  Grundsätze  der  Moral  mm  Ausdruck.  Indem  er 
aber  musikalisrhc  Gedanken  mm  Ausdruck  bringt,  bildet  und  fördert  er 
den  Menschen  in  ästhetischer  Beziehung.  Der  ästhetisch  gebildete  Mensch 
»it  aber  für  die  Lehren  der  Moral  empfänglicher,  weil  er  sich  vom  Rohen 
and  Gemeinen,  di^  beim  Verstoß  gegen  so  viele  Maximen  der  Moral  sEum 
Atisdnick  kommt,  abgestoßen  fühlt.  Wenn  es  richtig  ist,  was  soeben  betont 
winde,  daß  der  Gesang  bestimmte  musikAÜscbe  Gedanken  zum  Ausdruck 
bringt^  so  muß  hier  glaich  hinau gesetzt  werden,  daß  Gesangstücke  resp. 
Lieder  nur  dann  die  beabsichtigte  Wirkung  erzeugen»  wetm  diese  Gedanken 
in  ihrer  Totalität  und  organischen  Gliederung  sofort  in  Erscheinung  treten. 
Leider  ist  die  derzeitige  Behandlung  von  Liedern  vielfach  eine  solche,  die  den 
Forderuungen  der  Ästhetik  wie  denen  der  Psychologie  zuwiderlauft.  In  den 
FÖT  den  Gesangunterricht  bestimmten  Lehrbiichern  resp.  Anweisungen  liest 
Qiaii  recht  häufig  die  durchaus  verkehrte  Forderung,  eine  Melodie  in  ihre 
Teile  zu  zerlegen,  jeden  Teil  für  sich  einzuüben  und  zum  Schluß  erst  die 
^an2c  Melodie  lu  singen. 

Wer  ein  Ästhetisch -Schönes  in  Teile  zerlegt,  nimmt  ihm  seine  geheimnis- 
volle    Wirkung,     Wollte   man   z.    B,   G  ö  t  h  e  s   Denkmal   im    Berliner  l*ier- 
garten  zerstückeln,  oder  den  ^,Christus  von  T  h  o  r  w  a  1  d  s  e  n**  in  Teile  zer- 
legen, so  wäre  augenblicklich  das  Geheimnis  des  Schönen,  das  diese  Kunst 
\*rerkf-  umgibt,   vernichtet.    Nun   muß  ja  zugegeben   werden,  das  bei   Schöp- 
ftmgen  der  darstellenden  Kunst  das  Sinnwidrige  der  Zerstückelung  h^icbter 
einzusehen   ist,   als  bei   Werken   der   übrigen   Kunstzweige,    Dennoch  bleibt 
much  hier  bestehen^  daß  ein  Kunstwerk  nur  als  Ganzes  entsprechend  wirken 
katm.     Wer  z.  B.   den   ersten    Teil  einer    Melodie  singt,    immer  wieder  nur 
allein  singt,  beendet  ihn  jedesmal  bewußt  oder  unbewußt  in  unbefriedigter 
Weise.    Sein  eigenes  musikaÜsches  Gefühl  drängt  ihn»  nach  Fortsetzung  und 
Vervollständigung  von  musikalischen  Gedanken.     Indem  diesem  Gefühl  aber 
Zwang  angeun  i*ird,  wird  es  verletzt  resp.  abgestumpft.     Es  bleibt  schließ- 
Jich  ein  Reflex  zurück,  nämlich  eine  Schwächung  des  natürlichen  Drängens 
nach     Vervollstä-ndigung     von     musikalischen     Gedanken.      Damit    ist    der 
Schulung   des   Geistes  zur  Erfassung  musikalischer  Gedanken  geradezu  zu- 
widergehandelt.      Zudem    handelt   es   sich   bei   d^r  Kunsterziehung    um    die 
EntWickelung    der    Fähigkeit,    sich    mit    dem    Künstler    (Komponisten)    im 
Denken    und    Empfinden    bis    zu    einem    gewissen    Grade    zu    identifizieren 
und   den   ins   Kunstwerk  hineingelegten   geistigen  Gehalt  aufs   neue   m   der 
eigenen  Seele  erstehen  zu  lassen,  sowie  um  die  Entwickelung  des  lebendigen 
Gefühls    der    Befriedigung    und    Freude   über   das    Kunstwerk.      Auch    die 
Melodie  ist  ein  Kunstwerk.     Als  solches  stellt  sie  dar  eine  Verbindung  von 
Geistigem    und    Formularem    zu    völliger    Einheit,    worin    etwas    Geheinmis- 
voUes  liegt,  das  die  wunderbare  Macht  begründet,  mit  der  uns  ihre  Schön* 
^wt    ergreift.      Diese    gehe imnis volle   Wirkung   rufen  aber  nicht    Teile   der 
^■elodic,  sondern  ganze  Melodien  hervor,     Nur  die  ganze  Melodie  erweckt 
^BS   Gefühl   der   Lust  und  Freude  am  Schönen,   während   beim   mühseligen 


382  SiimngsbeHekie, 

Einpauken  ihrer  Teile  Lust  und  Freude  beein^chtigt  werden.     Wer  ei^c^ 
Melodie  zerstückelt  und  ihre  einzelnen  Teile  mühsam  den  Kindern  rinrttifl^Uz.  i 
bandelt  den  Gesetzen  der  Ästhetik  und  Kunsterxiehung  zuwider.     Er  nim^:^^ 
ihr  den  poetischen  Hauch  und  beeinträchtigt  ihre  ästhetische  Wirkung  g^k^^ 
wesentlich,  hebt  sie  teilweise  vielleicht  gar  auf;  er  verhindert  mehr  od.^ 
weniger   den   Kunstgenuß   und  lehrt   die  Kinder,  sich   dem   KunstschöK^^^ 
nicht  zu-,  sondern  abzuneigen.     Das  Schöne  will  geschont  sein.     Die  ^^^. 
lodie  muß  als  Ganzes  aufgefaßt  und  empfunden  werden.     Somit    hat    ^.^ 
Gesangunterricht  die   Pflicht,   diese   Tatsache   zu  beachten,  resp.   die    üf ^ 
lodie  als  Ganaes  dem  Schüler  zu  übermitteln,  was  jedoch  nicht  ans8chlie(^c, 
daß    etwaige    Schwierigkeiten    für   die   Auffassung   vorher  sinnig    hinweg- 
geräumt werden  können.    Durch  entsprediende  Treffübungen  an  der  Sing^«- 
maschine    erweckt   man   das   Gefühl   der   Lust  und    Freude   am   Schön^^^ 
während  es  beim  mühseligen  Einpauken  der  einseh&en  Teile  eines  Lied.^ 
beeinträchtigt  wird.     Da  eine  Melodie  als  Kunstschones  im  Gesänge  nicS=3t 
zerstückelt      werden     darf,       muß      dafür      gesorgt     werden,     daß    A-"*^ 
Kinder    zuvor    fähig  gemacht  ^werden,     sie     als     Ganzes     zu     effass^^^ 
Das    geschieht    durch    zweckmäßige    Vorübungen,    wobei    an    bereits  l^»^- 
kannte,    bis    zur    völligen    Treffsicherheit    geübte    Intervalle  und    Tonfo^^* 
schritte  angeknüpft  und  allmählich  so  weit  gegangen  wird,  bis  die  Kind.*^ 
die  schweren  Intervalle  der  Melodie  selbständig  treffen.    Diese  Vofübmg^^ 
sind  so  zu   halten,   daß  sie  den  Charakter  von  technischen   Übungen  i:>^ 
wahren  und  den  musikalischen  Gedanken,  der  in  der  Melodie  liegt,  nicl^t 
erkennen    lassen.     Da   auch   die   Rhythmik   einer   Melodie   erfaßt  werd^^Q 
muß,  empfieht  es  sich,  auch  rhythmische  Vorübungen  vorzunehmen.   Die^c 
sind  indessen  weniger  schwierig  als  die  tonischen  und  können  vorerst  dnrch 
bloße    Schall  Wirkungen    erregt   z.    B.    durch  das  bloße   Klopfen  mit  dem 
Finger  auf  die  Bank  udgl.,  gekennzeichnet  werden. 

Zur  Behandlung  einer  Melodie  gehört  notwendig,  daß  auch  das  Au^ 
des  Kindes  betätigt  werde.  Das  Kind  soll  mit  dem  Auge  den  Bau  eines 
Gesangstückes  erfassen  lernen,  dabei  gewinnt  es  eine  tiefere  Einsicht  io 
die  Gesetze  der  Harmonie  und  Formenlehre  der  Musik.  Das  geistige 
Leben  des  Kindes  erfährt  einen  wesentlichen  Zuwachs,  indem  der  Blick 
für  das  Musikalisch-Schöne  erweitert  wird;  denn  dieses  besteht  nicht  nur 
in  den  Tonverhältnissen  an  sich,  sondern  auch  im  Bau  des  Gesangstuckes, 
sowie  in  der  Folge,  Anwendung,  Verbindung  und  Zahl  der  einzelnen  Motive. 
Es  handelt  sich  hier  nicht  allein  um  ein  ästhetisches  Gefallen,  sondern  auch 
um  ein  ästhetisches  Denken  oder  richtiger  gesagt  um  ein  Denken  über  die  im 
Liede  verkörperte  Ästhetik.  So  bilden  und  entwickeln  wir  nicht  nur  das 
Gefühl,  sondern  auch  den  ästhetischen  Sinn  des  jugendlichen  Geistes.  Frei- 
lich kommt  es  bei  der  Notation  auch  darauf  an,  das  Kunstschöne  des 
Liedes  durch  Zeichen,  deren  Anblick  nicht  das  ästhetische  Gefühl  def 
Schüler  trübt,  sichtbar  darzustellen,  d.  h.  die  Noten  und  Hilhzei£he& 
müssen  ein  ästhetisches  Aussehen  haben.  Die  mit  Kreide  auf  eine  Hote* 
tafel  geschriebenen  Noten  geben  nicht  einmal  eine  deutliche  und  klare  Vef^ 
anschaulichung  ab.  indem  sie  keine  deutlichen  und  scharf  umgrenztoi  Fonn^ 
darstellen  und  in  Bezug  auf  die  Farbe  das  umgekehrte  Verhältnis,  nioslicb 
weiße   Noten   auf   schwarzer   Fläche,  zum  Ausdruck  bringen.     Die  durch 


Sämm^&^ricktf. 


383 


*otaljtÄf  bewirkten  äußeren  Reize  sind  nicht  dexart,  daß  man  behaupten 
If  durch  ihre  Anwendung  auch  äußerlich  ästhetisch  auf  die  Kinder 
Krken.  Im  Gegenteil  solche  Noten  entsprechen  dj^n  äußeren  Be< 
^en  für  atthetische  Erziehun£  nicht  und  erzeugen  im  Geiste  de& 
notwendig  eine  Disharmonie,  die  dem  durch  die  Melodie  cricugten 
eben  Gefühl  widcrstr eitel  und  es  ungünstig  beeinflußt.  Nachdem  der 
llische  Teil  eines  Liedes  behandelt  ist,  kommt  seine  Verbindung  mit 
ext  an  die  Reihe.  Es  wird  dadurch  eine  für  den  Stimmapparat  aus 
lischen  Gründen  durchaus  erwünschte  Ruhe  geboten;  denn  e^  ist 
Hdig,  den  Text  zunächst  zu  einem  akzentuierten  sprachhchen  Aus^ 
m  bringen.  Um  jedoch  nicht  mißverstanden  zu  werden,  betone  ich 
kkhch^  daß  eine  besondere  sprachliche  Behandlung  des  Textes  nicht 
Gesangslunde  gehört.  Die  besten  Texte  sind  die>  die  unmittelbar 
dden  werden;  denn  auch  der  Liedertext  sotl  ästhetisch  wirken  und 
üs  Sprachlich-Schönes  geschont  werden.  Auch  er  wird  in  seiner  To« 
ästhetisch  am  intensivsten  wirken.  Im  Verhältnis  zur  Melodie  be> 
l,  erweist  sich  der  Text  als  eine  fremde  Zugabe;  deim  die  Musik 
i  indifferent  gtgctt  die  durch  den  Text  gekennzeichnete  Materie.  Gute 
l  behält  auch  ohne  Text,  sowie  bei  einer  Verbindung  mit  mange)- 
Text  ihren  Wert,  Das  aber  Ist  richtig,  daß  der  Text  die  Wirkung 
iusik  erhöht;  die  durch  ihn  erzeugten  Regungen  da  Geistes  ver- 
Ichaften  sich  mit  denen  der  Musik,  geben  gewissermaßen  die  Motive 
musikalischen  Empfindungeu  an,  so  daß  der  Geist  des  Menschen  zu 
areu  und  unmittelbaren  Regungen  geführt  wird,  wodurch  Sänger  wie 
^r  veredelt,  vom  Rohen  und  Gemeinen  hinw egg eführt^  ästhetisiert, 
hinsichtlich  der  ästhetischen  Gefühle  geläutert  und  hinsichtlich  des 
sehen  Sinnes  gekräftigt  und  gefestigt  werden.  Von  besonderem  Werte 
Ten  Gesang  ist  die  Pflege  der  verschiedenen  Einsätze,  des  festen,  alU 
ichen  und  hauchenden  Einsatzes.  Ist  der  hauchende  Emsatz  sorgfältig 
t  dann  wird  es  z,  ß.  auch  möghch  sein,  Gesangstücke,  die  mit  einem 
beginnen,  so  zu  behandeln,  daß  die  Schüler  diesen  Vokal  mit 
nüem  Einsatz  singen,  was  für  den  Vortrag  wertvoll  Ist*  Der  all- 
phc  Einsatz  wird  nach  vorausgegangenen  Atemübungen^  bei  denen 
Itlich  auf  einen  ruhigen,  gleichmäßigen  Ausfluß  des  Atems  zu  halten 
i  Übungen  im  crescendo  und  decrescendo»  beim  gleichmäßigen  Ge- 
langer  Töne  mit  ruhiger,  aber  sicherer  Stimme  günstige  Wirkungen 
1,  Was  beim  Verhallen  eines  Gesangsstückes  ästhetisch  wirkt,  das 
Übergang  aus  einem  Zustand  in  den  andern,  das  Werden  als  Ver- 
Beim  Abtönen  aber^  wobei  der  Klang  verhallt,  wird  unser  ibthe- 
Gefühl  nicht  immer  befruchtet,  wenn  es,  wie  das  ja  auch  beim  Ver- 
geschehen  muß,  sorgfältig  geübt  ist.  Soli  aber  der  Vortrag  eines 
^Stückes  in  seiner  Totalität  ästhetisch  wirken»  dann  darf  es  an  der 
lidigen  Korrektheit,  wobei  weder  etwas  hmxugefügt  werden  darf,  was 
if^eseu  des  Gesangstückes  fremd  ist,  noch  etwas  fortgelassen  werden 
was  zum  Musikaliscb-Sc honen  gehört,  sondern  eine  seelenvolle  Ge^ 
^  des  Vortrags,  die  von  einer  geistlosen,  bkißen  regulären  Vortrags- 
woh!  zn  unterscheiden  ist,  nicht  fehlen.  Die  richtig  verstandene  Kor- 
k  hat   mdessen  nüt   jener  Verbildung  des  Schönen,   wobei  unnötige 


384  SitMungrsAertckte, 

Kleinheit  herrscht,  wo  Nebensachen  in  ein  unrichtiges  Verhältnis  lu  Hi«.^p|. 
Sachen  treten,  oder  eine  bloße  willkürliche  oder  alltagliche  Vortrags»  ^^^3^ 
zur  Geltung  kommt,  nichts  zu  tun. 

Obwohl  in  den  bisher  angeführten  Erörtenmgen  bereits  verBchiec^ne 
psychologische  Fragen  neben  solchen,  die  sich  auf  die  Ästhetik  des  Gesai^c» 
beziehen,   gestreift   worden   sind,   wäre   es  dennoch  zweckmäßig,   hier    auf 
gewisse    Forderungen,    die   man   im    Interesse   der   Pflege   der   edlen  itzmci 
hochbedeutsamen   Sangeskunst  zu  stellen  hat,  einzugehen,  wenn  nicht  cÜ^ 
Zeit  erheblich  vorgerückt  wäre.  Es  sei  darum  nur  kurz  hier  noch  darauf  v^^' 
wiesen,  daß  die  unterscheidende  Tätigkeit  des  Ohres,  die  Abmessung. <l.^^ 
Intervalle  frühzeitig,  mindestens  aber  mit  dem  Beginn  des  zweiten  Sch«.^' 
Jahres,  geübt  werden  muß.    Ebenso  ist  das  Treffen  in  der  Zweiftimmigk^'g^^ 
und  in  Akkorden  tüchtig  ^u  üben,  freilich  erst  auf  spateren  Unterrich'^^' 
stufen.      Dabei    ist    darauf    zu    halten,    daß   sich    die    Kinder   nicht  sU^''^^^ 
der  einzelnen  Töne  in  Akkorden,  sondern  auch  ihrer  Gesamtheit  als  Akk»  ^^^ 
bewußt  werden  müssen,  wobei  es  zunächst  auf  die  Vermittelung  bestimme  ^^'^ 
psychischer    Grundvorsteilungen   ankommt.     Die   Violine   muß  im  Gesanv^  -^' 
Unterricht   möglichst   zurücktreten,   weil  man  die  Töne  nicht   in  die  Kbp^  ^  ^ 
der  Kinder  hineingeigen  soll.     Die   Kinder  haben  ein   Musikinstrument         *^ 
ihren  Ohren  und  werden  dies  am  besten  durch  eigene  Tätigkeit  gebrauch^^^^ 
lernen.      „Was    die    Kinder   selbst    finden   können,   soll    man   ihnen  nic:=-  ^^^ 
geben",   sagte   der  alte   Dieter.     Auf  den   Gesangunterricht   angewcnd-^^^ *» 
heißt  dieser  Grundsatz :    Da  die  Kinder  die  Töne  in  ihrer  gegebenen  FoL  ^^^^ 
selbst  finden  können,  soll  man  sie  ihnen  weder  vorsingen  noch  vorgeig^^^^- 
Entwickelung  von  innen  heraus,  das  ist  eine  Forderung,  die  auch  für  <l,^^'* 
Gesangunterncht  Geltung  hat.    Wie  diese  Forderungen  praktisch  am  besc^  ^^^ 
zu  verwirklichen  sind,  habe  ich  eben  im  Gebrauch  der  von  mir  erfundene- ^^^ 
Singmaschine  gezeigt,   wobei  ich  nur  noch  zu  bemerken  habe,  daß  vm^<^^ 
die  freie   Darstellung  von  Melodien  aus  dem  Kopf  durch  die  Schüler  v^^o''* 
zunehmen  ist.     Dadurch  wird  der  Weg  von  der  Vorstellung  zur  Darstellt9>^v^i^ 
als   Ergänzung  zu   dem   „von  der  Anschauung  zur   Vorstellung**   betreC^^^ 
Wer   in   dieser   Beziehung  weitergehende   Erörterungen    zu  lesen    wünscrbt. 
den    mache    ich    auf    das    von    mir    herausgegebene    Werk:    „Theoretisch-^* 
praktische  Anleitung  zur  Erteilung  des  Gesangunterrichtes  nach  den  Gna.0^* 
Sätzen    der    Kunsterziehung*',    erschienen    bei    Oehmigke,    Berlin,    NW.       7» 
Dorothecnstr.  38,  aufmerksam.  (Autorreferat.) 

Diskussion. 

Herr  Dessoir  stellte  einige  Fragen,  die  Einzelheiten  betreffen,  uo^ 
bezweifelte  alsdann,  ob  die  zeitliche  Zerlegung  der  Melodie  so  unerlaubt 
sei,  wie  der  Vortragende  behauptete.  Die  Vergleichung  mit  einem  ie^' 
stückten  Denkmal  treffe  nicht  zu,  da  doch  eine  Zerlegung  etwa  in  die  Eimel- 
gestalten,  und  dieser  wieder  in  ihre  Köpfe,  Hände  und  so  fort  auf  Eiiu^^' 
Schönheiten  führe;  es  hänge  also  alles  ab  vom  Prinzip  der  Zerleguo^T 
und  das  Zeitprinzip  sei  doch  in  den  Zeitkünsten  auch  zulässig.  Endlich 
äußerte  er  Bedenken  gegen  die  späte  Berücksichtigung  des  Textes. 

Herr    Fiat  au    möchte   sich   nicht   mit   den  theoretischen   Ableitung«*^ 
identifizieren,  hält  es  aber  für  seine  Pflicht,  von  den  hervorragenden  praJ^' 


SüsungsberichU.  3g5 

Ji-padagogischen  Erfolgen  des  Hctrm  Vortiagenden  nach  seiner  eigenen 
Dbachtung  Zeugnis  abzulegen.  Von  bekannt  gewordenen  anderen  Re- 
oibestrebungen  (Frau  Dr.  Krause,  Carl  Eitz  u.  a.  m.)  hebt  sich 
i  gezeigte  System  durch  seine  große  Einfachheit  als  besonders  für  die 
Ucsschule  brauchbar  heraus.  Sehr  sympathisch  haben  den  Redner  die 
sfiihrungen  des  Herrn  G.  über  die  Stimmstörungen  d^r  Schulkinder 
ülirt;  die  Erfahrungen  des  Herrn  G.  über  der^  Gefahren,  ihr  leichtes 
itandekommen  und  die  Schwierigkeiten  ihrer  Beseitiguung  ohne  besondere 
:mtnis  des  Gegenstandes  seien  .wertvoll  und  allgenieiner  Wii^digung 
rt.  Abgesehen  von  den  physiologischen  Funktionsstönmgen  sollten  aber 
:1^  die  durch  das  Wachstum  bedingten  Erscheinungen  mehr  berück- 
ätigt  werden;  die  Symtome  davon  treten  weit  außerhalb  des  Stimm- 
rlisels  zu  Tage  imd  ihre  Nichtbeachtung  kann  ebenfalls  zu  schweren 
iädigungen  führen. 

Schluß  der  Sitzung  9  Uhr. 


Sitzung  vom  16.  Juli  1Q03. 
Beginn  77*  Uhr. 
Vorsitzender :    H  err    Moll. 
Schriftführer:    Herr   Vierkandt. 
Der   Vorsitzende   verkündet   die   Aufnahme   der   Herren:   Bergassessor 
►     Wolff  und  Dr.   Ernst  Cohn. 

Herr  Gutzmann  hält  den  angekündigten  Vortrag: 
Zur   vergleichenden    Psychologie   der   Sprachstörungen. 
Der  Vortrag  findet  sich  in  extenso  unter  den  Originalien  dieser  Zeit- 
Lirift   abgedruckt. 

Eine  Diskussion  fand  nicht  statt. 

Schluß  der  Sitzung  8V4  Uhr. 


isserordentliche  Generalversammlung  vom  15.  Oktober  1903. 

Beginn  8^/4  Uhr. 

Vorsitzender:    Herr   Moll. 
Schriftführer:   Herr   Martens. 
An  Stelle  des  Herrn  Vierkandt,  der  für  ein  halbes  Jahr  nach  außer- 
^b  beurlaubt  ist,  wird  Herr  Bärwald'als  II.  Vorsitzender  und  II.  Schrift- 
Uver  gewählt. 

Zum  Eintritt  in  den  Verein  haben  sich  gemeldet: 
Herr  Medizinalrat  Dr.  Mittenzweig,  Steglitz,  Filandastr.  32, 
Herr  Dr.  Winternitz,  SW.,  Dessauerstr.  15, 
Herr  Oberlandesgerichtsrat  a.   D.  Petrich,  W.,  Pallasstr.  7—8, 
Herr   Rechtsanwalt    Dr.    Bieber,    C,   Kaiser-Wilhelmstr.   39. 
Es   wurde   beschlossen,    die    Sitzungen   um   8   Uhr   zu   begannen.     Als 
tsungskikal   wird   der   kleine   Saal   im   Langenbeckhaus,   Ziegelstr.    10/11, 
stimmt. 

Zeitsdirift  für  pida^gische  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene.  10 


386  SiUungsberichte, 

Sodann  verliest  der  Vorsitzende  auf  Vorstandsbeschluß  und  mit  Zu- 
stimmung der  Versammlung  die  folgende  von  ihm  verfaßte  und  vom  Vor- 
stand*)  gebilligte    historische    Darstellung    der   C  e  r  v  e  n  k  a  angelegenteit. 

„Am  6.  Februar  d.  J.  fand  in  der  Aula  der  hiesigen  Universität  eine 
gemeinsame  Sitzung  der  internationalen  Musikgesellschaft  imd  der  Psydu)- 
logischen  Gesellschaft  statt,  in  der  ein  Techniker  aus  Prag,  Herr  Cervenka, 
einen  App^urat  zur  photographischen  Aufnahme  der  menschlichen  Stimme 
imd  zu  deren  Wiedergabe  demonstrierte.  Der  Kernpunkt  der  Sache  sollte 
der  sein,  daß  erst  die  Stimme  ein  reflektiertes  Licht  in  Schwingungen  ver- 
setzt, daß  die  Schwingungen  auf  einer  sich  bewegenden,  lichtempHndlichen 
Platte  photographiert  werden,  daß  mittels  dieser  Photographie  ein  Gliche 
hergestellt  und  endlich  mit  einem  Reproduktor  die  Stimme  wieder  vi 
Gehör  gebracht  würde.  Die  Psychologische  Gesellschaft  war  erst  ver- 
hältnismäßig spät  auf  Vorschlag  ihres  damaligen  Vorsitzenden,  des  H^m 
Th.  S.  Flatau,  veranlaßt  worden,  an  der  Sitzung  teilzunehmen.  Diese 
gemeinsame  Sitzung  der  beiden  Gesellschaften  erregte  großes  Aufseilen, 
war  sie  doch  mit  einem  ganz  ungewöhnlichem  Apparat  in  Szene  gesetxt 
worden,  fand  sie  doch  in  der  Aula  der  hiesigen  Universität  in  Gegenwart  des 
Kultusministers,  des  Rektors  der  Universität,  zahlreicher  Lehrer  derselben» 
vieler  Sachverständiger  für  Musik  statt  und  nahm  an  ihr  doch  sogar  Seine 
Kaiserliche  und  Königliche  Hoheit  der  Kronprinz  teü.  Nach  fast  einstimmigeni 
Urteil  wurde  die  Erwartung,  die  man  an  eine  derartig  inszenierte  Sitzung 
knüpfte,  nicht  erfüllt.  Zum  Vergleich  seines  Verfahrens  mit  den  bekannteo 
hatte  Herr  Cervenka  u.  a.  ein  Grammophon  aufgestellt.  Es  wurd^ 
aber  die  Vermutimg  ausgesprochen  —  imd  diese  ist  bis  heute  noch  nickt 
als  unbegründet  von  Herrn  Cervenka  dargetan  —  daß  Herr  Cervenka 
nicht  die  besten,  damals  zugänglichen  Apparate  zum  Vergleich  herange- 
schafft  hätte,  sondern  minderwertige,  um  sein  eigenes  Verfahren  dadurch 
besser  erscheinen  zu  lassen.  Was  aber  die  Hauptsache  war:  es  wurde 
Herrn  Cervenka  öffentlich  vorgeworfen,  daß  er  sekundäre  Aufnahmen 
benutzte,  d.  h.  die  Sänger  nicht  unmittelbar  in  seinen  Apparat  hatte  hinein- 
singen lassen,  sondern  daß  er  Grammophonaufnahmen  von  Sängern  ver- 
wertete und  diese  Aufnahmen  mit  seinem  Apparat  zur  Reproduktion  bracht& 
Ja  es  wurde  behauptet,  daß  diese  Benutzung  sekundärer  Platten 
in  der  Aulasitzung  nicht  erwähnt  wurde,  daß  sich  Herr  Cervenka 
mithin  einer  Verschleierung  schuldig  gemacht  habe.  Tatsache 
ist  es  jedenfalls,  daß  nicht  einmal  Herr  Th.  S.  Flatau  vorher  wußte,  daß 
Herr  Cervenka  nur  sekundäre  Platten  benutzen  würde.  Hatten  schon 
vorher  einzelne  privatim  und  in  der  Presse  recht  abfällig  über  den  Wert 
des  Cervenka  sehen  Verfahrens  geurteilt,  so  entstand  jetzt  eine  Entrüstung, 
als  die  Benutzung  sekundärer  Platten  bekannt  imd  die  Verheimlichung  dieses 
Tatbestandes  hervorgehoben  wurde.  Der  wissenschaftliche  Wert  der  Sitzung 
wurde  bemängelt  und  auch  gegen  unsern  damaligen  Vorsitzenden  Herrn 
Th.  S.   Flatau,  der  die  Teilnahme  der  Psychologischen  Gesellschaft  ver- 


*)  Auinerkang:  Das  Vorstandsmitglied  Herr  Dr.  Möller  war  in  der  vorberettendea  Vor- 
standssitzung  und  in  der  Oeneralversammlong  wegen  damaliger  Abwesenheit  7on  BediB  nio^  *^ 
gegen  nnd  erklärt  nachträglich,  der  vorliegenden  Darstellong  seine  Zostimmanf  nkkfi  la  Jf^ 
Hinsicht  geben  zu  können. 


^^imft^s^eH^kU, 


38t 


it  halte,  w^uTden  Vorwürfe  wegen  seines  alliu  großen  Vertrauens  gegen 
Ccrvenka   in   der  GeÄellschaft  erhoben.     Es  wurde   eine   Agitation 
leitet,   um   seine  Wiederwahl   a{s  Vorsitzender  2U  verhindern   und   dem 
iigeti  Vorstand»  aus  dem  einzelne  vorher  ausgeschieden  waren*  in  der 
Versammlung    vom    19.    März    d.    J.    die    Entlastung    zu    verweigern. 
wurde  trotzdem  erteilt,  einige  Mitgheder  traten  aus,  und  Herr  Th,  S. 
II  wurde  als  Vorsitzender  wiedergewählt.     Nachdem  sich  Herr  Th.  S. 
u    Jahre    hindurch    große    Verdienste    um    die    Gesellschaft    erworben 
!,  Votinten    es   wohl   viele   nicht   begreifen,    daß    man    wegen    einer   ein- 
t^gcn    angreifbaren    Sitzung    moralisch    berechtigt    wäre,    die    Wiederwahl 
veigem.     Ganz   besonders   aber   fühlten   wir   uns   zur   Wiederwahl   des 
Th,   S.    Fla  tau   dadurch  veranlaßt*   weil   dieser  in  der  betreffenden 
ralversammiung  mitteilte,  er  würde   in  Kurie,  in   wenigen  Wochen,  in 
:fentliche   Diskussion   eingreifen,   die   ganze   Angelegenheit  würde   sehr 
klargesteljl    werden.      Die    Klarstellung   konnte   nur   dadurch    erfolgen, 
das    ganie    Verfahr  cn   in    ein  wandsfreier   Weise   demonstriert    und    die 
ngsfähigkeit  des   Verfahrens   bewiesen  würde.     Eine  dies  in   Aussicht 
de  Mitteilung  machte  Herr  Th.  S.  Fiat  au  auch  noch  am  2.  April  in 
besonderen  Erklärung,  da  er  einen  eigenen  Apparat  bei  Herrn  Cervenka 
It   halte    und   dieser    Herrn   Th.    S.   Fiat  au   von    Hefrn   Cervenka 
n  April  d.  J,,  spätestens  aber  für  Mitte   Mai  zugesagt  war.      Herr 
p.  Fiat  au  trat  sodann  am  30.  April  gemeinsam  mit  dem  früheren  Vor- 
freiwillig  von  seinem  Atnt  zurück,  um  bei  der  ganzen  Frage,  insbe- 
e  auch  bei  der  öffentlichen  Diskussion  freie  Hand  tu  haben,  beiw* 
^eüschaft  einen  neuen  neutralen  Vorstand  t\x  sichern, 
eil  Mitte  Mai  bis  heute  sind  nun  fünf  Monate  vergangen..     Mehrere 
ieder  der  Gesellschaft  waneten  auf  die  Demonstration.     Einige  wandten 
mich,   besonders   auch   Herr   Dessoir,  der   auf   einer   Klarstellung 
Angelegenheit  bestand.    Ich  setzte  mich  deshalb  schon  im  Mai  d,  J.  mit 
Th,  S.  Flatau  in  Verbindung,  und  er  erklärte  mir«  bald  auf  Grund 
Inefen  des   Herrn  Cervenka,  bald  auf  Grund  des  Augenscheins  — 
Th,  S.  Flatau  reiste  zweimal  nach  Prag  —  daß  sein  Apparat  so  gut 
fertiggestellt   sei.      Herr   Th.    S,    Flatau  glaubte    den    Versprechungen 
term    Cervenka    und    begegnete   diesem    mit    einem    Vertrauen»    das 
i  Erachtens  sehr  unbegründet  war.     Ich  konnte  das  Vertrauen  in  die 
htigkeit  des    Herrn   Cervenka   nicht   teücn.     Die  fortwährende    Hin- 
Liebung    des    Termins    machte    mich    und    den    Vorstand    mißtrauisch, 
innere  mich  noch,  daß  Herr  Th.  S.  Flatau,  als  ihm  Herr  Cervenka 
einmal  den  Apparat  für  Ende  August  fest  versprach,  mit  Sicherheit  die 
Isung  des  Versprechens  erwartete,  während  ich  meine  großen   Bedenken 
die   InncbaJtung  der  Zusage  Herrn  T  h,   S.   Flatau  aussprach,      ich 
deshalb  auch  der  Zusage  nicht,  die  Herr  Cervenka   Herrn  Th.  S. 
lu  gegeben  hatte,  er  wurde  nach  Berlin  kommen  und  den  Apparat  ein* 
rei  demonstrieren.     Um  aber  in  diesem  Funkte  sicher  zu  sein,  setiEte 
nich    mit    Herrn    Cervenka    auf    Vorstandsbeschluß    in    Verbindung. 
antwoncte    Herr    Cervenka    überhaupt    nicht,    dann    kam    auf    eine 
aphische  Anfrage,  die  ich  mit  bezahlter  Rückantwort  an  ihn  richtete, 
sn röstendem  Telegramm,  er  würde  sicher  kommen,  Termin  wurde  er  noch 

10* 


388  SiUungsbert'chie. 

mitteilen.  Dann  aber,  als  ich  ihm  schrieb,  ich  müßte  nun  endlich  wissen, 
wann  er  käme,  war  er  beleidigt  und  schrieb,  nun  komme  er  überhaupt  aicht; 
er  lehnte  es  glatt  ab,  vor  Sachverständigen  den  Apparat  zu  demonstrierea.*) 
Herr  Th.  S.  Fla  tau  reiste  schließlich  zum  zweiten  Male  nach  Png  und 
da  der  von  ihm  bestellte  Apparat  nicht  fertig  war,  so  brachte  er  den 
Apparat  (allerdings  ohne  Reproduktor)  mit,  mit  dem  Herr  Cervenka  an- 
geblich die  Vorführung  am  6.  Februar  bei  der  gemeinsamen  Sitzung  in 
der  Aula   der   Universität   gemacht  hatte. 

So  steht  die  Angelegenheit  heute.  Man  hafte  zweierlei  nach  den  Er- 
klärungen des   Herrn  Th.   S.  Fla  tau  erwartet: 

1.  daß  noch  im  Frühjahr  d.  J.  der  Wert  des  Cervenka  sehen  Ver- 
fahrens   einwandsfrei    demonstriert    werden    würde, 

2.  daß  auf  dieser  Basis  Herr  Th.  S.  Flatau  m  die  öffeotüche  Dis- 
kussion   eingreifen    würde. 

Beides  ist  bisher  nicnt  geschehen.  Herr  Th.  S.  Flatau  war  bisher 
nicht  in  der  Lage,  das,  was  man  ierwarteüe,  zu  tun,  und  er  wünscht  nun 
in  einer  Erklärung  die  Gründe  anzugeben,  die  ihn  hieran  verhindert  haben." 

Im  Anschluß  hieran  gibt  Herr  Th.  S.  Flatau  folgende  Erklänmgab: 
„1.  In  einer  Mitteilung,  die  ich  zu  Beginn  des  Sommer-Semesters  den 
Mitgliedern  habe  zugehen  lassen,  habe  ich  versprochen,  die  Angelegenheit 
der  Photophonographie  weiter  zu  verfolgen. 

Herr  Cervenka  hatte  in  bestimmte  Aussicht  gestellt,  mir  daiu  bis 
Mitte  Mai  einen  neuen  Apparat  zu  liefern.  Dies^  Frist  ist  nicht  eingehalten 
worden.  Ich  habe  im  Juni  mich  an  Ort  und  Stelle  überzeugt,  daß  der 
neue  Apparat  im  wesentlichen  fertig  war,  und  deshalb  —  der  Ablieferung 
ständig  gewärtig  —  mich  damals  darauf  beschränkt,  den  Vorsitzenden  jeweils 
über  den   Stand  der  Sache  zu  unterrichten. 

2.  Während  der  Ferien  hat  mich  Herr  C.  nun  benachrichtigt,  daß  eine 
weitere  Verzögerung  wegen  einer  nötig  gewordenen  Rekonstruktion  ein- 
treten würde.  Ich  habe  daher  Herrn  C.  die  schleunige  Einlösung  seines 
mir  und  der  Gesellschaft  gegebenen  Versprechens  dringend  nahe  gelegt 
und  ihn  ersucht,  da^u  alsbald  selbst  und  mit  seinen  eigenen  Apparaten 
nach  Berlin  zu  kommen. 

3.  Im  Verlaufe  dieser  Unterhandlungen  hat  mm  Herr  C.  mir  am 
23.   August    seinen    eigenen    Photophonographen   und  zwar  bis   zur  Fertig- 


*)  Ans  der  Antwort  des  Herrn  Cervenka  gebe  ich  folgende  charaktertttische  StaUtt  vW^< 
die  das  grOßte  Mißtranen  der  Vertreter  der  Wissenschaft  gegenfiber  allen  Aiypfrw  d»  B«r> 
Cervenka  rechtfertigen.  Mit  Beziehong  auf  die  Einlösung  seines  Vexsprechens,  den  kf^mXW- 
wandfrei  zn  demonstrieren,  erwidert  er:  ,,Ich  habe  die  Empfindung  bekommen,  daß  Sit  mir  ft«x 
znr  Pflicht  aufoktroyieren  wollen,  was  lediglich  ein  freiwilliges  £ntgegenk(munen  meinerMiti  mü 
kann."  Eine  Aasknnft  über  das  angeblich  bestehende  amerikanische  Syndikat,  das  seine  Erifarfv^ 
gekauft  haben  soll,  nnd  dosson  I^ettüng  verweigert  Herr  Cervenka.  Er  flhrt  dann  fort:  „l<^^ 
vor  allem  praktischer  Techniker,  der  in  erster  Linie  materieller  Vorteile  wegen  arbeitet,  der  ent  m 
zweiter  Linie  darauf  bedacht  sein  kann,  daß  auch  die  Wissenschaft  an  seinen  Arbeitan  Anteil  aiBot 
und  aus  denselben,  wenn  tunlich,  Nutzen  zieht. 

Keincsw^s  aber  bin  ich  geneigt,  meine  materiellen  Interessen  deshalb  ra  schidigen,  wnleiBif^B 
Vertretern  der  Wissenschaft  mein  Apparat  und  dessen  Leistongsflhigkeit  nicht  einleoaitan  will.  V»^ 
wohl  ich  daher  jodor  wissenschaftlicnen  Gesellschaft  nnd  jedem  Repräsentanten  detaelben  di«  p- 
bührende  Achtung  ontsrogonbriiiiro,  so  kann  ich  dennoch  aus  geschäftlichen  Gründen  menand  ^u 
Rocht  einräumen,  über  meine  Porson  nach  eigenem  Belieben  zn  verfügen  nnd  eine  Ingerenx  auf  dum 
privaten  Angelegenheiten  zu  nehmen.  _  ^_ 

Ans  diesen  eben  ariäroführten  Griinden  würde  ich  mich  selbstredend  anch  nicht  daia  miiMM 
können,  eine  Demonstration  vor  Sachverständigen  zu  halten,  weil  ich  mich  der  GeCshr  ^dlt  aaM^B* 
darf,  dem  wissenschaftlichen  mein  materielles  Interesse  zu  unterordnen.'* 


SitMungsberichte.  389 

(  meinigen  zur  Verfügung  gestellt,  so  daß  ich  erst  jetzt  in  der 

tigene  Aufnahmen  zu  machen. 

wünsche  ich  zu  erklären,  daß  ich  damit  Herrn  C.  von  der  Ein- 

IT  Zusage  nicht  für  entbunden  erachten  kann  und  daß  ich  Herrn 

er  auch  keinen  Zweifel  darüber  gelassen  habe. 

idem  jetzt  erst  die  notwendigsten  Prüfungsmittel  herangeschafft 

ke  ich  über  den  Verlauf  der  Arbeit  im  Winter-Semester  in  der 

zu    berichten, 
[nteresse  der  Gesellschaft  bedaure  ich  die  so  entstandene  nicht 
5   Verzögerimg.     Das   Verhalten   des   Herrn  Cervenka  gegen- 
sychologischen  Gesellschaft  muß  ich  aber  vom  Standpunkte  der 
fliehen  Forschung  und  Moral  auf  das  schärfste  vcrurteien." 
itrag   des    Herrn   Dessoir  wird  mmmehr  folgender    Beschluß 

Psychologische  Gesellschaft  schließt  sich  dem  in  der  Erklärung 
Ih.  S.  Fiat  au  ausgesprochenem  Urteil  über  Herrn  Ccrvenkas 
ollständig  an.  / 

gegen  Herrn  Cervenkas  Vorführung  vom  6.  Februar  1903 
nele  d«r  gegen  seine  Erfindung  gerichteten  Angriffe  bleiben 
it  der  Psychologischen  Gesellschaft  so  lange  zu  Recht  bestehen, 
.  den  Beweis  ihrer  Unrichtigkeit  geführt  haben  wird. 
Vorstand  der  Psychologischen  Gesellschaft  wird  ermächtigt,  die 
Darstellung  des  Vorsitzenden,  die  Erklärung  des  Herrn  Th.  S. 
1  die  vorstehenden  Beschlüsse  der  Generalversammlung  zu  ver- 

:iner  längeren  Diskussion  erfolgt  der  Schluß  der   Sitzung  nach 


Schluß  an  vorstehenden  Sitzungsbericht   erhielten  wir  folgendes 
idt: 

Sehr  geehrte  Redaktion! 

er  außerordentlichen  Generalversammlung  vom  15.  Oktober  d.  J. 
i  den  Vorstand  die  Auskunft,  daß  das  Verfahren,  vermittelst 
ie  die  menschliche  Stimme  zu  fixieren  und  auf  diesem  Wege 
>duktion  zu  bringen,  bereits  im  Jahre  1900  von  einem  Herrn 
incinnati  der  American  Graphophone  Company  zum 
eboten,  von  der  Gesellschaft  aber  abgelehnt  worden  ist. 
misch  des  Vorstandes  bitte  ich  vorstehende  Zeilen  freundlichst 
itschrift  aufzunehmen. 

HocliachtungsvoU  und  ergebenst 

Dr.  Albert  Moll, 

Vorsitzender    der   Psychologischen   Gesellschaft 

zu  Berlin. 


Psychologische  Gesellschaft  zu  Breslau. 

a.  Jahresbericht  1902/3. 

1.  Mitgliedschaft:  Auch  im  vergangenen  Vereinsjahr  hatte  die  Ge- 
sellschaft einen  Zuwachs  an  Mitgliedern  zu  verzeichnen.  Der  Bestand  an 
Mitgliedern  betrug :  Zu  Anfang  des  Arbeitsjahres  i  Ehremnitgiied,  43  ^' 
dentliche  und  9  außerordentliche  Mitglieder;  beim  Schluß  i  Ehrenmitglied, 
50  ordentliche  und  10  außerordentliche  Mitglieder.  Die  Mitglieder  setzen 
sich  ( zusammen  aus  Universitätslehrern  verschiedener  Fakultäten,  i^a^ 
Ärzten,  Juristen,  Lehrern  usw.  Als  außerordentliche  Mitglieder  finden  Stu- 
denten Aufnahme. 

2.  Vorstand:  In  den  Generalversanunlungen  vom  13.  Januar  uiui 
3.  Februar  1903  wurden  in  den  Vorstand  gewählt: 

Privatdozent  Dr.  L.  William  Stern  (Vorsitzender), 

Privatdozent  Dr.  Storch  (stellvertretender  Vorsitzender), 

Rechtsanwalt  Dr.  Kurt  Steinitz  (Schriftführer), 

Taubstummenlehrer  Ulbrich  (Kassenwart), 

Assistenzarzt   Dr.  Kr  am  er   (Bibliothekar). 

3.  Sitzungen:  Es  fanden  11  wissenschaftliche  Sitzungen  statte  die  k^^' 
meist  einem  Vortragscyklus:  „Die  Seele  des  Kindes"  gewidmet  warc^** 
Die  Tagesordnungen  waren  im  einzelnen: 

i)  28.  10.  1902.    Privatdozent  Dr.  W.  Stern:  Die  Psychologie  des  Kind^^ 
als  theoretische  Wissenschaft:   Genetische  Psychologie. 

2)  II.  II.  1902.    Derselbe:    Die    Psychbk>gie  des   Kindes  als   angcwawi-^^^ 

Wissenschaft:  Pädagogische  Psychologie. 

3)  2.  12.  1902.    Privatdozent  Dr.  Thilemich:  Die  körperlichen  und  Mili^^* 

Einflüsse  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Kindespsyche.       ^ 

4)  16.  12.  1902.    Provinzialschulrat  Dr.  Ostermann:  Das  Interesse;  ^'■^ 

Kapitel  aus  der  Psychologie  des  Unterrichts. 

5)  13.     I.  1903.    Nervenarzt  Dr.  Kramer:    Die  Schulermüdung  und  ü»-^^ 

Messung. 

6)  3.     2.  1903.    Ohrenarzt  Dr.  Goerke:  Probleme  der  Kindessprache. 

7)  27.     2.  1903.    cand.   phil.    Otto    Lipmann:   Praktische  Ergebnisse  ^^ 

experimentellen   Untersuchungen   des   Gedächtnisses. 

8)  21 .    4.  1903.  J  Taubstummenlehrer  Ulbrich:  Die  Psychologie  des  tau^- 

9)  5*     5-  ^903.  \  stummen  Kindes. 


S^mngib^mckle. 


991 


lo* 


erdcm   fanden  zwei   Referatabende  statt; 

3.  J903.    Bericbte  der  Herren  Dr,  K  r  a  m  e  r  und  L  i  p  m  an  n  über 

t  neuere   Arbeiten    zur    Tierpsychologie    von    Forel,    Uex* 

küU  u,  a. 
.  4.  1903,  Bericht  des  Hemi  Referendars  Dr.  Hamburger  über: 
Simiuel,  Philosophie  des  Geldes. 
ber  die  unter  Nr*  l*-7  aufgeführten  Vorträge  sind  in  diesem  Jahres- 
t  Referate  der  Herren  Vortragenden  beigegeben.  Die  unter  Nr.  10  und 
mtgcfiihrten  Vorträge  (Ulbricb)  sollen  in  der  Zeitschrift  für  pädagogische 
Chologie  und  Pathologie  veröffentlicht  werden,  Vortra|f  7  (Lipmann)  ist 
lern  Journal  tut  Psychologie  und  Neurologie  von  Vogt  und  F  o  r  e  l, 
id  U,  S.  108—118,  erschienen. 

4.  Publikationen:  Die  bisher  in  Einielheftcn  erschienenen  7 Vortrage 
dem  Zyklus  des  Jahres  1899/1900:  ,,Die  Entwicklung  der  Psychologie 
I verwandter  Gebiete  des  Wissens  und  Lebens  im  19.  Jahrhundert**  werden 
P^anuar  1904  vom  Vertage  von  Hermann  Walther  in  Berlin  ah 
p  m  e  1  b  a  n  d    herausgegeben    werden, 

5,  Die  Bibliothek.  Die  Bibliothek  konnte  im  Berichtsjahre  zum  Teil 
■eigenen  Mitteln^  t\m\  Teil  aus  Schenkungen  und  Überweisungen  eine 
i  unwföeniliche  Bereicherung  erfahren.  An  Zeitschriften  werden  nun* 
r  gehalten: 

I  I,  Zeitschrift  für  pädagogische  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene 

^(Kemsies  und  Hirschlaff)* 

2.  Zeitschrift  für  Psychologie  und  Physiologie  der  Sinnesorgane  (E  b  - 
bjnghaus  und  Nagel). 

3.  Archiv  für  die  gesamte  Psychologie  (M  e  u  m  a  n  n). 

4.  Beiträge  zur  Psychologie  der  Aussage  (Stern). 

Bei   den   Neuerwerbungen  wurden  zunächst   die  bisher   noch  fehlenden 
Beren,  allgemeinen  psychologischen  \\''erke  von  W  u  n  d  t ,  F  e  c  h  n  e  r  etc., 
iinn    dem    Vortragszyklus    entsprechend    kindespsycbologische    Litteratur 
ftm payrd,   Ameni,    Stanley    Hall    etc.)    berücksichtigt. 

Privat  t 
Vrivati 

^*  b,  VoTtragsberjchte, 

Stern,    Die  Kindespsychologie  als  theoretische  WisseitschafL 

(Genetische  Psychologie.) 
Kaum   jemals  hat  sich  eine  Kulturepoche   mit  so  bewußter  Starke  dem 
b  gewidmet,  mit  solcher  Sehnsucht  im  Jungbronnen  der  Kindesseele  die 
ting    von    G reise nhaftigkeit    und    D^cadence    gesucht,    wie    unser    „Jahr- 
Icrt    des    Kindes"       Galt    früher    als    Haupi  aufgäbe,    aus    dem    Kinde 


Psychologische  Gesellschaft  zu  Breslau. 

L  A,: 

rivatdozent  Dr.  W^  Stern«  Rechtsanwalt  Dr.  K.  S  t  e  1  n  i  t  z  ^ 

Höfchenstr,   101.  Antonienstr,  23. 

^rivatdozent  Dr*  E.  Storch,  Tau hstummenl ehrer  Ulbricht 

Assistenzarzt  Dr.  Kramer. 


392  Sitzungsberichte. 

einen  braven  Erwachsenen  zu  machen,  so  treten  hierzu  jetzt  zw«  neue 
Betrachtungsweisen:  man  lernt  die  Kindheit  als  Selbstwert  achten  md 
verstehen,  und  man  sieht  in  ihr  die  Brücke  zu  neuen  Zukunftkulturen. 

Mit  diesen  kulturellen  Strömungen  verband  sich  die  in  allen  wissen- 
schaftlichen Bestrebungen  herrschende  evolutionistische  Betrachtungsweise, 
um  eine  Wissenschaft  von  der  Kindesseele  in  die  Wege  zu  leiten.  Sie  ist 
als  theoretische  Wissenschaft  die  Lehre  von  dem  Entwicklungsprozeß  der 
psychischen  Funktionen  im  Individuum,  also  genetische  Psychologie,  als 
angewandte  Wissenschaft  die  Lehre  von  der  möglichen  und  nötigen  Ein- 
wirkung auf  die  Kindesseele,  also  pädagogische  Psychologie.  Beide  Ge- 
biete sind  zur  Zeit  auch  noch  dadurch  ziemlich  getrennt,  daß  die  theoretisch- 
genetische  Forderung  sich  ganz  vorwiegend  den  ersten  Lebensjahren,  die 
pädagogische  Betrachtung  aber  dem  Schulalter  zuwandte.  Hier  ist  eine 
gegenseitige  Annäherung  sehr  zu  wünschen. 

Die  Methoden  der  Kindespsychologie  lassen  sich  zunächst  nach  den 
angewandten  Hilfsmitteln  gruppieren.  Die  Erinnerung  an  die  eigene  Kind- 
heit ist  bei  Erwachsenen  noch  viel  unzuverlässiger  als  sonstige  Erinnerungs- 
inhalte; es  sind  daher  Autobiographien  etc.  nur  mit  größter  Vorsicht  zu 
benutzen.  Von  Kindern  geführte  Tagebücher  würden  wertvollen  Stoff  geben, 
sind  aber  dem  Forscher  kaum  je  zugänglich.  Die  Hauptmethode  ist  die 
direkte  Beobachtung  des  Kindes  oder  der  Kinder  durch  den  Psychologen, 
sei  es,  daß  man  ihre  spontanen  Seelenäußerungen:  Handlungen,  Spiele, 
Erzählungen  usw.  registriert,  oder  daß  man  sie  experimentell  durch  g^ 
stellte  Fragen,  schriftliche  Aufgaben,  Darbieten  bestimmter  Sinnesreize,  Vor- 
legen von  Bildern,  Erzählenlassen  usw.  unter  kontrollierbare  und  meßbare 
psychische  Bedingungen  bringt.  Hier  liegt  in  der  Deutimg  der  kindlichen 
Ausdrucksbewegungen  und  Handlungen  auf  Grund  des  subjektivistischen 
Analogieschlusses,  namentlich  bei  den  niederen  Altersstufen,  eine  gefahr- 
liche methodologische  Klippe,  an  der  nicht  nur  Mütter  xmd  Ammen,  son- 
dern auch  oft  genug  Psychologen  und  Pädagogen  scheitern;  so  daß  die 
Kindespsychologie,  diese  „scientia  amabilis**  (Stumpf),  zugleich  eine  „scientia 
difficilis**  ist.  Die  in  Amerika  beliebte  Methode  der  Massenstatistik  auf 
Grund  von  Fragebogen  ist  als  wissenschaftlich  unzureichend  zu  beanstanden. 

Nach  den  Problemstellungen  ist  das  Verfahren  entweder  analytisch 
oder  synthetisch.  Das  analytische  Verfahren  sucht  eine  bestimmte  Einxd- 
funktion  der  kindlichen  Psyche  in  ihrer  Eigenart  festzulegen:  hierher  g^ 
hören  die  Untersuchungen  über  das  Gedächtnis,  die  Kombinationsfähig' 
keit,  die  Suggestibilität,  die  Sprache  in  einem  bestimmten  Zeitpunkt  usw. 
Das  synthetische  Verfahren  bedient  sich  entweder  einer  sukzessiven 
Synthesis :  d.  h.  es  verfolgt  em  Kind  oder  eine  Funktion  in  der  Sukzession 
der  Entwicklungsstadien  (hierher  gehören  alle  eigentlich  biogp'aphbchen  Unter- 
suchungen, wie  die  von  Preyer,  und  genetische,  wie  die  von  Ament)  — 
oder  sie  bedient  sich  einer  Simultansynthesis,  d.  h.  sucht  für  einen  bestimmten 
Zeitpunkt  eine  Darstellung  des  gesamten  psychischen  Habitus  des  iSndes 
nach  all  seinen  Hauptfunktionen  und  Eigenschaften  zu  geben:  hierher  g^ 
hören  die  sogenannten  TestS;  oder  Individualitätsprüfungen  (Binet  und  afldere)r 
zu  denen  heute  freilich  die  Zeit  noch  lange  nicht  reif  ist.  — 


Simum^&eri^ki^* 


393 


An  der  SpiUe  aller  Probleme  der  Kindespsychologie  sieht  die  Frage 
dea  Faktoren  der  paycJiischen  Emwicktung,  insbesondere  nach  dem 
den  Innen  und  Außen  an  dem  Werdegang  der  Psyche  hat.  Der 
*  wischen  Nativismus  und  Empirismus  tritt  hier  in  psycho!  ogi* 
ande  auf  und  wiederholt  sich  bei  jedem  EinielprobleTn»  bei  der 

nach  der  Sprachentwicklung,  der  Entwicklung  des  Spiels^  dem  Ur- 
g  der  Raumanschauung,  der  ethischen  Entwicklung  usw.  Als  die 
II  Exstreme  stehen  sich  entgegen:  der  Naiivismus,  der  das  Kind  mit 
ij  psychischen  Besttmintheiten,  mit  „angeborenen'*  Vorstellungen,  mit 
riatischen  Denkfunktionen,  mit  einem  durchaus  determinierten  Charakter 
1  auf  die  Welt  kommen  läßt  und  daher  die  pädagogische  Beeinfluß- 
il  gering  anschlägt  —  auf  der  andern  Seite  der  Empirismus^  der  in 
eele  eine  ursprünglich  leere  Tafel,  einen  indifferenten  Aufnahmeapparat 
inßere  Eindrücke,  einen  passiven  Spielbatl  äußerer  Einflüsse,  einen 
fthmungsmechanismus  und  daher  ein  Objekt  unbegrenzter  Erziehungs- 
chkeiten  sieht.  Seitdem  wir  gelernt  haben,  das  Wesen  des  Seelischen 
r  Tätigkeil  zu  sehen,  zeigt  sich  immer  mehr,  daß  die  Wahrheit  bei 
tn  der  beiden  extremen  Standpunkte  liegen  kann.  Die  seelische  Ent- 
Eing  ist  Entfaltung  von  gegebenen  inneren  Anlagen  und  Tätigkeit s- 
tizen,  aber  die  spezielle  Richtung  und  Stärke  der  Betätigung  hängt  in 
ti  Maße  von  den  äußeren  Bedingungen  und  Einflüssen  ab,  auf  welche 
innere  Tätigkeit  zu  reagieren  hat.  „Die  Sprache  übernimmt  das  Kind 
lußen,  das  Sprechen  muß  es  selbst  dazu  bringen/'  so  ungefähr  for- 
rte  Steinihal  schon  den  Gesichtspunkt.  Die  besondere  Aufgabe  der 
Esforschung  wird  aber  darin  m  bestehen  haben,  für  jede  einzelne  Funk- 
Etas  V^'erhäitnis  %'on  Spontaneität  und  Rezept ivitat  des  Näheren 
Stimmen,  Vortragender  illustriert  dies  an  Beispielen  aus  der  Ent- 
ging der  Raumanschauung,  der  Sprache,  der  Furchtaffekte  und  des 
fehmungstriebes. 

lin  zweites  Hauptproblem  ist  das  biogenetische.  Besteht  zwischen 
Üentwicklung  (Ontogenesis)  und  Gattungsentwicklung  (Phylogenesis)  im 
tischen  eine  ähnliche  Parallele,  wie  sie  ün  Biologischen  seit  Haeckel 
lommen  wird?  Man  hat  oft  genug  eine  solche  Parallele  zwischen  Kin- 
und  Natur%^ölkem,  Altersstufe  und  Kulturstufe  (Ziller),  Mythos  und 
ben,  Spracbentwicklung  im  Kinde  und  in  der  Menschheit  (Ament)  ge- 
t;  man  hat  andererseits  wieder  alle  derartigen  Analogien  in  das  Bereich 
^abel  gewiesen.  Vortragender  sieht  die  Lösung  in  der  Verbindung  des 
fems  mit  dem  Vorangegangenen.  Sofern  die  individuelle  Entwicklung 
>tiv  ist,  kann  eine  Parallele  zur  Gattungsentwicklung  schon  deswegen 

bestehen,  weil  das  Milieu,  unter  dessen  Einflüssen  das  Kind  sich 
ekelt,  ein  ganz  anderes  ist,  als  dasjenige,  in  welchem  etwa  der  Natur^ 
:h  sich  entwickelt.  Das  Kind  übernimmt  fortwährend  fertige  Stoffe 
Entwicklungsstufen,  die  höher  sind,  als  es  selbst,  während  für  den 
flnenschen  seine  Entwicklungsstufe  die  zeitweilig  höchste  ist.  Anders 
[en  in  der  spontanen  Komponente  der  Entwicklung.  Hier  ist  in 
Bt  anzunehmen,  daß  für  alle  psychischen  Entwicklungen,  mögen  sie  onto- 
5ch    oder    phylogenetisch    sein    ein    allgemeines    Sukzessionsprinzip    be- 

auf    Grund   dessen    die    einzelnen    Stadien,    Anlagen    und    Tendenzen 


394  SiitungsbtrichU, 

aus  der  Latenz  in  die  Wirklichkeit  treten.  Dies  Priniip  wäre  dann  da^ 
biogenetische  Grundgesetz.  Diese  Auffassung  wird  durch  Beispide  a^ 
der  Sprachentvdcklung  belegt. 

Ein  drittes  Problem  ist  das  strukturelle.  Die  Struktur  des  fertigest 
Seelenlebens  wird  von  der  allgemeinen  Psychologie  oft  sehr  nusdeut^^« 
indem  vor  allem  die  Elemente,  welche  die  Analyse  aufieigen  kann,  9A2 
ursprüngliche  genetische  Elemente  angenommen  werden.  So  wurden  laa:B' 
Zeit  die  Worte  als  die  ursprünglichen  Konstituenten  der  Sprache  an^^ 
sehen,  bis  die  Kindespsychologie  den  Nachweis  führte,  daß  im  Anümg  (S.< 
Satz  und  nicht   das  Wort  stehe.   — 

W.  Stern.    Die  Kindespsychologie  als  angewandte  Wissenschst^ 
(Pädagogische  Psychologie.) 

Der  erste  Teil  des  Vortrags  behandelt  die  prinzipielle  Möglichkeit  fr^Li^ 
pädagogischen  Psychologie,  ihrer  Berechtigung  und  ihrer  Grenzea  Vm:^ 
tragender  macht  Front  sowohl  gegen  den  Psychologismus,  der  alle  E: 
ziehungs-  und  Unterrichtsfragen  mit  psychologischem  Experimentieren  uxa 
Analysieren  glaubt  erschöpfend  beantworten  zu  können,  wie  gegen  den  £  s 
tuitionismus,  der  Routine  und  Takt  für  die  allein  notwendigen  Werl:- 
zeuge  des  Pädagogen  ansieht.  (Eine  genauere  Erörterung  haben  diese  C^e 
dankengänge  inzwischen  gefunden  in  der  Abhandlung:  Angewandte  Ps^clxo- 
logie.    Beiträge  zur  Psychologie  der  Aussage  I,  i.) 

Der  zweite  Teil  gab  einen  Überblick  über  das  Arbeitsgebiet  der  päda- 
gogischen  Psychologie.     Da   das   Wesen  des   Seelischen   in   der  AkÜTiut 
liegt,  kam  zuerst  diese  nach  Qualität  und  Quantität  zur  Erörterung.    Qualiti^ 
steUt  sich  die  psychische  Tätigkeit  dar  in  den  verschiedenen  Stufen:  ReflOr 
Trieb,   einfache   Willenshandlung,    Wahlhandlung,    Vemunfthandlung;  die 
psychische  Entwicklung  durchläuft  diese  Stufe  nach  beiden  Richtunsen: 
während  die   Gesamtpersönliohkeit  sich  inmier  mehr  aus  dem  Reflex  und 
Triebleben    zu    bewußtem    Überlegen    und   vernünftigem   Wollen   entfoltrt» 
werden  fortwährend   einzelne   Funktionen   dem   umgekehrten   Prozeß  vaAfX 
zogen,  sie  werden  aus  bewußten  Taten  zu  mechanischen  Reflexen  (Obus* 
Gewöhnung,    Mechanisierung).     Die    Pädagogik    wird    hierdurch    vor  ( 
schwere    Aufgabe   gestellt,    einem   doppelten    Ziel    zu    dienen:   sie  muß 
steigende   Se  IIb  ständigkeit  des   Tuns  in  gewissen  Beziehimgen,  zugl 
aber  die  steigende  Selbstverständlichkeit  des  Tuns  in  anderen  Bear 
gen  herbeizuführen  und  zu  unterstützen  suchen.  —  Die  quantitative  l 
suchung  der   psychischen   Tätigkeit   führt   zu  den  bekannten   Fragen 
Grad,   Umfang  und   Schwankungen  der   Leistungsfähigkeit   und  den 
verbundenen    Überbürdungs-   und    Ermüdungsproblemen. 

Es  wurden  sodann  die  pädagogisch-psychologischen  Untersuchur 
Gebiet   der  Anschauungssphäre,   der  ästhetischen   Interessen,   des  ( 
nisses  und   Lernens,   der   Erinnerung  und  Aussage   der  Reihe  nac 
gegangen   und   zum   Schluß   auf  die   große   Wichtigkeit   des   diffe 
Problems  hingewiesen,  das  auf  Kenntnis  der  individuellen  Differer 
und  der  Typenbildungen  und  auf  Herausarbeitung  zuverlässiger,  diaf 
Prüfungsmittel  geht. 


Sittun^jAerickie, 


305 


'hl  ein  ich*     Körperliche  und  Milieiieinflüsse  auf  die 
Kiudespsyche. 

Vortragender  engt,  indem  er  als  Ann:  diese  Fragen  zu  besprechen  unter- 
mmt,  das  weitschichtige  Thema  von  vornherein  so  ein.  daß  er  nur  die 
thologische   Seite    betrachtet. 

Von  körperlichen  Einflüssen  auf  die  Psyche  ist  neben  den  eigentlichen 
liirnerkrankungen  mit  und  ohne  Lähmung  derjenigen  Organe  und  Systeme 
g-cdenken,  welchen  ein  Einflub  auf  die  Funktion  des  Großhirns  zu* 
ehxhi.  Dahin  gehört  in  erster  Reihe  die  Schilddrüse,  deren  mangelnde 
sl>ildung  eine  tiefe  Alteration  des  Geisteslebens  hervorbringt,  die  wir 
epidemischen  und  sporadischen  Kretinismus  und  als  Myxoedem  kennen. 
eK  die  übermäßige  Vergrößerung  der  Lymphapparate  des  Nasenrachen- 
Lixics  und  die  davon  abhängige  Behinderung  der  Nasenatmung  fuhrt 
cgentlicb  lu  psychischen  Abnormitäten, 

Viele  fieberhafte  Erkrankungen  lassen  schon  nach  kurier  Dauer  mit- 
ter eine  gewisse  Erschöpfung,  eine  reizbare  Schwäche  zurück,  die  den 
^tindcbarakter  der  Neurasthenie  ausmacht.  Zugleich  mit  der  körpcr- 
t%eii  Genesung  heilt  dieser  Zustand  gewöhnlich,  wenn  sich  nicht  Schädi- 
Ugcn  durch  das  Milieu  hinzugesellen. 

Diese  schädlichen  Milieueinflüsse  bestehen  in  der  Hauptsache  darin^ 
^  die  subjektiven  Klagen  und  Beschwerden  der  Kinder  ungebührlich  be- 
icksichtigt  und  dadurch  vermehrt  und  fixiert  werden.  Daraus  entsteht 
'*ie  unkindliche  fast  hypochondrische  Selbstbeobachtung  und  ein  krank- 
*ftes  Vergnügen  am  Kranksein  und  Cepflegtwerden^  das  sogar  zum  Aus- 
^tuche  manifester  Hysterien  bei  Kindern  vor  dem  schulpflichtigen  Alter 
Eihren  kann. 

Besonders  bei  reizbaren  lebhaften  Kindern  mit  jähem  Stimmungs- 
wechsel ist  die  Pflicht  der  Erziehung  *—  nicht  nur  der  beabsichtigten, 
ondem  der  durch  Beispiel  und  Milieu  wirkenden  —  eine  möglichst  gleich- 
tlßig  ruhige,   beruhigende. 

istertnann.     Das  Interesse:   ein  Kapitel  ans  der  Psychologie 

_  des  Unterrichts* 

^fOet  Vortragende  sprach  sunächst  über  den  Zusammenhang  der  Psycho- 
gie  und  des  Unterrichts  im  allgemeinen  und  erörterte  diesen  Zusammen- 
mg  dann  des  näheren  an  dem  Beispiel  des  .Jnteresses"  —  an  der  Hand 
tlfender  Frsgen:  i.  Was  ist  Interesse?  3.  Wie  ist  das  Interesse  psycho- 
gtsch  lu  deuten?  3.  Welche  Bedeutung  hat  das  Interesse  für  das  übrige 
eistesleben?     4,  Wie  kann  der  Unterricht   Interesse  erregen? 

»I.  Eine  Sache  ,, interessiert**  uns,  d.  h.  negativ  ausgedrückt:  sie  ist 
nicht  gleichgültig,  positiv:  wir  messen  ihr  irgend  welchen  Wert  bei 
ijeuiisch:  j^mea  mierest**,  d-  h.  mir  ist  an  einer  Sache  gelegen).  Interesse 
t  also  Wertbe wußtsein,  Wenschälzung.  Diese  bewegt  sich  in  rwei  ent* 
Sgengc^et^ten  Richtungen,  sofern  das,  was  interessiert,  uns  entweder  ge* 
ilti  oder  tnißfällff  daher  den  Willen  entweder  anzieht  oder  abstößt*  Zwischen 
icsen  beiden  Polen  (des  positiven  und  negativen  Interesses)  liegt  das  Ge- 
iet  des  Gieichgültigen, 

3.    Psychologisch    hängt    das    Interesse   auf   das   engste  xusammen   mit 


396  Säzumg^AeridUe. 

dem  Gefühl,  durch  das  wir  ursprunglidi  allen  Wert  und  Unweit  in  Lust 
und  Unlust  innewerden.     Einem  v^g  gefühllosen  Geiste  würde  die  ganze 
Welt  seines  äußeren  und  inneren  Lebens  interesselos,  gleichgültig  sein.  Das 
Interesse  geht  in  den  ersten  Entwicklongsstadien  der  Kindessede  gam  10^ 
Gefühl  auf.     Auch  in  dem  ausgebildeten  Geistesleben  fällt  es  vidbch  noch 
mit  dem  Gefühl  zusammen,  wächst  hier  dann  aber  auch  in  das  Gebiet  des 
Intellektuellen  hinein,  indem  das  ursprünglich  im  Gefühl  Erlebte  ^ontdkad 
reproduziert   wird  („Werterinncrung"),   und  weiterhin  —  unter  dem  Einfluß 
der  Erfahrung  und  Bildung  —  die  Wertempfindungen  und  Werterinnenmgen 
zu  Wertbegriffen  und  Wertmteilen  sich  abklären.     Das   gilt  gleicherweise 
für  die  niederen  (siimlichen),  wie  für  die  höheren  (ethischen,  intelldttueUexi 
etc.)    Interessen,   was   der   Vortragende  an   mehreren   Beispielen  nachweist. 

3.  Das  Interesse  ist  für  das  übrige  Seelenleben  von  großer  Bedeotong? 
und   zwar   a)   für   das   Vorstellen  und   Denken,   indem   es  zahlreiche  Vor- 
stellungsAssociationen  stiftet  tmd  in  weitem  Umfange  das  Gedächtnb,  die 
Reproduktion  und  die  Aufmerksamkeit  bedingt;  b)  für  das  Wollen,  weldes 
—  wenn  auch  noch  an  anderen  Voraussetzungen  gebunden  —  doch  stets 
durch  irgend  welches  Interesse  motiviert  wird.     Daraus  ergibt  sich  unmittel- 
bar die  pädagogische  Wichtigkeit  des  Interesses  sowohl  für  die  intellektuelles 
Erfolge  des  Unterrichts  wie  für  dessen  erziehliche  (den  Willen  bestimmende) 
Wirkungen.     Für  die  sittliche  Bildung  beansprucht  das   Interesse  geradezu 
die   Bedeutung   eines   pädagogischen  Kardinal-Prinzips.     So  gewiß  die  Er- 
ziehung nicht  bloß  zwangsweise  dressieren,  sondern  das  Kind,  je  mehr  es 
heranreift,  desto  mehr  zu  freigewoUter  Ausübung  des  Guten  anleiten  soll 
so  gewiß  ist  es  eine  ihrer  vornehmsten  Aufgaben,  in  dem  Herzen  des  Kindes 
warmes  Interesse  für  alles  Gute  zu  wecken,  woraus  allein  der  Wille  Äntiieb 
und  Kraft  zu  freier  Wahl  des  Guten  um  des  Guten  wUlen  schöpft.    Hienu 
kann   auch   der    Unterricht,   wennschon   die   Einflüsse   der   Vererbung,  des- 
Milieus   und   der   Familienerziehung  mächtiger  sind,  vieles   beitragen. 

4.  Der  Unterricht  erregt  des  Kindes  Interesse,  wenn  er  nicht  bloß  den 
Kopf,  sondern  auch  das  Gefühl  beteUigt  („Wenn  ihr 's  nicht  fühlt,  ihr 
wcrdet's  nicht  erjagen").  Dazu  ist  erforderlich,  daß  der  Lehrer  a)  Äe 
Schüler,  wo  irgend  möglich,  selbst  tätig  sein,  selbst  suchen,  finden,  reden, 
zeigen,  experimentieren  läßt  (Freude  am  eigenen  Können) ;  b)  alles  zu  Uarstem 
\>rständnis  bringt  (Freude  am  Erkennen);  c)  solche  Stoffe  auswählt,  die 
ihrer  Natur  nach  das  kindliche  Gemüt  ansprechen  (im  naturkundlichen 
Unterricht  das  Lebendige,  im  Geschichtsunterricht  das  Persönliche,  im  R^ 
ligionsunterricht  das  Beispiel  etc.) ;  d)  für  die  Phantasie,  wo  sie  beteiligt  ist. 
die  Ereignisse,  Situationen  etc.  nach  Art  des  Dichters  so  anschaulich  tos- 
mnlt,  daß  das  Kind  im  Geiste  alles  schaut  und  miterlebt;  e)  durdi  freund- 
liche Behandlung  und  wannen  Lehrton  die  Herzen  der  Kinder  aufschließt 

Kram  er.  Die  Schulermüdung  und  ihre  Messung. 
Die  Ermüdung  kann  auf  zweierlei  Weise  gemessen  werden,  etninal  in- 
dem man  sie  direkt,  d.  h.  die  Abnahme  der  Leistungsfähigkeit  fnr  tJaea 
bestimmton  Gegenstand,  mißt,  oder  indirekt,  indem  man  einen  der,  die 
Ermüdung  begleitenden,  von  ihr  in  bestimmter  Abhängigkeit  stehendcB  Fak- 
toren bestimmt.     Die  crstere  Art  hat  den  Nachteil,  daß  es  besoodeB  fir 


Siittttign&fr^M, 


3m 


die    bohcien    geisttgeti    Täligkcjten    schwer    ist,    ein    quantitatives    Maß    su 
fmd^i;  die  auf  dem  anderen  Prinzip  basierenden  Methoden  setzen  voraiis, 
^^  der  «11  Messung  benutzte  Indikator  in  strenger  und  bekannter  Abhängig- 
keit  von  der    Ermüdungsgröße   steht    und    bei    den   Versuchen   von    keinem 
•imUren  Einflüsse  berührt  wird.     Die  letzteren  Methoden  setzen  also  bereits 
emc  direkte   Ermüdungsmessung  voraus  und  verlangen  eingehende  methodo- 
't^liische   Voruntersuchungen,      Dies   ist   jedoch   bei    den   meisten   derartigen 
untersuch  im  gen   vernachlässigt  worden,      in   diesem  Sinne  werden   die  nach 
P^    E.jgtigraphennjethode   (Mosso    u.  a.)   und   die   nach    der    Griesbachschen 
Aithes^iometermeLhode  erhaltenen  Resultat©   einer  eingehenden  Kritik  nnter- 
^^Jgen^   die    dar  LI    führt,    daß   alle    aus    diesen    gezogenen    Schlüsse   durchaus 
iurht   einwandsfrei    sind    und  daß   überhaupt   die    Brauchbarkeit   dieser    Mt- 
"^*JÜea   lur    Ermüdungsmessung    ?ehr    in    Frage   sieht. 

Von  den  Ermüdungsmessungen,  die  die  Abnahme  der  psychischen 
*-ctisttjfigsfäbigkeit  direkt  bestimmen,  werden  leuer^t  die  Rechen-  und  die 
^^'^dachtnismethode  behandelt.  Hier  sind  die  historisch  wichtigen  Unter- 
^Hingen  von  Burgerstein  lu  nennen;  ferner  nebtjn  anderen  weniger  be- 
kenswerten  die  umfangreichen  Experimente  aus  dem  Kraepelin'schen 
^boratortum.  So  interessante  Ergebnisse  diese  in  vielen  psychologischen 
^ituelf ragen  au£  dem  Ermüdungsgebiete  gebracht  haben^  so  entfernt  sich 
*loch  die  Methodik  von  dem,  worum  in  der  Schule  es  sich  handelt,  alljtu- 
^thr,  um  auf  die  hier  vorliegenden  Verhältnisse  unmittelbare  Schlüsse  lu 
erlauben.  Die  vielfach  auf  Grund  dieser  Untersuchungen  gestellten  prakti- 
Kben  Forderungen  müssen  lEum  großen  Teile  als  etwas  voreilig  bezeichnet 
Werden«  Vor  allem  wird  man  den  sowohl  an  der  Kräpel in' sehen  Schule, 
al»  von  Griesbacb  gehegten  starken  Befürchtungen  über  die  Schädigung 
der  Schüler  durch  den  Schulunterricht  nicht  ohne  weitereSi  jedenfalls  nicht 
jinf  Grund  der  angeführten  Untersuchungen  beipfhchten  können.  Die  besten 
Unteriuchungen  sind  die  von  Ebbinghaus  mit  seiner  Kombi nationsmethode 
angestcUten«  Die  Methode  verbindet  die  Vorzüge  einer  guten  Intelhgeni- 
pnifufig  mit  dem  der  leichten  Ausführbarkeit.  Die  Schlüsse,  die  Ebbing- 
haus aus  dtn  Versuchen  zieht,  seicluten  sich  durch  scharfe  Kritik  und 
gro^  Vorsicht  aus.  Soweit  sich  bisher  bei  dem  relativ  kleinen  Material 
Schlüsse  daraus  ziehen  lassen,  zeigen  sie,  daß  übertriebene  Befürchtungen 
betreffs  des  fünfstündigen  Unterrichts  nicht  zu  hegen  sind  und  höchstens 
für  die  niederen  Klassen  in  Frage  kommest,  Weiterhin  werden  dann  die 
Umersuchungen  von  Kemsies  erwähnt,  der  im  allgemeinen  zu  recht  pessi- 
mistischen Resultaten  kommt;  dann  noch  einige  andere  weniger  wichtige 
-  rsuch^ngsreihent  Aus  all  den  Untersuchimgen  wird  der  Sciüuß  gc- 
!L,  daß  bisher  die  psychologische  Forschung  für  die  praktische  Frage 
der  SchulcrmÜdung  verhältnismäßig  wenig  geleistet  hat  und  die  an  sie 
gesietiten  Fragen  noch  nicht  mit  Bestimmtheit  beantworten  kann*  und  daß 
der  Grund  hierfür  zum  großen  Teil  in  einer  kritiklosen,  die  praktischen 
r  !J  schnell  angreifenden,  ohne  genügende  methodologische  Vorunter* 

[i  Vorgehenden  Arbeitsweise  liegt,  \"Qreilige  praktische  Schlüsse 
lu  »iciicn.  muß  aber  die  experimentelle  Psychologie  unter  allen  Umstlnden 
vermeiden* 

Auf  die  rein  pädagogische   Seite  der   Schukrmüdungsfrage  wird  nicht 


398  SÜMungsbeHckU, 

näher  eingegangen.  £s  wird  hier  nur  davor  gewarnt,  aus  jeder  Abnahme 
der  Leistungsfähigkeit  der  Schüler  am  Vormittage  den  Schluß  xq  adMn, 
daß  ihnen  in  intellektueller  Hinsicht  zu  viel  zugemutet  wird.  Auch  andere 
Faktoren  kommen  hier  in  Betracht,  besonders  Emotionen,  Langeweile  etc 
Vom  ärztlichen  Standpunkt  ist  darauf  hingewiesen,  daß  nicht  alle  nervösen 
Erkrankungen,  welche  Schulkinder  bekommen,  auf  Überanstrengung  in  der 
Schule  zurückgeführt  werden  sollen,  da  hier  die  Schädlichkeiten  des  hans- 
lichen Lebens  oft  viel  mehr  maßgebend  sind.  Auch  handelt  es  sich  bei 
diesen  erkrankten  Kindern  sehr  häufig  um  von  Hause  aus  psychopathisd 
belastete  Individuen,  die  man,  weim  auch  nicht  gerade  durch  Zwang,  so 
gut  es  geht,  von  den  höheren  Schulen  fernhalten  müßte. 

Goerke:  Probleme  der  Kindersprache. 

Darstellung  des  Entwicklungsganges  der  kindlichen  Sprache  und  ihrer 
Probleme  an  der  Hand  eines  von  Herrn  und  Frau  Dr.  Stern  über  die 
geistige  Entwicklung  ihrer  Tochter  geführten  und  dem  Vortragend»!  xnr 
Verfügung   gestellten    Tagebuches. 

Man  wird  den  Beginn  der  eigentlichen  SprachbUdung  beim  Kinde  dam 
annehmen,  wo  dasselbe  —  nach  Vollendung  der  vorbereitenden  Stufen  der 
Sprachentwicklung,  nämlich  derjenigen  der  Schreilaute  imd  derjenigen  der 
artikulierten  siimlosen  Laute  —  zum  ersten  Male  Laute  oder  Lautkompleze 
verwendet,   um   einen   geistigen   Inhalt   auszudrücken.     Die   Tatsache,  daß 
schon  in  den  ersten  Perioden  der  Sprachentwicklung  bestimmte  Laute  (Zimgefi- 
und  Lippenlaute)  bevorzugt  werden,  eine  Tatsache,  die  auch  späterhin  bei 
den  Wortumgestaltungen   eine   gewisse   Rolle  spielt,   findet   weder  in  dem 
Maupertuis*schen  principe  du  moindre  effort  (Schultze*s  Theorie)  noch  in 
der  Ament*sche«i  Behauptung  von  der  physiologischen  Bevorzugung  bestimm* 
ter   Laute   eine  genügende   Erklärung.     Sie  ist   vielmehr  darauf  zurudou- 
führen,  daß  von  den  Weichteilen  der  Zunge  und  der  Lippen  dem  Bewußt- 
sein  mehr  Artikulationsempfindungen   (Muskel-,    Berühnmg^-,     Lage-,  B«* 
wegungsempfinden  zufließen  als  vom  Gaumen  imd  Kehlkopf,  daß  infolge' 
dessen  die  Association  von  Lautempfindungen  und  Artikulationsempßndungen 
d.  h.  also  Laut\x)rstellungen  viel  eher  und  leichter  bei  den  Lippenlauten  m- 
Stande  kommen  werden  als  bei  den  Lauten  des  dritten  Artikulationssystems. 
Bevor  die  ersten  mit  der  Absicht  des  Ausdrucks  gebrauchten  sprachlichen 
Beneimungen   auftreten,   müssen   Nachahmung   des   Gehörten  und  Ver- 
ständnis  der   gesehenen   Geberden   sowie   gehörten   Worte   nebeneinander 
eine  Zeitlang  wirksam  gewesen  sein.     Bei  der  Beobachtimg  der  ersten  R^' 
gungen   eines   kindlichen    Sprachverständnisses   kommt   man   leicht   in  VcX^ 
suchung,  psychische  Vorgänge,  so,  wie  sie  sich  beim  Erwachsenen  abspielcT* 
in   das   Seelenleben   des   Kindes   künstlich  hineinzutragen   und  dem  Kind^ 
was  denn  auch  viele  Beobachter  gemacht  haben,  geistige  Fähigkeiten  zux»-^ 
schreiben,  die  es  in  dieser  Stufe  seiner  Entwicklung  unmöglich  haben  kani^ 
die  es  sich  erst  durch  das   Sprechen  und  sehr  viel   später   erwirbt.    D^ 
Kind  hat  zu  dieser  Zeit  noch  keine  abstrakten  Vorstellungen,  es  kaxm  al^ 
noch  keine  Association  zwischen  Wortvorstellung  und  Bedeutungsvorstellui^ 
stattfinden:    wir    sind    vielmehr    gezwungen,    uns    den    Vorgang    des   crst^ 
kindlichen  Sprachverständnisses  so  einfach  wie  möglich  vorzustellen,  naC^ 
lieh  nicht  als  selbständige  Reproduktion,  sondern  auf  dem  Wege  des  MHed^^ 


399 


ejjpens,  als  Association  elementarster  Art  von  Gesichts*  oder  Gehörs* 
ajuehmuiigen  xnk  bestimmten  aufsuchenden  Bewegungen  oder  mit  Ge- 
IserregungeQ.  Alle  ersten  Wone  des  Kindes  bedeuieci  Wünsche  oder 
«ffungen  des  Gemüts,  sind  also  zunächst  nicht  gegenständlicher  Natur, 
tr  auch  in  den  späteren  Perioden  der  Sprachentwicklung,  wenn  das 
Hl  bereits  viel  gegenständliche  Beieichnungen  besitzt,  zeigt  sich  ein  starkes 
erwiegen  der  Gemüts^  und  Willensseite.  So  sind  auch  die  ersten  Fragen 
regelmäßig  Wunsch-  oder  Begehrungsfragen,  in  den  ersten  Uncilen 
stets   ein    starker   Gefühlston,    ein   Wunsch   tum   Ausdruck.      Dem« 

prechcnd  ist  der  Sinn  aller  ersten  Wörter,  auch  solcher,  die  uns  als 
Istaniiv  oder  Adjektiv  erscheinen»  ein  verbaler  oder  interjektionaler.  — 
Frage,  ob  das  Kind  zuerst  Individual«  oder  zuerst  AUgemeinbegriffe 
le»  muß  dahin  beantwortet  werden,  daß  das  Kind  nur  scheinbar  Ahn* 
ikeiten  verschiedener  Gegetistände  abstrahiert,  daß  es  mit  seinem  Wone 

15  anderes  bezeichnet  als  der  Erwachsene,  nämlich  nur  eine  bestimmte 

e  eines  Gegenstandes,  die  es  wiedererkennt,  vielleicht  auch  apperzipiert. 
%  ersten  Worte  eines  Kindes  sind  also  Indi  vi  dualbegriffe,  —  Bei  der 
^bihftingslehre  ist  besonders  das  Problem  der  Worterfindung  interessant. 

e   Erfindung    von    Worten    im    eigentlichen    Sinne    ist    natürlich    aus* 

idilosseQ,  doch  werden  wir  nicht  umhin  können,  gewisse  Eigentümlichkeiten 

kindlichen    Sprechweise    auf    eine    im    Kinde    liegende    Ursache,    auf 

f  sogenannte  unwillkürliche   Spontaneität  zurückiuführen. 

LipmaQü.     Praktische  Ergebnisse  des  experimetitellen 
Untersuch  uo  gen  des  Gedächtnisses» 

Die  von  E  b  b  i  n  g  h  a  u  s  inaugurierten  experimentellen  Gcdächtnisunter- 
'ttyngeti  der  letzten  20  Jahre  lassen  meist  die  praktische  Seite  der  bc- 
idelten  Fragen  und  gewonnenen  ResuHatc  außer  acht  oder  gehen  wenigstens 
hl  ausführlicher  auf  sie  ein,  —  Der  Vortrag  skiMiert  zunächst  die  Ver- 
ihe  selbst^   gibt   die   gewonnen   Ergebnisse   wieder   und   zieht   schließlich 

dieser  die   praktischen   Nutzanwendungen,  die   für   den   Unterricht  und 

Lernen  in  Betracht  kommen  können.  So  werden  folgende  Thesen  auf* 
Itellti 

1.  „Beim  Einzelunterricht  hat  die  Lehrmethode  sich  zweckmäßig  dem 
b«r  /est^u  stell  enden  sensorischen  Ce  dächt  nistypus  des  Schülers  an* 
Issen.  —  Beim  Massenunterricht  ist  das  nicht  möglich, 

3,  Ein  gegebener  Lernstoff  von  mäßiger  Länge  und  gleichmäßiger  Letch* 
^t  wird  im  Ganzen  schneller  gelernt  als  im  Teilen. 

3,  Die  Wiederholungen  werden  bei  einem  schwierigeren  Stoffe  am 
t«i  möglichst  verteilt. 

4,  Es  ist  unzweckmäßig,  verschiedenartige  Stoffe  schnell  hintereinander 
lernen,  ohne  eine  Pause  einzuschieben. 

5,  In  gewissen  Graden  ist  das  schnellste  Lernen  das  ökonomischste. 

6,  Falsche  Antworten  sind  tunlichst  zu  vermeiden. 

7,  Richtige  Antworten  erhalt  man  leichter,  wenn  sie  auf  mehrere  gt- 
Ee  Fragen  passen. 

$.  Eine  richtige  Antwort  bleibt  leicht  aus,  wenn  mehrere  Antworten 
die  gestellte  Frage  passen," 


Verein  für  Kinderforschuns:. 

V.  Versammlung. 

Die  diesjährige  Versammlung  fand  am  11.  u.  12.  Oktober  in  Halle  a.  S. 
statt,  während  die  früheren  Versammlungen  im  Anschluß  an  die  seit  mehrerai 
Jahren  in  Jena  bestehenden  Ferienkurse  abgehalten  wurden.  Der  Gnind  für 
den  Wechsel  des  Ortes  war  der,  daß  man  die  Bestrebungen  des  Vereias  in 
weitere  Kreise  tragen  will,  und  wenn  man  hierfür  üalle  als  einen  redit 
günstigen  Ort  angesehen  hatte,  so  hat  man  sich  gewiß  nicht  getausdtt, 
wie  das  das  zahlreiche  Erscheinen  der  Freunde  des  Vereins  aus  Halle  und 
der  weitesten  Umgegend  bewies. 

Die  Zahl  der  angemeldetai  Vorträge  war  eine  reiche.  Diese  behanddten: 

1.  Die  ersten  Zeichen  der  Nervosität  des  Kindesalters,  Prof  Dr.  Oppen- 
heim, Berlin. 

2.  Das  Kind  und  die  Kunst,  H.  Laodmann,  Oberlehrer  des  Padag. 
Universitätsseminars  in  Jena. 

3.  Über  die  Bedeutung  der  Stinunungsschwankungen  bei  EpUepdkeni. 
Univ.-Prof.  Dr.  med.  Aschaffenburg,  Halle. 

4.  Körperliche  Ursachen  geistig  minderwertiger  Leistungen,  Kindeiaixt 
Dr.  Schmid-Monnard,  Halle. 

5.  Psychopathische  Minderwertigkeiten  als  Ursachen  der  Geseticsrcr- 
letaungen  Jugendlicher,  Direktor  Trüper,  Jena. 

Wegen  Verhinderung  am  Erscheinen  der  Referenten  konnten  der  8.  nnd 
4.  Vortrag  nicht  gehalten  werden;  ersterer  wurde  jedoch  in  die  nacl>^' 
jährige  Versammlung  verlegt,  die  in  Leipzig  stattfinden  wird. 

Direktor  Trüper  eröffnete  die  erste  Versammlung  mit  dner  knn^ 
Ansprache,  in  welcher  er  den  Zweck  des  Vereins  darlegte.    Er  fährte  ct*^ 
aus:  22  Millionen  Kinder  im  Alter  vom  12.— 18.   Lebensjahre  gebe  es  i^ 
Deutschland,   von  denen   Millionen  weder  von  den  Eltern  noch  von  ^ 
Lehrern  richtig  verstanden  würden  und  die  deshalb  viel  Unrecht  erieidd^ 
müßten.     Noch  mehr  gelte  das  >'on  den  abnormen  Kindern.     Das  xklitiS^ 
\'erständnis  für  die  Entwickelung  der  Kindesseele  wecken  xu  helfen,  das  f^ 
die  Aufgabe  des  \'ereins.     Das  größte  Interesse  verdienten  allerdings  d*^ 
Kinder  mit  abnormen  seelischen  Erscheinungen;  das  schließe  jedoch  nic^^ 
aus,  sich  auch  den  leiblich  und  geistig  normalen  Kindern,  die  infolge  iltf^ 
individuellen   \'erschiedenheit   eine   bescxidere   Behandlung   erforderten,  i^ 
gleichem  Interesse  zu  widmen.     Eltern,  Lehrer,  Geistliche,  Arz^^ 
und  Juristen  sollten  sich  deshalb  an  den  Bestrebungen  des  Vereins  \^ 
haft  beteiligen.    Wenn  man  noch  bedenke,  daß  von  der  erwähnten  Kind^^ 
zahl  circa  50000  jahrhch  \x>r  das  Strafgericht  gestellt  werden,  dann  $6^ 


Sümitt^sheiickie^ 


401 


da*  noch  mehr  Grund  dafür  sein,  das  Kind  und  seine  Seele  fleiläiger  als 
Nsher  m  studieren.  —  Sodann  begrüßte  Stadtschulrat  Brendel-  Halle  rm 
Auftrage  des  Magistrats  die  Versammlung,  indem  er  zugleich  auf  die  seh  werfe 
Aufgibe  des  Vereins  hinwies.  Nkht  jeder,  meinte  er,  könne  suchen  und 
findea;  aber  alle,  die  ein  Herz  für  Bildung  hätten,  würden  dera  Vereine 
Interesse  entgegenbringen.  Die  Arbeit  des  Vereins,  insbesondere  seine 
Beschäftigung  mit  den  abnormen  seelischen  Vorgängen»  verdiene  die  höchste 
Anerkennung;  er  hoffe,  daß  der  Einfluß  des  Vereins  nicht  ohne  Erfolg  für 
die  Entwickeliing  der  ganzen  Pädagogik  bleiben  werde.  —  Haupllehfer 
K  tclhorn*  Braunschweig  begrüßte  im  Auftrage  des  Vereins  der  Lehrer 
für  Hilfsschulen  Deutschlands  die  Versammlung  und  gab  der  Hoffnung 
für   einen  Zusammenschluß  beider  Vereine  Ausdruck, 

Darauf  hielt  Prof.  Oppenheim  seinen  Vonrag  über  »,Dic  ersten 
Anzeichen  der  Nervosität  im  Kindesalter/* 

Die  NeiT'Osität  beim  Kinde,  so  führte  der  Vortragende  aus,   reicht  bis 
la     die    ersten    Lebenstage    zurück.      Die   abnormen   Gemütsreaktionen  sind 
iclioii   Anzeichen    von    Nervosität,      Sie    treten    mit    großer    Intensität    auf^ 
wälirend  das  Gegenteil,   die   Apathie,   seltener  vorkommt.      Auch   die   Dauer 
der  Reaktionen  ist  häufig  sehr  groß.     Der  außerordentlich  schnelle  Wechsel 
*"on  Lust-  und  Liniustgefühlen  kann  ebenfalls  auf  Nervosität  schließen  lassen. 
Auch  kommen    perverse    Reaktionen   vor,    indem    nämlich    Reize,    die   sonst 
l-'nlustgefühle  erregen,    Lustgefühle   hervomifen  und  umgekehrt»  t.   B,   Ab- 
neigung   gegen    schöne    Farben,    Gerüche    und    bestimmte    Personen.      Die 
Schreckhaftigkeit  ist  auch  ein  Zeichen  von  Nervosität  bei  Kindern;  sie  ruft 
Schrecklähmungen  und  Schreckstummheit  hervor.     Die  Schreekhaftigkett 
Ätt  schon   recht   frühe  auf;   an    19   von  40   Kindern   hat   sie   der  Referent 
|thon  gleich  nach  der  Geburt  feststellen  können.     Nicht  selten  treten  Schlaf- 
Röningtn  bei  nervösen  Kindern  auf,  /,  B.  Sprechen  und  heftige  Bewegungen 
WH  Schlafe,  häufiges  Träumen  und  Nachtwandeln,    Zwangsvorstellungen  sind 
.  tffi  »khefi   Kindern  auch  vorhanden ;  sie  fürchten  sich  vor  dem  Alleinsein, 
or  dem  Gewitter,  vor  einer  Reise  (Reisefurcht  —  Platzangst,  Schmuttfurcht 
Waschangst).    Redner  erwähnte  hier  eine  Art  Tic,  welche  ebenfalls  bei 
Knulem  in  beobachten  ist.     Solche  Kinder  blinzeln  sehr  stark  mit  den  Augen 
^d  werfen  den  Kopf  hin  und  her.     Diese  Erscheinungen  können  manchmal 
normal  gelten,  wenn  sie  als  Gewohnheiten  vorkommen  ■  deshalb  ist  Vor- 
Mchi  bei  der  Behandlung  notwendig.     Im  Unterricht  sind  derartige  Kinder 
^iLTStrcut  und  zerfahren  und  ihre  Leistungen  daher  mangelhaft.    Auffällig  ist 
öer,  daß  manche  Kinder  eine  Abneigung  gegen  gewisse  Tiere  und  Nah- 
iigsmtttel  (Idiosynkrasie)  Keigen.     Zwar  macht  sich  diese  Erscheinung  auch 
gesunden  Kindern  gellend;  allein  die  Heftigkeil,  mit  der  sie  bei  jenen 
iJ^treten,  ist  bedeutend  größer.    Manche  nervöse  Erscheinungen  grenzen  an 
«iflesiiönrng.    So  ließ   z*   B.  ein  Kind   seine  Mutter  nicht   aus   der  Stube. 
Aiigst  um  die  Mutter  war  bis  ans  Krankhafte  gesteigert*     Nachdem  das 
Von  dem   Angstgefühl    befreit   war,    stellte  sich   der  normale   Zustand 
bei   ihm   ein.     Zcrsireutheit  und   Nägelfcauen  sind  ebenfaÜs  Zeichen 
I  Nervosität ,  Nägelkauen  rührt  nicht  von  Onanie  her,  wie  man  dies  häufig 
auffaßt.     Die   Nervosität   beeinflußt   auch  den    Blutkreislauf.     Hierbei   zeigt 
|*^ch  eitj  öfterer  Wechsel  der  Gesichtsfarbe  un^  ein  Kältegefühl  be^nders 
Zriüdiritt  für  pidigogtsche  Psych oloßic»  Ptlhologie  und  Hygiene.  1 1 


402 


mn  dci;  Händen  (Absterben  der  Fmger)»  Neigung  ru  Ofttimac^  bem 
Sehen  von  Blut*  i£U  Erbrechem,  namentüch  inocg^ns  lor  Beginn  des  Schul" 
anfange  —  suclt  freudige  Erregungen  liihreti  dajin  tu  Erbrechen  -  staitti 
Schnupfen,  heftiges  Her^ldopfeii  sowie  starke  Beweg ungeri  ^  Tieileklt  m 
der  Eisenbahn  ->  Schwinde)  und  Kopfschmerz  sind  mcht  ^^elteti  Zetcbro 
der  Nervosität  im  Kind^alter.  Überempfindlich  ist  bei  solchen  Emdcfn 
die  Haut  des  ganzen  Körpers.  Das  Beschneiden  der  Nagel  vmd  KSmmrti 
diQs  Haares  bereitet  ihnen  oft  große  Schmerlen ^  Gan^^e  Büschel  gru 
und  morsche   Nägel  weisen  auf  m«ingelhafte  Emähmng   hin;  ül'  v 

der  VcrdauungskaDal  bej  derartigen  Kindern  in  nicht  normalem  ZuÄtand 
sjc  leiden  viel  an  Appetitlosigkeit,  Aufstoßtm  und  Stühlver«toplung. 
Harn  geht  ab,  ohne  daß  es  ein  solches  Kind  merkt,  und  wenn  es  m  Cfg 
wart  fremder  Personen  urinieren  muß,  leidet  es  oft  an  so  starken  psjrchrtv 
Hemmungen,  daß  der  Urtnabgang  vollständig  tinmögUch  ist.  Redöct  schk 
seine  interessanten  Ausführungen,  indetn  er  darauf  hinwies,  daß  die 
wähnien  Erscheinungen  der  Nervosität  beim  Kinde  mttuitter  tut  Gdd, 
anderer  Krankheiten  vorkommen  können^  und  daß  man  daher  bei  der 
handiung  gedachter  Fälle  sehr  vorsichtig  sein  müsse;  der  Ann  solhe 
stets  zu  Kate  gezogen  werden.  —  Die  Debatte  über  diesen  VoTtnl 
eherkfalls  sehr  anregend,  Dr*  Becher-  Berlin,  Leiter  einer  Kindeilteihtln? 
v^ira  Roten  Kreuz,  wies  auf  die  eben  genannte  Anstalt  und  die  des  I>irekl«i 
Trü per- Jena  hin,  in  widchea  man  die  Pra?ds  ku  dem  Vortrage  smdiert& 
könne.  2^u  bedauern  sei,  daß  es  noch  sehr  wenige  derartige  Auatallcn  ge^ 
Darauf  iiu'  DarstcUtmg  der  Einrichtung  der  von  ihm  geleiteten  Aost^t 
näher  eingehend,  bemerkte  er,  daß  diese  nur  eine  Tagesansi  alt  sei  tmd  ito 
nach  die  Kinder  nur  von  morgens  bis  abends  behalre.  Die  Kinder  — 
gegenwärtig  550  an  der  Zahl  ***  den  verschiedensten  Ständen  afifdlQi^* 
erhielten  hier  hauptsächlich  Beschaftigimgen  zwecks  körperlicher  Bc 
Spielen,  Bauen  in  Sandhaufen  und  Turnen.  Dabei  könne  m&M 
der  Kinder  am  besten  studieren,  und  dazu  böte  sich  auch  sonst 
Gelegenheit  besonders  weim  die  Mütter  die  Kinder  rur  Anstalt  lir 
und  von  hier  abholten;  meist  sehe  man  dann,  daB  diese  gleichsafn 
,^Abklatsch"  ihrer  Mütter  seien.  —  Erxiehungsmspektor  Piepe r-Daüdoff 4 
wäiinte  einen  Angstfall,  der  bei  einem  Knaben  wegen,  eines  in  sehr 
E^ttemporale  in  der  Schule  eingetreten  war;  der  Knabe  hatte  vor  Angst  1 
Treppe  in  dem  elterlichen  Hause  nicht  hinabgeben  können*  Fcrnet  bemetkie 
Inspektor  Pieper,  daß  die  Schulen  auch  durch  das  häufige  PlatiwedJsd« 
den  Schülern  Angst  einflößten,  —  Prof.  Z  i  e  h  e  n » Halle  sprach  Über  Zwwag 
und  Wahnvorstenungen  beim  Kinde  und  hob  besonders  deren  «\hiilicli 
bervot.  —  Säoicäcsrat  Dr.  Berghan-Braunschweig,  sowie  Haup 
Kiel  hörn,  Prof.  Aschaffen  bürg -Halle  und  Direktor  Trüpai 
ausführliche  Beispiele  mm  sog.  Waodertrieb.  Über  die  Vi^ 
scheinuag  war  man  verschiedener  Ansicht;  doch  gelangte 
der  eins dmm igen  Auffassung,  daß  sie  nicht  aUein  auf  epileptbci)efll 
entstehen   köntie. 

Am  zweiten  Tag  der  V^ersammlung  sprach  zunächst  Prof.  Dr.  AscM 
leabnrg'  über  die  Beden tung  der  Stimmungsschw  l^ 
bei   Epileptikern      Der   Vorti^gendc   wollte   natmentiich  »l 


SämtrtgsAtnkkie. 


403 


g  bri  EpikptTkcTii  anilmerk^am  machen:  auf  die  pertodlschea 
^imgen  der  Gcmütslage.  Als  eine  sokhe  bisher  wenig  beachtete 
m  sog.  epileptischen  Aeqtihalcnts  bcjiei ebnete  er  die  periodisch  und 
Beren  Anla0  auftretenden  Stimintjngsschwankijngeti,  die  bald  mehr 
ige  VeTstimmung  mit  Angsi,  Heimweh,  Sorgen,  bald  mehr  als  eme 
Hdxbarkett  und  innere  Spanntrng  sich  feigen.  Auch  bei  Normalen 
lenttkh  von  körperlicheti  Symptomen  (Köpfweh,  Blasse  berw.  Röte 
chls,  SchwctÄausbruch,  Durchlall,  Pupillenstörungen  usw,)  begleitet, 
diesen  vollständig  fehh.  Als  weitere  Erkennungszeichen,  daß  jene 
:ptischem  Boden  entalandcn  srnd,  kommt  hinzu,  daß  sie  l.  m  be- 
PctTodizifät^  2,  in  der  Reget  ohne  äußeren  Anlaß  auftreten,  3.  daß 
flen  von,  ruweilen  mcht  %'on  Krampfanfällen  begleitet  sind,  4.  durch 
AllEoholex.ie9se  in  schwere  Dämmerzustände  sich  versvandeln,  bei 
AJkoholenthalrung  dagegen  seltener  und  leichter  erscheinen.  Wenn 
lige  Kinder  bei  geringem  Anlaß  in  schwere  Zorn  ausbräche  oder  zu 
iT  Traurig  keil  hinneigen,  dann  kann  man  annehmen,  daß  sie  epilep- 
ink  sind-  Damit  »oll  nicht  gesagt  sein,  daß  jede  Verstimmung  ein 
von  Epilepsie  m;  sie  soUie  aber  doch  ein  Wamungssignal  bedeuten 
nigen.  die  dann  gern  pädagogisch  eingreifen  möchten,  wo  ärztliche 
sin  das  Richtige  schaffen  kann.  Die  Ärzte  bedürfen  aber  hierbei  der 
da  sie  ohne  diese  nicht  richtig  enischciden  können,  weil  eben  ihre 
Beobacbeung  der  Krankheit  nicht  ausreichend  ist.  —  Bei  der  Be- 
g  des  Vorrrages  hob  EJr,  Strohmeyer  Jena  hervor,  daß  bei  den 
thwankungen  ein  langsamer  Verfall  der  intellektudlen  und  sittlichen 
I  beobacbfen  sei.  Der  Alkohol  sei  eine  der  bedeutendsten  Ursachen 
e|>sieL  Darm  stellte  Redner  noch  die  Anfrage,  wie  Brom  bei  der 
der  Epilepsie  wirke,  Direktor  Pieper  deutete  die  pädagogische 
an,  indem  er  die  Schwankimgen  des  Gemütszustandes  nicht  durch 
als  vidmehr  durch  freundliche  Behandlung  beeinflußt  wissen  wül. 
m  solle  man  solche  Kinder  unter  gute  Aufsicht  stellen  emd  sie  mit 
bt  vollständig  verschonen.  —  Prof.  Aschaffenburg  stimmte 
Fiihrungen  Dr.  Strohmeyers  teils  zu,  wandte  aber  ein,  daß  nicht 
in  Verfall  der  geistigen  Kräfte  \'Orhanden  und  Brom  ein  recht 
fies  Mittel  sei.  Er  warnte  dann  noch  vor  großer  Strenge  in  der 
sehen  Behandlung,  die  noch  häufig  anzutreffen  sei.  Die  Mithilfe 
^r  bei  der  Diagnose  der  Epilepsie  könne  man  nicht  entbehren.  Es 
sich  bei  letzterer  zunächst  weniger  um  eine  vollständige  als  vielmehr 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose'  mit  dieser  gelange  man  vorerst  viel 
-  Dirdrtor  T  r  ü  p  e  r  stimmte  den  vorhergehenden  Ausführungen  im 
lleti  lU  und  wünschte^  daß  sich  die  Schulärzte  mehr  afs  bisher  mit 
rfiiatrie  des  Kindes  beschäftigen,  daß  sie  auch  auf  dem  Lande  30- 
werden  und  jeder  Kreis  mindestens  einen  Schularzt  erhält,  wie  diese 
mg  bereits  im  Meiningischen  getroffen  worden  ist. 
cbilten  Vortrag  hielt  Direktor  Trüper,  Er  sprach  übet  „Psycho- 
thc  Minderwertigkeiten  als  Ursachen  der  G  es  et  i  es- 
Ittttgen  Jugendlicher*'.  Redner  erinnerte  zunächst  an  die  be- 
TatsQChe^  daß  l*JOl  fast  50000  Kinder  oder  Jugendliche  im  Alter 
^ Jahren  gerichtlich  bestraft  wurden.     Aber  noch  viel  größer  «ei 

11* 


404  Si$9imgsberichte. 

die  Zahl  derjenigen  jugendlichen  Sünder,  die  überhaupt  nicht  vor  den  Straf- 
jichter  konunen.     Wie  diese  50000  vor  dem  Gericht  behandelt  und  damit 
zugleich  fürs  spätere  Leben  beeinflußt  waren»  dürfe  man  nicht  übenehen- 
Überdies  müsse  man  überlegen,  daß  sie  dem  Staate  viel  Geld  kosten.  Die 
Hauptursache  des  Mißerfolges   in  dem  h'iutigen  Strafsystem  liege  in  d^^ 
mangelnden  Verständnis  des   Unfertigen  und  Pathologischen  beim  Kinde. 
Zwar  werde  der  Psychiater  heute  schon  vor  Gericht  gezogen,  aber  nur  höchst 
selten,  wenn  es  sich  um  kleinere  Fehler  handle.    1901  habe  man  in  Deutsch- 
land 22858071  Personen  hn  Alter  von  12—18  Jahren  gezählt;  trotzdem  get>e 
es  noch  nicht  einen  einzigen  Lehrstuhl,  der  sich  mit  dem  Werden,  Wachsen 
und  Gedeihen  dieser  22  Millionen  beschäftige.    Könne  man  wirklich  glaubexi, 
daß  ein  Mensch  in  der  Nacht  vom  12.  zum  13.  Lebensjahre  plötzlich  die 
Schwelle  von  der   Unzurechnungsfähigkeit   zur  Zurechnungsföhigkeit  üb«^r> 
schreite?     Einen  anderen  Übergang  kenne  aber  das  Gesetz  nicht,  ebea:90- 
wenig  eine  verminderte  Zurechnungsfähigkeit,  und  wo  sei  bei  diesen  tAf^^xh- 
artigen  Definitionen  auch  nur  ein  bescheidenes  Plätzchen  für  alles  WechselirMle 
und  Werdende  in  der  Entwickelung  der  Kinder  und  Jugendlicher  ?    Da  frai.^e 
es  sich  doch  wirklich,  ob  man  den  Brunnen  erst  dann  zudecken  müsse,  wenn 
das  Kind  bereits  ertrunken  sei!     Direktor  Trüper  besprach  hierauf  einige 
Fälle  psychopathischer  Minderwertigkeiten,  die  in  neuester  Z&X  die  Gerichte 
beschäftigt  und  allgemein  großes  Interesse  geweckt  haben  (Fall  Dippol.d> 
Fischer  und  H  ü  s  s  e  n  e  r).    £r  zeigte  an  diesen  Beispielen,  namentlich  ^n 
Hüssener,  woher  diese  Minderwertigkeiten  kommen  und  führte  als  eine 
Hauptursachc  den  zu  frühen  und  hätifigen  Alkoholgenuß  an.    Zur  VerhutuaK 
dieser  durch  die  obigen  Namen  berührten  Morde  wäre  es  dadurch  gekommen« 
wenn  man  das  Abnorme  ihres  seelischen  Lebens  schon  frühe  erkannt  ua<i 
eine    entsprechende    pädagogische    Behandlung     angewandt    hätte.     Redse* 
hatte    seinen    längeren    mit    vielem    Beifall    aufgenommenen    Ausführungen 
folgende  Thesen  zugrunde  gelegt:   1.  Es  gibt  abnorme  Erscheinungen  utftO 
Zustände   im   Seelenleben  der   Jugend,   die  nicht   unter   die   Rechtsbegni^^ 
„Unzurechnungsfähigkeit**    und    „Geistesschwäche**    fallen,    die    aber  doct* 
pathologischer  Natur  sind  und  bei  manch-**^  zu  Gesetzesverletzungen  führen* 
ja  Ainbewußt  drängen.     2.  Diese   Zustände  entwickeln   sich  allmählich  at^ 
kleinen  Anfängen  und  können,  rechtzeitig  erkannt  imd  zweckentsprechend  i<^ 
der  Erziehung  berücksichtigt,  in  den  meisten  Fällen  gebessert  werden.    S^ 
können  zugleich   jugendliche   Gesetzesübertretungen   verhütet  und  ihre  Zal»* 
wesentlich  vermindert  werden.     3.   Es  ist  darum  im  öffentlichen  Interes*^- 
dringend  erwünscht,  daß  Lehrer,  Schulärzte,  Seelsorger  und  Strafrichter  sic^ 
mehr  als  bisher  dem  Studium  der  Entwickelung  der  Kindesseele  und  ihre^ 
Eigenarten  widmen,  um  der  Entartung  des  jugendlichen  Charakters  rech*' 
zeitig   vorbeugen   zu    können.     Namentlich   ist    es   erwünscht,    daß   an  d^^ 
Universitäten  in  Verbindung  mit  pädagogischen  Seminaren  Vorlesungen  üb^^- 
Psychologic  und  Psychiatrie  des  Jugendalters  gehalten  werden  und  daß  in  d^^ 
Volksschullehrer-Seminaren  die  künftigen  Lehrer  Anleitung  zum  Beobacht^^^ 
des   kindlichen   Seelenlebens   erhalten.     4.    In   allen   Schulen   ist   mehr  ^\^ 
bisher  der  Erziehung  des  Gefühls-  und  Willenslebens  Rechnung  zu  trag^^^^ 
und    der    einseitigen    intellektuellen    Überlastung    vorzubeugen.      6.    Bei^^^^ 
jugendliche   Individuen  wegen  Gesetzesverletzung  öffentlich  vor  den  Str^*^' 


Bffr^kie  umd  E^sprecfmm^en, 


405 


geteilt  werden,  sollt ea  sie  mnächsi  einem  „Jugendgericht**,  bestehend 
Leiter  der  betreff^tiden  Schute,  dem  Lehrer  des  betreffenden  Kindes, 
^chulänte,,  dem  Geistlichen  und  dem  V^ormundschafls  rieht  er,  überwiesen 
EU  6.  Statt  oder  neben  der  Strafe  als  Sühne  oder  der  bloßen  Ein- 
ng  mm  Schutie  der  Ce^eUschaft  gegen  die  Übeltäter  aoUie  in  be* 
en  Ajvstalien,  von  besonders  vorgebildeten  Pädagogen  unter  media i* 
psychiatrischem  Beirate  geleitet,  eine  für  Leib  und  Seele  sorgfältig  er* 
Heilerxiehung  Platz  greifen.  Die  Fürsorgegesetze  tragen  bisher  diesen 
lieniDge.1  nicht  genügend  Rechnung. 

t  der  Diskussion  bemerkte  Geh.  Justizrat  Prof,  v.  Liszt  Berlin, 
inchc  Schuld  des  Gesetzgebers  leider  immer  auf  die  Juristen  abge- 
werde.  Zum  Problem  der  jugendlichen  Übeltäter  habe  die  Krimi- 
che  \'ereinjgung  schon  V'orschläge  gemacht,  die  den  lebhaften  Beifall 
ledener  Kreise  fanden.  Die  Kriminalistische  Vereinigung  habe  immer 
Jrundsaiz  vertreten,  daß  das  Kind  unter  keinen  Umständen  vor  den 
kbter  gehöre.  £r  bitte  daher»  These  5  abzulehnen.  Darauf  zog 
Trüper  die  erwähnte  These  zunicke  während  die  übrigen  Leitsätze 
amig  angenommen  wurden* 

I  den  Vorstand  wurden  gewählt  i  Geh.  Medizinalrat  Dr.  B  ins  wanger - 
Prof.  EbbinghauS'  Breslau ,  Prof.  Rein  -  Jena.  Direktor  Trüper- 
Prof.  Ziehen- Halle,  Mcdizinalrat  Leubus  eher -Meiningen,  Gym- 
iirektor  Altenburg-Wohlau  imd   Prof,   Oppenheim^ Berlin. 

ordhausen.  C.  Geisel. 


Berichte  und  Besprechungen* 


tlo.  Lehrgang  der  Zukunftsschule  nach  psychologischen 
^perimenten  für  Eltern,  Erjtieher  und  Lehrer  dar- 
estelli.    Leipzigs  Scheffer    igox.    319   S. 

to.  Der  Hausleb ren  Wochenschrift  für  den  geistigen 
erkehr  mii  Kindern.  Erster  Jahrgang  1901*  Zweiter  Jahr 
ang    1902,     Leipzigs   Schcffer, 

\  folgendem  möchte  ich  die  Leser  dieser  Zeitschrift  auf  einen  abseits 
Er  großen  Heerstraße  wandelnden  pädagogischen  Reformer  hinweisen, 
jine  Methode  auf  psychologische  Gedankengänge»  ja,  psychologische 
trimente"  aufbaut,  und  dessen  Bestrebungen  vielleicht  auch  der  wissen- 
liehen  Psychologie  einige  Ausbeute  werden  bringen  können,  freilich 
sowohl  durch  seine  praktisch-pädagogischen  Ideen,  wie  durch  gewisse 
ixen  hervorgegangene  theoretische  Ncbcninteressenj  die  der  Erforschung 
indersprache  dienen. 

ie  Geschichte  der  Pädagogik  ist  vielleicht  reicher  als  irgend  ein  anderes 
rgebiec  an  den  Erscheinungen  der  ,, ewigen  Wiederkehr".  So  ist  Otto, 
Ehterf eider  Lehrer»  nicht  so  sehr,  wie  er  selbst  glaubt,  ein  Schüler  Sl  ein  ^ 
i  und  Paulsens,  sondern  ein  „Basedow  revidivus".  Der  ganze  In- 
tuaUsnius  des   tS.  Jahrhunderts  lebt  in  ihm  wieder  auf,  dem  nüchterne 


406 


ie   Wde   aar  der 

%iJuaäsL  iom  m  «endea  and 
li^rbriiciwa.   Der  spcöeil 
da^  aocii  für  Otto  Uoternckc  xäcfac  sopvoU 
Lefarer,  sondern  dn   HeatbLaantn  des 
M— dferegfafiaghen  ailei  SckwercB.  eä  3icidcn  alles  Zt 
AsOmc»  des  Umenicb»  m  Plandefei  und  Scherz,  Spid  wmd  Spart.    WiT« 
Basedow  lesie  Sdnler  die  „Gaaecten"  lesen  KeA,  so  faraigt  Otto  msdn^sa 
^Hamlehrer*  oad  seiaca  Eaueiweiken  (Font  Bismaxcks  LcbmiPiA  E^ 

asir,  ^  der  Sprache  der  Zeirnjährigen'*,  ..der  ZvölQibngen*'.    Wie  B&sf. 
dcrws  Tocltter  Emtlie  das  berühmte  FarwfigMa  för  den  Wert  der  nesui 
SIeilMde  war,  so  hat  Otto  an  seinen  eigenen  Kindeim  seine  Mcdiode  dnrdh 
geführt.    Wie   Basedow  die  settsamsten  spieiemchen  Lnrituüuuen  «rfmd 
rar  A«ls(acheinng  des  Ehrgeizes,  so  lieB  Otto  seine  Srhilffr  nach  der  Se- 
koodemihr  aufsagen  imd  in  der  GeschwindiglDeit  Rekorde  sddagen**.   ihd 
wie  endlich   Basedow   und  seine   Schaler  ans  waamem   Intciesse  für  4ie 
Jngencfitleratur  jene  viriberuhmten  Bearfoeitnngen  fnr  die  Jvgend  lorailarff 
^man  denke  nur  an  Campes  Robinson),  so  stdlen  Otto  nnd  die  Seinen. 
den  Faust,  die  Odyssee,  das  Nibelungenlied  in  der  Sprache  der  Kinder  dar. 
Die  im  „Lehrgang"  geschildeite  Bfetbode  Ottos,  die  er  an  die  Stdl« 
des   Elementarunterrichts  setzen  wül,   ist  die  sokratiscbe:   Bewußtmachnn^ 
des  schon  unbewußt  Vorhandenen.     Vor  allem  Lese^  und  Schreibunterrick»^ 
muß   ein   Anschaunngs-  und   Sprachunterricht  stehen,  in  dem  die  Scbölerr 
aus    wirklichen    Objekten    (nicht    Bildern)    und   aus    scheinbar    zufallig  g^' 
sprocheneu  Sätzen  des  Lehrers  oder  der  Mitschüler  alles  entwickeln  soUeCi^* 
was  darin  an  Begriffen,  an  Wortformen  und  an  Lauten  enthalten  ist  Durcl* 
das   Prinzip   der    Isolierung   der   Schwierigkeiten   wird  bewirkt,  daß  nid^^ 
unklar  bleibt.    Ja^  auch  die  Bezeichnungen  müssen  die  Schüler  selbst  üoAttt, 
was  pur  möglich  ist  durch  Schaf fimg  einer  ganz  neuen  deutschen  Teminologi^' 
(Betspiele :  der  Vokal  a  heißt  Offner,  der  Konsonant  s  Zafanbrise,  daif  Ot'' 
jekt  heißt  der  Dulder,  die  zweite  Person  der  Hörer,  der  Konjunktiv  PraS- 
heißt   Jetztzettwunsch   usw.)     Auf  diese  Weise  lernt  das  sieben-  bis  acbC' 
jährige  Kind  im  Anschauungsunterricht  die  Begriffe  des  Dinges,  des  Teilet» 
des  Merkmals,  des  Vorgangs,  des  Naturgesetzes  (I),  der  Definidon  (1)»  \^ 
Sprachunterricht    die   Laute   nach   einem   wissenschaftlichen  (nämlich  nic^ 
den  Organen  und  deren  Bewegungen  angelegten)  System,  die  FormenldK'^ 
und  Syntax,  und  erhält  so,  wie  Otto  meint,  aus  eigenem  Denken  htfii^ 
wirklich  jene  formale  Bildung,  die  das  Gymnasiimi  mit  seinem  neonjihrig^^ 
Lateinunterricht  nicht  erreicht.    Ist  erst  diese  formale  Vorbildung  da,  so  sif  ^ 
für  die  Aneignung  nicht  nur  des  Lesens,  Schreibens,  Rechnens»  sondern  au^^ 
beliebiger  Wissenschaften  keine   Schwierigkeiten  mehr  vorhanden.  Wie<I^^ 
im   Anschluß   an   Erlebnisse   des   Tages   wird   Nationalökonomie  und  S^^7 
tistik,   Straf  recht   und  bürgerliches  Recht  usw.  durchgenommen;  ,,das  O^ 


ßtrkki*  mi*d  Seipre^kumgtm. 


407 


1  Gesdlich|e^  und  G^o^aphie  fällt  dem  sportmäßigen  Lem- 

angenommen^  O.  hatte  recht,  daß  sich  die  nchlige  Anwendimg 
de,  die  meines  Erachiens  durchaus  Ausfluß  einer  besonders  i;c- 
ersönliclien  Begabung  ist,  veraUge meinem  ließe,  wäre  sie  wün- 
?  Besteht  denn  tatsächlich  die  Aufgabe  des  Unterrichts  darin^ 
swußte  nur  ja  bewußt  ru  roacben.  in  Regeln  und  unter  nc"«? 
i  bringen?  Ist  denn  die  ungeheure  kraftsparende  Funktion  des 
(n  und  der  Tradition,  wodurch  ja  erst  neue  Kräfte  für  den  Kul- 
U  frei  werden,  lucht  ein  Faktor,  oiit  dem  der  Unterricht  rechnen 
Seit  und  Kraft  auf  Neufindung  %on  längst   Besessenem,  auf  Neu- 

von  längst  Formuliertem  zu  wenden?  Das  muß  die  Wissenschaft 
es  ist  der  fundamentale  imellektualistische  Irrtum  Ottos,  daß 
Wissenschaft  im  Kleinen  sei;  spricht  er  doch  selbst  von  ».philo* 
eschutten   achtjährigen    Kindern",    von   einer    „im    Unterricht   cac- 

erwachsenden  Kategorieniafel**, 

injelheiten  d«  Lehrganges  ^ei  nur  weniges  erwähnt.  Das  Prittxip 
rung  der  Schwierigkeiten*'  ist  psychologisch  durchaus  nicht  ein- 
die  gegenseitige  Srülrwirkung  verschiedener  Elemente  ist  oft 
ihre  gegenseitige  Hemmung,  und  so  glaube  ich  trotz  Otto,  daß 
B   SchreibleseunterrJcht   mit  seiner  gleichzeitigen  Einprägung   von 

Laut  und  Schreibebewegung  eine  Arbeitserspamis  gegenüber  dem 
jrlahren  Ottos  ist.  —  So  geschickt  und  von  guter  psychologischer 
eugeod  im  gan^n  die  Art  ist,  wie  O.  die  Kinder  die  Begriffe 
l  entwickeln  läßt^  so  laufen  auch  hier  Fehler  mit  unter.  Der 
r   Ursache   entspringt   psych ologiseh   nicht,   wie   O,    noch    im   An- 

Hume  meint,  der  regelmäßigen  Sukzession  zweier  Vorgänge, 
m  Bewußtsein,  daß  der  eigene  Wille  sich  in  Tun  umsetzen  kann  ■ 
öch  nicht  wundern,  wenn  seine  Schüler  die   Nacht  als   Ursach© 

und  den  Donner  als  Wirkung  des  Blitzes  atiffassen.  Falsch  ist 
s  Behatjptung,  daß  im  Deutschen  das  Partizip  Präsentis  nur  der 
che,  nicht  der  Sprechspraehe  angehöre;  Ausdrücke  wie  „lebendes 
ein   reizendes    Kind'\   ,,ein  erhebender  Anblick"    usw,   sind    doch 

nur   gedruckt   zu   finden. 
loch    einige    Worte    über    die    ,,Hauslehrer*'bestrebungen    Ottos. 
:hcnschrift   soll   dazu   dienen,   Eltern   upd    Erziehern   Anleitung   zu 
Verkehr   mit    den    Kindern   zvi   geben.      Geistiger    Verkehr   ist   für 

identbch  mit  verstandesmäßig  utilitaristischer  Aufklärung.  Die 
len  Tagesereignisse^  politische  und  soziale  Angelegenheiten  und 
timgen  in  «iner  ihnen  angcmcsseoen  Sprache  zugeführt 
Die  ihnen  angemessene  Sprache  ist  nach  O,  die  Sprache,  die  sie 
chen,  diese  aber  kennen  wir  überhaupt  noch  gar  nicht  recht  — 
kommen  wir  zu  der  Stelle,  wo  Ottos  Bestrebungen  sich  mit  der 
Kinderforschung  berühren.  Nach  Otto  beruht  ein  großer  Teil 
losigkeil  der  heutigen  Kindererzichung  darauf,  daß  Kinderenicher 
dezbücher  einerseits  und  die  Kinder  andererseits  verscbiedetiö 
iprechen,  sich  überhaupt  nicht  verstehen.  Jede  Altersstufe  habe 
.Sprache^  die  a  priori  nicht  konstruiert  werden  kann,  sondern  siu* 


408  ßerükte  und  Bnprwktmgem, 

diert  werden  muß ;  das  Kauderwdsch  der  Ammen  und  Kindermädchen  hat 
nichts  zu  tun  mit  der  wirklichen  Sprache  der  Kinder,  zu  denen  sie  spredien. 
So  stelh  sich  denn  der  Hauslehrei"  die  Au%abe,  einerseits  wirklich  Auf- 
zeichnungen von  Sprach-  und  Schreibprodukten  aus  verschiedenen  Alters- 
stufen zu  bringen,  andererseits  schon  fortlaufend  zu  versuchen.  Lese-  und 
Erzählungsstoffe  in  die  Sprache  bestinunter  Altersstufen  zu  übersetzen.  Der 
letzte  Teil  des  Unternehmens  ist  pädagogisch  wieder  überaus  bedenklich. 
Ist  es  wirklich  wahr,  daß  Jugendlektüre  in  demselben  Stil,  mit  den  gieicben 
kindlichen  und  kindischen  Ausdrücken  (,>^oitwiederholungen,  ungelenkeit 
Wendungen,  Anakoluthen'*,  vergL  Vorwort  zu  Ottos  Faust-Beaibeitimg  X) 
geschrieben  sein  muß,  wie  die  Kinder  sprechen,  die  es  lesen  sollen?  Isc 
das  Lesen  und  Hören  von  Geschichten  nicht  eine  andere  Funktion  als  das 
Selbstsprechen?  Schon  immer  haben  Eltern  und  Erzieher  das  intukive  B^ 
dürfnis  und  mehr  oder  minder  die  intuitive  Fähigkeit  gehabt,  das  za  Er- 
zählende dem  kindlichen  Geiste  anzupassen,  ohne  dabei  den  Hauptrdz  des 
teilweise  Fremdartigen  und  Andersartigen,  des  nicfat  ganz  su  B^;reifdides, 
kurzum  des  Poetischen  und  Märchenhaften  verioren  gehen  zu  lassen. 
Freilich  war  es  ihnen  selbstverständlich,  stilistische  Mängd,  Sprachfdder,  Un- 
geschicklichkeiten, die  der  natürlichen  Trivialsprache  des  Kindes  anhafeen, 
durch  ihre  Autorität  nicht  noch  vorbUdlich  zu  machen.  An  der  Sprache  der 
Erwadisenen  und  der  Bücher,  die  die  Kinder  lesen,  Idimmen  diese  hmaof 
zu  höheren  Entwicklungsstufen,  gerade,  weil  jene  nicfat  ganz  ihre  eigene 
Sprache  sprechen,  die  sie  schon  beherrschen.  Mündliche  und  schrütüdie 
Jugenderzählungen  sind  gewissermaßen  „Kunst**  für  das  Kind,  hd)en  es 
über  den  Alltag  und  seine  enge  Welt  hinaus,  und  Kunst  muß  mehr  seb 
als  bloß  ablauschender  und  abschreib^ider  „Naturalismus**,  den  Otto  aof- 
drücklich  für  die  Sprache  seiner  Erzählungen  in  Anspruch  ninunt. 

Ohne  Vorbehalt  darf  man  dagegen  die  Forderung  Ottos  begrüßen, 
die  auf  das  Studium  d«r  Kindessprache  geht  O.  hat  durchaus  redit, 
daß  die  verschiedenen  „Altersmundarten**,  wie  er  es  nennt,  genau  ein  gleicbes 
Anrecht  auf  wissenschaftliche  Fixierung  und  Analyse  haben,  wie  etwa  die 
Stammesmundarten;  und  wie  auch  diese  gegenüber  der  Schriftsprache  sich 
erst  in  letzter  Zeit  wissenschaftliche  Beachtung  erzwungen  haben,  so  wird 
es  auch  mit  den  Altersmundarten  geschehen.  Um  den  Hauslehrer  in  dieser 
Beziehung  zu  entlasten,  giebt  O.  vom  Herbst  1903  ab  ein  „Archiv  für 
Altersmundarten  und  Sprechsprache**  heraus,  das  zunächst 
möglichst  umfassendes  Material  an  Aufzeichnungen  von  kindlichen  Spradi- 
Produkten,  sodann  aber  auch  die  grammatische  Bearbeitung  dieses  Materials 
enthalten  soll.  Dieses  Archiv  wrird  von  der  modernen  Kindesfoischnng 
aufrichtig  willkommen  geheißen  werden,  besonders,  wenn  sich  O.  entschlieflen 
wird,  durch  Verriebt  auf  seine  besondere  phonetische  und  granunatiscbe 
Terminok^e  das  Archiv  auch  für  Nichtkenner  seiner  Methode  lesbar  xu 
machen. 

Breslau.  W.  Stern. 


Eingesandt. 

Wir   erhielten   folgendes   £iQgesa.iidt: 

,^Euer  Hochwohlgaboren I  In  Ihrer  Zeitschrift  für  pädagogische  Psyclio- 
logie  etc.  (5.  Jahig.^  Heft  5,  1903)  befindet  sich  eine  Rezension  über  den 
an    unserer   Anstalt    eingeführten   Kanon   deutscher   Dichtungen   (S.  127  f.). 

Der  Herr  Rezensent  Siegberc  Schayer  gebt  bei  der  Beurteilung 
des  Buches,  das  übrigeninur  xum  Gebrauch  an  unserer  An- 
stalt zusammengestellt  ist,  von  ganz  falscher  Voraussetzung  aus, 
weön  er  meint,  das  Buch  solle  eine  bajidliche  Sammlung  derjenigen  Gedichte 
geben,  deren  K  e  n  n  i  n  i  s  als  unentbehrlich  für  den  Schüler  angesehen  werde. 
Dai  Buch  enthäli  vielmehr  solche  Gedichte«  die  der  Schüler  auswendig 
lernen,  sowie  immer  wieder  repetieren  tnuB  und  so  gewissermaßen  aJs 
acTT^  tU  id  mit  ins  Leben  nimmt.  Neben  diesem  Kanon  haben  die 
Schüler  selbstverständlich  noch  ein  Lesebuch,  das  andere  Gedichte  enthilt, 
deren  Kenntnis  als  un entbehr tjch  betrachtet  wird,  aUo  auch  die,  die 
der  Herr  Rezensent  nicht  missen  möchte.  E*  ist  unbegj'eifHch,  wie  ein 
Kenner  der  Gyinnasjalgepflogenheiten,  namentUch  der  von  viel^i  Anstalten 
•iiiigeführten  Kanones  von  Gedichten,  zu  einer  so  ganz  verkehrten  Ansicht 
ber  den  vorliegenden   Kanon  gelangen  konnte. 

Ich  ersuche,  vorstehende  Erklärung  in  der  nächsten  Nummer  Ihrer 
£eitschnfi  gefälligst  zum   Abdruck  bringen  zu  wollen, 

^_^  Hochachtungsvoll 

^^^^^  KgK    Rektorat    des    Theresien-Gymiuuiums. 

^^K  J,  Nicklas. 

Hierru  bemerkt  Herr  Oberlehrer  Dr.  S  c  h  a  y  e  r  ,  dem  wir  von  der 
Erklärung  Kenntnis  gaben ; 

j,Au5  der  vorstehenden   Erklärung  entnehme  ich  gern,   daß  meine  An^ 
schau ungen    über    die    Auswahl   der    in   der    Schule   tu  lesenden    deutschen 
dichte  weniger  stark  von  denen  der   Verfasser  des  „Kanons"  abweichen 
ich    bei    meiner   Beurteilung    angenommen   habe   und   habe   annehmen 
ü  s  s  e  n  j   weil  eben  in  dem   Büchlein  kein  Wort  über  seine  Bestimmung 
iJ^lten   ist.     Selbstverständlich    ist  es   nicht,   daß   die  darin  ver- 
gten  Stücke  2um  Auswendiglernen  bestimmt  sind^  dazu  sind  ihrer  nach 
;Q    an    preußischen    Anstalten    herrschenden    Vorschriften    wiederum 
2  0   viele.     Übrigens   vermag  ich   auch   unter  dem  veränderten   Geskhts- 
pisukte  die  Auslese  nicht  überall   £u   bUligen.     Diese  Auffassung  sowie  die 
f, verkehrte   Ansicht''    über    den  Zweck   der   Zusammenstellung   ist  nicht   nur 
meine    persönliche,    sondern    sie   wird    von    berufner    Seite,    der   die    »tGytn- 
nasialgcpflogcnheiten*'   in   Bezug  auf  die   Kanones  wohl  vertraut  sind,  voll- 
Aul    geteilt.  Siegbert    Schayer. 


K>e 
ei 


sy\/A 


Mitteilungen. 


Dte  semefaMcbaftllche  BraUcliiiiit  bekl#r  QMchtocIitor  I«  Amfrika. 

Wenig  bekannt  dürfte  in  Deutschland  die  Tatsache  sein^  daA  sid  in 
den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  seit  1870  die  für  das  dortige  Volb- 
Schulwesen  gemachten  Aufwendungen  verdreifacht  habei^  ja  daß  man  gegen- 
wirtig  daselbst  in  einem  Jahre  zu  dem  bezeichneten  Zwecke  so  viel  aM> 
gibt,  wie  Deutschland,  England  und  Frankreich  zusaüunen  wahrend  ^ 
gleichen  Zeitraumes  für  ihre  Kriegsmarine.  Von  jeher  hat  man  aoßenkn 
in  der  Union  die  großartigsten  Privatspenden  für  Unterrichtszwecke  gemacht; 
z.  B.  seit  1893  bis  jetzt  115—120  Millionen  Dollars.  Dies  und  vieles  indev^ 
namentlich  auch  über  das  dortige,  von  unserem  vielfach  ganzlich  abweickude; 
Unterrichtsverfahren,  die  Handhabung  der  Disziplin  und  den  gesamtes 
Zustand  des  Schulwesens  in  den  Vereinigten  Staaten  berichten  Band  XI 
und  XII  des  großen,  vom  britischen  Unterrichtsministertum,  Board  of 
education,  herausgegebenen  Sammelwerkes:  Special  Reports  on  Educational 
Subjects.  Volumes  XI  d,  XII:  Education  in  the  United  States  of  America. 
London  1902.  Eyre  &  Spottiswoode.  8».  1200  S.  Preis  4V4  s.  Bedeutende 
Sachverständige,  wie  Thisclton  Mark,  M.  E.  Sadler,  Fitch,  Alice  Ravenhill 
u.  a.  haben  an  dem  das  Unterrichtswesen  aller  Kulturstaaten  behandelnden 
Werk  mitgearbeitet. 

Die  coeducation,  der  gemeinsame  Unterricht  beider  Geschlechter,  ist 
fast  in  allen  Volks-,  Mittel-  und  Hochschulen  der  nordamerikanischen  Frei- 
staaten eingeführt,  sodaß  auch  unter  den  gesamten  dortigen  Lehrkräften 
volle  zwei  Drittel  weiblich  sind  und  an  der  Universität  zu  Chicago  sich 
48  Prozent  weibliche  neben  52  Prozent  männlicher  Studierender  befinden. 
Unbedingt  unterschreiben  wir  die  von  Dr.  W.  T.  Harris  angegebenen 
Gründe  des  Vorherrschens  der  Koedukation  in  Nordamerika  als  richtig 
und  teilweise  auch  für  deutsche  Verhältnisse  nicht  ganz  ungeeignet.  Er  tagt: 
Sie  (d.  h.  die  Koedukation)  ist  naturgemäß,  denn  sie  entspricht  den  Gewohn- 
heiten und  Empfindungen  des  Alltagslebens.  Sie  ist  unparteiisch,  denn  sie 
bietet  beiden  Geschlechtem  die  gleichen  Bildungsmöglichkeiten.  Sie  ist 
wohlfeiler  als  der  gesonderte   Unterricht. 

Sie  bietet  den  Lehrern  und  den  Schuldirektoren  bezüglich  der  Zu- 
erkeimung,  der  Abstufung  des  Unterrichts  und  der  Disziplin  große  Bequenr- 
lichkeiten.  Sie  ist  dem  Geist,  der  Moral,  den  Gewohnheiten  und  der 
Entwicklung  der  Schüler  zuträglich.  So  weit  Dr.  Harris.  Schon  früher 
haben  wir  darauf  hingewiesen,  daß  im  Waisenhaus  zu  Cempins  im  Seine- 
departement  seit  zwei  Jahrzehnten  wit  der  Koedukation  die  besten  Erfolge 
erzielt  sind,  ebenso  in  der  von  Cempins  aus  angeregten  Schule  der  Freidenker 
bei   Brüssel. 


MitUütimj^rm . 


411 


Schon  seit    I616   Mnd   in  den   Vereiiiigteii  Staaten   die   Lehrmethoden, 
n^memhcb  in  der  Volksschule,  griiitdHch  umg^tattet.  wenn  auch  gute  nicbt- 
ameriktnische  Ideoi  grundsätzlich  daselbst  nicht  verworfen  wurden.    Haupt- 
I    sächlich  hat  sich  in  der  Union  und  auch  in  Kanada  die  durchaus  gesunde, 
[    auch   für  nnier  gesamtes    Schulwesen   richtige  und  ieichr  anwendbare  Auf- 
fassung immer  mehr   Bahn  gebrochen,  daß   die  Volksschule  die  Grundlage 
wachst  nur  für  ein  demokratisches,  sondern  für  jedes  Gemeinwesen  bildet  und 
[   daher  unbedingt  von  den  Kindern  der  reichsten  Leute,  ebenso  wie  von  denen 
I    der  ärmsten,  welche  bekanntlich   oft  die  vorzüglichsten   Schiller  sind,  allein 
'    besucht   werden   muß.    Die   Mitschüler  und    Mitschülerinneii   wählen  sich  in 

Kr   L'nion  selbst   einen  sogenannten  Klassenpräsidenten  oder  eine  Klassen* 
Ksidenttn,  unserm  Frimus  oder  Ordnungsschüler  vergleichbar,  welche  Wurde 
il  öfter  gani  armen  als  reichen  Kindern  erteih  Mird.    Die  Disziplin  beruht 
I    in  den  Vereinigten  Staaten  nichts  wie  in  Deutschland,  auf  dem  kategorischen 
I    Befehl  des  Lehrers  und  dem  Crundsatre  Benc  imperanti  betie  paretur.  ?iondern 
!    auf   der   völligen  Sympathie   der   lehrenden    Person   mit  der  lernendenj    der 
j    Anlegung  und    Erklärung   der   ersteren,   insbesondere  aber   der  den  Schul* 
1'  persollen  seitens  der  Lehrer  stets  beigebrachten  oder  beizubringenden  Auf- 
fassung von  der  unbedingten  Ersprießlichkeit  des  L^nterrichis  für  die  Lernen* 
-    den,  sowie  ihrer  Selbstarbeit  und  Geistesschulung  auf  Grund  der  Erfahrung. 
So  lernen  die  Schüler  und  Schülerinnen  in  gemeinsamer  Arbeit  durch  Tun, 
nicht  durch  abstraktes  logisches  Denken  und  Kombinieren. 

I  Sehr    einlach    wird    in    der    Union    die    Frage    des    Religionsunterrichts 

'  behandelt  und  gelöst,  indem  in  ihm  überall  nur  die  ethische  Seite  hervor- 
gehoben wird.  Welche  Schwierigkeiten  hat  dagegen  allen  europäischen 
Staaten  von  jeher  und  ganz  besonders  auch  jetzt  die  Losung  dieser  Frage 
t»ereitetl  Fitch  sagt  darüber  einfach]^  Die  Geistlichen  als  solche  haben 
mit  der  Schule  nichts  zu  tun.    Die  Verfassungen  aller  Bundesstaaten  sprechen 

\  die  gänzliche  Freiheit  der  religiösen  Anschauung  und  des  Religionsunterrichts, 
sowie  die  gesetzliche  Gleichstellung  aller  Bekenntnisse  aus.    Dabei  muß  nicht 

'  etwa  angenommen  werden,  daß  die  Bibel  in  den  nordamerikanischen  Schulen 
gar  nicht  benutzt  wird;  nur  in  197  von  946  Lehranstalten  war  sie  nach 
dem  Berichte  der  betreffenden  Direktoren  vom  Religionsunterricht  ganz  aus- 
geschlossen. 

Aucli  in  Bürgerkunde  wird  in  alkn  Schulen  der  Union  unterrichiet, 
selbst  ruweilen  rwecks  Erwerbung  der  im  späteren  Leben  so  wichtigen 
Sprechfähigkeit  Siadtvertretuugs-  oder  ähnliche  Sitzungen  mit  fingierten 
Tagesordnungen  abgehalten,  der  Patriotisnnus  durch  Absingen  nationaler 
Lieder  und  Veranstaltung  geschichtlicher  Gedenkfeiern,  an  denen  sich  in 
hervorragendem  Maße  auch  die  weibliche  Jugend  im  Verein  mit  der  männ- 
lichen beteiligt,  gekräftigt  und  so  der  Erziehung  überall  die  Koedukation  zu 
Grunde  gelegt. 

Besonders  wichtig  ist  auch  der  Umstand»  daß  m  der  Union  die  Frau 
in  der  Schulverwaltimg  eine  wichtige  Holle  ^ielt,  natürlich  nur  hinsichtUch 
der  Mädchenschulen.  Übrigens  werden  auch  in  einer  aJten»  bisher  noch  nicht 
aufgehobenen,  preußischen  Min  ist  erial  Verordnung  vom  ^.  Juni  1811,  auf 
wrkhe  die  Berliner   Volksschullehrerin   Fraulem  Gädke   in  der   Sitzung  des 


412 


Mitttäungm, 


khuU     „ 


V^mils  Berliner  VolksschuilehrertunetL  vom  19*  Mai  1903  iitr  ßegttmdüiig 
ihrer  Aufatellüngen  mit  Recht  hingewiesen  hat,  die  Schuldeputationen  aui 
drucklich  aufgefordert,  die  Frauen  bei  zutreffenden  MaBnahmen  xu  Rate 
2U  ziehen  und  die  Hausmutter  des  Orteä  für  die  Angelegenheiten  der  Schule 
lu  interessieren.  Die  Schuldeputationen,  selbst  der  größten  Siadte  in  Dci 
land,  enthalten  dagegen  oft  nur  zwei  oder  höchst etis  drei  Schuhnaniier, 
daß  die  Frau  in  diesem  Kollegium  gar  nicht  gehört  werden  kann.  Wdblidi« 
Schulinspektoren  gibt  es,  soviel  wir  wissen,  innerhalb  des  Deutschen  Rddies 
bis  jet^t  nur  in  Baden  und  zwar  in  Offenburg. 

Die  Forderung,  daß  die  Frau  auch  in  Deutschland  in  der  Sduii^ 
kommission  Sit^  und  Stimme  habe*  ist  unbedingt  anzuerkennen.  Es  itebt 
feit,  daß  die  den  Mädchen  früher  mteil  gewordene  Unterweisung  m  der 
Hauptsache  Gemütsbildung  war  und  vielfach  auf  rem  äußerlich  angeeignetcnj, 
sehr  bald  wieder  vergessenen  Wissen  beruhte,  während  doch  die  letUßO 
Schuljahre  für  die  Töchter,  iiisbesondere  die  der  arbeitenden  Klassen,  dit 
wichtigsten  sind.  Daher  würde  es  sich  iinstTeitig  empfehlen,  tückti^ 
Lehrerinnen  das  Ordinariat  in  den  oberen  Mädchenklassen  aniuvenrauen 
Alle  diese  durchaus  billigen  Ansprüche  würde  nun  auch  die  deutsche  Ldircfiii 
geltend  machen  können,  wenn  ihr  gleich  ihrer  amerikanischen  Kolkgia  Siti 
und  Stimme  in  der  Sc  hui  Verwaltung,  d.  h.  in  der  SchuldeptHaüon  ©to 
dtm  Schul  vorstände  eingeräumt  würde, 

W  o  H  s  t  c  i  n.  K a r  I   L d s c h  ho r 


4 


nJlfsschtilen  fflr  scbwicltbefihigt«  Klitd«r. 

Bereits  in  den  letzten  ^ehn  Jahren  des  vergangenen  Jahrhundens  siödüT 
vielen  größeren  Städten  Deutschlands,  namentlich  in  Berlin,  Breslau,  MagtSc 
bürg,  Hannover,  Posen,  Lübeck»  Braunscfcweig  u.a.  Hilfsschulen  für  schwadi  j 
befähigte  Kinder  ins  Leben  gerufen,  die  sich  recht  gut  bewährt  haben,  Waä  in  ^ 
diesen  Anstalten,  die  im  allgemeinen  nur  von  einer  beschränkten  AnfaU  voo 
Schülern   und  Schülerinnen  besucht   werden,  gelehrt  wird,  steht  noch  unter 
den  Anforderungen  der  «infachen  Volksschule,  so  jedoch,  daß  die  betreffenden 
Kinder  immerhin  noch  das,   was  sie  für  ihr  späteres   Leben   iinbedin|t  %^ 
brauchen,   genügend   lernen,   also   wenigstens   soviel,   daß   sie   mittels  cinf* 
ihren   Fähigkeilen  angepaßten  Unterrichts  eine  bescheidene  Verwenduiig  "» 
der  bürgerlichen  Gesellschaft  finden,  d.  h.  sich  ihren  Unterhalt  spatef  «'^'"j 
ständig,  oder  ziemlich  selbständig  erwerben  kötmen«   Es  handelt  sich  also  sic»| 
um  Kinder,  die  noch  immer  bildungsfähig,  aber  infolge  von  UnglüdaftÜc*' 
Krankheiten    oder   erblichen    Belastungen    geistig    rurückgeblieben  sind  ^^  ^ 
bei   ihrer   geschwächten    Auffasiungs-   und    Denkfähigkeit    dem    Unterricl}^^  fl 
in  der  Volksschule  durchaus  nicht  zu  folgen  vermögen.   Für  blödsinnig«  ^ 
an   Krämpfen   leidende    Kmder   wie    notorische    Idioten   ist   der   Besuch  ^^ 
Hilfsschule  schon   aus  dem   Grunde  gänzlich  ausgeschlossen,   weil  der  Sta-irJ 
auf   diesem   Gebiete   schon   selbst   seit   langer  Zeit   eigene,  vortrcffhch  f>^  i 
gerichtete  Heil-  und  Lehranstalten  besitzt. 

Die  Einrichtung  der  Hilfsschulen  ist  hauptsächlich  deswegen  mit  gt«fl<^j 
Freude  tu  begrüßen,  weil  den   VolksschuUelirern  bei  der  vielfachen  ii^' 


MiiUüum^m, 


413 


\  ihrer  Klassen  die  Zeit  fehlt,  sich  mit  den  Schwachbefähigten  ein* 
ihender  ru  beschäftigen,  wenn  sie  nicht  andere  Schüler  dabei  vcrnach- 
isigcn  wollen.  Diese  Wenigbegabten  neigen  nun,  wie  leicht  erklärlich 
;,  wejj  sie  im  Unterricht  meist  unberücksichtigt  bleiben  müssen,  also  iin- 
scbäftigt  sindf  t\x  Störungen  aller  Art,  sind  außerdem  dem  Hohn  und 
lott  ihrer  Mitschüler  ausgesetzt  und  werden  dadurch  nicht  sehen  verbittert» 
□(tsig  und  bashaft.  Es  werden  daher  und  zwar  stets  mit  Genehmigung  der 
Item  und  jiach  vora^uf  gegangen  er  ärztlicher  Untersuchung,  wie  einer  Prüfung 
*T  Fähigkeiten  des  betreffenden  Schülers  im  Beisein  der  städtischen  Schul* 
^utation  in  die  Hilfsschulen  nur  solche  Kinder  aufgenommen»  welche  eine 
idercVolks schule  zwei  Jahre  hindurch  ohne  Erfolg  besucht  haben.  Dem  Unter- 
cbt  wird  ein  für  vier  aufsteigende  Klassen  festgesetzter  Lehrpian  zugrunde  ge^ 
gt.  Im  Deutschen  werden  die  Kinder  wenigstens  soweit  gefördert,  daß  sie 
ießend  und  mit  Verständnis  lesen,  die  Sprache  anderer  verstehen  und  sich 
arch  die  Sprache  anderen  verständlich  machen  lernen.  Im  Rechnen  wird  der 
alilenkreis  1000  eingehend  behandelt.  Beim  Unterricht  in  der  Heimat- 
iiode  wird  von  den  vier  Jahreszeiten  ausgegangen  und  dann  zur  Heimat^ 
adl  und  deren  Umgebung  vorgeschritten.  Eingehend  werden  dann  ledig- 
£h  die  Heimat provinjt  oder,  wenn  es  klein  ist,  das  Heimatbnd,  nur  kun 
agegen  Deutschland  und  die  einzelnen  Weltteile  behandelt.  Jm  Geschichts* 
[iterricht  werden  den  Lernenden  die  bedeutendsten  Personen  und  Ereignisse 
er  preußischen  Geschichte  vorgeführt,  im  naturkundlichen  Unterricht  die 
tchtigsten  Pflanzen  und  Tiere,  im  Singen  eine  Anzahl  Lieder  eingeübt.  Der 
en  Schwachbe^bten  lu  erieilendc  Unterricht  im  Zeichnen  umfaßt  Net^- 
dehnen  und  freies  Zeichnen,  Außerdem  wird  Knaben  und  Mädchen  wöchent- 
eh  Handarbeitsunterricht  in  zwei  Stunden  erteilt,  auch  Turn^  und  Spiel > 
:unden  werden  ihnen  gegeben.  Knaben,  namentlich  schwerfällige  und 
ngescbickte,  sollen  dadurch  einigermaßen  gewandt  gemacht  werden,  Auge 
od  Hand  2ti  üben  und  zu  bilden,  sowie  in  sich  Formen-  und  Schönheitssinn 
i  wecken  und  zu  pflegen.  Die  Mädchen  lernen  sticken,  nähen»  stopfen 
Etd  flicken.  Überall  ist  die  Behandlur^g  eine  durchaus  individuelle.  Vielfach 
nd  daher  die  Klassen  in  den  Hilfsschulen  vollständig  durchgefuhri  und 
ie  Stunden  für  Religion,  Deutsch  und  Rechnen  gleichgelegt,  da  die  Er- 
ihrung  aufs  deutlichste  gezeigt  hat,  daß  die  Leistungen  geistig  schwacher 
jiider  in  den  etnielnen  Fächern  nicht  selten  sehr  verschieden  sind  und  auf 
e  angegebene  Weise  ein  Austausch  einzelner  Kinder  zwischen  den  ver- 
Medenen  Klassen  der  Anstak  leicht  ermöglicht  werden  kann. 
■  Anfangs  pflegte  man  in  verschiedenen  Städten  die  Hilfsschulen  einer 
Br  mehreren  Volksschulen  anzugliedern,  sehr  bald  aber  erkannte  man, 
10  dies  nicht  der  geeignete  Weg  sei,  um  die  schwachbefähigten  Kinder 
fügend  t\x  fördern,  und  eröffnete  daher  verhältnismäßig  schnell  für  die- 
ilben  selbständige,  als  gesonderte  Organismen  zu  betrachtende  Hilfsschulen 
eigens  zu  diesem  Zwecke  angekauften  städtischen  Grundstücken- 
Möge  dies  Verfahren  die  weiteste  Nachahmung  finden»  denn  —  die 
n   bedürfen  des  Antes  nicht,   sondern  die  Kranken. 


k:W  ollst  ein. 


Karl   Löschhorn. 


«ft^^i* 


Bibliotheca  pädo-psycbelogic« 

von 

Leo  Hirschlaff. 

Litcr«ftiir  des  Jahres  1901. 

A.  Allgemeine  Psychologie. 

c.  Die  höheren  seelischen  Funktionen  (Vorstellungen,  Gef&^^^' 
StrebungeUy  Grundgesetze  des  seelischen  Geschehens.) 

F^rttetzm«. 
6^.  Collier,   J.:  Varying   Ideals  of   Human  Beauty.     Nineteench  C^cst, 
1901,  LXIX,  116—130. 

661.  Cordes,    G.:    Experimentelle    Untersuchunges    über    Assoaatioo^^ 

Phüos.  Stud.  XVII  (1),  30—77.     1901. 

662.  Co  ulon.H.:  De  Ulibert^  individuelle.    Paris,  Marchai  &  Bittaid,  ISC^ 
668.  Coup  in,  H.:  Illusion  d'optique.    La  Natuse,  1901»  XXIX,  W,  0^' 

664.  Coutaud,  A.:  Des  dmotions  gaies  ches  quelques  animati»     Rer.  ^^ 

THypnot.,    1899,   XIV,   207—214,   229—236. 

665.  De  Craene,  G.:  L*absCraction  intellectuelle.     Rev.  N6o-ScoL,  190^^' 

VIII,  243—267. 

666.  Creighton,  J.  E.:  Criteriology  and  Truth.     Philo».  Rev.,  19W,  ^^ 

46—56. 

667.  C  r  o  c  e ,  B. :  Giambattista  Vico,  Primo  scopritore  della  sdena  estetic^^ 

NapoU,  Detken  &  R.,  1901,  Pp.  46. 

668.  v.  Czobel,  St.:  Die  Entwicklung  der  Rdigionsbegriffe  als  Gruodla^^ 

e.  progressiven  Rdigion.  (Die  Genesis  unserer  Kultur.)  (Im  vi^^ 
Halbbdn.)  1.  Halbbd.  S.  1—282;  2.  Halbbd.  S.  288-^78;  3.  HaU>b3- 
2.  Bd.  S.  1—288;  4.  Halbbd.  2.  Bd.  S.  289^-626.  Leipiig  1901^' 
Lotus-Verlag. 

669.  Dahlmann,F.  W.:  Philosophie  des  Sichselbstbewußtseins.    Chicag^^» 

Koelling  &  Klappenbach,   1901.     Pp.   146. 

670.  Darwin,  F.:  The  Movements  of  Plants.  Nature,  1901,  LXV,  40— 4>^- 

671.  Das,  B.:  The  Science  of  tke  Emotions.     London,  Theosoph.  Mt^- 

Soc,  1900.     Pp.   183. 

672.  Davies,    H.:   Mcthod   of   Aesthetics:   a   Note.     Philo«.  Rev.  X  C^^' 

28—35.     1901. 

673.  Debove:    Forme   tardivc   de   Tictire   ^motif.     Gas.    Hebd.  de  M^<i- 

et  de  Chir.,  1901,  XLVIII,  d86--887. 


iWwitew  /iädb*^9yd9Qhgiek. 


415 


A,;   Beut  hall,  W.;  Automatic  Adlons.    Nafure,   1901^ 
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delbruck,  B,:  Grundfragen  der  S Nachforschung;    Strassburg^  Trilb^ 

ner,   1901.    Pp.   VU  +  ISO. 
[>  «  9  e  r  t  i  3  ^  V.  C. ;  Ptyclnc  Phtlofiophy  as  the  CöuRdatioa  öf  a  religiott 

ol  aai«iiiil  Law.    3öd  S,    London  Wellby, 
Dheur,    ?*;  L^  amoureux  de  La  doulcür,     Paris,  Soc.  d'Ed.  scient,, 

1900. 

^tz  0  n^  W 

LXV,   102; 
3odge,  R, 

50—60. 
t>oiiat,  J.:  Zur  Frage  über  den  Begriff  des  Schönen.    Pbtios,  Jahrb.« 

1901,   XIV,   142—160. 

^onitreff  :    Des    tnipulsions    assod^cs    et    pures    au   pomt    de    vue 

de   Im   respoQAabiUtÄ    morale,      (Th^e.)      Montpellier,    1901. 
Dupre  et  Devaux:  Rire  et  pleurer  spasmodiqttea  par  raniollissemeiu 

flucl6o<apsulaire  a0i6neux,  elc.  Ecv.  HeuroL,  1901  ^  IX»  919—920. 
D  y  c  k ,    W, :    Bezieh uQgea   rw beben   künstlcrischciti    und    wisscnachalt:- 

Uchcm  Erfassen  der  Natur.  Beilage  xux  Allgerocinen  Zeitung,  Nr.  05. 
D  y  r  o  f  f  *    A. :    Der    Begr^    der   psychischen    ÜHsposiiion    bei   WuiKh. 

Akten  des  5.  intematiooalen  Kongresses  katholischer  Gelehrter,  S.  197. 
^gger,    V.:    Llmio^ation    psychlqne.      Association    de    r«S8«mblance 

et  de  conttgult^  association  de  rcsse^blance  et  imaginaCion.    Rev.  d. 

Cours  et  Conf*,  1901,  3  &  10  jan.,  14  f^.,  21  mafs. 
^sler,  H.;   Das  Bewußtsein  der  Au&cnttdt,     Gmndteguirg  su  einer 
&keo«l||istheori^     Leipiig,  Dürr.   1901.   106  S. 

Ulis»  F.  W. :  Studies  in  the  Physiology  and  Psychology  of  Visual 
Scnaatiot»  and  Perceptjons.    Amer.  Joum,  of  Psychol.  V  (7),  4€2— 4M. 

1901. 

^  l  s  c  h  n  i  g :  Zur  Kenntnis  der  binoculairen  Tidenwahrnehmung.  Graef es 
Arch.   LH   [21  294—301.     1901. 

^rdmann,  B. :  Umrisse  zur  Psychologie  des  Denkens.     (PKiloi.  Abh* 
Stgwart  z.  70.  Gcburtst.  gew.)     Tübingen,   Mohr,  1901.     Fp.  3*^4B. 
[  r  d  m  a  n  n ,    B. :    Die    psychologischen    Grundlagen    der    Beziehuttgen 
zwbcben  Sprechen  und  Denken.    Arch.  f.  syst.  Philos.  VU  (2,  B  o.  4), 
147—176,   316^371,   430—490.     1901. 

1 1 1 1  i  n  g  e  r ,  M. :  Zur  Grundlegung  einer  Ästhetik  des  Rhythmus.  Di»9. 
München  1899.     44  S. 

i  u  c  k  e  n ,  K. :  Der  Wahrheitsgehalt  der  Religion.  448  S.  Leipcig 
1901,  Veit  &  Co, 

ducken,  R. :  Das  Wesen  der  Religion^  phüosorphisch  betracbfttf» 
Vortrag.     15  S.    Leipzig    1901,  G.  Wigand, 

1 V  e  n  i  n ,  F. :  Pour  Ui  raison  pure :  les  conflits  de  l'jniaginaeion  et 
de  la  raison,  C,  R.  Acad.  d,  Sei.  Mor.  et  Pol,  1901,  CLV,  783— 82ö. 
Pätis,    AJcan»    1901.     Pp.   34. 

asrbatiks,    K, :    Note   sur   uu   ph^nonI^ne   de   pr^vtsion  tmm^diate. 

Afcb.  de   E^ychol.  Suisse   Rom.,  1901,   1,   95^98. 

ratiy«  C:  üb«r  den  Wert  des  Schonen.     Lan^nsalxa,  Bey«r,   190L 


416  Bü^ioikeca  pädth-ptychohgüa, 

696.  F  i  8  c  h  e  r ,  £. :  Glauben  und  Wissen.    20  krit.  Essays.    232  S.  Bamberg, 

Handelsdruckerei.      1901. 

697.  Fischer,  O. :  Der  Gang  des  Menschen,  IV.  Abhandlungen  der  GefeU^ 

Schaft  der  Wissenschaften,  Göttingen,  mathematisch-naturwisseiischaft- 
liehe  Classe,  26.  B.  88  S.  Dasselbe:  Biologisches  Centralblatt,  S. 
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bu   144.     1901. 

699.  Flournoy,  Th. :  Le  cas  de  Charles  Bonnet,  hallucinations  visuelles 

chez  un  vieillard  op^r6  de  la  cataracte.  Arch.  de  psychol.  de  U 
Suisse  rom.  I,  1—28.     1901. 

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—  Pädag.  Magazin.  Abhandlungen  vom  Gebiete  der  Pädagogik  und 
ihrer  Hilfswissenschaften.  Hrsg.  v.  Frdr.  Mann.  167.  Hft.  Luigensalxa, 
H.  Beyer  &.  Söhne. 

701.  Fogazzaro,   A.:   II   dolore   nell'arte.     Milano,   Castoldi,   1901. 

702.  F  o  r  e  1 ,  A. :  Über  die  Zurechnungsfähigkeit  des  normalen  Menschen. 

Vortr.     8.   Aufl.     München,   £.   Reinhardt.     1901.     27   S. 

703.  Forel,  A.:  Faktoren  des  Ich.    Zukunft,  86.  B.  S.  7—19,  59-68. 

704.  Förster,  O.:  Beiträge  zur  Physiologie  und  Pathologie  der  Coordi- 

nation.    Monatsschr.  f,  Psychiat.  u.  Neurol.  X  (6X  884—347.   190L 

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der  Hand  eines  selbst  beobachteten  Falles.  Monatsschr.  f.  Psychiat 
u.  Neurol.  X  (5),  348-868.     1901, 

706.  Franken,  £. :  Wie  erlangt  und  wie  erhalt  man  sich,  ein  gutes  Ck- 

dächtnis?    119  S.  Berlin  1901,  H.  Steinitz. 

707.  Fr  euch,  F.  C:  The  Doctrine  of  the  Twofold  Truth.     Philos.  Rer, 

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708.  Freudenberg  :  Apollonius  von  Tyana.    (Zur  religiösen  Psychologie) 

Die  übersinnliche  Welt,  8.  J.  S.  269—271. 

709.  Fullerton,    G.    S.:    Free-will    and   the   Credit   for   Good  Actioos. 

Pop.  Sei.   Mo.,   1901,  LIX,  526—534. 

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Wissenschaft  der  Logik.  Neue  Ausgabe,  255  S.  Leiden  1901,  (Amster- 
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711.  Gaetschenberger,R.:   Gnmdzöge  einer  Psychologie  des  Zeidieoi- 

Dissert.     Würzburg.     1901.     132  S. 

712.  Gale,  H.:  On  the  Psychology  of  Advertising.    PsychoL  Stud.  (Gak*^); 

1900,   I.  39-69. 
J713.  Gannouchkine,  P. :  La  volupt^  la  cruaut^  et  la  rdigion.    Abb* 
MW.PsychoL,    1901,  XIV,   353—375. 

714.  Gaule.  J. :  Periodischer  Ablauf  des  Lebens.     Pflüger*s  Archiv,  87.  B. 

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716.  G  e  r  c  k  e ,  A. :  Analyse  als  Grundlage  der  höheren  Kritik.  New  Jah^ 

bucher  f.  d.  klassische  Ahertum,  S.  1—38^  81--112,  186^-401 


MiHf0ik€ca  päd&'/sycköloj^ca. 


417 


127  S.  Leipzig 
Vonrag.    30  S,    Königsberg, 


G  erling.  Fr.  W,:  Das   Ich  U-  die  Unsterblichkeit. 

3.901,  E.  H.  Mayer. 
G  «  r  s  c  h  m  a  n  n  ,  H . :  Kunst  und  Moral. 

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C^  crmain^    A.:    L'art  cbr^tien.    L'intcrpr Station  de  la  ptitd  par  les 

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G  ießler,   C,   M.:   Die  Atmung  Im   Dienste   der  voratetlenden   Tätige 

IceiL      Leiprig,    Pfeffer,    1901. 
Ci  iertiiann,C.:  Nochmals  über  den  Begriff  des  Schönen  (Erwiderung). 

l'bÜos.    Jahrb.,    1901,    XIV,    298-^314,    409—416. 
O  lUette,  J.  M,:    The  Relation  of  Emotion  to  Mathematkal  Belicf, 

:PsydioL    Rev.,    1901.    VllI,    602-606. 
^^  1  a  s  e  r ,  R. ;  Das  Seelenleben  des  Menschen  im  gesunden  und  kranken 

Ckhim.     Frauenftld,   J.   Huber,    IDOl,     Pp.   lB5, 
G  El  e  1  D 1 1  o  r  A. :  Interesse  e  disinrertsse  nei  sentimenti  ed  in  particolare 

HCl  sentimenti  moraü.     Riv.   Filos..  1901,  IV,  58—03, 
Ooblot,   E.:   La   musique   descriptive.     Rev.   phUos.   52  (7),  58 — 77. 

1901. 
Gocrth,  A.j  Der  Begriff  „Idee*'.    Die  deutsche  Schule,  S.  474— 48S, 

66&— 562      190L 
BelGreco:    Idee  fisse  e  digregaiionc  psicologica.    Ann.  di  NevroL, 

1900,  XVIIl,    lU-123. 
Griveau,  M. :    La  sphfere  de  beauti,  lois  d'^volution,  de  rhythme  et 

d'harmonie    dans    les    ph^non^^ncs    esthdtiques.      Paris,    Aican,    1901. 
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Q  r  o  o  s  ,  K. :  Experimentelle  Beiträge  zur  Psychologie  des  Erkcnncns. 
Ztsch.    f.    PsychoL,    1901,    XXVI,    145—167. 

Groß,  H.:   2ur  Frage  des  rcflcxoiden  Handelns.   Archiv  für  Kriminal- 
anthropologie  und    Kriminalistik,   7,    B.   S.    155—158.     190L 

G 111  her t:    La   formation   de    La   volonte.     Hev.   de   Philos.,    1901.    1, 
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i,  G  u  m  p  e  r  1 1 ,  K. :  Über  die  physiologischen  Grundlagen  des  Zeugen- 
cide».    Sep,  11  S*    Berlin,  J,  Goldschmidt.   190L 

Gumperiz,  K.  Über  doppeltes  Bewußtsein.    Berlin,    klm. Wochensch., 

1901,  XXXVIir,   1134^1136. 
Gufherlel,  C:  Tcleologie  utid  Causalität  (Schluß).     Philos.  Jahrb. 

14,  (1),  a  47—61.     1901. 
H  a  1 1  e  1 :   Consid^rations  sur   le    Beau   et   les   Beaux-Arts.     Rev.   N^o- 

Scol,   1901,  Vin;  225-242. 
Hamann,    R. :   Das    Problem    des   Tragischen.     Ztsch,   f.   Philos.   u. 

phil.  Kr.,   1901,  CXVÜ,  231—249;  CX\niI,  89—107, 
Hardy,  E. :  Psychologisch  ethische  Hauptrichtungen  des  Buddhismus. 

Akten  des  5.  internationalen  Kongresses  katholischer  Gelehrter,  S.  193. 

190L 
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265    S. 
Hartlandt  E.   S.:  Some   Problems   of   Early   Religion  in   the 

of   South   African    Folklore.      Folk-Lore,   1901,   XU,    15-40, 

ZeiUchrilt  ffir  pkäAgp^^xhe  Psy^ologie,  Pithologtt  und  Hygieoe.  12 


Lighi 


416  BikUotheca  pääö-pydhologiea, 

740.  V.  Hartmann,  E.:  Wundt's  Weltanschauung.   Gegenwart,  Nr.  87, 28. 

1901. 

741.  V.  Hartmann,  E. :  Das  Unbewußte  m  der  modernen  Philosophie. 

Gegenwart,  Nr.  4.     1901. 

742.  V.  Hase,  K. :    Die  psychologische  Begründung  der  religiösen  Welt- 

anschauung im  19.  Jahrhundert.  Vortrag.  Zeitschrift  für  pädajg;ogische 
Psychologie,  3,  S.  1—26.  —  Dass.  Sep.  26  S.  Berlin,  H.  Walther.  1901. 

743.  Haskovec:    Contribution  ä  la   connaissance   des   id6es   obsddantes. 

Rev.  neurol.  IX  (7),  330—349.     1901. 

744.  Haslbru  ne  r,  K. :  Die  Lehre  von  der  Aufmerksamkeit.    £ine  philo- 

sophisch-pädagog.  Studie.     107  S.     Wien  1901,  H.  Kirsch  in  Komm. 

745.  Heck,  O.:  Physiologie:  Die  menschl.  Sinnestätigkeiten,  Bewußtsein. 

^iSLt,  Vorstellen,  Empfinden,  Denken,  Urteilen  u.  tiandebi.  t32  S. 
Homberg  1901,  Th.  M.  Spanner  Nachf.  in  Komm. 

746.  Heilbronner,  K. :  Über  die  transcörticale  motorische  Aphasie  tifld 

die  als  „Amnesie'*  bezeichnete  Sprachstörung.  Arch.  f.  Psychiat 
34  (2).     103  S.     1901. 

747.  Heine,  Gerh.:  Das  Wesen  der  religiösen  Erfahrung.     (III.   108  S.) 

Leipzig,  1900,  E.  Habeiland.    1901. 

748.  Hempstead,  L. :    The  Perception  of  Visual  ^orm.  Am.  Joum.  of 

Psych.  XII  (2),  185—192.     1901. 

749.  Henry,   V.:    Le   langage    martien:    6tude   änalytique    de  1a  gen^ 

dHine  läague.     Paris,   Maisonneuve,   1901. 

750.  H  e  r  d  e  r '  s  Abhandlung  über  den  Ursprung  der  Sprache.    Hrsg.  n. 

mit  einer  Einleitung  u.  Anmerkgn.  versehen  v.  Th.  Matthias.  153  S. 
Atis:  Neudrucke  pädagogischer  Schriften.  XVI.  Leipxig»  F.  Brand 
stetter.     1901. 

751.  iteymans,  G.:    Untersuchungen  Über  psychische  Heknmmig.   2tsdi- 

f.  Psychol.,   1901,  XXVI,  305—382. 

752.  Hirn,  Y.:  The  Origins   of  Art.     A  Psychological  and   Sociological 

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800.  Lenz,  R. :   Ursprung  und  Entwicklung  der  Sprache  (mit  besonderer 

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801.  Lercher,  L. :    Zur  Frage  über  die  Objektivität  der  sinnlichen  Eifob- 

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Biöiiäiktm  j^dih-fiitj^e^k^jfkstu 


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Preußisdie  Jahrbücher,  104.  Bd.  S.  193— 2S3.     lÖOL 
M  u  r  i  s  i  e  r ,  E. :   Les  Maladies  du  Sentimen!  Religieux-    (BibL  de  phil> 

cotit.).     Paris,   .'Ucan,   190t.     Pp.   176, 
Myers,  Ch,  S.:    Experimeniation  on  Emotton.   Diss,  Mind  N.  S,  37, 

S.  lU-Uö,     1901. 
Nagel,  W.  A.;  Zwei  optische  Täuschungen,     Ztsch.  t  Psycho!.,  1901, 

XXVI I,  277-2*1. 

V,  Neupauer,  J.   R.:   Giebt  es  unbewußte  Seelen  vorginge  ?     Natur 

und  Offenbarung,  S.  693—696.     1901. 
V.  O  b  e  r  m  a  y  e  r ,  A. :  Zn  den  aus  Helligkcits unterschieden  entspringen- 
den optischen  Täuschungen.    Jahrhucb  für  Photographie,  S.  fiOö — 209. 
1901. 

Heads,  and  how    to  read  thcm.     A  populär  guide 
112   S.     London,   Pearson-      190L 
Form  und  Farbe.  212  S.  Hamburg,  A.  Janssen.  1901, 

,  W.;  Psychologie  u.  Philosophie  der  Sprache.     Berlin, 

70  S. 
Th.:     Foundations    of    knowledge.      In    three    parts. 
528  S,     London,  Macmilkn  &  Co.     1901. 
Orthj   J. :   Kritik   der   Assoriationseint eilungen.     Zeitschrift  für  päda- 
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Paulhao,  F.:  Les  ph^om^nes  äff ectüs  et  les  lois  de  leur  apparition. 
Paris,  Alcan,    1901. 


II, 


>t. 


»3. 


I 

I 

I 


S2. 


sa, 


0*Dell,  St.  E.: 
to  Phrenologie. 

0  1 1  m  a  n  n  s  t  J. : 

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870.  P  e  p  e  r ,  W. :  Über  ästhetisches  Sehen.    Aus :  Pädagogisches  Magim, 

Abhandlungen  vom  Gebiete  der  Pädagogik  u.  ihrer  Hilfswissgntrfaftfi; 
Hrsg.  V.  F.  Mann.  174.  Hft.  66.  S.  Langensalza,  H.  Beyer  ft  Söbt, 
1901. 

871.  Peters,  G. :  Die  Graphologie.    80  S.    Mülheim  a.  R.    1900»  J. 

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rapporto  coUe  alterazioni  dell'apparato  uditivo  periferico.  Arcfa.  M' 
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Philos.   Jahrb.,   1901,   XIV,   113—132,  374—394.  ; 

876.  Philippe,  J.:  Le  probl^me  de  la  consdence  dans  la  pB|Lkh|ji 
exp^rimentale.  C.  R.  IVe  Congr^  Int.  de  PsychoL,  19OOj0ll% 
266—268. 

876.  Pick:    Sur  r^chographie.    Rev.  Neurol.,  1900,  VIII,  828— 894.  ; 

877.  Pick,  A.:  Neue  Mitteilungen  über  Störungen  der  TiefenlocaBndflL 

Neurol.   Centralbl.,   1901,   XX,   338—343. 

878.  Pi^ron,  H.:  Sur  Tinterpr^tation  des  faits  de  rapidit6  anormak 

le  Processus   d'6vocation   des   images.     C.   R.   IVe  Congrtt  bt 
Psychol.,  1900  (1901),  439—448. 

879.  P  i  k  1  e  r ,  J. :  Physik  des  Seelenlebens  mit  dem  Ergebnisse  d«r  Wk 

gleichheit    aller    Bewußtseinszustände.     Allgemeinverstandüdij^ 
eines  Systems  der  Psychophysiologie  und  einer  Kritik  der 
Lehre.     40   S.     Leipzig    1901,     J.   A.    Barth.  > 

880.  P  i  1 1  o  n ,  £F.  :  La  memoire  affective :  son  importance  th^orique  et 

Rev.   Philos.,   1901,   LI,   113—138.     (29,   148.) 

881.  P  i  z  z  o  1  i :.  Examen  du  mouvement  volontaire.    Bull.  Soc.  Etüde 

de  TEnfant,  1901,  II,  106—109. 

882.  Pocock,  R.  I.:    Adaptation  of  Instinct  in  a  Trap-door  Spider.  Ni 

1901,  LXIII,  466. 

883.  Potwin,  E.  B. :  Study  of  Early  Memories.     PsychoL  Rev.  VIII 

696—601.     1901. 

884.  P  r  e  h  n,   A. :  Die  Bedeutung  der  Einbildungskraft  bei  Hume  imd 

für  die  Erkenntnistheorie.     Diss.  Halle  1901,  62  S. 

886.  Prodan,  J.  S.:   „O  pamjati"  (Über  das  Gedächtnis)  I  u.  IL'Daip# 

1900—1901.     62   u.   392   S.  * 

886.  Prowazek,  S.:  Das  Gedächtnis.      Die  Natur,  No.  6.    1901. 

887.  Puffer,    E.    D.:    Criticism    and    AEsthetics.     Atlantic    Mo.,    190t 

LXXXVII,   839—847. 

(Fortsetzung  folgt) 

Schriftleitung:  F.  Kemsies,  Schöneberg,  Hauptstr.  106  und  L.  HindiUff,  Berifn  V.,  Lttwnlr.tf^ 
Verlag  von  Hermann  Walther,  Verlagsbnchhandl.,  O.  m.  b.  H.,  Berlin  SW.,   KomwuMburtHiit.  t 
Druck :  Deutsche  Buch-  und  Kunstdruckerei  O.  m.  b.  H.,  Zonen— BcriUi  SW.  11. 


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Jahrgang. 


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Inhalt  von  Heft  6, 

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Herausgegeben 
von 

Ferdinand  Kemsies  und  Leo  Hirschlaff, 


Jahrgang  V.        Berlin,  Dezember  1903. 


Heft  6. 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprach- 
entwicklung 

»ach  eigener  Beobaciitiing  behandelt  von 
Heinrich  Idelbergen 

(Schluß,) 

Nachdem  ich  bis  dahin  im  allgemeinen  die  Entstehungs- 
ursachen der  scheinbaren  Worterfindungen  dargelegt  habe, 
möchte  ich  mich  nunmehr  noch  etwas  näher  mit  den  Berichten 
von  Stumpf  und  Haie  über  angebliche  Erfindung  einer  voll- 
ständigen Eigensprache  befassen,  deren  Beurteilung  besondere 
Schwierigkeiten  macht.  {Stumpf,  Eigenartige  sprachhche  Ent- 
wickelung  eines  Kindes;  Zeitschrift  für  pädagogische  Psycho- 
kigie  III*,  6,  Horatio  Hale^  the  origin  of  languages,  in  den 
Proceedings  of  the  American  Association  for  the  Advancemem 
of  Science-  VoL  XXXV.)  Es  ist  selbstverständlich  nicht  an- 
gängig, diese  Berichte  in  ihrer  Ausführlichkeit  hier  aufju- 
nehinen;  ich  gebe  darum  im  folgenden  Auszüge  aus  denselben 
im  Anschluß  an  Meumann  (Meumann  IL  Seite  30  fi)  und 
Rzesnitzek  (Rzesnitzek,  a,  a.  O.,  Seite  18  ff.). 

Der  Psychologe  Karl  Stumpf  beobachtete  an  einem  seiner 
eigenen  Kinder  die  Entstehung  einer  vollständigen  Sonder- 
sprache, die  sich  immer  mehr  erweiterte  und  bereicherte, 
obwohl  das  Kind  völlig  normal  war.  Die  Ursache  dieser 
regelwidrigen    Sprachentwickelung    waren   nicht    aufzudecken 

ZdtÄhnft  f^f  pitbgogiscbe  Psychobtic.  Pathologie  und  Hygiene.  1 


^^^ '^^z^^^^^^robUme  der  kindlichen  Sprachentwicklung,  427 

*^^^      Stumm;  dami  lernten  sie  allmählich  die  eng- 
xand  ihre  eigene  Sprache  verschwand. 

sodann  einen  zweiten  Fall,  von  welchem  wir 

n  Untersuchung  des  Dr.  Hun  (Dr.  E.  R. 

nent  of  Language  in  a  Child,  in  Monthly 

Medicine  1886)  einen  ausführlicheren 

"^  ein  Mädchen  von  4^/2  Jahren  in 

^ahren  war  dasselbe  noch  derart 

'aß  es  nur  die  Wörter  „papa** 

Zeit  fing  es  an,  nur  selbst- 

nd  obgleich  es  verstand, 

>ch  die  gehörten  Wörter 

nate  jüngeren  Bruder 

.    Im  Hause  wurde  nur 

.1,  und  es  ist  zweifelhaft,  ob 

^iie  sprechen  gehört  hat.   Trotzdem 

^inen   Wörtern  einen   starken   Anklang 

^iie.    Mit  „feu**  (französisch  gesprochen)  be- 

'*>Veuer,  Licht,  Zigarre,   Sonne",  mit  „tout**  „alle, 

^^^-s"  „nicht".    „Peti — peti"  als  Name  für  den  Bruder 

!5^^inlich  das  französische  „petit",  und  „ma"  ist  viel- 

^■Orrumpierte  französische  Wort  „moi".    Das  Kind 

^^r  „gar"  für  „Pferd",  „deer"  für  „Geld",  „beer" 

■^^^j    Schule",  „peer"  für  „Ball",  „bau"  für  „Soldat, 

"^^^o"  für  „schicken,  ausgehen,  wegnehmen",  „keh" 

^^^^utzen",  „pa — ma"  für  „schlafen  gehen,  Kopfkissen, 

^^   Neigung  zur  Reduplikation  zeigt  sich  in  „migno — 

^^  „Wasser,  Wäsche,  Bad",  „gogo"  für  „Süßigkeiten, 

>>Avaia — waiar"  für  „schwarz,  dunkel,  Neger".  „Gummi- 

^ichnet  „Brot,  Gemüse"  und  dergl.,  auch  die  „Köchin". 

^^n  auch  ein  Adjektiv  werden,  wie  in  „ne — pas — feu", 

'^rm".    Das  2feitwort  „odo"  besitzt  eine  verschiedene 

^g,  je  nach  der  Stellung  oder  den  begleitenden  Wörtern ; 

**  bedeutet  „ich  will  ausgehen",  „gar — odo"  „laß  das 

•onmien",  „tout — odo"  „alles  ist  ausgegangen".    „Gaän" 

it    Gott,    und    bei    Regenwetter    laufen    die    Kinder 

s    Fenster    und    rufen:     „Gaän    odo    migno — migno, 

lo",    d.  h.  „Gott,    nimm   den    Regen    fort    und    sende 

onne".      „Odo"     vor     dem     Objekt    bedeutet     „nimm 

(lach  dem  Objekt  „senden".    Damit  sind  auch  dje  An- 

1* 


426  Hemriek  Idelberger. 

Das  Kind  bildete  eigene  Ausdrücke  für  Gegenstände, 
Eigenschaften,  Eigennamen,  Zahlwörter  usw.,  die  sämtlich 
Verdrehungen  und  Entstellungen  der  Sprache  der  Er- 
wachsenen zu  sein  schienen ;  aus  diesen  entstanden  dann  später 
ganze  Sätze,  die  oft  kaum  noch  an  die  Sprache  der  Erwachsenen 
erinnerten  und  natürlich  nur  von  den  Personen  verstanden 
wurden,  die  täglich  mit  dem  Knaben  verkehrten.  So  sagte 
das  Kind :  „ich  olol  hoto  wapa"  =  Rudi  hat  mein  Pferd  um- 
geworfen. Ich  bedeutet  dabei  „mein",  olol  ist  der  Name  für 
Rudi,  hoto  heißt  Pferd,  und  wapa  ist  eigene  Umbildung  aus 
werfen.  Oder :  heda  krei  tück  koko  prullich  wapa  =  Luise  hat 
mehrere  Stücke  Zucker  in  die  Milch  geworfen.  Vergebens  ver- 
suchten die  Eltern,  dem  Kinde  die  richtigen  Ausdrücke  bei- 
zubringen ;  selbst  wenn  die  Mutter  ihm  Gedichte  vorsagte  und 
den  Schluß  eines  Verses  ergänzen  ließ,  setzte  das  Kind  die  Worte 
seiner  Eigensprache  ein,  obwohl  der  Reim  dadurch  zerstört 
wurde:  „Fuchs,  du  hast  die  Gans  gestohlen,  g^b  sie  wieder 
her,  sonst  wird  dich  der  Jäger  holen,  mit  dem  ....  pupupa." 
Im  Laufe  des  dritten  Jahres  gab  dann  das  Kind  plötzlich,  ohne 
sichtbaren  Anlaß,  diese  Eigensprache  auf. 

Der  amerikanische  Sprachforscher  Horatio  Haie  hat  andere 
sprachliche  Abnormitäten  mitgeteilt,  die  sich  aus  der  Isolierung 
des  Kindes  erklären  sollen.  In  dem  einen  Falle  berichtet  H. 
von  einem  Zwillingspaare,  das  1860  in  einer  Vorstadt  von  Boston 
geboren  wurde.  Diese  Kinder  waren  mütterlicherseits  deutscher 
Abstammung,  aber  die  deutsche  Sprache  wurde  in  der  Familie 
nicht  gesprochen.  Im  gewöhnlichen  Alter  begannen  diese 
Kinder  zu  sprechen,  aber  nicht  englisch,  sondern  sie  bedienten 
sich  einer  eigenen  Sprache,  von  deren  Gebrauch  sie  sich  auch 
durch  die  Versuche  einer  fünf  Jahre  älteren  Schwester  nicht 
abwendig  machen  ließen.  Selbst  die  herkömmlichen  Wörter 
„papa"  und  „mamma**  für  „Vater**  und  „Mutter**  sprachen  sie 
nicht  aus,  sondern  hatten  dafür  ihre  eigene  Bezeichnung.  Unter 
sich  verständigten  sie  sich  mit  derselben  Lebendigkeit  \md  Leich- 
tigkeit wie  andere  Kinder.  Ihr  Akzent  schien  der  deutsche 
zu  sein;  auch  gebrauchten  sie  wiederkehrende  Wörter,  von 
denen  die  Familie  mit  der  Zeit  einige  unterscheiden  lernte, 
z.  B.  „ni — si — boo — a**  für  Wagen,  wobei  die  Silben  manchmal 
so  oft  wiederholt  wurden,  daß  daraus  ein  weit  längeres  Wort 
entstand.    Im  siebenten  Jahre  zur  Schule  geschickt,  blieben  sie 


HaupipröbUme  der  kindlichem  Sprackemtwicklung, 


431 


die  erste  Woche  stumm;  dann  lernten  sie  allmählich  die  eng- 
lischen Wörter,  und  ihre  eigene  Sprache  verschwand, 

Haie  erwähnt  sodann  einen  zweiten  Fall,  von  welchem  wir 
nach  der  eingehenden  Untersuchung  des  Dr.  Hun  (Dr.  E.  R. 
Hun,  Singular  Development  of  Language  in  a  Child,  in  Monthly 
Journal  of  Psychological  Medicine  i8S6)  einen  ausführlicheren 
Bericht  besitzen.  Er  betrifft  ein  Mädchen  von  4^/g  Jahren  in 
Albany*  Im  Alter  von  zwei  Jahren  war  dasselbe  noch  derart 
im  Sprechen  zurückgeblieben,  daß  es  nur  die  Wörter  ,,papa" 
und  ,,mama**  sprach.  Um  diese  Zeit  fing  es  an,  nur  selbst- 
gebildetc  Wörter  zu  gebrauchen,  und  obgleich  es  verstand, 
was  man  zu  ihm  sprach,  so  ahmte  es  doch  die  gehörten  Wörter 
nicht  nach.  Es  hatte  auch  einen  18  Monate  jüngeren  Bruder 
zur  Aimahme  seiner  Sprache  veranlaßt.  Im  Hause  wurde  nur 
die  englische  Sprache  gesprochen,  und  es  ist  zweifelhaft,  ob 
das  Kind  jemals  die  französische  sprechen  gehört  hat.  Trotzdem 
haben  mehrere  von  seinen  Wörtern  einen  starken  Anklang 
an  das  Französische,  Mit  ,ieu'*  (französisch  gesprochen)  be- 
zeichnet  es  „Feuer,  Licht,  Zigarre,  Sonne*\  mit  ,,tout**  „alle, 
jedes**,  j,ne  pas"  „nicht".  ,,Peti— peti"  als  Name  für  den  Bruder 
ist  augenscheinlich  das  französische  „petit**,  und  „ma**  ist  viel- 
leicht das  korrumpierte  französische  Wort  „moi"*  Das  Kind 
sprach  ferner  „gar**  für  „Pferd**,  „decr'*  für  ,,Geld**,  ^,beer*' 
für  j.Bücher,  Schule",  „peer"  für  „Ball",  „bau**  für  „Soldat, 
Musik",  „odo**  für  „schicken,  ausgehen,  wegnehmen",  „keh" 
für  „beschmutzen**,  „pa — ma"  für  ,,schlafen  gehen,  Kopfkissen, 
Bett".  Die  Neigung  zur  Reduplikation  zeigt  sich  in  „migno^ 
migno"  für  „Wasser,  Wäsche,  Bad",  p>gogo"*  für  „Süßigkeiten, 
Zucker*',  „waia—waiar**  für  „schwarz,  dunkel,  Neger".  „Gummi- 
gar"  bezeichnet  „Brot,  Gemüse**  und  dergl„  auch  die  ,, Köchin", 
,,Feu"  kann  auch  ein  Adjektiv  werden,  me  in  „ne^ — pas — ^feu", 
„nicht  warm".  Das  Zeitwort  „odo"  besitzt  eine  verschiedene 
flgdeutung,  je  nach  der  Stellung  oder  den  begleitenden  Wörtern ; 
l^odo"  bedeutet  „ich  will  ausgehen",  „gar— odo"  „laß  das 
Pferd  kommen**,  „tout— odo**  „alles  ist  ausgegangen".  „Gaän*' 
bedeutet    Gott,    und    bei     Regenwetter    laufen    die    Kinder 

6   das     Fenster    und     rufen:     „Gaän     odo     migno—migno, 
odo*\    d.  h,  „Gott,    nimm    den    Regen    fort    und    sende 
Sonne**,      „Odo**     vor     dem     Objekt    bedeutet     „nimm 
nach  dem  Objekt  „senden**.    Damit  sind  auch  dje  An- 


428  Heinrich  Idelberger. 

fange  einer  Syntax  gegeben,  die  wir  auch  in  der  Verbindung 
„mea  waia — naiar**  „dunkler  Pelz**  (mea  =  Katze,  Pelz)  finden, 
wobei  das  Adjektiv  dem  Substantiv  folgt.  Die  Worte  „papa", 
„mamma**  werden  in  ihrem  gewöhnlichen  Sinne  gebraucht;  in  der 
Verbindung  „papa — mamma**  bezeichnen  sie  „Kirche,  Gebet- 
buch, Kreuz**.  „Bau  =  Soldat**  bezeichnet  auch  einen  Bischof, 
seitdem  die  Kinder  einen  solchen  in  seiner  Mitra  gesehen  hatten. 
„Gar — odo**  bezeichnet  eigentlich  „laß  das  Pferd  kommen*'; 
seitdem  aber  die  Kinder  gesehen  hatten,  daß,  wenn  der  Vater 
einen  Wagen  gebrauchte,  derselbe  eine  Bestellung  aufschrieb  und 
nach  dem  Stall  schickte,  so  fingen  sie  an,  „gar — odo**  auch 
für  Bleistift  und  Papier  zu  benutzen.  Außer  diesen  beiden  Bei- 
spielen gibt  Haie  noch  andere  höchst  interessante  Belege  dafür, 
daß  sich  das  kleine  Kind  scheinbar  die  Sprache  selbst  schafft 
und  nur  durch  das  Aufdrängen  der  Sprache  der  Umgebung 
an  der  Weiterbildung  der  eigenen  Sprache  verhindert  wird. 
Auch  der  Archidiakon  Farrar  unterstützt  diese  Ansicht,  wenn 
er  sagt :  „Die  vernachlässigten  Kinder  einiger  kanadischer  und 
indianischer  Dörfer,  die  dort  tagelang  allein  gelassen  werden, 
pflegen  selbst  eine  Art  von  lingua  franca  zu  erfinden,  die  teil- 
weise oder  gänzlich  allen  unverständlich  ist.**  (Romanes,  Die 
geistige  Entwickelung  beim  Menschen,  Seite  263.  Entnommen 
aus  Meumarm  II.    Seite  33.) 

Zu  diesen  Berichten  Stumpfs  und  Haies  möchte  ich  folgen- 
des bemerken.  Professor  Stumpf  glaubt  die  von  der  Sprache 
der  Erwachsenen  vielfach  ganz  abweichenden  sprachlichen  Bil- 
dungen seines  Kindes  als  willkürliche,  absichtliche  Formationen 
ansehen  zu  müssen,  zumeist  erzeugt  durch  das  Bestreben  des- 
selben, mit  der  Sprache  zu  spielen.  (Vergl.  hierzu  Stumpf, 
a.  a.  O.,  S.  420,  422,  423  (Fußnote),  430  (Fußnote),  44^ 
und  479.)  Nun  ist  die  Gewohnheit,  hin  und  wieder  mit  der 
Sprache  zu  spielen,  —  in  Verbindung  mit  jugendlichem  Über- 
mut —  ein  Faktor,  welcher  gar  häufig  Kinder  veranlaßt,  sprach- 
liche Ausdrücke  und  Wendungen  der  Erwachsenen  in  komischer 
Weise  zu  entstellen ;  doch  macht  sich  derselbe  regelmäßig  erst 
in  einer  Zeit  geltend,  in  der  das  Kind  die  Sprache  seiner  Um- 
gebung mehr  oder  weniger  beherrscht.  Für  das  Kind  in  den 
ersten  Sprachanfängen  —  und  darum  handelt  es  sich  im  Falle 
Stumpf  —  kommt  aber  eine  derartige  willkürliche,  mit  Bewußt- 
sein und  bestimmter  Absicht  ausgeführte  Umbildung  nicht  in 


il^upi^roltkmt  der  JldmUkheft  Spr4i€hentii*tcHung, 


429 


Frage*  Es  bat  vollauf  damit  m  tun^  die  Sprache  der  Envach* 
senen  aufzufassen  und  nachzuahmen ;  sein  Verhalten  hierbei 
ist  ein  durchaus  passives.  Daß  sich  das  sprechenlemende  Kind 
nun  gar  durch  ein  solches  Spielen  systematisch  eine  derartig 
umfangreiche  und  entwickelte  Sprache,  wie  die  berichtete, 
schafft,  erscheint  mir  nach  meinen  Beobachtungen  unmöglich. 
Daß  die  angeborene  Spraclidisposition  die  Schöpferin  dieser 
cigentümUchen  Sprache  gewesen  sei,  halte  ich  nach  meinen 
obigen  Darlegimgen  über  die  Entstehungsursachen  angeblicher 
Wonerfindungen  deshalb  für  ausgeschlossen,  weil  foitgesßtzt 
die  mannigfaltigsten  sprachUchen  Entwickelungsreize  durch  die 
Sprache  seiner  Umgebung  auf  das  Kind  einwirkten  und  eine 
Betätigung  der  ersteren  in  der  fraglichen  Richtung  ausschließen 
mußten.  (Über  den  Einfluß  der  natürlichen  Sprachveranlagung 
auf  die  Sprachen! Wickelung  werde  ich  später  noch  sprechen.) 
Stumpf  selbst,  der  das  Kind  täglich  beobachtete,  faßt  die  be- 
richteten eigentümlichen  Sprachbildungen  nicht  als  spontane 
Erzeugung  auf;  verschiedenfach  ist  er  imstande,  die  direkte 
Beeinflussung  seitens  der  Erwachsenen  nachzuweisen;  wo  ihm 
dies  nicht  möglich  ist,  glaubt  er,  wie  oben  erwähnt,  ein  ab- 
sichtliches  Umformen  annehmen  zu  müssen.  —  Nach  meinem 
Dafürliallen  hegt  der  erste  Anlaß  zu  dieser  eigentümUchen 
Sprach  bildung  sicherlich  in  der  Unvollkoramenheit  des  Kindes 
(ungenauem  Hören,  mangelhafter  Beherrschung  des  moto- 
rischen Sprachapparates  imd  unvollkommener  Beobachtung), 
Die  plötzliche  Aufgabe  dieser  abnormen  Sprache  macht  es  aber 
unmöglich,  anzunehmen,  daß  das  Kind  dieselbe  nur  dem  un- 
genauen Hören  etc,  verdankt ;  das  lange  Festhaken  an  derselb^m 
macht  weitere  Erklärungsgründe  notwendig,  und  als  solche 
sind  nun  wahrscheinlich  der  Eigensinn  des  Kindes,  seine  Selbst- 
gefälligkeit, sein  Bestreben,  etw^as  Extraes  zu  leisten  (Marotte) 
anzusehen*   — 

In  den  von  Haie  berichteten  Beispielen  scheinbarer  Sprach- 
erfindung möchte  ich  die  Eigentümlichkeit  der  Sprachproduk- 
tionen lediglich  auf  die  im  Kinde  liegenden  Hemmimgsursachen 
zurückführen.  Eine  vollständige  Isolierung  dieser  Kinder  hat 
wohl  nicht  stattgefunden,  wenigstens  nicht  in  dem  Maße,  daß 
jede  sprachbildende  Anregung  von  seilen  der  Erwachsenen 
Fiusgeschlossen   gewesen   wäre;  nur  eine  absichtliche   Sprach 

iiflussung  scheint  unterblieben  zu  sein.    Eben  darum  aber 


mm 


430  Heinrich  Idelberger. 

halte  ich  auch  —  wiederum  gestützt  auf  meine  allgemeinen  Aus- 
führungen über  die  Entstehung  scheinbarer  Worterfindungen  — 
die  Annahme  für  die  richtigere,  daß  bei  den  uns  von  Haie 
vorgeführten  Kindern,  wie  ich  schon  sagte,  die  vermeintlichen 
spontanen  Wortbildungen  durch  die  kindliche  Unvollkommen- 
heit  hervorgerufen  worden  sind,  im  übrigen  aber  diese  Sprach- 
prozesse, wie  auch  sonst,  rein  assoziativ  verlaufen,  der  assDzia- 
tiven  Analogie  und  Übertragung  folgen.  In  der  Tat  verraten 
ja  auch  alle  diese  Wörter  bei  genauerer  Betrachtung  deutlich 
die  Verstümmelung  und  andere  Verwendung  von  Wörtern,  die 
die  Kinder  gehört  haben.  Noch  bemerken  will  ich,  daß  ich 
den  Angaben  Haies  (bezw.  Huns)  insofern  mit  einem  leisen 
Zweifel  begegne,  als  bezüglich  des  zweiten  Falles  auch  berichtet 
wird,  die  Mutter  habe  zwar  die  französische  Sprache  gelernt, 
dieselbe  aber  niemals  in  der  Unterhaltung  gebraucht.  (Stumpf, 
a.  a.  O.,  Seite  446.)  Sollten  nicht  die  offenbar  dem  Französischen 
entlehnten  Ausdrücke  „feu",  „tout",  „ne — pas"  etc.  auf  mütter- 
liche Anregung  zurückzuführen  Isein  ?  Sollte  also  die  Bemerkung 
Haies,  das  Kind  habe  niemals  die  französische  Sprache  reden 
hören,  nicht  ewta  auf  einem  Irrtum  beruhen? 

In  den  voraufgehenden  Ausführungen  habe  ich  auch  an 
einer  Stelle  der  Sprachdisposition  Erwähnung  getan,  jener  ver- 
erbten Anlage  zur  Sprachbildung,  welcher  die  Verfechter  einer 
Worterfindung  diese  spontane  Worterzeugung  zuschreiben.  Ich 
habe  dargelegt,  daß  sie  sich  in  dieser  Richtimg  nicht  geltend 
macht.  Da  drängt  sich  uns  derm  die  Frage  auf :  Ist  ihr  über- 
haupt ein  Einfluß  auf  die  kindliche  Sprachentwickelung  zu- 
zuschreiben ? 

Daß  zunächst  der  Mensch  eine  erbliche  Disposition  zur 
Sprachentfaltung  mitbringt,  ist  nicht  zu  leugnen.  Wir  müssen 
dies  vor  allem  aus  entwickelungsgeschichtlichen  Gründen  an- 
nehmen ;  wir  können  es  aber  auch  daraus  folgern,  daß  sich  indi- 
viduelle sprachliche  Eigentümlichkeiten  und  Sprachfehler  ver- 
erben und  auch  dann  geltend  machen,  wenn  Kinder  dem  Ein- 
flüsse ihrer  Eltern  entzogen  sind.  (Memnann.)  Auch  die  Tat- 
sache, daß  eine  besondere  rethorische  Begabung  gar  häufig 
in  aufeinanderfolgenden  Geschlechtem  auftritt,  wird  mit  als 
ein  Beweis  für  das  Vorhandensein  einer  erblichen  Sprachver- 
anlagung gelten  können.  Wie  wir  uns  nun  diese  Disposition 
zum  Sprechen  zu  denken  haben,  oder  welche  Bedeutung  der- 


Hüuptpr&hlems  dsr  kindl$£ßmt  Spra^hentwrdbluH^, 


431 


selben  wahrscheinlich  in  der  phylogenetischen  Sprachentwicke- 
lung zukommt :  diese  Fragen  sind  für  uns  in  dem  gegenwänigen 
Zusammenhang  gleichgühig.  Bei  Behandlung  des  Problems 
der  Worterfindung  interessiert  es  ims  nur»  etwas  über  den 
faktischen  Einfluß  derselben  auf  die  ontogenetbche  Sprach- 
entwickelung zu  erfahren.  Da  könnte  denn  zunächst  die  Frage 
aufgeworfen  werden;  Sind  die  Eigentümlichkeiten  der  Kinder- 
Sprache,  wie  sie  sich  in  den  verstümmelten  Nachahmungen 
des  Kindes,  falscher  Anw^endung  derselben  etc.  ausprägen,  etwa 
auf  eine  Aktivität  dieser  Disposition  zurückzuführen?  Auf  Grund 
meiner  Beobachtungen  muß  ich  hierauf  antworten,  daß  sich 
dieselben  lediglich  aus  der  UnvoUkommenheit  des  kindlichen 
Organismus'  imd  Bewußtseins  erklären.  ,,Sein  ungenaues  Hören 
bewirkt^  daß  es  die  Worte  falsch  auffaßt,  seine  mangelhafte 
Beherrschung  des  motorischen  Sprechapparates,  daß  es  die 
imgenau  aufgefaßten  Worte  verstümmelt  wiedergibt,  seine  un- 
vollkommene Beobachtung,  daß  es  nicht  erkennt,  auf  welche 
Objekte  der  Erwachsene  seine  Bezeichnungen  richtet/*  (Meu- 
mann  IL,  a*  a.  O,  Seite  33,)  Eine  sprachschöpferische  Tätig- 
keit des  Kindes  ist  in  diesen  Eigentümlichkeiten  jedenfalls  nicht 
m  erkennen. 

IWenn  nun  die  Sprachdisposition  einerseits  —  wie  nach- 
lesen "  eine  spontane  Worterzeugung  nicht  ermöglicht, 
ererseits  auch  ein  Einfluß  derselben  in  den  soeben  erwähnten 
Qiarakteristika  der  Kindersprache  nicht  nachweisbar  ist,  so 
müssen  wir  fragen:  Ist  diese  nicht  zu  leugnende  Naturanlage 
heute  denn  ganz  bedeutungslos  für  die  kindliche  Sprachent- 
wickelung ?  Zeigt  sich  in  der  letzteren  nicht  ein  Moment,  welches 
als  Erfolg  einer  dispositionellen  Betätigung  aufgefaßt  werden 
J^nnte  ? 

^  Als  ein  solches  Moment  ist  sicherlich  die  spontane  Laut- 
erzeugung und  die  Bildung  von  LallwÖrtem  anzusehen.  Denn 
fast  jedes  Kind  bringt  in  der  Periode  des  spontanen  Lallens 
massenhaft  Laute  hervor,  wie  das  Krähen,  Girren,  Plappern, 
Schnalzen,  Wimmern,  Schmatzen,  Quieken,  Zwitschern, 
Krackein,  Gohlen,  Kutern  etc.,  welche  die  Personen  seiner  Um- 
gebung  nicht  sprechen,  die  es  also  niemals  von  diesen  gehört 
haben  kann  und  w^elche  später  auch  wieder  verschwinden»  Auch 
das  hohe  Maß  von  Energie,  welches  das  Kind  in  den  ersten 
Lebensjahren  auf  die  Aneignung  und  Ausbildung  seiner  Sprache 


432  Heinrich  Idelberger, 

verwendet,  werden  wir  auf  Rechnung  dieser  vererbten  Anlage 
setzen  dürfen. 

Im  übrigen  ist  ein  Einfluß  dieser  Disposition  auf  die 
ontogenetische  Sprachentwickelung  nicht  zu  erkennen;  er  wird 
vollständig  aufgehoben  durch  die  äußeren  Sprachentwickelungs- 
reize,  die  in  der  Hauptsache  von  der  Sprache  der  Erwachsenen 
ausgehen.  Die  Schwäche  der  Anlage  diesen  Entwickelungs- 
reizen  gegenüber  wird  durch  die  Tatsache  gekennzeichnet,  daß 
die  äußere  Beeinflussung  den  spontanen  und  dispositionellen 
Entwickelungsfaktoren  zeitlich  bedeutend  vorgreift  und  die 
Sprache  vorzeitig  hervortreibt.  Dies  erhellt  besonders  daraus, 
daß  einesteils  der  Einfluß  der  Erwachsenen  auf  die  kindliche 
Sprachentwickelung  beobachtungsgemäß  nahezu  vom  ersten 
Lebenstage  an  beginnt,  andernteils  die  spontane  Sprechtätigkeit 
der  mehr  oder  minder  sich  selbst  überlassenen  Kinder  später 
hervortritt  als  die  Sprache  der  von  den  Erwachsenen  beein- 
flußten Kinder.  „Kinder  armer  imd  imbemittelter  Eltern  lernen 
später  sprechen  als  die  gleichalterigen  Nachkommen  von  Eltern, 
die  sich  mehr  mit  ihren  Kindern  beschäftigen  können  oder 
wollen.  Die  älteren  Kinder  derselben  Familie  lernen  in  sehr 
vielen  Fällen  später  sprechen  als  die  jüngeren,  und  ihr  Wort- 
schatz ist  in  der  gleichen  Zeit  ärmer.  Psychologisch  beobachtete 
Kinder  pflegen  ihre  Sprache  zu  verfrühen  gegenüber  anderen 
normalen  Kindern.**  (Meumann  I.,  a.  a.  O.  Seite  67.)  In  An- 
betracht dieser  Erscheinung  bezeichnet  Wundt  die  Sprach- 
bildung unserer  Kinder  als  eine  verfrühte  Entwicklung.  (Aus 
Meumann  I.,  a.  a.  O.    Seite  68.) 

„Es  ist  leicht  von  diesen  Überlegungen  aus  einem  Einwände 
zu  begegnen.  Man  könnte  sagen,  es  entscheide  doch  nicht 
allein  der  Zeitpunkt,  in  dem  sich  die  Disposition  des  Kindes 
zur  Sprache  geltend  macht,  sondern  in  erster  Linie  die  Kräftig 
keit  dieser  Disposition,  ihre  Widerstandsfähigkeit,  ihre  plastische 
Macht  gegenüber  dem  Einfluß  der  Erwachsenen.  Allein  es  ist 
leicht  zu  sehen,  daß  die  Kraft  der  Disposition  eben  durch  das 
Zeitverhältnis  zwischen  ihrem  Hervortreten  und  den  äußeren 
Entwickelunsantrieben  bedingt  sein  muß.  Durch  die  Früh- 
zeitigkeit der  Einwirkung  der  äußeren  Einflüsse  ist  dieSchwäche 
der  Disposition  gegeben.**    (Meumann  I.,  a.  a.  O.    Seite  68.) 

Im  weiteren  Verfolg  dieser  Erwägungen  liegt  sodann  der 
Schluß  nahe,  daß  diese  natürliche  Anlage  im  Laufe  der  Jahr- 


Hauptprobleme  der  kindUcken  Sprachentwicidung.  433 

tausende  durch  ihre  geringe  Betätigung  alhnählich  verkümmert 
ist,  so  daß  sich  dieselbe  in  Bezug  auf  Kräftigkeit  und  daraus 
resuhierenden  Einfluß  auf  die  Sprachentwickelung  heute  nur 
noch  als  ein  Rudiment   ihrer   Ursprünglichkeit    darstellt.    — 

Die  Lautentwicklung  und  deren  äussere 
Bedingungen. 

Anhangsweise  möchte  ich  noch  etwas  näher  auf  die  rein 
lautliche  Seite  der  Sprache  des  Kindes  eingehen  und  zwar 
iie  Frage  der  Lautentwickelung  in  der  Periode  des  spontanen 
Lallens  imd  deren  äußere  Bedingungen  behandeln. 

Welche  artikulierten  Laute  das  Kind  zuerst  spricht,  welche 
in  der  sprachlichen  Entwickelung  sodann  folgen  und  welche  den 
Schlußstein  in  dem  Lautgebäude  bilden,  ob  die  Laute  bei  ihrer 
Entwückelung  überhaupt  eine  bestimmte  Reihenfolge  innehalten, 
3b  die  Lautfolge  etwa  einem  bestimmten  Gesetze  unterworfen 
5ei:  alle  diese  Fragen  sind  oft  erörtert  worden.  Besonders 
lebhaft  hat  sich  die  Diskussion  in  dieser  Richtung  gestaltet, 
seitdem  Fritz  Schnitze  tatsächlich  ein  nach  ihm  benanntes  Gesetz 
ier  Lautentwickelungsreihe  aufgestellt  hat  in  der  Form,  „daß 
die  Sprachlaute  im  Kindermund  in  einer  Reihe  hervorgebracht 
werden,  die  von  den  mit  der  geringsten  physiologischen  Anstren- 
gung zustande  kommenden  Lauten  allmählich  übergeht  zu  den 
cnit  größerer,  und  bei  den  mit  größter  physiologischer  An- 
strengung zustande  gebrachten  Sprachlauten  endet.**  (F.  Schnitze, 
Die  Sprache  des  Kindes.  Seite  27.  Entnommen  aus :  Rzesnitzek, 
Zur  Frage  der  psychischen  Entwickelung  der  Kindersprache. 
Seite  8.)  Nach  diesem  Schultzeschen  Gesetz  soll  also  die 
Erwerbung  der  artikulierten  Laute  durch  das  Kind  dem  Prinzip 
des  kleinsten  physiologischen  Kraftmaßes  folgen,  wonach  die 
Lippenlaute  zuerst  und  später  die  Zahn-  und  Gaumenlaute  auf- 
treten. Dieses  Prinzip  ist  dann  später  auch  von  Gutzmann 
[Gutzmann,  Die  Sprache  des  Kindes  und  der  Naturvölker.  Aus 
.\ment   Seite   57)   vertreten  worden,*)  welcher  behauptet,   die 


*)  Nach  Fertigstellung  des  Manuskriptes  dieser  Abhandlung  finde  ich 
Im  „Archiv  för  die  gesamte  Psychologie"  herausgegeben  von  E.  Meumann, 
i.  Band«  1.  Heft,  Referate  Seite  9  folgende  die  Frage  der  Lautentwicklung 
betreffende  Bemerkung  Gutzmann's:  ,J£s  treten  unter  diesen  Lalllauten 
sämtlidie  Laute  der  späteren  Sprache  auf.  Aus  den  Beobachtungen  aller 
Autoren  susammengenommen  läBt  sich  dieser  Schluß  zweifellos  ziehen.    Ich 


434  Heinrich  Idelhcrger, 

Lippen-  und  Zahnlaute  würden  auf  der  Stufe  des  Lallens,  die 
Gaiunenlaute  aber  erst  auf  der  Stufe  der  Wortbildung  erlernt. 
Preyer  (Die  Seele  des  Kindes,  4.  Auflage,  Seite  367  ff.;  ent- 
nommen aus  Meumann  IL  Seite  20).  Meumann  (Meumannll. 
Seite  19  ff.),  Ament  (Entwickelung  von  Sprechen  und  Denken 
beim  Kinde.  Seite  56  ff.)  und  Rzesnitzek  (Zur  Frage  der  psychi- 
schen Entwickelung  der  Kindersprache.  Seite  9  und  10)  haben 
sich  nun  gegen  dieses  Schultzesche  Gesetz  der  Lautentwicke- 
lungsreihe  gewandt.  Letzterer  hebt  besonders  noch  hervor,  daß 
sich  dasselbe  auch  beim  Artikulationsimterrichte  Taubstummer 
keineswegs  bewahrheitet.  Im  übrigen  will  ich  auf  die  Einwände 
der  genannten  Autoren  nicht  weiter  eingehen.  Meine  Aufgabe 
soll  vielmehr  darin  bestehen,  dieses  Gesetz  an  der  Hand  von 
Beobachtungen  auf  seine  Richtigkeit  hin  zu  prüfen,  imi  auf 
diesem  Wege  festzustellen,  wie  sich  die  Lautentwickelung  tat- 
sächlich vollzieht. 

Zur  Lösung  der  bezeichneten  Aufgabe  habe  ich  bei  meinem 
Sohne  Kurt  alle  neu  auftretenden  Lalllaute  und  Lalllautverbin- 
dungen aufgeschrieben.  Die  Mitteilungen,  welche  die  übrigen 
Kinder  betreffen,  enthalten  im  wesentlichen  nur  die  dominieren- 
den Lallwörter.  Ich  teile  die  Aufzeichnungen,  nach  den  Lebens- 
monaten der  einzelnen  Kinder  geordnet,  mit. 

L  Kurt  Idelberger.  Die  ersten  artikulierten  Laute  waren 
gegen  Ende  des  dritten  Monates  vernehmbar.  „Ngö"  (nasales 
„n"  [tönend  oder  weich],  „g"  [tönendes,  weiches]  sehr  leise 
als  Verschlußlaut  gesprochen.) 

4.  Monat:  „nga",  „cha"   (gutturales  ch  wie  in  „auch" 

5.  Monat:  „ngr**  (palatales  „r",  übergehend  nach  ch) 
„ngra",  „angra". 

6.  Monat:  „mbö— mbö"  („m"  langgezogen,  tönendes  oder 


habe  nicht  einen  einzigen  Laut  auffinden  können,  der  in  dieser  reflektorisdieD 
Lallperiode  nicht  aufträte.  Das  Eine  ist  aber  doch  wohl  sicher,  daß  die 
größte  Zahl  der  Lalllaute  sich  in  dem  ersten  und  zweiten  Artikulationsgebiet, 
also  in  Verknüpfungen  der  Konsonanten  b,  p,  m,  d,  t,  n,  w  mit  verschiedenen 
Vokalen  vorfindet  Gegenüber  Ament  muß  betont  werden,  daß  Gutzmann 
nie  bestritten  hat,  daß  Gaimienlaute  in  der  zweiten  Periode  der  kindlichen 
Sprachentwicklung  sich  vorfinden,  er  hat  nur  darauf  hingewiesen,  daß  die«- 
selben  gewöhnlich  selten  sind  imd  in  den  meisten  Fällen  so  weit  verloroi 
gehen,  daß  die  Nachahmung,  wenn  das  Kind  anfangt,  seine  Aufineiksttnkeit 
auf  die  Sprache  der  Umgebung  zu  lenken  und  seine  eigene  Spradie  an 
dieser  aufzubauen,  in  den  weitaus  meisten  Fällen  Schwierigkeiten  macht" 


Hauptprobleme  der  kmdiichen  SprachentwicHung,  435 

weiches  „b")  „mba",  „baba**,  „mbaba",  „wa",  „m — wa";  (die 
Lallwörter  der  vorigen  Monate  verschwinden  allmählich). 

7.  Monat:  Dasselbe  wie  im  6.  Monat.  Neue  Laute  waren 
nicht  zu  verzeichnen. 

8.  Monat:  „da",  „nda",  „ada",  adadadada".  (Die  Re- 
duplikation „baba**  war  in  dieser  Zeit  ganz  verschwunden). 
„Ära",  „rarara"  (r  ist  auch  jetzt  noch  zum  größten  Teil  palatal), 
s-Laut  (ähnlich  dem  englischen  th  ausgesprochen,  mit  der 
Zungenspitze  zwischen  den  Zähnen.) 

9.  Monat:  „ä — dei — wo — jei";  „ch — ch — ch"  (palatales  ch, 
ausgesprochen  wie  in  „ich");  „ja"  (j  übergehend  in  palatales 
ch,  wie  in  „ich")  „wauwau",  „wau — we",  „ma"  (ein  einziges 
Mal  gesprochen). 

10.  Monat:  „heidididä",  „häch"  (ch  wie  in  „ich")  „jädä", 
„eija",  „ida",  „meia",  „daudau",  „ngw"  (die  letztere  Laut- 
verbindung wurde  nur  ein  einziges  Mal  gehört).  Das  dominier 
rende  Lallwort  in  diesem  Monat  war  „papa"  (tonloses  [hartes]  p). 

11.  Monat:  durch  Vorschieben  der  Zunge  zwischen  die 
Zähne  bringt  er  einen  „l"-ähnlichen  Laut  hervor.  Derselbe 
verschwand  bald  wieder. 

„Didileide — deiderdei"  („r"  sehr  schwach  gesprochen), 
„ditsch",  „dida",  „je — jetsch",  „jitsch",  „jei — jitsch".  Kurt  hatte 
das  Licht  ausblasen  gelernt  und  bringt  nun  bei  dieser  Verrich- 
tung einen  „{"-ähnlichen  Laut  hervor.  —  Die  dominierenden 
Lallwörter  in  diesem  Monat  waren  „deida"  („deide")  und 
„wawa"  („wauwe"). 

12.  Monat:  „täte"  (tonloses  [hartes]  t),  „ämä",  „ma".  (Der 
Laut  „m"  war  seit  dem  9.  Monat  ganz  verschwunden.  Er 
wurde  auch  in  diesem  Monat  nur  zweimal  — » in  den  verzeichneten 
Lallwörtem  —  gehört.  Im  übrigen  sprach  Kurt  allemal,  wenn 
man  ihm  das  Wort  „mama"  vorsprach,  „baba"  oder  „wawa" 
nach)  —  „jei",  „leideleideleidelei".  (In  dieser  Verbindung  tritt 
dieser  früher  schon  verzeichnete  „l"-ähnliche  Laut  wieder  auf 
xmd  zwar  etwas  geläufiger.  Die  Zunge  schiebt  er  immer  bei 
Aussprache  desselben  zwischen  den  Zähnen  vor.  Der  Laut 
verschwand  von  da  ab  wieder.)  „Blalab"  (ein  einziges  Mal 
gehört).  „Hich",  „ditsch",  „zz",  „dot".  Die  dominierenden, 
Lallwörter  im  12.  und  13.  Monat  waren:  „baba*',  „wawa" 
(„wowo"),  „dada^  und  „ada".  — 


436  Heinrich  Idelberger. 

IL  Heinrich  Nau. 

7.  Lebensmonat:  „dada",  „hä",  „ätsch". 

8.  Monat:  „ra"  (palatales  r),  „äw",  „1"  (langgezogen), 
„rarara**,  „mama",  „gra"  (tönendes,  weiches  „g",  palatales  „r"), 
„heid",  „heid",  „häd",  „eija"  (j  kaum  hörbar),  „ba",  „ada", 
„nda**,  „ngö". 

9.  Monat:  „hawa — hawe",  „m — ^m — ^m",  „ch"  (guttural), 
„gar**,  „ngar— ngar**.  Die  dominierenden  Lallwörter  in  diesem 
Monat  sind  „baba"  und  „dada". 

10.  Monat:  „nei",  „deidei",  „oma",  „ma",  „hoho*',  „hoit", 
„anna**. 

11.  Monat:  „randerand",  „reidereid**,  „wawa". 

12.  Monat:  „unge**  („onge"),  „la**,  „ff". 

13.  Monat:  „goug**,  „mimi",  „nenne**,  „memem**,  „liei". 

III.  Gretha  Schiocker. 

4.  Monat:  „a**,  „cha**  (ch  guttural,  wie  in  „auch")  „e*'. 

5.  Monat:  „ngr**  palatales  r,  Zwischenlaut  zwischen  r und 
gutturales  ch),  „ngra**. 

6.  Monat:   dasselbe,     „s**   (ganz  leise). 

7.  Monat:  „f**,  „ba**,  „wa**,  „baba**,  „wawa". 

8.  Monat:  „dada**,   „mbaba**,   „wauwa",   „heidei". 

9.  Monat:  „adadeita**,  „mama**,  „we — we". 

IG.  Monat:  „ata**,  „täde**,   „nana**,  „reirei**,  „didi**. 
II.  Monat:  „lala**,  „leidelei". 

IV.  Irene  Spohr. 

3.  Monat:  „ba**,  „mä**,  „cha**  (ch  wie  in  auch**). 

4.  Monat:  „acha**,  „b6**,  „wäh**,  „awah**. 

5.  Monat:  „ao**,  „ää**,  „wäwä**,  schreit  einige  Lautein 
verschiedener  Höhe. 

6.  Monat:  „awa**. 

7.  Monat:  „fä**,  „mama**,  „nda**. 

8.  Monat:  „häwä**,  „deidei**,  „heidei",  „mbö". 

9.  Monat:  „baba**,  „wauwa**,  „didi". 

V.  Walter  Jost. 

4.  Monat:  „ara**  (gutturales  r),  „gr**  (g  -»  Verschluß- 
laut), „ra**. 

5.  Monat:  „agr**,  „ngr**,  „ngra". 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprackentwicklung.  437 

6.  Monat:  „angra",  „rara**. 

7.  und  8.  Monat:  „mamam",  „bababa". 
9.  Monat:  „deidei",  „ada",  „nene",  „mei". 

IG.  Monat:  „wa",  „dada",  „2zz**,  „ttt ",  „haw**,  „hawe**, 

loto**. 

VL  Heinrich  Zorbach. 

3.  Monat:  „ngö",  „nga". 

4.  Monat:  „r"  (palatales  r),  „ngong**,  „goch",  „ach**. 

5.  Monat:  „aga**,  „acho**,  „ao — ao**,  „arch**  (palatales  r), 
a**,  „aua**,  „ngara**. 

6.  Monat:  „haw**,  „dada**,  „gr**  (palatales  r). 

7.  Monat:  „ada**,  „bw**,  „of**,  „uo**. 

8.  Monat:  „bf**,  „an**  (nasales  n),  „buf**,  „han**  (nasales  n), 
ida**. 

Was  lehren  uns  nun  diese  Beobachtungen  bezüglich  der 
lutentwickelung  ? 

Die  ersten  artikulierten  Laute  treten  gegen  Ende  des  dritten, 
Anfang  des  vierten  Lebensmonates  hervor.  Es  sind  anfäng- 
:h  zumeist  Kehl-  und  Gaumenlaute  —  häufig  mit  starker 
isaler  Färbung  —  in  Verbindung  mit  den  Vokalen  a,  ä,  ö. 
ie  Artikulationen  sind  äußerst  schwach  und  nur  von  dem 
imerksamen  Beobachter  erkennbar.  Außer  den  angegebenen 
tikulierten  Lauten  erzeugt  das  Kind  spontan  eine  außer- 
dentlich  große  Zahl  unartikulierter  Laute.  Man  kann  nun 
e  Zeit  vom  Ende  des  dritten  bis  Ende  des  sechsten  Monats*, 
welcher  die  unartikulierten  Laute  bei  weitem  überwiegen, 
>  eine  erste  Lallperiode  ansehen.  Sie  erhält  ihr  eigen- 
mliches  Gepräge  dadurch,  daß  unter  den  artikulierten  Lauten 
B  Kehl-  und  Gaumenlaute  vorherrschen. 

Dies  hat  offenbar  einen  physiologischen  Grund. 

Der  aus  der  Lunge  durch  die  Bronchien  austretende  Luft- 
rom schlägt  zuerst  an  Kehle,  Nasenrachenraum  und  Gaumen 
i,  und  diesen  Artikulationsstellen  ist  dadurch  am  frühesten 
e  Möglichkeit  zur  Übung  in  der  Lautbildung  gegeben.  Zunge 
id  Lippen  besitzen  zu  dieser  Zeit  noch  eine  derartig  geringe 
otilität,  daß  sie  für  die  Artikulation  vorerst  nicht  in  Frage 
►mmen  können. 

Gegen  Ende  des  sechsten  Lebensmonats  ist  die  lautliche 
iiederung  so  weit  vorgeschritten,  daß  das  Kind  zum  über- 


438  Heinrich  Iddherger, 

wiegenden  Teil  artikulierte  Laute  erzeugt.  Nunmehr  beginnt 
eine  Lallperiode^  welche  Professor  Meumann  ausschließlich  als 
diejenige  des  spontanen  Lallens  bezeichnet.  Ich  möchte  sie 
aus  einem  Gnmde^  auf  den  ich  sogleich  zu  sprechen  konune, 
als  eine  zweite  Periode  des  spontanen  Lallens 
ansehen.  Sie  dauert  durchschnittlich  bis  zum  zwölften  Lebens- 
monat. In  derselben  werden  sowohl  Lippen-  und  Zungen- 
laute als  auch  Gaumenlaute  von  dem  Kinde  gesprochen. 
In  Bezug  auf  die  Häufigkeit  ihter  Anwendung  domi- 
nieren nun  in  dieser  zweiten  Lallperiode  hn  Gegensatz 
zu  der  erwähnten  ersten  entschieden  die  beiden  erst- 
genannten Lautgruppen,  die  Lippen-  und  Zimgenlaute.  Es  sind 
vor  allem  die  Lautverbindungen  ba,  pa,  da  (dei),  ma,  wa  und 
die  entsprechenden  Reduplikationen,  die  zu  großer  Geläufig- 
keit ausgebildet  werden.  (An  dieser  Stelle  sei  bemerkt,  daß 
meinem  Sohne  Kurt  das  Lallwort  ma  (mama)  auffallenderweise 
äußerst  schwer  fiel.  Obwohl  ihm  dasselbe  aus  leicht  erkenn- 
baren Gründen  von  der  Mutter  oftmals  vorgesprochen  wurde, 
so  gelang  ihm  die  Wiedergabe  nur  zweimal,  im  zwölften  und 
dreizehnten  Lebensmonat.  Vergl.  die  Bemerkung  dortselbsti) 
„Schon  hier  erklärt  uns  die  Kindersprache  das  Rätsel 
warum  über  den  ganzen  Erdkreis  bei  allen  Völkern  das  Wort 
für  Vater  und  Mutter  gebildet  ist  aus  einem  Vokal  in  Verbindung 
entweder  mit  einem  Lippen-  oder  einem  Zimgenlaut  imd  daher 
überall  lautet:  Papa,  Mama,  Baba,  Wawa,  Fafa,  Nana, 
Dada  usw.  Es  sind  das  die  ersten  artikulierten  Silben,  die  das 
Kind  zu  bilden  vermag,  und  es  ist  sehr  begreiflich,  daß  die 
Eltern  diese  ersten  an  sich  sinnlosen  Lalllaute  des  Kindes, 
gewissermaßen  seine  erste  Anrede  an  Vater  und  Mutter,  auf 
sich  bezogen  und  davon  ihren  Namen  empfingen.  Hinsichtlich 
der  europäischen  Sprachen  ist  diese  Tatsache  hinlänglich  be- 
kannt; es  zeigt  sich  aber  auch,  daß  in  57  bei  Lubbock  an- 
geführten Negersprachen  der  Vatemame  labial  Papa,  Baba, 
Wawa,  Fa,  Fafe,  in  17  Negersprachen  lingual  Da,  Dada,  Tada, 
Ada,  Oda  lautet;  daß  der  Muttername  in  15  Negersprachen 
labial  als  Ba,  Ma,  Mama,  Ama,  Oma,  in  33  Negersprachöi 
lingual  als  Na,  Nanna,  Ne,  Ni,  Nde  erscheint."  (Fritz  Schultze, 
Die  Sprache  des  Kindes.  Seite  24  und  25.  Entnonmien  aus 
E.  Rzesnitzek,  Zur  Frage  der  psychischen  Entwickelung  der 
Kindersprache.    Seite  8.)    Das  Vorherrschen  der  Lippen-  und 


HaupipfvhUtfU  der  Mndit£k£n  SprucktHiwiddung, 


439 


Ztmgenlautc  erklärt  sich  wohl  einesteils  aus  der  zunehmenden 
Beweglichkeit  der  Lippen  und  der  Zunge  infolge  der  Saug- 
bewegung  des  Kindes,  wodurch  gerade  die  Laute  b,  p,  w,  m 
und  d  physiologisch  am  besten  vorbereitet  werden,  andernteils 
macht  sich  hierbei  auch  der  Einfluß  des  Sehens  geltend,  insofern 
dadurch  dem  Kinde  die  Lippenbewegungen  und  Zahnstellungen, 
die  zur  Erzeugung  bestinunter  Laute  erforderlich  sind,  leichter 
bekannt  werden.  Auf  diese  letzte  LTrsache  möchte  ich  nach 
etwas  näher  eingehen  und  allgemein  die  Frage  auf  werfen: 
Beobachten  die  Kinder  etwa  in  der  Zeit  vom 
7- — 13.  Lebensmonat  überhaupt  beim  Vor- 
sprechen die  MundstcUungen  der  Erwachsenen: 
Daß  das  Kind  in  dieser  Periode  des  spontanen  Lallens  nach 
4mn  Sprechenden  hinsieht,  ist  bekannt;  nur  das  ist  durch  eine 
oberflächliche  Beobachtung  nicht  feststellbar,  ob  es  nach  dem 
Munde  oder  nach  den  Augen  schaut,  Professor  Dr.  G.  Stanley 
Hall  behauptet  mit  Bezug  hierauf:  „Wenn  das  Kind  aufgefordert 
wird,  die  Sprache  eines  Erwachsenen  nachzuahmen,  9^  schaut 
es  auf  die  Augen,  aber  niemals  auf  den  Mund/*  (Dr.  G.  Stanley 
Hall,  Ausgewählte  Beiträge  zur  Kinderpsychologie  und  Päda- 
gogik; überset2t  von  Dr.  StimpfL  Internationale  Pädagogische 
Bibliothek,  herausgegeben  von  Chr.  Ufer,  Bd.  IV,,  Seite  55*] 
Allerdings  sieht  das  Kind  beim  Sprechen  auch  für  Momente 
nach  den  Augen  der  Erwachsenen;  dieselben  üben  durch  ihren 
Glanz  einen  derartig  starken  Reiz  auf  das  Auge  des  Kindes  aus, 
daß  uns  dies  in  Anbetracht  der  passiven  Natur  der  kindlichen 
Aufmerksamkeit  schon  erklärlich  erscheint.  Aber  auch  die 
Lippenbewegungen  des  Sprechenden  geben  einen  starken  Reiz 
ab,  und  schon  aus  theoretischen  Überlegungen  müßte  man 
darum  ein  Beobachten  derselben  durch  das  Kind  wahrnehmen. 
Tatsächlich  bestätigt  uns  denn  auch  die  aufmerksame  Beob- 
achtung diese  Annahme,  ja  das  Kind  beobachtet  beim  Vor* 
sprechen  viel  häufiger  und  längere  Zeit  hindurch  die  Mund- 
Stellungen  der  sprechenden  Personen  als  die  Augen  derselben. 
Bei  den  ersten  Versuchen,  welche  ich  zwecks  Beantwortung 
der  obigen  Frage  in  Gemeinschaft  meiner  Frau  an  meinem 
Sohne  anstellte,  kam  es  mir  darauf  an,  den  von  den  Augen  des 
Sprechenden  ausgehenden  optischen  Reiz  zu  eliminieren,  um 
zu  sehen,  ob  der  von  der  Bewegung  der  Lippen  ausgehende 
Reis  überhaupt  imstande  ist,  die  Aufmerksamkeit  des  Kindes 


440  Heinrich  Idelberger, 

ZU  fesseln.     Dies  geschah  dadurch,  daß  der  Sprecher  (meine 
Frau  oder  ich)  einfach  die  Augen  schloß  oder  (bei  dem  ersten 
Versuch)  sich  seitlich  so  zum  Gaslicht  setzte,  daß  die  Augen- 
höhlen verdunkelt  waren.   Später,  nach  einiger  Übung  in  diesem 
Experimentieren,  war  ich  imstande,  auch  bei  geöffneten  Augen 
jedesmal  zu  entscheiden,  ob  das  Kind  nach  diesen  oder  dem 
Munde  sah.    Wenn  man  nämlich  ein  Kind  beim  Vorsprechen 
vor  sich  hinsetzt,  daß  die  Entfernung  der  beiderseitigen  Augen- 
paare ca.  20  cm  beträgt,  so  läßt  sich  aus  dem  Auf-  und  Abwärts- 
wandern des  kindlichen  Blickes  jedesmal  ersehen,  welches  der 
beiden  Objekte  von  dem  Kinde  fixiert  wird.   Je  größer  die  Ent- 
fernung wird,  desto  schwieriger  ist  es,  die  Blickrichtung  des 
Kindes  und  ihre  etwaige  Veränderung  festzustellen.    Zum  Be- 
weise der  Tatsache,  daß  das  Kind  in  der  Periode  des  Lallens 
beim  Vorsprechen  nach  dem  Munde  sprechender  Personen  hin- 
sieht, teile  ich  nunmehr  einige  hierauf  bezügliche  detaillierte 
Beobachtungen    nach     den    seinerzeit    gemachten    Aufzeich- 
nungen mit. 

3.  Oktober  1902.  (Achter  Lebensmonat.)  Meine  Frau  sitxt 
in  der  Wohnstube  seitlich  zur  Gaslampe,  so  daß  die  Augen- 
höhlen verdunkelt  sind.  Sie  spricht  Kurt,  welcher  ca.  i  m 
(einen  Meter)  von  ihr  entfernt  ist,  nachdem  sie  ihn  vorher  erst 
verschiedenemal  angerufen  hat  (Bubi  oder  Bubchen),  mit  auf- 
fallenden Lippenbewegungen  das  Wort  „Papa"  mehrerenul  vor. 
Der  Junge  verfolgt  mit  größter  Aufmerksamkeit  die  wechschi- 
den  Mundstellungen.  Nach  einiger  Zeit  —  noch  während  seine 
Mama  vorspricht  und  auch  im  direkten  Anschluß  daran  — 
macht  Kurt  ohne  hörbaren  Laut  diese  Lippenbewegungen  nach. 

10.  Oktober  1902.  (Neunter  Monat.)  Das  Experiment  vom 
3.  Oktober  1902  wird  in  der  Weise  wiederholt,  daß  Mama  beim 
Vorsprechen  die  Augen  schließt.  Kurt  beobachtet  die  Lippen- 
bewegungen und  ahmt  dieselben  zunächst  lautlos  nach;  dann 
aber  stößt  er  einigemal  das  Lallwort  „baba**  hervor. 

11.  Oktober  1902.  (Neunter  Monat.)  Meine  Frau,  Kurt  (auf 
dem  Arm  der  Mutter)  und  ich  befinden  uns  im  „guten  Zimmer'*. 
Die  erstere  fragt :  „Wo  ist  der  Wau — wau  ?  Kurt  sucht  mit  den 
Augen  und  entdeckt  das  ihm  bekannte  kleine  Porzellanhundchen 
an  seinem  Platz  auf  dem  Büffet.  Er  reicht  danach  und  nimmt 
es  in  die  Hand.  Seine  Mutter  spricht  ihm  bei  geschlossenen 
Augen  mit  deutlicher  Lippenbewegung  einigemal  vor:  „wau— 


Hauptprobleme  der  kindlichen  Sprüchentwicklung,  441 

Mrau".  Mit  weit  geöffneten  Augen,  dem  Ausdruck  des  Staunens 
und  der  Verwimderung  auf  dem  Gesicht,  sieht  Kurt  nach  ihrem 
Munde.  Auf  einmal  bricht  es  aus  seinem  Munde  hervor :  „wau  — 
wau".  Die  beiden  Silben  werden  etwas  langsam,  abef  mit  scharfer 
Artikulation  gesprochen.  —  An  demselben  Tage  wird  der  Ver- 
such noch  verschiedenemal  in  der  Weise  wiederholt,  daß  die 
Mutter  die  zurHervorbringimg  der  genannten  Silben  notwendigen 
Lippenbewegimgen  stunun  vormacht.  Fast  inmier  ahmt  Kurt 
dieselben  stumm  oder  sprechend  nach. 

i8.  Oktober  1902.  (Neunter  Monat.)  Ich  spreche  Kurt, 
als  er  eben  zur  Ruhe  gelegt  werden  soll,  „gute  Nacht"  vor. 
Kurt  sieht  abwechselnd  nach  meinem  Mund  und  meinen  Augen, 
wie  ich  aus  dem  Auf-  und  Abwärtswandem  des  Blickes  fest- 
stellen kann. 

27.  Oktober  1902.  (Neunter  Monat.)  Die  Mutter  spricht 
Kurt  das  Wort  „Mama",  das  er  bis  dahin  noch  niemals  ge- 
sprochen hat,  und  welches  sie  aus  einem  leicht  ersichtUchen 
Grunde  gern  hören  möchte,  vor.  Er  sieht  mit  Aufmerksam- 
keit nach  dem  Mimde  des  Sprechenden  und  übt  noch  während 
des  Vorsprechens  xmd  nachher  still  für  sich  die  ge^henem 
Lippenbewegimgen.  Ein  einziges  Mal  bringt  er  die  Verbindung 
„ma"  hervor,  später  nicht  wieder.  (Siehe  oben  das  Verzeichnis 
der  Lallwörter  aus  dem  neunten  Lebensmonat  I) 

5.  November  1902.  (Zehnter  Monat.)  Ich  rufe,  Kurt  auf 
dem  Arm  tragend,  imvermittelt :  wau — wau,  konmi  I  Kurt  sieht 
—  ohne  aufgefordert  zu  sein  —  auf  meinen  Mund.  Ich  spreche 
sodann  das  Wort  „Feuerchen".  Kurt  beobachtet  ebenfalls  die 
Mtmdstellimgen  und  versucht,  dieselben  nachzuahmen ;  er  bringt 
hierbei  einen  halb  „ei",  halb  „eu"  klingenden  Laut  hervor. 
Nach  einiger  Zeit  fängt  Kurt  aus  irgend  einem  Grunde  an  zu 
weinen.  Ich  wiederhole  einigemal  das  zuletzt  genannte  Wort 
und  Kurt  imterbricht  für  einige  Augenblicke  sein  „Konzert" 
und  fixiert  die  Lippenbewegungen. 

5.  Dezember  1902.  (Elfter  Monat.)  Kurt  sitzt  mir  gegen- 
über auf  dem  Sofa.  Ich  strecke  verschiedenemal  meine  Zungen- 
spitze aus  dem  Munde  vor  und  bewege  dieselbe  hin  imd  her. 
Kurt  beobachtet  dieses  Spiel  der  Zunge^  längere  Zeit.  Auf  einmal 
streckt  er  auch  seine  Zunge  ca.  ^/2  cm  zwischen  den  Zähnen 
hervor.    Diese  Gepflogenheit  behält  er  lange  Zeit  bei. 

II.  Dezember   1902.     (Elfter  Monat.)     Kurt  greift    beim 

ZcHiohrift  ffir  pidagosische  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene.  2 


442  Heinrich  Idelherger. 

Vorsprechen  mit  den  Fingern  in  den  geöffneten  Mund.  (Das- 
selbe teilte  mir  auch  Frau  Jost  von  ihrem  Kinde  mit.) 

21.  Dezember  1902.  (Elfter  Monat.)  Es  wird  Kurt  mehrere- 
mal  —  mit  eingeschobenen  Pausen  —  vorgesprochen.  Er  sieht 
allemal  ohne  vorheriges  Anrufen  nach  dem  Munde  des 
Sprechers. 

Diese  detaillierten  Mitteilungen  dürften  zur  Beantwortung 
unserer  Frage  in  bejahendem  Sinne  genügen.  Zum  Cberfluli 
verweise  ich  noch  auf  Frage  5  der  zu  Anfang  in  dem 
Abschnitt  „Beobachtungen  über  die  Energie  der  Aufmerksam- 
keit" aufgezeichneten  Versuchsreihen,  unter  welcher  ich  auch 
Angaben  über  die  Zeitdauer  der  Beobachtung  der  Mund- 
stellungen seitens  des  Kindes  gemacht  habe.  Daß  das  Kind 
die  Lippenbewegungen  der  Erwachsenen  beim  Vorsprechen 
beobachtet,  konnte  ich  auch  bei  den  andern  mir  zur  Verfügung 
stehenden  Kindern  feststellen  und  wurde  mir  auch  durch  Frau 
Jost,  Frau  Dr.  med.  Spohr  und  Herrn  Dr.  med.  Rauch  bestätigt. 
Selbst  Kinder  in  höherem  als  dem  fraglichen  Alter  sehen  beim 
Vorsprechen  schwieriger  Wörter  allemal  nach  dem  Munde  des 
Sprechenden.  (Beobachtet  bei  Albrecht  Herzog  und  Elis. 
Schwarzhaupt.)  Nach  meinen  Ausführungen  in  der  aufgeworfe- 
nen Frage:  Beobachten  die  Kinder  vom  7. — 13.  Monat  die 
Mundstellungen  der  Erwachsenen  beim  Vorsprechen?  wird  man 
es  mir  darum  schon  verzeihen,  wenn  ich  mir  mit  Bezug  auf 
die  oben  zitierte  Mitteilung  Halls  zu  bemerken  erlaube,  daß 
dieselbe,  trotzdem  Hall  einen  „Beitrag  zur  Beobachtung  kleiner 
Kinder'*  liefern  will,  von  allem  andern  eher  als  von  Beobachtung 
kleiner  Kinder  zeugt.  — 


Nachtrag 

zu    dem    Problem    der    ersten    Wortbedeutungen 

beim  Kinde. 
Als  „Nachtrag"  lasse  ich  —  vier  Monate  nach  Fertig- 
stellung der  vorstehenden  Abhandlung;  September  1903  — 
hierunter  noch  die  Aufzeichnungen  folgen,  welche  die  sprach- 
liche Entwickelimg  und  zwar  die  Entstehung  der  Wortbedeu- 
tungen meines  Sohnes  Kurt  I.  vom  15. — 19.  Lebensmonat  be- 
treffen und  welche  zum  größten  Teile  meine  Frau  während 
meiner  Abwesenheit  von  meiner  Familie  niedergeschrieben  hat. 
Die  Anordnung  und  Deutung  des  Materials  wird  hier  wie  dort 
nach  denselben  Gesichtspimkten  geschehen. 

I.  wauwau  (Vergl.  i  wauwau  Seite  18  ff.) 
454.  Tag.   Kurt  sieht  seine  braunen  Pelzschuhe  und  spricht 
„wauwau**.  (Da  sein  kleines  Tuchhündchen  ebenfalls  braun  ge- 
färbt ist^  so  hat  vielleicht  die  Farbe  eine  Verwechselung  herbei- 
geführt.) 

466.  Tag.  Es  wird  ihm  sein  neugeborenes  Brüderchen 
gezeigt;  lachend  deutet  er  darauf  und  begrüßt  es  als  „wauwau**. 
577.  Tag.  Ich  habe  Kurt  in  den  zoologischen  Garten  mit- 
genonunen.  Die  Tiere  machen  ihm  natürlich  große  Freude. 
Löwe,  Tiger,  Leopard,  Wolf  Schakal  etc.,  alle  zu  den  Familien 
der  Hunde  und  Katzen  gehörigen  Tiere,  nennt  er  „wauwau**. 

2.  a-a.     (Vergl.  2.  a-a  Seite  19  ff.) 
493.  Tag.    a — a  wird  auch  jetzt  noch  von  Kurt  gebraucht, 
um  auf  etwas  aufmerksam  zu  machen.    So  sieht  er  sein  Briider- 

2* 


444  Heinrich  Idelberger. 

chen,  zeigt  mit  verwundertem  Gesicht  nach  ihm  hin  und  spricht 
die  angegebene   Reduplikation. 

494.  Tag.  Desgleichen  als  er  zertretene  Kirschen  auf  dem 
Boden  gewahrt. 

545.  Tag.  Das  Dienstmädchen  hat  das  Wohnzimmer  auf- 
gewaschen. Kurt  zeigt  auf  den  Boden  und  spricht  „a — a,  anna". 
(Anna  hieß  nämlich  das  Mädchen.) 

574.  Tag.  a — a  dient  seit  einigen  Wochen  nur  noch ak 
Ankündigung  seines  Bedürfnisses  der  Kot-  oder  Urinabson- 
derung. 

3.  baba  (VergL  6.  baba  Seite  22  ff.) 

451.  Tag.  Meine  Frau  hält  Kurt  mein  Portrait  vor;  er 
deutet  darauf  und  spricht  ,,baba''. 

465.  Tag.  Auf  der  Straße  ertönt  die  Schelle  eines  Fahr- 
rades. Kurt,  welcher  der  Meinung  ist^  sein  Papa  habe  die 
elektrische  Hausschelle  in  Bewegung  gesetzt^  ruft  freudestrah- 
lend sein  ,,baba". 

473.  Tag.  Sobald  man  ihm  irgend  etwas  Geschriebenes 
vorhält,  wird  ihm  dieses  Wort  entlockt. 

546.  Tag.  Kurt  und  seine  Mama  sind  seit  einigen  Wochen 
auf  dem  Lande.  Ich  besuche  dieselben  dort.  Nach  meinem 
Weggange  von  ihnen  antwortet  er  stets  auf  die  Frage:  Wo  ist 
der  Papa?  ,,baba  ada  wal"  »  Papa  ist  fort  in  den  Wald.  Bei 
meinem  Weggange  bin  ich  nämlich  seinen  Blicken  in  der 
Richtimg  auf  dem  ihm  bekaimten  Wald  zu  entschwunden. 

4.  ada    (VergL  7.  ada  Seite  24.  25.) 

560.  Tag.  Es  dient  als  Bezeichnung  für  „Fortgehen"  und 
drückt,  reduplizierend  gebraucht,  den  Wunsch  aus,  fortzugehen. 

57 1 .  T  a  g.  Kurt  sieht  Stubenfliegen  auf  dem  Gesicht  seines 
schlafenden  Brüderchens  sitzen;  er  sucht  sie  zu  verscheuchen 
und  spricht  dazu  „mütsch  ada*'.  (Mütsch  «  Mücke.  Vergl.  Nach- 
trag 30.  mütsch.) 

5.  obba  (VergL  8.  obba  Seite  25  ff.) 
456.  Tag.     Kurt  patscht  mit  seinen  Händchen  auf  den 
Stuhl  und  spricht  „obba"  ^  ich  will  auf  den  Stuhl  gehoben 
werden. 


Hauptprobleme  der  kindUchen  Sprachentwicklung.  445 

467.  Tag.  Er  sucht  seine  Mama,  die  im  Bett  liegt,  durch 
nama,  obba,  obbal"  zum  Aufstehen  zu  veranlassen. 

531.  Tag.  Sein  Onkel  hält  ihm  die  Hände  fest.  Kurt 
rieht  weinend  „obba,  obbal" 

545.  Tag.  Er  gebraucht  es,  als  er  Papas  Uhrkette  los- 
ißen  will. 

569.  Tag.    Dieser  sprachliche  Ausdruck  wird  auch  heute 

•ch  verwendet  und  zwar  sobald  er  irgend  jemand  zum  Auf- 

ihen  vom  Stuhl,  vom  Sofa  etc.  bewegen  will.   Gewöhnlich  faßt 

die  betreffende  Person  bei  Äußerung  seines  Wunsches  an 

*   Hand. 

6.  du-du  (Vergl.  11.  du-du  Seite  27.) 

468.  Tag.  Mit  „du — du"  benennt  er  jetzt  nur  noch  sein 
ilzemes  Schaukelpferd,  während  er  die  Pferde  auf  der  Straße 
n  nun  an  als  „dada"  bezeichnet.    (Vergl.  Nachtrag  14.  dada.) 

484.  Tag.    „du — du"  ist  ganz  verschwunden. 

7.  bibi  (Vergl.  12.  bibi.  Seite  28.) 

454.  Tag.     Kurt  hat  von  seiner  Großmama  ein  kleines 

>nhündchen  erhalten,  auf  welchem  man  pfeifen  kann.    Das- 

Ibe  hoch  in  der  Hand  haltend,  kommt  er  zur  Mama  und  ruft 

bittendem  Tone:  „bibi,  bibi".    (Mama  soll  darauf  pfeifen.) 

491.  Tag.    Fräulein  H.  Seh.,  welche  vis-a-vis  wohnt,  hat 

art  öfters  in  den  Hof  zu  den  Hühnern  mitgenommen.    Heute 

wahrt  er  dieselbe  vom  Fenster  der  Wohnstube  aus  auf  der 

raße  imd  schreit  „bibi,  bibil"    (Sie  soll  ihn  wieder  zu  den 

iihnem  tragen.)   Dieser  Vorgang  wiederholt  sich  am  518.  Tag. 

577.  Tag.    Alle  Vögel  im  zoologischen  Garten  (Papagei, 

ite,  Storch,  Reiher,  Gans,  Schwan,  Rabe,  die  verschiedenen 

agvögel)  bezeichnet  er  mit  „bibi." 

8.  da  (Vergl.  13.  da  Seite  29.) 

452.  Tag.  Meine  Frau  hat  Kurt  einen  leichten  Klapps 
f  die  Hand  gegeben.  Er  hält  ihr  darauf  dieselbe  hin  imd 
rieht  „da".  (Er  will  wohl  damit  sagen:  dahin  hast  du  mich 
schlagen,  da  tut's  weh.) 

493.  Tag.  Et  gebraucht  dieses  Wort  als  er  das  ausgezogene 
huhchen  seiner  Großmutter  hinreicht.  (Sie  soll  ihm  dasselbe 
^der  anziehen.)   Vergl.  auch  Nachtrag  28.  man,  544.  Tag. 


446  Heinrich  Idelberger, 

9.  tnama  (Vergl.  14«  matna  Seite  29.  ff.) 

45 1 .  T  a  g.  I .  Kurt  stellt  seiner  Mama  einen  kleinen  Holz- 
Schemel  vor  die  Füße  und  begleitet  diese  Tätigkeit  mit  der 
angegebenen  Reduplikation.  (Die  Mama  soll  die  Füße  darauf 
stellen.) 

2,  Kurt  sieht  einen  Kamm  auf  dem  Waschtisch  liegen 
und  erkennt  seiner  Mama  durch  „mama"  das  Eigentumsrecht 
auf  denselben  zu. 

473.  Tag.  Blumen,  welche  er  gefunden,  bringt  er  seiner 
Mama  hin  und  bittet  durch  sein  „mama"  scheinbar  um  Abnahme 
derselben. 

491.  Tag.  Als  meine  Frau  vom  Spaziergang  mit  ihm 
zurückkommt,  erzählt  er  seiner  Großmutter  mit  großem  Ver- 
gnügen :  „mama  ada"  =  ich  war  mit  Mama  fortgegangen. 

509.  Tag.  Wenn  meine  Frau  dem  einige  Wochen  alten 
Brüderchen  zu  trinken  gibt,  so  erscheint  das  „mama"  in 
folgender  Verbindung :  „mama  mimi  biderbibi"  —  Mama  gibt 
dem  Brüderchen  zu  trinken. 

565.  Tag.  Die  Großmama  ist  mit  ihm  spazieren  gegangen. 
Auf  dem  Heimweg  in  der  Nähe  unserer  Wohnung  angekommen, 
spricht  er:  „mama  heim"  =  wir  gehen  jetzt  heim  zur  Mama. 

570.  Tag.  In  besonders  guter  Stinummg  bezeichnet  er 
seine  Mama  als  „duter  mama"  =  gute  Mama. 

10.  mimi  (Vergl.  15.  mimi  Seite  29.) 

480.  Tag.  Alle  Flüssigkeiten :  Kaffee,  Milch  Wasser  etc. 
in  Tassen  und  Gläsern  benennt  er  mit  diesem  sprachlichen 
Ausdruck.  (Ist  dagegen  Milch,  Kaffee  etc.  verschüttet  worden, 
so  bezeichnet  er  dieselben  als  „a — a**.)  Das  Begehren  nach  diesen 
Getränken  gibt  er  durch  oftmalige  Wiederholung  desselben 
zu  erkennen. 

504.  Tag.  Seit  einigen  Tagen  wird  es  in  weinendem  lone 
hervorgebracht,   sobald  er  übler   Laune  ist. 

11.  na  (nein)«     (Vergl.  17  na-na  Seite  30.) 

481.  Tag.  Wenn  Kurt  irgend  etwas  nicht  tun  oder  haben 
will,  so  schüttelt  er  verneinend  das  Köpfchen  und  spricht  „na" 
(langgezogen). 

564.  Tag.  Statt  „na"  gebraucht  er  nunmehr  nach  Vorsagen 
seiner  Mama  „nein".   Er  setzt  dasselbe  mit  geringen  Ausnahmen 


HauptprobUme  der  kindlühen  Sprachentwicklung.  447 

an  das  Ende  seiner  kurzen  Sätze  7.  B.  ,,mama  ada  nein"  »  die 
Mama  soll  nicht  fortgehen.  (Die  Bejahung  drückt  er  dadurch 
aus,  daß  er  die  ihm  vorgelegte  Frage  teilweise  wiederholt; 
2.  B.  Frage:  Will  Bubi  Brei  essen?  Antwort:  „bub  bei".  Das 
Wort  „ja**  spricht  er  noch  nicht.) 

12.  ama  (oma). 

454.  Tag.  Mit  „ama**  bezeichnet  er  die  Großmutter.  Es 
wird  außerdem  reduplizierend  als  Ausdruck  eines  jeden 
Wimsches  gebraucht,  dessen  Erfüllung  Kurt  von  der  Groß- 
mutter erwartet.  {^^^xn2i  ada**  bedeutet :  Die  Großmutter  ist  fort- 
gegangen, dagegen  „ama  ada,  ada**  =  Großmutter,  ich  will  mit- 
gehen.) 

577.  Tag.  Kurt  und  ich  fahren  in  der  elektrischen  Straßen- 
bahn; eine  einsteigende  ältere  Dame  mit  grauem  Haar  nennt 
er  ebenfalls  „ama**. 

13.  muh« 

463.  Tag.  Eine  Abbildimg  der  Kuh  in  seinem  Bilderbuch 
bezeichnet  er  als  „muh**. 

480.  Tag.  Er  verlangt  sein  Bilderbuch  überhaupt  mit 
diesem  Worte.     (Er  will  das  Bild  der  „muh**  sehen.) 

503.  Tag.  Seit  dem  15. Juni  1903  (496.  Lebenstag)  weilt  Kurt 
mit  seiner  Mama  und  seinem  kleinen  Brüderchen  auf  dem 
Lande.  Sobald  er  ein  Rind  sieht,  spricht  er  voll  großer 
Freude  „muh**. 

520.  Tag.  Sobald  er  das  Hom  des  Kuhhirten  ertönen 
hört,  entlockt  ihm  dies  ebenfalls  diese  sprachliche  Äußerung. 
(Er  hat  schon  einigemal  die  Erfahrung  gemacht,  daß  auf  das 
Blasen  hin  die  Kühe  die  Dorfstraße  hinunter  spazieren.) 

577.  Tag.  Das  Kamel  im  zoologischen  Garten  nennt  er 
ebeitfalls  ^,muh". 

14,  dada.     (Vergl.  Nachtrag  6  dudu.) 
473.  Tag.  Die  Pferde  auf  der  Straße  nennt  er  seit  heute 
>,dada**.  (Nachahmung  von  Raragäulchen,  wie  ihm  das  Pferd  von 
der  Großmutter  benannt  worden  ist.)  Sein  Schaukelpferd  be- 
2eichnet  er  noch  mit  „dudu**. 

484.  Tag.   Heute  nennt  er  auch  sein  Schaukelpferd  „dada". 


448  Heinrich  Idelherger, 

15.  bu-bub. 

482.  Tag.  Wenn  man  auf  ihn  deutet  und  fragt:  Wer  ist 
das?    so  antwortet  er  „bü". 

Im  17.,  18.  und  19.  Monat  nennt  er  sich'  selbst  stets  „bub", 
niemals  aus  eigenem  Antrieb  mit  seinem  Taufnamen,  obwohl 
ihm  dieser  auch  häufig  vorgesprochen  worden  ist,  z.  B.  569.  Tag. 
Ich  fasse  Kurt  an  dem  Beinchen  und  frage:  Was  habe  ich 
denn  da?    Antwort:  „bub  bei". 

16.  biderbibi. 

489.  Tag.  Sein  kleines  Brüderchen  nennt  er  „biderbibi". 
(Nachahmung  von  Brüderchen.)  Vergl.  Nachtrag  9.  mama, 
509.  Tag. 

531.  Tag.  Auf  die  Frage  der  Großmutter:  Wo  ist  die 
Mama?  antwortet  er:  „biderbibi".    (Bei  dem  Brüderchen.) 

17.  ah* 

518.  Tag.  Er  gewahrt  sein  Brüderchen,  welches  er  einige 
Stunden  nicht  gesehen  hat,  und  spricht:  „ah  biderbibi"!  (Aus- 
druck der  Verwunderung.) 

18.  bitsch. 

518.  Tag.  Dies  Wort  wird  gebraucht,  sobald  er  etwas  mit 
aller  Wucht  hinwirft. 

524.  Tag.  I.  Wenn  er  überhaupt  etwas  hinwirft  oder  ihm 
etwas  hinfällt,   so  begleitet  er  diesen  Vorgang  mit  „bitsch". 

2.  Er  schlägt  die  Kühe  mit  der  Peitsche  und  spricht  dazu 
„bitsch". 

19.  wei  (Nachahmung  von  zwei.) 
526.  Tag.     Kurt  bringt  zwei  Bierfläschchen  ins  Wohn- 
zimmer und  spricht  „wei,  mama,  wei". 

528.  Tag.  Der  Anblick  der  Kuhherde  veranlaßt  ihn  zu 
derselben  ÄuiBerung.  „wei"  —  oder  „wei  dei"  (zwei,  drei)  —  ist 
von  dieser  Zeit  an  Bezeichnung  einer  jeden  Mehrheit  von 
Dingen ;  das  erste  Zahlwort.  Einzahl  und  Mehrzahl  werden  in 
seiner  Sprache  dadurch  unterschieden,  daß  er,  sobald  die  erstere 
vorliegt,  stets  nur  den  einfachen  Namen  des  Gegenstandes  nennt, 
in  der  Mehrzahl  dagegen  demselben  noch  sein  Zahlwort  bei- 
fügt und  zwar  gewöhnlich  nachfolgen  läßt;  z.  B.  eine  Kuh 


Hauptprobleme  der  ktndüchen  Spro/cherUwicklung.  449 

jißt  kurzweg  „muh",  zwei  oder  mehrere  Kühe  bezeichnet  er 
s  „muh  wei". 

20.  dall. 

528.  Tag.  Kurt  sieht  die  Kühe  in  den  Stall  gehen  und 
bricht  „muh  ada  dall". 

533.  Tag.    I.  Auf  die  Frage:  Wo  sind  die  muh?  antwortet 
allemal  prompt:  „muh  dall". 
2.  Den  Namen  „Karl"  ahmt  er  ebenfalls  so  nach. 

21.  beitsch« 

529.  Tag.  Durch  oftmalige  Wiederholung  verlangt  er 
ermit  nach  der  Peitsche.  Desgleichen  ist  es  Benennung 
jrselben. 

542.  Tag.  Auf  die  Frage:  Womit  bekommt  die  „muh" 
:hläge?  antwortet  er:  „beitsch"  (mit  der  Peitsche). 

569.  Tag.    Emen  Stecken  nennt  er  „beitsch". 

574.  Tag.    Desgleichen  einen  Gummischlauch. 

577.  Tag.  Ein  von  ihm  zxun  Schlagen  benutztes  kurzes 
olzlineal  ist  ebenfalls  eine  „beitsch". 

22.  mimibei. 

531.  Tag.  Den  Teller  mit  Brei,  Suppe  imd  Milch  nennt  er 
limibei".  Gleichzeitig  reduplizierend  Ausdruck  seines  Be- 
ihrens. 

23.  ha-hü. 
531.  Tag.     Kurt  ahmt  auf  diese  Weise  den  Fuhrleuten 
ch,  die  mit  „har — hü"  das  Ochsengespann  dirigieren.    Er 
rieht  dasselbe  sehr  laut  und  setzt  dazu  ein  außerordentlich 
chtiges  Gesicht  auf. 

24.  aber. 

533.  Tag.    Nachgeahmte  Benennung  für  „Robert". 

25.  ema. 

533-  Tag.    Bezeichnung  für  „Emma". 

26.  anna. 

533.  Tag.    Benennung  für  „Anna". 


450  Heinrich  liUlberger. 

27.  wiwi. 

533.   Tag.     Bezeichnung  für  „Willy". 

Die  vorgenannten  Nachbarkinder:  „dall**  (20.),  „aber", 
„ema",  „anna"  und  „wiwi**  weiß  er  in  der  Folgezeit  sehr  wohl 
zu  unterscheiden  und  richtig  zu  benennen.  (Verschiedene 
Kleidung  und   Größe  l) 

28.  mau. 

544.  T  a  g.  Kurt  hat  gestern  eine  Maus  unter  den  Schrank 
laufen  sehen.  Heute  bückt  er  sich,  um  unter  den  Schrank  sehen 
zu  können   und  spricht:   „da  mau**. 

578.  Tag.  In  der  Abenddämmerung  fürchtet  er  sich  und 
kommt  weinend  zu  seiner  Mama  gelaufen :  „mama  mau**.  (Sobald 
man  ihm  seit  seiner  ersten  Begegnung  mit  der  Maus  von  der 
,,mau**  spricht,  macht  er  stets  ein  ängstliches  Gesicht.) 

29.  duL 

544.  Tag.  Er  patscht  mit  seinen  Händchen  auf  den  Stuhl- 
sitz und  spricht :  „dul  obba**  =  ich  will  auf  den  Stuhl  gehoben 
werden. 

569.  Tag.  Er  nimmt  mich  an  der  Hand  und  führt  mich 
zu  einem  Stuhl  mit  den  Worten :  „da  baba  dul**  =  Papa  soll  sich 
auf  den  Stuhl  setzen. 

577.  Tag.  Kurt  möchte  auf  den  Tisch  sehen.  Da  er 
seit  zwei  Tagen  allein  auf  einen  Stuhl  steigen  kann,  so  rückt 
er  sich  einen  solchen  aus  einer  entfernten  Ecke  an  den  Tisch 
heran  und  spricht  dazu  „n  dul**  =  ich  hole  mir  einen  Stuhl. 

30.  mütsch. 

546.  Tag.  Er  gebraucht  es,  als  er  mit  großer  Freude 
den  Stubenfliegen  auf  dem  Tisch  nachjagt. 

551.  Tag.  Auf  eine  an  der  Fensterscheibe  hin  und  her 
fliegende  Biene  weist  er  mit  demselben  sprachlichen  Aus- 
druck hin. 

573.  Tag.  Eine  auf  der  Erde  laufende  Ameise  verfolgt 
er  mit  seinen  Fingerchen  und  ruft  dazu  „n  mütsch,  n  mütsch!" 
Vergl.  auch  Nachtrag  4.  ada,  571.  Tag. 

31.  wal. 
Vergl.  Nachtrag  3.  baba,  546.  Tag. 


Uaupiprobienu  der  kindlichen  Sprachentwicklung,  451 

32.  bobo. 

547.  Tag.  Auf  die  Frage:  Wohin  bekommt  der  Bub 
[lebe?  antwortet  er,  indem  er  auf  sein  Gesäß  zeigt:  „bobo". 

33.  hieb. 

550.  Tag.  Bezeichnung  für  Hiebe;  z.  B.  „mama  hieb  nein** 
ich  will  keine  Hiebe  von  der  Mama. 

34.  bell. 

550.  Tag.  Dient  in  seiner  Reduplikation  als  Ausdruck 
ines  Verlangens  nach  gekochten  Kartoffeln. 

35.  ball. 

551.  Tag.    Kurt  verlangt  damit  nach  seinem  Gummiball. 

572.  Tag.    Eine  Eisenkugel  nennt  er  „ball". 

574.  Tag.  Seine  Mama  hält  eine  ungekochte  Kartoffel 
der  Hand.    Kurt  verlangt  dieselbe  mit  „mama,  ball,  balll" 

578.  Tag.    I.  Das  gerollte  Wachstuch  nennt  er  ebenfalls  so. 

2.  Er  bezeichnet  mit  diesem  Worte  ein  mit  Papier  gefülltes 
ickchen,  welches  von  den  beiden  Knaben  H.  und  O.  Seh. 
s  Fußball  benutzt  wird. 

36.  well. 

552.  Tag.    Bezeichnung  für  Löffel. 

37.  WU2. 
552.  Tag.    Benennung  für  Wurst. 

573.  Tag.  Kurt  reicht  beim  Mittagessen,  indem  er  das 
ort  spricht,  nach  dem  auf  dem  Tisch  stehenden  Braten. 

38.  bei. 

555.  Tag.  Kurt  ist  durch  die  Brennesseln  marschiert, 
einend  kommt  er  zu  seiner  Mama,  zeigt  auf  sein  Bein  imd 
rieht  reduplizierend  „bei"  (=  am  Bein  tut's  weh).  Vergl. 
achtrag  15.  bub,  569.  Tag. 

39.  bei  der  (bei  dr). 

556.  Tag.  Als  ihn  seine  Großmutter,  nachdem  sie  ihn 
Bett  gebracht  hat,  verlassen  will,  schreit  er  „ama  bei  der" 

die  Großmutter  soll  bei  mir  bleiben.    Wenn  er  früher  eben- 


452  Heinrich  Idelherger. 

falls  nicht  allein  bleiben  wollte,  hat  ihn  dieselbe  nämlich  mit 
den  Worten  getröstet:  Sei  nur  ruhig,  die  „Ama**  ist  bei  dir. 

578.  Tag.  I.  Kurt  spricht :  „mama  ada  nein,  mama  bei  der" 
=  Mama  soll  nicht  fortgehen,  Mama  soll  bei  mir  bleiben. 

2.  Ich  beobachte  Kurt,  der  mich  nicht  bemerkt  hat,  wie  er 
zu  seinem  Gummimann  spricht:  „mama  ada,  baba  ada,  bider- 
bibi  ada,  ama  ada,  bub  bei  der**. 

40.  mit. 

557.  T  a  g.  Meine  Frau  will  ausgehen,  Kurt  bittet  sie :  „mama 
mit"  =  Mama  ich  will  mitgehen.  (In  der  Folgezeit  stets  im 
Sinne  von  „mitgehen**  oder  „mitnehmen**  gebraucht.) 

41.  huter. 

557.  Tag.  Bezeichnung  für  Zucker.  Desgleichen  als  Aus- 
druck des  Verlangens  nach  demselben  verwendet. 

42.  hut, 

558.  Tag.  Hut  ist  Bezeichnung  für  seinen  Leinen-  und 
Strohhut  und  seine  Mütze. 

43.  wadder  oder  mimiwadder. 

563.  Tag.  Wasser  nennt  er  seit  einigen  Tagen  „wadder" 
oder  „mimiwadder**. 

44.  wa, 

565.  Tag.  Meine  Frau  hat  sein  kleines  Brüderchen  auf 
dem  Schoß.  Kurt  spricht  zu  ihr :  „biderbibi  wa**  (=  lege  das 
Brüderchen  in  den  Wagen I  und  fährt  nach  einiger  Zeit  fort: 
„wa  hol**  =  ich  will  den  Wagen  holen,  geht  hin  und  zent 
an  dem  Kinderwagen.  Er  will  nämlich  selbst  auf  den  Schoß 
der  Mama! 

45.  bett. 

567.  Tag.  Kurt  sieht  beim  Aufwachen  sein  Brüderchen 
in  Mamas  Bett.  Er  teilt  mir  dies  mit  den  Worten  mit :  „bider- 
bibi mama  bett**. 

46.  dtir. 

567.  Tag.    Als  Kurt  am  Abend  in  dem  dunkeln  Schlaf- 


Hauptprobleme  der  kmdiichen  SprachentwicHung,  453 

tnmer  zu  Bett  gebracht  wird,  bittet  er  seine  Mama,  die  Türe 
ich  der  erleuchteten  Wohnstube  zu  offen  zu  lassen:  „mama 
ir  auf!" 

577.  Tag.  Er  will  das  Fenster  geöffnet  haben  und  sagt 
)enso. 

47.  auf. 

Vergl.  Nachtrag  46.  dür. 

48.  eime. 

570.  Tag.  Sein  kleines  Blecheimerchen  nennt  er  so.  Er 
gt  „dul  eime"  =  ich  stelle  den  Eimer  auf  den  Stuhl. 

49.  hol  und  hole. 

570.  T  a  g.  Nach  dem  Abendessen  bekommt  er  gewöhnlich 
)ch  ein  kleines  Täßchen  Milch.  Er  erinnert  seine  Mama 
;ute  daran,  indem  er  spricht:  „mama  hole  mimi". 

50.  duter. 

Vergl.  Nachtrag  9.  mama. 

570.  Tag.  Ebenso  legt  er  dem  „baba",  dem  „biderbibi"  und 
:r  „ama"   zeitweise  das  Attribut   „duter"  bei. 

51.  butt. 

571.  Tag.  Er  hat  eine  Tasse  auf  den  Boden  fallen  lassen 
id  zeigt  auf  die  Scherben  hin  mit  den  Worten :  „da  baba  butt". 

5a.  am. 

573.  Tag.    Bezeichnung  für  Arm. 

53.  han. 

573.  Tag.     Bezeichnung  für  Hand. 

54.  all. 

574.  Tag.  Sobald  Kurt  seinen  Teller  oder  seine  Tasse 
s  auf  den  Boden  geleert  hat,  kündigt  er  dies  seit  einigen 
ochen  fast  regelmäßig  durch:  „all — all"  an. 

55.  dein. 
774.  Tag.  Als  er  von  dem  mit  mir  unternommenen  Spazier- 


454  Heinrick  Idelberger. 

gang  nach  Hause  kommt,  erzählt  er  seiner  Mama:  „wadderdein 
bitsch"  =  ich  habe  einen  Stein  ins  Wasser  geworfen. 

']']'].  Tag.    Steinkohlen  bezeichnet  er  ebenfalls  als  „dein". 

56.  beipf. 

775.  Tag.  Benennung  für  Bleistift,  Federhalter  und  das 
in  seiner  Hülse  befindliche  Fieberthermometer. 

57.  buderbod. 

775.  Tag.  Ein  Stück  trockenes  Brot,  sowie  das  mit  Butter 
und  Gelee  beschmierte,  ferner  den  ganzen  Brotlaib  nennt  er 
„buderbod".  Gleichzeitig  dient  diese  Bezeichnung  als  Ausdnick 
seines  Begehrens  nach  Brot. 

58.  bedch. 

776.  Tag.  Kurt  sitzt  am  Tisch  in  seinem  Stühlchen  und 
bittet  mich  mit  den  Worten :  „hole  baba  bedch",  ihm  ein  her- 
untergefallenes Brötchen  wieder  aufzuheben. 

59.  abel  (abl.) 

776.   Tag.     Bezeichnung   für   Äpfel  und   Birnen. 
778.     Tag.     Kurt  möchte   eine  auf  dem  Tisch  liegende 
Kastanie  haben,  reicht  darnach  und  spricht:  „abel  will". 

60.  will. 

Vergl.  Nachtrag  57.  abi,  778.  Tag. 

61.  weif. 

778.  Tag.  I.  Mit  diesem  Wort  verlangt  er  heute  beim 
Mittagessen  nach  den  auf  dem  Tisch  stehenden  Frikandellen. 

2.  Er  bezeichnet  jetzt  hiermit  Fleisch,  während  „wuz"  nur 
noch  zur  Benennung  von  Wurst  dient.  (Vergl.  Nachtrag  37- 
wuz.) 

Die  Aufzeichnungen  der  sprachlichen  Produktionen  meines 
Sohnes  Kurt  I.  aus  der  Zeit  vom  15. — 19.  Lebensmonat  sind 
geeignet,  weitere  Belege  für  die  Richtigkeit  unserer  dargelegten 
Auffassung  von  der  Entstehung  der  ersten  Wortbedeutungen 
beim  Kinde  abzugeben.  Die  Beobachtung  zeigt  nun,  daß  der 
Wunschcharakter  beim  Gebrauche  der  hier  mitgeteilten  Worte 
nicht  mehr  in  dem  Maße  prävaliert,  als  dies  nach  unsem  früheren 
Aufzeichnungen  (Seite   25   ff.)   bei  den  allerersten  kindliche« 


Hauptprohletne  der  kindUchtn  Sprachentwicklung.  455 

sprachlichen  Äußerungen  der  Fall  war ;  die  Sprache  des  Kindes 
dient  vielmehr  in  weit  höherem  Grade  der  Bezeichnung,  sie  wird 
mehr  und  mehr  intellektualisiert.  Nur  emotionell- volitional 
wird  von  den  hier  aufgeführten  6i  Worten  überhaupt  kein 
einziges  mehr  verwendet;  die  meisten  derselben  treten  je  nach 
den  Umständen  als  Ausdruck  und  Mitteilung  eines  Begehrens 
bezw.  Gefühls  oder  als  Bezeichnung  von  Gegenständen,  Tätig- 
keiten, Eigenschaften  und  Beziehungen  auf;  einige  derselben, 
wie  bobo  (32.),  wal  (3i.)>  am  (51.)  und  han  (52.)  dienen  an- 
scheinend nur  dieser  letzteren  sprachlichen  Funktion.  Bei  den 
intellektualisierten  Wörtern  vollzieht  sich  die  Bildung  der  Wort- 
bedeutungen überall  auf  Grund  der  Assoziations-  und  Reproduk- 
tionsgesetze. Die  Verwendung  dieser  ersten  als  Bezeichnung 
dienenden  Kindesworte  läßt  nun  auch  hier  erkennen,  daß  es  sich 
nicht  um  eine  Benennung  der  Gegenstände  mit  der  Fülle  ihrer 
Merkmale  handelt,  sondern  daß  nur  die  augenfälligen  Teile 
derselben  von  dem  Kinde  benannt  werden,  daß  also  nur  Teil- 
vorstellungen die  ersten  intellektuellen  Wortbedeutungen  aus- 
machen. Vergl.  7.  bibi,  10.  mimi,  12.  ama,  13.  muh,  21.  beitsch, 
30.  mütsch,  35.  ball,  37.  wuz,  42.  hut,  46.  dür,  55.  dein,  56.  beipf, 
57.  buderbod,  59.  abell  (Mit  Rücksicht  hierauf  könnte  man 
die  assoziativ-reproduktive  Sprachstufe  auch  als  die  Stufe 
der  partiellen  Benennung  bezeichnen.) 

Mit  dem  wachsenden  Interesse,  welches  das  Kind  den 
Dingen  und  Vorgängen  entgegenbringt,  und  der  sich  steigernden 
Auffassungsfähigkeit  einerseits,  sowie  dem  zunehmenden  Wort- 
schatz und  der  fortgesetzten  Korrektur,  welche  das  Kind  bei 
seiner  Wortverwendung  durch  die  Erwachsenen  erfährt,  anderer- 
seits macht  sich  bei  den  ersten  sprachlichen  Produktionen  des 
Kindes  langsam  ein  Bedeutungswandel  geltend,  demzufolge  die- 
selben allmählich  zur  Bezeichnung  des  geistigen  Inhalts  ver- 
wendet werden,  welcher  die  Wortbedeutung  der  betreffenden 
Worte  der  Erwachsenen  ausmacht.  Die  ersten  Spuren  dieses 
Sprachprozesses  treten  uns  auch  in  der  sprachlichen  Entwicke- 
lung  Kurts  entgegen.  Vergl.  hierzu  10.  mimi  und  43.  wadder, 
2^7.  wuz  und  61.  weif.  Der  Gebrauch  des  Wortes  „wadder**  für 
Wasser  bedingt  natürlich  eine  Einschränkung  in  der  Ver- 
wendung der  ursprünglichen  Bezeichnung  „mimi**,  bezw.  eine 
Umfangsverengerung  der  ursprünglichen  Bedeutung  derselben. 
'Ebenso  verhält  es  sich  mit  wuz  und  weif.) 


456  Heinrich  IdeXbergtr, 

Von  größtem  Interesse  für  mich  ist  die  Beobachtung,  daß 
Kurt  in  dieser  Sprachperiode  das  erste  Zahlwort  (vergl.  19.  wei) 
sinnvoll  verwendet,  wodurch  zum  erstenmal  Zahlbeziehungen, 
die  Beziehungen  einer  Mehrheit  von  Dingen  zur  Einheit  be- 
zeichnet werden. 

In  den  Aufzeichnungen  des  Nachtrags  tritt  noch  mehr  als 
in  denjenigen  des  Hauptteils  (Seite  18  ff.)  die  Eigentümlichkeit 
hervor,  daß  das  Kind  mit  seinen  ersten  Worten  vorzüglich  Tätig- 
keiten und  Vorgänge  bezeichnet. 

(In  grammatischer  Beziehung  sind  die  hier  mitgeteilten 
Beobachtungen  besonders  deshalb  interessant,  weil  sie  uns  die 
sprachliche  Entwickelung  vom  einfachen  Satzwort  (Wunsch- 
wort) zu  dem  aus  mehreren  flexionslos  nebeneinandergestellten 
Wörtern  zusammengesetzten  Satz  verfolgen  lassen.  Vergl. 
39.  bei  der.) 


Kinderideale. 

Einige  experimentelle  Beobachtungen  von 
Marx  Lobsien. 


(Schluß.) 

Welches  Gebäude  unserer  Stadt  ist  das  schönste? 
Knaben. 


Marne 

Stufe 

Sa. 

I 

II 

III 

IV 

V 

Schloß 

12 

28 

11 

17 

29 

97 

Universität* 

* 

5 

9 

Schule 

1 

2 

8 

2 

13 

Kirche* 

2 

4 

19 

9 

5 

39 

Marine-Akademie* 

5 

3 

8 

Ober-Landesgericht 

1 

1 

1 

3 

Pr.  Lebensversicherung* 

3 

3 

Krapps  liOgierhaus* 

1 

2 

3 

Hofbrauhaus* 

Ober-Eealschule* 

1 

1 

Automatenrestaurant 

1 

1 

Bahnhof* 

1 

1 

1 

3 

Bathaus 

8 

6 

4 

13 

Gymnasium* 

Unser  Haus 

2 

1 

2 

5 

Die  mit  *  bezeichneten  sind  Gebäude  von  architektonischer  Schönheit. 
Zdtedirifl  fOr  pldagosische  Ptycliologie,  Patbologie  und  Hygiene.  8 


458 


Mmrx  Lohntm. 


MSdchen: 


Name 

Stufe 

Sa. 

I 

n 

m 

IV 

V 

Schloß 

4 

16 

7 

17 

14 

58 

Universität* 

2 

6      1 

7 

IS 

Schule* 

1 

8      1     16 

10 

5 

40 

Kirche* 

26 

14 

25 

6 

15 

86 

Marine-Akademie* 

Ober-Landeegericht 

Pr.  Lebensversicherang* 

Krupps  Logierhaas* 

1 

1 

Hofbräohans* 

Ober-Realschule* 

Automatenrestaurant 

Bahnhof* 

4 

1 

1 

6 

Rathaus 

5 

5 

Gymnasium* 

1 

1 

Unser  Haus 

8 

8 

Wiederum  ist  die  Auswahl  bei  den  Knaben  nicht  unwesent- 
lich größer  als  bei  den  Mädchen.    Die  Knaben  wählten  ins- 
gesamt 14  Gebäude  aus,  davon  9  architektonisch  schöne,  die 
Mädchen  entschieden  sich  für  9,  davon  7  hervorragend  schöne 
Gebäude.     Ihr  Auge  scheint  mehr  durch  Gesichtspunkte  der 
Schönheit  bei  der  Wahl  bestimmt  zu  werden,  die  Knaben  wählen 
mehr  das   Große,   Überragende.    Vor  allen   Dingen  schätzen 
sie  das  Schloß.  Es  ist  ein  altes,  grauelss  einförmiges  Gebäude; 
aber  daß  es  groß  ist,  daß  es  die  Wohnung  des  Prinzen  Heinrich 
und  zeitweilig  Aufenthaltsort  des  Kaisers  ist  —  dasi  macht  es 
ihm  zum  Ideal  aller  Gebäude.    Dann  folgt  die  Kirche,  hinter 
der  die   Schule  weit  zurückstehen  muß.     Hier  mischen  sich 
offenbar  hemmende  Gedankenreihen  ein,  auch  bei  den  Mädchen, 
trotzdem  ihr  Schulhaus  ein  schönes,  elegantes,  modernes  Ge- 
bäude ist.  —  Ordnet  man  die  Zahlen  nach  den  aufeinander- 
folgenden Stufen,  so  gewahrt  man,  daß  Schloß  und  Kirche 
nahezu  regelmäßig  in  der  Wertschätzung  abwechseln. 


Xmdendeale, 


459 


In  weit  intimerer  Beziehung  steht  das  Kind  zu  dem  Spiel; 
ie  Untersuchung  wird  dort  hoffentlich  reichere  Beute  bringen. 


Welches   Spiel    ist  dir  das   liebste? 


Kna 

ben. 

Name 

Stuf 

B 

Sa. 

I 

n 

nr 

IV 

V 

Ballspiel 

24 

25 

16 

31 

23 

119 

Ränber  und  Soldat 

8 

8 

5 

21 

Indianer 

6 

5 

2 

15 

Versteck 

2 

5 

6 

4 

17 

Laufspiel 

1 

2 

1 

1 

5 

Kartenspiel 

2 

1 

3 

Knobelspiel 

1 

1 

Pickerspiel 

1 

1 

Halmar 

Sdhwarzer  Peter 

1 

1 

Scliach 

3 

3 

Brettspiel 

3 

3 

Fuchs  ans  dem  Loch 

7 

7 

Affenspiel 

1 

3 

1 

5 

Lotto 

l 

1 

Katz  nnd  Hans 

4 

11 

15 

Jakob,  wo  bist  dn? 

1 

1 

liOtzten 

7 

7 

Kegeln 

1 

1 

Kreisspiel 

8* 


460 


Marx  Löhtkn, 
Mädchen. 


Name 

Stufe                       1 

Sa. 

1 

II 

m 

IV 

V 

Ballspiel 

30 

34 

23 

15 

9 

111 

Räuber  nnd  Soldat 

Indianer 

Versteck 

13 

4 

3 

1 

21 

Laufspiel 

1 

1 

Kartenspiel 

Enobeispiel 

1 

1 

Pickerspiel 

Habnar 

1 

1 

Schwarzer  Peter 

1 

1 

Schach 

Brettspiel 

1 

1 

2 

Fachs  aus  dem  Loch 

Affenspiel 

Lotto 

16 

16 

Katz  nnd  Maus 

2 

2 

Jakob,  wo  bist  du? 

Letzten 

2 

2 

Kegebi 

Kreisspiel 

1 

1 

7 

3 

12 

Puppe 

4 

1 

14 

19 

21  Spiele  wurden  im  Ganzen  als  Lieblingsspiele  bezeichnet, 
doch  habe  ich  gleich  verschiedene  Lauf-  und  Ballspiele  zu- 
sanimengeordnet,  weil  eine  spezielle  Angabe  bedeutungslos 
schien.  Die  Spiele  lassen  sich  in  zwei  Gruppen  einteilen:  in 
Freiluft-  und  Zimmerspiele.  Ich  gebe  zu,  daß  die  Zeit,  da  die 
Versuche  angestellt  wurden,  die  Wahl  der  Zinunerspiele  be- 
günstigte. Ich  zähle  ii  Freiluft-  und  lo  Zimmerspiele,  genauer, 
bei  den  Knaben  lo  und  9,  bei  den  Mädchen  nur  5  Freiluft* 
und  9  Zimmerspiele.  Die  Lieblingsspiele  der  meisten  Mädchen 
sind  Zinunerspiele. 


JÜmderidealfi 


461 


Von  allen  Spielen  wird  das  Ballspiel  weitaus  am  häufigsten 
s  Idealspiel  bezeichnet,  fast  sechsmal  übertrifft  die  Zahl  die 
ichstgrößte.  Wenden  wir  die  alte  Berechnungsweise  an,  dann 
ssen  sich  die  Lieblingsspiele  in  folgender  Weise  ordnen : 


Knaben: 

Mädchen: 

BaU 

119 

Bau 

111 

Bäuber  und  Soldat 

21 

Versteck 

21 

Versteck 

17 

Pappe 

19 

Indianer 

15 

Lotto 

16 

Katz  und  Mans 

15 

Kreisspiel 

19 

Die  wilden  Lauf-  und  Raufspiele  charakterisieren  den 
iahen,  die  geordneten,  säuberlichen  Kreisball-,  Fangeball-, 
>ttospiel  und  vor  allen  Dingen  did  Puppe  das  Mädchen.  Der 
labe  will  mit  seinem  Spiel  hinaus  in  Freiheit  und  Ungebunden- 
it,  das  Mädchen  ins  Haus,  zur  Ordnung  und  Gesittung.  Das 
Fährt  man  zwar  in  erster  Linie  aus  der  Art  und  Weise,  wie  die 
dele  betrieben  werden,  aber  ebenso  deutlich  aus  den  Namen 
r  bevorzugten  Spiele. 

Auf  den  einzelnen  Altersstufen  dominieren  folgende  Spiele : 


Stufe 

Name 

I 

Ball    —    Versteck 

II 

Ball 

in 

BaU    —    Lotto 

IV 

BaU 

V 

Puppe 

li  den  Knaben  dominiert  überall  das  Ballspiel. 


Kmderideaie, 


463 


Mädchea. 


Name 

Stufe 

Sa. 

I 

II 

m 

IV 

V 

Baden 

Spielen 

\\ 

5 

3 

11 

Sägen 

Schnitzen 

\ 

1 

Lesen 

1            1 

1            1            1 

Gartenarbeit 

i 

l 

1 

Hansarbeit 

3           13      1    24 

18 

34 

92 

Malen  und  Zeichnen 



1                    2 

2 

Fahren 

Essen 

Geldverdienen 

Spazieren 

Schnlarbeitmachen 

Mosik 

Einholen 

Handarbeit 

35 

35 

20 

14 

12 

116 

Schlafen 

i 

3 

3 

462 


Marx  Lohsim. 


Welche  Beschäftigung  ist  dir  die  liebste? 
Knaben. 


Name 

Stuf 

e 

Sa. 

1 

II 

IM 

IV 

V 

Baden 

1 

1 

2 

Spielen 

10 

34 

3 

8 

50 

SägeD 

3 

3 

Schnitzen 

2 

3 

3 

13 

4 

25 

Lesen 

6 

2 

3 

11 

Gartenarbeit 

6 

4 

5 

4 

2 

21 

Hausarbeit 

3 

11 

9 

10 

33 

Malen  und  Zeichnen 

4 

2 

6 

Fahren 

4 

2 

10 

16 

Essen 

1 

1 

(Jeldverdienen 

1 

1 

Spazieren 

1 

1 

Schniarbeitmachen 

1 

1 

Musik 

Einholen 

3 

20 

23 

Handarbeit 

Schlafen 

KmderidetUe, 


463 


Mädchen. 


Name 

Stuf© 

Sa, 

I 

II 

m 

IV 

V 

Baden 

Spieleo 

:i 

6 

3 

11 

8äeen 

Sclmitzon 

Lesen 

l 

1 

Hauaarbeit 

3 

13 

24 

IS 

34 

H2 

lialen  und  Zeichne  a 

' 

% 

2 

FaKren 

Essen 

Geldverdlenen 

Spazieren 

^chTÜarbeltmaciieii         , 

Muäik 

EinkoLen 

Handarbeit 

35 

35 

20 

14 

13 

116 

Schlafen 

3 

3 

464 


Marx  Lohsien. 


y 


Hier  fällt  wieder  die  weit  größere  Mannigfaltigkeit  der 
Lieblingsbeschäftigungen  auf  Seiten  der  Knaben  gegenüber  dea 
Mädchen  auf.  Wie  im  Spiel  so  treibt  auch  die  Beschäftigung 
den  Knaben  aus  dem  Hause  hinaus.  Der  Lieblings- 
beschäftigungen der  Mädchen  gibt  es  eigentlich  nur  zwei  und 
beide  weisen  in  das  Haus  hinein,  Haus-  und  Handarbeiten 
sind  ihm  die  liebsten  Beschäftigungen.  Im  Hause  schnitzt, 
sägt,  malt  und  zeichnet  der  Knabe,  Schularbeit  machen  aber 
ist  keinem  Kinde  eine  angenehme  Beschäftigung.  Der  Knabe 
will  baden,  fahren,  Geld  verdienen,  draußen  umherstreifen; 
er  mag  gern  für  die  Mutter  einholen.  Ordnen  wir  die  Lieblings- 
beschäftigungen nach  ihren  Werten,  so  ergibt  sich: 


Knaben: 

Mädchen: 

Spiel 

50 

Handarbeit 

116 

Haasarbeit 

33 

Hausarbeit 

92 

Schnitzen 

25 

Spielen 

U 

Einholen 

23 

Gartenarbeit 

21 

Fahren 

16 

Lesen 

11 

Der  Knabe  hat  mehr  das  Bedürfnis  sich  im  Spiel  in  Un- 
gebundenheit  zu  vergnügen  als  das  Mädchen.  Übrigens  finden 
wir  hier  schon  Andeutungen  von  Wunschidealen,  ich  denke  an: 
Essen,  Geldverdienen,  Spazierengehen.  Auf  den  einzetoen 
Altersstufen  dominieren: 


Knaben: 


Stufe 

Name 

I 

Spielen* 

II 

Spielen 

III 

Hansarbeiten 

IV 

Schnitzen 

V 

Einholen 

*)  Hier  wirken   sicher  Wanschideale,  da  die  Not  dee  Lebens  schon 
manchen  in  ihr  Joch  spannt. 


lämdgriäeaUi 


465 


Mädchen. 


Stufe 

Name 

I 

Handarbeit 

n 

Handarbeit 

III 

Hans-  und  Handarbeit 

IV 

V 

Hausarbeit 

Es  ist  interessant  zu  verfolgen,  wie  die  jüngeren  Mädchen 

der   Hausarbeit,   die   älteren   in   der   Handarbeit   ihre   an- 

nehmste  Beschäftigung  sehen.  Der  Wandel  findet  im  ii. — 12. 

:bensjahre  statt.    Sicher  wirken  auch  hier  Wunschideale;  für 

inches  Mädchen,  das  am  Erwerben  des  täglichen  Brotes  sich 

tbeteiligen  muß,  ist  die  Handarbeit  eine  Erholung.  Im  großen 

d  ganzen  aber  entspricht  das  Ergebnis  der  Erfahrung,  daß 

1  das  12.  Lebensjahr  herum  ein  Wandel  vor  sich  geht.  Das 

ädchen,  das  sich  vorher  dem  Knabencharakter  näherte,  wird 

zt  sittsamer  und  häuslicher.   Dem  jüngeren  Mädchen  aber 

das  angestrengte  Stillsitzen  nicht  angenehm,  lieber  geht  es 

den   mannigfachen   häuslichen   Verrichtungen   der   Mutter 

r  Hand. 


Welches   Buch    ist  dir   das   liebste? 

Diese  Untersuchung  muß  mit  dem  Umstand  rechnen,  daß 
inches  Kind  für  Bücher  nichts  oder  nur  wenig  anzulegen  ver- 
ig.  Zwar  kommt  die  Schülerbibliothek  aushelfend  zu  statten, 
er  es  soll  erkundet  werden,  welches  Buch,  welche  Art  von- 
ichem  dem  Kinde  am  liebsten  ist.  Die  Schülerbibliothek 
thält  keineswegs  inmier  die  Bücher^  an  denen  das  Kind  Ge- 
len findet.  Ich  versuchte  daher  in  einer  Nebenuntersuchung 
erkunden,  wie  viele  Bücher,  schätzungsweise,  das  Kind  ge- 
;en  imd  strich  die  Namen  derjenigen,  die  eine  zu  geringe 
iswahl  hatten.  Einwandfreier  wäre  gewesen,  wenn  ich  mir 
ältliche  Bücher,  die  es  gelesen,  hätte  aufzeichnen  lassen, 
imerhin  bleibt   die  Auswahl  des   Liehlingsbuches  sehr  ab- 


466 


Marx  LöMen. 


hängig   von    äußeren    Umständen,   von   der    Einwirkung  des 
Hauses. 

Dankenswertes  erstreben  hier  die  Prüfungsausschüsse  für 
Jugendschriften,  auf  manches  Elternhaus  wirken  sie  gewiß 
fördernd  imd  ratend  ein.  Aber  es  ist  auch  an  der  Zeit,  daß 
sie  sich  über  ihren  Erfolg  vergewissem.  Es  genügt  keinesnvegs, 
daß  man  sich  über  einen  größeren  Absatz  freut,  sondern  es 

Knaben. 


Name  des  Baches 

Stufe 

Sa. 

I 

II 

UI 

IV 

V 

Eobinson 

2 

10 

3 

4 

1 

20 

Indianergeschichte 

16 

11 

7 

3 

2 

39 

Eealienbach  y .  Kahnmeyer  Scholze 

2 

5 

3 

6 

15 

Natnrknndl.  Bnch 

2 

Bibel  • 

1 

3 

21 

1! 

Märchenbuch 

3 

18 

18 

25 

22 

81 

Nansen:  Im  ew.  Eise 

1 

Sagen 

3 

1 

Der  Bnrenkrieg 

1 

2 

Seeabenteuer 

1 

3 

Weltgeschichtsbnch 

1 

1 

Schullesebach 

3 

4 

Bilderbuch 

1 

1 

Zeitung 

1 

Eulenspiegel 

1 

Münchhausen 

1 

Erzählungen  von  Schmid. 

l 

kommt  Vor  allen  Dingen  darauf  an,  das  Kind  zu  fragen.  Das  ge- 
schieht am  einfachsten  durch  eine  umfängliche  Erhebung  wife 
die  vorliegende.  Sie  erbringt  den  zahlenmäßigen  Beweis,  was 
das  Kind  liest  und  vor  allen  Dingen,  was  es  mit  Vergnügen  liest, 
ob  es  noch  in  den  alten  Räuber-  und  Indianergeschichten  steckt 
oder  weiter  Igekommen  ist.  Diese  Erhebung  müßte  in  be- 
stimmten Zwischenräumen  wiederholt  werden  und  würde  einen 


Kmdend^aU, 


467 


sichern  Maßstab  für  den  Erfolg  der  mühevollen  Arbeit  geben. 
Ich  befürchte,  daß  manches  Buch,  das  mit  psychologischen  imd 
starkem  literarisch-kritischen  Verständnis  am  grünen  Tische 
ausgewählt  worden  ist,  die  Jugend  kalt  läßt.  Das  Kind  hat  hier 
entschieden  auch  eine  Stimme;  Anstalten,  die  sich  Klassen- 
lektüre leisten  können,  wären  für  das  Experiment  besonders 
wertvoll. 


Mädchen. 

Name  des  Bnches 

Stufe 

Sa. 

I 

II 

III 

IV 

1 

V 

Bobinaon 

6 

7 

7 

8 

28 

Indianergeechichte 

Beidienbaoh 

NatorknndL  Bach 

Bibel 

12 

'• 

12 

Märchenbach 

12 

17 

33 

28 

28 

118 

Namen:  Im  ewigen  Eise 

Sagen 

Borenkrieg 

Seeabenteaer 

Weltgeachichtsbach 

2 

2 

Leeeboch 

2 

1 

6 

9 

Bilderbach 

2 

1 

3 

Zeitnng 

1 

Ealenspiegel 

1 

Münchhaosen 

Erzählangen  v.  Schmid. 

Ich  stelle  gleich  die  Ergebnisse  der  folgenden  Frage  hier- 
her, die  eine  schätzungsweise  Angabe  über  die  Zahl  der  ge- 
lesenen Bücher  verlangt.  Sie  sollen  zwar  zunächst  nur  den 
Nachweis  erbringen,  daß  ich  berechtigt  war,  einige  typische 
Momente  aus  den  beiden  vorseitigen  Tabellen  herauszukehren, 
sind  aber  daneben  ein  interessanter  Beleg  für  die  vagen  Zahl- 
schätzungen nicht  nur  der  Kinder  auf  den  niederen  Unter- 


468 


MüTx  Lohsun, 


richtsstufen.  Mancher  Bube  hat  eine  Zahl  von  Büchern  an« 
gegeben,  vor  der  ein  gelehrter  Professor  erröten  miiß  •—  woW 
i,tausend  und  noch  mehr".  —  Er  mußte  sich  gefallen  lassen, 
daß  ich  ihm  wenigstens  eine  Null  abstrich,  um  seine  Auf- 
gabe einigermaßen  verwerten  zu  können — ,  ja  einer  hatte  gar 
soviele  Bücher  gelesen,  daß  keine  Zahl  ihm  groß  genug  schien, 
sie  anzugeben.  So  können  diese  Zahlenangaben  nur  auf  ganz 
untergeordneten  Wert  Anspruch  erheben,  aber  die  oben  an- 
gedeuteten Aufgaben  erfüllen  sie  vollständig. 


Durchschnittliche  Angabe  für  jedes  Kind. 


Stufe 

Kinder 

I 

II 

m 

IV 

V 

Enabeu 

154 

64 

20 

12 

10 

Mädchen 

19 

13 

11 

6 

5 

Zwar  war  oben  bei  den  Mädchen  niemals,  wohl  bei  Knaben 
mit  dem  Wert  ii  das  Lesen  als  Lieblingsbeschäftigung  an- 
gegeben, aber  auf  eine  größere  Neigung,  sich  mit  Lesen  zu 
beschäftigen,  kann  obiges  Ergebnis  nicht  zurückgeführt 
werden;  die  Neigimg  zum  Überschätzen  ist,  entsprechend  der 
Charakteranlage  des  Knaben,  ins  Starke  und  Große  seine  Ideale 
zu  verlegen,  bei  diesen  auch  wesentlich  größer  als  bei  den 
Mädchen.  Damit  soll  keineswegs  gesagt  sein,  daß  die  Zahlen- 
angaben der  Mädchen  genauer  seien  als  die  der  Knaben,  viel- 
mehr sind  sie  nach  untenhin  ungenau,  im  allgemeinen  lu 
niedrig  gegriffen. 

Blickt  man  auf  die  allgemeinen  Werte,  so  erkennt  man, 
daß  Märchenbücher  allen  andern  ganz  wesentlich  vorgezogen 
werden.  Bezeichnend  aber  ist,  daß  das  Interesse  für  Märchen 
stetig  abnimmt.  Bei  Mädchen  wird  das  angedeutet  durch  die 
Zahlen  28,  28,  33,  17,  12,  bei  Knaben  durch  die  Zahlen  22, 
25,  18,  13,  3.  Die  eigentlichen  Märchen  jähre  sind  also  die 
Zeit  vom  9.  bis  12.  Jahre.  Dann  erwacht  deutUch  das  Be- 
dürfnis der  Kritik.  Die  eingehendere  Beschäftigung  mit  der 
objektiven  Welt  diszipliniert  die  kindliche,  schweifende  Phan- 
tasietätigkeit und  macht  dem  naiven  Märchenglauben  ein  Ende. 


KmderideaU,  469 

Das  ist  in  erster  Linie  bei  den  Knaben  der  Fall.  Das  ändert 
notwendig  auch  die  Idealgestaltung.  Die  Distanz  zwischen  Bild 
und  Wirklichkeit  wird  geringer.  Der  Drang  zum  Forschen  und 
Finden  greift  ein,  doch  bleibt  dabei  das  alte  Kraftbewußtsein. 
So  erwacht  der  Drang  in  die  Feme,  wo  die  Phantasie  noch 
schalten  kann:  das  ist  die  Periode  des  Robinson  (Knaben 20, 
Mädchen  28)  und  seiner  Kehrseite,  der  erbärmlichen  Indianer- 
geschichte. Der  Burenkrieg  interessiert,  Nansens  Forscherfahrt 
ins  nördliche  Eismeer  und  die  mancherlei  Seeabenteuer.  Die 
eigentliche  Robinsonperiode  ist  die  Zeit  vom  12.  bis  13.  Lebens- 
jahre (10,  bezw.  7).  Daneben  erwacht  dann  ganz  natürlich  das 
Bedürfnis  einer  objektiven  Weltbeobachtung,  naturkundliche 
(Schmetterlings-,  Pilzkunde  usw.),  weltgeschichtliche  Bücher  er- 
regen ein  ernsteres  Interesse. 

Arg  ist  es  mit  dem  vielumstrittenen  Schullesebuch  bestellt, 
es  wurde  nur  drei-,  bezw.  siebenmal  als  liebstes  Buch  bezeichnet. 
Die  Zahl  6  und  teilweise  4  ist  darauf  zurückzuführen,  daß  ein 
neues  Buch  eingeführt  wurde  —  und  das  Neue  erregt  stets 
Interesse.  Diesen  geringen  Daten  gegenüber  wird  man  be- 
schämt, wenn  man  in  hohen  Tönen  reden  hört  von  dem,  was 
das  Lesebuch  sein  soll:  ein  Volksbuch  im  edelsten  Sinne  des 
Abortes,  an  dem  das  Kind  erst  lesen  lernen  soll,  das  es  nimmer 
aus  der  Hand  gibt,  in  dem  es  noch  als  Erwachsener  mit  Ver- 
gnügen liest.  Wie  kläglich  demgegenüber  der  Erfolg!  Und 
dabei  bedenke  man  den  schier  unersteigbaren  Berg  vorhandener 
Lesebuchliteratur:  Wie  viele  Lesebücher,  wieviel  Reformvor- 
schläge bis  in  die  jüngste  Zeit  hinein.  Ist  inrnier  noch  nicht 
die  Kindesnatur  genügend  und  richtig  gewürdigt  worden  ?  Oder 
liegt  es  an  der  Behandlung,  dem  ewigen,  öden  Lesen  imd 
Erklären  desselben  Stoffs,  desselben  Buches  zwei,  drei  Jahre, 
ja  fast  die  ganze  Schulzeit  hindurch?  Hinweg,  wenigstens  in 
den  oberen  Klassen  mit  dem  Lesebuche  auch  in  der  Volks- 
schule und  frisch  hineingegriffen  in  unsere  nationale  und 
moderne  realistische  imd  schöngeistige  Literatur.  Sie  ist  ja 
zehnpfennigsweise  zu  haben  I 

Auch  die  Bestrebungen  der  Jugendschriftenbeurteiler  sind 
in  den  beiden  Anstalten  auf  wenig  fruchtbaren  Boden  gefallen. 
Mit  der  ganzen  Naivität  unserer  Altvorderen  verzichten  die 
Kinder  auf  den  Namen  des  Verfassers,  sie  interessiert  nur 
sein  Werk.    Ich  habe  aber  Gelegenheit  genommen,  eine  ganze 


470 


Marx  LoMen. 


Reihe  von  Büchern  einzusehen  —  elende  WarenhausHteratur 
und  nur  8  von  den  Prüfungsausschüssen  empfohlene  Bücheir 
werden  als  Lieblingsbücher  bezeichnet,  8  von  359 1  Das  soll 
selbstverständlich  kein  Vorwurf  sein,  ich  wollte  nur  eine  Tat- 
sache herausheben  und  hoffe  dringend,  daß  es  anderem 
günstiger  aussehen  möge.  Man  sieht  aber  wieder,  wie  schwer 
beste  Absichten,  ernstes,  selbstloses  Arbeiten,  selbst  wo  es  dem 
Besten  dient,  den  Kampf  mit  i  bis  2  Pf.,  die  man  ersparen 
könnte,  aufnehmen  vermag. 

Im  einzelnen  ordneten  sich  die  Bücher  in  der  Wertschätzung 
in  folgender  Reihenfolge: 


Knaben: 

Mftdchen: 

Märchen 

81 

Märchenbnöh 

118 

Indianergeechicliten 

39 

Robinson 

28 

Eobinson 

20 

Bibel 

12 

Eealienbnch 

14 

SchoUeBebnch 

3 

Scbnllesebüch 

7 

Die  Bibel  wurde  von  mehr  Mädchen  als  Knaben  geschätzt. 
Die  Zahl  14  geht  auf  die  Neuanschaffung.  Auf  Stufe  IV  und 
V  der  Knaben  wird  sie  dreimal  als  Lieblingsbuch  bezeichnet, 
trotzdem  sie  dort  gar  nicht  benutzt  wird.  Es  ist  eben  das 
große,  dicke  Buch,  das  interessiert,  ganz  unabhängig  von 
seinem  Inhalte!  Wir  sehen  hier  wieder  die  Vorliebe  für  das 
Große  und  Starke. 

Auf  den  einzelnen  Altersstufen  dominieren  folgende  Bücher: 


Knaben: 


Stnfe 

Name  des  Bnches 

V 

Märchen 

IV 

Märchen 

lU 

Märchen,  Indianer 

n 

Märehen  und  Bobinnon,  IndiaDer 

I 

Indianergeschichte. 

KmderidtoU, 


471 


Mädchen: 


Staf  e 

Name  des  Buches 

V 

MArchen 

IV 

M&rchen 

m 

M&rchen,  Robinson 

II 

MArchen,  Bibel,  Robinson 

I 

Märchen,  Bibel,  Robinson. 

Welches  Tier  ist  dir  das  liebste? 
Knaben. 


Name  des  Tiers 

Stufe 

Sa. 

I 

n 

m 

IV 

V 

Pferd 

18 

29 

17 

25 

8 

97 

Hand 

11 

14 

21 

17 

70 

Katze 

3 

2 

3 

8 

16 

2 

3 

Kanarienvogel 

2 

1 

1 

1 

6 

Hühner 

2 

1 

3 

8 

Tauben 

3 

1 

1 

6 

Schaf 

1 

1 

1 

4 

Mans 

1 

1 

Ziege 

1 

2 

4 

14 

Esel 

1 

1 

3 

Papagel 

Kuh 

472 


Marx  LohHen, 


Mädchen. 


Name  des  Tiers 

Stufe 

Sa. 

I 

n 

m 

IV 

V 

Pierd 

1 

1 

1 

3 

Hond 

22 

13 

13 

19 

18 

85 

Katze 

16 

2 

8 

15 

21 

62 

Kaninchen 

4 

2 

6 

Kanarienvogel 

6 

6 

Hühner 

7 

2 

9 

Tanben 

2 

2 

Schaf 

3 

2 

4 

9 

Mans 

1 

1 

Ziege 

1 

3 

11 

1 

16 

Esel 

1 

1 

Papagei 

1 

4 

4 

9 

Knh 

2 

3 

5 

Die  Zahl  der  Lieblingstiere  ist  sehr  gering.  Man  muß  aber 
bedenken,  daß  die  Stadtjugend  den  Dorfbewohnern  gegenüber 
sehr  im  Nachteile  ist.  Wer  hat  einen  Fuchs,  einen  Dachs 
usw.  in  Natur  gesehen,  der  Unterricht  muß  meist  zu  künstlichen 
Veranschaulichungsmitteln  greifen  —  und  was  sind  diese  gegen- 
über der  Natur.  So  finden  wir  in  den  obigen  Tabellen  lediglich 
solche  Tiere  genannt,  die  sich  bei  uns  im  Hause  aufhalten, 
kein  einziges  wildes  Tier.  Es  fehlt  zu  jenen  das  intime  Ver- 
hältnis, wie  es  auf  dem  Lande  zwischen  der  Jugend  und  der 
Natur  vorhanden  ist,  es  fehlt  an  unmittelbarer  Beobachtung. 
Einige  charakteristische  Unterschiede  zwischen  Knaben  und 
Mädchen  fallen  sofort  ins  Auge :  Lieblingstiere  der  Knaben  sind 
Pferd  und  Hund,  der  Mädchen  zumeist  Hund  und  Katze. 
Wir  ersehen  dort  wieder  die  Vorliebe  für  das  Große  und 
Starke,  hier  für  das  Kleinere  und  Zierliche.  Bezeichnend  ist, 
daß  die  meisten  Mädchen  nicht  Hund,  sondern  Hündchen  ge- 
schrieben haben,  die  Knaben  niemals.  Der  Wertschätzung  nach 
ordnen  sich   die   Lieblingstiere  folgendermaßen: 


lOukndeaU.  473 


Knaben: 

Pfeid 

97 

Hnnd 

70 

Katze 

16 

Ziege 
Hühner 

14 
8 

Tanben 

6 

M&dchen: 

Hündchen 

85 

Katze 

62 

Ziege 
Hühner 

16 
9 

Papagei 
Schaf 

9 
9 

K^niwr.li^^n 

6 

Kanarienvogel 

6 

Pferd,  Hund  und  Katze  ragen  in  der  allgemeinen  Wert- 
Ltzung  weit  über  die  andern  Tiere  hinaus.  Die  aufeinander- 
enden  Altersstufen  zeigen  wenig  Unterschiede.  Bei  den 
iben  sehen  wir  auf  Stufe  V  das  Interesse  für  den  Hund, 
der  IV.  für  das  Pferd,  auf  der  III.  für  den  Hund,  auf 
IL  und  I.  wieder  für  das  Pferd  dominieren.  Bei  den 
ichen  finden  wir  weiter  verbreitetes  Interesse  für  die  Katze 
Stufe  V,  hernach  steht  der  Hund,  auf  Stufe  II  und  III 
it  imwesentlich,  im  Vordergrunde  —  diese  Tabellen  be- 
jen,  wie  weiter  oben  schon  bestätigt  wiurde,  ein  bedauerlich 
nges  Interesse  für  die  Natur,  die  Hauptsache  liegt  in  dem 
Igel  an  unmittelbarem  Anschauen  und  Erleben.  Wie  groß 
i  die  Zahl  der  Lieblingsblumen  sein? 


Wie  heißt  deine  Lieblingsblume? 

Von  vornherein  muß  bemerkt  werden,  daß  hier  die  Aus- 
1  für  die  Kinder  unserer  Stadt  ungleich  größer  ist,  nicht 

daß  reale  Anschauimgsobjekte  für  den  Unterricht  leicht 
»eschaffen  sind,  sehr  viele  Kinder  haben  auch  Gelegenheit  in 

städtischen  Prachtgärten  eine  Reihe  von  Pflanzen  kennen 
lernen  und  zu  pflegen;  auch  hat  man  besondere  private 
anstaltungen  getroffen,  um  die  Liebe  zur  Blumenzucht  zu 
iben. 

Zdtschrift  ffir  pidagogiache  Psychologie.  Pathologie  uad  HygicM.  4 


474 


Marx  LoiMeH, 


Knaben. 


Name  der  Pflanze 

Stufe 

Sa. 

I 

n 

m 

IV 

V 

Hose 

35 

28 

15 

31 

22 

131 

Tulpe 

7 

8 

5 

7 

27 

Veilchen 

5 

3 

5 

3 

16 

Waldmeister 

2 

2 

Nelke 

8 

. 

1 

9 

Mohn 

1 

1 

2 

Kornblume 

1 

5 

6 

Lilie 

4 

1 

1 

6 

Obst  (Kern) 

3 

5 

1 

6 

15 

Erdbeere 

1 

4 

5 

Levkoye 

1 

1 

Kartoffel 

1 

2 

3 

Zuckerrübe 

4 

4 

Stiefmütterchen 

3 

2 

5 

Goldlack 

1 

1 

Wasserrose 

Sonnenblume 

Georgine 

1 

1 

Narzissen 

Reseda 

Bühr'  mich  nicht  an 

KfndefideaU, 


475 


Mädchen. 


Name  der  Pflanze 

Stufe. 

Sa. 

I 

n 

m 

IV 

V 

Rose 

27 

33 

25 

16 

27 

128 

Tulpe 

2 

4 

1 

2 

2 

11 

VeÜchen 

7 

4 

8 

2 

21 

Waldmeister 



Nelke 

6 

4 

5 

15 

Mohn 

1 

1 

2 

Kornblume 

1 

6 

1 

8 

LÜie 

2 

1 

3 

6 

Obst  (Kern) 

1 

1 

Erdbeere 

1 

2 

2 

5 

10 

Levkoje 

Kartoffel 

2 

2 

Zuckerrübe 

Stiefmütterchen 

5 

GtoldhM^k 

2 

3 

Wasserrose 

2 

2 

Sonnenblume 

Georgine 

1 

1 

Narzisse 

1 

1 

Beseda 

Rühr*  mich  nicht  an 

1 

1 

476  Marx  ZoMm. 

Die  ausgesprochene  Lieblingsblume  der  Knaben  wie  der 
Mädchen  ist  die  Rose  und  zwar  dominiert  sie  auf  allen  Alters- 
stufen vom  .9.  bis  14.  Lebensjahre  hin.  Die  übrigen  sind 
folgendermaßen  zu  ordnen: 


Knaben: 

Tulpe 

27 

Veilchen 

16 

Obst 

15 

Nelken 

9 

Lilie 

6 

Eomblome 

6 

Mädchen: 

VeÜchen 

21 

Nelke 

15 

Tulpe 

11 

Erdbeere 

10 

Kornblume 

8 

LiHe 

6 

Auffällige  Unterschiede  offenbaren  sich  hier  nicht. 


Was  willst  du  werden? 


Auf  die  Frage:  Was  willst  du  werden?  bekonunt  man 
sehr  oft  die  Antwort :  Ich  weiß  es  nicht.  Mancher  hat  sich  schon 
früh  für  einen  bestimmten  Beruf  entschieden^  mancher  aber 
malt  sich  im  Wunschideale  ein  unmögliches  Zauberbild  aus, 
des,  was  er  werden  will.  Dieser  will  einst  Kaiser  werden,  weiß 
nicht  in  welchem  Reiche,  dieses  kleine  Mädchen  wiU  Mutter 
werden,  jene  Schwester,  jene  Kaiserin,  jene  kann  sich  nichts 
herrlicheres  denken  als  Verkäuferin  sein  in  einem  Konditor- 
laden; dieser  Bube  will  Hauptmann  werden,  jener  Zirkus- 
direktor, jener  der  liebe  Gott.  Das  alles  sind  Wimschideale 
schweifender  Phantasie,  die  trotzdem  manchmal  von  längerer 
Dauer  sein  können. 


KiHdetideaU, 


477 


Knaben: 


Name  des  Berufs 

Stafe 

Sa. 

I 

n 

m 

IV 

V 

Zinmiennann 

5 

4 

4 

7 

6 

26 

Maler 

2 

5* 

3 

1 

11 

Tischler 

1 

6 

4 

3 

3 

17 

Schlosser 

5 

6 

9 

7 

27 

Bildhauer 

1 

1 

2 

Maurer 

4 

4 

4* 

5 

2 

19 

Musiker 

1 

1 

2 

Koch 

1 

1 

2 

4 

Schreiber 

1 

3 

2 

6 

Kunstmaler 

1 

1 

Förster 

1 

1 

Töpfer 

1 

1 

Schauspieler 

!• 

1 

B&cker 

1 

1 

1 

2 

4 

9 

Mechaniker 

1 

1 

Kutscher 

1 

3 

1 

1 

6 

Buchbinder 

1 

1 

2 

Uhrmacher 

1 

1 

Seemann 

13 

6 

6 

9 

34 

Kaufmann 

1 

1 

3 

5 

Soldat 

2 

4 

6 

Lehrer 

3 

3 

478 


Morx  LöbsUn, 


Mädchen: 

Beruf 

Stufe 

Sa. 

I 

n 

in 

IV 

V 

Bachhalterin 

4 

3 

4 

2 

12 

25 

Lehrerin 

4 

2 

7 

7 

20 

Schneiderin 

15 

15 

18 

15 

16 

79 

Kindermädchen 

1 

2 

4 

5 

12 

Mamsell 

2 

3 

Dienstmädchen 

5 

4 

16 

Stenographistin 

1 

1 

Köchin 

14 

12 

1 

2 

31 

Verkäuferin 

1 

1 

2 

6 

Plätterin 

1 

5 

2 

1 

10 

Haushälterin 

1 

Schauspielerin 

1* 

1 

Waschfrau 

1 

1 

Bäckerin 

1 

1 

1 

3 

1 

2 

7 

Schwester 

1 

1 

Tüchtige  Hausfrau 

1 

1 

Ein  Blick  auf  diese  beiden  Tabellen  belehrt,  daß  klar 
und  bestinmit  abgegrenzte  praktische  Berufe  von  der  über- 
wiegend großen  Mehrzahl  aller  Kinder,  selbst  der  Mädchen, 
verzeichnet  wurden;  wir  finden  nur  sehr  wenig  vage  Zukunfts- 
ideale. Das  hängt  zweifelsohne  damit  zusammen,  daß  die  äußere 
Lebenslage  dieser  Kinder  die  Frage:  Was  willst  du  werden? 
viel  nachdrücklicher  und  früher  aufdrängt,  während  dielündcr 
wohlsituierter  Eltern  sorgloser  dahinleben. 

Durch  eine  Nebenfrage  wurde  veranlaßt,  auch  den  Stand 
des  Vaters  anzugeben,  denn  die  Annahme  lag  nahe,  daß  die 
Kinder  in  der  Angabe  ihres  Idealberufs  durch  den  des  Vaters  be- 
einflußt werden  möchten.  Das  Ergebnis  war  überraschend.  Ich 
habe  auf  den  Tabellen  dort  ein  Kreuz  gemacht,  wo  Über- 
einstinmiung  mit  dem  Berufe  des  Vaters,  bezw.  der  Mutter  nach- 
weislich war,  ich  zähle  bei  den  Knaben  nur  drei,  bei  den  Mäd- 


KmdeHdeak,  479 

eben  nur  einen  Fall^  die  übrigen  haben  alle  einen  andern 
Beruf  gewählt.  Sie  sind  also  in  negativem  Sinne  beein- 
flußt worden.  In  den  meisten  Fällen  dürfen  wir  uns  da)s  so 
erklären,  daß  die  Eltern  mit  den  Mühen  und  Erfolgen  ihres 
Berufes  unzufrieden  sind  und  dementsprechend  auf  ihre  Kinder 
einwirken.  —  Andererseits  ist  bezeichnend,  daß  die  Kinder 
ganz  selten  über  die  Berufsarten  hinauswählen,  die  ihnen,  ent- 
sprechend ihren  pekimiären  Verhältnissen,  zu  erreichen  mög- 
üch  ist.  Die  Kinder  erwählen  sich  mit  Vorliebe  folgende  Be- 
ruf sarten  : 


Knaben: 

Mädchen: 

Seemann 

34 

Schneiderin  ' 

79 

Schlosser 

27 

Köchln 

31 

Zimmermann 

26 

Buchhalterin 

25 

Manrer 

19 

Lehrerin 

20 

Tischler 

17 

Dienstmädchen 

16 

Maler 

11 

Kinderm  ädchen 

12 

Bfieker 

9 

Plätterin 

10 

Schreiber 

6 

Putzmacherin 

7 

Kutscher 

6 

Verkäuferin 

6 

Soldat 

6 

III. 

Memoriertypen. 

Nähere  Betrachtung  etwaiger  individueller  Zusammenhänge 
zwischen  Gedächtnis-  und  Anschauungstypen  imd  den  kind- 
lichen Idealen  sollen  hernach  angestellt  werden;  hier  erst 
einige  Vorbemerlamgen  I  Die  Angelegenheit  der  Gedächtnis- 
und  Anschauungstypen  hat  noch  nicht  entfernt  die  ge- 
bührende Würdigung  erfahren,  erst  neuerdings  erfährt 
sie  ernste  Betommg.  Rein  theoretisch  sind  drei 
verschiedene  Typen  zu  unterscheiden:  der  akustische,  der 
optische  oder  visuelle  und  der  motorische  Typus;  ich  sage 
theoretisch,  weil  in  Wahrheit  bei  dem  gesunden  Menschen  ein 
einziger  Typus  allein  sich  nirgends  feststellen  läßt,  selbst  der 
Blinde  spricht  vom  Sehen.  In  Wahrheit  sind  stets  alle  drei 
vorhanden,  aber  nicht  in  gleichem  Grade.  Meistens  überragt 
ein  Typ  derart,  daß  die  andern  in  den  Hintergrund,  doch 
niemals  zur  vollkommenen  Bedeutungslosigkeit  herabgedrückt 


480  Marx  ZoMtn. 

werden.  Wir  können  also  streng  genommen  nur  Mischtypen 
unterscheiden  mit  einseitiger  Betonimg  dieser  oder  jener  Seite. 
In  diesem  Abschnitte  koncunt  es  mir  nur  darauf  an,  zu  er- 
kunden, welche  Typen  innerhalb  einer  Klasse  vorherrschend 
sind  und  ob  die  einzelnen  Altersstufen  Unterschiede,  bczw. 
Wandlungen  zeigen.  Man  darf  nämlich  nicht  glauben,  daß 
diese  Typen  unverrückbar  festliegen,  zwar  in  ihren  ausgepräg- 
teren Besonderheiten  wohl,  nicht  aber  bei  minimaleren  Energie- 
distanzen der  einzelnen  Seiten.  Hier  hat  äußere  Beeinflussung, 
hat  Übung  und  Unterricht  einen  ganz  wesentlichen  Einfluß. 
So  „schreibt  Balduin  von  sich,  daß  sein  Deutsch  sprechmo- 
torisch und  akustisch  sei,  da  er  es  durch  Konservation  in 
Deutschland  gelernt  habe,  während  sein  Französisch,  das  er  in 
der  Schule  durch  Lesen  und  Schreiben  von  Exerzitien  gelernt, 
optisch  und  schreibmotorisch  sei".  Nicht  ganz  zustimmen  aber 
kann  ich  Lay  (Experimentelle  Didaktik  —  Nemnich  —  Wies- 
baden 1903,  S.  226),  wenn  er  behauptet:  „Der  Unterricht  kann 
den  Schüler,  der  seinen  angeborenen  Dispositionen^  nach  Hörer, 
Seher  oder  Motoriker  ist,  auf  einzelnen  Gebieten  zu  einem 
andern  Typus  umgestalten,  den  gemischten  Typus  einseitig  in 
den  akustischen,  optischen  oder  motorischen  Typus  überführen. 
Nur  der  zweite  Teil  dieser  Behauptung  ist  richtig,  der  erste 
falsch.  Ererbte  Dispositionen  lassen  sich  durch  den  Unter- 
richt nicht  vernichten,  er  kann  sie  zwangsweise  eindämmen, 
aber  sie  haben  immer  noch  Gelegenheit  genug,  sich  ihrer  Natur 
entsprechend  geltend  zu  machen.  Zunächst  füllt  der  Unter- 
richt nur  einen  Teil  des  Tages  und  der  kindlichen  Beschäfti- 
gungen aus,  und  auch  während  derselben  gibt  es  Schlupfwinkel, 
die  dem  Lehrer  verborgen  bleiben,  denn  es  spielt  sich  nur 
ein  Bruchteil  des  kindlichen  Geisteslebens  vor  seinen  Augen 
ab.  Aber  während  des  Unterrichts  bedeutet  ein  einseitiges 
Verfahren,  das  den  Typus  unbeachtet  läßt,  tief-  und  weit- 
greifende, gewaltsame  Eingriffe  in  die  natürlichen  Dispositionen 
und  Tendenzen  vieler  Schüler. 

Der  Methoden,  den  Typus  zu  bestinunen,  gibt  es 
mehrere,  ich  möchte  mich  hier  mit  einer  zwar  nicht  ganz  ein- 
wandfreien, aber  für  die  vorliegende  Aufgabe  ausreichenden 
einfachen  Weise  begnügen:  das  Examen.  Ich  ließ  die 
Schüler  die  drei  Fragen  beantworten:  Wer  lernt  zu  Hause 
laut?   Wer  lernt  leise?   Wer  denkt  an  die  Stelle  im  Buche,  w 


KmderideaU, 


481 


zu  Lernende  gedruckt  steht?  Es  kam  darauf  an,  die 
js liehe  Art  und  Weise  des  Memorierens  zu  erkunden, 
n  hier  folgt  das  Kind,  ungezwungen  durch  den  Unterricht, 
en  natürlichen  Dispositionen.  Das  Befolgen  dieser  natür- 
en  Dispositionen  bedeutet  Kraft-  und  Zeitersparnis,  also 
jichterung  der  Arbeit  für  das  betreffende  Individuiun. 
Wurde  die  erste  Frage  mit :  Ja  beantwortet,  so  konstatierte 
akustischen,  die  zweite  motorischen,  die  dritte 
tischen  Typus;  daneben  mußten  die  Mischtypen  fest- 
tellt  werden.    Den  akustischen  Typus  bezeichne  ich  mit  a, 

optischen  mit  o  xmd  den  motorischen  mit  m.     Es  sind 

folgende  Mischtypen  möglich:  aom,  ao,  a,  m,  om,  a,  am. 

Die  folgende  Tabelle  weist  den  Klassentypus  für  Knaben 

Mädchen  auf. 

Knaben: 


Stufe 

Typus                                 1 

aom 

ao 

a 

m 

om 

0 

am 

I 

3 

8 

2 

7 

16 

8 

n 

1 

4 

3 

25 

5 

13 

ni 

2 

3 

10 

13 

3 

14 

Gesamt 

3 

6 

17 

5 

45 

24 

35 

Die  Stufen  IV  und  V  mußte  ich  als  wertlos  streichen. 

M&dchen: 


Stufe 

Typus                                 1 

aom 

ao 

a 

m 

om 

0 

am 

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3 

20 

13 

13 

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2 

2 

4 

13 

1 

21 

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6 

15 

5 

22 

IV 

2 

5 

12 

3 

21 

Gesamt 

2 

4 

18 

70 

22 

77 

Der  motorische  Typus  strengerer  Art  fand  sich  bei  d«i 
dchen  überhaupt  nicht,  bei  den  Knaben  nur  fünfmal.    Die 


482 


Marx  Lohsien. 


weitaus  größte  Schülermasse  verteilt  sich  auf  die  Mischtypen 
om  und  am  und  zwar  scheinen  mehr  Mädchen  im  allgemeinen 
am  zuzuneigen,  mehr  Knaben  om. 

Ein  weiteres,  als  zu  zeigen,  welcher  Typus  am  meisten, 
welcher     am    wenigsten    vertreten    sei,    können    die     obigen 
Tabellen  nicht  leisten.     Fassen  wir  die  einzelnen  Stufen  als 
Klassentypen  auf,  so  offenbart  sich  deutlich,  daß  auch  nicht 
eine    Klasse    der   andern   gleicht,    nur    in   den    allgemeinsten 
Zügen  läßt  sich  Übereinstimmung  erblicken,  doch  ist  das  Be- 
obachungsmaterial  zu  gering,  um  höhere  Resultate  zu  geben. 
Bei  den  Knaben  glaube  ich  im  allgemeinen  größeren  Typen- 
reichtum konstatieren  zu  können,  wir  finden  fast  alle  vertreten. 
Bei  den  Mädchen  fällt  die  schärfere  Betonung  des  motorischen 
Typus  m  ganz  aus.    Einzelne  Klassenunterschiede  der  beiden 
Geschlechter  in  den  Gesamtwerten  zeigt  folgende  Zusammen- 
stellung, in  der  die  Knabenwerte  rechnerisch,  also  nicht 
auf  Grund  von  Beobachtungen  ergänzt  sind: 

Gesamtwerte: 


Ge- 
schlecht 

Typus                                 1 

aom 

ao          a 

m 

om 

o 

am 

Knaben 

5 

10          28 

8 

75 

40 

58 

Mädchen 

2     1       4     1     18 

70 

22 

77 

Die  Kurvendarstellung  zeigt  für  beide   Geschlechter  fast 
durchgehende  Übereinstimmung. 


IV. 


Die  Methode  für  die  dritte  ergänzende  Untersuchung 
bestand  darin,  daß  die  Schüler  veranlaßt  wurden,  während  je 
drei  Minuten  aufzuschreiben :  i.  Was  ist  dir  angenehm?  2.  Was 
ist  dir  unangenehm?  3.  Was  ist  dir  lächerlich?  4.  Was  ist 
dir  wunderbar?  Sie  mußten  so  schnell  wie  irgend  möglich 
alles,  was  zur  Beantwortung  der  Frage  dienen  konnte,  niedcr- 
.  schreiben.    Die  Schüler  waren  so  gewissermaßen  noch  ungc- 


Kinderideale.  4i53 

bundener  in  ihren  Entschließungen,  wie  voher.  Das  Ergebnis 
mußte  einer  sorgfältigen  Sichtimg  unterzogen  werden.  Dem 
ersten  Blick  schien  sich  ein  Gewirre  von  Angaben  darzubieten; 
aber  bald  offenbarte  sich  mancherlei  Gesetzmäßigkeit.  Manche 
Angaben  liegen  zwar  seitab  am  Wege  und  wollen  sich  einer 
strengeren  Ordnung  schwer  fügen,  so  wenn  dem  einen  lächer- 
lich ist,  „das  Buch  auf  den  Kopf  halten  und  dann  lesen", 
wunderbar,  daß  „die  Bahn  mit  ,elektrischitäf  laufen  kann", 
unangenehm  „Pferdefleisch,  Schuhe  putzen,  Haarekämmen  und 
gekochte  Eier",  wunderbar,  „daß  der  Storch  die  Kinder  tragen 
kann",  lächerlich,  „daß  er  sie  überhaupt  bringt",  daß  die  „Frauen 
keinenSchnurrbart  haben  und  der  Unterricht  bis  5  Uhr  nach- 
mittags dauert",  daß  „der  Hund  auf  vier  Beinen  läuft  und  wir 
nur  auf  zweien",  wunderbar,  daß  „die  Henne  Eier  legt"  und 
die  Maus  mit  Haaren  bedeckt  ist"  —  so  möchte  man  schier 
verzweifeln,  in  dieses  tohu  vabohu  auch  nur  einigermaßen  Ord- 
nimg zu  schaffen.  Gleichwohl  ist  sie  in  allgemeinen  Zügen 
möglich.  Es  empfiehl  sich,  zu  dem  Zwecke  alle  Antworten 
in  zwei  Gruppen  zu  teilen,  die  physische  und  die  psychische 
und  sie  dann  einzelnen  Untergruppen  zu  unterwerfen.  Diese 
bilden  kein  zusammenhängendes,  abschließendes  System,  son- 
dern beschränken  sich  lediglich  auf  das  vorhandene  Beob- 
achtungsmaterial. In  ersterer  Gruppe  beobachtete  ich  mo- 
ralische, ästhetische  und  soziale  Werte  auf  der  physischen  Seite 
I.  solche  Wünsche,  die  die  elementarsten  Lebensbedürfnissie 
(Nahrung,  Kleidung,  Bad  und  Ruhe)  angingen,  2.  solche,  die 
darüber  hinausgehen,  (Spiel,  Ordnung  und  Reinlichkeit,.  Spiel- 
zeug, Musik,  Arbeit  und  Sport). 

Es  ist  zu  bedenken,  daß  hier  nicht  wenig  Wtmschideale 
begegnen.  Das  Ergebnis  stelle  ich  in  umstehender  Übersicht  dar. 

Deutlich  offenbart  diese  Tabelle,  wie  nahezu  alles,  was 
dem  Kinde  angenehm  ist,  nicht  auf  Seiten  des  Psychischen, 
sondern  des  Physischen  liegt,  zumal  bei  dem  weiblichen  Ge- 
schlechte: Nahrung,  Spiel  und  Bad  —  das  sind  die  drei  Ge- 
biete, um  die  seine  Wunschideale  sich  lagern.  Sie  repräsen- 
tieren sich  in  den  Gesamtwerten: 

Knaben :  73  :  64  :  29, 
Mädchen :    1 1  :  34  :  56. 

Bezeichnend  ist,  daß  bei  den  Knaben  das  Interesse  für 
Nahrung  kulminiert,   bei   den  Mädchen  für  das  Baden.    Da 


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KifuUrideaU,  485 

Interesse  für  Spielzeug  a\if  Vorliebe  für  die  häuslichen  Spiele 
ichließen  läßt,  so  scheint  es  erlaubt  zu  sein,  diesle  Werte  zu 
Midieren.    Man  findet  dann: 

Knaben :  73  :  77  :  29, 

Mädchen:   11  :  119  :56. 
Mithin  verschieben  sich  die  Werte  zugunsten  des  Spiels 
nicht  unwesentlich. 

Wo  als  besonders  angenehm  Nahrungsmittel  angegeben 
werden,  finden  sich  auf  der  Unterstufe  zumeist  Obst  und 
Näschereien  verzeichnet,  der  eine  verrät  seine  Leidenschaft 
für  Pfannkuchen  mit  Stachelbeeren,  der  andere  für  Butter- 
milch, jener  wünscht  schlechthin  sein  Leibgericht.  Weiter  nach 
oben  finden  sich  Angaben,  wie :  Immer  essen  imd  trinken,  tüchtig 
essen.  In  der  Kleiderfrage  stinunen  die  Zahlenangaben  nahezu 
iiberein,  während  aber  die  Wünsche  der  Mädchen  auf  schöne 
Kleider  oder  Schmuck  gehen,  ist  der  Junge  schon  zufrieden, 
wenn  das  Loch  in  der  Hose  gestopft  ist  oder  die  Stiefel  der 
Sohlen  nicht  ermangeln,  der  Sinn  ist  auf  das  Praktische  imd 
Notwendige,  dort  auf  den  „Glanz  und  den  Schimmer"  früh- 
zeitig gerichtet.  Das  Interesse  für  das  Spiel  ist  auf  den 
niederen  Altersstufen  —  die  Werte  für  Spielzeug  mit  eingerech- 
net —  weiter  verbreitet,  als  auf  den  oberen.  Für  Arbeit  und 
Sport  finden  sich  bei  den  Mädchen  keine  Werte.  Unterricht, 
überhaupt  irgendwelche  wissenschaftliche  Beschäftigung,  wurde 
nur  dreimal  als  angenehm  verzeichnet.  —  Hauptergebnis  der 
Tabelle  bleibt,  daß  die  Kinder  im  Alter  von  9  bis  13  Jahren 
ungezwungen  ihre  Ideale  auf  engem  physischen  Gebiete 
angeben.  Möglich,  daß  Mängel  in  der  äußeren  Lebensgestal- 
tung eine  Reihe  von  Wunschidealen  wecken,  aber  eine  Statistik 
darüber  belehrt,  daß  bei  den  Volksschülem  in  solchem  Umfange 
keine  Beeinflussung  zu  befürchten  ist,  daß  der  wahre  Kindes- 
sinn ganz  dadurch  unterdrückt  werde. 


Was  ist  dir  unangenehm? 

Die  Antworten  auf  diese  Fragen  liegen  bei  Knaben  in 
14  Fällen  —  bei  den  Mädchen  nie!  —  auf  moralischem,  sonst 
inmier  auf  physischem  Gebiete.  Die  einzigen  moralischen  Defekte, 
die  als  unangenehm  bezeichnet  wurden — das  sichl  zumeist  mit 


486  Marx  Lobsien, 

verwerflich  berührte  —  waren  das  Lügen  und  das  Stehlen,  die  ein- 
zigen Dekalogsverbote,  die  für  das  Kindesleben  von  besonderer 
Bedeutung  sind.  Auffällig  ist,  daß  hier  wieder  die  Mädchen  voll 
kommen  versagen.  Offenbar  liegt  darin  eine  Bestätigung  der 
auch  sonst  genugsam  betonten  Erfahrung,  daß  das  straffe 
Rechtsbewußtsein  bei  den  Mädchen  nicht  in  dem  Maße  klar 
vorhanden  ist  wie  bei  den  Knaben.  Dem  Mädchen  fehlt  der 
objektive  Sinn,  es  verwechselt  Person  und  Sache,  oder  viel- 
mehr, es  legt  seine  Persönlichkeit  in  die  Dinge  hinein  und 
fühlt  —  wie  die  Spinne  im  Netze  —  oft  sich  selbst  ge- 
troffen, während  die  Sache  gemeint  war;  es  ist  z\xc  Sophistik 
von  vornherein  geneigt,  zum  Konzessionenmachen  und  Räso- 
nieren, während  der  gesunde  Knabe  sich  dem  Rechte  beugt. 
Ich  sagte,  daß  ich  lediglich  eine  Bestätigung  dieser  Erfah- 
rung in  den  obigen  Daten  erblicke,  sie  als  Ergebnis  aus  den 
wenigen  Daten  herauszukehren,  wäre  bedenklich. 

Wenden  wir  ims  den  Antworten  zu,  die  ins  Gebiet  des 
Physischen  fallen.     Auf  der  Grenzzone  liegt  die  Strafe.    Die 
Antworten  lassen  nicht  erkennen,  welche  Art  Strafe  als  unan- 
genehm empfunden  wird,   ob  lediglich  die.  körperliche  Züch- 
tigung oder  die  in  Worten,  ob  Unterschiede  gemacht  werden 
bezüglich  der  Veranlassung,  ob  Strafe  für  ein  moralisches  Ver- 
gehen schwerer  empfunden  wird,  als  für  Nachlässigkeit  und 
Trägheit.    Zumeist  wurde  Schläge,  Stock  oder  einfach  Strafe 
hingeschrieben,  an  der  Wand  stehen  einmal,  Schelte  nie;  so 
scheint  es,  daß  zumeist  der  physische  Schmerz  Veranlassung 
war,   die   Strafe   als  unangenehm  zu   bezeichnen.     Daß  aber 
dieser  allein   die   Veranlassung  nicht  sein  kann,  folgt  aus 
dem  Umstände,  daß  der  physische  Schmerz  —  zumal  bei  dem 
weiblichen  Geschlechte  —  so  ungemein  leicht  der  Vergessen- 
heit anheimfällt.*)    Die  begleitenden  Umstände,    nicht  zuletzt 
die  Reizungen  des  Ehrtriebes  spielen  eine  bedeutsame  Rolle. 
Das  wird  hier  auch  dadurch  bestätigt,  daß  nach  unten  hin  die 
Angaben,  daß  Strafe  unangenehm  sei,  sich  stark  verringern, 
zumal  bei  den  Knaben.    Gerade  das  jugendliche  Alter  ist  für 
den  physischen  Schmerz  stark  vergeßlich,  nicht  etwa,  weil  es 


*)  Vgl.  die  Untersuchungen  Prof.  v.  Tschiflch  in  Ztsohr.  f.  PftychoL 
u.  Physiologie  der  Sinnesorgane,  1.  Bd.  und  Marx  Lobsien:  Über  den  päda- 
gogischen Wert  des  physischen  Schmerzes.    Päd.-psyohoL  Stadien  1904. 


KmdendeaU.  487 

gegen  denselben  weniger  empfindlich  ist,  sondern  weil  die 
Nebenumstände  das  noch  wenig  entwickelte  Ehrgefühl  gar  nicht 
oder  nur  schwach  anregen.    Ich  stelle  die  Reihen  hierher: 


ö:  L 

23 

16 

IL 

24 

12 

HL 

17 

10 

IV. 

5 

10 

V. 

3 

2 

Zwei  Bedenken  will  ich  jedoch  nicht  verschweigen :  i .  Auf 
der  Unterstufe  ist  Art  und  Zahl  der  Strafen  verschieden  von 
denen  der  Oberstufe.  2.  Es  fehlt  hier  eine  Angabe  darüber, 
wie  stark  das  Individuum  die  Strafe  in  der  Reihe  der  unan> 
genehmen  Empfindimgen  wertet.  Es  ist  für  eine  Nachprüfung 
der  Versuche  dringend  zu  empfehlen,  die  Schüler  nach  Ab- 
lauf der  drei  Minuten,  das  Unangenehmste  unterstreichen  zu 
lassen,  daß  sie  womöglich  eine  absteigende  Reihe  durch  Ziffern 
andeuten.  Im  einzelnen  wurde  außer  dem  eben  genannten 
das  in  umstehender  Tabelle  angegebene  als  unangenehm  be- 
zeichnet 

Außerdem  fand  ich  in  zwei  Fällen  angegeben:  Gesell- 
schaft, wogegen  einer  die  Langeweile  als  unangenehm  bezeich- 
nete. Starke  Abneig^ung  gegen  Personen,  Tiere  und  Pflanzen 
findet  sich  lediglich  auf  den  imteren  Stufen  weiter  verbreitet, 
stark  durch  das  Gefühl  der  Furcht  bestimmt.  Wir  finden  an- 
gegeben :  den  Teufel,  den  Chinesen  usw.,  an  Tieren :  Schlange, 
Maus,  Ratte,  Ziege,  Ameise,  Raupe,  an  Pflanzen:  Brennessel 
imd  Kartoffel.  Siebenmal  fand  ich  das  Rauchen  als  unan- 
genehm verzeichnet,  offenbar  bei  solchen  Knaben,  die  noch 
stark  in  den  Anfangsgründen  dieser  Kxmst  staken.  Die  Schule 
war  in  14  Fällen  kein  angenehmer  Aufenthaltsort,  besonders 
der  Nachmittagsunterricht  bis  fünf  Uhr  findet  Kritiker.  Eigen- 
artig ist  die  Furcht  der  Mädchen  vor  dem  Naßwerden,  trotz- 
dem das  Baden  bei  ihnen  sehr  beliebt  ist,  —  den  Knaben  ficht 
das  nicht  an.  Der  Himger  wurde  nur  in  zwei  Fällen  als  un- 
angenehm bezeichnet,  die  Furcht  vor  dem  Gewitter  dreimal, 
der  Aufenthalt  im  Dunkeln  einmal. 


488 


Marx  Lobsün, 


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KmäeritUaU,  489 

Was  ist  dir  lächerlich? 

„Lächerlich"  wird  in  einem  doppelten  Sinne  verstanden: 
einmal  im  Sinne  von  komisch,  dann  im  Sinne  von  töricht. 
Im  ersten  Falle  hat  das  Kind  an  den  Vorgängen  herzliche 
Freude,  im  zweiten  Falle  stellt  es  sich  über  sie,  indem  es  sie 
belächelt.  Dem  Inhalte  nach  sind  es  fast  nur  Situationen, 
die  als  lächerlich  bezeichnet  werden.  Sie  lassen  drei  Gruppen, 
soweit  ich  sehe,  unterscheiden:  i.  komische  Situationen, 
2.  solche,  die  Mangel  an  Mut  verraten,  3.  solche,  über  die 
der  Schüler  aus  andern  Gründen  sich  erhaben  fühlt.  Zur  ersten 
Gruppe  gehören:  Loch  in  der  Hose,  der  Zirkusaugust,  das. 
Kasperle,  der  Hampelmann,  nicht  zuletzt  der  berühmt-berüch- 
tigte kleine  Kohn,  schwarz  zur  Schule  kommen,  wenn  kleine 
Kinder  laufen  lernen,  wenn  der  Hund  die  Wurst  stiehlt  und  nicht 
ertappt  wird.  Zur  zweiten  Kategorie  gehören:  Weinen,  Feig- 
heit, Furcht  vor  dem  Wasser,  „sich  anstellen**.  Zur  dritten 
Art  endlich  rechne  ich :  das  Wahrsagen,  mit  der  Puppe  spielen, 
der  „Buschermann**  —  an  den  glaubt  der  Schüler  nicht  I  Auch 
das  Zaubern  ist  ihm  lächerlich,  ja  ein  Schüler  der  zweiten 
Stufe  ist  unverbesserlicher  Gegner  des  Kopemikus,  daß  die 
Erde  sich  dreht,  können  ihm  die  exaktesten  Beweise  nicht 
glaubhaft  machen  —  er  steht  doch  einmal  auf  dem  Kopfe  und 
ist  noch  niemals  in  den  Weltenraum  hineingefallen!  So  sind 
Angaben  dieser  Art  geeignet,  die  naive  kindliche  Kritik  zu 
offenbaren.  Die  Angaben  der  Mädchen  unterscheiden  sich  nur 
wenig  von  denen  der  Knaben,  nur  tritt  das  kritische  Moment 
auf  den  oberen  Stufen  zurück  (ein  blasiertes  tritt  hie  und  da 
dafür  ein,  wie  Puppe  spielen,  plattdeutsch  reden  u.  a.).  Auf 
den  unteren  Stufen  offenbart  sich  Sinn  für  komische  Situa- 
tionen aus  dem  Tierleben,  der  Affe,  der  Papagei,  das  Eich- 
hörnchen wecken  Lächeln,  desgleichen,  daß  sich  die  Katze 
putzt  oder  versteckt,  der  Bär  tanzt.  Auch  offenbart  sich  in 
den  Angaben  häufiger  der  BHck  der  Mädchen  für  das  Kleine 
und  Kleinliche,  es  lacht,  wenn  die  Nachbarin  einen  Klecks 
macht  oder  zwei  Zöpfe  hat  oder  mit  dem  Haar  spielt.  —  Im 
allgemeinen  ist  auch  hier  der  Rahmen,  innerhalb  dessen  die 
Kinder  sich  bewegen,  recht  eng  und  bietet  zu  weiteren 
Schlüssen  als  den  eben  angedeuteten  keinen  Anlaß.  Es  er- 
übrigt sich  mithin  eine  übersichtliche  Darstellung. 

Zeitschrift  für  pädagoeiscfae  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene.  5 


490 


Marx  Lobsün. 


Was  ist  dir  wunderbar? 

Die  Angaben  sondern  sich  ungezwungen  in  zwei  Haupt- 
gruppen: metaphysische  und  physische,  die  letztere  in  An- 
gaben logisch-wissenschafthcher  und  naiv-kindlicher  Art. 


Stufe: 

physisch 

metaDhvsifioh 

log.-wiss. 

naiv  kindL 

Knaben 
L 

Daß  die  Erde  sich  dreht. 
Hypnotismas  nnd   Sug- 
gestion. Schöpfung.  Elek- 
trizität. 

Rätsel.  Wahrsagen. 
Zaubern.     Beiltanz. 

n. 

Berge   auf  Mond.    Erde 
eine  Ki^el.    Hund  hat 
Sinnen.  Verstand.  Henne 
Eierlegen.  VögelfUegen. 
Lernen. 

desgL 
etwas  Neues. 

HT. 

Daß     Wunden     heilen. 
Elektr.    Bahn.     Zwerg- 
gestalt. 

Spiel. 

Liebe  Gotbes 

IV. 

Traum.    Vulkan.    Müde 
sein.       Tiere    sprechen. 

Märchen  19 
Hauseinsturz 

V. 

Wilde  Tiere  6.  Himmel. 
6.  Luftballon.  Blitz.  Auto- 
mobil. 

Storch  Kinder 
tragen  kann. 

Mädchen 
I. 

Natur. 

Märchen.   Puppe. 
Kleid. 

Gott  in  der 
Natur.  Wunder 
Jesu. 

n. 

Daß  alles  grün  ist. 

Zirkus.  Seiltanz. 

Bruder  Stube  fegt. 

Puppen.  Blumen. 

Jesu  Wunder. 

ni. 

Regenbogen. 

Baden.  Theater. 
Sonnenschein. 
Regenbogen. 

IV. 

Kleider.  Schuhe. 

Der  große  und  der 

kleine  Klaus. 

Blumen. 

Wunder  Jesu. 

V. 

Regen  fällt. 

Seiltanz. 

Tod,  Wunder 
Jesu. 

Metaphysische,  hier  immer  religiöse,  Vorstellungen  erregen 
weit  weniger  das  Verwundern  als  physische  Vorgänge  und 
Dinge.  Bei  den  Knaben  findet  sich  nur  einmal  die  ganz  in- 
konkrete Angabe:    die  Liebe  Gottes,  so  daß  wir  annehmen 


Kinderideale,  491 

dürfen,  daß  irgend  eine  Klangassoziation  mit  wunderbar,  etwa : 
„Wunderbar  ist  Gottes  Liebe"  die  Vorstellung  geweckt  hat. 
Die  Mädchen  scheinen  mehr  geneigt  zu  sein,  über  metaphy- 
sische Dinge  sich  zu  verwundem,  sie  geben  zumeist  konkrete 
Wunder  des   Herrn  an. 

Auf  physischem  Gebiete  stehen  sie  den  Knaben  weit  nach. 
Zahl  und  Art  naiv-kindlicher  Angaben  sind  bei  den  Mädchen 
bis  zur  Oberstufe  hin  weit  ausgeprägter  als  bei  ihren  männlichen 
Altersgenossen.  In  den  Angaben  logisch-wissenschaftlichen 
Charakters  versagen  die  Mädchen  nahezu  ganz,  wir  finden 
nur  einige  abgeblaßte  Angaben.  Wie  ganz  anders  der  Knabe  I 
Dem  gibt  die  Natur  Rätsel  auf,  er  verweilt  staunend  (Stufe 
V — II)  hernach  kritisch  (Stufe  II — I)  bei  konkreten  Vorgängen. 
Dem  Mädchen  in  diesen  Lebensjahren  ist  das  alles  nicht  rätsel- 
haft. Es  ninmit  das  hin,  was  ihm  gefällt,  es  kritisiert  nicht, 
sondern  bleibt  im  Erstaunen  stecken.  Das  Wunderbare  ist 
bei  den  Mädchen  inuner  stark  betont  durch  das :  mir  angenehm. 
Sie  treten  nicht  aktiv  den  Dingen  imd  Vorgängen  gegenüber, 
sondern  passiv  genießend,  auswählend  das,  was  ihnen  schmeckt. 


V. 

Individuelle   Besonderheiten. 

Diese  können  nur  mit  großer  Vorsicht  herausgestellt 
werden.  Ich  will  mich  damit  begnügen,  zu  erwägen,  ob  und 
welcherlei  Einfluß  sich  konstatieren  läßt  zwischen  dem  je- 
weiligen Gedächtnis-  imd  Memoriertypus  und  den  Kinderidealen 
in  Spiel,  Unterrichtsfach,  Beschäftigung,  Buch,  Tier,  Pflanze, 
Berufswahl.  Man  wird  schon  aus  der  Erwägung  heraus  ge- 
neigt sein,  in  bejahendem  Sinne  zu  antworten,  daß  das  Gesetz 
der  Krafterspamis  auch  von  dem  Kinde  naiv  befolgt  wird, 
wenn  es  nicht  durch  unnatürlichen  Zwang  daran  gehindert 
wird.  Es  gehorcht  den  Dispositionen,  die  ihm  die  leichtesten 
imd  besten  Erfolge  sichern;  kurz  es  treibt  das  am  liebsten, 
worin  es  von  Hause  aus  veranlagt  ist.  Es  ist  zweifelsohne, 
daß  ein  ausgesprochener  Motoriker  andere  Neigungen,  Be- 
schäftigungen, Wunschideale  hat  als  der  Akustiker  oder  Optiker. 

5* 


492 


Marx  Lobsien, 


Er  wird  sich  andere  Spiele,  Beschäftigungen,  wenn  man  ihn 
nicht  zwingt,  einen  andern  Beruf  wählen  als  diese.  Zu  be- 
sorgen ist  aber,  daß  bei  den  Mischtypen  sich  diese  Spuren 
nicht  immer  werden  klar  verfolgen  lassen. 

Meine  Ausbeute  ist  gering.    Ich  beschränkte  mich  auf  die 
beiden  Oberklassen  der  Knaben-  und  Mädchenschule,  weil  hier 
die  Neigungen,  insonderheit  bezüglich  des  Berufs  wesentlich 
konstanter  sind  als  auf  den  unteren  Stufen.     Hier  mußte  ich 
mich   leider  auf  drei   Memoriertypen  beschränken,     weil  die 
andern    so    stark    in    der    Minderzahl    waren,    daß    weitere 
Schlüsse  sich  verboten.     Die  Typen  sind  folgende:    ao,  mo, 
m.    Vergleicht  man  die  Ergebnisse  bei  m  mit  denen  bei  mo, 
so  läßt  sich  der  Einfluß  von  o,  vergleicht  man  ferner  mo  mit 
ao,  so  läßt  sich  auch  einigermaßen  der  von  a  erkennen,  wenn 
auch  weniger  deutlich.     Um  einen  Vergleich  zu  ermöglichen, 
mußten  selbstredend  die  Werte  auf  eine  gleiche  Zahl  verrechnet 
werden,  ich  wählte  30,  die  Häufigkeitszahl  für  den  ersten  Typus. 
Ich  fand  so  folgende  Werte: 


Unterrichtsgegenstand: 


Ge- 
schlecht 

Typns  ao 

Knaben 

4  X  Tnmen 

5  X  Zeichnen 
2  X  Lesen 

2  X  Natnrlehre. 

Mädchen 

2  X  Tomen 
4  X  Handarbeit 
8  X  Geschichte. 

1.  Unterrichtsfach: 


Ge- 

Typus 

schlecht 

ao 

mo 

m 

Knaben 

4  X  Tomen 

5  X  Zeichnen 
2  X  Lesen 

2  X  Natnrlehre 

7  X  Tomen 
3  X  Zeichnen 
2  X  Schreiben 

4  X  Tomen 
6  X  Zeichnen 

Mfidchen 

2  X  Tomen 
4  X  Handarbeit 
8  X  Geschichte 

3  X  Handarbeit 
3  X  Geschichte 

4  X  Handarbeit 
4  X  Geachichte 

KmderideaU, 


493 


2. 

Spiel: 

Ge- 

^ 

Typus 

schlecht 

ao 

mo 

m 

Knaben 

9  X  BaU 
2  X  Lotto 

9  X  Bau 

2  X  Versteck 

2  X  Indianer 

12  X  Ball 

10  X  Versteck 

Mädchen 

5  >    Ball 

8  X  BaU 

2  X  Versteck 

4  X  Ball 
10  X  Versteck. 

3.  Beschäftigung: 


Ge- 

Typus 

schlecht 

ao 

mo 

m 

Knaben 

7  X  Bad 
2  X  Spiel 

2  X  Bad 

3  X  Fahren 

2  X  Schnitzen 

4  X  Malen 
6  X  Spiel 

Mädchen 

15  X  Handarbeit 

18  X  Handarbeit 

19  X  Handarbeit 

4. 

Beruf: 

Ge- 

ao 

Typus 

schlecht 

mo 

m 

Knaben 

3  X  Zimmermann 

3  X  Zimmermann 
3  X  Techniker 
2  X  Seemann 

4  X  Maurer 

5  X  Schlosser 

Mädchen 

V 

3  X  Köchin 

3  X  Schneiderin 

2Xl>ienstmädchen 

4  X  Köchin 

4  X  Schneiderin 

4Xl>ien8tmädchen 

Außer  Betrachtung  blieben  alle  Fälle,  da  nur  ein  Beruf 
gewählt  wurde  usw.  Am  ausgeprägtesten  ist  der  Einfluß  von 
m  auf  allen  vier  Gebieten,  er  bedingt  überall  ein  starkes  Hin- 
neigen zu  mechanischen  Beschäftigungen  und  zwar  dort  am 
stärksten,  wo  er  am  reinlichsten  betont  ist.  Weiteres  ist  aus 
den  Tabellen  unmittelbar  zu  vergleichen,  ich  kann  darum  auf 
weitere  Ausführungen  verzichten. 

Ich  möchte  die  vorliegenden  Untersuchungen  nicht  ohne 
eine  kurze  Bemerkung  schließen.    Manchem  möchte  die  Aus- 


404  ^orx  Lobskn, 

beute  gering  erscheinen.  Vielleicht  ist  er  nach  den  einleitenden 
Worten  arg  enttäuscht  worden.  Das  wird  einmal  nur  bestätigen, 
daß  Kinderideale  auf  ganz  engem  Raimie  liegen  und  während 
der  Zeit  vom  9.  bis  13./14.  Lebensjahre  nur  schwach  beschwingt 
sind.  Zum  andern  aber  ist  zu  bemerken,  daß  diese  Zeilen 
ein  Moment  außer  Betrachtimg  lassen  mußten,  das  ihnen  erst 
vollen  Wert  verleiht:  Ich  denke  an  das  persönliche  Moment, 
die  Bekanntschaft  mit  den  Zöglingen.  Diese  verleiht  Unter- 
suchungen, wie  den  vorliegenden,  ein  ungemein  hohes  Interesse. 
Ich  kann  nur  dringend  empfehlen,  in  gewissen  Zeitabständen 
ähnliche  Versuche  zu  wiederholen,  der  Gewinn  für  den  Leh- 
renden ist  nicht  gering. 


Sitzungsberichte. 


Psychologisclie  Geseilschaft  zu  Berlin. 

Arbeitsplan 

für   das 

Winter- Halbjahr 

1903/04. 

1903. 

Donnerstag,   den   22.    Oktober: 

Herr  Dr.  Ferd.  Jak.  Schmidt:  „Psychologie  und  Philosophie." 

Donnerstag,   den  ö.   November: 

Herr  Dr.   Franz   Oppenheimer:  „Das  Gesetz   der   Strömung  in   der 

Nationalökonomie.'* 

Donnerstag,  den  19.   November: 

Herr  Dr.  Pappenheim:  „Sehen  und  Darstellen." 

Donnerstag,   den   3.    Dezember: 

Herr  Dr.   med.   Wilhelm  Stern:   „Über   den  Begriff   der   Handlung." 

1904. 

Donnerstag,  den  7.   Januar: 

Herr  Dr.  B  e  r  t  h  o  1  d :  „Forensische  Psychologie.** 

Donnerstag,   den  21.   Januar: 

Herr  Dr.  med.  Treitel:  „Wann  entstehen  bei  kleinen  Kindern  Begriffe?*' 

Donnerstag,  den  4.   Februar: 
Herr  Dr.  Henning:  „Das  Wesen  der  Synopsien  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung des  Farbenhörens.'* 

Donnerstag,    den   18.    Febn^u*: 
Herr  Kriminalkommissar  von  Manteuffel:  „Psychologische  Momente  in 

der   Falschspielerei.** 

Donnerstag,  den  3.  März: 
Herr    Geh.    Medizinalrat    Professor   Dr.    Eulenburg:    „Selbstmorde    im 

jugendlichen   Alter.** 


4Q5  SütungsberichU. 

Sitzung  vom  22.  Oktober  1903. 

Beginn   8    Uhr    20    Minuten. 

Vorsitzender :    Herr    Moll. 
Schriftführer :   Herr   Martens. 
In  den  Verein  neu  aufgenommen  sind  die   Herren: 

Medizinalrat   Dr.   M  i  1 1  e  n  z  w  e  i  g,   Steglitz,   Filandastr.  32, 
Dr.  Winternitz,  SW.,  Dessauerstr.  15, 
Oberlandesgerichtsrat  a.  D.  Petrich,  W.,  Pallasstr.  7/8. 
Rechtsanwalt    Dr.    B  i  e  b  c  r ,    C,    Kaiser-Wilhehnstr.    39. 
Zur    Aufnahme    gemeldet    sind    die    Herren: 

Rechtsanwalt    Westmann,    C,    Niederwallstr.    37, 
Dr.    H  a  1  p  e  r  n ,    Wilmersdorf,    Kaiserplatz  4a, 
Notar  und  Rechtsanwalt  Dr.  Kallinowsky,  Bernau. 
Herr  Ferd.  Jak.  Schmidt  hält  den  angekündigten  Vortrag : 

„Psychologie  und  Philosophie.** 
Das  Verhältnis  der  Psychologie  zur  Philosophie  ist  heute  eine  viel  er- 
örterte Frage.  Während  die  Einen  der  psychologischen  Forschung  überhaupt 
die  Möglichkeit  abstreiten,  jemals  Wissenschaft  im  strengen  Sinne  zu  werden, 
behaupten  andere,  nicht  nur  daß  sich  Philosophie  schlechthin  in  Psychologie 
auflösen  müsse,  sondern  daß  diese  die  Grundlage  der  Geisteswissenschaften, 
ja  aller  Wissenschaft  überhaupt  sei.  So  erklärt  Kant,  daß  empirische 
Seelenlehre  jederzeit  von  dem  Range  einer  eigentlich  so  zu  nennenden 
Naturwissenschaft  schon  deshalb  entfernt  bleiben  muß,  weil  Mathematik 
auf  die  Phänomene  des  inneren  Sinnes  und  ihre  Gesetze  nicht  anwendbar  ist. 
W  u  n  d  t  dagegen  meint :  „Die  Aufgabe  der  Psychologie  als  einer  allge- 
meinen, der  Naturwissenschaft  koordinierten  und  sie  ergänzenden  empi- 
rischen Wissenschaft  findet  ihre  Bestätigung  in  der  Betrachtungsweise  der 
sämtlichen  Geisteswissenschaften,  denen  die  Psychologie  als  Grundlage 
dient.  —  Dies  Verfahren  der  psychologischen  Interpretation  in  den  einzelnen 
Geisteswissenschaften  muß  demnach  auch  das  Verfahren  der  Psychologie 
selbst  sein,  wie  es  durch  ihren  Gegenstand,  die  unmittelbare  Wirklichkeit 
der  Erfahrung,  gefordert  wird.**  Nun  kann  jedenfalls  nicht  in  Abrede  ge- 
stellt werden,  daß  sich  die  Psychologie  selbst  in  der  Tat  auf  der  Grundlage 
der  Physiologie  als  ein  Zweig  der  empirischen  Wissenschaft  konstituiert  hat, 
und  ebenso  muß  ferner  zugegeben  werden,  daß  die  psychologischen  Vor- 
aussetzungen allerdings  einen  Hauptfaktor  der  geisteswissenschaftlichen  Me- 
thode auf  dem  Gebiete  der  theologischen,  juristischen,  philolog^hen 
Forschung  ausmachen,  —  aber  damit  ist  die  gekennzeichnete  Streitfrage 
noch  nicht  im  mindesten  entschieden.  Denn  die  Psychologie,  wie  sie  von 
Weber  und  F  e  c  h  n  e  r  als  empirische  Wissenschaft  begründet  worden 
ist,  ist  streng  genommen  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  eine  Hilfswissen- 
schaft der  Physiologie,  und  andererseits  ist  diese  physiologische  Psychologie 
keineswegs  dasselbe,  was  die  Theologen,  Juristen,  Philologen  usw.  bei 
ihren  Untersuchungen  unter  psychologischer  Grundlage  verstehen.  Dazu 
kommt,  daß  die  Geisteswissenschaften  unserer  Tage  auch  so  noch  viel 
weniger   durch    die   psychologische,   als   durch   die    historische    Empirie   be- 


SitsungibericJiU.  497 

stimmt  sind.  Es  muß  daher  als  ein  Irrtum  bezeichnet  werden,  wenn 
W  u  n  d  t  u.  a.  die  physiologische  Psychologie  als  Gnmdwissenschaft  der 
Geisteswissenschaften  ausgeben. 

Will  man  aus  diesen  einseitigen  Gegensätzen  herauskommen,  so  muß 
man  einsehen  lernen,  daß  die  Wissenschaft  als  Ganzes  zweier  verschiedener 
Forschungsarten  bedarf.  Die  eine  ist  die  Empirie  oder  Tatsachenerkenntnis, 
und  sie  hat  es  zu  tun  mit  der  Unterscheidung,  Beschreibung,  Bestimmung 
des  Besonderen  und  der  besonderen  Erscheinungszusammenhänge.  Ein 
solches  Besonderes  sind  auch  die  subjektiven,  unmittelbaren  Erfahrungs- 
prozesse des  menschlichen  Individuums,  und  insofern  ist  auch  die  psychische 
Erfahrungskunde  eine  empirische  Forschungsart.  Alle  bloße  Tatsachen- 
erkenntnis aber  gibt  nur  ein  Wissen  und  noch  keine  Wissenschaft,  denn  zu 
dieser  gehört,  daß  ihre  Erkenntnisse  notwendig  und  allgemeingiltig  seien, 
und  einen  solchen  Charakter  hat  das  bloß  empirische  Wissen  niemals. 
Zu  dieser  Untersuchungsart  muß  daher  noch  die  andere  hinzutreten,  welche 
erst  die  Verwandlung  des  Wissens  in  Wissenschaft  ermöglicht.  Diese  ist 
nicht  auf  das  Einzelne,  Besondere,  Unterscheidende,  Mannigfaltige  des  Er- 
fahrungszusammenhanges gerichtet,  sondern  auf  das  aller  nur  möglichen 
Erfahrung  schlechthin  Gemeinsame,  Unveränderhche,  Einheitliche.  Was  aber 
als  solches  erkannt  wird,  das  muß  als  notwendig  und  allgemeingiltig 
eingesehen  werden  und  bildet  so  das  wahrhafte  Fundament  aller  Wissenschaft 
überhaupt.  So  ist  der  Raum  die  Grundbestimmung  aller  äußeren  fr- 
fahrungszusammenhänge  durchweg.  Was  daher  die  Mathematik  von  dem 
Raum  als  solchem  als  notwendig  nachweist,  das  muß  auch  von  den  einzelnen 
räumlichen  Gegenständen  unbedingt  gelten,  und  eben  deswegen  ist  die 
Mathematik  die  Grundwissenschaft  aller  echten  Naturwissenschaft.  Nun 
muß  es  aber  ein  noch  Alljgemeineres  geben,  was  die  äußere  und  innere 
Erfahrung  zugleich  konstituierend  durchdringt,  und  demnach  muß  es 
auch  eine  Wissenschaft  geben,  welche  sich  mit  der  Ermittlung  dieses  letzten 
und  höchsten  Gemeinsamen  aller  möglichen  Erfahrung  überhaupt  befaßt. 
Diese  Wissenschaft  muß  zugleich  die  Grundwissenschaft  aller  anderen  sein, 
und  das  ist  die  Philosophie.  Diejenige  Erfahrungsfunktion  aber,  durch 
welche  die  Einheit  und  das  durchgängig  Gemeinsame  des  unendlichen  Er- 
fahrungszusammenhanges erfaßt  wird,  ist  das  denkende  Begreifen;  was 
daher  von  diesem  gilt,  muß  eine  notwendige  Bestimmtheit  aller  nur  mög- 
lichen Erfahnmg  sein,  und  daher  kann  es  Wissenschaft  nur  geben,  sofern 
eine  Tatsachenerkenntnis  begrifflich  konstituiert  wird.  Ganz  in  diesem 
Sinne  sagt  einer  der  größten  Naturforscher,  Justus  Liebig:  „Da  die 
ganze  Anzahl  der  Bedingungen  oder  Teile  aller  Naturerscheinungen  be- 
grenzt und  verhälti^smäßig  klein  ist,  so  gelingt  es  zuletzt,  alle  Naturer- 
scheinungen in  Begriffe  aufzulösen.  Tausend  Tatsachen  für  sich  ändern  den 
Standpunkt  der  Wissenschaft  nicht,  und  eine  davon,  welche  begrifflich 
geworden  ist,  wiegt,  in  der  Zeit,  den  Wert  aller  andern  auf.** 

Daraus  folgt  aber  unwiderleglich,  daß  die  physiologische  Psychologie 
und  die  Philosophie  sich  ergänzende,  aber  als  solche  entgegengesetzte 
Forschungsarten  sind,  so  daß  keine  auf  die  andere  zurückgeführt  werden  kann. 
Jene  hat  es  mit  der  Erforschung  der  empirischen  Tatsachenerkenntnis 
zu  tun,   diese  mit  der  Einheit  und  durchgehenden  Gemeinsamkeit  der  Er- 


498  SittungsberichU, 

fahningskonstitution  überhaupt,  kurz  mit  dem  Begriff  der  Erfahrung.  Ist 
die  Psychologie  außerdem  eine  Hilfswissenschaft  der  Physiologie,  so  g^ 
hört  sie  in  das  Gebiet  der  empirischen  Naturwissenschaften,  und  es  kann 
nur  eine  Beeinträchtigung  ihrer  selbst  sein,  wenn  sie  nach  altem  aka- 
demischem Gebrauch  noch  immer  wie  die  rationale  Psychologie  bloß  tun 
dieses  Namens  willen  mit  der  Philosophie  zusammengekettet  wird.  Bildet 
aber  nicht  das  empirische  Tatsachenwissen,  sondern  der  konstituierende  Tat- 
sachenbeg^f  das  Fundament  der  Wissenschaft,  so  ist  die  Philosophie, 
nicht  die  Psychologie  wie  von  altersher  die  Grundlage  aller  wissenschaft- 
lichen Erkenntnis  überhaupt.  Die  Aufgabe  der  Psychologie  ist  die  Er- 
weiterung und   genauere   Bestimmung  des  seelischen  Tatsachenwissens. 

(Autorreferat.) 
Eine  Diskussion   fand   nicht  statt. 

Schluß   der    Sitzung    97,    Uhr. 


Sitzung  vom  5.  November  1903. 
Beginn  8V4   Uhr. 

Vorsitzender:  Herr  Moll. 
Schriftführer:   Herr  Martens. 

Es  wurden  neu  aufgenommen  die  Herren :  Dr.  H  a^  1  p  e  r  n ,  Rechts- 
anwalt Westmann,  Notar  und  Rechtsanwalt  K a  1 1  i n o w s k y. 

Neu   angemeldet   wurden   die    Herren: 
Regierungsreferendar  Schienther,  W.,  Tauenzienstr.  24. 
Rentier  Klär  mann,  W.,   Rankestr.  24. 

Herr  Franz  Oppenheimer  hielt  den  angekündigten  Vortrag : 
„Das   Gesetz  der  Strömung  in  der  Nationalökonomie." 

Es  ist  nicht  möglich,  Soziologie  mit  Sozialpsychologie  zu  identifizieren. 
Denn  es  gibt  immerhin  einige  Erscheinungen,  die  nicht  unmittelbar  sozial- 
psychologischer  Natur  sind,  so  z.  B.  ist  die  Tuberkulose  als  Massenerschei- 
nung sicherlich  eine  soziale  Krankheit.  Indessen  läßt  sich  auch  diese  Er- 
scheinung in  letzter  Linie  auf  sozialpsychologische  Faktoren  zurückführen, 
und  so  mag  denn  mit  einer  gewissen  reservatio  gelten,  daß  alle  Soziologie 
auch   Sozialpsychologie   ist. 

Die  alte  klassische  Nationalökonomie  glaubte  ihr  ganzes  Gebiet  be- 
herrscht von  einem  psychologischen  Trieb,  den  mian  verschieden  bezeichnet 
hat  als  das  Prinzip  des  wirtschaftlichen  Eigennutzes,  als  das  Selbstinteresse, 
als  das  Prinzip  des  kleinsten  Mittels  und  das  ich  zum  Zweck  größerer  An- 
schaulichkeit in  eine  neue  Form  geprägt  habe  als  das  Gesetz  der  Strömung 
mit  dem  Inhalt :  die  Menschen  strömen  vom  Orte  höheren  Druckes  zum  Orte 
geringeren  Druckes  auf  der  Linie  des  geringsten  Widerstandes. 

Daß  dieses  Gesetz  die  Wiirtschaft  beherrschte,  daran  hat  in  der  Zeit 
der  klassischen  Nationalökonomie  und  ihrer  Nachfolger  niemand  gezweifelt. 
Und  bekanntlich  erwarteten  die  alten  Nationalökonomen  das  Eintreten  der 
sozialen  Gesellschaft  —  damals  sagte  man  Harmonie  der  Interessen  —  von 
dem  Augenblick  an,  wo  dem  Gesetz  der  Strömung  keinerlei  ernste  Hindcr- 


Sitmftg^^rkkU* 


499 


Bisse  rnchi  bereitet  sein  würden.  Sie  fordeiten  damals  die  Beseidg^ng  alles 
defsen«  was  man  damals  Monopole  nannte,  was  ich  varschlage,  besser  als 
feudale  Machtposition  zu  betrachten,  und  erreichten  in  der  Tat  in  den 
westeuit^paischen  Kulturländern  die  ziemlich  radikale  B^seitigmig  alles  dessen, 
was  man  als  Monopole  erkennen  konnte*  Nun  konnte  die  Harmonie  der 
Interessen  kommen^  wenn  sie  wollte;  aber  sie  wollte  nicht.  Es  ist  bekannt, 
daß  die  Anfänge  des  Kapitalismus  tmsagbares  Elend  anstatt  des  vorausge- 
sagten   Glückes   aller  brachten. 

Der  Unter  schied  jtwischen  der  wissenschaftlich  berechneten  Voraussage 
des  vtra  der  klassischen  Nationalökonomie  empfohlenen  Experiments  und 
seinem  tatsächlichen  Erfolge  kann  auf  zweierlei  Weise  erklärt  werden; 
entweder  war  eine  Prämisse  falsch  oder  es  waren  noch  nicht  alle  Macht- 
positionen beseitigt.  Der  ersten  Ansicht  sind  die  bisher  herrschenden  Schulen 
der  Nationalökonomie.  Der  Staatssozialismus  und  der  Historismus  leugnen^ 
daß  die  Menschen  vom  Gesetze  der  Strömung  beherrscht  werden.  Es  wirken 
auf  sie  außer  dem  natürlich  nicht  geleugneten  wirtschaftlichen  Eigemmci 
noch  eine  ganze  Menge  anderer  Triebkräfte  ein:  die  Triebe  des  Familien- 
sinns, der  Vaterlandsliebe,  des  Ehrgeizes,  der  Geschlechtsliebe,  der  Mildtätig- 
keit usw,  usw.  und  zwar  jeweilig  in  ganz  verschiedener  Stärke;  und  so 
sei  CS  denn  ganx  unmöglich,  eine  Berechnung  anzustellen,  wie  sich  der  Durch- 
schnittsmensch im  Durchschnitt  verhalten  werde,  womit  dann  glücklich 
eine  Basis  gewonnen  war,  von  der  aus  Nationalökonomie  als  Wissenschaft 
überhaupt  unmöglich  ist,  da  jeder  Versuch  einer  quanLttativen  Abschätzung 
der   miteinander    konkurrierenden    Kräfte    a  Jimine   abgelehnt    wird. 

Marx  erklärte   die   Diff cremt  zwischen   Voraussage   und   Ergebnis   des 
über  all  stischen  Experiments   anders.     Nach  ihm  unter!  ic^n  zwar  die   Men- 
schen  dem    Gesetze   der   Strömung,   aber    das   Gesetz    der   Strömung   führt 
nach    Beseitigung   aller  feudalen   Machtpositionen   automatisch    tut   Heraus- 
bildung   einer    nicht    feudalen,    der   kapitalistischen    Machtposition,    die    die 
Volkswirtschaft   mindestens   so   fälscht,   wie   jene   alten   Monopole   es   getan. 
Einmal   durch   außerökonomische   Gewalt   gesetzt,   muß   sich  nach   ihm  das 
Klassenverhältnis   zwischen    Kapitalbesitzer    und    kapitallosem   Arbeiter,    das 
Kapital  Verhältnis    immer    wieder    automatisch    im    Produktionsprozeß    selbst 
^^eprodtuieren,  und  so  kann  es  nicht  eher  zur  Harmonie  der  Interessen  kom- 
^^■nen,    als    bis    die   Wirtschaft   der    freien    Konkurrenz,    die    Marktwirtschaft, 
^B^ch  überlebt  hat   und  bis  der  Schmetterling  der  markt  losen  Zukunftsg^sell- 
^H^haft  aus  dem  durchbrochenen  Kokon  auskriecht. 

^H  Diesen  beiden  Erklärungen  setze  ich  eine  andere  gegenüber.  Ich  be* 
^^paupte,  daß  nicht  alle  feudalen  Machtpositionen  beseitigt  sind  und  daß  nach 
^^pcseitigtmg  der  letzten  wichtigsten,  des  Großgnmdeigentums,  dennoch  die 
*  Harmonie  der  Interessen  eintreten  wird,  die  der  alte  Sozialliberalismus  prophe- 
^ieit  hat.  Das  Großgrun^eigentumj,  das  übrigens  schon  Adam  Smith  hier 
^■^nd  da  als  Monopol  erkannte  und  anerkamite,  ist  durch  außerökonomische 
^"Gewalt  entstanden  und  konnte  nicht  andeiB  als  durch  atißeröfconotnische  Ge- 
I  walt  entstehen.  Daß  es  tatsäclilich  die  Ursache  der  mangelhaften  volks- 
^^riftscliaftlichen  Verteilung  ist,  wird  erstens  durch  die  Statistik  rrharirt, 
^HUe  klar  nachweist,  daß  die  Armee  freier  t\rbeitcr»  ohne  deren  Vorhanden- 
^K^n    das    Kapitalverhältnis    nicht    existieren    könnte,    sich    in    der    für    den 


500  Sütungsberükte. 

Fortbestand  des  Kapitalismus  notwendigen  großen  Zahl  ausschließlich  in 
den  Bezirken  des  Grundeigentums  rekrutiert,  beweist  die  Wirtschaftsge- 
schichte, indem  sie  zeigt,  daß  in  den  Ländern  oder  in  Zeiträumen,  in  denen 
kein  Großgrundeigentum  existierte,  sozial  gesunde  Verhältnisse  mit  großer 
Gleichheit  der  Klassen-  und  Vermögensbedingungen  vorhanden  sind  (Deutsch- 
land vom  11. — 14.  Jahrhundert,  China,  Utah  usw.)  und  beweist  schließ- 
lich die  deduktive  Rechnung.  Es  ist  mir  gelungen,  rein  durch  mathematische 
Berechnung  aus  dem  Gesetz  der  Strömung  den  heutigen  Zustand  der  west- 
lichen Kulturwelt  bis  ins  letzte  Detail  abzuleiten  und  zwar  folgendermaßen: 

Ich  ging  von  der  gewöhnlichen  grundfalschen  Konstruktion  aus,  wo- 
nach die  Völker  als  eine  Gesellschaft  von  freien  imd  gleichen  Genossen 
in  die  Geschichte  eintreten,  nur  mit  dem  Unterschied,  daß  ich  mir  der  Un- 
wirklichkeit  der  Konstruktion  bewußt  war.  Nimmt  man  hier  friedliche  Ver- 
hältnisse und  Wachstum  der  Bevölkerung  an,  so  muß  es  schließlich  zu 
einer  arbeitsteiligen,  in  städtische  Industrie  und  ländliche  Urproduktion 
gegliederten  Volkswirtschaft  kommen,  in  der  die  volle  Harmonie  aller  wir! 
schaftlichen  Interessen  besteht,  in  der  grobe  Verschiedenheiten  des  Grund 
eigentums  ebensowenig  existieren  können,  wie  grobe  Verschiedenheiten  des 
Kapitaleinkommens  usw.  Hier  gibt  es  keine  freien  Arbeiter,  infolgedessen 
kann  Geld  niemals  zu  Kapital,  d.  h.  Mehrwert  heckendem  Wert  werden 
und  deswegen  steigt  der  Lohn  aller  Arbeiterklassen  —  und  erhält  jeder 
Arbeiter  mit  der  steigenden  Arbeitsteilung  und  der  im  Zusammenhang  da- 
mit aufblühenden  Technik  seinen  Anteil  an  der  gesteigerten  Güterproduk- 
tion,  und  steigender  Wohlstand  der  ganzen  Linie  bei  vernünftiger  Gleich- 
heit aller  Einkommen  ist  für  die  Dauer  verbürgt. 

Jetzt  führe  ich  aber  in  diese  Rechnung  die  feudale  Machtposition  des 
Großgrundeigentums  in  genügendem  Umfang  ein,  d.  h.  eines  Instituts,  das 
sich  unter  dem  Gesichtspunkt  der  volkswirtschaftlichen  Verteilung  charak- 
terisieren läßt  als  ein  Stück  landwirtschaftlich  genutzten  Bodens,  von  dessen 
Ertrag  die  Bebauer  ein  wenig  veränderliches  Fixum,  der  Titulareigentümer 
aber  den  gesamten  mit  der  volkswirtschaftlichen  Produktivität  stark  steigenden 
Rest  erhält.  Dann  tritt  das  Gesetz  des  einseitig  wachsenden  Druckes  in 
Kraft.  Ein  ungeheuer  viel  größerer  Teil  des  Nachwuchses  der  Landarbeiter- 
bevölkerung strömt  in  die  Städte,  Geld  wird  Kapital,  der  Mehrwert  entsteht 
und  es  entwickeln  sich  sämtliche  Erscheinungen  des  Kapitalismus  samt 
der  kapitalistischen  Verkäuferpsychologie,  aus  der  u.  a.  die  Phänomene 
des  kranken  Wettbewerbes   und  der  Krisen  direkt  folgen. 

Derart  ist  bis  zur  Widerlegung  dieser  meiner  Ausführungen  grundsätzlich 
die  Meinung  der  altklassischen  Schule,  des  sozialen  Liberalismus  wieder 
hergestellt,  wonach  nach  Beseitigung  aller  Monopole  die  soziale  Harmonie 
sich  durch  das  Walten  des  Gesetzes  der  Strömung  herstellen  muß.  Der 
Fehler  steckt  nicht  im  Ansatz  des  Rechenexempels,  sondern  in  seiner  Aus- 
rechnung. Man  hatte  eine  feudale  Machtposition  für  ein  legitimes  Produkt 
der  ökonomischen  Differenzierung  angesehen.  Und  so  stellt  sich  als  Auf- 
gabe der  Sozialpolitik  die  Ausscheidung  dieser  Machtposition  aus  dem  Wiit- 
schaftskörper  dar  oder  vielmehr  die  Beförderung  der  unwiderstehlichen  Ten- 
denz, die  im  Wege  der  Selbstheilung  auf  Ausstoßung  dieses  feudahrecht- 
lichen  Fremdkörpers  in  der  tauschrechtlichen  Gesellschaftsorganbation  der 


SüzungsbeiickU,  501 

Gegenwart  hindrängt.  Das  Großgrimdeigentum  geht  auch  ohne  Mitwirkung 
praktischer  Volkswirte  an  seinem  Einfluß  auf  die  Wanderbewegung  zu 
Grunde.  Die  Auswanderung,  die  es  verschuldet  hat,  hat  die  überseeische 
Konkurrenz  hervorgerufen  und  dadurch  die  Preise  seiner  Produkte  nieder- 
geworfen, und  die  inländische  Abwanderung,  die  ebenfalls  mit  seinem  Wesen 
notwendig  verknüpft  ist,  erhöht  in  unaufhaltsam  steigender  Kurve  die  Arbeits- 
löhne, die  es  zu  zahlen  hat.  So  wird  die  Gnmdrente  die  ratio  essendi  des 
Großgrundeigentums  von  zwei  Seiten  her  unaufhaltsam  vermindern  und 
der  Zeitpunkt  ist  deutlich  abzusehen,  wo  dieser  letzte  Rest  der  uralten 
Staatsbildung  der  außerökonomischen  Gewalt  zusammenbrechen  und 
verschwinden  wird.  Dann  wird  mit  der  reinen  Wirtschaft  die  soziale 
Harmonie  eintreten  können,  und  so  behält  die  klassische  Schule  schließlich 
dennoch  Recht;  denn  die  von  ihr  geforderte  und  durchgesetzte  Freizügig- 
keit hat  in  dem  Prozeß  der  Krankheit,  den  wir  Kapitalismus  nennen  — 
jeder  Prozeß  der  Krankheit  ist  zugleich  Prozeß  der  Heilung  —  die  Ausstoßung 
des  letzten  Monopols  vollzogen  und  derart  den  Zustand  der  sozialen  Ge- 
rechtigkeit und  Vernunft  vorbereitet.  (Autorreferat.) 

Diskussion. 

Herr  Wilhelm  Stern  macht  darauf  aufmerksam,  daß  es  psycho- 
logisch nicht  zutreffend  sei,  zu  sagen,  alle  Handlungen  des  Menschen 
fließen  aus  Trieben.  Denn  es  gfibt  einerseits  Handlungen,  die  von  einem 
bestimmten  einzelnen  Wollen  hervorgerufen  werden  und  vollständig  bewußt 
s^d,  d.  h.  nicht  bloß  in  ihren  einzelnen  Phasen,  sondern  auch  ihrem  Sinne,^ 
Ziele  oder  Zwecke  nach  bewußt  sind,  und  andererseits  Handlungen,  die 
aus  Trieben  fließen  und  unbewußt  sind,  d.  h.  zwar  in  ihren  einzeln  eh 
Phasen  bewußt,  ihrem  Sinne,  Ziele  oder  Zwecke  nach  aber  unbewußt  sind. 

Femer  kann  Herr  Stern  dem  Herrn  Vortragenden  darin  nicht  Recht 
geben,  daß  der  Kern  der  Aufstellungen  von  Robert  Malthus  so  ganz 
zurückzuweisen  sei.  Er  zeigt  dies  an  folgendem  Beispiel:  Dia  Bevölkerungs- 
zahl Deutschlands  wächst  jährlich  um  ungefähr  IVa^-  Hiemach  müßte 
Deutschland  in  200  Jahren  eine  Einwohnerzahl  von  imgefähr  240  Mill. 
haben.  Daß  aber  ein  Land,  welches  zwischen  den  Breitengraden  liegt, 
zwischen  welchen  Deutschland  liegt,  selbst  wenn  die  Agrikultur  noch  so 
sehr  fortschreiten  sollte,  nicht  jährlich  2  oder  3  Emten  bringen  kann,  ist 
klar.  Es  ist  also  nicht  einzusehen,  wie  dieses  Land  240  Millionen  Menschen 
sollte  ernähren   können. 

Endlich  kann  Herr  Stern  dem  Vortragenden  nicht  darin  Recht  geben, 
daß  der  Staat  hervorgegangen  sei  aus  dem  Verlangen  eines  stärkeren  Teils 
der  Bevölkerung,  auf  Kosten  des  schwächeren  Teils  eine  Bodenrente  zu  er- 
langen. Der  Staat  ist  vielmehr,  wie  er  in  seiner  „Kritischen  Grundlegung  der 
Ethik  als  positiver  Wissenschaft'*  (Berlin,  1897)  dargelegt  hat,  entstanden 
ans  dem  Verlangen  der  Einzelnen,  Schutz  zu  finden  hauptsächlich  gegen 
Angriffe  äußerer  Feinde  und  auch  gegen  schädliche  Eingriffe  in  ihr  Recht 
von  Innen  her,  d.  h.  von  Seiten  der  mit  ihnen  zusammenlebenden  Menschen. 
Diese  beiden  egoistischen  Motive,  zu  welchen  aber  wohl  noch  als  drittes. 
Motiv  das  ideale  oder  sittliche  Verlangen  hinzukommt,  da  bei  der  Selbst- 
hilfe die   so   schwer   einzuhaltende   Grenze   leicht   überschritten   wird,   diese 


502  Sitzungsberichte, 

Selbsthilfe  unnötig  zu  machen  und,  abgesehen  von  der  Notwehr,  die  Ab- 
wehr der  Wiederholung  des  Unrechts  und  die  Ausgleichung  des  geschehenen 
Unrechts  in  die  Hand  eines  objektiven  Richters  zu  legen,  bestimmten  die 
Einzelnen,  gemeinschaftlich  in  eine  staatliche  Verbindung  einzutreten.  Dies 
ist  der  Entstehungsgrund  des  Staates.  Verschieden  von  diesem  ist  die  histo- 
rische Entstehungsweise  des  Staates,  die  wohl  in  den  meisten  Fällen 
auf  das  Bedürfnis,  einen  Anführer  im  Kriege,  also  einen  geeigneten  Ver- 
teidiger gegen  äußere  Feinde  zu  haben,  zurückzuführen  ist.  „Sub  hasta", 
d.  h.  also  im  Kriege  ist  der  Staat  meistens  entstanden.  Der  erste  Soldat 
war  der   erste   König. 

Herr  Privatdozent  Dr.  Weber  (als  Gast) :  Oppenheimers  Hypo- 
these laute:  Der  Mensch  handle  nach  dem  Gesetz  des  kleinsten  Übels. 

Das  Großgrundeigentum  sei  nicht  die  ausschließliche  Ursache  der  Stö- 
nmg  der  allgemeinen  Interessenharmonie,  vielmehr  nur  eine  einzelne  der 
Ursachen.  Die  Quelle  des  sozialen  Übels  liege  in  den  Monopolen  überhaupt, 
in  deren  Schaffung  und  Erhaltung  die  Existenzbedingung  feudaler  Herrschaft 
besteht.  Es  gebe  aber  außer  dem  Großgrundeigeitfum  noch  andere  Mono- 
pole mit  den  gleichen  üblen  Folgeerscheinungen,  so  das  Bergwerkseigentum, 
Sachkapitalien,  große  Hüttenwerke,  Kartelle.  Der  sachliche  Kapitalbesitz 
sei  tatsächlich  wegen  der  Schwierigkeit  seines  Erwerbs,  seiner  Erhaltung 
und   seiner    Vermehrung    ein    Monopolbesitz. 

In  Frankreich  und  der  Schweiz  spiele  der  Großgrundbesitz  keine  erheb- 
liche Rolle,  trotzdem  sei  die  soziale  Knechtschaft  des  Volkes  dort  kaum 
geringer  als  in  Deutschland.  Allerdings  sei  der  „freie  Arbeiter**  die  wesent- 
liche Voraussetzung  für  die  Heorschaft  des  Kapitals,  wie  dies  zuerst  Marx 
gelehrt  habe,  aber  er  rekrutiere  sich  keineswegs  ausschließlich  aus  dem  Groß- 
grundbesitz, die  ersten  kapitalistischen  Industrien  seien  auf  den  Gebirgen 
Deutschlands,   in   Thüringen,    entstanden. 

Herr  Kantorowicz:  Während  die  klassische  Schule  ihre  Theorie  des 
absoluten  Egoismus  nur  zur  Annäherung  an  die  Wirklichkeit  benutzte, 
behauptet  Oppenheimer  mit  ihm  die  Wirklichkeit  selbst  erklären  zu  können. 
Es  gelingt  ihm  aber  nur  dadurch  scheinbar,  daß  er  da,  wo  er  ung^ünstige 
wirtschaftliche  Erscheinungen  deduziert,  tmbewußt  die  Tatsache  des  Irrtums 
in  die  Rechnung  einführt.  So  bedeutet  ja  die  Duldung  des  aufkommenden 
Großgrunideigentums  —  der  Wurzel  alles  Übels  nach  Oppenheimer  --  nur 
einen  Spezialfall  der  Unfähigkeit  der  Völker,  ihr  Recht  zu  erkennen,  „in's 
Minimum  des  Drucks  zu  strömen.**  Wo  er  aber  als  Optimist  die  Zukunft 
auf  Grund  seiner  Reformvorschläge  deduziert,  da  sieht  er  von  allen  Störungen 
imd  Reibungen  ab.  Deshalb  ist  auf  seine  Prophdzeihungen  und  Erklärungen 
nicht  zu  bauen,  obwohl  immerhin  seine  Konstruktion  eine  erhebliche  Be- 
reicherung   der    ökonomischen    Einsicht    darstellt. 

Herr  Oppenheimer:  Die  Einwände,  wonach  nicht  nur  das  private 
Eigentum  am  Grund  und  Boden,  sondern  auch  das  private  Eigentum  an  den 
eigentlichen  Produktionsgütem  die  Schuld  an  den  sozialen  Komplikationen 
tragen,  sind  „fetischistische**.  Alle  Schulen  der  Nationalökonomie  sind  sich 
darüber  einig,  daß  ein  Stamm  von  produzierten  Produktionsmitteln  nur 
unter  der  Voraussetzung  zu  Kapital  werden,  d.  h.  Mehrwert  abwerfen  kann, 
daß  freie  Arbeiter  in  genügender  Anzahl  vorhanden  sind.    Wenn  man,  wie 


SiUungsberichU.  503 

Herr  Dr.  Weber,  sowohl  die  Erklärung  der  Nachklassiker  verwirft,  wo- 
nach die  Reservearmee  freier  Arbeiter  durch  ein  Übermaß  von  Geburten 
produziert  wird  (Malthusianismus) ;  und  ebenso  die  von  Marx  gegebene 
statistisch  unhaltbare  Erklänmg,  wonach  die  Maschinerie  den  Arbeiter  über- 
zählig macht,  dann  muß  man  entweder  die  von  mir  gegebene  Erklärung 
acceptieren,  wonach  die  feudalrechtlich  geschaffene  Grundbesitzverteilung 
die  Ursache  der  Entstehung  dieser  Arbeiterarmee  ist  —  oder  man  mub 
eine  eigene  Erklärung  zutage  bringen.  Und  das  dürfte  gegenüber  der 
imzweifelhaften  Eindeutigkeit  aller  statistischen  Ziffern  außerordentlich  schwer 
sein.  Ich  halte  die  Formel  aufrecht,  die  ich  zur  besseren  Verdeutlichung  des 
Sachverhalts  aufgestellt  habe,  ohne  damit  etwa  eine  exakte  Quantitäts- 
bestimmung  behaupten  zu  wollen:  „Die  Wanderbewegung  wächst  im  Qua- 
drat des  Großgrundeigentums  r*  Ohne  Großgnmdeigentum  keine  Massen- 
wanderung, keine  freien  Arbeiter  im  Überschuß  in  den  Industriezentren, 
kein  Kapitalverhältnis  und  daher  kein  Mehrwert  I 

Der  Einwand,  daß  in  Ländern  ohne  Großgrundeigentum  sich  auch  das 
Kapitalverhältnis  entwickelt,  ist  ohne  jedes  Gewicht.  Ohne  die  Einwanderung 
der  Auswürflinge  des  europäischen  Großgrundei^entums  gäbe  es  in  Nord- 
amerika, in  der  Schweiz  usw.  weder  Gnmdrente  noch  Kapitalprofit.  Denn  es 
würden  immer  zwei  Meister  einem  Arbeiter  nachlaufen  und  sich  überbieten. 
Niu"  die  nach  Millionen  zählende  Einwandenmg  europäischer  Landprole- 
tarier  konnte  es  zuwege  bringen,  daß  hier  immer  zwei  Arbeiter  einem  Meister 
nachlaufen  und  sich  unterbieten.  Man  wird  sich  also  nach  stärkeren  Argu- 
menten imisehen  oder  meine  Erklärung  acceptieren  müssen,  gegen  die  man 
ja  eigentlich  weiter  nichts  ein^wenden  hat,  als  daß  sie  zu  einfach  ist. 
Es  ist  natürlich  eine  starke  Zumutung  an  die  Fachleute,  eine  so  simple  Er- 
klärung annehmen  zu  sollen,  nachdem  sie  Jahrzehnte  lang  mit  den  kom- 
pliziertesten Theorien  die  Dinge  vergeblich  zu  begreifen  versucht  haben. 
Aber  bis  ziu*  Widerlegxmg  meiner  mit  allen  Mitteln  der  wirtschaftswissen- 
schaftlichen Forschimg  fundierten  Behauptimg  werde  ich  an  dem  Satze 
festhalten:  simplex  sigillum   veril 

Schluß   der   Sitzung   11  Uhr. 


Sitzung  vom  19.  November  1903. 
Beginn  8    Uhr   20   Minuten. 
Vorsitzender:  Herr  Moll. 
Schriftführer:   Herr  Martens. 

Neu  aufgenommen  sind  die  Herren: 

Regierungsreferendar  Schienther  und 
Rentier  Klär  mann. 
Neu  angemeldet  ist: 

Herr  Rechtsanwalt  Dr.  Börne,  Kleinbeerenstr.  5. 
Herr   Dr.    Pappenheim    hält   den   angekündigten    Vortrag : 

„Sehen    und    Darstellen." 
1.    Die   Darstellungen   der   Kinder   sind   anzusehen   als    Beobachtungs- 
protokolle.    Sie  enthalten  die  Aufzählung  des   Bemerkenswertesten,   darge* 


504  Sitzungsbericht. 

stellt  durch  typische  Gebilde  (typische  Linien  und  typische  Formen), 
die  das  Kind  teils  erlernt,  teils  erfunden  hat. 

2.  Die  Fertigkeit  im  Darstellen  wächst  entsprechend  der  Kenntnis  der 
Begriffe,    die    typische    Gebilde   ausdrücken    (typische    Begriffe). 

3.  Die  dem  Kinde  an  sich  uninteressanten  typischen  Gebilde  haben 
als  Kategorien  der  Körperwelt  großen  Bildungswert,  sind  daher  möglichst 
früh  dem  Kinde  nahe  zu  bringen  (Friedrich  Fröbel  —  John  Clark). 

4.  Die  kindlichen  Darstellungen  einzelner  Dinge  sind  nur  so  weit  ver- 
ständlich und  unterrichtlich  verwertbar,  wie  in  ihnen  —  bewußt  oder  un- 
bewußt —  typische  Gebilde  zum  Ausdruck  gekommen  sind. 

5.  Da  sich  auch  die  bildenden  Künstler  dieser  typischen  Gebilde  von 
jeher  mit  Erfolg  bedient  haben,  ist  es  unwahrscheinlich,  daß  Kinder  durch 
die  Kenntnis  dieser  Hilfsmittel  des  Auffassens  und  Darstellens  in  ihrer 
eigenartigen  künstlerischen   Entwicklung  schädlich  beeinflußt   werden. 

6.  Die  Kindespsychologie  lehrt  uns  Entwicklungsgänge  des  Beobachtens 
und  Darstellens  normaler  Kinder.  Diese  Tatsachen  lassen  sich  dazu  ver- 
wenden, die  Entwicklung  dieser  Fähigkeiten  planmäßig  zu  beeinflussen 
(Unterrichtsmethode). 

7.  Bei  dem  Beobachtungsunterricht  empfiehlt  es  sich  vor  und  neben 
dem  schematischen  Zeichnen  das  schematische  Modellieren  zur 
Bildung  klarer  Formvorstellungen  und  der  entsprechenden  Formbegriffe 
anzuwenden. 

8.  Der  Inhalt  des  Darzustellenden  ergibt  sich  in  erster  Linie  aus  dem 
Interesse  des  Kindes.  Für  die  Wahl  des  Darstellungsmittels  ist  zunächst 
das  Verständnis  und  das  technische  Können  des  Kindes  maßgebend,  ferner 
aber  das  augenblickliche  Ziel. 

9.  Je  einfacher  das  Darstellungsmittel  ist,  desto  mehr  wird  das  Kind 
genötigt  sein,  wesentliche  Teile  hervorzuheben  („kategorisch"  zu  verfahren). 

10.  Linien  eignen  sich  besser  zum  Ausdruck  von  Richtungs-  und  Längen- 
\'ierhältrüssen  als  Flächen,  da  letztere  diese  Beziehung  leicht  verwischen. 
Linientypen  von  Menschen  und  Tieren  in  verschiedenen  Stel- 
lungen (C.  E.  von  B  a  e  r  -  A.  Kuli). 

11.  Aufgabe  des  zoolog.  Unterrichtes  ist  die  Anleitung  zur  systematischen 
und  biologischen  Betrachtung  der  Tiere.  (Dabei  wird  einer  ästhetischen  Be- 
trachtung oft  bewußt  vorgearbeitet).  Wenn  nun  auch  hierbei  ein  Zergliedern 
der  Organismen  nicht  zu  umgehen  ist,  so  wird  immer  wieder  auf  das  Tier 
als  harmonisches  Ganze  zurückgegangen.  Die  Linien-  und  Flächenschemata 
ganzer  Tiere  erleichtem  diese  Betrachtung  und  ermöglichen  dem  Schüler  eine 
korrekte  Nachbildung  des  vom  Unterricht  Geforderten.  (Autorreferat.) 

Diskussion: 
Herr  Baerwald  hob  hervor,  daß  die  Reform  des  Zeichenunterrichts 
diese  Disziplin  in  weit  höherem  Maße  als  früher  der  Ausbildung  der  Beob- 
achtungsgabe dienstbar  gemacht  habe.  Sei  ehedem  das  Auge  nur  in  der 
Schätzung  von  Lageverhältnissen,  von  Winkeln  und  Distanzen  geübt  worden,, 
so  bilde  die  Verwendung  des  „malenden  Zeichnens"  unmittelbar  die  analy- 
sierende Beobachtung,  die  Fähigkeit,  viele  Einzelheiten  im  Wahmehmongs- 
objekt  zu  bemerken. 


Berichte  und  Besprechungen.  505 

Herr  M  a  r  t  e  n  s  gibt  zu  bedenken,  daß  mit  der  Möglichkeit  einer 
Phantasiebeeinflussung,  die  das  Kind  von  dem  gegebenen  Objekte  ablenke, 
zu  rechnen  sei.  Einzelne  der  Zeichnungen,  die  Pferde  darstellen  sollten, 
erinnern  an  die  bekannten  Bilderbogen  vom  „lustigen  Esel**  etc.  Er  fragt 
den  Herrn  Vortragenden,  ob  über  die  beim  Zeichnen  mitsprechende  Phantasie- 
tätigkeit Erwägungen,  resp.  Beobachtungen  angestellt  seien. 
Schluß  der  Sitzung  lO^/^  Uhr. 

Berichte  und  Besprechungen. 


Lay,   W.   A.,   Dr.,  Experimentelle  Didaktik.     Ihre  Grund- 
legung   mit    besonderer    Rücksicht   auf    Muskelsinn, 
Wille   und   Tat.    Erster  allgemeiner  Teil.    Wiesbaden 
1903.      Verlag    von    Otto     Nemnich.     Preis    geh.    M.    9, 
in  ganz  Leinen  gebunden  M.  10. 
Die  sehr  beachtenswerte  Arbeit  zeigt  die  Möglichkeit,  ja  Notwendigkeit 
einer   experimentellen   Didaktik   auf  theoretischem  und  praktischem   Wege. 
Der  bis  jetzt  vorliegende  erste  allgemeine  Teil  enthält  die  dazu  nötigen  Vor- 
aussetzimgen,  das  Wesen,  die  Bedeutung  und  die  Durchführung  der  experi- 
mentellen   Forschimgsmethode    auf    dem    Gebiet    der    Didaktik,    indem    er 
zunächst  von  kinderpsychologischen,  psychologischen  und  erkenntnistheore- 
tischen, ethischen,  ästhetischen  imd  religiösen,  pathologischen  und  hygienischen 
Tatsachen  und  Literaturangaben,  insofern  sie  als  Grundlagen  des  Unterrichts 
und  seiner   experimentellen  Erforschung  gelten  können,   ausgeht.     Hierbei 
ist  außer  der  deutschen  auch  die  einschlägige  französische,  englische  und 
nordamerikanische  Literatur  in  ausgiebigem  Maße  benutzt  und  zum  ersten 
Male  —  gerade  dieser  Umstand  erhöht  den  Wert  der  Arbeit  wesentlich  — 
unter  besonderer  Berücksichtigimg  der  motorischen  Prozesse,  namentlich  der 
Bewegtmgsvorstellungen  eine  innige  Verknüpfung  der  neueren  Psychologie 
mit  der  Didaktik  gewonnen. 

Besonders  gewinnbringend  und  klar  sind  die  vom  Verfasser  weiter 
angegebesten  Resultate  experimenteller  Forschung  und  sehr  wertvoll  die 
von  ihm  bezeichneten  Mittel  imd  Wege  zur  Lösung  didaktischer  Probleme 
durch  Beobachtimg  tmd  Experiment;  auch  erscheinen  die  mitgeteilten  typi- 
schen Beispiele  von  zahlreichen  didaktischen  Versuchen  recht  dankenswert. 
Der  Stoff  des  umfangreichen,  gegen  600  Seiten  füllenden  Buches  ist 
eingeteilt  in  folgende  Abschnitte:  Muskelsinn  und  Bewegungen  im  allge- 
meinen, Triebbewegungen  und  Spiele  des  Kindes,  Empfindungs-  und  Vor- 
stellungsbewegungen, Prinzip  der  Anschauungen,  Ausdrucksbewegungen,  Ge- 
fühle und  Affekte,  die  Aufmerksamkeit  und  ihre  Bewegimgen,  Assoziation 
und  Assimilation,  Sach-  und  Sprachunterricht,  Anschauungs-  und  Gedächt- 
nistypen,  Phantasietätigkeit,  Denktätigkeit,  Suggestion,  Übung  und  Ge- 
dächtnis, Willensfähigkeit,  Willensbildung,  Einheit  und  Sachlichkeit,  Natur- 
Zdtsdirift  fflr  pidicogische  Psychologie,  Pathologie  und  Hygiene.  6 


506  Berichte  und  Besprechungen, 

und   Kulturgemäßheit   des    Unterrichts,  Wesen   und   Bedeutung   der  experi- 
mentellen Didaktik. 

Den  Berichterstatter  hat  außer  den  beiden  ersten  und  den  vier  letzten 
Abschnitten  hauptsächlich  das  Kapitel:  ,,Anschauungs-  und  Gedächtnis- 
typen*'  interessiert,  zumals  es  durchgehends  ganz  neue  Gedanken  und  Ideen 
enthält.  Sehr  zu  beherzigen  ist  auch  der  Inhalt  des  Schlußkapitels,  das  vom 
Wesen  der  experimentellen  Didaktik  handelt  und  die  didaktische  Beob- 
achtung, Umfrage,  Statistik  sowie  die  Bedeutung  des  didaktischen  Expe- 
rimentes in  trefflichen  Ausführungen  zur  Anschauung  bringt,  auch  mit  Recht 
die  Notwendigkeit  der  Errichtung  pädagogischer  Lehrstühle  an  den  Hoch- 
schulen betont  und  die  Pflege  pädagogischer  Forschungen  an  den  Lehrer- 
seminaren  dringend    anempfiehlt. 

Jedenfalls  wird  durch  die  Veröffentlichung  des  höchst  gediegenen  Werkes 
allmählich  allen  gewagten,  ja  unnützen  pädagogischen  Theorien  und  Speku- 
lationen, an  denen  unsere  Zeit  so  reich  ist,  mit  aller  £n)iergie  entgegen- 
getreten  werden. 

Bei  dieser  Gelegenheit  wollen  wir  nicht  unterlassen,  noch  einmal  auf 
die  erste  größere  Schrift  des  Verfassers:  „Methodik  des  naturgeschicht- 
lichen Unterrichts  und  Kritik  der  Reformbestrebungen'*  1892  hinzuweisen, 
da  sie  schon  ganz  klar  den  hohen  Wert  der  physiologischen  Psychologie 
für  die  Pädagogik  zeigt.  Nicht  minder  beachtenswert  sind  des  Verfassers 
Arbeit  über  die  Psychologie  der  Zahl  und  den  ersten  Rechennunterricht 
sowie  seine  Aufsätze:  „Physiologische  Psychologie  und  Schulpraxis"  in 
der  „Deutschen  Schulpraxis." 

Wollstein.  KarlLöschhorn. 


Versuche  und  Ergebnisse  der  Le  h  r  e  r  v  e  r  e  i  n  ig  u  ng  für 
die  Pflege  der  künstlerischen  Bildung  in  Hamburg. 
Alfred    Jansen.      Hamburg    1901. 

Das  Buch  ist  eingeleitet  von  dem  um  die  Bestrebungen  der  Hamburger 
Lehrervereinigung  hochverdienten  Prof.  A.  L  i  c  h  t  w  a  r  k.  Er  schildert  in 
großen  Zügen  die  Entstehung  und  Entwickelung  der  Vereinigung,  die  im  Jahre 
1896  offiziell  zusammengetreten  ist,  und  gibt  dann  eine  gedrängte  Übersicht 
über  die  gewonnenen  Grundsätze.  Das  allgemeine  Ziel  für  die  praktische  Päda- 
gogik ist,  neben  dem  Verstände  auch  die  Empfindung  zu  bilden.  Um  in  Bezug 
auf  das  Was.  Wie  und  Wieweit  möglichst  das  Richtige  zu  treffen,  hat  die 
Hamburger  Lehrerschaft  sich  sachlich  Rat  und  Tat  erbeten  bei  den  eigent- 
lichen Fachleuten  und  das  Erbetene  auch  im  weitgehendsten  Maße  er- 
halten. Rein  Neues  wurde  im  Unterrichte  lücht  geboten,  sondern  die  schon 
vorhandenen  Stoffe  wurden  nur  vertieft  und  bereichert.  Das  Gedächtnis 
sollte  nicht  mehr  mechanisches  Werkzeug  zur  Bewältigung  toten  Stoffes, 
sondern  lebendige  Kraft  im  Dienste  des  vergleichenden  und  prüfenden  Ver- 
standes sein.  Aller  Unterricht  sollte  eine  Anleitung  sein,  der  Welt  selbst- 
ständig und  unabhängig  gegenüberzutreten  und  in  befestigter  Gewohnheit  das 
erarbeitete  Wissen  zum  Erwerb  neuer  Kenntnisse  zu  benutzen.    Die  Fähig* 


BerichU  und  Besprechungen,  507 

keit  zu  empfinden  ist  an  einzelnen  Gegenständen  der  Natur  und  an  einzelnen 
Kunstwerken  zu  üben.  £s  muß  überall  und  beständig  nicht  von  der  Wissen- 
schaft, dem  Stoff,  nicht  von  dem  Vorstellungskreis  der  Erwachsenen,  sondern 
von  der  Natur  des  Kindes  ausgegangen  werden. 

Nach  dieser  Einleitung  Lichtwarks  folgen  in  Einzeldarstellungen 
von  verschiedenen  Verfassern  die  eingehenderen  Mitteilungen  über  die  Maß- 
nahmen imd  Leitsätze  der  Vereinigung.  Wir  greifen  aus  den  mehr  als 
zwanzig  dieser  Abhandlungen  und  Berichte  die  wichtigsten  heraus. 

Zunächst  gibt  Otto  Ernst  (O.  E.  Schmidt)  in  einer  Abhandlung 
„Was  soll  und  kann  die  Schule  für  die  künstlerische  Erziehung  tun?**  eine 
Reihe  von  Grundsätzen,  deren  wesentlichste  sind:  Die  Universalität  ihres 
Gebietes  und  die  Totalität  ihrer  Wirkungen  macht  die  Kunst,  die  für  alle 
da  ist,  zum  Erziehungsmittel  ersten  Ranges.  Das  Verlangen  nach  Kunstgenuß 
ist  in  der  Masse  vorhanden.  Es  ist  die  Sache  des  Lehrers,  die  Schatzhäuser 
zu  öffnen,  die  man  Bibliotheken,  Museen,  Konzerthäuser  und  Theater  nennt, 
den  Hauptschlüssel  zu  geben,  die  künstlerische  Empfänglichkeit,  das  künst- 
lerische Bedürfnis.  O.  E.  fordert  schließlich:  In  den  Unterrichtsfächern, 
die  sich  mit  der  Kunst  befassen,  sollen  nun  auch  tatsächlich  nach  künst- 
lerischen Grundsätzen  behandelte  künstlerische  Stoffe  den  Ausschlag  geben. 
Es  muß  Wandel  geschaffen  werden  im  Literaturunterricht,  im  Gesang-, 
Zeichen-  und  Turnunterricht  (Tanz).  Es  sollen  durchaus  keine  künst- 
lerischen Leistungen,  wohl  aber  künstlerische  Empfänglichkeit  erzielt  werden. 

Wie  die  Hamburger  LehrerVereinigung  bemüht  gewesen  ist,  dieses 
Ziel  im  Zeichenunterrichte  zu  erreichen,  und  nach  welchen  Grundsätzen  da- 
bei verfahren  wurde,  wird  uns  in  einer  Abhandlung  von  C.  G  o  e  t  z  e  aus- 
führlich dargestellt.  G.  schließt  seine  Ausführungen  mit  dem  Satze:  Das 
Zeichnen  ist  als  Erziehungsmittel  allseitig  auszunutzen  im  Dienste  der  künst- 
lerischen Erziehung,  um  das  Talent  bis  zur  höchsten  Leistung,  die  Durch- 
schnittsbegabung aber  so  weit  zu  bilden,  daß  sie  jeder  großen  Leistung 
mit  Empfindimg  und  Urteil  zu  begegnen  vermag,  zum  andern  im  Dienste 
jeder  realistischen  Bildung,  die  ohne  ein  geschultes  Auge  und  eine  geübte 
Hand  wertlos  ist. 

In  zwei  Abhandlungen  schildern  daran  anschließend  A.  S  i  e  b  e  1  i  s  t 
und  C.  Schwartz  die  von  ihnen  geleiteten  Kurse,  welche  man  zur 
Heranbildung  brauchbarer  Lehrkräfte  für  den  Zeichenunterricht  einge- 
richtet  hat. 

Über  die  Beziehungen  der  Schule  zum  Kunstgewerbemuseum  veröffent- 
licht der  Direktor  des  Museums  für  Kunst  und  Gewerbe,  Justus  Brinck- 
m  a  n  n  einen  Aufsatz,  der,  weil  seine  Ausführungen  sich  sehr  wohl  auf 
jede  auf  gloichen  Grundlagen  beruhende  öffentliche  Sammlung  verallge- 
meinern lasse,  allgemeinstes  Interesse  verdient.  B.  verurteilt  zunächst 
auf  das  schärfste  die  für  die  meisten  Museen  bestehende  Anordnung :  Kindern 
ist  der  Zutritt  nur  in  Begleitung  Erwachsener  gestattet.  Seine  Erfahrungen 
haben  ihm  das  durchaus  Falsche  einer  derartigen  Bestimmung  erkennen 
lassen.  Er  wendet  sich  dann  seinem  eigentlichen  Thema  zu  mit  der 
Frage:  Wie  und  was  können  Kinder  in  schulpflichtigem  Alter  in  einem 
kunstgewerblichen  Museum  lernen,   und  was  kann  die  Schule  hierzu  bei- 

6» 


508  Berichte  und  Besprechungen. 

tragen?  Den  zweiten  Teil  dieser  Frage  beantwortet  B.  dahin,  daß  dem 
Lehrer  die  Aufgabe  zufällt,  die  Schüler  bei  der  Betx\achtung  auf  Wege 
zu  leiten,  die  ihrem  Verständnis  offen  liegen  und  auf  denen  er  zugleich 
sicher  ist,  ihr  Interesse  zu  wecken  und  wach  zu  erhalten.  In  dem,  was 
er  zum  ersten  Teil  seiner  Frage  zu  sagen  hat,  hebt  B.  nachdrücklich 
hervor,  daß  das  Kind  teilnahmlos  den  schönsten  Erzeugnissen  alten  Kunst- 
gewerbes gegenüberstehen  wird,  wenn  diese  nicht  belebt  werden  durch  die 
Deutung   ihrer  Beziehung  zum   Leben. 

Da  es  notwendig  war,  für  jede  Aufgabe,  die  sich  die  Vereinigung  %tr 
stellt,  auch  die  erforderlichen  Lehrer  heranzubilden,  so  wurden  auch  Übungen 
in  der  Betrachtung  von  Kunstwerken  eingerichtet,  über  die  uns  ihr  Leiter, 
A.  Lichtwark,  Bericht  erstattet.  Wie  solche  Übimgen  nüt  Schülern 
vorzunehmen  sind,  wurde  den  Lehrern  demonstriert,  indem  L.  in  ihrem 
Beisein  die  Übimgen  an  einer  Schulklasse  ausführte,  wobei  es  sich  zeigte, 
daß  die  Kinder  viel  unmittelbarer  beobachteten  als  die  Lehrer  selbst,  so  daß 
diese  zu  der  Überzeugung  kamen,  daß  bei  Erwachsenen  aus  Mangel  an 
Übung  die  Fähigkeit  zu  sehen  zurückgehe.  Bei  diesen  Übungen  war 
stets  der  leitende  Gedanke :  Die  Kinder  müssen  selbst  beobachten  und  finden. 
Einen  eigenen  Kunstanschauungsunterricht  einzuführen  hält  L.  nicht  für 
erforderlich,  da  Zeichen-  und  Geschichtsunterricht  oft  Gelegenheit  zu  einem 
solchen  bieten.  Als  erstrebenswertes  Ziel  hat  sich  herausgestellt,  dabei 
einem  jeden  Kinde  eine  Reproduktion  des  betreffenden  Werkes  m  die 
Hand  zu  geben. 

In  einem  Aufsatze  „künstlerischer  Bilderschmuck  für  Schulen**  geht 
der  Verfasser,  Dr.  M.  Spanier,  von  dem  Grundsatze  aus:  Wir  müssen 
Kinder  nicht  nur  über  Kunst  belehren,  sondern  in  erster  Linie  an  Kunst 
gefwöhnen.  Dies  kann  vornehmlich  geschehen,  indem  wir  die  Kinder  in 
der  Schule  mit  wahrhaft  künstlerischem  Bilderschmuck  umgeben.  Sp. 
macht  energisch  Front  gegen  den  Bilderschmuck  der  Schule,  der  nichts 
als  religiös,  nichts  als  patriotisch,  nichts  als  belehrend  ist,  sonst  aber  durch- 
aus keinen  künstlerischen  Wert  besitzt.  So  wie  die  Schule  bestrebt  ist, 
zu  guter  Literatur  zu  führen,  so  soll  sie  auch  gute  Bilder  ansehen  lehren. 
Stellt  sie  sich  einmal  in  den  Dienst  der  Geschmäckskultur,  so  ist  auch 
ihre  eigentliche  Hauptpflicht  sehen  lehren.  Sp.  erwartet  davon  mit  Recht 
eine  Hebung  des  allgemeinen  Niveaus  künstlerischer  Empfindung,  eine 
Steigerung  der  künstlerischen  Kultur  unseres  Volkes.  Die  Frage,  welche 
Anforderimgen  man  an  die  Bilder  für  den  Schulschmuck  bei  einer  sorgfältigen 
Auswahl  zu  stellen  hat,  beleuchtet  Sp.  sehr  eingehend  und  berichtet  im 
Anschluß  an  seine  sehr  beachtenswerten  Ausführungen  über  die  Maßnahmen, 
die  die  Lehrervereinigimg  zur  Pflege  der  künstlerischen  Bildung  ziu"  Er- 
langung   eines    brauchbaren    Bilderschmuckes    getroffen    hat. 

In  manchen  Punkten  berührt  sich  mit  dem  von  Dr.  M.  Spanier 
Gesagten  eine  Abhandlung  „Über  Bilderbücher**  von  C.  Weihrauch. 
W.  fordert  von  einem  jeden  Büderbuch,  das  der  künstlerischen  Bildung 
dienen  soll,  daß  es  erstens  von  Künstlern  geschaffen  ist  (was  bisher  durch- 
aus nicht  imm^r  der  Fall  war)  und  daß  es  zweitens  sich  für  Kinder 
wirklich  eigne.     Ob  letzteres  bei  einem  Buche  der  Fall  ist,  ist  durch  die 


BerichU  unä  B^preckungen.  50^ 

Erfahnmg  festzustellen.  Dieselben  Forderungen  gelten  auch  für  die  Illu- 
stration in  Jugendbüchern.  W.  weist  dann  hin  auf  die  BUderbücher  von 
Speckter,  Oskar  Fletsch,  Busch  und  namentlich  auf  die  jeder 
Anforderung  genügenden  von  Ludwig  Richter.  Aus  der  Betrachtung 
der  diesbezüghchen  Werke  genannter  Meister  gewinnt  W.  folgende  Leit- 
sätze: Jedes  Bild  muß  ein  Kunstwerk  sein.  Das  Bilderbuch  muß  als  ein 
einheitliches  Ganzes  erfaßt  werden.  Wünschenswert  ist  es,  daß  das  einzelne 
Bild  den  Anknüpfungspunkt  für  eine  Handlimg  bietet.  Nachdem  W. 
Xioch  darauf  hingewiesen  hat,  welch  vorzügliches  Mittel  zur  Erziehung 
des  Farbensinnes  das  BUderbuch  ist,  bespricht  er  eine  Reihe  der  in  den 
letzten  Jahren  in  Deutschland  erschienenen  Bilderbücher,  die  die  aufge- 
stellten Forderungen  im  großen  und  ganzen  erfüllen  imd  spricht  zum  Schluß 
die  Hoffnung  aus,  daß  auch  die  g^ßen  Meister  unserer  Zeit  es  nicht 
unter  ihrer  Würde  halten,  Bilderbücher  zu  schaffen. 

Gegen  die  Mißstande  im  Literatunmterricht  an  unsem  Schulen  wendet 
sich  Dr.  J.  Loewenberg.  Man  hat  bei  der  Dichtung  in  der  Schule 
zn  viel  Nebenwerke  gesucht:  moralische,  religiöse  und  patriotische.  Man 
darf  diese  Dinge  nicht  ab  Hauptsache  betrachten  und  der  Dichtung  etwas 
unterlegen,  was  ihrem  innersten  Wesen  fremd  ist.  Die  Gedichte  für  Lese- 
bücher sind  nur  nach  rein  ästhetischen  und  pädagogischen  Rücksichten  zu 
wählen.  —  Viel,  fast  alles  für  die  bleibende  Wirkung  eines  Gedichtes  hängt 
davon  ab,  wie  es  dem  Schüler  vermittelt  wird.  Sicherlich  falsch  ist  der 
Weg,  auf  dem  das  Gedicht  zerlegt,  zerstückelt,  zergliedert  und  zer- 
klart wird.  Dem  Literaturlehrer  muß  unbedingt  die  Kunst  des  Vortrags 
eigen  sein.  Was  für  Gedichte  gilt,  gilt  auch  für  l^ramen.  Zu  diesem 
Punkte  gibt  L.  eine  Reihe  von  Angaben  darüber,  wie  man  Dramen  in  der 
Schule  lesen  soll.  Aber  nicht  nur  Gedichte  und  Dramen,  sondern  auch  Er- 
zähTimgen  und  Novellen  gehören  nach  L.  in  die  Schule.  Als  ein  wichtiges 
Mittel  zur  Bildung  des  künstlerischen  Geschmackes  bei  gereifteren  Schülern 
empfiehlt  L.  die  Kritik:  Nicht  Kritik  des  Guten,  wohl  aber  des  Schlechten. 
Als  Endziel  eines  jeden  Literaturunterrichts  stellt  L.  den  Satz  auf:  Unsere 
Jugend  ist  so  zu  erriehen,  daß  sie  nur  an  musterhaft  guter  Dichtung  Ge- 
fallen  findet. 

Der  Erreichung  dieses  Zieles  wird  es  sicherlich  förderlich  sein,  wenn  die 
Kinder  die  Dramen,  die  sie  im  Literatutunterricht  gelesen,  auch  im  Theater 
sehen.  Eine  viel  weitergehende  Bedeutimg  noch  räumt  H.Witt  in  einem  Auf- 
satze:  „Theateraufführungen  für  Kinder'*  der  Schaubühne  für  unsere  Jugend 
eih.  An  erster  Stelle  imtersucht  und  beantwortet  er  die  Frage,  welche 
Wirkungen  eigentlich  Theateraufführungen  haben  und  wie  diese  Wirkungen 
entstehen.  Er  konmit  dabei  zu  dem  Schlüsse,  daß  Schüleraufführungen 
eine  unbedingte  Notwendigkeit  sind,  ein  Schluß,  den  der  Versuch  bestätigt 
hat.  Es  hat  sich  eben  gezeigt,  daß  die  Wirkung  der  Lektüije  auf  die 
Schüler  lange  nicht  die  der  wirklichen  Aufführung  erreicht.  Anschließend 
gibt  W.  dann  einen  Bericht  über  die  Schülervorstelltmgen  im  Hamburger 
Stadttheater. 

Unter  den  zahlreichen  Ausschüssen  der  Hamb.  Lehrervereinigung  ist 
auch  ein  „Ausschuß  für  das  Studium  der  Kindheit".  tn>er  seine  Tädgküeit 
berichtet  uns  R.  Roß.    Eingesetzt  wurde  dieser  Ausschuß,  um  die  Maß- 


510  Berichte  und  Bespt  echungen. 

nahmen,  die  zur  Heranbildung  eines  kunstsinnigen  und  schönheitsfreudigen 
Geschlechts  als  geeignet  erscheinen,  psychologisch  zu  beg^ründen  und  zwar 
unter  besonderer  Berücksichtigung  der  psychischen  Eigenart  der  Kindes- 
natur.  Am  dringendsten  verlangte  die  Frage  des  Zeichenunterrichtes  nach 
einer  psychologischen  Behandlung.  Der  Ausschuß  hat  1898  in  Verbindung 
mit  der  Zeichenkommission  eine  Ausstellung  von  freien  Kinderzeichnungen 
veranstaltet,  in  deren  Katalog  „Das  Kind  als  Künstler"  C.  Götze  eine 
instruktive  Übersicht  über  die  einschlägigen  Forschungen  gegeben  hat. 
Im  Anschluß  daran  versucht  R.,  etwas  tiefer  in  das  Verständnis  der  Kinder- 
zeichnungen und  der  damit  zusammenhängenden  Fragen  einzudringen.  Am 
Schluß  seiner  Abhandlung  stellt  R.  den  Satz  auf:  Die  ästhetische  Bildung 
muß  als  gleichberechtigt  mit  der  logischen  und  sittlichen  Bildung  anerkannt 
werden. 

Man  hat  der  Hamburger  Lehr  erver  einigung  oft  den  Vorwurf  gemacht, 
daß  sie  einem  gewissen  Ästhetizismus  huldige.  Wer  ihre  „Versuche  und 
Ergebnisse"  gelesen  hat,  der  wird  ohne  weiteres  zugeben  müssen,  daß  die 
Vereinigung  den  pädagogischen  Gesichtspunkten  den  breitesten  Raum  gibt. 
Mit  dem  von  ihr  erzielten  Gesamtergebnis  kann  die  Vereinigimg'  sehr  wohl 
zufrieden  sein.  Nachdem  sie  einmal  erkannt  hatte,  daß  die  Erziehung  zum 
Kunstgenuß  neben  der  intellektuellen  und  moralischen  Heranbildung  ein 
wesentlicher  oder  gar  gleichberechtigter  Faktor  bei  der  Erziehung  unserer 
Jugend  ist,  hat  sie  keine  Gefahr  und  keine  Mühe  gescheut,  um  alle  Schwierig- 
keiten aus  dem  Wiege  zu  räumen  und  dem  vorgesteckten  Ziele  näher  zu 
kommen.  Mögen  ihre  „Ergebnisse  und  Versuche**,  die  1901  zum  letzten 
Male  in  zweiter  Auflage  erschienen  sind,  ihr  in  noch  recht  vielen  weiteren 
Auflagen  zahlreiche  Helfer  und  Freunde  werben  und  so  beitragen  zur  Aus- 
breitung ihrer  noch  oft  nicht  verstandenen  und  verkannten  Ideen  und 
Cirundsätze. 

Berlin.  A.  Grünspan. 


Gesunde  Jugend.     Zeitschrift  für  Gesundheitspflege 
in  Schule  und  Haus.     Organ  des  Allgemeinen  deut- 
schen   Vereins    für    Schulgcsundheitspflege.       Im 
Auftrage      des      Vorstandes      herausgegeben     von 
Gricsbach,    Dr.    med.    u.    phil.,   Professor    in    Mühi- 
hausen,  Schotten.  Dr.  phil.,  Direktor  der  Oberrcal- 
schule  in  Halle,  Pabst,  Geh.  Regierungsrat  Ober- 
bürgermeister   in    Weimar    und    Korman,    Dr.    med. 
prakt.  Arzt  in  Leipzig.     Druck  und  Verlag  von  B.  C». 
Teubner    in     Leipzig.      L    Jahrgang   1901,    Heft    1—6. 
8*.  2  5  6  S. 
In  einem  kurzen  Artikel  „An  die  Leser"  berichtet  Herrn.  Grics- 
bach, Vorsitzender  des     , .Allgemeinen  Deutschen  Vereins  für  Schulgesund- 
heitspflege'" über  die  Gründung  des  Vereins  und  die  Ziele,  die  er  verfolgt, 
nämlich  die  Verbreitung  der  Hygiene  in  den  Schulen.     Damit  soll  gesagt 
sein,  alle  diejenigen,  welche  direkt  oder  indirekt  an  dem  Gedeihen  der  Schule 


BeriehU  und  Bestechungen.  5 1  { 

Anteil  nehmen,  Lehrer  und  Eltern,  Ärzte  und  Verwaltungen  aufzufordern, 
zur  Förderung  hygienischer  Grundsätze  in  den  Schulen  nach  Kräften  bei^ 
zutragen.  Ferner  bespricht  er  noch  die  Grundsätze,  nach  welchen  die  vor- 
liegende Zeitschrift  geleitet  werden  soll. 

Auf  einige  der  Originalabhandlungen  wollen  wir  hier  kurz  eingehen. 

Die  Aufgaben  der  Schulhygiene  von  Prof.  Dr.  med.  u. 
phil.  Griesbach.  Der  Verfasser  erzählt,  dass  es  schon  im  Altertum  der- 
artige Bestrebungen  gegeben  hat,  jedoch  wurde  im  Mittelalter,  zur  Zeit  der 
Scholastik  und  Patristik,  die  Schulhygiene  arg  vernachlässigt  und  erst  im 
16.  17.  und  18.  Jahrhundert  sind  wieder  Männer  für  die  Gesundheit  der 
Schuljugend  eingetreten.  Die  moderne  Schulhygiene  hat  sich 
zu  einem  speziellen  Zweige  der  hygienischen  Wissenschaft  ausgewachsen, 
und  da  nicht  nur  die  Art  des  Unterrichtes  schädigend  auf  den  Organismus 
wirkt,  sondern  auch  rein  äusserliche  Verhältnisse,  nämlich  die  Einrichtungen 
der  Gebäude  und  Utensilien,  ferner  das  tägliche  Zusammensein  einer  grossen 
Zahl  von  Individuen,  derartige  Wirkungen  ausüben  können,  so  hat  sie  ihre 
Untersuchungen  auf  sämtliche  Einrichtungen  der  Schule,  d.  h.  auf  die  ge- 
samte Schulordnung  auszudehnen.  Er  teilt  die  Aufgaben,  welche  ihr  behufs 
Bekämpfung  der  Schulkrankheiten  zufallen,  in  3  Gruppen  ein,  1)  die,  welche 
ihr  aus  dem  Unterrichtssystem  und  den  Unterrichtsmethoden,  2)  die,  welche 
ihr  aus  den  Mängeln  der  Schulgebäude  und  deren  Einrichtungen  erwachsen, 
und  3)  die,  welche  sich  über  die  hygienische  Aufsicht,  d.  h.  über  die  An- 
stellung, die  Dienstvorschriften  und  das  Wirkungsgebiet  von  Schulärzten 
erstrecken. 

Bei  der  Besprechung  der  Aufgaben  der  1.  Gruppe  sagt  er,  dass  man 
in  den  Mittelpunkt  des  Unterrichts  nur  den  Menschen,  seine  Entwicklung, 
seine  gesellschaftliche  und  staatenbildende  Kraft  und  seine  Ethik  stellen 
könne.  Das  sei  auch  schon  im  allgemeinen  anerkannt,  nur  stellt  man  in 
vielen  höheren  Schulen  den  antiken  Menschen  als  das  Menschheitsideal 
hin  und  vergisst,  dass  der  antike  Mensch  schon  längst  ausgestorben  sei, 
dass  wir  moderne  Menschen,  besonders  dass  wir  Deutsche  sind,  dass 
deutsche  Denkweise  und  Sprache,  deutscher  Idealismus  im  Jugendunter- 
richt die  erste  Stelle  einnehmen  müsse.  Deshalb  bekämpft  er  den  fremd- 
sprachlichen Unterricht  besonders  den  lateinischen  in  den  unteren  Klassen, 
denn  eine  richtige  Denkmethode  lässt  sich  nur  im  Anschluss  an  eine  klare 
und  deutliche  Begriffsbildung  erzielen,  und  der  Sprachunterricht  kann  nur 
dazu  dienen,  die  durch  die  Sinnestätigkeit  erlangten  Begriffe  klar  und  deut- 
lich auszudrücken.  Dazu  jedoch  sind  die  lebenden,  insbesondere  die  Mutter- 
sprache am  geeignetsten,  weshalb  Griesbach  den  fremdsprachlichen 
Unterricht  auf  das  reifere  Alter  verlegt  haben  will,  wie  es  eben  die  sogen. 
Reformschulen  beabsichtigen.  Aber  er  verlangt  nicht  nur  eine  Reduktion 
des  fremdsprachlichen  Unterrichts  und  einen  gemeinsamen  Unterbau  aller 
höheren  Lehranstalten,  sondern  auch  eine  Verminderung  des  Unterrichts- 
stoffes, der  Unterrichtszeit  und  eine  Herabsetzung  der  Ziele.  Nachdem  er 
noch  vorübergehend  die  Schulexamina  als  einen  wunden  Punkt  des  herr- 
schenden Schulsystems  bezeichnet,  verlangt  er  energisch  die  Beseitigung  des 
wissenschaftlichen  Nachmittagsunterrichtes,  der  eines  der  grössten  Gifte 
im  Schulbetriebe  ist;     weil  arbeitende  Organe  viel  Blut  benötigen,  so  wer- 


512  Berichte  und  Besprechungen. 

den  nach  der  Hauptmahlzeit  die  Verdauungsorgane  Blut  an  sich  ziehen, 
welches  sie  anderen  Organen,  so  auch  dem  Gehirn,  entziehen,  wodurch  ein 
normales  Arbeiten  desselben  illusorisch  wird.  —  Er  geht  dann  auf  die 
Lage  und  die  Einrichtungen  der  Schulgebäude  ein  und  empfiehlt  als  beste 
künstliche  Beleuchtung  der  Klassen  das  elektrische  Glühlicht,  als  beste 
Heizungsanlage  die  Niederdruck-Dampf-Luftheizung.  Nachdem  er  noch 
kurz  auf  die  Subsellienfrage  eingegangen  ist  und  auch  für  die  Steilschrift 
eine  Lanze  gebrochen  hat,  geht  er  auf  den  dritten  Punkt,  die  ärztliche  Auf- 
sicht der  Schulen,  ein  und  gibt  seiner  Freude  darüber  Ausdruck,  dass  viele 
Städte  die  Theorie  schon  in  die  Praxis  umgesetzt  haben.  Sein  Ideal  wäre, 
wenn  der  Schularzt  zum  Lehrkörper  der  Anstalt  gehörte.  Er  spricht  dann 
noch  ausführlich  über  die  Dienstvorschriften  der  Schulärzte  und  gibt  zum 
Schluss  der  Hoffnung  Ausdruck,  dass  auch  die  Schulgesundheitspflege  voo 
dem  Verständnis,  das  man  jetzt  allgemein  der  öffentlichen  Gesundheits- 
pflege entgegenbringt,  ihren  Vorteil  haben  wird. 

Zur    Frage    des    Nachmittagsunterrichts,    von    Dr. 
H.  Schotten,  Halle  a.  S.     Der  Direktor  der  hallenser  Oberrealschale 
verfolgt  mit  diesem  Aufsatz  keine  Lösung  dieser  Frage,  sondern  will  uns 
nur  darüber  orientieren,  was  in  dieser  Beziehung  schon  früher  geschrieben 
und  gesagt  worden  ist,  damit  so  die  Frage,  die  jetzt  wieder  auftaucht,  gründ- 
lich behandelt  werden  könne.    Ehe  er  jedoch  auf  das  Historische  eingeht, 
erörtert  er  einige  allgemeine  Gesichtspunkte  und  sagt,  bei  der  Besprechung 
der  Frage  müsste  ein  Unterschied  zwischen  den  unteren,  mittleren  nnd 
oberen  Klassen  gemacht  werden,  ferner  müssten  sich  Betrachtungen  über 
die  klimatischen  Verhältnisse,  abgesehen  von  den  rein  lokalen,  und  über  die 
Lage   der   Ferien  anschliessen.     Diese   Erwägungen   rechnet   er  alle  znr 
Gruppe  der  pädagogischen,   denen  sich  die  der    sozialen    und    sanitären 
koordinieren.    Bei  der  Besprechung  der  ersten  Gruppe,  der  weitaus  wich- 
tigsten der  Erwägungen,  kommt  er  zuerst  auf  die  Möglichkeit  der  Ver- 
teilung der  38  Unterrichtsstunden  der  oberen  Klassen  der  Oberrealschule 
auf  die  0  Tage  zu  sprechen  und  macht  den  Vorschlag  an  4  Tagen  4  Vor- 
mittagsstunden   und    3    Nachmittagsstunden,    am    Mittwoch    und    Sonn- 
abend je  5  Vormittagsstunden  zu  erteilen.     Ferner  schlägt  er  vor,  diese 
Stunden  im  Sommer  auf  die  Zeit  von  7 — 11  und  von  3 — 6,  resp.  Mittwoch 
und  Sonnabend  von  8 — 1   zu    verteilen.     Bei    dieser    Einteilung    würde 
zwischen  Vormittags-  und  Nachmittagsunterricht  eine  Pause  von  im  Sonuner 
4,  im  Winter  3  Stunden  fallen:  doch  gewiss  ausreichend,  um  völlige  Er- 
holung zu  sichern  und  auch  zu  vermeiden,  dass  allzubald  nach  dem  Mittags- 
mahl schon  wieder  das  Sitzen  in  der  Schule  anginge.     Zwei  Nachmittage 
aber  blieben  —  ausser  dem  Sonntag  —  in  jeder  Woche  für  einigermassen 
grössere   Spaziergänge   übrig,   was   doch   wohl   auch   als   ausreichend  an- 
gesehen werden  dürfte.     Weiter  geht  er  auf  die  Pausenordnung  ein  und 
verlangt    ganz    energisch    die    Einrichtung    von    viertelstündigen    Pausen 
zwischen  den  einzelnen  Stunden.     Direktor  Schotten  kommt  nun  anf 
die  historische   Entwicklung  der  Frage  zu  sprechen,  wie  sich,   nachdena 
anfänglich  je  3  Vormittags-  und  Nachmittagsstunden  angesetzt  waren,  der 
Gebrauch  herausgebildet  hatte,  auf  den  Vormittag  4,  auf  den  Nachmittag 
2  Stunden  zu  legen,  und  dabei  altem  Herkommen  gemäss  die  Mittwoch- 


Beruhte  und  Besprechungen.  513 

und  Sonnabendnachmittage  frei  waren.  Gegen  diesen  allgemeinen  Ge- 
brauch wurde  nun  von  Berlin  aus  in  den  sechziger  Jahren  angekämpft,  die 
Grossstadt  stellte  ihre  Forderungen  und  die  Gründe,  die  sie  für  die  Ab- 
schaffung des  Nachmittagsunterrichts  geltend  macht,  sind  zum  Teil  als 
soziale  zu  bezeichnen,  denen  sich  die  sanitären  zur  Seite  stellen  und  mit 
ihnen  gleichwertig  behandelt  werden  müssen.  Bei  der  sehr  eingehenden 
Besprechung  der  Gründe  für  und  wider  die  Abschaffung  des  Nachmittags-» 
Unterrichtes  hält  er  sich  an  die  Verhandlungen  und  die  Referate  der  ver- 
schiedenen Direktorenkonferenzen  der  Provinz  Preusscn  im  Jahre  1877, 
Posen  1879  und  der  Provinz  Sachsen  1889,  die  sich  alle  mit  diesem  Thema 
sehr  eingehend  beschäftigt  hatten.  Er  konstatiert  schliesslich,  dass  durch 
alle  Erörterungen  ein  Zug  geht,  der  auch  noch  in  unseren  Tagen  für  die 
Besprechung  von  Fragen  charakteristisch  ist:  was  nämlich  hier  und  da  ein- 
mal eintreten  kann  und  auch  eintritt,  das  soll  von  bestimmendem  Einfluss 
für  das  Ganze  sein,  die  Rücksicht  auf  Minoritäten  führt  zur  Vergewaltigung 
der  Majoritäten.  Und  man  verschliesst  sich  förmlich  gegen  die  natürlichen 
Heil-  und  Auskunftsmittel  und  sucht  künstliche  und  widernatürliche  auf. 
Er  ist  immer  wieder  der  Ansicht,  dass  durch  seinen  Vorschlag,  den  Nach- 
mittagsunterricht erst  um  3  Uhr  beginnen  zu  lassen,  die  meisten  Gründe, 
die  für  die  Abschaffung  desselben  ins  Feld  geführt  werden,  aufgehoben 
würden. 

In  einem  kurzen  Aufsatz  über:  Die  Luxferprismen  und 
ihre  elektrolytische  Bindung  teilt  uns  F.  S.  Archen- 
hold, Direktor  der  Treptower  Sternwarte,  einiges  Interessante 
über  diese  amerikanische  Erfindung  mit,  die  für  alle  Gebiete  des 
öffentlichen  Lebens  von  einschneidender  Bedeutung  werden  wird, 
da  sie  eine  intensivere  Beleuchtung  dunkler  Räume  durch 
Brechung  und  bessere  Verteilung  des  Tageslichtes  vermittels  Prismen 
ermöglicht.  Zwei  dem  Text  beigegebene  Reproduktionen  von  photo- 
graphischen Aufnahmen  des  Maschinenraumes  der  Königl.  Münze  mit  und 
ohne  diese  Luxferprismen  geben  eine  sprechende  Illustration  für  ihre  über- 
raschenden Wirkungen.  Diese  Erfindung  hat  demnach  eine  materielle  und 
hygienische  Bedeutung. 

Durch  einen  kurzen  Bericht  werden  wir  über  die  Vorgänge  auf  der 
Sitzung  des  Allgemeinen  deutschen  Vereins  für 
Schulgesundheitspflege  auf  der  7  2.  Versammlung 
deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  in  Aachen  am  16. 
September  1900  unterrichtet.  In  dieser  Sitzung  sprachen  Dr.  med. 
Gerhardi-  Lüdcnscheidt  über  „Psychologie  in  Bezug  auf  Pädagogik 
and  Schulhygiene",  Dr.  Korman-  Leipzig  über  „Samaritereinrichtungen 
im  Dienste  der  Schule",  Dr.  Schmidt- Monnard,  Kinderarzt  in 
Halle  über  „Die  Ursachen  der  Minderbegabung  von  Schulkindern". 

Mit  einem  Abdruck  der  Satzungen  des  Vereins,  seiner  Mitgliederliste, 
einem  Bericht  über  die  Gründung  eines  Zweigvereins  in  Mühlhausen  i.  E. 
und  mit  Besprechungen  einzelner  Erscheinungen  der  einschlägigen  Litera- 
tur schliesst  das  1.  u.  2.  Heft. 

Das  8.  und  4.  Heft  bringt  uns  einen  sehr  genauen  Bericht  über  die 
Verhandlungen  der   II.  Jahresversammlung  des   All- 


514  Berichte  und  Besprechungen. 

gemeinen  Deutschen  Vereins  für  Schulgesundheit > 
pflege  am  Freitag  den  31.  Mai  1901  im  Weissen  Saal  des  Karhauses  zu 
Wiesbaden.     Nach  den  bei  solchen  Gelegenheiten  üblichen   Begrüssungs- 
reden  stand  auf  der  Tagesordnung  noch  Geschäftliches  und  Vortrage,  von 
denen  folgende  von  Bedeutung  sind. 

Die  neue  preussische  Schulreform  in  Beziehung 
•  zurSchulhygiene. 

1.  Referent  Oberrealschuldirektor  Dr.  H.  Schotten-  Halle.  Er 
gibt  uns  erst  einen  kurzen  historischen  Rückblick  über  die  Reformarbeit 
im  Schulsystem  und  geht  besonders  auf  die  Verhandlungen  der  beiden  am* 
Veranlassung  unseres  jetzigen  Kaisers  zu  diesem  Zweck  berufenen 
preussischen  Schulkonferenzen  in  den  Jahren  1890  u.  1900  und  die  von  ihnen 
beiden  aufgestellten  Thesen  ein.  Hieran  schliesst  er  dann  seine  Betrach- 
tungen an  und  führt  aus,  dass  er  es  nicht  für  richtig  halten  könne,  dass  man 
die  Schulreform  auf  die  sogenannten  höheren  Lehranstalten  beschränk: 
hat.  Gerade  die  hygienischen  Forderungen  müssen  dazu  führen,  auch  die 
Vorschulen  mit  in  den  Kreis  der  Untersuchungen  zu  ziehen.  Denn  hier 
in  dem  zarten  Alter  ist  schon  vielfach  der  Grund  für  spätere  Übel,  wie 
Kurzsichtigkeit  etc.,  zu  suchen.  Auch  wird  in  Fragen  des  Unterrichts  und 
der  Hygiene  viel  zu  viel  generalisiert,  und  dadurch  vielfach  das  Recht  der 
Minorität  in  den  Vordergrund  gestellt.  Ferner  warnt  er  noch  davor,  zu- 
viel auf  einmal  zu  unternehmen,  und  stellt  als  nächste  Aufgabe,  neben  der 
Schularztfrage,  für  den  Verein  die  Regelung  der  Ferien  hin  und  damit  in 
Verbindung  die  Verlegung  des  Beginnes  des  Schuljahres  nach  den  grossen 
Ferien,  also  etwa  Mitte  September.  Am  Ende  seiner  kritischen  Be- 
merkungen über  die  Möglichkeit  der  Durchführung  dieser  Thesen  weist  er 
noch  energisch  die  Ansicht  zurück,  dass  die  Schule  allein  verantwortlich 
gemacht  werden  solle,  sondern  auch  in  Haus  und  Familie  müsse  Interesse 
und   Verständnis   für   die   Gesundheitspflege   der  Jugend   geweckt  werden. 

Der  2.  Referent,  Dr.  med.  K  o  r  m  a  n  ,  prakt.  Arzt  in  Leipzig,  sprach 
über  dieses  Thema  vom  medizinischen  Standpunkt  aus  und  zieht  zuerst 
gegen  die  antike  Dressur  und  Frisur  und  das  Monopol  der  Gymnasien  los, 
befürwortet  mit  warmen  Worten  die  Gleichberechtigung  aller  höheren  Lehr- 
anstalten und  macht  seinem  Unmut  darüber  Luft,  dass  die  Gleich- 
berechtigung nicht  so  durchgeführt  wird,  wie  sie  beabsichtigt  war,  sondern 
an  den  Sonderinteressen  einzelner  Stände  scheitert.  Er  kommt  dann  auf 
die  Prüfungen  zu  sprechen,  verwirft  sie  vollkommen  und  hofft,  dass  be- 
sonders die  Abiturientenprüfung  bald  abgeschafft  werden  möchte.  Nach- 
dem er  noch  die  Kürzung  der  Winterferien  und  Verlängerung  der  Sommer- 
ferien und  die  Verschiebung  des  Endes  des  Schuljahres  an  das  Ende  der 
}j:rossen  Sommerferien  besprochen  hat,  fasst  er  zum  Schluss  seine  Forde- 
rungen in  8  Leitsätzen  zusammen.  Die  sich  an  diese  Vorträge  anschliessende, 
sehr  ausgedehnte  Debatte  war  recht  lebhaft. 

Der  nächste  Vortrag  war  über  .,D  ieschulhygienischenEin- 
richtungen  der  Stadt  Wiesbaden"  von  dem  Standpunkt  dei 
Schulmannes,  des  Schularztes  und  des  Schultechnikers  und  Schulbau- 
meisters aus. 


Berichte  und  Besprechungen,  515 

Als  Schulmann  sprach  Stadtschulinspektor  Kinkel-  Wiesbaden;  er 
entwickelte  die  Schulverhältnisse  der  Stadt  und  zwar  nur  für  die  Volks-  und 
Mittelschulen,  berichtete  über  die  Klassenfrequenz  und  ging  besonders  ein- 
gehend auf  die  Schulbäder  ein,  die  in  jeder  Schule  eingerichtet  sind,  und 
wie  die  Benutzung  derselben  gehandhabt  wird.  In  Bezug  auf  die  Schul- 
arztfrage, die  er  streift,  wünscht  er  noch  eine  Erweiterung  der  Macht- 
befugnisse der  Schulärzte.  Zum  Schluss  seiner  Ausführungen  stellt  er 
einige  Betrachtungen  über  die  Erfolge  dieser  Einrichtungen,  besonders  der 
Anstellung  von  Schulärzten,  an  und  teilt  mit,  dass  obwohl  noch  nicht  mal 
eine  Schulgeneration  unter  ärztlicher  Überwachung  durch  die  Schule  ge- 
gangen ist,  doch  schon  vieles  in  Bezug  auf  die  Reinlichkeit  der  Schüler  an 
Körper  und  Kleidern  und  die  Schulluft  besser  geworden  ist.  Aber  leider 
liege  ja  das  Übel  viel  tiefer  in  den  Schäden  unseres  Volkslebens,  und  da 
müsste  die  Sozialhygiene  mit  allem  Nachdruck  einsetzen,  denn  solange 
noch  Kinder  geboren  werden,  die  von  schwächlichen,  kranken,  erblich  be- 
lasteten, von  Alkohol  vergifteten  Eltern  abstammen,  Kinder,  die  von  ge- 
wissenlosen Eltern  in  den  ersten  Lebensjahren  geistig  und  leiblich  vernach- 
lässigt und  verwahrlost  werden,  solange  wird  es  eine  gesunde  Schuljugend 
trotz  aller  Schulärzte  und  hygienischen  Einrichtungen  nicht  geben. 

Als  Schularzt  sprach  Dr.  F.  C  u  n  t  z  -  Wiesbaden  über  dieses  Thema; 
er  gibt  uns  an  der  Hand  der  Dienstordnung  einen  Bericht  über  die  Tätigkeit 
des  Schularztes  in  Wiesbaden,  so  über  die  Untersuchungen  der  Schulkinder 
beim  Eintritt  und  im  3.,  5.  und  8.  (letzten)  Schuljahre,  über  die  Ein- 
richtung und  Ausfüllung  des  Gesundheitsscheines  eines  jeden  Kindes, 
über  die  ständig  abgehaltenen  Sprechstunden  und  die  eventuellen  Mit- 
teilungen an  die  Eltern.  Die  bei  den  Rundgängen  sich  herausstellenden 
Mängel  in  bautechnischen  Angelegenheiten  werden  vom  Arzt  in  ein 
„Hygienebuch"  eingetragen  und  vom  Rektor  der  zuständigen  Behörde  ge- 
meldet. Er  bespricht  dann  auch  noch  die  Einrichtung  der  Schulhygiene- 
kommission, die  aus  2  Mitgliedern  des  Magistrats,  2  Stadtverordneten,  dem 
städtischen  Schulinspektor  und  einem  Schularzt  besteht,  deren  Sitzungen 
aber  auch  der  Regierungsmedizinalrat,  der  Kreisphysikus  und  erforderlichen 
Falles  sämtliche  Schulärzte  beiwohnen. 

Als  3.  Referent  sprach  Baurat  Genzmer-  Wiesbaden  als  Schul- 
techniker und  Schulbaumeister  über  die  Lage  des  Schulhauses  zur  Himmels- 
richtung, über  die  Grösse  des  Schulraumes,  um  einer  schädlichen  Luft- 
verderbnis wirksam  entgegen  zu  arbeiten,  über  die  künstliche  Erwärmung 
und  genügende  Ventilation  der  Räume.  Nach  kurzer  Besprechung  der 
Subsellien  und  anderer  inneren  Einrichtungen  der  Unterrichtsräume,  geht 
er  auf  die  Bedürfnisanstalten,  die  Brausebäder  und  den  Bodenbelag  in 
Korridoren  und  Zimmern  ein. 

Darauf  folgte  ein  Vortrag  „Die  Einführung  einer  einheit- 
lichen Schreib-  und  Druckschrift"  von  Rektor  Müller- 
Wiesbaden,  in  dem  er  sich  mit  beredten  Worten  gegen  die  „Doppelwährung" 
in  unserer  Schrift  wendet,  zumal  es  ja  nicht  etwa  nur  2  Alphabete  sind,  die 
gerade  unsere  Abcschützen  lernen  müssen,  sondern  8,  nämlich  die  deutsche 
Schreibschrift  klein  und  g^oss,  deutsche  Druckschrift  klein  und  gross,  la- 
teinische Druckschrift  klein  und  gross  und  lateinische  Schreibschrift  klein 


515  Berichte  und  Besprechungen, 

und  gross.  Aus  diesem  Grunde  der  Überbürdung  und  einigen  anderen  tritt 
er  für  die  Beschränkung  auf  ein  Alphabet  ein,  nur  frag^  es  sich,  welches 
soll  fallen.  Er  spricht  sich  nun  ganz  entschieden  für  die  Beibehaltung  der 
lateinischen  Schrift,  der  Antiqua,  aus,  weil  das  die  ursprüngliche  sei,  und 
die  sogenannte  deutsche  Schrift  erst  nach  dem  12.  Jahrhundert  durch  vcr- 
schnörkelnde  Schreibweise  der  französischen  Mönche  aus  ersterer  ent- 
standen sei,  ferner  sei  ja  auch  die  Antiqua  die  internationale  Schrift 

Vom  Standpunkt  des  Augenarztes  aus  sprach  Dr.  Gerloff- Wies- 
baden über  dieses  Thema.  Er  zeigt  uns,  welche  Arbeit  das  Auge  leisten 
muss  beim  Lesen  und  ganz  besonders  beim  Schreiben  der  Frakturschrift 
im  Gregensatz  zur  Antiqua,  die  in  allen  Typen  einfacher,  weniger  ver- 
schnörkelt und  deshalb  auch  bedeutend  übersichtlicher  ist  als  jene.  Be- 
sonders schwer  ist  die  Arbeit  des  Lesens  für  die  Kinder,  die  ja  noch  nicht 
wie  die  Erwachsenen  das  ganze  Wort  überblicken,  sondern  jeden  einzelnen 
Buchstaben  mit  den  Augen  abtasten  und  sich  erst  das  Wort  bilden.  Des- 
halb wird  das  Auge  durch  die  Frakturschrift  mehr  angespannt,  dem  Objekt 
unwillkürlich  mehr  genähert  und  dadurch  die  unheilbare  Krankheit  der 
Kurzsichtigkeit,  die  ja  anerkanntermassen  durch  Naharbeit  entsteht,  erst 
hervorgerufen  bezw.  vermehrt.  Diese  Gründe  fügt  er  noch  denen  des  ersten 
Redners  hinzu  und  fordert  auf,  mitzukämpfen  für  die  Einführung  der  la- 
teinischen Schrift.  Als  beredter  Beweis  für  seine  Ausführungen  waren  auf 
2  Seiten  nebeneinander  dieselben  Sätze  in  grosser  Fraktur-  und  grosser 
Antiquaschrift  abgedruckt,  woraus  jeder  Mensch  bei  einem  Versuch  zu 
lesen  mit  zwingender  Notwendigkeit  ersehen  muss,  wie  unendlich  viel  über- 
sichtlicher die  lateinische  als  die  deutsche  Schrift  ist. 

In  die  sich  an  diese  Vorträge  anschliessende,  sehr  lebhafte  Debatte 
wurde  auch  noch  die  Orthographiefrage  mithineingezogen.  Den  Schloss 
der  2.  Jahresversammlung  bildete  ein  im  Kurhaus  veranstaltetes  Festmahl 
mit  Damen  mit  daran  anschliessendem  Gartenfest. 

Das  5.  und  6,  Heft  wird  eingeleitet  durch  einen  Aufruf  zur  Bildung 
eines  Zweigvereins  für  Schulgesundheitspflege  in  Berlin. 

Herr  Dr.  L.  Borne  mann-  Hamburg  gibt  uns  eine  kurze  Be- 
schreibung der  Hamburger  Reformschul-Bank,  die  für  die 
vom  Verein  Frauenwohl  in  Hamburg  errichtete  „Reformschule"  gewählt 
worden  ist,  und  im  Grossen  und  Ganzen  dem  von  Sophie  Möller  und 
Einar  Sörensen  auf  der  Ausstellung  in  Bergen  (1898)  vorgeführten 
Bankmodell  nachgebildet  ist. 

In  einem  etwas  längeren  Aufsatz  bespricht  derselbe,  Dr.  L.  Borne- 
mann,  den  Streit  der  Meinungen  in  Hamburg  über  die 
sexuelle  Belehrung.  Er  ist  der  Meinung,  dass  die  Frage  nicht 
einseitig,  etwa  nur  hygienisch,  behandelt  werden  dürfe.  Sie  betrifft  den 
ganzen  Menschen  und  geht  zugleich  ebenso  sehr  die  Familie  wie  den  Staat 
an.  Er  berichtet,  wie  ein  von  der  Vorsitzenden  des  Hamburger  Zweig- 
vereins der  Internationalen  Föderation  im  Volksschullehrerinncnvcrein  und 
vor  schulentlassenen  Mädchen  gehaltener  durchaus  sachlicher  Vortrag 
(„Aufklärung  über  das  sexuelle  Leben  und  hygienische  Ratschläge  für  die 
heranwachsende  Jugend")    von  den    verschiedenen    Seiten    aufgenommen 


Berichte  und  Besprechungen,  517 

worden  ist.  Viele  waren  mit  dem  Tun  der  Dame  einverstanden,  doch 
machte  die  Schulbehörde  Hamburgs  dagegen  Front  und  drückte  ihr  Miss- 
fallen darüber  aus.  So  kam  diese  Angelegenheit  in  die  weitere  Öffentlichkeit 
und  auch  in  die  Tagespresse.  Es  machten  sich  Stimmen  geltend,  die  eine 
Aufklärung  durch  die  Schule  schon  in  den  frühesten  Jahren  verlangen,  andere, 
die  dies  nur  für  ein  privates  Recht  der  Familien  halten  und  die  Aufklärung 
nur  durch  die  Mutter  und  den  Vater  erteilt  wissen  wollen.  Ein  anderer 
Vorschlag  geht  dahin,  in  den  Fällen,  wo  es  die  Familie  wegen  der 
Schwierigkeit  dieser  Angelegenheit  nicht  übernehmen  wolle,  sollen  sich 
mehrere  zusammentun  und  einen  hygienischen  Kursus  bilden;  jedoch  ein- 
facher und  natürlicher  geschehe  das  Erforderliche  im  Schosse  der  einzelnen 
Familie  durch  Vater  und  Mutter;  und  auf  die  Frage  „Wie  soll  das  ge- 
schehen", wird  das  Büchlein  „Die  Vermehrung  des  Lebens"  von  Direktor 
Koch,  eines  Württemberger  Arztes,  empfohlen.  Die  Mehrheit  spricht  sich 
für  eine  Aufklärung  so  oder  so  aus,  jedoch  fehlt  es  auch  nicht  an  Stimmen, 
die  dieses  Vorgehen  als  ein  „Grosszüchten"  der  infolge  der  „Verwahrlosung 
der  Familie"  und  infolge  der  Aufklärung  durch  die  Tagespresse  bereits  er- 
zeugten „Schamlosigkeit"  ansehen.    . 

In  einer  Abhandlung  „Der  Gesundheitszustand  der  Ele- 
mentarschüler in  den  Dresdener  Volksschulen  und 
die  Schularztfrage"  von  G.  Schanze  wird  von  dem  Verfasser  in 
dem  ersten  Teil  seiner  Arbeit  nachgewiesen,  dass  der  Gesundheitszustand 
der  Dresdener  Elementarschüler  ein  sehr  ungünstiger  sei.  Zu  diesem 
Schluss  kommt  Schanze  durch  Betrachtungen  der  ihm  zu  diesem  Zwecke 
zur  Verfügung  gestellten  Aufzeichnungen  über  die  Ergebnisse  der  schul- 
ärztlichen Untersuchungen  der  Schüler.  Aus  den  Tabellen,  die  er  daraus 
zusammengestellt  hat,  geht  seine  Behauptung  klar  erwiesen  hervor;  er 
sagt  auch  noch  weiter,  dass  der  Gesundheitszustand  der  Kinder  im  wesent- 
lichen mit  durch  die  soziale  bezw.  wirtschaftliche  Lage  der  Eltern  bedingt 
wird.  In  dem  zweiten  Teil  seines  Themas,  die  Schularztfrage,  verlangt  er, 
dass  die  erste  schulärztliche  Untersuchung  des  körperlichen  Zustandes  der 
Kinder  kurz  nach  Ostern,  allgemein  und  nach  einheitlichen  Gesichtspunkten 
vorgenommen  werden  möchte,  weiter,  dass  das  Gesundheitszeugnis  für 
jedes  Kind  durch  die  ganze  Schulzeit  hindurch  geführt  werden  solle.  Die 
schulärztlichen  Untersuchungen  müssen  öfters  wiederholt  werden,  denn 
der  Zustand  der  Kinder  kann  sich  bessern,  er  kann  sich  auch  verschlimmern, 
es  können  sogar  Krankheiten  in  der  Schule  erst  erworben  werden,  und 
Schule  und  Pädagogik  hätten  doch  ein  lebhaftes  Interesse  daran,  die  volle 
Wahrheit  über  den  Gesundheitszustand  unserer  Kleinen,  in  denen  ja  die 
Zukunft  ruht,  zu  erfahren. 

In  einem  Aufsatz,  überschrieben  „Der  Dresdner  Lehrer- 
verein erbittet  Schulbäder"  beruft  sich  der  Verfasser,  Ober- 
bürgermeister Paul  am  Ende-  Dresden,  auf  die  Ausführungen  des 
Lehrers  G.  Schanze  und  tritt  ganz  energfisch  für  die  Einrichtung  von 
Brausebädern,  denen  er  den  Vorzug  vor  dem  Bassinbad  gibt,  in  den  Schulen 
ein  und  hofft,  dass  der  Lehrerverein  Erfolg  haben  möge  mit  seinen  Be- 
strebungen, obwohl  im  April  1899  ein  dahingehender  Antrag  des  Rates  von 
den  Stadtverordneten  Dresdens  abgelehnt  wurde. 


5 1  g  BerichU  und  Besprechungen. 

Dr.  med.  I.  Steinhardt,  Kinderarzt  und  städt.  Schularzt  in 
Nürnberg,  berichtet  über  den  „Fünften  Deutschen  Kongress 
fürVolks-  undjugendspicl  e",  der  am  7.  u.  8.  Juli  1901  in  Nüni- 
berg  tagte.  Es  hielt  zuerst  der  Leiter,  Freiherr  vonSchenckcndorff, 
seinen  Vortrag  „Zehn  Jahre  unserer  Arbeit",  nach  ihm  sprach  Hofrat  Dr. 
med.  Stich-  Nürnberg  über  „Wert  und  Bedeutung  der  Leibesübungen''. 
Weitere  Vorträge  wurden  noch  gehalten  von  Dr.  med.  Schmidt-  Bonn 
über  „Inwiefern  tragen  die  Bewegungsspiele  zur  Bekämpfung  der  Volks- 
krankheiten, vornehmlich  der  Tuberkulose,  bei?";  von  Turninspektor  Her- 
mann- Braunschweig  über  „Sind  die  Bewegungsspiele  der  Mädchen 
künftig  noch  entschiedener  zu  fördern,  und  nach  welchen  Grundsätzen  sind 
sie  zu  leiten?";  von  Stadtschulrat  P  1  a  t  e  n  -  Magdeburg  über  den  Satz 
„Was  kann  auch  der  Zentralausschuss  für  Volks-  und  Jugendspiele  zur 
Fürsorge  für  die  schulentlassene  Jugend  tun?"  Der  letzte  Vortrag  war  von 
Dr.  Koch-  Blankenburg  a.  H.  „Über  die  Notwendigkeit  der  weiteren 
Schaffung  von  Spielplätzen  in  Deutschland,  und  welche  Anforderungen  sind 
an  dieselben  zu  stellen?" 

Zum  Schluss  dieses  5.  und  6.  Heftes  sind  noch  eine  Petition  des  heraus^ 
j^ebenden  Vereins  an  das  Kaiserl.  Staatsministerium  von  Elsas s-Lothringen, 
betreffend  die  Einführung  von  Realgymnasien  in  den  Reichslanden,  und  die 
Erleichterung  der  Reifeprüfung  an  dortigen  höheren  Lehranstalten  und 
diesbezügliche  Wünsche  von  Familienvätern  der  Stadt  Mülhausen  ab- 
gedruckt. 

Unter  den  „Besprechungen",  die  den  Heften  am  Ende  angefügt  sind, 
werden  die  verschiedensten  neueren  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der 
Schulhygiene  eingehend  besprochen. 

Berlin.  H.    d  u    B  o  i  s. 


Mitteilungen. 


Preisausschreiben. 

Der  „Deutsche  Verein  gegen  den  Mißbrauch  geistiger 
Getränke"  wünscht  zwei  für  deutsche  Volksschul- Lesebücher  geeignete 
Lesestücke  zu  erwerben.  Das  für  die  Oberstufe  bestimmte  Stück  soll  über 
den  Alkohol-Mißbrauch  tmd  seine  Bekämpfung  in  gesundheitlicher,  sittlicher, 
haus-  und  volkswirtschaftlicher  Hinsicht  belehren.  Das  für  die  Mittelstufe 
passende  Stück  soll  in  Form  eines  Lebensbildes  oder  einer  Geschichte  ge- 
halten sein.  Der  Umfang  jedes  Stückes  darf  drei  Oktav-Druckseiten  nicht 
Überschreiten. 

Jede  Arbeit  soll  ein  Motto  tragen,  das  sich  auf  dem  geschlossenen 
Briefumschlage  befindet,  in  welchem  die  genaue  Adresse  des  Verfassers  mit- 
geteilt wird.  Die  Einlieferung  an  die  Geschäftsstelle  des  Vereins,  Berlin 
W.   15,  Fasanenstraße  74,  wird  bis  zum  29.   Februar  1904  erwartet. 

Die  Beurteilung  der  eingegangenen  Arbeiten  hat  eine  aus  folgenden 
Mitgliedern    bestehende    Kommission    übernommen: 

1.  Herr    Professor    Dr.    A 1  b  r  e  c  h  t ,    Groß-Lichterfelde, 

2.  Herr    Dir.    Dr.    Alt,    Uchtspringe, 

3.  Herr  Rektor  Hack,  Cöln  a.  Rh., 

4.  Herr  Redakteur  und   Rektor  O.  J  a  n  k  e ,   Berlin, 

5.  Herr    Rektor    Kutsche,    Laurahütte, 

6.  Herr  Geh.    Reg.-   und  Schulrat   Saß,   Schleswig. 

Für  jedes  der  beiden  Lesestücke  sind  zwei  Preise  ausgesetzt.  Der  erste 
beträgt  200  Mark,  der  zweite  100  Mark.  Sollte  der  Ausfall  des  Wettbewerbes 
dies  nötig  machen,  so  kann  der  Vereinsvorstand  auf  Antrag  der  Kommission 
eine  Zusanmienlegung  oder  Teilung  der  vier  Preise  beschließen.  Die  preis- 
gekrönten Arbeiten  gehen  zu  beliebiger  Verwendung  in  den  Besitz  des 
Vereins  über.  Das  Ergebnis  dieses  Preisausschreibens  wird  in  den  „Mäßig- 
keits-Blättern**   seinerzeit    veröffentlicht. 


Blnladang  zu  eiaem  Kongress  für  experimentelle  Psychologie  In  Qlessen 

vom  18.  bis  20.  Aphl  1904. 

Obwohl  die  experimentelle  Psychologie  nun  schon  seit  mehr  als  zwei 
Dezennien  in  Deutschland  ihre  Pflege  findet  und  überhaupt  erst  von  Deutsch- 
land aus  ihren  Weg  genommen  hat,  so  fehlt  doch  bei  uns  den  psychologischen 
Bestrebungen  noch  ein  Vereinigungspunkt,  wie  ihn  sämtliche  naturwissen- 
schaftliche Disziplinen  in  ihren  Spezialkongressen  oder  in  der  allgemeinen 


520  Müteäungtn. 

deutschen  Naturforscherversammlung  und  ihren  besonderen  Sektionen  b^ 
sitzen  und  wie  ihn  die  amerikanischen  Psychologen  bereits  in  einem  jähiM 
stattfindenden  Kongresse  haben.  Ein  solcher  Vereinigungspunkt  ist  aber 
für  die  Psychologie  nicht  weniger  ein  Bedürfnis  wie  für  die  anderen  wissea- 
schaftlichen  Disziplinen.  Denn  bei  der  Mannigfaltigkeit  der  speziellen  Foc- 
schungsrichtungen,  die  schon  bis  jetzt  in  der  Psychologie  zu  Tage  getretcs 
sind,  und  bei  der  wachsenden  Zahl  der  Aufgaben  und  Fragen,  die  von  dea 
verschiedensten  Gebieten  menschlichen  Wissens,  Handelns  und  Empfindens 
aus  an  die  Psychologie  gestellt  werden,  ist  es  dringend  angezeigt,  daß  den- 
jenigen, die  an  der  Arbeit  auf  dem  Gebiete  der  Psychologie  beteiligt  sind, 
Gelegenheit  gegeben  werde,  durch  wissenschaftliche  Zusammenkünfte  und 
persönlichen  Verkehr  eine  leichtere  und  vollständigere  Einsicht  in  die  ad 
diesem  Gebiete  sich  regenden  Richtungen  und  erworbenen  Anschannngefl 
zu  erhalten  und  durch  Austausch  von  Erfahrungen  und  Gedanken  sich  Üb- 
sichtlich  der  Methode  imd  der  Zielpunkte  ihres  Forschens  gegenseitig  in 
fördern. 

In  der  Erkenntnis  dieses  Bedürfnisses  und  in  der  Überzeugung,  daß  die 
experimentelle  Psychologie  das  Zentrum  darstellt,  an  welches  sich  afle 
übrigen  psychologischen  Bestrebungen  mehr  oder  weniger  eng  anzuschließa 
haben,  sind  die  Unterzeichneten  zu  dem  Entschlüsse  gelangt,  ihre  Mit- 
arbeiter auf  dem  Gebiete  der  Psychologie  zur  Beteiligung  an  einem  Koo 
gresse  für  experimentelle  Psychologie  aufzufordern.  Dieser 
Kongreß,  dessen  Verhandlungssprache  ausschließlich  die  deutsche  Spradie 
sein  soll,  wird  vom  18.-— 20.  April  1904  zu  Gießen  abgehalten  werden.  G^ 
nauere   Mitteilungen   hierüber  werden   später   erfolgen. 

Ebbinghaus-  Breslau.      S.    E  x  n  e  r  -  Wien.      G  r  o  o  s  -  Gießen. 

Hering-  Leipzig,     von    K  r  i  e  s  -  Freiburg    i.  Br.     K  ü  1  p  e  -  Würzburg. 

M  e  u  m  a  n  n  •  Zürich.   E.  Müller-  Göttingen.   Schumann-  Berlin. 

S  i  e  b  e  c  k  -  Gießen.     Sommer-  Gießen.     Stumpf-  Berlin. 

Ziehen- Halle  a.  S. 

Das   Lokal  -  C  o  mi  1 6: 

Groos.         Siebeck.         Sommer. 

Gefällige  Antwort  mit  Ankündigung  von  Vorträgen  und  Demonstradonei 
wird  erbeten  an  Prof.   Dr.    Sommer. 

Gießen,  Oktober  1903. 


Es  ist  angeregt  worden,  mit  dem  Kongreß  eine  Ausstellung  von 
Apparaten  und  sonstigen  Hilfsmitteln  zu  verbinden,  die  7ur  Ver- 
anschaulichung in  der  Psychophysik  imd  experimentellen  Psy- 
chologie benutzter  Methoden  dienen.  Dies  kann  mit  der  Einschränkung 
geschehen,  daß  im  Wesentlichen  nur  Apparate  und  Methoden  be- 
rücksichtigt werden,  welche  entweder  neu  oder  in  weiteren  Kreisen 
noch  nicht  genügend  bekannt  sind,  während  eine  massenhafte 
Ansammlung  von  beliebigen  Instrumenten  zu  dem  Plan  des  Kongresses  nicht 
paßt.  Es  empfiehlt  sich,  neben  den  rein  physikalischen  Hilfs- 
mitteln der  psychologischen  Forschung  auch  solche  Methoden  zn 
berücksichtigen,  die  ohne  mechanische  Instrumente  geeignet  sind, 


MtUgäungm.  521 

bei  planmäßiger  Anwendung  Einblick:  in  die  psychologischen  Vorgänge  zu 
ennoglichen.  Manche  von  diesen  Methoden  könnten  durch  übersichtliche 
Zusammenstellung  des  damit  erhaltenen  Beobachtungsmaterials  am  besten 
mastriert  werden. 

Im  Gebiet  der  technischen  Hilfsmittel  scheint  es  erwünscht,  daß 
nicht  nur  einzelne  Instrumente,  sondern  ganze  Versuchsanord- 
nungen zu  bestimmten  Zwecken  in  zusammenhängender  Weise  darge- 
stellt werden,  daß  besonders  auch  die  praktisch  wichtige  Frage  der  Ein- 
richtung psy chophysischer  Laboratorien,  z.  B.  in  Form  von 
Plänen  mit  Andeutung  der  Leitungen,  der  Einordnung  der  Instrumente  u.  s.  f. 
mr  Behandlung  kommt. 

Zur  Beteiligung  werden  hierdurch  nur  die  voraussichtlichen  Besucher  des 
Kongresses,  sowie  wissenschaftliche  Institute  und  bekannte  Universitäts- 
Mechaniker  eingeladen. 

Die  Transportkosten  müssen  von  dem  Aussteller  getragen  werden,  die 
Aufstellung  würde   durch  die  psychiatrische  Klinik  in   Gießen  geschehen. 

Um  Anmeldung  zu  der  geplanten  „Ausstellung  von  Apparaten  und 
Methoden  aus  dem  Gebiet  der  experimentellen  Psychologie"  wird  ge- 
beten an  Prof.    Dr.  Sommer. 

Gießen,  November   1903. 


Es  haben  bisher  Vorträge  und  Demonstrationen  angemeldet : 

1.  A  c  h  -  Göttingen : 

1)  Über  das  Hippsche  Chronoskop. 

2)  Experimentelles  über  die  Willcnstätigkeit. 

2.  A  m  e  n  t  -  Würzburg : 

Das  psychologische  Experiment  an  Kindern. 

3.  A  s  h  e  r  -  Bern : 

Das  Gesetz  der  spezifischen  Sinnesenergie. 

4.  B  e  n  u  s  s  i  -  Graz : 

Ein  neuer  Beweis  der  spezifischen  Helligkeit  (bezw.  Dunkelheit)  der 
Farben.    Mit  Demonstrationen. 

5.  D  e  s  s  o  i  r  -  Berlin : 

Experimentelle     Untersuchungen     über     die     sogenannten     Gemein- 
empfindungen. 

6.  Ebbinghaus-  Breslau : 

Über   die   geometrisch-optischen   Täuschungen. 

7.  Elsenhans-  Heidelberg : 

1)  Die  Aufgabe   einer  Psychologie  der  Deutung  als   Grundlage  der 
Geisteswissenschaften. 

2)  Bemerkungen  über  die  Generalisation  der  Gefühle. 

8.  G  r  o  o  s  -  Gießen : 

Die  Anfänge  der  Kunst  und  die  Theorie  Darwins. 

9.  Henri-  Paris : 

Über  die  Koordination  von  Bewegimgen. 
10.  Kohnstamm- Königstein  L  T.: 

Ausdrucksdeterminanten  und  Ausdrucksbewegungen. 
Zdtachrift  ffir  pldagogische  Psychologie,  Pübologie  und  Hygioie.  7 


522  MiUeUung^H, 

11.  Külpc-Würzburg: 

Versuche  über  die  Abstraktion. 

12.  L  a  y  -  Karlsruhe : 

Das  Wesen  und  die   Bedeutung  der  experimentellen  Didaktik. 

13.  Marbe-Würzburg: 

Über  den  Rhythmus  der  Prosa. 

14.  Marti  US -Kiel: 

1)  Zur  Untersuchung  des  Einflusses  psychischer  Vorgänge  auf  M 
imd  Atmung. 

2)  Demonstration  des  Apparates  zur  Lichtunterbrechung. 

15.  M  e  u  m  a  n  n  -  Zürich : 

1)  Eine   Erweiterung   der   experimentellen   Gedachtnismcthodcn. 

2)  Grundlagen  der   Individualpsychologie. 

16.  E.  Müller-  Göttingen : 

1)  Bericht  über  Untersuchimgen  an  einem  ungewöhnlichen  (^ 
dächtnis  (nebst  Demonstrationsversuchen  an  der  betreff endeo  Vl^ 
Suchsperson). 

2)  Die  Theorie  der  Gegenfarben  und  die  Farbenblindheit. 

17.  Schumann-  Berlin : 

1)  Ein  ungewöhnlicher  Fall  von  Farbenblindheit. 

2)  Die  Erkennung  von  Buchstaben  und  Worten  bei  momcoM 
Beleuchtung. 

18.  Sieb  eck -Gießen: 

Zur  Psychologie  des  Musikalischen. 

19.  Sommer-  Gießen : 

1)  Objektive  Psychopathologie.  < 

2)  Demonstrationen:  a)  Umsetzung  des  Pulses  in  Töne;  b)  Elek» 
motorische  Wirkungen  an  den  Fingern. 

20.  Stumpf -Berlin: 
Über    Zurechnung. 

21.  T  sc  her  mak- Halle  a.  S.: 

Neue  Untersuchungen  über  Tiefenwahmehmung  mit  besonderer  R«^ 
sieht  auf  deren  angeborene  Grundlage. 

22.  Watt- Würzburg: 

Mitteilungen  über  Reaktions  versuche. 

23.  Weygan  dt -Würzburg: 

Beiträge   zur    Psychologie   des    Schlafes. 

24.  Wreschner- Zürich : 

Experimentelles  über  Association  von  Vorstellungen. 
26.  Ziehen- Halle  a.  S.: 

Messung  der  Reaktionszeiten  bei  Geisteskranken  und  Geistesgesoodei' 

Femer  werden  voraussichtlich  Vorträge   halten   die    Herren:  Alrnl«' 

Upsala,  Kiesow- Turin,  Rausch  b  urg- Budapest,  W.  Stern-BrcslA 

möglicherweise    auch    E  1 1 1  i  n  g  e  r  -  München,    S.    £  x  n  e  r  -  Wien,  Wit»- 

s  e  k  -  Graz. 

Für  die  Ausstellung  von  Apparaten  und   Methodea 
bisher  in  Aussicht  gestellt: 


kiüt€üungen.  523 

1.  Hoef  1er -Prag: 

Apparate   für    100    psychologische    Schul  versuche. 

2.  L  a  y  •  Karlsruhe : 

Experimentelle  Untersuchungsmethoden  und  Ergebnisse  aus  dem  Ge- 
biet der  Schulpraxis  (Rechtschreiben,  Entstehung  der  Zahlrorstellun- 
gen,    Gedächtnistypen,    psychische   Energie). 

3.  M  a  r  b  e  -  Würzburg : 

Serie  photographisch  hergestellter  grauer  Papiere. 

4.  Martins- Kiel: 

Apparat  zur  Lichtunterbrechung. 

5.  Nagel-  Berlin : 

1)  Apparat  zur   Demonstration   der  Vokalkurven. 

2)  Apparat  zur  Feststellung  der  beiden  Arten  Rotgrünblinder. 

6.  Oehmke-Berlin   (durch   Prof.   Schumann): 

Apparat  zur  Demonstration  des  Pulses. 

7.  Sommer- Gießen: 

1)  Psychophysiologische   Apparate. 

2)  Zählung  von  psychopathischen  Symptomen. 
S.  Stern-  Breslau    und    Mechaniker    T  i  e  s  s  e  n : 

Tonvariator. 
9.  T  i  c  s  s  e  n  -  Berlin    (durch    Prof.    Schumann): 

Einfacher  Kontrollapparat   für  das   Hippsche  Chronoskop. 

10.  T  s  c  h  e  r  m  a  k .  Halle    a.  S. : 

Ein  Tierperimeter. 

11.  Psychologisches    Institut    in    Berlin : 

1)  Tachistoskop  nach  Prof.  Schumann. 

2)  Chronograph  von   Oehmke. 

3)  Kymographion  für   Motorbetrieb. 
Vielleicht  auch : 

4)  Elektromotor  mit  Zentrifugalregulator. 

5)  Serie  kleiner  Pfeifen. 

6)  Apparat  zur  Untersuchung  des  Einflusses  der  Accomodation  auf 
die  monoculare   Tiefenschätzung. 

7)  Modell  zur  Demonstration  des  Vertikalhoropters. 

Im  definitiven  Programm,  das  Anfang  März  zur  Versendung  kodunt, 
wird  der  Stoff  inhaltlich  geordnet  werden. 

Auf  verschiedene  Anfragen  wird  mitgeteilt,  daß  für  Demonstrationszwecke 
xur  Verfügimg  stehen:  Elektrischer  Strom  von  110  Volt  Spannung,  Elektro- 
motor von  1  H.  P.,  Batterien  für  Reaktions versuche,  Hippsches  Chrono- 
skop, Kymographion,  Zeissscher  Projektionsapparat  mit  optischer  Bank, 
Phonograph  mit  elektromotorischem  Antrieb  usw. 

Um  weitere  Anmeldungen  bis  zum  20.  Februar  wird  gebeten. 

Prof.  Dr.  E.  Müller,  Prof.  Dr.  Sommer, 

Göttingen.  Gießen. 


Leo  Hirscklafl 


c  Die  Mkerem  seelisckem  Fmsktiomea  C^orstell«a^ea,  Gefftklc» 
Strebvm^em,  Grmmd^esetxe  des  seelisckea  Gesckekem&) 

aW.  T,  Pssck,  L.:  iMflidie  DiagMK  mm  da  Ci  liitiii^iB,     Ab  der 

Kah  der  kokcrcB   Vagffn|utkie.     5l  AiiL     17   S.     Le^i^  IM, 

W.  Ff  II 
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Matiu  Hirt.  Soc)    Canbridse,  J.  WIm»  &  S<m.  190L    PjpL  ML 
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Eine  Gedankenlese  aus  den  Werken  des  R.    Aus  dem  Engl,  übers,  u. 
r  zusammengestellt  von  J.  Feis.     Hrsg.  v.  S.  Sänger.    87  S.  Straßburg 

r^  1901,  J.  H.  E.  Heitz. 

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Mind,  N.  S.,  1901,  X,  293—317. 
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1901,  XV,  449—454,  500—505. 

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XXI,  260—264. 

915.  Saxinger,  R. :  Über  den  Einfluß  der  Gefühle  auf  die  Vorstellungs- 

bewegung.    Ztsch.  f.  Psychol.,  1901,  XXVII,  18—33. 

916.  Scheppegrell,  W.:  The  Physiology  of  Voice  Production.   Laryng., 

1900,   IX,  93—99. 

917.  Schmidt,  E.  von:  Die  verschiedenen  Richtungen  der  Weltanschau- 

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918.  Schmidt,  F.  J. :   Das  Ich  und  das  Unbewiißte  [nach  Drews].  Preußi- 

sche Jahrbücher,  104.  B.  S.  23—37.     1901. 

919.  Schmidt,   S. :   Über  das  Problem  vom  Ursprung  der  Sprache  und 

über   Methode   und   Ziele   der   linguistischen   Forschung.    Zeitschrift 
für  afrikanische  und  ozeanische  Sprachen,  S.  304— 34  L     1901. 

920.  Schnupp,  W. :   Zur  Auffassung  und  Erklärung  des   Dramatischen. 

Progr.  Amberg  1901.    35  S. 

921.  Schultze-Naumburg,  P. :  Vom  Schaffen  eines  Malers.    Persön- 

liches und  Allgemeines.    Der  Kunstwart,  14.  J.  9.  H.    1901. 

922.  Schuppe,  W. :   Zum   Psychologismus   und  zum  Normcharakter   der 

Logik.     Archiv  für  systematische  Philosophie,  N.  F.  7.  B.  S.  1 — 29. 
1901. 


526 


SS3.  Schätz,  L.  H.:  Die  Lehre  woa  dot 

DcKarteSw    Dbb^   Gdctmsen   1901,    IH   S    HaeoK  L  W:, 

f  4>fCT    &    RnpvecBt. 
9S4.  Scappacci,    Carlo  :    Primi    espcrimeBti    sasS^   abüi^   ^■cnce  ad 

sani  e  iieg)i  afimari      Rivista  SperimeBtaie  c&  Fnancria.     19HL    TcL 

XX\^I.  p.  UHS-UOS. 
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1016.  Z  o  t  h  :    Innere    Sprache.      Mitteilungen     des     naturwissenschaftfidldK 

Vereins  für  Steiermark,  Graz.     J.  1900.     S.   75.  J^ 

1017.  Z  u  n  t  z  :   Studien  zu  einer   Physiologie  des   Marsches.     361  S.    IwPr 

Aus:  Bibliothek  v.  Coler.     Sammlung  v.  Werken  aus  dem 
der  medicin.  Wissenschaften.    Hrsg.  v.  O.  Schjemmg.    6.  Bd. 
A.  Hirschwald.     1901. 

1018.  L.,  J. :  Illusion  d'optique.     La  Nature,  1901,  XXIX,  411. 

1019.  M.:  Gauchers  et  ambidextres.    Cosmos,  1901,  L  (II),  229—231, 

1020.  Musikalisch-Dramatische  Parallele.  Vom  Charakter.  Bayreuther 

S.  285—297.     1901. 

1021.  Physiologie  des  Kunstempfindens.     Zukunft,  37.  B.   S.   34—48. 


Schriftleitung :  F.  Kemsies,  Schöneberg,  Hauptstr.  106  und  L.  Hirschlaff,  Berlin  W.,  Litiowslr.  88b. 

Verkg  von  Hemunn  Walther,  Verlagsbuchhandl.,  O.  m.  b.  H.,  Berlin  SW.,   KoiiiiiwiidaBtCBft  14. 

Drude:  Deutsche  Buch-  und  Kunstdruckerei,  O.  m.  b.  H.,  Zossen— Berlin  SW.  11. 


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